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Allgemeine Zeitung, Nr. 16, 17. Januar 1924.

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Allgemeine Zeitung
Süddeutsches Tagblatt Großdeutsche Rundschau
127. Jahrgang. Nr. 16
München, Donnerstag den 17. Januar 1924.
Hauptschriftleitung und verantwortlich für Deutsche und Bayerische Politik:
Max Heilgemayr. -- Wirtschaftszeitung u. Auswärtige Politik: Josef Schrepfer.
-- Unpolitische Stadtzeitung u. Sport: Richard Rieß. -- Kunst u. Musik: Albin v.
Probram-Gladona. -- Feuilleton u. Theater: Walter Foitzick. -- Anzeigenteil: Josef
Spiegel, sämtl. in München. -- Redaktion: München, Baaderstr. 1, Tel. 27940. -- Berliner
Schriftleitung: SW 68., Zimmerstr. 9. Tel. Zentrum 54 98 u. 39 67; Leiter: Alfred Gerigk.
[Abbildung]
Die Allgemeine Zeitung erscheint täglich. Bei Störung des Erscheinens infolge höherer
Gewalt oder Streiks besteht kein Anspruch auf Zeitungslieferung oder Rückzahlung des Be-
zugsgeldes. Bezugspreis: Mk. 2.80 für den Monat. Anzeigenpreis: für die 9-spaltige
Millimeterzeile im Inseratenteil M. 0.25, im Reklameteil M. 0.80. Kleine Anzeigen M. 0.10.
Verlag der Allgemeinen Zeitung G.m.b.H. München. Postscheckkonto: München 8170.
Druck: Druckerei- und Verlags-A.-G. München, Baaderstraße 1 und 1a. Telefon 24287.
Einzelpreis 10 Pfennig.

Dezentralisierter Einheitsstaat
oder Bundesstaat
In diesen Tagen, da durch die Denkschrift der
Bayerischen Staatsregierung über die Revision
der Weimarer Reichsverfassung das deutsche Ver-
fassungsproblem in seiner ganzen Tiefe und
Breite aufgerollt ist, geben wir gerne einem der
führenden Vertreter des Einheits-
staatsgedankens
das Wort. Gerade weil
wir in der grundsätzlichen Beurteilung des
Problems einen Standpunkt einnehmen, der sich
mit demjenigen des Verfassers nicht in allen
Punkten deckt, erscheint uns die von seiner Seite
erhobene Forderung nach weitest gehender
Dezentralisierung der Verwaltung

doppelt beachtenswert.
Die Schriftleitung.

Für Deutschlands staatliche Entwicklung
ist kaum ein Umstand so schädlich gewesen
wie der Sieg der Landeshoheit
über die Reichsgewalt
. In anderen
Ländern mit glücklicherer Geschichte sind
Nationalgefühl und Staatsgefühl keine ge-
trennten Begriffe. Das gilt nicht nur für
Frankreich und England, sondern auch für
Italien, dessen Geschichte bis 1859 mit der
deutschen einigermaßen ähnlich verlief.
Deutschland dagegen war auf die Stufe
eines bloß geographischen Begriffs her-
untergesunken. "Die territoriale Sou-
veränität der einzelnen Fürsten hatte
sich im Laufe der deutschen Geschichte
zu einer unnatürlichen Höhe entwickelt,"

sagt Bismark in seinen Gedanken und Er-
innerungen in dem höchst belangreichen
Kapitel "Dynastien und Stämme". Mit
seinem scharfen Verstande hatte er vollkom-
men klar erschaut, daß der deutsche Par-
tikularismus nicht in irgendwelchen Stam-
meseigentümlichkeiten seine Wurzel hat,
sondern in dem von den Dynastien künstlich
geschaffenen Staatsgefühl. "Es sind nicht
Stammesunterschiede, sondern dynastische
Beziehungen, auf denen die zentrifugalen
Elemente ursprünglich beruhen."
Leider
konnte der große Staatsmann infolge seiner
antidemokratischen Einstellung sich nicht von
dieser klaren Erkenntnis bei Ausgestaltung
der Verfassung leiten lassen. Er fand sich
damit ab, daß "der deutsche Patriotismus
in der Regel, um tätig und wirksam zu
werden, der Vermittlung dynastischer An-
hänglichkeit bedarf" und zog es vor, "das
gemeinsame Standesgefühl der Fürsten" zur
Grundlage des Reiches zu machen, statt eine
starke Zentralgewalt und die Volksver-
tretung als Eckstein zu wählen. Freilich
verstand er es in genialer Weise unter der
bundesstaatlichen Form und unter sorg-
fältiger Schonung dynastischer Eifersucht
tatsächlich, die Einheit durch Be-
gründung der preußischen Vor-
macht
zu sichern.

Der glänzende Aufstieg Deutschlands im
äußeren Ansehen und in wirtschaftlicher
Macht konnte darüber hinwegtäuschen, daß
die Verfassung große Zugeständnisse an ge-
schichtliche Zufälligkeiten, wie es der Auf-
bau der dynastischen deutschen Länder ist,
machte und daß die folgerichtige Entwick-
lung vom Staatenbund über den Bundes-
staat zum Einheitsstaat, wie sie ein altes
demokratisches Hochziel ist, vermieden war.
Immerhin konnte das große, unter ein-
heitlichem Oberbefehl stehende preußi-
sche Kontingent
den Mangel einer
eigenen Vollzugsgewalt des Reiches einiger-
maßen ersetzen, das preußische Ueber-
gewicht im Bundesrat, das
preußische Veto
in den wichtigsten
Angelegenheiten des Reiches stellten mäch-
tige Bollwerke gegen einzelstaatliche und
Absonderungsgelüste dar. Dies wird immer
wieder, sei es aus Unkenntnis, sei es ge-
flissentlich, übersehen, wenn die Partikula-
risten die Rückkehr zur Bismarckschen Ver-
fassung verlangen. Dadurch, daß der Frei-
staat Preußen in einer für den Einheits-

[Spaltenumbruch]

gedanken hochwillkommenen Weise auf
seine Vorrechte und Vormachtstellung in der
Republik verzichtet hat, ist die Grundlage
für den Bismarckschen sogenannten Bundes-
staat überhaupt nicht mehr gegeben; denn
um die Wiederherstellung dieser preußischen
Rechte ist es gewiß den Befürwortern der
neuen Verfassungsänderung am wenigsten
zu tun. Sie wollen vielmehr getreu ihrem
Grundsatz: "Gebet den Ländern, was der
Länder ist, und nehmet dem Reich, was des
Reiches ist", die unbedingte und unein-
geschränkte Staatshoheit des Landes auf-
richten und dabei aus der Zugehörigkeit
zum Reich alle möglichen Vorteile ziehen,
wie Staffeltarife für die Eisenbahnen,
[Spaltenumbruch] Finanzierung der Kanalbauten, Aufträge
für Handel und Industrie durch Ver-
teilungsstellen des Reiches u. dgl. Selbst-
verständlich würde die Forderung der un-
beschränkten Staatshoheit der Länder sehr
bald das Reich über den Bundesstaat hin
in das lockere Gefüge des Staatenbundes
überführen, und das Rad der Geschichte
Deutschlands würde auf die Zeit des west-
fälischen Friedens zurückgedreht, wobei
auch weiterer Verlust an Land und Leuten,
wie er damals durch die Abtretung der
Niederlande und der Schweiz eintrat, durch-
aus möglich wäre.

Nun ist nicht zu leugnen, daß die Einzel-
staatler ihre Forderungen recht geschickt be-
[Spaltenumbruch] gründen, indem sie die Abneigung
gegen die Zentralisation,
die
sogenannte Berlinerei, benützen und ander-
seits Berücksichtigung der Stam-
meseigenart
verlangen. Beide Forde-
rungen sind durchaus zu billigen; aber es
ist geradezu unehrlich, wenn es immer so
hingestellt wird, als könne die Weimarer
Verfassung ihnen nicht gerecht werden oder
als sei letztere Forderung z. B. durch die
bayerische Verfassung und Verwaltung
erfüllt.

Wenn die Zentralisation bekämpft wird,
wird meist unterschoben, als ob der Ein-
heitsstaat notwendigerweise zentralisiert,
d. h. von einem Punkte aus und

[Spaltenumbruch]
Dr. Schachts Einladung nach Paris

Sonderdienst der Allgemeinen Zeitung


Die Einladung des
Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht durch
die Sachverständigenkommission ist darauf
zurückzuführen, daß die Arbeiten in
Paris die Kommission noch einige Zeit an
der geplanten Reise nach Deutschland
hindern werden.

Der Beschluß, Dr. Schacht um sein
Erscheinen in Paris zu bitten, ist der
deutschen Regierung
gestern durch
die Reparationskommission
übermittelt
worden. Doch lag eine
formelle Einladung vormittag noch nicht
vor, also auch noch keine Mitteilung über
die einzelnen Gegenstände, über die Dr.
Schacht um Auskunft gebeten werden soll.

Nach weiteren Meldungen ist man am
Quai d'Orsay über die Einladung Dr.
Schachts verstimmt. weil Poincare
sich seinerzeit gegen die Teilnahme eines
deutschen Vertreters ausgesprochen hatte.
Ein entsprechender Hinweis des französi-
[Spaltenumbruch] schen Vertreters ist aber von den
übrigen Sachverständigen nicht
beachtet worden
.


Zu der bevor-
stehenden Reise des Reichsbankpräsiden-
ten Dr. Schacht nach Paris wird noch
berichtet:

Der Sachverständigenausschuß
hat der zuständigen deutschen Stelle in
Paris mitgeteilt, daß der Beschluß gefaßt
worden sei, eine persönliche Rück-
sprache mit dem Reichsbank-
präsidenten
herbeizuführen. Diese
Einladung wurde von Paris nach Berlin
übermittelt. Reichsbankpräsident Dr.
Schacht ist grundsätzlich bereit, dieser
Einladung Folge zu leisten. Es kann
jedoch im Augenblick noch nicht mit Be-
stimmtheit gesagt werden, wann er diese
Reise antritt, voraussichtlich nicht vor
Freitag
.



[Spaltenumbruch]
Mißstimmung im französischen Parlament

In parlamentarischen
Kreisen herrscht große Erregung
gegen den Finanzminister
. Viele
Abgeordnete werden es als unerhörte
Zumutung
empfinden, daß die Re-
gierung jetzt vor den Wahlen die Ge-
nehmigung von Steuerzuschlägen
und die Zurückziehung von mehreren Ge-
setzesvorlagen verlangt. In den Wandel-
gängen der Kammer wird die Forderung
laut, daß die Vollmachten des Parlaments
unter solchen Umständen um ein Jahr
verlängert
werden müßten, weil die
Abgeordneten unmöglich nach Annahme so
unpopulärer Maßnahmen vor ihre
Wähler
treten könnten. Die Annahme
der Regierungsvorschläge erscheint aber
gesichert, da Poincare mit der sofortigen
Kammerauflösung droht.

Um die rheinische Goldnotenbank

Gestern fand in
Koblenz eine Besprechung zwischen
deutschen und französischen Interessenten
über die Frage der Rheinisch-West-
fälischen Goldnotenbank
statt.
Wie wir erfahren, ist man auf dieser Zu-
sammenkunft noch nicht zu einem end-
gültigen Ergebnis gekommen. Die von
der Reichsregierung zuletzt
aufgestellten Bedingungen,
die
bekanntlich auf Grund einer entgegen-
kommenden französisch-belgischen Erklä-
rung neu formuliert worden waren, sind
von den Franzosen nur zum Teil
angenommen worden
. Ueber die
Differenzpunkte wird nunmehr zwischen
einem deutschen Unterausschuß und der
Reichsregierung weiter verhand-
[Spaltenumbruch] delt
werden. Dieser Unterausschuß der
rheinischen Bankiers wird noch heute in
Berlin eintreffen, da man in den
Kreisen der rheinisch-westfälischen In-
dustrie und Finanzwelt größten Wert auf
eine baldige Lösung des Problems
legt.

Das Rentengeld

Die Summe der zur Aus-
gabe gelangenden Rentenpfennige war ur-
sprünglich auf 60 Millionen Rentenmark fest-
gesetzt. Da aber ein großer Bedarf an kleinen
Zahlungsmitteln vorliegt, ist dem Reichskabinett
ein neuer Entwurf zugegangen, wonach die Aus-
prägung von Rentenpfennigen auf 150 Mil-
lionen Rentenmark
erhöht werden soll.
Es kommen also 21/2 Rentenmark auf den Kopf
der Bevölkerung, was ungefähr dem umlaufen-
den Metallgeld vor dem Kriege entsprechen
würde. Die technischen Schwierigkeiten, die sich
bei der Prägung des neuen Metallgeldes anfäng-
lich zeigten, sind jetzt behoben. Alle selbständigen
staatlichen Münzen arbeiten mit Hochdruck an der
Ausprägung, so daß bereits in den nächsten
Tagen eine größere Anzahl kleiner Münzwerte
in den Verkehr gebracht werden dürfte.

Der Reichs-Wochen-Index

Die Reichsindexziffer
für die Lebenshaltungskosten beträgt nach den
Feststellungen des Statistischen Reichsamtes, auf
den 14. Januar berechnet, das 1,11 billionen-
fache
der Vorkriegszeit, gegenüber der Vorwoche
(1,13 billionenfach), das ist eine Abnahme von
genau 1,8 Prozent.

Die auf den Stichtag des 15. Januar berech-
nete Großhandelsindexziffer des Sta-
tistischen Reichsamtes beträgt 119,08 und zeigt
somit gegenüber dem Stand vom 8. Januar
(119,07) keine wesentliche Veränderung.

Die Indexziffern der Hauptgruppen sind fol-
gende: Lebensmittel 106,9 (am 8 Januar eben-
falls 106,9) darunter die Gruppen Getreide und
Kartoffel 84,9 (84,2), Industriestoffe 143,9 (143,6),
Gruppe Kohle und Eisen 140 (140,8), ferner In-
landswaren 111,4 (111,7), Einfuhrwaren 161,6
(160).

Verhandlungen Berlin--
München

Eigener Drahtbericht.


Die Antwort
des Reichskanzlers an die baye-
rische Regierung stellt, wie wir erfahren,
die Einleitung eingehender Verhand-
lungen
zwischen Berlin und München
dar, die nach Möglichkeit beschleu-
nigt
werden sollen. Diese Verhandlun-
gen werden insbesondere auch dadurch ge-
fördert werden, daß die Beratungen des
Kabinetts über die dritte Steuernotver-
ordnung, die den Beginn eines
neuen Finanzausgleiches
zwischen Reich und Ländern

bringt, demnächst beendet sein werden und
dadurch ein Teil der bayerischen Wünsche
nach selbständiger Finanzwirtschaft bereits
als erfüllt gelten kann.

Der Reichskanzler hat an den bayerischen
Gesandten Dr. v. Preger unter dem 15. Ja-
nuar ein Schreiben gerichtet, in dem es heißt:

"Die mir am 5. Januar überreichte Denkschrift
der bayerischen Regierung habe ich inzwischen mit
Aufmerksamkeit gelesen und sie, sobald ich in dem
Besitz einer ausreichenden Zahl von Abdrücken
gelangt war, allen beteiligten Regierungsstellen
zugeleitet. Die bayerische Regierung wird es ver-
ständig finden, daß die Reichsregierung angesichts
der weitgreifenden Bedeutung der in der Denk-
schrift erörterten Probleme eine abschließende
Stellung heute noch nicht einnehmen kann. Schon
jetzt aber mochte ich meiner lebhaften Genug-
tuung darüber Ausdruck geben, daß der in sach-
lich gehaltener Form dargelegte Standpunkt, den
die bayerische Regierung der Reichsverfassung
gegenüber einnimmt, von dem Gedanken getragen
ist, das Reich im ganzen wie in seinen Teilen
stark und fest zusammengefügt zu erhalten.
Ich verkenne nicht, daß die Denkschrift sowohl
in ihren geschichtlichen Darlegungen wie in den
Vorschlägen für die Zukunft Gegenstand lebhaf-
ter, vielleicht heftiger Meinungskämpfe sein wird,
die jedoch -- wie ich bestimmt hoffe -- sich in
den Grenzen halten werden, die eben die Tat-
sache zeigt, daß deutsche Gedanken und Gefühle
der bayerischen Regierung die Feder geführt
haben.
Die Reichsregierung ist gerne bereit, zunächst
mit der bayerischen Regierung unter Zugrunde-
legung der überreichten Denkschrift in einen
Meinungsaustausch einzutreten, wobei sie mit
der bayerischen Regierung darüber einig ist, daß
die einzelnen, in der Denkschrift erörterten Fra-
gen einer eingehenden sachlichen und vorurteils-
losen Prüfung bedürfen. Erst nach dem Ergebnis
dieser Erörterungen wird sich die Frage beant-
worten lassen, inwieweit seitens der Reichsregie-
rung und der bayerischen Regierung die Initia-
tive zu gesetzgeberischen Maßnahmen zu ergreifen
sein wird.
Die Besatzungskosten

Von zuständiger Stelle
wird mitgeteilt, daß die Höhe der Besatzungs-
kosten
zwischen 50 und 60 Millionen Goldmark
monatlich beträgt, nicht, wie ursprünglich ange-
nommen wurde, 100 Millionen Goldmark. Die
Zahlungen für die Besatzungskosten werden nur
geleistet, nach dem die Ausgaben des Reiches
gedeckt sind. Die Gefahr, daß durch die Bezah-
lung der Besatzungskosten die Balancierung des
Budgets unmöglich gemacht werden würde, be-
steht demnach nicht,
wenigstens solange
nicht, als die gesamten Einnahmen zur Deckung
der Ausgaben ausreichen.



[Spaltenumbruch]

Allgemeine Zeitung
Süddeutſches Tagblatt Großdeutſche Rundſchau
127. Jahrgang. Nr. 16
München, Donnerstag den 17. Januar 1924.
Hauptſchriftleitung und verantwortlich für Deutſche und Bayeriſche Politik:
Max Heilgemayr. — Wirtſchaftszeitung u. Auswärtige Politik: Joſef Schrepfer.
Unpolitiſche Stadtzeitung u. Sport: Richard Rieß. — Kunſt u. Muſik: Albin v.
Probram-Gladona. — Feuilleton u. Theater: Walter Foitzick. — Anzeigenteil: Joſef
Spiegel, ſämtl. in München. — Redaktion: München, Baaderſtr. 1, Tel. 27940. — Berliner
Schriftleitung: SW 68., Zimmerſtr. 9. Tel. Zentrum 54 98 u. 39 67; Leiter: Alfred Gerigk.
[Abbildung]
Die Allgemeine Zeitung erſcheint täglich. Bei Störung des Erſcheinens infolge höherer
Gewalt oder Streiks beſteht kein Anſpruch auf Zeitungslieferung oder Rückzahlung des Be-
zugsgeldes. Bezugspreis: Mk. 2.80 für den Monat. Anzeigenpreis: für die 9-ſpaltige
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Druck: Druckerei- und Verlags-A.-G. München, Baaderſtraße 1 und 1a. Telefon 24287.
Einzelpreis 10 Pfennig.

Dezentraliſierter Einheitsſtaat
oder Bundesſtaat
In dieſen Tagen, da durch die Denkſchrift der
Bayeriſchen Staatsregierung über die Reviſion
der Weimarer Reichsverfaſſung das deutſche Ver-
faſſungsproblem in ſeiner ganzen Tiefe und
Breite aufgerollt iſt, geben wir gerne einem der
führenden Vertreter des Einheits-
ſtaatsgedankens
das Wort. Gerade weil
wir in der grundſätzlichen Beurteilung des
Problems einen Standpunkt einnehmen, der ſich
mit demjenigen des Verfaſſers nicht in allen
Punkten deckt, erſcheint uns die von ſeiner Seite
erhobene Forderung nach weiteſt gehender
Dezentraliſierung der Verwaltung

doppelt beachtenswert.
Die Schriftleitung.

Für Deutſchlands ſtaatliche Entwicklung
iſt kaum ein Umſtand ſo ſchädlich geweſen
wie der Sieg der Landeshoheit
über die Reichsgewalt
. In anderen
Ländern mit glücklicherer Geſchichte ſind
Nationalgefühl und Staatsgefühl keine ge-
trennten Begriffe. Das gilt nicht nur für
Frankreich und England, ſondern auch für
Italien, deſſen Geſchichte bis 1859 mit der
deutſchen einigermaßen ähnlich verlief.
Deutſchland dagegen war auf die Stufe
eines bloß geographiſchen Begriffs her-
untergeſunken. „Die territoriale Sou-
veränität der einzelnen Fürſten hatte
ſich im Laufe der deutſchen Geſchichte
zu einer unnatürlichen Höhe entwickelt,“

ſagt Bismark in ſeinen Gedanken und Er-
innerungen in dem höchſt belangreichen
Kapitel „Dynaſtien und Stämme“. Mit
ſeinem ſcharfen Verſtande hatte er vollkom-
men klar erſchaut, daß der deutſche Par-
tikularismus nicht in irgendwelchen Stam-
meseigentümlichkeiten ſeine Wurzel hat,
ſondern in dem von den Dynaſtien künſtlich
geſchaffenen Staatsgefühl. „Es ſind nicht
Stammesunterſchiede, ſondern dynaſtiſche
Beziehungen, auf denen die zentrifugalen
Elemente urſprünglich beruhen.“
Leider
konnte der große Staatsmann infolge ſeiner
antidemokratiſchen Einſtellung ſich nicht von
dieſer klaren Erkenntnis bei Ausgeſtaltung
der Verfaſſung leiten laſſen. Er fand ſich
damit ab, daß „der deutſche Patriotismus
in der Regel, um tätig und wirkſam zu
werden, der Vermittlung dynaſtiſcher An-
hänglichkeit bedarf“ und zog es vor, „das
gemeinſame Standesgefühl der Fürſten“ zur
Grundlage des Reiches zu machen, ſtatt eine
ſtarke Zentralgewalt und die Volksver-
tretung als Eckſtein zu wählen. Freilich
verſtand er es in genialer Weiſe unter der
bundesſtaatlichen Form und unter ſorg-
fältiger Schonung dynaſtiſcher Eiferſucht
tatſächlich, die Einheit durch Be-
gründung der preußiſchen Vor-
macht
zu ſichern.

Der glänzende Aufſtieg Deutſchlands im
äußeren Anſehen und in wirtſchaftlicher
Macht konnte darüber hinwegtäuſchen, daß
die Verfaſſung große Zugeſtändniſſe an ge-
ſchichtliche Zufälligkeiten, wie es der Auf-
bau der dynaſtiſchen deutſchen Länder iſt,
machte und daß die folgerichtige Entwick-
lung vom Staatenbund über den Bundes-
ſtaat zum Einheitsſtaat, wie ſie ein altes
demokratiſches Hochziel iſt, vermieden war.
Immerhin konnte das große, unter ein-
heitlichem Oberbefehl ſtehende preußi-
ſche Kontingent
den Mangel einer
eigenen Vollzugsgewalt des Reiches einiger-
maßen erſetzen, das preußiſche Ueber-
gewicht im Bundesrat, das
preußiſche Veto
in den wichtigſten
Angelegenheiten des Reiches ſtellten mäch-
tige Bollwerke gegen einzelſtaatliche und
Abſonderungsgelüſte dar. Dies wird immer
wieder, ſei es aus Unkenntnis, ſei es ge-
fliſſentlich, überſehen, wenn die Partikula-
riſten die Rückkehr zur Bismarckſchen Ver-
faſſung verlangen. Dadurch, daß der Frei-
ſtaat Preußen in einer für den Einheits-

[Spaltenumbruch]

gedanken hochwillkommenen Weiſe auf
ſeine Vorrechte und Vormachtſtellung in der
Republik verzichtet hat, iſt die Grundlage
für den Bismarckſchen ſogenannten Bundes-
ſtaat überhaupt nicht mehr gegeben; denn
um die Wiederherſtellung dieſer preußiſchen
Rechte iſt es gewiß den Befürwortern der
neuen Verfaſſungsänderung am wenigſten
zu tun. Sie wollen vielmehr getreu ihrem
Grundſatz: „Gebet den Ländern, was der
Länder iſt, und nehmet dem Reich, was des
Reiches iſt“, die unbedingte und unein-
geſchränkte Staatshoheit des Landes auf-
richten und dabei aus der Zugehörigkeit
zum Reich alle möglichen Vorteile ziehen,
wie Staffeltarife für die Eiſenbahnen,
[Spaltenumbruch] Finanzierung der Kanalbauten, Aufträge
für Handel und Induſtrie durch Ver-
teilungsſtellen des Reiches u. dgl. Selbſt-
verſtändlich würde die Forderung der un-
beſchränkten Staatshoheit der Länder ſehr
bald das Reich über den Bundesſtaat hin
in das lockere Gefüge des Staatenbundes
überführen, und das Rad der Geſchichte
Deutſchlands würde auf die Zeit des weſt-
fäliſchen Friedens zurückgedreht, wobei
auch weiterer Verluſt an Land und Leuten,
wie er damals durch die Abtretung der
Niederlande und der Schweiz eintrat, durch-
aus möglich wäre.

Nun iſt nicht zu leugnen, daß die Einzel-
ſtaatler ihre Forderungen recht geſchickt be-
[Spaltenumbruch] gründen, indem ſie die Abneigung
gegen die Zentraliſation,
die
ſogenannte Berlinerei, benützen und ander-
ſeits Berückſichtigung der Stam-
meseigenart
verlangen. Beide Forde-
rungen ſind durchaus zu billigen; aber es
iſt geradezu unehrlich, wenn es immer ſo
hingeſtellt wird, als könne die Weimarer
Verfaſſung ihnen nicht gerecht werden oder
als ſei letztere Forderung z. B. durch die
bayeriſche Verfaſſung und Verwaltung
erfüllt.

Wenn die Zentraliſation bekämpft wird,
wird meiſt unterſchoben, als ob der Ein-
heitsſtaat notwendigerweiſe zentraliſiert,
d. h. von einem Punkte aus und

[Spaltenumbruch]
Dr. Schachts Einladung nach Paris

Sonderdienſt der Allgemeinen Zeitung


Die Einladung des
Reichsbankpräſidenten Dr. Schacht durch
die Sachverſtändigenkommiſſion iſt darauf
zurückzuführen, daß die Arbeiten in
Paris die Kommiſſion noch einige Zeit an
der geplanten Reiſe nach Deutſchland
hindern werden.

Der Beſchluß, Dr. Schacht um ſein
Erſcheinen in Paris zu bitten, iſt der
deutſchen Regierung
geſtern durch
die Reparationskommiſſion
übermittelt
worden. Doch lag eine
formelle Einladung vormittag noch nicht
vor, alſo auch noch keine Mitteilung über
die einzelnen Gegenſtände, über die Dr.
Schacht um Auskunft gebeten werden ſoll.

Nach weiteren Meldungen iſt man am
Quai d’Orſay über die Einladung Dr.
Schachts verſtimmt. weil Poincaré
ſich ſeinerzeit gegen die Teilnahme eines
deutſchen Vertreters ausgeſprochen hatte.
Ein entſprechender Hinweis des franzöſi-
[Spaltenumbruch] ſchen Vertreters iſt aber von den
übrigen Sachverſtändigen nicht
beachtet worden
.


Zu der bevor-
ſtehenden Reiſe des Reichsbankpräſiden-
ten Dr. Schacht nach Paris wird noch
berichtet:

Der Sachverſtändigenausſchuß
hat der zuſtändigen deutſchen Stelle in
Paris mitgeteilt, daß der Beſchluß gefaßt
worden ſei, eine perſönliche Rück-
ſprache mit dem Reichsbank-
präſidenten
herbeizuführen. Dieſe
Einladung wurde von Paris nach Berlin
übermittelt. Reichsbankpräſident Dr.
Schacht iſt grundſätzlich bereit, dieſer
Einladung Folge zu leiſten. Es kann
jedoch im Augenblick noch nicht mit Be-
ſtimmtheit geſagt werden, wann er dieſe
Reiſe antritt, vorausſichtlich nicht vor
Freitag
.



[Spaltenumbruch]
Mißſtimmung im franzöſiſchen Parlament

In parlamentariſchen
Kreiſen herrſcht große Erregung
gegen den Finanzminiſter
. Viele
Abgeordnete werden es als unerhörte
Zumutung
empfinden, daß die Re-
gierung jetzt vor den Wahlen die Ge-
nehmigung von Steuerzuſchlägen
und die Zurückziehung von mehreren Ge-
ſetzesvorlagen verlangt. In den Wandel-
gängen der Kammer wird die Forderung
laut, daß die Vollmachten des Parlaments
unter ſolchen Umſtänden um ein Jahr
verlängert
werden müßten, weil die
Abgeordneten unmöglich nach Annahme ſo
unpopulärer Maßnahmen vor ihre
Wähler
treten könnten. Die Annahme
der Regierungsvorſchläge erſcheint aber
geſichert, da Poincaré mit der ſofortigen
Kammerauflöſung droht.

Um die rheiniſche Goldnotenbank

Geſtern fand in
Koblenz eine Beſprechung zwiſchen
deutſchen und franzöſiſchen Intereſſenten
über die Frage der Rheiniſch-Weſt-
fäliſchen Goldnotenbank
ſtatt.
Wie wir erfahren, iſt man auf dieſer Zu-
ſammenkunft noch nicht zu einem end-
gültigen Ergebnis gekommen. Die von
der Reichsregierung zuletzt
aufgeſtellten Bedingungen,
die
bekanntlich auf Grund einer entgegen-
kommenden franzöſiſch-belgiſchen Erklä-
rung neu formuliert worden waren, ſind
von den Franzoſen nur zum Teil
angenommen worden
. Ueber die
Differenzpunkte wird nunmehr zwiſchen
einem deutſchen Unterausſchuß und der
Reichsregierung weiter verhand-
[Spaltenumbruch] delt
werden. Dieſer Unterausſchuß der
rheiniſchen Bankiers wird noch heute in
Berlin eintreffen, da man in den
Kreiſen der rheiniſch-weſtfäliſchen In-
duſtrie und Finanzwelt größten Wert auf
eine baldige Löſung des Problems
legt.

Das Rentengeld

Die Summe der zur Aus-
gabe gelangenden Rentenpfennige war ur-
ſprünglich auf 60 Millionen Rentenmark feſt-
geſetzt. Da aber ein großer Bedarf an kleinen
Zahlungsmitteln vorliegt, iſt dem Reichskabinett
ein neuer Entwurf zugegangen, wonach die Aus-
prägung von Rentenpfennigen auf 150 Mil-
lionen Rentenmark
erhöht werden ſoll.
Es kommen alſo 2½ Rentenmark auf den Kopf
der Bevölkerung, was ungefähr dem umlaufen-
den Metallgeld vor dem Kriege entſprechen
würde. Die techniſchen Schwierigkeiten, die ſich
bei der Prägung des neuen Metallgeldes anfäng-
lich zeigten, ſind jetzt behoben. Alle ſelbſtändigen
ſtaatlichen Münzen arbeiten mit Hochdruck an der
Ausprägung, ſo daß bereits in den nächſten
Tagen eine größere Anzahl kleiner Münzwerte
in den Verkehr gebracht werden dürfte.

Der Reichs-Wochen-Index

Die Reichsindexziffer
für die Lebenshaltungskoſten beträgt nach den
Feſtſtellungen des Statiſtiſchen Reichsamtes, auf
den 14. Januar berechnet, das 1,11 billionen-
fache
der Vorkriegszeit, gegenüber der Vorwoche
(1,13 billionenfach), das iſt eine Abnahme von
genau 1,8 Prozent.

Die auf den Stichtag des 15. Januar berech-
nete Großhandelsindexziffer des Sta-
tiſtiſchen Reichsamtes beträgt 119,08 und zeigt
ſomit gegenüber dem Stand vom 8. Januar
(119,07) keine weſentliche Veränderung.

Die Indexziffern der Hauptgruppen ſind fol-
gende: Lebensmittel 106,9 (am 8 Januar eben-
falls 106,9) darunter die Gruppen Getreide und
Kartoffel 84,9 (84,2), Induſtrieſtoffe 143,9 (143,6),
Gruppe Kohle und Eiſen 140 (140,8), ferner In-
landswaren 111,4 (111,7), Einfuhrwaren 161,6
(160).

Verhandlungen Berlin—
München

Eigener Drahtbericht.


Die Antwort
des Reichskanzlers an die baye-
riſche Regierung ſtellt, wie wir erfahren,
die Einleitung eingehender Verhand-
lungen
zwiſchen Berlin und München
dar, die nach Möglichkeit beſchleu-
nigt
werden ſollen. Dieſe Verhandlun-
gen werden insbeſondere auch dadurch ge-
fördert werden, daß die Beratungen des
Kabinetts über die dritte Steuernotver-
ordnung, die den Beginn eines
neuen Finanzausgleiches
zwiſchen Reich und Ländern

bringt, demnächſt beendet ſein werden und
dadurch ein Teil der bayeriſchen Wünſche
nach ſelbſtändiger Finanzwirtſchaft bereits
als erfüllt gelten kann.

Der Reichskanzler hat an den bayeriſchen
Geſandten Dr. v. Preger unter dem 15. Ja-
nuar ein Schreiben gerichtet, in dem es heißt:

„Die mir am 5. Januar überreichte Denkſchrift
der bayeriſchen Regierung habe ich inzwiſchen mit
Aufmerkſamkeit geleſen und ſie, ſobald ich in dem
Beſitz einer ausreichenden Zahl von Abdrücken
gelangt war, allen beteiligten Regierungsſtellen
zugeleitet. Die bayeriſche Regierung wird es ver-
ſtändig finden, daß die Reichsregierung angeſichts
der weitgreifenden Bedeutung der in der Denk-
ſchrift erörterten Probleme eine abſchließende
Stellung heute noch nicht einnehmen kann. Schon
jetzt aber mochte ich meiner lebhaften Genug-
tuung darüber Ausdruck geben, daß der in ſach-
lich gehaltener Form dargelegte Standpunkt, den
die bayeriſche Regierung der Reichsverfaſſung
gegenüber einnimmt, von dem Gedanken getragen
iſt, das Reich im ganzen wie in ſeinen Teilen
ſtark und feſt zuſammengefügt zu erhalten.
Ich verkenne nicht, daß die Denkſchrift ſowohl
in ihren geſchichtlichen Darlegungen wie in den
Vorſchlägen für die Zukunft Gegenſtand lebhaf-
ter, vielleicht heftiger Meinungskämpfe ſein wird,
die jedoch — wie ich beſtimmt hoffe — ſich in
den Grenzen halten werden, die eben die Tat-
ſache zeigt, daß deutſche Gedanken und Gefühle
der bayeriſchen Regierung die Feder geführt
haben.
Die Reichsregierung iſt gerne bereit, zunächſt
mit der bayeriſchen Regierung unter Zugrunde-
legung der überreichten Denkſchrift in einen
Meinungsaustauſch einzutreten, wobei ſie mit
der bayeriſchen Regierung darüber einig iſt, daß
die einzelnen, in der Denkſchrift erörterten Fra-
gen einer eingehenden ſachlichen und vorurteils-
loſen Prüfung bedürfen. Erſt nach dem Ergebnis
dieſer Erörterungen wird ſich die Frage beant-
worten laſſen, inwieweit ſeitens der Reichsregie-
rung und der bayeriſchen Regierung die Initia-
tive zu geſetzgeberiſchen Maßnahmen zu ergreifen
ſein wird.
Die Beſatzungskoſten

Von zuſtändiger Stelle
wird mitgeteilt, daß die Höhe der Beſatzungs-
koſten
zwiſchen 50 und 60 Millionen Goldmark
monatlich beträgt, nicht, wie urſprünglich ange-
nommen wurde, 100 Millionen Goldmark. Die
Zahlungen für die Beſatzungskoſten werden nur
geleiſtet, nach dem die Ausgaben des Reiches
gedeckt ſind. Die Gefahr, daß durch die Bezah-
lung der Beſatzungskoſten die Balancierung des
Budgets unmöglich gemacht werden würde, be-
ſteht demnach nicht,
wenigſtens ſolange
nicht, als die geſamten Einnahmen zur Deckung
der Ausgaben ausreichen.



[Spaltenumbruch]
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          <docDate> <hi rendition="#b"> Donnerstag den 17. Januar 1924.</hi> </docDate>
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[0001] Allgemeine Zeitung Süddeutſches Tagblatt Großdeutſche Rundſchau127. Jahrgang. Nr. 16 München, Donnerstag den 17. Januar 1924. Hauptſchriftleitung und verantwortlich für Deutſche und Bayeriſche Politik: Max Heilgemayr. — Wirtſchaftszeitung u. Auswärtige Politik: Joſef Schrepfer. — Unpolitiſche Stadtzeitung u. Sport: Richard Rieß. — Kunſt u. Muſik: Albin v. Probram-Gladona. — Feuilleton u. Theater: Walter Foitzick. — Anzeigenteil: Joſef Spiegel, ſämtl. in München. — Redaktion: München, Baaderſtr. 1, Tel. 27940. — Berliner Schriftleitung: SW 68., Zimmerſtr. 9. Tel. Zentrum 54 98 u. 39 67; Leiter: Alfred Gerigk. [Abbildung] Die Allgemeine Zeitung erſcheint täglich. Bei Störung des Erſcheinens infolge höherer Gewalt oder Streiks beſteht kein Anſpruch auf Zeitungslieferung oder Rückzahlung des Be- zugsgeldes. Bezugspreis: Mk. 2.80 für den Monat. Anzeigenpreis: für die 9-ſpaltige Millimeterzeile im Inſeratenteil M. 0.25, im Reklameteil M. 0.80. Kleine Anzeigen M. 0.10. Verlag der Allgemeinen Zeitung G.m.b.H. München. Poſtſcheckkonto: München 8170. Druck: Druckerei- und Verlags-A.-G. München, Baaderſtraße 1 und 1a. Telefon 24287. Einzelpreis 10 Pfennig. Dezentraliſierter Einheitsſtaat oder Bundesſtaat Von Dr. Friedrich Fick, Würzburg, M. d. R. In dieſen Tagen, da durch die Denkſchrift der Bayeriſchen Staatsregierung über die Reviſion der Weimarer Reichsverfaſſung das deutſche Ver- faſſungsproblem in ſeiner ganzen Tiefe und Breite aufgerollt iſt, geben wir gerne einem der führenden Vertreter des Einheits- ſtaatsgedankens das Wort. Gerade weil wir in der grundſätzlichen Beurteilung des Problems einen Standpunkt einnehmen, der ſich mit demjenigen des Verfaſſers nicht in allen Punkten deckt, erſcheint uns die von ſeiner Seite erhobene Forderung nach weiteſt gehender Dezentraliſierung der Verwaltung doppelt beachtenswert. Die Schriftleitung. Für Deutſchlands ſtaatliche Entwicklung iſt kaum ein Umſtand ſo ſchädlich geweſen wie der Sieg der Landeshoheit über die Reichsgewalt. In anderen Ländern mit glücklicherer Geſchichte ſind Nationalgefühl und Staatsgefühl keine ge- trennten Begriffe. Das gilt nicht nur für Frankreich und England, ſondern auch für Italien, deſſen Geſchichte bis 1859 mit der deutſchen einigermaßen ähnlich verlief. Deutſchland dagegen war auf die Stufe eines bloß geographiſchen Begriffs her- untergeſunken. „Die territoriale Sou- veränität der einzelnen Fürſten hatte ſich im Laufe der deutſchen Geſchichte zu einer unnatürlichen Höhe entwickelt,“ ſagt Bismark in ſeinen Gedanken und Er- innerungen in dem höchſt belangreichen Kapitel „Dynaſtien und Stämme“. Mit ſeinem ſcharfen Verſtande hatte er vollkom- men klar erſchaut, daß der deutſche Par- tikularismus nicht in irgendwelchen Stam- meseigentümlichkeiten ſeine Wurzel hat, ſondern in dem von den Dynaſtien künſtlich geſchaffenen Staatsgefühl. „Es ſind nicht Stammesunterſchiede, ſondern dynaſtiſche Beziehungen, auf denen die zentrifugalen Elemente urſprünglich beruhen.“ Leider konnte der große Staatsmann infolge ſeiner antidemokratiſchen Einſtellung ſich nicht von dieſer klaren Erkenntnis bei Ausgeſtaltung der Verfaſſung leiten laſſen. Er fand ſich damit ab, daß „der deutſche Patriotismus in der Regel, um tätig und wirkſam zu werden, der Vermittlung dynaſtiſcher An- hänglichkeit bedarf“ und zog es vor, „das gemeinſame Standesgefühl der Fürſten“ zur Grundlage des Reiches zu machen, ſtatt eine ſtarke Zentralgewalt und die Volksver- tretung als Eckſtein zu wählen. Freilich verſtand er es in genialer Weiſe unter der bundesſtaatlichen Form und unter ſorg- fältiger Schonung dynaſtiſcher Eiferſucht tatſächlich, die Einheit durch Be- gründung der preußiſchen Vor- macht zu ſichern. Der glänzende Aufſtieg Deutſchlands im äußeren Anſehen und in wirtſchaftlicher Macht konnte darüber hinwegtäuſchen, daß die Verfaſſung große Zugeſtändniſſe an ge- ſchichtliche Zufälligkeiten, wie es der Auf- bau der dynaſtiſchen deutſchen Länder iſt, machte und daß die folgerichtige Entwick- lung vom Staatenbund über den Bundes- ſtaat zum Einheitsſtaat, wie ſie ein altes demokratiſches Hochziel iſt, vermieden war. Immerhin konnte das große, unter ein- heitlichem Oberbefehl ſtehende preußi- ſche Kontingent den Mangel einer eigenen Vollzugsgewalt des Reiches einiger- maßen erſetzen, das preußiſche Ueber- gewicht im Bundesrat, das preußiſche Veto in den wichtigſten Angelegenheiten des Reiches ſtellten mäch- tige Bollwerke gegen einzelſtaatliche und Abſonderungsgelüſte dar. Dies wird immer wieder, ſei es aus Unkenntnis, ſei es ge- fliſſentlich, überſehen, wenn die Partikula- riſten die Rückkehr zur Bismarckſchen Ver- faſſung verlangen. Dadurch, daß der Frei- ſtaat Preußen in einer für den Einheits- gedanken hochwillkommenen Weiſe auf ſeine Vorrechte und Vormachtſtellung in der Republik verzichtet hat, iſt die Grundlage für den Bismarckſchen ſogenannten Bundes- ſtaat überhaupt nicht mehr gegeben; denn um die Wiederherſtellung dieſer preußiſchen Rechte iſt es gewiß den Befürwortern der neuen Verfaſſungsänderung am wenigſten zu tun. Sie wollen vielmehr getreu ihrem Grundſatz: „Gebet den Ländern, was der Länder iſt, und nehmet dem Reich, was des Reiches iſt“, die unbedingte und unein- geſchränkte Staatshoheit des Landes auf- richten und dabei aus der Zugehörigkeit zum Reich alle möglichen Vorteile ziehen, wie Staffeltarife für die Eiſenbahnen, Finanzierung der Kanalbauten, Aufträge für Handel und Induſtrie durch Ver- teilungsſtellen des Reiches u. dgl. Selbſt- verſtändlich würde die Forderung der un- beſchränkten Staatshoheit der Länder ſehr bald das Reich über den Bundesſtaat hin in das lockere Gefüge des Staatenbundes überführen, und das Rad der Geſchichte Deutſchlands würde auf die Zeit des weſt- fäliſchen Friedens zurückgedreht, wobei auch weiterer Verluſt an Land und Leuten, wie er damals durch die Abtretung der Niederlande und der Schweiz eintrat, durch- aus möglich wäre. Nun iſt nicht zu leugnen, daß die Einzel- ſtaatler ihre Forderungen recht geſchickt be- gründen, indem ſie die Abneigung gegen die Zentraliſation, die ſogenannte Berlinerei, benützen und ander- ſeits Berückſichtigung der Stam- meseigenart verlangen. Beide Forde- rungen ſind durchaus zu billigen; aber es iſt geradezu unehrlich, wenn es immer ſo hingeſtellt wird, als könne die Weimarer Verfaſſung ihnen nicht gerecht werden oder als ſei letztere Forderung z. B. durch die bayeriſche Verfaſſung und Verwaltung erfüllt. Wenn die Zentraliſation bekämpft wird, wird meiſt unterſchoben, als ob der Ein- heitsſtaat notwendigerweiſe zentraliſiert, d. h. von einem Punkte aus und Dr. Schachts Einladung nach Paris Sonderdienſt der Allgemeinen Zeitung ** Berlin, 16. Jan. Die Einladung des Reichsbankpräſidenten Dr. Schacht durch die Sachverſtändigenkommiſſion iſt darauf zurückzuführen, daß die Arbeiten in Paris die Kommiſſion noch einige Zeit an der geplanten Reiſe nach Deutſchland hindern werden. Der Beſchluß, Dr. Schacht um ſein Erſcheinen in Paris zu bitten, iſt der deutſchen Regierung geſtern durch die Reparationskommiſſion übermittelt worden. Doch lag eine formelle Einladung vormittag noch nicht vor, alſo auch noch keine Mitteilung über die einzelnen Gegenſtände, über die Dr. Schacht um Auskunft gebeten werden ſoll. Nach weiteren Meldungen iſt man am Quai d’Orſay über die Einladung Dr. Schachts verſtimmt. weil Poincaré ſich ſeinerzeit gegen die Teilnahme eines deutſchen Vertreters ausgeſprochen hatte. Ein entſprechender Hinweis des franzöſi- ſchen Vertreters iſt aber von den übrigen Sachverſtändigen nicht beachtet worden. ** Berlin, 16. Januar. Zu der bevor- ſtehenden Reiſe des Reichsbankpräſiden- ten Dr. Schacht nach Paris wird noch berichtet: Der Sachverſtändigenausſchuß hat der zuſtändigen deutſchen Stelle in Paris mitgeteilt, daß der Beſchluß gefaßt worden ſei, eine perſönliche Rück- ſprache mit dem Reichsbank- präſidenten herbeizuführen. Dieſe Einladung wurde von Paris nach Berlin übermittelt. Reichsbankpräſident Dr. Schacht iſt grundſätzlich bereit, dieſer Einladung Folge zu leiſten. Es kann jedoch im Augenblick noch nicht mit Be- ſtimmtheit geſagt werden, wann er dieſe Reiſe antritt, vorausſichtlich nicht vor Freitag. Mißſtimmung im franzöſiſchen Parlament Paris, 16. Jan. In parlamentariſchen Kreiſen herrſcht große Erregung gegen den Finanzminiſter. Viele Abgeordnete werden es als unerhörte Zumutung empfinden, daß die Re- gierung jetzt vor den Wahlen die Ge- nehmigung von Steuerzuſchlägen und die Zurückziehung von mehreren Ge- ſetzesvorlagen verlangt. In den Wandel- gängen der Kammer wird die Forderung laut, daß die Vollmachten des Parlaments unter ſolchen Umſtänden um ein Jahr verlängert werden müßten, weil die Abgeordneten unmöglich nach Annahme ſo unpopulärer Maßnahmen vor ihre Wähler treten könnten. Die Annahme der Regierungsvorſchläge erſcheint aber geſichert, da Poincaré mit der ſofortigen Kammerauflöſung droht. Um die rheiniſche Goldnotenbank Berlin, 16. Januar. Geſtern fand in Koblenz eine Beſprechung zwiſchen deutſchen und franzöſiſchen Intereſſenten über die Frage der Rheiniſch-Weſt- fäliſchen Goldnotenbank ſtatt. Wie wir erfahren, iſt man auf dieſer Zu- ſammenkunft noch nicht zu einem end- gültigen Ergebnis gekommen. Die von der Reichsregierung zuletzt aufgeſtellten Bedingungen, die bekanntlich auf Grund einer entgegen- kommenden franzöſiſch-belgiſchen Erklä- rung neu formuliert worden waren, ſind von den Franzoſen nur zum Teil angenommen worden. Ueber die Differenzpunkte wird nunmehr zwiſchen einem deutſchen Unterausſchuß und der Reichsregierung weiter verhand- delt werden. Dieſer Unterausſchuß der rheiniſchen Bankiers wird noch heute in Berlin eintreffen, da man in den Kreiſen der rheiniſch-weſtfäliſchen In- duſtrie und Finanzwelt größten Wert auf eine baldige Löſung des Problems legt. Das Rentengeld ** Berlin, 16. Jan. Die Summe der zur Aus- gabe gelangenden Rentenpfennige war ur- ſprünglich auf 60 Millionen Rentenmark feſt- geſetzt. Da aber ein großer Bedarf an kleinen Zahlungsmitteln vorliegt, iſt dem Reichskabinett ein neuer Entwurf zugegangen, wonach die Aus- prägung von Rentenpfennigen auf 150 Mil- lionen Rentenmark erhöht werden ſoll. Es kommen alſo 2½ Rentenmark auf den Kopf der Bevölkerung, was ungefähr dem umlaufen- den Metallgeld vor dem Kriege entſprechen würde. Die techniſchen Schwierigkeiten, die ſich bei der Prägung des neuen Metallgeldes anfäng- lich zeigten, ſind jetzt behoben. Alle ſelbſtändigen ſtaatlichen Münzen arbeiten mit Hochdruck an der Ausprägung, ſo daß bereits in den nächſten Tagen eine größere Anzahl kleiner Münzwerte in den Verkehr gebracht werden dürfte. Der Reichs-Wochen-Index ** Berlin, 16. Jan. Die Reichsindexziffer für die Lebenshaltungskoſten beträgt nach den Feſtſtellungen des Statiſtiſchen Reichsamtes, auf den 14. Januar berechnet, das 1,11 billionen- fache der Vorkriegszeit, gegenüber der Vorwoche (1,13 billionenfach), das iſt eine Abnahme von genau 1,8 Prozent. Die auf den Stichtag des 15. Januar berech- nete Großhandelsindexziffer des Sta- tiſtiſchen Reichsamtes beträgt 119,08 und zeigt ſomit gegenüber dem Stand vom 8. Januar (119,07) keine weſentliche Veränderung. Die Indexziffern der Hauptgruppen ſind fol- gende: Lebensmittel 106,9 (am 8 Januar eben- falls 106,9) darunter die Gruppen Getreide und Kartoffel 84,9 (84,2), Induſtrieſtoffe 143,9 (143,6), Gruppe Kohle und Eiſen 140 (140,8), ferner In- landswaren 111,4 (111,7), Einfuhrwaren 161,6 (160). Verhandlungen Berlin— München Eigener Drahtbericht. ** Berlin, 16. Jan. Die Antwort des Reichskanzlers an die baye- riſche Regierung ſtellt, wie wir erfahren, die Einleitung eingehender Verhand- lungen zwiſchen Berlin und München dar, die nach Möglichkeit beſchleu- nigt werden ſollen. Dieſe Verhandlun- gen werden insbeſondere auch dadurch ge- fördert werden, daß die Beratungen des Kabinetts über die dritte Steuernotver- ordnung, die den Beginn eines neuen Finanzausgleiches zwiſchen Reich und Ländern bringt, demnächſt beendet ſein werden und dadurch ein Teil der bayeriſchen Wünſche nach ſelbſtändiger Finanzwirtſchaft bereits als erfüllt gelten kann. Der Reichskanzler hat an den bayeriſchen Geſandten Dr. v. Preger unter dem 15. Ja- nuar ein Schreiben gerichtet, in dem es heißt: „Die mir am 5. Januar überreichte Denkſchrift der bayeriſchen Regierung habe ich inzwiſchen mit Aufmerkſamkeit geleſen und ſie, ſobald ich in dem Beſitz einer ausreichenden Zahl von Abdrücken gelangt war, allen beteiligten Regierungsſtellen zugeleitet. Die bayeriſche Regierung wird es ver- ſtändig finden, daß die Reichsregierung angeſichts der weitgreifenden Bedeutung der in der Denk- ſchrift erörterten Probleme eine abſchließende Stellung heute noch nicht einnehmen kann. Schon jetzt aber mochte ich meiner lebhaften Genug- tuung darüber Ausdruck geben, daß der in ſach- lich gehaltener Form dargelegte Standpunkt, den die bayeriſche Regierung der Reichsverfaſſung gegenüber einnimmt, von dem Gedanken getragen iſt, das Reich im ganzen wie in ſeinen Teilen ſtark und feſt zuſammengefügt zu erhalten. Ich verkenne nicht, daß die Denkſchrift ſowohl in ihren geſchichtlichen Darlegungen wie in den Vorſchlägen für die Zukunft Gegenſtand lebhaf- ter, vielleicht heftiger Meinungskämpfe ſein wird, die jedoch — wie ich beſtimmt hoffe — ſich in den Grenzen halten werden, die eben die Tat- ſache zeigt, daß deutſche Gedanken und Gefühle der bayeriſchen Regierung die Feder geführt haben. Die Reichsregierung iſt gerne bereit, zunächſt mit der bayeriſchen Regierung unter Zugrunde- legung der überreichten Denkſchrift in einen Meinungsaustauſch einzutreten, wobei ſie mit der bayeriſchen Regierung darüber einig iſt, daß die einzelnen, in der Denkſchrift erörterten Fra- gen einer eingehenden ſachlichen und vorurteils- loſen Prüfung bedürfen. Erſt nach dem Ergebnis dieſer Erörterungen wird ſich die Frage beant- worten laſſen, inwieweit ſeitens der Reichsregie- rung und der bayeriſchen Regierung die Initia- tive zu geſetzgeberiſchen Maßnahmen zu ergreifen ſein wird. Die Beſatzungskoſten ** Berlin, 16. Januar. Von zuſtändiger Stelle wird mitgeteilt, daß die Höhe der Beſatzungs- koſten zwiſchen 50 und 60 Millionen Goldmark monatlich beträgt, nicht, wie urſprünglich ange- nommen wurde, 100 Millionen Goldmark. Die Zahlungen für die Beſatzungskoſten werden nur geleiſtet, nach dem die Ausgaben des Reiches gedeckt ſind. Die Gefahr, daß durch die Bezah- lung der Beſatzungskoſten die Balancierung des Budgets unmöglich gemacht werden würde, be- ſteht demnach nicht, wenigſtens ſolange nicht, als die geſamten Einnahmen zur Deckung der Ausgaben ausreichen.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 16, 17. Januar 1924, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine16_1924/1>, abgerufen am 21.11.2024.