Allgemeine Zeitung, Nr. 170, 18. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
welche Geschichte wollen, und eine gerechte Beleuchtung derselben, nur zur Katholik und zuerst zum Theologen sich bestimmend, hat der Verfasser Seine Schrift beginnt mit einer Charakteristik der Alexandrinischen "Das Christenthum lehrt einen persönlichen Gott, und läßt die Welt aus "In der gemeinsamen Erklärung der drei Systeme, daß das Gegenwär- "Alle Dogmen des Christenthums dienen nur dazu den Glauben an die [Spaltenumbruch] "Nach christlicher Ueberzeugung ist der menschlicke Geist das Ebenbild des "Mag auch das Christenthum in den ersten Zeiten, wo es noch galt die (Schluß folgt.) Die Gräfin Dora d'Istria über die Frauen im Orient. Les femmes en Orient, par Madame la Comtesse Dora d'Istria, 2 vol., pag. VII. 1008. Zürich 1860. III.*) ++ Auf diese ganz aus griechischen Historikern geschöpften Angaben hin Von dem Genie der erlauchten Verfasserin wollen diese Zweifel und Be- In Europa greift nach Wiederaufnahme der seit Du-Cange verlassenen Wenn man in unsern Tagen von ächten Hellenen reden will, so sind es *) S. vorgestrige Beilage. ** Was machst du?
[Spaltenumbruch]
welche Geſchichte wollen, und eine gerechte Beleuchtung derſelben, nur zur Katholik und zuerſt zum Theologen ſich beſtimmend, hat der Verfaſſer Seine Schrift beginnt mit einer Charakteriſtik der Alexandriniſchen „Das Chriſtenthum lehrt einen perſönlichen Gott, und läßt die Welt aus „In der gemeinſamen Erklärung der drei Syſteme, daß das Gegenwär- „Alle Dogmen des Chriſtenthums dienen nur dazu den Glauben an die [Spaltenumbruch] „Nach chriſtlicher Ueberzeugung iſt der menſchlicke Geiſt das Ebenbild des „Mag auch das Chriſtenthum in den erſten Zeiten, wo es noch galt die (Schluß folgt.) Die Gräfin Dora d’Iſtria über die Frauen im Orient. Les femmes en Orient, par Madame la Comtesse Dora d’Istria, 2 vol., pag. VII. 1008. Zürich 1860. III.*) ‡ Auf dieſe ganz aus griechiſchen Hiſtorikern geſchöpften Angaben hin Von dem Genie der erlauchten Verfaſſerin wollen dieſe Zweifel und Be- In Europa greift nach Wiederaufnahme der ſeit Du-Cange verlaſſenen Wenn man in unſern Tagen von ächten Hellenen reden will, ſo ſind es *) S. vorgeſtrige Beilage. ** Was machſt du?
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <floatingText> <body> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="2838"/><cb/> welche Geſchichte wollen, und eine gerechte Beleuchtung derſelben, nur zur<lb/> Empfehlung gereichen.</p><lb/> <p>Katholik und zuerſt zum Theologen ſich beſtimmend, hat der Verfaſſer<lb/> aus innerem Drang ſich der Philoſophie zugewandt, und einer wiſſenſchaft-<lb/> lichen Vergleichung derſelben mit der Theologie nachgeſtrebt. Damit iſt er<lb/> recht eigentlich der Mann dem gebildeten, denkenden Publicum unſerer Zeit<lb/> die im Zuſammenhang Ideen vorzulegen welche die productiven Geiſter der<lb/> erſten chriſtlichen Jahrhunderte zu Tage gefördert haben, und, indem er die<lb/> entweder ungekannten oder verkannten richtig beurtheilen lehrt, ihren weite-<lb/> ren Gebrauch zu ermöglichen.</p><lb/> <p>Seine Schrift beginnt mit einer Charakteriſtik der Alexandriniſchen<lb/> Theoſophie und der Lehre des Juden Philo, ſchildert dann das Verhältniß des<lb/> Chriſtenthums zu Philo, die Entſtehung der chriſtlichen Speculation, die Apo-<lb/> logetik, die Gnoſis und den Neuplatonismus, um durch Vergleichung der<lb/> beiden letzteren mit dem Chriſtenthum zu einem erſten Reſultat zu gelangen.<lb/> Warum verblieb im Kampfe mit dem Gnoſticismus und Neuplatonismus dem<lb/> Chriſtenthum der Sieg? Dieſe Frage beantwortet der Verfaſſer in einer<lb/> durchgeführten Vergleichung der drei Lehren, worin er den Unterſchied und<lb/> den Zuſammenhang derſelben aufzeigt; und da die Hauptſätze nicht nur Ten-<lb/> denz und Standpunkt des Verfaſſers am klarſten bezeichnen, ſondern auch Ge-<lb/> danken ausſprechen die man jetzt wieder zu beherzigen alle Urſache hat, ſo<lb/> glauben wir ſie hier mittheilen zu müſſen.</p><lb/> <cit> <quote>„Das Chriſtenthum lehrt einen perſönlichen Gott, und läßt die Welt aus<lb/> ſeinem Willen als eine freie That hervor ehen, während ſie dem Neuplato-<lb/> nismus, welcher ein unperſönliches Abſolute an die Spitze ſeiner Conſtructio-<lb/> nen ſtellt, in Folge eines nothwendigen natürlichen Proceſſes auf dem Weg<lb/> der Emanation entſteht. Die Gnoſis ſchwankt zwiſchen einem perſönlichen<lb/> und unperſönlichen Gott, und darum auch zwiſchen Schöpfung und Emana-<lb/> tion. Alle drei Lehren kommen darin überein daß das jetzige menſchliche Da-<lb/> ſeyn überhaupt ein getrübtes und ſchuldbeladenes ſey, daß man daher dem<lb/> gegenwärtigen traurigen Zuſtande des Menſchengeſchlechts eine vorweltliche<lb/> und vorgeſchichtliche Sünde als erklärendes Princip unterlegen müſſe. Alle<lb/> drei ſind überzeugt von der Nothwendigkeit einer Befreiung und Erlöſung.<lb/> Während aber Chriſtenthum und Gnoſis dieſelbe von der Unterſtützung höhe-<lb/> rer Weſen abhängig machen, wobei das erſtere eine ſittliche Erneuerung des<lb/> ganzen Menſchen, die letztere aber vorzugsweiſe eine Erleuchtung des erken-<lb/> nenden Geiſtes als ſubjective Bedingung der Erlöſung ausſpricht, anerkennt<lb/> der Neuplatonismus in ſeiner urſprünglichen Faſſung keine ſolche Mithülfe<lb/> höherer Weſen, ſondern vindicirt auch dem gefallenen Geiſt die hinreichende<lb/> Kraft ſich in die göttliche Heimath wieder zu erheben, wobei, wie bei der Gnoſis<lb/> der Nachdruck mehr auf das Erkennen als auf die Gemüthsverfaſſung gelegt<lb/> wird.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>„In der gemeinſamen Erklärung der drei Syſteme, daß das Gegenwär-<lb/> tige ein Unzureichendes ſey, und daß darum der Geiſt von ihm ſich losmachen<lb/> müſſe, lag ausgeſprochen daß dieſer darüber hinaus ſey, daß die alte Welt,<lb/> weil der Geiſt ſich aus ihr zurückzog und ſie darum innerlich leer geworden<lb/> war, ihren Abſchluß erreicht habe; denn nur er iſt die Quelle des Lebens, ohne<lb/> den die Elemente des Leibes ſich auseinanderflüchten. Dieſe Zurückziehung<lb/> des Geiſtes aus den Geſtaltungen in die er ſich eingeführt hatte, ſteigerte ſich<lb/> aber in der Gnoſis und dem Neuplatonismus bis zur Weltflucht. Beide ver-<lb/> rathen daß ihnen der Muth und die Kraft zur Weltherrſchaft mangelt, daß<lb/> ſie an der Macht des Geiſtes über die Welt verzweifeln. Das Chriſtenthum<lb/> beſitzt hingegen als Princip den poſitiven Geiſt, welcher der Herr der Natur<lb/> und der Zweck der Welt iſt, welcher nicht bloß die Bande mit denen ſie ihn<lb/> umſchlingen will zu zerreißen im Stand iſt, ſondern welcher ſie geſtalten, ihr<lb/> ſeine Form aufdrücken kann — den Geiſt welcher ſelbſt Princip einer Welt zu<lb/> werden vermag. Im Chriſtenthum bricht der Geiſt, nachdem er in ſeine eigene<lb/> Tiefe zurückgegangen war, neuerdings ſchöpferiſch hervor — es iſt als ob eine<lb/> neue Lebensſtrömung ihn geſtärkt und befruchtet hätte.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>„Alle Dogmen des Chriſtenthums dienen nur dazu den Glauben an die<lb/> weltbeherrſchende und weltüberwindende Macht des Geiſtes hervorzurufen und<lb/> zu kräftigen. Auf dem göttlichen Geiſt ruht die geſammte Schöpfung, ſie iſt<lb/> ſeine bewußte Willenskraft, und demnach, weil ſelbſt Offenbarung des Geiſtes,<lb/> vom Geiſt erfüllt und getragen. So iſt dem menſchlichen Geiſt, weil er mit<lb/> ihr auf demſelben geiſtigen Grunde ruht, die Natur ſchon von Anfang an ver-<lb/> wandt und durchdringlich. Wäre noch ein anderes als das göttliche und gei-<lb/> ſtige Princip in der Welt gegenwärtig, würde ihr, wie die dualiſtiſche Gnoſis<lb/> behauptete, auch noch eine jenem antithetiſche Materle einwohnen, ſo müßte<lb/> die Kraft des Geiſtes im Wollen und Erkennen an dieſem ſelbſt für die Gott-<lb/> heit unüberwindlichen Gegenſatz ſich brechen. Zu einer Herrſchaft desſelben<lb/> über die Natur und Sitte, Wiſſenſchaft und Kunſt, konnte es nach den Prä-<lb/> miſſen jener Gnoſis niemals kommen. Nach chriſtlicher Annahme iſt aber der<lb/> Menſch auch der Herr der Natur, der weck der Welt. Die Natur iſt für<lb/> ihn ein bloßes Material, das von Anfang an darauf wartete von ihm geſtaltet<lb/> zu werden.</quote> </cit><lb/> <cb/> <cit> <quote>„Nach chriſtlicher Ueberzeugung iſt der menſchlicke Geiſt das Ebenbild des<lb/> göttlichen, er iſt darum frei, und ſoll in ſeiner Freiheit ſelbſt der Schöpfer<lb/> einer eigenen Welt der Geſchichte werden. Nicht wie ein Naturproduct das in<lb/> ſeiner Entwicklung ſchon von Anfang an beſtimmt iſt, tritt er in das Daſeyn,<lb/> unfertig und unvollendet hat er die Aufgabe ſich ſelbſt erſt in ſeine Lebensge-<lb/> ſtaltungen einzuführen — er iſt <hi rendition="#aq">causa sui.</hi> Erſt von dieſen Prämiſſen aus<lb/> gelangt man zu dem Begriff der Geſchichte, der dem ganzen Alterthum fremd<lb/> iſt. Die Geſchichte iſt eben dieſe Selbſtrealiſirung des Geiſtes, die jetzt, weil<lb/> nach chriſtlicher Ueberzeugung der Urmenſch durch ſeine Willensentſcheidung in<lb/> eine falſche Bahn eingelenkt hat, in einer weit ernſtern und intenſivern Arbeit,<lb/> wobei die göttliche Gaade mitwirken muß, ſich zu vollbringen hat. Die An-<lb/> nahme eines gemeinſchaftlichen Stammvaters der Menſchheit bringt es noth-<lb/> wendig mit ſich auch die Aufgabe der Geſchichte als eine gemeinſchaftliche zu<lb/> denken, wobei der Particularismus der Vorzeit ſich aufheben muß, und über<lb/> allen engern nationalen Beſtrebungen ein allgemein-menſchliches Intereſſe ſich<lb/> erhebt, wodurch auch die egoiſtiſche Zurückziehung auf ſich ſelbſt, die bloße<lb/> Sorge um das eigene Wohl, verurtheilt und jeder zum Eingreifen in die große<lb/> Bewegung aufgefordert iſt.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>„Mag auch das Chriſtenthum in den erſten Zeiten, wo es noch galt die<lb/> alte Welt zu überwinden, einen mehr weliflüchtigen Charakter gezeigt haben,<lb/> in ſeinem Weſen lag derſelbe nicht; es lag darin nur die mangelhaften For-<lb/> men des menſchlichen Daſeyns zu verlaſſen und an ihre Stelle vollkommenere<lb/> zu ſetzen. Der chriſtliche Geiſt, indem er mit Liebe an die Natur ſich hingibt<lb/> und ſie geſtaltend zu ſeiner Höhe erhebt, bleibt nicht in ihr gebunden, ſondern<lb/> ſetzt ſich immer ſich ſelbſt zum Zweck; er iſt am Ende ſeiner Arbeit immer<lb/> wieder bei ſich und darum ins Unendliche hin die Potenz eines neuen Lebens,<lb/> einer weitern Entwicklung.“</quote> </cit><lb/> <p> <hi rendition="#c">(Schluß folgt.)</hi> </p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Gräfin Dora d’Iſtria über die Frauen im Orient.</hi><lb/> <hi rendition="#aq">Les femmes en Orient, par Madame la Comtesse <hi rendition="#i">Dora d’Istria,</hi> 2 vol.,<lb/> pag. VII. 1008. Zürich 1860.<lb/> III.</hi> <note place="foot" n="*)">S. vorgeſtrige Beilage.</note> </head><lb/> <p>‡ Auf dieſe ganz aus griechiſchen Hiſtorikern geſchöpften Angaben hin<lb/> hätte es mit den ſtolzen Morea-Doriern der Frau Gräfin Dora d’Iſtria<lb/> allerdings ſeine Bedenklichkeiten. Wir wollen aber aus achtungsvoller Rück-<lb/> ſicht für die hochgeborne Verfaſſerin, ſo wie für ihre zahlreichen Meinungsge-<lb/> noſſen, welche das neue Hellas nicht aus der hiſtoriſchen Vergangenheit und<lb/> aus documentirten Thatſachen, ſondern aus der Idee conſtruiren, die Acten<lb/> noch nicht für geſchloſſen erklären; wir wollen den Gegenſtand noch als offene<lb/> Frage behandeln, und die verzweifelten Argumente noch nicht als unbeſtreitbare<lb/> Thatſachen, ſondern als bloße Zweifel und Bedenken hinſtellen, die uns noch<lb/> immer hindern den idealiſtiſchen Auſchauungen der edlen Gräfin in vollem<lb/> Maß zu huldigen.</p><lb/> <p>Von dem Genie der erlauchten Verfaſſerin wollen dieſe Zweifel und Be-<lb/> denken ihre endgültige, die abendländiſche Wiſſenſchaft beruhigende Löſung er-<lb/> warten, und bis dieſe Löſung wirklich erfolgt, bleibt das Urtheil ſuspendirt.<lb/> Wenn es aber der erlauchten Gräfin nicht gelingen ſollte durch unwiderleg-<lb/> liche Beweisſtellen die Nachrichten der griechiſchen Autoren von Prokopius bis<lb/> Mazari als muthwilligen Irrthum und als fortlaufende Conſpiration gegen<lb/> ihr eigenes Volk zu entlarven, beſonders aber den kritiſchen Occident zu über-<lb/> zeugen daß die Mazari’ſchen Geſtalten in Hellas und beſonders auf Morea<lb/> nicht exiſtiren, und daß die Landbevölkerung in Marathon, in Eleuſis, in<lb/> Menidi, und ſelbſt im albaneſiſchen Stadtviertel von Athen ſtatt #<note place="foot" n="**">Was machſt du?</note><lb/> nicht <hi rendition="#aq">tschben,</hi> und ſtatt # und # nicht <hi rendition="#aq">mire ditta</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">mire mbremma</hi> ſprechen, ſo iſt für die Verfaſſerin wenig Ausſicht daß man<lb/> im Occident den Hauptinhalt ihres fünften Buches, hauptſächlich die Briefe<lb/><hi rendition="#aq">II, III</hi> und <hi rendition="#aq">IV</hi> (<hi rendition="#aq">I.</hi> S. 374 — 401), für mehr als ideales Gedankenſpiel,<lb/> für eitel Poeſie und Fabel hält.</p><lb/> <p>In Europa greift nach Wiederaufnahme der ſeit Du-Cange verlaſſenen<lb/> Studien der Byzantiner allmählich die Ueberzeugung Platz: die althelleniſche<lb/> Race habe ſich nur in den Colonien am Bosporus, auf den ſporadiſchen In-<lb/> ſeln und auf der Nord- und Weſtküſte Kleinaſiens erhalten, ſey aber im Ur-<lb/> lande, dem eigentlichen ſchon während der römiſchen Herrſchaft verödeten Hel-<lb/> las, vom Tempethal bis zur Südſpitze des Peloponneſus, bis auf unbedeutende<lb/> Reſte gänzlich verkommen und durch eine nichthelleniſche Bevölkerng erſetzt<lb/> worden. In den benannten Colonien, namentlich in den beiden Kaiſerſtädten<lb/> Konſtantinopel und Trapezunt, hat ſich die althelleniſche Sprache zwar nicht<lb/> in der primitiven Reinheit, aber doch im Weſen ununterbrochen bis auf den<lb/> heutigen Tag erhalten, obgleich ſchon Juſtinian <hi rendition="#aq">I</hi> nach einer großen Peſt auf<lb/> einmal 70,000 ſlaviniſche Barbaren mit vollem Bürgerrecht in das halböde<lb/> Byzanz verpflanzte.</p><lb/> <p>Wenn man in unſern Tagen von ächten Hellenen reden will, ſo ſind es<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [2838/0010]
welche Geſchichte wollen, und eine gerechte Beleuchtung derſelben, nur zur
Empfehlung gereichen.
Katholik und zuerſt zum Theologen ſich beſtimmend, hat der Verfaſſer
aus innerem Drang ſich der Philoſophie zugewandt, und einer wiſſenſchaft-
lichen Vergleichung derſelben mit der Theologie nachgeſtrebt. Damit iſt er
recht eigentlich der Mann dem gebildeten, denkenden Publicum unſerer Zeit
die im Zuſammenhang Ideen vorzulegen welche die productiven Geiſter der
erſten chriſtlichen Jahrhunderte zu Tage gefördert haben, und, indem er die
entweder ungekannten oder verkannten richtig beurtheilen lehrt, ihren weite-
ren Gebrauch zu ermöglichen.
Seine Schrift beginnt mit einer Charakteriſtik der Alexandriniſchen
Theoſophie und der Lehre des Juden Philo, ſchildert dann das Verhältniß des
Chriſtenthums zu Philo, die Entſtehung der chriſtlichen Speculation, die Apo-
logetik, die Gnoſis und den Neuplatonismus, um durch Vergleichung der
beiden letzteren mit dem Chriſtenthum zu einem erſten Reſultat zu gelangen.
Warum verblieb im Kampfe mit dem Gnoſticismus und Neuplatonismus dem
Chriſtenthum der Sieg? Dieſe Frage beantwortet der Verfaſſer in einer
durchgeführten Vergleichung der drei Lehren, worin er den Unterſchied und
den Zuſammenhang derſelben aufzeigt; und da die Hauptſätze nicht nur Ten-
denz und Standpunkt des Verfaſſers am klarſten bezeichnen, ſondern auch Ge-
danken ausſprechen die man jetzt wieder zu beherzigen alle Urſache hat, ſo
glauben wir ſie hier mittheilen zu müſſen.
„Das Chriſtenthum lehrt einen perſönlichen Gott, und läßt die Welt aus
ſeinem Willen als eine freie That hervor ehen, während ſie dem Neuplato-
nismus, welcher ein unperſönliches Abſolute an die Spitze ſeiner Conſtructio-
nen ſtellt, in Folge eines nothwendigen natürlichen Proceſſes auf dem Weg
der Emanation entſteht. Die Gnoſis ſchwankt zwiſchen einem perſönlichen
und unperſönlichen Gott, und darum auch zwiſchen Schöpfung und Emana-
tion. Alle drei Lehren kommen darin überein daß das jetzige menſchliche Da-
ſeyn überhaupt ein getrübtes und ſchuldbeladenes ſey, daß man daher dem
gegenwärtigen traurigen Zuſtande des Menſchengeſchlechts eine vorweltliche
und vorgeſchichtliche Sünde als erklärendes Princip unterlegen müſſe. Alle
drei ſind überzeugt von der Nothwendigkeit einer Befreiung und Erlöſung.
Während aber Chriſtenthum und Gnoſis dieſelbe von der Unterſtützung höhe-
rer Weſen abhängig machen, wobei das erſtere eine ſittliche Erneuerung des
ganzen Menſchen, die letztere aber vorzugsweiſe eine Erleuchtung des erken-
nenden Geiſtes als ſubjective Bedingung der Erlöſung ausſpricht, anerkennt
der Neuplatonismus in ſeiner urſprünglichen Faſſung keine ſolche Mithülfe
höherer Weſen, ſondern vindicirt auch dem gefallenen Geiſt die hinreichende
Kraft ſich in die göttliche Heimath wieder zu erheben, wobei, wie bei der Gnoſis
der Nachdruck mehr auf das Erkennen als auf die Gemüthsverfaſſung gelegt
wird.
„In der gemeinſamen Erklärung der drei Syſteme, daß das Gegenwär-
tige ein Unzureichendes ſey, und daß darum der Geiſt von ihm ſich losmachen
müſſe, lag ausgeſprochen daß dieſer darüber hinaus ſey, daß die alte Welt,
weil der Geiſt ſich aus ihr zurückzog und ſie darum innerlich leer geworden
war, ihren Abſchluß erreicht habe; denn nur er iſt die Quelle des Lebens, ohne
den die Elemente des Leibes ſich auseinanderflüchten. Dieſe Zurückziehung
des Geiſtes aus den Geſtaltungen in die er ſich eingeführt hatte, ſteigerte ſich
aber in der Gnoſis und dem Neuplatonismus bis zur Weltflucht. Beide ver-
rathen daß ihnen der Muth und die Kraft zur Weltherrſchaft mangelt, daß
ſie an der Macht des Geiſtes über die Welt verzweifeln. Das Chriſtenthum
beſitzt hingegen als Princip den poſitiven Geiſt, welcher der Herr der Natur
und der Zweck der Welt iſt, welcher nicht bloß die Bande mit denen ſie ihn
umſchlingen will zu zerreißen im Stand iſt, ſondern welcher ſie geſtalten, ihr
ſeine Form aufdrücken kann — den Geiſt welcher ſelbſt Princip einer Welt zu
werden vermag. Im Chriſtenthum bricht der Geiſt, nachdem er in ſeine eigene
Tiefe zurückgegangen war, neuerdings ſchöpferiſch hervor — es iſt als ob eine
neue Lebensſtrömung ihn geſtärkt und befruchtet hätte.
„Alle Dogmen des Chriſtenthums dienen nur dazu den Glauben an die
weltbeherrſchende und weltüberwindende Macht des Geiſtes hervorzurufen und
zu kräftigen. Auf dem göttlichen Geiſt ruht die geſammte Schöpfung, ſie iſt
ſeine bewußte Willenskraft, und demnach, weil ſelbſt Offenbarung des Geiſtes,
vom Geiſt erfüllt und getragen. So iſt dem menſchlichen Geiſt, weil er mit
ihr auf demſelben geiſtigen Grunde ruht, die Natur ſchon von Anfang an ver-
wandt und durchdringlich. Wäre noch ein anderes als das göttliche und gei-
ſtige Princip in der Welt gegenwärtig, würde ihr, wie die dualiſtiſche Gnoſis
behauptete, auch noch eine jenem antithetiſche Materle einwohnen, ſo müßte
die Kraft des Geiſtes im Wollen und Erkennen an dieſem ſelbſt für die Gott-
heit unüberwindlichen Gegenſatz ſich brechen. Zu einer Herrſchaft desſelben
über die Natur und Sitte, Wiſſenſchaft und Kunſt, konnte es nach den Prä-
miſſen jener Gnoſis niemals kommen. Nach chriſtlicher Annahme iſt aber der
Menſch auch der Herr der Natur, der weck der Welt. Die Natur iſt für
ihn ein bloßes Material, das von Anfang an darauf wartete von ihm geſtaltet
zu werden.
„Nach chriſtlicher Ueberzeugung iſt der menſchlicke Geiſt das Ebenbild des
göttlichen, er iſt darum frei, und ſoll in ſeiner Freiheit ſelbſt der Schöpfer
einer eigenen Welt der Geſchichte werden. Nicht wie ein Naturproduct das in
ſeiner Entwicklung ſchon von Anfang an beſtimmt iſt, tritt er in das Daſeyn,
unfertig und unvollendet hat er die Aufgabe ſich ſelbſt erſt in ſeine Lebensge-
ſtaltungen einzuführen — er iſt causa sui. Erſt von dieſen Prämiſſen aus
gelangt man zu dem Begriff der Geſchichte, der dem ganzen Alterthum fremd
iſt. Die Geſchichte iſt eben dieſe Selbſtrealiſirung des Geiſtes, die jetzt, weil
nach chriſtlicher Ueberzeugung der Urmenſch durch ſeine Willensentſcheidung in
eine falſche Bahn eingelenkt hat, in einer weit ernſtern und intenſivern Arbeit,
wobei die göttliche Gaade mitwirken muß, ſich zu vollbringen hat. Die An-
nahme eines gemeinſchaftlichen Stammvaters der Menſchheit bringt es noth-
wendig mit ſich auch die Aufgabe der Geſchichte als eine gemeinſchaftliche zu
denken, wobei der Particularismus der Vorzeit ſich aufheben muß, und über
allen engern nationalen Beſtrebungen ein allgemein-menſchliches Intereſſe ſich
erhebt, wodurch auch die egoiſtiſche Zurückziehung auf ſich ſelbſt, die bloße
Sorge um das eigene Wohl, verurtheilt und jeder zum Eingreifen in die große
Bewegung aufgefordert iſt.
„Mag auch das Chriſtenthum in den erſten Zeiten, wo es noch galt die
alte Welt zu überwinden, einen mehr weliflüchtigen Charakter gezeigt haben,
in ſeinem Weſen lag derſelbe nicht; es lag darin nur die mangelhaften For-
men des menſchlichen Daſeyns zu verlaſſen und an ihre Stelle vollkommenere
zu ſetzen. Der chriſtliche Geiſt, indem er mit Liebe an die Natur ſich hingibt
und ſie geſtaltend zu ſeiner Höhe erhebt, bleibt nicht in ihr gebunden, ſondern
ſetzt ſich immer ſich ſelbſt zum Zweck; er iſt am Ende ſeiner Arbeit immer
wieder bei ſich und darum ins Unendliche hin die Potenz eines neuen Lebens,
einer weitern Entwicklung.“
(Schluß folgt.)
Die Gräfin Dora d’Iſtria über die Frauen im Orient.
Les femmes en Orient, par Madame la Comtesse Dora d’Istria, 2 vol.,
pag. VII. 1008. Zürich 1860.
III. *)
‡ Auf dieſe ganz aus griechiſchen Hiſtorikern geſchöpften Angaben hin
hätte es mit den ſtolzen Morea-Doriern der Frau Gräfin Dora d’Iſtria
allerdings ſeine Bedenklichkeiten. Wir wollen aber aus achtungsvoller Rück-
ſicht für die hochgeborne Verfaſſerin, ſo wie für ihre zahlreichen Meinungsge-
noſſen, welche das neue Hellas nicht aus der hiſtoriſchen Vergangenheit und
aus documentirten Thatſachen, ſondern aus der Idee conſtruiren, die Acten
noch nicht für geſchloſſen erklären; wir wollen den Gegenſtand noch als offene
Frage behandeln, und die verzweifelten Argumente noch nicht als unbeſtreitbare
Thatſachen, ſondern als bloße Zweifel und Bedenken hinſtellen, die uns noch
immer hindern den idealiſtiſchen Auſchauungen der edlen Gräfin in vollem
Maß zu huldigen.
Von dem Genie der erlauchten Verfaſſerin wollen dieſe Zweifel und Be-
denken ihre endgültige, die abendländiſche Wiſſenſchaft beruhigende Löſung er-
warten, und bis dieſe Löſung wirklich erfolgt, bleibt das Urtheil ſuspendirt.
Wenn es aber der erlauchten Gräfin nicht gelingen ſollte durch unwiderleg-
liche Beweisſtellen die Nachrichten der griechiſchen Autoren von Prokopius bis
Mazari als muthwilligen Irrthum und als fortlaufende Conſpiration gegen
ihr eigenes Volk zu entlarven, beſonders aber den kritiſchen Occident zu über-
zeugen daß die Mazari’ſchen Geſtalten in Hellas und beſonders auf Morea
nicht exiſtiren, und daß die Landbevölkerung in Marathon, in Eleuſis, in
Menidi, und ſelbſt im albaneſiſchen Stadtviertel von Athen ſtatt # **
nicht tschben, und ſtatt # und # nicht mire ditta und
mire mbremma ſprechen, ſo iſt für die Verfaſſerin wenig Ausſicht daß man
im Occident den Hauptinhalt ihres fünften Buches, hauptſächlich die Briefe
II, III und IV (I. S. 374 — 401), für mehr als ideales Gedankenſpiel,
für eitel Poeſie und Fabel hält.
In Europa greift nach Wiederaufnahme der ſeit Du-Cange verlaſſenen
Studien der Byzantiner allmählich die Ueberzeugung Platz: die althelleniſche
Race habe ſich nur in den Colonien am Bosporus, auf den ſporadiſchen In-
ſeln und auf der Nord- und Weſtküſte Kleinaſiens erhalten, ſey aber im Ur-
lande, dem eigentlichen ſchon während der römiſchen Herrſchaft verödeten Hel-
las, vom Tempethal bis zur Südſpitze des Peloponneſus, bis auf unbedeutende
Reſte gänzlich verkommen und durch eine nichthelleniſche Bevölkerng erſetzt
worden. In den benannten Colonien, namentlich in den beiden Kaiſerſtädten
Konſtantinopel und Trapezunt, hat ſich die althelleniſche Sprache zwar nicht
in der primitiven Reinheit, aber doch im Weſen ununterbrochen bis auf den
heutigen Tag erhalten, obgleich ſchon Juſtinian I nach einer großen Peſt auf
einmal 70,000 ſlaviniſche Barbaren mit vollem Bürgerrecht in das halböde
Byzanz verpflanzte.
Wenn man in unſern Tagen von ächten Hellenen reden will, ſo ſind es
*) S. vorgeſtrige Beilage.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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