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Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 22. Januar 1929.

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"AZ am Abend" Nr. 18 Dienstag, den 22. Januar
Eine fidele Strafanstalt

21 Beamte von Sonnenburg auf der Anklagebank * Sträflinge als Zeugen * Einer, der seine Ruhe haben wollte

In Sonnenburg begann gestern ein Pro-
zeß, wie er wohl vor deutschen Gerichten
noch nicht stattgefunden hat. Angeklagt sind
21 Beamte der Strafanstalt Sonnenburg.

vom Inspektor bis zum Hilfsbeamten.

Zeugen sind die Insassen des Zuchthauses,
schwere Verbrecher, von denen viele zu le-
benslänglicher Strafe verurteilt sind. Der
Prozeß wird unmögliche Zustände beleuch-
ten, die sich durch viele Jahre in der Straf-
anstalt entwickelt haben, bis ein neuer ener-
gischer Direktor ihnen ein Ende machte. Die
Beamten sind angeklagt teils des Diebstahls,
teils der Hehlerei und der Verleitung zum
Meineide. Die Verhandlung findet vor dem
Großen Schöffengericht Küstrin statt und ist
nach Sonnenburg in die Kirche des Zucht-
hauses verlegt worden.

In der Strafanstalt Sonnenburg hatten
sich Zustände herausgebildet, mit denen das
fidele Gefängnis in der Fledermaus kaum
mitkommen kann. Es war schließlich eine
derartige

Korruption

und eine derartige Verbindung zwischen den
Sträflingen und Beamten zustande gekom-
men, daß man nicht mehr wußte, wer der
eigentliche Herr dieser Strafanstalt war. Im
Zuchthause werden ehemalige Heeresbestände
umgearbeitet und dann wieder verwertet.
Eine Firma Schwarzschild übernimmt von
der Justizverwaltung diese Bestände und läßt
sie durch Zuchthaus-Insassen umarbeiten.

Die Arbeit wird unter Aufsicht der Be-
amten gemacht. Wie diese Aufsicht durchge-
führt worden sein muß, beweist, daß in
Sonnenburg ein schwunghafter Handel mit
Gegenständen aus diesen Beständen getrie-
ben wurde. Ja, es ging so weit, das Zucht-
haus-Insassen, und zwar solche, die zu lebens-
länglichem Zuchthaus verurteilt waren, aus
der Strafanstalt heraus

Liebesgaben an ihre Angehörigen

nach Hause schicken konnten. Zwischen Be-
amten und Sträflingen herrschte ein äußerst
freundliches Verhältnis. Ein Revisions-
beamter bemerkte einmal, als er das Zucht-
haus revidieren wollte, in einer in der Nähe
liegenden Kneipe zwei Aufseher mit meh-
reren Zuchthäuslern, die sangen und tranken.

Diese Zustände, erreichten aber ihren
Höhepunkt, als Max Hölz, der Kommu-
nistenführer, nach Sonnenburg kam. Hölz,
dessen Fall ja ganz absonderlich lag, erhielt
so viele Begünstigungen, daß die anderen
politischen Gefangenen Krach machten und
die gleichen Vergünstigungen für sich in An-
spruch nahmen. Als dann die Amnestie der
politischen Verbrecher nicht schnell genug
vom Reichstag angenommen wurde, wurde
großer Krawall verübt.

Um ihrer Forderung auf Amnestie Nach-
druck zu verleihen, begannen die politischen
Gefangenen einen

Hungerstreik;

eine Reihe von kriminellen Strafgefangenen
schlossen sich ihnen an. Der Hungerstreik
wurde beendet, als der Reichstag die Amne-
stie angenommen hatte. Jetzt setzte eine un-
geheure Enttäuschung bei den anderen Ge-
sangenen ein, denn diese Verbrecher waren
nicht amnestiert worden. Es kam zu schweren
Ausschreitungen, die sich selbst damit nicht
aus der Welt schaffen ließen, daß man den
Gefangenen nach Beendigung des Streiks
sogar Zusatznahrung gab.

In dieser Zeit waren die Zustände in der
Strafanstalt selbst einigen Gefangenen zuviel
geworden. Man wird es kaum für möglich
halten, aber es ist das Tollste an der gan-
zen Groteske: ein zu 12 Jahren Zuchthaus
Verurteilter brachte es fertig, das Manu-
skript eines Artikels unbeobachtet aus dem
Zuchthaus zu bringen und

sich im Sonnenburger Anzeiger über
diese Zustände zu beschweren.

Der Mann sagte, er habe zwölf Jahre abzu-
sitzen -- allerdings wie er glaubt, durch ein
Fehlurteil --, aber er verlangt, daß er Ruhe
bekäme. Dieser Lärm und dieser Krach, der
durch Hölz verursacht wurde, lasse sich nicht
mit der strengen Zuchthausordnung verein-
baren.

Er schreibt u. a.:

"Daß eine Strafanstaltsdirektion dem
rowdiehaften Treiben einer Anzahl Ge-
sangener nicht entgegenwirkt, daß sie durch
ihre Passivität die Rädelsführer geradezu
aufmuntert, in ihrem zügellosen Treiben
fortzufahren, wie sie geduldig zuhört, wie
Staat, Volk, Beamte, Gefangene maßlos
beschimpt werden, daß sie sich weigert, die
[Spaltenumbruch] gesetzwidrigen Zustände zu beseitigen und
zu verhüten, das alles kann nicht zur Auf-
rechterhaltung der Zuchthausordnung, zur
geistigen und sittlichen Hebung der Ge-
fangenen, zur Erziehung zu einem geord-
neten, gesetzmäßigen Leben dienen, wie es
so schön im § 5 der Dienstpflichtordnung
heißt."

Dieser Schrei einer gequälten Gefangenen-
seele verhallte nicht ungehört. Es wurde
ein Wechsel in der Direktion der Anstalt vor-
genommen, und nun hörte auf einmal das
gute Leben auf. Die Skandalßenen, die sich
jetzt abspielten, waren ungeheuerlich. Man
hörte auf der Straße, wie Beamte, die über
den Hof gingen, vom Fenster aus beschimpft
wurden. Es wurde eine

reguläre Gegenoffensive

gegen die neuen, scharfen Maßnahmen ein-
geleitet, aber die Direktion gab nicht nach.
[Spaltenumbruch] Die ganze Strenge der Hausordnung wurde
wieder eingeführt.

Da taten sich die Gefangenen zusammen
und verfaßten eine Liste der "Strolche", wie
sie die Beamten nannten. Auf dieser Liste
standen etwa 40 Beamte, und zwar diejeni-
gen, die jetzt besonders streng waren. Es
wurde behauptet, daß diese Beamten mit
dem ehemaligen Heeresgut Schiebungen un-
ternommen hätten. Haussuchungen bei den
Beschuldigten hatten aber keinerlei Ergebnis,
und als Belastungszeugen gab es nur die Ge-
fangenen, darunter ein halbes Dutzend Le-
benslänglicher, die zum Termin zur Verneh-
mung geführt wurden.

Nun steht diese Angelegenheit zur Ver-
handlung. Man hat damals die schwersten
Verbrecher auf die verschiedenen Strafanstal-
ten im Lande verteilt. Jetzt rollen sie von
überall heran, um Zeugnis gegen ihre
früheren Beamten abzulegen.



Berufungsverhandlung
im Langenbach-Prozeß

Um die Schuldfrage bei der Eisenbahnkatastrophe vom August 1926


Vor der 4. Straf-
kammer des Landgerichts München I be-
gann gestern die Berufungsverhandlung im
Langenbach-Prozeß unter dem Vorsitz des
Landgerichtsdirektors Eibecker. Die Ver-
teidigung liegt in den Händen des Rechts-
anwalts Bandorf.

Die Vorgeschichte dieses Prozesses ist
kurz folgende:

Am 12. August 1926 entgleiste bei der
Durchfahrt durch die Station Langenbach
bei Freising der beschleunigte Personenzug
Regensburg--München. Das Unglück for-
derte zwölf Tote und 98 Verletzte. Ursache
der Katastrophe war das Abspringen einer
Schraubenzwinge, durch die anläßlich des
Weichenumbaues des Einfahrtsgleises eine
Weichenzunge befestigt war. Verantwortlich
war der Rottenführer Johann Förtsch.

Das Erweiterte Schöffengericht des Amts-
gerichts Freising verurteilte Förlsch am 10.
November 1927 nach dreitägiger Verhand-
lung wegen fahrlässiger Tötung und fahr-
lässiger Körperverletzung zu

sechs Monaten Gefängnis.

Das Gericht erblickte die Fahrlässigkeit darin,
daß Förtsch zur Befestigung der Weichen-
zunge nicht, wie sonst üblich, eine passende
Lasche verwendet hatte, sondern die Schrau-
benspindel, die als Sicherungsvorrichtung
noch nicht erprobt war. Zumindest hätte er
[Spaltenumbruch] wegen der Nichterprobung vorsichtig sein
müssen und den Zug nicht mit 75 Kilometer
Geschwindigkeit die Stelle passieren lassen
dürfen, also ein Langsamfahrtsignal aus-
stellen müssen. Der Verurteilte legte Be-
rufung gegen dieses Urteil ein.

Am 4. April 1928 erfolgte vor dem Land-
gericht München II

Freispruch

unter Aufhebung des Urteils erster Jnstanz.
In der Begründung hieß es: Das Anbrin-
gen der Zwinge sei verfehlt und keine ge-
nügende Sicherheit gewesen, aber der An-
geklagte hätte doch der Meinung sein kön-
nen, daß diese Sicherungsart den Zweck er-
fülle.

Am 12. Oktober 1928 hob das Reichs-
gericht dies freisprechende Urteil auf und
verwies die Sache an das Landgericht Mün-
chen I mit der folgenden Begründung:

Die Freisprechung sei nicht schlüssig
begründet worden,

namentlich sei die Frage der Ausstellung
eines Langsamfahrtsignals unentschieden ge-
lassen, weil nicht festgestellt wurde, inwie-
weit das Nichtausstecken eines solchen Si-
gnals für das Unglück und seine Folgen ur-
sächlich gewesen sei. Die Rechtsgrundsätze
des ursächlichen Zusammenhangs seien hier
verkannt worden.



König Galomons Lieblingsfrau

Entdedung der Grabstätte * Das Hohe Lied der Gattentreue

[Spaltenumbruch]

"Daily Mail" gibt eine Meldung des
ägyptischen Blattes "Al Mokattam" wieder,
wonach in Jerusalem eine Grabstätte mit
der Mumie der ägyptischen Lieblingsfrau
des Königs Salomo entdeckt worden sein
soll. Die Grabkammer soll

an Pracht die Tutanchamons noch
übertrefsen.

Sie sei mit Gegenständen von wunderbarer
Schönheit und von großem Wert gefüllt.
Die Mumie liege in einem goldenen Sarge
und sei in mit Edelsteinen verzierte Decken
gehüllt. An den Fingern trage sie mehrere
Ringe, auf dem Kopf eine Krone mit
Saphiren, Smaragden und Perlen. Mit
der Mumie sei eine hebräische Papyrus-
rolle begraben worden, die, wie man an-
nehme,

von Salomon selbst geschrieben

sei und die Tugenden seiner Lieblingsfrau
rühme. Dem Papyrus zufolge ist die Frau
Salomons, deren Mädchenname Moti Ma-
ris war und die aus Memphis stammte, im
36. Jahre seiner Herrschaft gestorben und
unter ihrem Palaste begraben worden,
"nachdem sie sich für ihren Mann geopfert
hatte." Der Papyrus berichtet weiter, daß
König Salomo aus Liebe zu ihr in Aner-
kennung ihrer Treue und Selbstaufopferung
ihr eigenhändig die herrlichen Krone aufs
Haupt gesetzt habe, die ihm von seinem
Volke am 25. Jahrestage seiner Thron-
besteigung überreicht worden war. -- Wei-
ter berichtet der Papyrus. Drei Monate vor
dem Tode der Lieblingsfrau sei Amento,
der Vater der Frau Salomons, aus Aegyp-
ten gekommen, beladen mit Geschenken, aber
in der geheimen Absicht, Salomo vom
Throne zu stoßen und das Land im Namen
[Spaltenumbruch] des Königs von Aegypten in Besitz zu neh-
men. Eines Tages ersuchte Amento um eine
Privatunterhaltung mit Salomo, nachdem
er vorher seiner Tochter Moti befohlen habe,

Salomon zu vergiften.

Der Papyrus schließt: Als Moti eintrat,
Becher und Wein tragend, argwöhnte ich
nicht Verrat, obwohl ich bemerkte, daß sie
totenbleich war. Als Moti den Wein in die
Becher goß, bemerkte ich, daß Amento seine
Hand nicht nach seinem Becher ausstreckte.
Trotzdem hob ich, noch immer ohne Arg-
wohn, den Becher an meine Lippen. In
diesem Augenblick entriß mir Moti, die ne-
ben mir stand, den Becher und trank den
Wein selbst. Einige Minuten blieb sie stehen,
der Vater floh mit einem Schrei der Wut
aus dem Zimmer. Kurz darauf sank Moti
sterbend in meine Arme. Der tückische
Amento versuchte, sich zu vergisten. Aber
seine Tochter Moti, meine geliebte Frau,
rettete mein Leben unter Aufopferung ihres
eigenen.



Kammerspiele im Schauspielhaus.

Am Mitt-
woch, den 23. Januar wird Karl Zuckmayers
"Fröhlicher Weinberg" mit Otto Framer
wieder in den Spielplan der Kammerspiele auf-
genommen. Beginn 71/2 Uhr. Das Stück wird
dann am Donnerstag, 24., Freitag, 25., und
Sonntag, 27. Januar, jeweils 71/2 Uhr abends
wiederholt.

[Spaltenumbruch]
Deutsche Stunde in Bayern


Mittwoch, den 23. Januar 1929

6.45 Morgengymnastik.
12.55 Nürnberger Sendung: Mittagskonzert. Aus-
geführt mit Schallplatten im Musikhaus
H. Bernhard, Nürnberg. Fürthorstraße 35.
15.30 Gedichte von Rainer Maria Rilke. Gespro-
chen von Albert Fischel (Staatstheater
München).
16.00 Unterhaltungskonzert des Kammerquarletts
Anny Rosenderger.
17.00 Kinderstunde.
17.45 Jugendstunde.
19.00 Das österreichische Burgenland. Vortrag v.
Landeshauptmann Ludwig Leser.
19.30 Rheinlscher Abend. Das Rundfunkorchester
unter Leitung von Kurt Pastor. Mitwir-
kend Carlos Llach. Am Flügel: Richard
Staab.
21.00 Lesestunde.
21.30 Kammermusikstunde. Das Birkigt-Streich-
quartett.
22.30 Abendmeldungen. Anschließend bis 24.00
Tanzmusik Kapelle Max Müller (Köln).
Uebertragung a. d. Odeon-Kasino, München.



Ist der Traum ein Scheidungsgrund?

Wenn man im Schlafe spricht, kann das
bekanntlich recht peinlich werden, besonders
wenn ein eifersüchtiger Ehegatte schlaflos
lauscht. Recht unerwünschte Töne hörte ein
Bürger der Stadt Wentuky in Pennsylva-
nien namens Hermann Silbermann von
dem Bette seiner Gattin her. Die junge
Dame wiederholte in ihrem Schlaf mehrere
Male mit zärllichster Stimme die Silbe
"Alph" Da ein junger Herr, der Frau
Silbermann eifrig den Hof machte und auch
von ihr schon manche Gunstbezeigung er-
halten hatte, auf diesen Kosenamen hörte,
hielt der eifersüchtige Ehemann die Schuld
seiner Frau für erwiesen, und beantragte
die Scheidung. Aber die amerikanischen
Richter waren nicht so hitzig wie der wut-
entbrannte Gatte. Sie erklärten, daß der
Traum kein genügender Beweis für einen
Ehemann sei, und da sich der jungen Frau
sonst nichts Schwerwiegendes nachweisen
ließ, so wurde die Klage abgewiesen. Wie
die "Comoedie" dazu bemerkt. ist ein fran-
zösisches Gericht anderer Ansicht gewesen.
Es hat einmal eine Ehe geschieden, weil der
Mann, der seine Frau offensichtlich vernach-
lässigte, im Schlaf die Namen mehrerer
Frauen aussprach und dazu leidenschaftliche
Liebkosungen stammelte.



[irrelevantes Material]
„AZ am Abend“ Nr. 18 Dienstag, den 22. Januar
Eine fidele Strafanſtalt

21 Beamte von Sonnenburg auf der Anklagebank * Sträflinge als Zeugen * Einer, der ſeine Ruhe haben wollte

In Sonnenburg begann geſtern ein Pro-
zeß, wie er wohl vor deutſchen Gerichten
noch nicht ſtattgefunden hat. Angeklagt ſind
21 Beamte der Strafanſtalt Sonnenburg.

vom Inſpektor bis zum Hilfsbeamten.

Zeugen ſind die Inſaſſen des Zuchthauſes,
ſchwere Verbrecher, von denen viele zu le-
benslänglicher Strafe verurteilt ſind. Der
Prozeß wird unmögliche Zuſtände beleuch-
ten, die ſich durch viele Jahre in der Straf-
anſtalt entwickelt haben, bis ein neuer ener-
giſcher Direktor ihnen ein Ende machte. Die
Beamten ſind angeklagt teils des Diebſtahls,
teils der Hehlerei und der Verleitung zum
Meineide. Die Verhandlung findet vor dem
Großen Schöffengericht Küſtrin ſtatt und iſt
nach Sonnenburg in die Kirche des Zucht-
hauſes verlegt worden.

In der Strafanſtalt Sonnenburg hatten
ſich Zuſtände herausgebildet, mit denen das
fidele Gefängnis in der Fledermaus kaum
mitkommen kann. Es war ſchließlich eine
derartige

Korruption

und eine derartige Verbindung zwiſchen den
Sträflingen und Beamten zuſtande gekom-
men, daß man nicht mehr wußte, wer der
eigentliche Herr dieſer Strafanſtalt war. Im
Zuchthauſe werden ehemalige Heeresbeſtände
umgearbeitet und dann wieder verwertet.
Eine Firma Schwarzſchild übernimmt von
der Juſtizverwaltung dieſe Beſtände und läßt
ſie durch Zuchthaus-Inſaſſen umarbeiten.

Die Arbeit wird unter Aufſicht der Be-
amten gemacht. Wie dieſe Aufſicht durchge-
führt worden ſein muß, beweiſt, daß in
Sonnenburg ein ſchwunghafter Handel mit
Gegenſtänden aus dieſen Beſtänden getrie-
ben wurde. Ja, es ging ſo weit, das Zucht-
haus-Inſaſſen, und zwar ſolche, die zu lebens-
länglichem Zuchthaus verurteilt waren, aus
der Strafanſtalt heraus

Liebesgaben an ihre Angehörigen

nach Hauſe ſchicken konnten. Zwiſchen Be-
amten und Sträflingen herrſchte ein äußerſt
freundliches Verhältnis. Ein Reviſions-
beamter bemerkte einmal, als er das Zucht-
haus revidieren wollte, in einer in der Nähe
liegenden Kneipe zwei Aufſeher mit meh-
reren Zuchthäuslern, die ſangen und tranken.

Dieſe Zuſtände, erreichten aber ihren
Höhepunkt, als Max Hölz, der Kommu-
niſtenführer, nach Sonnenburg kam. Hölz,
deſſen Fall ja ganz abſonderlich lag, erhielt
ſo viele Begünſtigungen, daß die anderen
politiſchen Gefangenen Krach machten und
die gleichen Vergünſtigungen für ſich in An-
ſpruch nahmen. Als dann die Amneſtie der
politiſchen Verbrecher nicht ſchnell genug
vom Reichstag angenommen wurde, wurde
großer Krawall verübt.

Um ihrer Forderung auf Amneſtie Nach-
druck zu verleihen, begannen die politiſchen
Gefangenen einen

Hungerſtreik;

eine Reihe von kriminellen Strafgefangenen
ſchloſſen ſich ihnen an. Der Hungerſtreik
wurde beendet, als der Reichstag die Amne-
ſtie angenommen hatte. Jetzt ſetzte eine un-
geheure Enttäuſchung bei den anderen Ge-
ſangenen ein, denn dieſe Verbrecher waren
nicht amneſtiert worden. Es kam zu ſchweren
Ausſchreitungen, die ſich ſelbſt damit nicht
aus der Welt ſchaffen ließen, daß man den
Gefangenen nach Beendigung des Streiks
ſogar Zuſatznahrung gab.

In dieſer Zeit waren die Zuſtände in der
Strafanſtalt ſelbſt einigen Gefangenen zuviel
geworden. Man wird es kaum für möglich
halten, aber es iſt das Tollſte an der gan-
zen Groteske: ein zu 12 Jahren Zuchthaus
Verurteilter brachte es fertig, das Manu-
ſkript eines Artikels unbeobachtet aus dem
Zuchthaus zu bringen und

ſich im Sonnenburger Anzeiger über
dieſe Zuſtände zu beſchweren.

Der Mann ſagte, er habe zwölf Jahre abzu-
ſitzen — allerdings wie er glaubt, durch ein
Fehlurteil —, aber er verlangt, daß er Ruhe
bekäme. Dieſer Lärm und dieſer Krach, der
durch Hölz verurſacht wurde, laſſe ſich nicht
mit der ſtrengen Zuchthausordnung verein-
baren.

Er ſchreibt u. a.:

„Daß eine Strafanſtaltsdirektion dem
rowdiehaften Treiben einer Anzahl Ge-
ſangener nicht entgegenwirkt, daß ſie durch
ihre Paſſivität die Rädelsführer geradezu
aufmuntert, in ihrem zügelloſen Treiben
fortzufahren, wie ſie geduldig zuhört, wie
Staat, Volk, Beamte, Gefangene maßlos
beſchimpt werden, daß ſie ſich weigert, die
[Spaltenumbruch] geſetzwidrigen Zuſtände zu beſeitigen und
zu verhüten, das alles kann nicht zur Auf-
rechterhaltung der Zuchthausordnung, zur
geiſtigen und ſittlichen Hebung der Ge-
fangenen, zur Erziehung zu einem geord-
neten, geſetzmäßigen Leben dienen, wie es
ſo ſchön im § 5 der Dienſtpflichtordnung
heißt.“

Dieſer Schrei einer gequälten Gefangenen-
ſeele verhallte nicht ungehört. Es wurde
ein Wechſel in der Direktion der Anſtalt vor-
genommen, und nun hörte auf einmal das
gute Leben auf. Die Skandalſzenen, die ſich
jetzt abſpielten, waren ungeheuerlich. Man
hörte auf der Straße, wie Beamte, die über
den Hof gingen, vom Fenſter aus beſchimpft
wurden. Es wurde eine

reguläre Gegenoffenſive

gegen die neuen, ſcharfen Maßnahmen ein-
geleitet, aber die Direktion gab nicht nach.
[Spaltenumbruch] Die ganze Strenge der Hausordnung wurde
wieder eingeführt.

Da taten ſich die Gefangenen zuſammen
und verfaßten eine Liſte der „Strolche“, wie
ſie die Beamten nannten. Auf dieſer Liſte
ſtanden etwa 40 Beamte, und zwar diejeni-
gen, die jetzt beſonders ſtreng waren. Es
wurde behauptet, daß dieſe Beamten mit
dem ehemaligen Heeresgut Schiebungen un-
ternommen hätten. Hausſuchungen bei den
Beſchuldigten hatten aber keinerlei Ergebnis,
und als Belaſtungszeugen gab es nur die Ge-
fangenen, darunter ein halbes Dutzend Le-
benslänglicher, die zum Termin zur Verneh-
mung geführt wurden.

Nun ſteht dieſe Angelegenheit zur Ver-
handlung. Man hat damals die ſchwerſten
Verbrecher auf die verſchiedenen Strafanſtal-
ten im Lande verteilt. Jetzt rollen ſie von
überall heran, um Zeugnis gegen ihre
früheren Beamten abzulegen.



Berufungsverhandlung
im Langenbach-Prozeß

Um die Schuldfrage bei der Eiſenbahnkataſtrophe vom Auguſt 1926


Vor der 4. Straf-
kammer des Landgerichts München I be-
gann geſtern die Berufungsverhandlung im
Langenbach-Prozeß unter dem Vorſitz des
Landgerichtsdirektors Eibecker. Die Ver-
teidigung liegt in den Händen des Rechts-
anwalts Bandorf.

Die Vorgeſchichte dieſes Prozeſſes iſt
kurz folgende:

Am 12. Auguſt 1926 entgleiſte bei der
Durchfahrt durch die Station Langenbach
bei Freiſing der beſchleunigte Perſonenzug
Regensburg—München. Das Unglück for-
derte zwölf Tote und 98 Verletzte. Urſache
der Kataſtrophe war das Abſpringen einer
Schraubenzwinge, durch die anläßlich des
Weichenumbaues des Einfahrtsgleiſes eine
Weichenzunge befeſtigt war. Verantwortlich
war der Rottenführer Johann Förtſch.

Das Erweiterte Schöffengericht des Amts-
gerichts Freiſing verurteilte Förlſch am 10.
November 1927 nach dreitägiger Verhand-
lung wegen fahrläſſiger Tötung und fahr-
läſſiger Körperverletzung zu

ſechs Monaten Gefängnis.

Das Gericht erblickte die Fahrläſſigkeit darin,
daß Förtſch zur Befeſtigung der Weichen-
zunge nicht, wie ſonſt üblich, eine paſſende
Laſche verwendet hatte, ſondern die Schrau-
benſpindel, die als Sicherungsvorrichtung
noch nicht erprobt war. Zumindeſt hätte er
[Spaltenumbruch] wegen der Nichterprobung vorſichtig ſein
müſſen und den Zug nicht mit 75 Kilometer
Geſchwindigkeit die Stelle paſſieren laſſen
dürfen, alſo ein Langſamfahrtſignal aus-
ſtellen müſſen. Der Verurteilte legte Be-
rufung gegen dieſes Urteil ein.

Am 4. April 1928 erfolgte vor dem Land-
gericht München II

Freiſpruch

unter Aufhebung des Urteils erſter Jnſtanz.
In der Begründung hieß es: Das Anbrin-
gen der Zwinge ſei verfehlt und keine ge-
nügende Sicherheit geweſen, aber der An-
geklagte hätte doch der Meinung ſein kön-
nen, daß dieſe Sicherungsart den Zweck er-
fülle.

Am 12. Oktober 1928 hob das Reichs-
gericht dies freiſprechende Urteil auf und
verwies die Sache an das Landgericht Mün-
chen I mit der folgenden Begründung:

Die Freiſprechung ſei nicht ſchlüſſig
begründet worden,

namentlich ſei die Frage der Ausſtellung
eines Langſamfahrtſignals unentſchieden ge-
laſſen, weil nicht feſtgeſtellt wurde, inwie-
weit das Nichtausſtecken eines ſolchen Si-
gnals für das Unglück und ſeine Folgen ur-
ſächlich geweſen ſei. Die Rechtsgrundſätze
des urſächlichen Zuſammenhangs ſeien hier
verkannt worden.



König Galomons Lieblingsfrau

Entdedung der Grabſtätte * Das Hohe Lied der Gattentreue

[Spaltenumbruch]

„Daily Mail“ gibt eine Meldung des
ägyptiſchen Blattes „Al Mokattam“ wieder,
wonach in Jeruſalem eine Grabſtätte mit
der Mumie der ägyptiſchen Lieblingsfrau
des Königs Salomo entdeckt worden ſein
ſoll. Die Grabkammer ſoll

an Pracht die Tutanchamons noch
übertrefſen.

Sie ſei mit Gegenſtänden von wunderbarer
Schönheit und von großem Wert gefüllt.
Die Mumie liege in einem goldenen Sarge
und ſei in mit Edelſteinen verzierte Decken
gehüllt. An den Fingern trage ſie mehrere
Ringe, auf dem Kopf eine Krone mit
Saphiren, Smaragden und Perlen. Mit
der Mumie ſei eine hebräiſche Papyrus-
rolle begraben worden, die, wie man an-
nehme,

von Salomon ſelbſt geſchrieben

ſei und die Tugenden ſeiner Lieblingsfrau
rühme. Dem Papyrus zufolge iſt die Frau
Salomons, deren Mädchenname Moti Ma-
ris war und die aus Memphis ſtammte, im
36. Jahre ſeiner Herrſchaft geſtorben und
unter ihrem Palaſte begraben worden,
„nachdem ſie ſich für ihren Mann geopfert
hatte.“ Der Papyrus berichtet weiter, daß
König Salomo aus Liebe zu ihr in Aner-
kennung ihrer Treue und Selbſtaufopferung
ihr eigenhändig die herrlichen Krone aufs
Haupt geſetzt habe, die ihm von ſeinem
Volke am 25. Jahrestage ſeiner Thron-
beſteigung überreicht worden war. — Wei-
ter berichtet der Papyrus. Drei Monate vor
dem Tode der Lieblingsfrau ſei Amento,
der Vater der Frau Salomons, aus Aegyp-
ten gekommen, beladen mit Geſchenken, aber
in der geheimen Abſicht, Salomo vom
Throne zu ſtoßen und das Land im Namen
[Spaltenumbruch] des Königs von Aegypten in Beſitz zu neh-
men. Eines Tages erſuchte Amento um eine
Privatunterhaltung mit Salomo, nachdem
er vorher ſeiner Tochter Moti befohlen habe,

Salomon zu vergiften.

Der Papyrus ſchließt: Als Moti eintrat,
Becher und Wein tragend, argwöhnte ich
nicht Verrat, obwohl ich bemerkte, daß ſie
totenbleich war. Als Moti den Wein in die
Becher goß, bemerkte ich, daß Amento ſeine
Hand nicht nach ſeinem Becher ausſtreckte.
Trotzdem hob ich, noch immer ohne Arg-
wohn, den Becher an meine Lippen. In
dieſem Augenblick entriß mir Moti, die ne-
ben mir ſtand, den Becher und trank den
Wein ſelbſt. Einige Minuten blieb ſie ſtehen,
der Vater floh mit einem Schrei der Wut
aus dem Zimmer. Kurz darauf ſank Moti
ſterbend in meine Arme. Der tückiſche
Amento verſuchte, ſich zu vergiſten. Aber
ſeine Tochter Moti, meine geliebte Frau,
rettete mein Leben unter Aufopferung ihres
eigenen.



Kammerſpiele im Schauſpielhaus.

Am Mitt-
woch, den 23. Januar wird Karl Zuckmayers
Fröhlicher Weinberg“ mit Otto Framer
wieder in den Spielplan der Kammerſpiele auf-
genommen. Beginn 7½ Uhr. Das Stück wird
dann am Donnerstag, 24., Freitag, 25., und
Sonntag, 27. Januar, jeweils 7½ Uhr abends
wiederholt.

[Spaltenumbruch]
Deutsche Stunde in Bayern


Mittwoch, den 23. Januar 1929

6.45 Morgengymnaſtik.
12.55 Nürnberger Sendung: Mittagskonzert. Aus-
geführt mit Schallplatten im Muſikhaus
H. Bernhard, Nürnberg. Fürthorſtraße 35.
15.30 Gedichte von Rainer Maria Rilke. Geſpro-
chen von Albert Fiſchel (Staatstheater
München).
16.00 Unterhaltungskonzert des Kammerquarletts
Anny Roſenderger.
17.00 Kinderſtunde.
17.45 Jugendſtunde.
19.00 Das öſterreichiſche Burgenland. Vortrag v.
Landeshauptmann Ludwig Leſer.
19.30 Rheinlſcher Abend. Das Rundfunkorcheſter
unter Leitung von Kurt Paſtor. Mitwir-
kend Carlos Llach. Am Flügel: Richard
Staab.
21.00 Leſeſtunde.
21.30 Kammermuſikſtunde. Das Birkigt-Streich-
quartett.
22.30 Abendmeldungen. Anſchließend bis 24.00
Tanzmuſik Kapelle Max Müller (Köln).
Uebertragung a. d. Odeon-Kaſino, München.



Iſt der Traum ein Scheidungsgrund?

Wenn man im Schlafe ſpricht, kann das
bekanntlich recht peinlich werden, beſonders
wenn ein eiferſüchtiger Ehegatte ſchlaflos
lauſcht. Recht unerwünſchte Töne hörte ein
Bürger der Stadt Wentuky in Pennſylva-
nien namens Hermann Silbermann von
dem Bette ſeiner Gattin her. Die junge
Dame wiederholte in ihrem Schlaf mehrere
Male mit zärllichſter Stimme die Silbe
„Alph“ Da ein junger Herr, der Frau
Silbermann eifrig den Hof machte und auch
von ihr ſchon manche Gunſtbezeigung er-
halten hatte, auf dieſen Koſenamen hörte,
hielt der eiferſüchtige Ehemann die Schuld
ſeiner Frau für erwieſen, und beantragte
die Scheidung. Aber die amerikaniſchen
Richter waren nicht ſo hitzig wie der wut-
entbrannte Gatte. Sie erklärten, daß der
Traum kein genügender Beweis für einen
Ehemann ſei, und da ſich der jungen Frau
ſonſt nichts Schwerwiegendes nachweiſen
ließ, ſo wurde die Klage abgewieſen. Wie
die „Comoedie“ dazu bemerkt. iſt ein fran-
zöſiſches Gericht anderer Anſicht geweſen.
Es hat einmal eine Ehe geſchieden, weil der
Mann, der ſeine Frau offenſichtlich vernach-
läſſigte, im Schlaf die Namen mehrerer
Frauen ausſprach und dazu leidenſchaftliche
Liebkoſungen ſtammelte.



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[10/0010] „AZ am Abend“ Nr. 18 Dienstag, den 22. Januar Eine fidele Strafanſtalt 21 Beamte von Sonnenburg auf der Anklagebank * Sträflinge als Zeugen * Einer, der ſeine Ruhe haben wollte In Sonnenburg begann geſtern ein Pro- zeß, wie er wohl vor deutſchen Gerichten noch nicht ſtattgefunden hat. Angeklagt ſind 21 Beamte der Strafanſtalt Sonnenburg. vom Inſpektor bis zum Hilfsbeamten. Zeugen ſind die Inſaſſen des Zuchthauſes, ſchwere Verbrecher, von denen viele zu le- benslänglicher Strafe verurteilt ſind. Der Prozeß wird unmögliche Zuſtände beleuch- ten, die ſich durch viele Jahre in der Straf- anſtalt entwickelt haben, bis ein neuer ener- giſcher Direktor ihnen ein Ende machte. Die Beamten ſind angeklagt teils des Diebſtahls, teils der Hehlerei und der Verleitung zum Meineide. Die Verhandlung findet vor dem Großen Schöffengericht Küſtrin ſtatt und iſt nach Sonnenburg in die Kirche des Zucht- hauſes verlegt worden. In der Strafanſtalt Sonnenburg hatten ſich Zuſtände herausgebildet, mit denen das fidele Gefängnis in der Fledermaus kaum mitkommen kann. Es war ſchließlich eine derartige Korruption und eine derartige Verbindung zwiſchen den Sträflingen und Beamten zuſtande gekom- men, daß man nicht mehr wußte, wer der eigentliche Herr dieſer Strafanſtalt war. Im Zuchthauſe werden ehemalige Heeresbeſtände umgearbeitet und dann wieder verwertet. Eine Firma Schwarzſchild übernimmt von der Juſtizverwaltung dieſe Beſtände und läßt ſie durch Zuchthaus-Inſaſſen umarbeiten. Die Arbeit wird unter Aufſicht der Be- amten gemacht. Wie dieſe Aufſicht durchge- führt worden ſein muß, beweiſt, daß in Sonnenburg ein ſchwunghafter Handel mit Gegenſtänden aus dieſen Beſtänden getrie- ben wurde. Ja, es ging ſo weit, das Zucht- haus-Inſaſſen, und zwar ſolche, die zu lebens- länglichem Zuchthaus verurteilt waren, aus der Strafanſtalt heraus Liebesgaben an ihre Angehörigen nach Hauſe ſchicken konnten. Zwiſchen Be- amten und Sträflingen herrſchte ein äußerſt freundliches Verhältnis. Ein Reviſions- beamter bemerkte einmal, als er das Zucht- haus revidieren wollte, in einer in der Nähe liegenden Kneipe zwei Aufſeher mit meh- reren Zuchthäuslern, die ſangen und tranken. Dieſe Zuſtände, erreichten aber ihren Höhepunkt, als Max Hölz, der Kommu- niſtenführer, nach Sonnenburg kam. Hölz, deſſen Fall ja ganz abſonderlich lag, erhielt ſo viele Begünſtigungen, daß die anderen politiſchen Gefangenen Krach machten und die gleichen Vergünſtigungen für ſich in An- ſpruch nahmen. Als dann die Amneſtie der politiſchen Verbrecher nicht ſchnell genug vom Reichstag angenommen wurde, wurde großer Krawall verübt. Um ihrer Forderung auf Amneſtie Nach- druck zu verleihen, begannen die politiſchen Gefangenen einen Hungerſtreik; eine Reihe von kriminellen Strafgefangenen ſchloſſen ſich ihnen an. Der Hungerſtreik wurde beendet, als der Reichstag die Amne- ſtie angenommen hatte. Jetzt ſetzte eine un- geheure Enttäuſchung bei den anderen Ge- ſangenen ein, denn dieſe Verbrecher waren nicht amneſtiert worden. Es kam zu ſchweren Ausſchreitungen, die ſich ſelbſt damit nicht aus der Welt ſchaffen ließen, daß man den Gefangenen nach Beendigung des Streiks ſogar Zuſatznahrung gab. In dieſer Zeit waren die Zuſtände in der Strafanſtalt ſelbſt einigen Gefangenen zuviel geworden. Man wird es kaum für möglich halten, aber es iſt das Tollſte an der gan- zen Groteske: ein zu 12 Jahren Zuchthaus Verurteilter brachte es fertig, das Manu- ſkript eines Artikels unbeobachtet aus dem Zuchthaus zu bringen und ſich im Sonnenburger Anzeiger über dieſe Zuſtände zu beſchweren. Der Mann ſagte, er habe zwölf Jahre abzu- ſitzen — allerdings wie er glaubt, durch ein Fehlurteil —, aber er verlangt, daß er Ruhe bekäme. Dieſer Lärm und dieſer Krach, der durch Hölz verurſacht wurde, laſſe ſich nicht mit der ſtrengen Zuchthausordnung verein- baren. Er ſchreibt u. a.: „Daß eine Strafanſtaltsdirektion dem rowdiehaften Treiben einer Anzahl Ge- ſangener nicht entgegenwirkt, daß ſie durch ihre Paſſivität die Rädelsführer geradezu aufmuntert, in ihrem zügelloſen Treiben fortzufahren, wie ſie geduldig zuhört, wie Staat, Volk, Beamte, Gefangene maßlos beſchimpt werden, daß ſie ſich weigert, die geſetzwidrigen Zuſtände zu beſeitigen und zu verhüten, das alles kann nicht zur Auf- rechterhaltung der Zuchthausordnung, zur geiſtigen und ſittlichen Hebung der Ge- fangenen, zur Erziehung zu einem geord- neten, geſetzmäßigen Leben dienen, wie es ſo ſchön im § 5 der Dienſtpflichtordnung heißt.“ Dieſer Schrei einer gequälten Gefangenen- ſeele verhallte nicht ungehört. Es wurde ein Wechſel in der Direktion der Anſtalt vor- genommen, und nun hörte auf einmal das gute Leben auf. Die Skandalſzenen, die ſich jetzt abſpielten, waren ungeheuerlich. Man hörte auf der Straße, wie Beamte, die über den Hof gingen, vom Fenſter aus beſchimpft wurden. Es wurde eine reguläre Gegenoffenſive gegen die neuen, ſcharfen Maßnahmen ein- geleitet, aber die Direktion gab nicht nach. Die ganze Strenge der Hausordnung wurde wieder eingeführt. Da taten ſich die Gefangenen zuſammen und verfaßten eine Liſte der „Strolche“, wie ſie die Beamten nannten. Auf dieſer Liſte ſtanden etwa 40 Beamte, und zwar diejeni- gen, die jetzt beſonders ſtreng waren. Es wurde behauptet, daß dieſe Beamten mit dem ehemaligen Heeresgut Schiebungen un- ternommen hätten. Hausſuchungen bei den Beſchuldigten hatten aber keinerlei Ergebnis, und als Belaſtungszeugen gab es nur die Ge- fangenen, darunter ein halbes Dutzend Le- benslänglicher, die zum Termin zur Verneh- mung geführt wurden. Nun ſteht dieſe Angelegenheit zur Ver- handlung. Man hat damals die ſchwerſten Verbrecher auf die verſchiedenen Strafanſtal- ten im Lande verteilt. Jetzt rollen ſie von überall heran, um Zeugnis gegen ihre früheren Beamten abzulegen. Berufungsverhandlung im Langenbach-Prozeß Um die Schuldfrage bei der Eiſenbahnkataſtrophe vom Auguſt 1926 München, 21. Januar. Vor der 4. Straf- kammer des Landgerichts München I be- gann geſtern die Berufungsverhandlung im Langenbach-Prozeß unter dem Vorſitz des Landgerichtsdirektors Eibecker. Die Ver- teidigung liegt in den Händen des Rechts- anwalts Bandorf. Die Vorgeſchichte dieſes Prozeſſes iſt kurz folgende: Am 12. Auguſt 1926 entgleiſte bei der Durchfahrt durch die Station Langenbach bei Freiſing der beſchleunigte Perſonenzug Regensburg—München. Das Unglück for- derte zwölf Tote und 98 Verletzte. Urſache der Kataſtrophe war das Abſpringen einer Schraubenzwinge, durch die anläßlich des Weichenumbaues des Einfahrtsgleiſes eine Weichenzunge befeſtigt war. Verantwortlich war der Rottenführer Johann Förtſch. Das Erweiterte Schöffengericht des Amts- gerichts Freiſing verurteilte Förlſch am 10. November 1927 nach dreitägiger Verhand- lung wegen fahrläſſiger Tötung und fahr- läſſiger Körperverletzung zu ſechs Monaten Gefängnis. Das Gericht erblickte die Fahrläſſigkeit darin, daß Förtſch zur Befeſtigung der Weichen- zunge nicht, wie ſonſt üblich, eine paſſende Laſche verwendet hatte, ſondern die Schrau- benſpindel, die als Sicherungsvorrichtung noch nicht erprobt war. Zumindeſt hätte er wegen der Nichterprobung vorſichtig ſein müſſen und den Zug nicht mit 75 Kilometer Geſchwindigkeit die Stelle paſſieren laſſen dürfen, alſo ein Langſamfahrtſignal aus- ſtellen müſſen. Der Verurteilte legte Be- rufung gegen dieſes Urteil ein. Am 4. April 1928 erfolgte vor dem Land- gericht München II Freiſpruch unter Aufhebung des Urteils erſter Jnſtanz. In der Begründung hieß es: Das Anbrin- gen der Zwinge ſei verfehlt und keine ge- nügende Sicherheit geweſen, aber der An- geklagte hätte doch der Meinung ſein kön- nen, daß dieſe Sicherungsart den Zweck er- fülle. Am 12. Oktober 1928 hob das Reichs- gericht dies freiſprechende Urteil auf und verwies die Sache an das Landgericht Mün- chen I mit der folgenden Begründung: Die Freiſprechung ſei nicht ſchlüſſig begründet worden, namentlich ſei die Frage der Ausſtellung eines Langſamfahrtſignals unentſchieden ge- laſſen, weil nicht feſtgeſtellt wurde, inwie- weit das Nichtausſtecken eines ſolchen Si- gnals für das Unglück und ſeine Folgen ur- ſächlich geweſen ſei. Die Rechtsgrundſätze des urſächlichen Zuſammenhangs ſeien hier verkannt worden. König Galomons Lieblingsfrau Entdedung der Grabſtätte * Das Hohe Lied der Gattentreue „Daily Mail“ gibt eine Meldung des ägyptiſchen Blattes „Al Mokattam“ wieder, wonach in Jeruſalem eine Grabſtätte mit der Mumie der ägyptiſchen Lieblingsfrau des Königs Salomo entdeckt worden ſein ſoll. Die Grabkammer ſoll an Pracht die Tutanchamons noch übertrefſen. Sie ſei mit Gegenſtänden von wunderbarer Schönheit und von großem Wert gefüllt. Die Mumie liege in einem goldenen Sarge und ſei in mit Edelſteinen verzierte Decken gehüllt. An den Fingern trage ſie mehrere Ringe, auf dem Kopf eine Krone mit Saphiren, Smaragden und Perlen. Mit der Mumie ſei eine hebräiſche Papyrus- rolle begraben worden, die, wie man an- nehme, von Salomon ſelbſt geſchrieben ſei und die Tugenden ſeiner Lieblingsfrau rühme. Dem Papyrus zufolge iſt die Frau Salomons, deren Mädchenname Moti Ma- ris war und die aus Memphis ſtammte, im 36. Jahre ſeiner Herrſchaft geſtorben und unter ihrem Palaſte begraben worden, „nachdem ſie ſich für ihren Mann geopfert hatte.“ Der Papyrus berichtet weiter, daß König Salomo aus Liebe zu ihr in Aner- kennung ihrer Treue und Selbſtaufopferung ihr eigenhändig die herrlichen Krone aufs Haupt geſetzt habe, die ihm von ſeinem Volke am 25. Jahrestage ſeiner Thron- beſteigung überreicht worden war. — Wei- ter berichtet der Papyrus. Drei Monate vor dem Tode der Lieblingsfrau ſei Amento, der Vater der Frau Salomons, aus Aegyp- ten gekommen, beladen mit Geſchenken, aber in der geheimen Abſicht, Salomo vom Throne zu ſtoßen und das Land im Namen des Königs von Aegypten in Beſitz zu neh- men. Eines Tages erſuchte Amento um eine Privatunterhaltung mit Salomo, nachdem er vorher ſeiner Tochter Moti befohlen habe, Salomon zu vergiften. Der Papyrus ſchließt: Als Moti eintrat, Becher und Wein tragend, argwöhnte ich nicht Verrat, obwohl ich bemerkte, daß ſie totenbleich war. Als Moti den Wein in die Becher goß, bemerkte ich, daß Amento ſeine Hand nicht nach ſeinem Becher ausſtreckte. Trotzdem hob ich, noch immer ohne Arg- wohn, den Becher an meine Lippen. In dieſem Augenblick entriß mir Moti, die ne- ben mir ſtand, den Becher und trank den Wein ſelbſt. Einige Minuten blieb ſie ſtehen, der Vater floh mit einem Schrei der Wut aus dem Zimmer. Kurz darauf ſank Moti ſterbend in meine Arme. Der tückiſche Amento verſuchte, ſich zu vergiſten. Aber ſeine Tochter Moti, meine geliebte Frau, rettete mein Leben unter Aufopferung ihres eigenen. Kammerſpiele im Schauſpielhaus. Am Mitt- woch, den 23. Januar wird Karl Zuckmayers „Fröhlicher Weinberg“ mit Otto Framer wieder in den Spielplan der Kammerſpiele auf- genommen. Beginn 7½ Uhr. Das Stück wird dann am Donnerstag, 24., Freitag, 25., und Sonntag, 27. Januar, jeweils 7½ Uhr abends wiederholt. Deutsche Stunde in Bayern Mittwoch, den 23. Januar 1929 6.45 Morgengymnaſtik. 12.55 Nürnberger Sendung: Mittagskonzert. Aus- geführt mit Schallplatten im Muſikhaus H. Bernhard, Nürnberg. Fürthorſtraße 35. 15.30 Gedichte von Rainer Maria Rilke. Geſpro- chen von Albert Fiſchel (Staatstheater München). 16.00 Unterhaltungskonzert des Kammerquarletts Anny Roſenderger. 17.00 Kinderſtunde. 17.45 Jugendſtunde. 19.00 Das öſterreichiſche Burgenland. Vortrag v. Landeshauptmann Ludwig Leſer. 19.30 Rheinlſcher Abend. Das Rundfunkorcheſter unter Leitung von Kurt Paſtor. Mitwir- kend Carlos Llach. Am Flügel: Richard Staab. 21.00 Leſeſtunde. 21.30 Kammermuſikſtunde. Das Birkigt-Streich- quartett. 22.30 Abendmeldungen. Anſchließend bis 24.00 Tanzmuſik Kapelle Max Müller (Köln). Uebertragung a. d. Odeon-Kaſino, München. Iſt der Traum ein Scheidungsgrund? Wenn man im Schlafe ſpricht, kann das bekanntlich recht peinlich werden, beſonders wenn ein eiferſüchtiger Ehegatte ſchlaflos lauſcht. Recht unerwünſchte Töne hörte ein Bürger der Stadt Wentuky in Pennſylva- nien namens Hermann Silbermann von dem Bette ſeiner Gattin her. Die junge Dame wiederholte in ihrem Schlaf mehrere Male mit zärllichſter Stimme die Silbe „Alph“ Da ein junger Herr, der Frau Silbermann eifrig den Hof machte und auch von ihr ſchon manche Gunſtbezeigung er- halten hatte, auf dieſen Koſenamen hörte, hielt der eiferſüchtige Ehemann die Schuld ſeiner Frau für erwieſen, und beantragte die Scheidung. Aber die amerikaniſchen Richter waren nicht ſo hitzig wie der wut- entbrannte Gatte. Sie erklärten, daß der Traum kein genügender Beweis für einen Ehemann ſei, und da ſich der jungen Frau ſonſt nichts Schwerwiegendes nachweiſen ließ, ſo wurde die Klage abgewieſen. Wie die „Comoedie“ dazu bemerkt. iſt ein fran- zöſiſches Gericht anderer Anſicht geweſen. Es hat einmal eine Ehe geſchieden, weil der Mann, der ſeine Frau offenſichtlich vernach- läſſigte, im Schlaf die Namen mehrerer Frauen ausſprach und dazu leidenſchaftliche Liebkoſungen ſtammelte. _

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 22. Januar 1929, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine18_1929/10>, abgerufen am 23.11.2024.