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Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 2. Mai 1920.

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Allgemeine Zeitung 2. Mai 1920
[Spaltenumbruch]

Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf
des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler.
Das Proletariat eines jeden Landes muß natürlich zuerst mit
seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden.

Indem wir die allgemeinsten Phasen der Entwicklung des
Proletariats zeichneten, verfolgten wir den mehr oder minder
versteckten Bürgerkrieg innerhalb der bestehenden Gesellschaft bis
zu dem Punkt, wo er in eine offene Revolution ausbricht, und
durch den gewaltsamen Sturz der Bourgeoisie das Proletariat
seine Herrschaft begründet.

Alle bisherige Gesellschaft beruhte, wie wir schon gesehen
haben, auf dem Gegensatz unterdrückender und unterdrückter
Klossen. Um aber eine Klasse unterdrücken zu können, müssen
ihr Bedingungen gesichert sein, innerhalb derer sie wenigstens
ihre knechtische Existenz fristen kann. Der Leibeigene hat sich
zum Mitleid der Kommune in der Leibeigenschaft heran-
gearbeitet, wie der Kleinbürger zum Bourgeois unter dem Joch
des feudalistischen Absolutismus. Der moderne Arbeiter da-
gegen, statt sich mit dem Fortschritt der Industrie zu heben, sinkt
immer tiefer unter die Bedingungen seiner eigenen Klasse herab.
Der Arbeiter wird zum Pauper, und der Pauperismus entwickelt
sich noch schneller als Benölkerun[g] und Reichtum. Es tritt hier-
mit offen hervor, daß die Bourgeoisie unfähig ist. noch länger
die herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben und die Lebens-
bedingungen ihrer Klasse der Gesellschaft als regelndes Gesetz
aufzuzwingen. Sie ist unfähig, zu herrschen, weil sie unfähig ist,
ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei
zu sichern, weil sie gezwungen ist. ihn in eine Lage herabsinken
zu lassen, wo sie ihn ernähren muß, statt von ihm ernährt zu
werden. Die Gesellschaft kann nicht mehr unter ihr leben, d. h.
ihr Leben ist nicht mehr verträglich mit der Gesellschaft.

Die wesentliche Bedingung für die Existenz und für die
Herrschaft der Bourgeoisklasse ist die Anhäufung des Reichtums
in den Händen von Privaten, die Bildung und Vermehrung des
Kapitals; die Bedingung des Kapitals ist die Lohnarbeit. Die
Lohnarbeit beruht ausschließlich auf der Konkurrenz der Arbeiter
unter sich. Der Fortschritt der Industrie dessen willenloser und
widerstandsloser Träger die Bourgeoisie ist, setzt an die Stelle
der Isolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revo-
lutionäre Dereinigung durch die Assoziation. Mit der Entwick-
lung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bour-
geoisie die Grundlage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert
und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren
eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Prole-
tariats sind gleich unvermeidlich.



II.
Das Erfurter Programm.

[b]eschlossen auf dem sozialdemokratischen Parteitage zu Erfurt 1891.

Die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft
führt mit Naturnotwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes,
dessen Grundlage das Privateigentum des Arbeiters an seinen
Produktionsmitteln bildet. Sie trennt den Arbeiter von seinen
Produktionsmitteln und verwandelt ihn in einen besitzlosen
Proletorier indes die Produktionsmittel das Monopol einer ver-
hältnismäßig kleinen Zahl von Kapitalisten und Großgrund-
besitzern werden.

Hand in Hand mit dieser Monopolisierung der Produktions-
mittel geht die Verdrängung der zersplitterten Kleinbetriebe durch
kolossale Großbetriebe, geht die Entwicklung des Werkzeuges zur
Maschine, geht ein riesenhaftes Wachstum der Produktivität der
menschlichen Arbeit. A[b]er alle Vorteile dieser Umwandlung
werden von den Kapitalisten und Großgrundbesitzern monopoli-
siert. Für das Proletariat und die versinkenden Mittelschichten
-- Kleinbürger. Bauern -- bedeutet sie wachsende Zunahme der
Unsicherheit ihrer Eristenz, des Elends, des Drucks, der Knech-
tung der Erniedrigung[,] der Ausbeutung.

Immer größer wird die Zahl der Proletarier, immer massen-
hafter die Armee der überschüssigen Arbeiter, immer schroffer
der Gegensatz zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, immer er-
bitterter der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat[,]
der die moderne Gesellschaft in zwei feindliche Heerla[g]er trennt
und das [g]meinsame Merkmal aller Industrieländer ist.

Der Abgrund zwischen Besitzenden und Besitzlosen wird noch
erweitert durch die im Wesen der kapitalistischen Produktions-
weise begründeten Krisen, die immer umfangreicher und ver-
heerender werden die allgemeine Unsicherheit zum Normalzustand
der Gesellschaft erbeben und den Beweis liefern, daß die Produk-
tivkräfte der heutigen Gesellschaft über den Kopf gewachsen sind,
daß das Privateigentum an Produktionsmitteln unvereinbar ge-
worden ist mit deren zweckentsprechender Anwendung und voller
Entwicklung.

Das Privateigentum an Produktionsmitteln. welches ehedem
das Mittel war, dem Produzenten das Eigentum an seinem
Produkt zu sichern, ist heute zum Mittel geworden, Bauern,
Handmerker und Kleinhändler zu erpropriieren und die Nicht-
arbeiter -- Kapitalisten. Großgrundbesitzer -- in den Besitz des
Produkts der Arbeiter zu setzen. Nur die Verwandlung des kapi-
talistischen Privateigentums an Produktionsmitteln -- Grund
und Boden, Gruben und Berawerke. Robstoffe. Werkzeuge, Ma-
schinen, Verkehrsmittel -- in gesellschaftliches Eigentum und
[Spaltenumbruch] die Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische, für und
durch die Gesellschaft betriebene Produktion kann es bewirken,
daß der Großgrundbetrieb und die stets wachsende Ertragsfähig-
keit der gesellschaftlichen Arbeit für die bisher ausgebeuteten
Klassen aus einer Quelle des Elends und der Unterdrückung zu
einer Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger, harmonischer
Vervollkommnung werde.

Diese gesellschaftliche Umwandlung bedeutet die Befreiung
nicht bloß des Proletariats, sondern des gesamten Menschen-
geschlechts, das unter den heutigen Zuständen leidet. Aber sie
kann nur das Werk der Arbeiterklasse sein, weil alle anderen
Klassen, trotz der Interessenstreitigkeiten unter sich, auf dem
Boden des Privateigentums an Produktionsmitteln stehen und die
Erhaltung der Grundlagen der heutigen Gesellschaft zum gemein-
samen Ziel haben.

Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Aus-
beutung ist notwendigerweise ein politischer Kampf. Die Arbeiter-
klasse kann ihre ökonomischen Kämpfe nicht führen und ihre
ökonomische Organisation nicht entwickeln ohne politische Rechte.
Sie kann den Uebergang der Produktionsmittel in den Besitz der
Gesamtheit nicht bewirken, ohne in den Besitz der politischen Macht
gekommen zu sein.

Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewußten und ein-
heitlichen zu gestalten und ihm sein naturnotwendiges Ziel zu
weisen -- das ist die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei.

Die Interessen der Arbeiterklasse sind in allen Ländern mit
kapitalistischer Produktionsweise die gleichen. Mit der Aus-
dehnung des Weltverkehrs und der Produktion für den Weltmarkt
wird die Lage der Arbeiter eines jeden Landes immer abhängiger
von der Lage der Arbeiter in den andern Ländern. Die Be-
freiung der Arbeiterklasse ist also ein Werk, an dem die Arbeiter
aller Kulturländer gleichmäßig beteiligt sind. In dieser Erkennt-
nis fühlt und erklärt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands
sich eins mit den klassenbewußten Arbeitern aller übrigen
Länder.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands kämpft also
nicht für neue Klassenprivilegien und Vorrechte. sondern für die
Abschaffung der Klassenberrschaft und der Klassen selbst und für
gleiche Rechte und gleiche Pflichten aller, ohne Unterschied des
Geschlechts und der Abstammung. Von diesen Anschauungen aus-
gehend bekämpft sie in der heutigen Gesellschaft nicht bloß die
Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter, sondern jede
Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen eine
Klasse, eine Partei, ein Geschlecht oder eine Rasse.

Ausgehend von diesen Grundsätzen fordert die Sozialdemo-
kratische Partei Deutschlands zunächst:

1. Allgemeines gleiches direktes Wahl- und Stimmrecht mit
gebeimer Stimmabgabe aller über 20 Jahre alten Reichsange-
hörigen ohne Unterschied des Geschlechts für alle Wahlen und
Abstimmungen. Proportional-Wahlsystem; und bis zu dessen Ein-
führung gesetzliche Neueinteilung der Wahlkreise nach jeder
Volkszählung. Zweijährige Gesetzgebungsperioden. Vornahme der
Wahlen und Abstimmungen an einem gesetzlichen Ruhetage. Ent-
schädigung für die gewählten Vertreter. Aufhebung jeder Be-
schränkung politischer Rechte außer im Falle der Entmündigung.

2. Direkte Gesetzgebung durch das Volk vermittelst des Vor-
schlags- und Verwerfungsrechts. Selbstbestimmung und Selbst-
verwaltung des Volks in Reich, Staat, Drovinz und Gemeinde.
Wohl der Behörden durch das Volk, Verantwortlichkeit und
Haftbarkeit derselben Jährliche Steuerbewilligung.

3. Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volksweh[r] an
Stelle der stehenden Heere. Entscheidung über Krieg und Frieden
durch die Volksvertretung. Schlichtung aller internationalen
Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Wege.

4. Abschaffung aller Gesetze, welche die freie Meinungs-
äußerung und das Recht der Vereinigung und Versammlung ein-
schränken oder unterdrücken.

5. Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlich-
und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benach-
teiligen.

6. Erklärung der Reliaion zur Privatsache. Abschaffung
aller Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln zu kirchlichen
und religiösen Zwecken. Die kirchlichen und religiösen Gemein-
schaften sind als private Vereinigungen zu betrachten, welche
ihre Angelegenheiten vollkommen selbständig ordnen.

7. Weltlichkeit der Schule. Obligatorischer Besuch der öffent-
lichen Volksschulen. Unentgeltlichkeit des Unterrichts, der Lehr-
mittel und der Verpflegung in den öffentlichen Volksschulen,
sowie in den höheren Bildungsanstalten für diejenigen Schüler
und Schülerinnen, die kraft ihrer Fähigkeiten zur weiteren
Ausbildung geeignet erachtet werden.

8. Unentgeltlichkeit der Rechtspflege und des Rechtsbei-
standes. Rechtsprechung durch vom Volk gewählte Richter. Be-
rufung in Strafsachen. Entschädigung unschuldig Angeklagter.
Verhafteter und Verurteilter. Abschaffung der Todesstrafe.

9. Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleistung einschließlich
der Geburtshilfe und der Heilmittel. Unentgeltlichkeit der Toten-
bestattung.

10. Stusenweis steigende Einkommen- und Vermögenssteuer
zur Bestreitung aller öffentlichen Ausgaben, soweit diese durch
Steuern zu decken sind. Selbsteinschätzungspflicht. Erbschafts-
steuer, stufenweise steigend nach Umfang des Erbguts und nach
dem Grade der Verwandtschaft. Abschaffung aller indizekten
Steuern, Zölle und sonstigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen,

Allgemeine Zeitung 2. Mai 1920
[Spaltenumbruch]

Obgleich nicht dem Inhalt, iſt der Form nach der Kampf
des Proletariats gegen die Bourgeoiſie zunächſt ein nationaler.
Das Proletariat eines jeden Landes muß natürlich zuerſt mit
ſeiner eigenen Bourgeoiſie fertig werden.

Indem wir die allgemeinſten Phaſen der Entwicklung des
Proletariats zeichneten, verfolgten wir den mehr oder minder
verſteckten Bürgerkrieg innerhalb der beſtehenden Geſellſchaft bis
zu dem Punkt, wo er in eine offene Revolution ausbricht, und
durch den gewaltſamen Sturz der Bourgeoiſie das Proletariat
ſeine Herrſchaft begründet.

Alle bisherige Geſellſchaft beruhte, wie wir ſchon geſehen
haben, auf dem Gegenſatz unterdrückender und unterdrückter
Kloſſen. Um aber eine Klaſſe unterdrücken zu können, müſſen
ihr Bedingungen geſichert ſein, innerhalb derer ſie wenigſtens
ihre knechtiſche Exiſtenz friſten kann. Der Leibeigene hat ſich
zum Mitleid der Kommune in der Leibeigenſchaft heran-
gearbeitet, wie der Kleinbürger zum Bourgeois unter dem Joch
des feudaliſtiſchen Abſolutismus. Der moderne Arbeiter da-
gegen, ſtatt ſich mit dem Fortſchritt der Induſtrie zu heben, ſinkt
immer tiefer unter die Bedingungen ſeiner eigenen Klaſſe herab.
Der Arbeiter wird zum Pauper, und der Pauperismus entwickelt
ſich noch ſchneller als Benölkerun[g] und Reichtum. Es tritt hier-
mit offen hervor, daß die Bourgeoiſie unfähig iſt. noch länger
die herrſchende Klaſſe der Geſellſchaft zu bleiben und die Lebens-
bedingungen ihrer Klaſſe der Geſellſchaft als regelndes Geſetz
aufzuzwingen. Sie iſt unfähig, zu herrſchen, weil ſie unfähig iſt,
ihrem Sklaven die Exiſtenz ſelbſt innerhalb ſeiner Sklaverei
zu ſichern, weil ſie gezwungen iſt. ihn in eine Lage herabſinken
zu laſſen, wo ſie ihn ernähren muß, ſtatt von ihm ernährt zu
werden. Die Geſellſchaft kann nicht mehr unter ihr leben, d. h.
ihr Leben iſt nicht mehr verträglich mit der Geſellſchaft.

Die weſentliche Bedingung für die Exiſtenz und für die
Herrſchaft der Bourgeoisklaſſe iſt die Anhäufung des Reichtums
in den Händen von Privaten, die Bildung und Vermehrung des
Kapitals; die Bedingung des Kapitals iſt die Lohnarbeit. Die
Lohnarbeit beruht ausſchließlich auf der Konkurrenz der Arbeiter
unter ſich. Der Fortſchritt der Induſtrie deſſen willenloſer und
widerſtandsloſer Träger die Bourgeoiſie iſt, ſetzt an die Stelle
der Iſolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revo-
lutionäre Dereinigung durch die Aſſoziation. Mit der Entwick-
lung der großen Induſtrie wird alſo unter den Füßen der Bour-
geoiſie die Grundlage ſelbſt hinweggezogen, worauf ſie produziert
und die Produkte ſich aneignet. Sie produziert vor allem ihren
eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Prole-
tariats ſind gleich unvermeidlich.



II.
Das Erfurter Programm.

[b]eſchloſſen auf dem ſozialdemokratiſchen Parteitage zu Erfurt 1891.

Die ökonomiſche Entwicklung der bürgerlichen Geſellſchaft
führt mit Naturnotwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes,
deſſen Grundlage das Privateigentum des Arbeiters an ſeinen
Produktionsmitteln bildet. Sie trennt den Arbeiter von ſeinen
Produktionsmitteln und verwandelt ihn in einen beſitzloſen
Proletorier indes die Produktionsmittel das Monopol einer ver-
hältnismäßig kleinen Zahl von Kapitaliſten und Großgrund-
beſitzern werden.

Hand in Hand mit dieſer Monopoliſierung der Produktions-
mittel geht die Verdrängung der zerſplitterten Kleinbetriebe durch
koloſſale Großbetriebe, geht die Entwicklung des Werkzeuges zur
Maſchine, geht ein rieſenhaftes Wachstum der Produktivität der
menſchlichen Arbeit. A[b]er alle Vorteile dieſer Umwandlung
werden von den Kapitaliſten und Großgrundbeſitzern monopoli-
ſiert. Für das Proletariat und die verſinkenden Mittelſchichten
— Kleinbürger. Bauern — bedeutet ſie wachſende Zunahme der
Unſicherheit ihrer Eriſtenz, des Elends, des Drucks, der Knech-
tung der Erniedrigung[,] der Ausbeutung.

Immer größer wird die Zahl der Proletarier, immer maſſen-
hafter die Armee der überſchüſſigen Arbeiter, immer ſchroffer
der Gegenſatz zwiſchen Ausbeutern und Ausgebeuteten, immer er-
bitterter der Klaſſenkampf zwiſchen Bourgeoiſie und Proletariat[,]
der die moderne Geſellſchaft in zwei feindliche Heerla[g]er trennt
und das [g]meinſame Merkmal aller Induſtrieländer iſt.

Der Abgrund zwiſchen Beſitzenden und Beſitzloſen wird noch
erweitert durch die im Weſen der kapitaliſtiſchen Produktions-
weiſe begründeten Kriſen, die immer umfangreicher und ver-
heerender werden die allgemeine Unſicherheit zum Normalzuſtand
der Geſellſchaft erbeben und den Beweis liefern, daß die Produk-
tivkräfte der heutigen Geſellſchaft über den Kopf gewachſen ſind,
daß das Privateigentum an Produktionsmitteln unvereinbar ge-
worden iſt mit deren zweckentſprechender Anwendung und voller
Entwicklung.

Das Privateigentum an Produktionsmitteln. welches ehedem
das Mittel war, dem Produzenten das Eigentum an ſeinem
Produkt zu ſichern, iſt heute zum Mittel geworden, Bauern,
Handmerker und Kleinhändler zu erpropriieren und die Nicht-
arbeiter — Kapitaliſten. Großgrundbeſitzer — in den Beſitz des
Produkts der Arbeiter zu ſetzen. Nur die Verwandlung des kapi-
taliſtiſchen Privateigentums an Produktionsmitteln — Grund
und Boden, Gruben und Berawerke. Robſtoffe. Werkzeuge, Ma-
ſchinen, Verkehrsmittel — in geſellſchaftliches Eigentum und
[Spaltenumbruch] die Umwandlung der Warenproduktion in ſozialiſtiſche, für und
durch die Geſellſchaft betriebene Produktion kann es bewirken,
daß der Großgrundbetrieb und die ſtets wachſende Ertragsfähig-
keit der geſellſchaftlichen Arbeit für die bisher ausgebeuteten
Klaſſen aus einer Quelle des Elends und der Unterdrückung zu
einer Quelle der höchſten Wohlfahrt und allſeitiger, harmoniſcher
Vervollkommnung werde.

Dieſe geſellſchaftliche Umwandlung bedeutet die Befreiung
nicht bloß des Proletariats, ſondern des geſamten Menſchen-
geſchlechts, das unter den heutigen Zuſtänden leidet. Aber ſie
kann nur das Werk der Arbeiterklaſſe ſein, weil alle anderen
Klaſſen, trotz der Intereſſenſtreitigkeiten unter ſich, auf dem
Boden des Privateigentums an Produktionsmitteln ſtehen und die
Erhaltung der Grundlagen der heutigen Geſellſchaft zum gemein-
ſamen Ziel haben.

Der Kampf der Arbeiterklaſſe gegen die kapitaliſtiſche Aus-
beutung iſt notwendigerweiſe ein politiſcher Kampf. Die Arbeiter-
klaſſe kann ihre ökonomiſchen Kämpfe nicht führen und ihre
ökonomiſche Organiſation nicht entwickeln ohne politiſche Rechte.
Sie kann den Uebergang der Produktionsmittel in den Beſitz der
Geſamtheit nicht bewirken, ohne in den Beſitz der politiſchen Macht
gekommen zu ſein.

Dieſen Kampf der Arbeiterklaſſe zu einem bewußten und ein-
heitlichen zu geſtalten und ihm ſein naturnotwendiges Ziel zu
weiſen — das iſt die Aufgabe der Sozialdemokratiſchen Partei.

Die Intereſſen der Arbeiterklaſſe ſind in allen Ländern mit
kapitaliſtiſcher Produktionsweiſe die gleichen. Mit der Aus-
dehnung des Weltverkehrs und der Produktion für den Weltmarkt
wird die Lage der Arbeiter eines jeden Landes immer abhängiger
von der Lage der Arbeiter in den andern Ländern. Die Be-
freiung der Arbeiterklaſſe iſt alſo ein Werk, an dem die Arbeiter
aller Kulturländer gleichmäßig beteiligt ſind. In dieſer Erkennt-
nis fühlt und erklärt die Sozialdemokratiſche Partei Deutſchlands
ſich eins mit den klaſſenbewußten Arbeitern aller übrigen
Länder.

Die Sozialdemokratiſche Partei Deutſchlands kämpft alſo
nicht für neue Klaſſenprivilegien und Vorrechte. ſondern für die
Abſchaffung der Klaſſenberrſchaft und der Klaſſen ſelbſt und für
gleiche Rechte und gleiche Pflichten aller, ohne Unterſchied des
Geſchlechts und der Abſtammung. Von dieſen Anſchauungen aus-
gehend bekämpft ſie in der heutigen Geſellſchaft nicht bloß die
Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter, ſondern jede
Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richte ſie ſich gegen eine
Klaſſe, eine Partei, ein Geſchlecht oder eine Raſſe.

Ausgehend von dieſen Grundſätzen fordert die Sozialdemo-
kratiſche Partei Deutſchlands zunächſt:

1. Allgemeines gleiches direktes Wahl- und Stimmrecht mit
gebeimer Stimmabgabe aller über 20 Jahre alten Reichsange-
hörigen ohne Unterſchied des Geſchlechts für alle Wahlen und
Abſtimmungen. Proportional-Wahlſyſtem; und bis zu deſſen Ein-
führung geſetzliche Neueinteilung der Wahlkreiſe nach jeder
Volkszählung. Zweijährige Geſetzgebungsperioden. Vornahme der
Wahlen und Abſtimmungen an einem geſetzlichen Ruhetage. Ent-
ſchädigung für die gewählten Vertreter. Aufhebung jeder Be-
ſchränkung politiſcher Rechte außer im Falle der Entmündigung.

2. Direkte Geſetzgebung durch das Volk vermittelſt des Vor-
ſchlags- und Verwerfungsrechts. Selbſtbeſtimmung und Selbſt-
verwaltung des Volks in Reich, Staat, Drovinz und Gemeinde.
Wohl der Behörden durch das Volk, Verantwortlichkeit und
Haftbarkeit derſelben Jährliche Steuerbewilligung.

3. Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volksweh[r] an
Stelle der ſtehenden Heere. Entſcheidung über Krieg und Frieden
durch die Volksvertretung. Schlichtung aller internationalen
Streitigkeiten auf ſchiedsgerichtlichem Wege.

4. Abſchaffung aller Geſetze, welche die freie Meinungs-
äußerung und das Recht der Vereinigung und Verſammlung ein-
ſchränken oder unterdrücken.

5. Abſchaffung aller Geſetze, welche die Frau in öffentlich-
und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benach-
teiligen.

6. Erklärung der Reliaion zur Privatſache. Abſchaffung
aller Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln zu kirchlichen
und religiöſen Zwecken. Die kirchlichen und religiöſen Gemein-
ſchaften ſind als private Vereinigungen zu betrachten, welche
ihre Angelegenheiten vollkommen ſelbſtändig ordnen.

7. Weltlichkeit der Schule. Obligatoriſcher Beſuch der öffent-
lichen Volksſchulen. Unentgeltlichkeit des Unterrichts, der Lehr-
mittel und der Verpflegung in den öffentlichen Volksſchulen,
ſowie in den höheren Bildungsanſtalten für diejenigen Schüler
und Schülerinnen, die kraft ihrer Fähigkeiten zur weiteren
Ausbildung geeignet erachtet werden.

8. Unentgeltlichkeit der Rechtspflege und des Rechtsbei-
ſtandes. Rechtſprechung durch vom Volk gewählte Richter. Be-
rufung in Strafſachen. Entſchädigung unſchuldig Angeklagter.
Verhafteter und Verurteilter. Abſchaffung der Todesſtrafe.

9. Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleiſtung einſchließlich
der Geburtshilfe und der Heilmittel. Unentgeltlichkeit der Toten-
beſtattung.

10. Stuſenweis ſteigende Einkommen- und Vermögensſteuer
zur Beſtreitung aller öffentlichen Ausgaben, ſoweit dieſe durch
Steuern zu decken ſind. Selbſteinſchätzungspflicht. Erbſchafts-
ſteuer, ſtufenweiſe ſteigend nach Umfang des Erbguts und nach
dem Grade der Verwandtſchaft. Abſchaffung aller indizekten
Steuern, Zölle und ſonſtigen wirtſchaftspolitiſchen Maßnahmen,

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[Seite 164[164]/0006] Allgemeine Zeitung 2. Mai 1920 Obgleich nicht dem Inhalt, iſt der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoiſie zunächſt ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muß natürlich zuerſt mit ſeiner eigenen Bourgeoiſie fertig werden. Indem wir die allgemeinſten Phaſen der Entwicklung des Proletariats zeichneten, verfolgten wir den mehr oder minder verſteckten Bürgerkrieg innerhalb der beſtehenden Geſellſchaft bis zu dem Punkt, wo er in eine offene Revolution ausbricht, und durch den gewaltſamen Sturz der Bourgeoiſie das Proletariat ſeine Herrſchaft begründet. Alle bisherige Geſellſchaft beruhte, wie wir ſchon geſehen haben, auf dem Gegenſatz unterdrückender und unterdrückter Kloſſen. Um aber eine Klaſſe unterdrücken zu können, müſſen ihr Bedingungen geſichert ſein, innerhalb derer ſie wenigſtens ihre knechtiſche Exiſtenz friſten kann. Der Leibeigene hat ſich zum Mitleid der Kommune in der Leibeigenſchaft heran- gearbeitet, wie der Kleinbürger zum Bourgeois unter dem Joch des feudaliſtiſchen Abſolutismus. Der moderne Arbeiter da- gegen, ſtatt ſich mit dem Fortſchritt der Induſtrie zu heben, ſinkt immer tiefer unter die Bedingungen ſeiner eigenen Klaſſe herab. Der Arbeiter wird zum Pauper, und der Pauperismus entwickelt ſich noch ſchneller als Benölkerung und Reichtum. Es tritt hier- mit offen hervor, daß die Bourgeoiſie unfähig iſt. noch länger die herrſchende Klaſſe der Geſellſchaft zu bleiben und die Lebens- bedingungen ihrer Klaſſe der Geſellſchaft als regelndes Geſetz aufzuzwingen. Sie iſt unfähig, zu herrſchen, weil ſie unfähig iſt, ihrem Sklaven die Exiſtenz ſelbſt innerhalb ſeiner Sklaverei zu ſichern, weil ſie gezwungen iſt. ihn in eine Lage herabſinken zu laſſen, wo ſie ihn ernähren muß, ſtatt von ihm ernährt zu werden. Die Geſellſchaft kann nicht mehr unter ihr leben, d. h. ihr Leben iſt nicht mehr verträglich mit der Geſellſchaft. Die weſentliche Bedingung für die Exiſtenz und für die Herrſchaft der Bourgeoisklaſſe iſt die Anhäufung des Reichtums in den Händen von Privaten, die Bildung und Vermehrung des Kapitals; die Bedingung des Kapitals iſt die Lohnarbeit. Die Lohnarbeit beruht ausſchließlich auf der Konkurrenz der Arbeiter unter ſich. Der Fortſchritt der Induſtrie deſſen willenloſer und widerſtandsloſer Träger die Bourgeoiſie iſt, ſetzt an die Stelle der Iſolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revo- lutionäre Dereinigung durch die Aſſoziation. Mit der Entwick- lung der großen Induſtrie wird alſo unter den Füßen der Bour- geoiſie die Grundlage ſelbſt hinweggezogen, worauf ſie produziert und die Produkte ſich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Prole- tariats ſind gleich unvermeidlich. II. Das Erfurter Programm. beſchloſſen auf dem ſozialdemokratiſchen Parteitage zu Erfurt 1891. Die ökonomiſche Entwicklung der bürgerlichen Geſellſchaft führt mit Naturnotwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes, deſſen Grundlage das Privateigentum des Arbeiters an ſeinen Produktionsmitteln bildet. Sie trennt den Arbeiter von ſeinen Produktionsmitteln und verwandelt ihn in einen beſitzloſen Proletorier indes die Produktionsmittel das Monopol einer ver- hältnismäßig kleinen Zahl von Kapitaliſten und Großgrund- beſitzern werden. Hand in Hand mit dieſer Monopoliſierung der Produktions- mittel geht die Verdrängung der zerſplitterten Kleinbetriebe durch koloſſale Großbetriebe, geht die Entwicklung des Werkzeuges zur Maſchine, geht ein rieſenhaftes Wachstum der Produktivität der menſchlichen Arbeit. Aber alle Vorteile dieſer Umwandlung werden von den Kapitaliſten und Großgrundbeſitzern monopoli- ſiert. Für das Proletariat und die verſinkenden Mittelſchichten — Kleinbürger. Bauern — bedeutet ſie wachſende Zunahme der Unſicherheit ihrer Eriſtenz, des Elends, des Drucks, der Knech- tung der Erniedrigung, der Ausbeutung. Immer größer wird die Zahl der Proletarier, immer maſſen- hafter die Armee der überſchüſſigen Arbeiter, immer ſchroffer der Gegenſatz zwiſchen Ausbeutern und Ausgebeuteten, immer er- bitterter der Klaſſenkampf zwiſchen Bourgeoiſie und Proletariat, der die moderne Geſellſchaft in zwei feindliche Heerlager trennt und das gmeinſame Merkmal aller Induſtrieländer iſt. Der Abgrund zwiſchen Beſitzenden und Beſitzloſen wird noch erweitert durch die im Weſen der kapitaliſtiſchen Produktions- weiſe begründeten Kriſen, die immer umfangreicher und ver- heerender werden die allgemeine Unſicherheit zum Normalzuſtand der Geſellſchaft erbeben und den Beweis liefern, daß die Produk- tivkräfte der heutigen Geſellſchaft über den Kopf gewachſen ſind, daß das Privateigentum an Produktionsmitteln unvereinbar ge- worden iſt mit deren zweckentſprechender Anwendung und voller Entwicklung. Das Privateigentum an Produktionsmitteln. welches ehedem das Mittel war, dem Produzenten das Eigentum an ſeinem Produkt zu ſichern, iſt heute zum Mittel geworden, Bauern, Handmerker und Kleinhändler zu erpropriieren und die Nicht- arbeiter — Kapitaliſten. Großgrundbeſitzer — in den Beſitz des Produkts der Arbeiter zu ſetzen. Nur die Verwandlung des kapi- taliſtiſchen Privateigentums an Produktionsmitteln — Grund und Boden, Gruben und Berawerke. Robſtoffe. Werkzeuge, Ma- ſchinen, Verkehrsmittel — in geſellſchaftliches Eigentum und die Umwandlung der Warenproduktion in ſozialiſtiſche, für und durch die Geſellſchaft betriebene Produktion kann es bewirken, daß der Großgrundbetrieb und die ſtets wachſende Ertragsfähig- keit der geſellſchaftlichen Arbeit für die bisher ausgebeuteten Klaſſen aus einer Quelle des Elends und der Unterdrückung zu einer Quelle der höchſten Wohlfahrt und allſeitiger, harmoniſcher Vervollkommnung werde. Dieſe geſellſchaftliche Umwandlung bedeutet die Befreiung nicht bloß des Proletariats, ſondern des geſamten Menſchen- geſchlechts, das unter den heutigen Zuſtänden leidet. Aber ſie kann nur das Werk der Arbeiterklaſſe ſein, weil alle anderen Klaſſen, trotz der Intereſſenſtreitigkeiten unter ſich, auf dem Boden des Privateigentums an Produktionsmitteln ſtehen und die Erhaltung der Grundlagen der heutigen Geſellſchaft zum gemein- ſamen Ziel haben. Der Kampf der Arbeiterklaſſe gegen die kapitaliſtiſche Aus- beutung iſt notwendigerweiſe ein politiſcher Kampf. Die Arbeiter- klaſſe kann ihre ökonomiſchen Kämpfe nicht führen und ihre ökonomiſche Organiſation nicht entwickeln ohne politiſche Rechte. Sie kann den Uebergang der Produktionsmittel in den Beſitz der Geſamtheit nicht bewirken, ohne in den Beſitz der politiſchen Macht gekommen zu ſein. Dieſen Kampf der Arbeiterklaſſe zu einem bewußten und ein- heitlichen zu geſtalten und ihm ſein naturnotwendiges Ziel zu weiſen — das iſt die Aufgabe der Sozialdemokratiſchen Partei. Die Intereſſen der Arbeiterklaſſe ſind in allen Ländern mit kapitaliſtiſcher Produktionsweiſe die gleichen. Mit der Aus- dehnung des Weltverkehrs und der Produktion für den Weltmarkt wird die Lage der Arbeiter eines jeden Landes immer abhängiger von der Lage der Arbeiter in den andern Ländern. Die Be- freiung der Arbeiterklaſſe iſt alſo ein Werk, an dem die Arbeiter aller Kulturländer gleichmäßig beteiligt ſind. In dieſer Erkennt- nis fühlt und erklärt die Sozialdemokratiſche Partei Deutſchlands ſich eins mit den klaſſenbewußten Arbeitern aller übrigen Länder. Die Sozialdemokratiſche Partei Deutſchlands kämpft alſo nicht für neue Klaſſenprivilegien und Vorrechte. ſondern für die Abſchaffung der Klaſſenberrſchaft und der Klaſſen ſelbſt und für gleiche Rechte und gleiche Pflichten aller, ohne Unterſchied des Geſchlechts und der Abſtammung. Von dieſen Anſchauungen aus- gehend bekämpft ſie in der heutigen Geſellſchaft nicht bloß die Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter, ſondern jede Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richte ſie ſich gegen eine Klaſſe, eine Partei, ein Geſchlecht oder eine Raſſe. Ausgehend von dieſen Grundſätzen fordert die Sozialdemo- kratiſche Partei Deutſchlands zunächſt: 1. Allgemeines gleiches direktes Wahl- und Stimmrecht mit gebeimer Stimmabgabe aller über 20 Jahre alten Reichsange- hörigen ohne Unterſchied des Geſchlechts für alle Wahlen und Abſtimmungen. Proportional-Wahlſyſtem; und bis zu deſſen Ein- führung geſetzliche Neueinteilung der Wahlkreiſe nach jeder Volkszählung. Zweijährige Geſetzgebungsperioden. Vornahme der Wahlen und Abſtimmungen an einem geſetzlichen Ruhetage. Ent- ſchädigung für die gewählten Vertreter. Aufhebung jeder Be- ſchränkung politiſcher Rechte außer im Falle der Entmündigung. 2. Direkte Geſetzgebung durch das Volk vermittelſt des Vor- ſchlags- und Verwerfungsrechts. Selbſtbeſtimmung und Selbſt- verwaltung des Volks in Reich, Staat, Drovinz und Gemeinde. Wohl der Behörden durch das Volk, Verantwortlichkeit und Haftbarkeit derſelben Jährliche Steuerbewilligung. 3. Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der ſtehenden Heere. Entſcheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung. Schlichtung aller internationalen Streitigkeiten auf ſchiedsgerichtlichem Wege. 4. Abſchaffung aller Geſetze, welche die freie Meinungs- äußerung und das Recht der Vereinigung und Verſammlung ein- ſchränken oder unterdrücken. 5. Abſchaffung aller Geſetze, welche die Frau in öffentlich- und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benach- teiligen. 6. Erklärung der Reliaion zur Privatſache. Abſchaffung aller Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln zu kirchlichen und religiöſen Zwecken. Die kirchlichen und religiöſen Gemein- ſchaften ſind als private Vereinigungen zu betrachten, welche ihre Angelegenheiten vollkommen ſelbſtändig ordnen. 7. Weltlichkeit der Schule. Obligatoriſcher Beſuch der öffent- lichen Volksſchulen. Unentgeltlichkeit des Unterrichts, der Lehr- mittel und der Verpflegung in den öffentlichen Volksſchulen, ſowie in den höheren Bildungsanſtalten für diejenigen Schüler und Schülerinnen, die kraft ihrer Fähigkeiten zur weiteren Ausbildung geeignet erachtet werden. 8. Unentgeltlichkeit der Rechtspflege und des Rechtsbei- ſtandes. Rechtſprechung durch vom Volk gewählte Richter. Be- rufung in Strafſachen. Entſchädigung unſchuldig Angeklagter. Verhafteter und Verurteilter. Abſchaffung der Todesſtrafe. 9. Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleiſtung einſchließlich der Geburtshilfe und der Heilmittel. Unentgeltlichkeit der Toten- beſtattung. 10. Stuſenweis ſteigende Einkommen- und Vermögensſteuer zur Beſtreitung aller öffentlichen Ausgaben, ſoweit dieſe durch Steuern zu decken ſind. Selbſteinſchätzungspflicht. Erbſchafts- ſteuer, ſtufenweiſe ſteigend nach Umfang des Erbguts und nach dem Grade der Verwandtſchaft. Abſchaffung aller indizekten Steuern, Zölle und ſonſtigen wirtſchaftspolitiſchen Maßnahmen,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 2. Mai 1920, S. Seite 164[164]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine17_1920/6>, abgerufen am 21.11.2024.