Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 22. Januar 1929.Gotthold Ephraim Lessing zu seinem 200. Geburtstag [Abbildung]
Der große deutsche Denker Am 15. Februar 1781 erlöste der Tod [Abbildung]
[Abbildung]
Unsere Bilder: Anekdotisches über Lessing. An einem Wintertage ging Lessing mit "Das ist ganz einfach", [Abbildung]
Lessings Haupthaar war Ein berühmter Zeitgenosse unserer Klassiker, Anton Graff [Abbildung]
Lessing war weder "Niemals habe ich Folgendes Geschicht- "Jä, jä, smöten (!) un schriewen (schreiben) konne hei (er) Auf einer Reise von Hamburg nach Wolfenbüttel nahm "Wenn er aber fürchten muß, es am Galgen zu sehen?" [Abbildung]
Das fast vollendete Die Katze hatte einige Gotthold Ephraim Leſſing zu ſeinem 200. Geburtstag [Abbildung]
Der große deutſche Denker Am 15. Februar 1781 erlöſte der Tod [Abbildung]
[Abbildung]
Unſere Bilder: Anekdotiſches über Leſſing. An einem Wintertage ging Leſſing mit „Das iſt ganz einfach“, [Abbildung]
Leſſings Haupthaar war Ein berühmter Zeitgenoſſe unſerer Klaſſiker, Anton Graff [Abbildung]
Leſſing war weder „Niemals habe ich Folgendes Geſchicht- „Jä, jä, ſmöten (!) un ſchriewen (ſchreiben) konne hei (er) Auf einer Reiſe von Hamburg nach Wolfenbüttel nahm „Wenn er aber fürchten muß, es am Galgen zu ſehen?“ [Abbildung]
Das faſt vollendete Die Katze hatte einige <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0011"/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <head>Gotthold Ephraim Leſſing<lb/> zu ſeinem 200. Geburtstag</head><lb/> <figure/> <div type="jArticle" n="2"><lb/> <p>Der große deutſche Denker<lb/> und Dichter Gotthold<lb/> Ephraim Leſſing erblickte<lb/> am 22. Januar 1729 als älteſter von<lb/> 10 Söhnen des Gelehrten und frommen<lb/> Diakons Johann Gottfried Leſſing in<lb/> dem kleinen Städtchen Kamenz in der<lb/> Oberlauſitz das Licht der Welt. Früh<lb/> ſchon entwickelte ſich in dem aufge-<lb/> weckten und begabten Knaben ein aus-<lb/> geſprochener Hang zu Büchern und zur<lb/> Gelehrſamkeit, und als er, dreizehn-<lb/> jährig, in die Fürſtenſchule zu Meißen<lb/> eintrat, beſchäftigte er ſich in der<lb/> freien Zeit die die Anforderungen der<lb/> Schule ihm ließ, aus eigenem Antriebe<lb/> mit Mathematik, alter und neuer<lb/> Literatur und Philoſophie. Mit<lb/> 17 Jahren bezog er 1746 die Univerſi-<lb/> tät Leipzig, um auf Wunſch ſeiner<lb/> Eltern Theologie zu ſtudieren. Mehr<lb/> Befriedigung als die Gottesgelehrt-<lb/> heit aber gewährten dem jungen Stu-<lb/> dioſen die Vorleſungen über Philo-<lb/> ſophie, Sprachen und Literatur, denen<lb/> er ſich mit ſo großem Eifer widmete,<lb/> daß das Brotſtudium darüber zu kurz<lb/> kam. Die größte Anziehungskraft<lb/> Leipzigs aber bildete für den jungen<lb/> Leſſing das Theater, das damals unter<lb/> der Leitung der Schauſpielerin Karoline<lb/> Neuber auf einer achtbaren Höhe<lb/> ſtand. In jenen Jahren ſchrieb<lb/> Leſſing — neben vielen kleineren literariſchen Verſuchen — ſein<lb/> erſtes größeres Luſtſpiel „Der junge Gelehrte“, das von der<lb/> Neuberſchen Truppe mit großem Erfolg aufgeführt wurde.<lb/> Allein Leſſings Tage in Leipzig waren gezählt. Seine Eltern,<lb/> durch übertriebene Gerüchte über einen wilden und unmora-<lb/> liſchen Lebenswandel des Sohnes erſchreckt, beriefen<lb/> ihn 1747 nach Hauſe, wo ſie ſich zwar überzeugen<lb/> konnten, daß der Charakter des Jünglings rein<lb/> und unverdorben geblieben war, gleichzeitig<lb/> aber einſehen mußten, daß Leſſing zum Stu-<lb/> dium der Theologie wenig tauge. So<lb/> willigten ſie denn ein, daß er fortan Philo-<lb/> logie und Medizin ſtudierte, eine Zu-<lb/> ſammenſtellung, die zu jener Zeit nichts<lb/> Außergewöhnliches war. Wieder ging<lb/> der junge Leſſing nach Leipzig, allein<lb/> ſein diesmaliger Aufenthalt ſollte nur<lb/> von kurzer Dauer ſein. Unvorſichtiger-<lb/> weiſe hatte er ſich dazu verleiten laſſen,<lb/> für einige Schauſpieler der Neuberſchen<lb/> Truppe Bürgſchaft zu leiſten, eines<lb/> Tages war die Neuberin mit den ihren auf<lb/> und davon nach Wien gezogen, und Leſſing<lb/> ſah ſich den drängenden Forderungen der<lb/> Gläubiger gegenübergeſtellt. Um ſeinen Ver-<lb/> pflichtungen nachkommen zu können, blieb ihm<lb/> nichts anderes übrig, als mit dem Gelde, das ihm für<lb/> ſeine Univerſitätsſtudien zur Verfügung ſtand, die Schulden zu<lb/> tilgen, ſich ſelbſt aber einen praktiſchen Broterwerb zu ſuchen.<lb/> Er entſchſtloß ſich, nach Berlin zu gehen, wo ſein Leipziger<lb/> Freund Mylius, der inzwiſchen Redakteur der damaligen<lb/> „Rüdigerſchen (ſpäteren „Voſſiſchen“) Zeitung“ geworden war,<lb/> ihm eine Stellung im Feuilleton der gleichen Zeitung ver-<lb/> ſchaffte. In den Berliner Jahren ſchrieb Leſſing neben zahl-<lb/> reichen Kritiken, Abhandlungen und Ueberſetzungen, das Trauer-<lb/> ſpiel „Miß Sara Sampſon“, ein Stück, das als die erſte bahn-<lb/> brechende bürgerliche Tragödie der deutſchen Literatur anzuſehen<lb/> iſt. Mit der Tradition, die es verbot, andere als adlige Per-<lb/> ſonen auf der Bühne als Helden erſcheinen zu laſſen, hat der<lb/><cb/> Dichter in ſeinem Werk gründlich aufgeräumt. „Miß Sara Sampſon“ wurde im<lb/> Herbſt 1755 in Leipzig von der Truppe des Leſſing befreundeten Schauſpielers Koch zum<lb/> erſten Male, aufgeführt. Der Dichter, der kurz vorher ohne Wiſſen ſeiner Berliner<lb/> Freunde nach Leipzig gekommen war, lernte hier einen reichen jungen Patrizier kennen,<lb/> der ihm anbot, mit ihm als Reiſebegleiter eine dreijährige Fahrt durch Europa zu<lb/> unternehmen. Als aber die Reiſenden in Holland waren, machte der Ausbruch des ſieben-<lb/> jährigen Krieges allen weiteren Plänen ein Ende. Sie kehrten nach Leipzig zurück und<lb/> Leſſing ſah ſich aufs neue in die Notwendigkeit verſetzt, mit der Feder ſein Brot zu er-<lb/> werben. 1758 ſehen wir<lb/> ihn wieder als Schrift-<lb/> ſteller in Berlin, von wo<lb/> er nach 3½ Jahren als<lb/> Gouvernementsſekretär des<lb/> Generals von Tauentzien<lb/> nach Breslau geht. Dort<lb/> widmet er ſich in den<lb/> nächſten fünf Jahren dem<lb/> Staatsdienſt und ſchrieb<lb/> nebenbei den „Laokoon“<lb/> und die „Minna von Barn-<lb/> heim“, das klaſſiſche Luſt-<lb/> viel der Deutſchen, das<lb/> heute noch ebenſo lobens-<lb/> ſprudelnd und reizvoll<lb/> wirkt, wie zu Lebzeiten<lb/> des Dichters. 1766 gab<lb/> Leſſing Veruf und Wohnſitz<lb/> in Breslau auf, um nach<lb/> kurzem Aufenthalte in<lb/> Berlin einem Rufe als<lb/> Dramaturg und Kritiker<lb/> an ein Hamburger The-<lb/> ater Folge zu leiſten.<lb/> Seine während der dor-<lb/> tigen Wirkſamkeit ver-<lb/> faßten Kritiken und Stu-<lb/> dien zur Theatergeſchichte<lb/> veröffentlichte er als Ge-<lb/> ſamtwerk unter dem Titel<lb/> „Hamburgiſche Drama-<lb/> turgie.“ Vierzigjährig<lb/> verlobte er ſich mit Eva<lb/> König, der Witwe eines<lb/> langjährigen Freundes,<lb/> des Hamburger Kauf-<lb/> manns König. Aber erſt<lb/> mehrere Jahre ſpäter, als<lb/> ſeine Verhältniſſe ſich<lb/> geklärt hatten und eine<lb/> Stellung als Bibliothekar<lb/> an der herzoglich braunſchweigiſchen Bibliothek in Wolfsbüttel<lb/> ihm ein geſichertes, wenn auch äußerſt beſcheidenes Einkommen<lb/> verſchaffte, konnte er ſeine Braut heimführen. Mehrfache, von<lb/> zahlreichen Freunden unterſtützte Beſtrebungen, von Friedrich<lb/> dem Großen einen Bibliothekspoſten zu erhalten, waren an der<lb/> durch Voltaires Beeinfluſſung hervorgerufenen<lb/> ungerechtfertigten Abneigung des Königs<lb/> gegen Leſſing, geſcheitert und äußerſt de-<lb/> mütigend mußte es für dieſen ſein,<lb/> einen ganz unbedeutenden Franzoſen<lb/> mit dem von ihm ſelber gewünſchten<lb/> Poſten betraut zu ſehen. Dennoch<lb/> ſind dieſe Jahre der Unſicherheit<lb/> vor der Gründung eines eigenen<lb/> Heims fruchtbar an ſchöpferiſcher<lb/> Arbeit für den Dichter, die Ent-<lb/> ſtehung ſeiner Tragödie „Emilia<lb/> Galotti“, ſowie zahlreicher litera-<lb/> riſcher und philoſophiſcher Ab-<lb/> handlungen und Aufſätze fällt in<lb/> dieſe Zeit. An der Seite ſeiner<lb/> Gattin war Leſſing nur ein kurzes<lb/> Jahr des Glückes beſchieden, dann<lb/> ſtarb Eva an der Geburt eines Sohnes,<lb/> der 24 Stunden, nachdem er das Licht der<lb/> Welt erblickt hatte, ſeiner Mutter bereits im<lb/> Tode vorangegangen war. Die letzten Jahre<lb/> ſeines Lebens verbrachte der Dichter als ein<lb/> einſamer Mann, der bei zunehmender<lb/> Kränklichkeit ſeine ganze ihm noch ver-<lb/> bleibende Kraft ausſchließlich in den Dienſt<lb/> ſeiner Arbeit ſtellte. Seine bekannten<lb/> ſcharfen theologiſchen und philoſophiſchen<lb/> Streitſchriften ſind in dieſer Zeit entſtanden.<lb/> Er ſchuf aber auch „Nathan der Weiſe“, die<lb/> reifſte Frucht eines von raſtloſem Kampfe<lb/> um das Edle und Gute erfüllten Lebens.</p><lb/> <p>Am 15. Februar 1781 erlöſte der Tod<lb/> Leſſing, den Menſchen, deſſen Leben zwar<lb/> arm an Freuden geweſen war, deſſen<lb/> Geiſt aber der Welt ſeltene und koſtbare<lb/> Gaben aus der Fülle ſeines Reichtums<lb/> geſpendet hat.</p><lb/> <byline>Dr. Anna Jobs.</byline><lb/> <figure/> <figure> <p>Unſere Bilder:<lb/> Links oben: Minna von Barnhelm, 1. Akt. 2. Auftritt;<lb/> Juſt: „Herr Wirt, er iſt doch ein Grobian“ — Rechts<lb/> oben: 2. Aufzug, 7. Auftritt; Minna: „Ich hab’ ihn, ich<lb/> hab’ ihn, ich bin glücklich und fröhlich!“ (Illuſtrationen<lb/> von Chodowiecki, 1770.) — Mitte: Leſſing, im Alter von<lb/> 40 Jahren. — Links unten: Leſſing, zur Zeit, da er die<lb/> Minna von Barnhelm ſchrieb. (Zeichnungen nach alten<lb/> Stichen.) — Rechts Mitte: Leſſings Frau Eva Katerina,<lb/> geb. Hahn. (Nach einem alten Oelgemälde.) — Mitte<lb/> unten: Leſſings Geburtshaus- in Kamenz.</p> </figure> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Anekdotiſches über Leſſing.</hi> </head><lb/> <p>An einem Wintertage ging Leſſing mit<lb/> einem Bekannten über Land. Beide Herren<lb/> kamen an einer Anhöhe vorbei, auf der ein Galgen ſtand. Ein<lb/> Gerichteter hing, von Krähen umſchwärmt, daran. — Der<lb/> Begleiter ſagte zu Leſſing: „Herr Hofrat, machen Sie<lb/><cb/> doch einmal ſchnell einen<lb/> Grabſpruch auf das arme<lb/> Sünderlein da oben!“</p><lb/> <p>„Das iſt ganz einfach“,<lb/> entgegnete Leſſing, „ſagen<lb/> wir: Hier ruht er, wenn<lb/> der Wind nicht weht!“</p><lb/> <figure/> <p>Leſſings Haupthaar war<lb/> außerordentlich voll und<lb/> kräftig entwickelt. Des-<lb/> halb trug der Dichter ſel-<lb/> ten eine Perücke, ſondern<lb/> ließ ſein eigenes Haar nach der<lb/> damals herrſchenden Mode fri-<lb/> ſieren. Dieſer Gewohnheit ver-<lb/> dankte der Dichter, als er in Hamburg<lb/> als Bräutigam weilte, ſeine Rettung aus Lebensgefahr. Leſſing<lb/> war bei einer Kahnpartie in die Alſter gefallen und wurde von<lb/> ſeinem Retter im letzten Augenblick beim Haarbeutel gepackt, der<lb/> feſtgewachſen war.</p><lb/> <p>Ein berühmter Zeitgenoſſe unſerer Klaſſiker, Anton <hi rendition="#g">Graff</hi><lb/> (1736—1813) malte auch Leſſing. Das am beſten erhaltene und<lb/> auch wohl wertvollſte Graffſche Leſſingporträt iſt das ſogen. Ham-<lb/> burger. Als Leſſing das fertige Bild erblickte, ſoll er ausgerufen<lb/> haben: „Sehe ich denn ſo — verteufelt freundlich aus?“</p><lb/> <figure/> <p>Leſſing war weder<lb/> Raucher noch Schnupfer;<lb/> er unterließ es aber<lb/> ſelten, namentlich wenn<lb/> der Halberſtädter „Papa<lb/> Gleim“, der berühmte<lb/> Dichter und Kanoni-<lb/> kus, ein Hauptſchmöker,<lb/> anweſend war, „kalt“<lb/> mitzurauchen. Anwe-<lb/> ſende Gäſte beluſtigte<lb/> dieſe Gewohnheit des<lb/> Dichters.</p><lb/> <p>„Niemals habe ich<lb/> während meiner Man-<lb/> nesjahre geraucht,<lb/> meine Herrſchaften,“<lb/> ſagte Leſſing eines<lb/> Tages, „bloß einige<lb/> Male auf der Schule;<lb/> aber nur deshalb,<lb/> weil es ſo ſtreng ver-<lb/> boten war!“</p><lb/> <p>Folgendes Geſchicht-<lb/> chen ſei bei dieſer<lb/> Gelegenheit noch erwähnt: Einſt erbat ſich der Bibliothekar<lb/><hi rendition="#g">Ebert</hi> in Wolfenbüttel angeregt durch die Worte Goethes, daß<lb/> alle oder doch viele bedeutende Männer, darunter auch Leſſing<lb/> Nichtraucher oder Tabakfeinde geweſen wären, von der alten<lb/> Aufwärterin Leſſings genaue Auskunft über einige Lebens-<lb/> gewohnheiten des „Herrn Hofrates“. Ebert erhielt jedoch von<lb/> der mürriſchen, altersſchwachen Perſon folgende Antwort in<lb/> breitem Braunſchweiger Platt, die des Humors nicht entbehrt:</p><lb/> <p>„Jä, jä, ſmöten (!) un ſchriewen (ſchreiben) konne hei (er)<lb/> woll! Aber tau weiter was hei nich tau bruken!“ (Zu Beſſerem<lb/> war er nicht zu gebrauchen.)</p><lb/> <p>Auf einer Reiſe von Hamburg nach Wolfenbüttel nahm<lb/> Leſſing in einem Landſtädtchen Aufenthalt, wo auch eine wan-<lb/> dernde Komödiantentruppe mit ihrem Theſpiskarren eingezogen<lb/> war. Die „Palmarumbrüder“, ſo nannte man in alter Zeit in<lb/> Niederſachſen die wandernden Schauſpieler, erfuhren von der<lb/> Anweſenheit des großen „Komödiendichters“ und ſetzten ſchleu-<lb/> nigſt in ihrem primitiven Theaterſaal „Minna von Barnhelm“<lb/> dem Publikum vor. Leſſing wurde von einem Freunde gut zu-<lb/> geredet, der Vorſtellung beizuwohnen. „Welcher Vater ſieht nicht<lb/> gern ſein Kind wieder, wo es auch ſei!“</p><lb/> <p>„Wenn er aber fürchten muß, es am Galgen zu ſehen?“<lb/> entgegnete Leſſing.</p><lb/> <figure/> <p>Das faſt vollendete<lb/> „Nathan“ - Manuſkript<lb/> beſchmutzte einſt das<lb/> kranke Kätzchen des<lb/> Dichters. Für die große<lb/> Tierliebe Leſſings ſpricht<lb/> der Umſtand, daß das<lb/> Tier mit keiner Züch-<lb/> tigung bedacht wurde,<lb/> ſondern ſofort in liebe-<lb/> volle Behandlung kam.</p><lb/> <p>Die Katze hatte einige<lb/> Szenen des „Nathan“<lb/> derartig verunreinigt,<lb/> daß Leſſing ſich der<lb/> mühevollen Arbeit des<lb/> Abſchreibens unterziehen<lb/> mußte. Dieſe Tätigkeit<lb/> unterbrach der Dichter<lb/> mehrfach und nahm das erkrankte Kätzchen in Augenſchein.<lb/> Auch ſorgte er für ein gutes Lager und brachte dem vier-<lb/> füßigen Patienten Milch.</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [0011]
Gotthold Ephraim Leſſing
zu ſeinem 200. Geburtstag
[Abbildung]
Der große deutſche Denker
und Dichter Gotthold
Ephraim Leſſing erblickte
am 22. Januar 1729 als älteſter von
10 Söhnen des Gelehrten und frommen
Diakons Johann Gottfried Leſſing in
dem kleinen Städtchen Kamenz in der
Oberlauſitz das Licht der Welt. Früh
ſchon entwickelte ſich in dem aufge-
weckten und begabten Knaben ein aus-
geſprochener Hang zu Büchern und zur
Gelehrſamkeit, und als er, dreizehn-
jährig, in die Fürſtenſchule zu Meißen
eintrat, beſchäftigte er ſich in der
freien Zeit die die Anforderungen der
Schule ihm ließ, aus eigenem Antriebe
mit Mathematik, alter und neuer
Literatur und Philoſophie. Mit
17 Jahren bezog er 1746 die Univerſi-
tät Leipzig, um auf Wunſch ſeiner
Eltern Theologie zu ſtudieren. Mehr
Befriedigung als die Gottesgelehrt-
heit aber gewährten dem jungen Stu-
dioſen die Vorleſungen über Philo-
ſophie, Sprachen und Literatur, denen
er ſich mit ſo großem Eifer widmete,
daß das Brotſtudium darüber zu kurz
kam. Die größte Anziehungskraft
Leipzigs aber bildete für den jungen
Leſſing das Theater, das damals unter
der Leitung der Schauſpielerin Karoline
Neuber auf einer achtbaren Höhe
ſtand. In jenen Jahren ſchrieb
Leſſing — neben vielen kleineren literariſchen Verſuchen — ſein
erſtes größeres Luſtſpiel „Der junge Gelehrte“, das von der
Neuberſchen Truppe mit großem Erfolg aufgeführt wurde.
Allein Leſſings Tage in Leipzig waren gezählt. Seine Eltern,
durch übertriebene Gerüchte über einen wilden und unmora-
liſchen Lebenswandel des Sohnes erſchreckt, beriefen
ihn 1747 nach Hauſe, wo ſie ſich zwar überzeugen
konnten, daß der Charakter des Jünglings rein
und unverdorben geblieben war, gleichzeitig
aber einſehen mußten, daß Leſſing zum Stu-
dium der Theologie wenig tauge. So
willigten ſie denn ein, daß er fortan Philo-
logie und Medizin ſtudierte, eine Zu-
ſammenſtellung, die zu jener Zeit nichts
Außergewöhnliches war. Wieder ging
der junge Leſſing nach Leipzig, allein
ſein diesmaliger Aufenthalt ſollte nur
von kurzer Dauer ſein. Unvorſichtiger-
weiſe hatte er ſich dazu verleiten laſſen,
für einige Schauſpieler der Neuberſchen
Truppe Bürgſchaft zu leiſten, eines
Tages war die Neuberin mit den ihren auf
und davon nach Wien gezogen, und Leſſing
ſah ſich den drängenden Forderungen der
Gläubiger gegenübergeſtellt. Um ſeinen Ver-
pflichtungen nachkommen zu können, blieb ihm
nichts anderes übrig, als mit dem Gelde, das ihm für
ſeine Univerſitätsſtudien zur Verfügung ſtand, die Schulden zu
tilgen, ſich ſelbſt aber einen praktiſchen Broterwerb zu ſuchen.
Er entſchſtloß ſich, nach Berlin zu gehen, wo ſein Leipziger
Freund Mylius, der inzwiſchen Redakteur der damaligen
„Rüdigerſchen (ſpäteren „Voſſiſchen“) Zeitung“ geworden war,
ihm eine Stellung im Feuilleton der gleichen Zeitung ver-
ſchaffte. In den Berliner Jahren ſchrieb Leſſing neben zahl-
reichen Kritiken, Abhandlungen und Ueberſetzungen, das Trauer-
ſpiel „Miß Sara Sampſon“, ein Stück, das als die erſte bahn-
brechende bürgerliche Tragödie der deutſchen Literatur anzuſehen
iſt. Mit der Tradition, die es verbot, andere als adlige Per-
ſonen auf der Bühne als Helden erſcheinen zu laſſen, hat der
Dichter in ſeinem Werk gründlich aufgeräumt. „Miß Sara Sampſon“ wurde im
Herbſt 1755 in Leipzig von der Truppe des Leſſing befreundeten Schauſpielers Koch zum
erſten Male, aufgeführt. Der Dichter, der kurz vorher ohne Wiſſen ſeiner Berliner
Freunde nach Leipzig gekommen war, lernte hier einen reichen jungen Patrizier kennen,
der ihm anbot, mit ihm als Reiſebegleiter eine dreijährige Fahrt durch Europa zu
unternehmen. Als aber die Reiſenden in Holland waren, machte der Ausbruch des ſieben-
jährigen Krieges allen weiteren Plänen ein Ende. Sie kehrten nach Leipzig zurück und
Leſſing ſah ſich aufs neue in die Notwendigkeit verſetzt, mit der Feder ſein Brot zu er-
werben. 1758 ſehen wir
ihn wieder als Schrift-
ſteller in Berlin, von wo
er nach 3½ Jahren als
Gouvernementsſekretär des
Generals von Tauentzien
nach Breslau geht. Dort
widmet er ſich in den
nächſten fünf Jahren dem
Staatsdienſt und ſchrieb
nebenbei den „Laokoon“
und die „Minna von Barn-
heim“, das klaſſiſche Luſt-
viel der Deutſchen, das
heute noch ebenſo lobens-
ſprudelnd und reizvoll
wirkt, wie zu Lebzeiten
des Dichters. 1766 gab
Leſſing Veruf und Wohnſitz
in Breslau auf, um nach
kurzem Aufenthalte in
Berlin einem Rufe als
Dramaturg und Kritiker
an ein Hamburger The-
ater Folge zu leiſten.
Seine während der dor-
tigen Wirkſamkeit ver-
faßten Kritiken und Stu-
dien zur Theatergeſchichte
veröffentlichte er als Ge-
ſamtwerk unter dem Titel
„Hamburgiſche Drama-
turgie.“ Vierzigjährig
verlobte er ſich mit Eva
König, der Witwe eines
langjährigen Freundes,
des Hamburger Kauf-
manns König. Aber erſt
mehrere Jahre ſpäter, als
ſeine Verhältniſſe ſich
geklärt hatten und eine
Stellung als Bibliothekar
an der herzoglich braunſchweigiſchen Bibliothek in Wolfsbüttel
ihm ein geſichertes, wenn auch äußerſt beſcheidenes Einkommen
verſchaffte, konnte er ſeine Braut heimführen. Mehrfache, von
zahlreichen Freunden unterſtützte Beſtrebungen, von Friedrich
dem Großen einen Bibliothekspoſten zu erhalten, waren an der
durch Voltaires Beeinfluſſung hervorgerufenen
ungerechtfertigten Abneigung des Königs
gegen Leſſing, geſcheitert und äußerſt de-
mütigend mußte es für dieſen ſein,
einen ganz unbedeutenden Franzoſen
mit dem von ihm ſelber gewünſchten
Poſten betraut zu ſehen. Dennoch
ſind dieſe Jahre der Unſicherheit
vor der Gründung eines eigenen
Heims fruchtbar an ſchöpferiſcher
Arbeit für den Dichter, die Ent-
ſtehung ſeiner Tragödie „Emilia
Galotti“, ſowie zahlreicher litera-
riſcher und philoſophiſcher Ab-
handlungen und Aufſätze fällt in
dieſe Zeit. An der Seite ſeiner
Gattin war Leſſing nur ein kurzes
Jahr des Glückes beſchieden, dann
ſtarb Eva an der Geburt eines Sohnes,
der 24 Stunden, nachdem er das Licht der
Welt erblickt hatte, ſeiner Mutter bereits im
Tode vorangegangen war. Die letzten Jahre
ſeines Lebens verbrachte der Dichter als ein
einſamer Mann, der bei zunehmender
Kränklichkeit ſeine ganze ihm noch ver-
bleibende Kraft ausſchließlich in den Dienſt
ſeiner Arbeit ſtellte. Seine bekannten
ſcharfen theologiſchen und philoſophiſchen
Streitſchriften ſind in dieſer Zeit entſtanden.
Er ſchuf aber auch „Nathan der Weiſe“, die
reifſte Frucht eines von raſtloſem Kampfe
um das Edle und Gute erfüllten Lebens.
Am 15. Februar 1781 erlöſte der Tod
Leſſing, den Menſchen, deſſen Leben zwar
arm an Freuden geweſen war, deſſen
Geiſt aber der Welt ſeltene und koſtbare
Gaben aus der Fülle ſeines Reichtums
geſpendet hat.
Dr. Anna Jobs.
[Abbildung]
[Abbildung Unſere Bilder:
Links oben: Minna von Barnhelm, 1. Akt. 2. Auftritt;
Juſt: „Herr Wirt, er iſt doch ein Grobian“ — Rechts
oben: 2. Aufzug, 7. Auftritt; Minna: „Ich hab’ ihn, ich
hab’ ihn, ich bin glücklich und fröhlich!“ (Illuſtrationen
von Chodowiecki, 1770.) — Mitte: Leſſing, im Alter von
40 Jahren. — Links unten: Leſſing, zur Zeit, da er die
Minna von Barnhelm ſchrieb. (Zeichnungen nach alten
Stichen.) — Rechts Mitte: Leſſings Frau Eva Katerina,
geb. Hahn. (Nach einem alten Oelgemälde.) — Mitte
unten: Leſſings Geburtshaus- in Kamenz.]
Anekdotiſches über Leſſing.
An einem Wintertage ging Leſſing mit
einem Bekannten über Land. Beide Herren
kamen an einer Anhöhe vorbei, auf der ein Galgen ſtand. Ein
Gerichteter hing, von Krähen umſchwärmt, daran. — Der
Begleiter ſagte zu Leſſing: „Herr Hofrat, machen Sie
doch einmal ſchnell einen
Grabſpruch auf das arme
Sünderlein da oben!“
„Das iſt ganz einfach“,
entgegnete Leſſing, „ſagen
wir: Hier ruht er, wenn
der Wind nicht weht!“
[Abbildung]
Leſſings Haupthaar war
außerordentlich voll und
kräftig entwickelt. Des-
halb trug der Dichter ſel-
ten eine Perücke, ſondern
ließ ſein eigenes Haar nach der
damals herrſchenden Mode fri-
ſieren. Dieſer Gewohnheit ver-
dankte der Dichter, als er in Hamburg
als Bräutigam weilte, ſeine Rettung aus Lebensgefahr. Leſſing
war bei einer Kahnpartie in die Alſter gefallen und wurde von
ſeinem Retter im letzten Augenblick beim Haarbeutel gepackt, der
feſtgewachſen war.
Ein berühmter Zeitgenoſſe unſerer Klaſſiker, Anton Graff
(1736—1813) malte auch Leſſing. Das am beſten erhaltene und
auch wohl wertvollſte Graffſche Leſſingporträt iſt das ſogen. Ham-
burger. Als Leſſing das fertige Bild erblickte, ſoll er ausgerufen
haben: „Sehe ich denn ſo — verteufelt freundlich aus?“
[Abbildung]
Leſſing war weder
Raucher noch Schnupfer;
er unterließ es aber
ſelten, namentlich wenn
der Halberſtädter „Papa
Gleim“, der berühmte
Dichter und Kanoni-
kus, ein Hauptſchmöker,
anweſend war, „kalt“
mitzurauchen. Anwe-
ſende Gäſte beluſtigte
dieſe Gewohnheit des
Dichters.
„Niemals habe ich
während meiner Man-
nesjahre geraucht,
meine Herrſchaften,“
ſagte Leſſing eines
Tages, „bloß einige
Male auf der Schule;
aber nur deshalb,
weil es ſo ſtreng ver-
boten war!“
Folgendes Geſchicht-
chen ſei bei dieſer
Gelegenheit noch erwähnt: Einſt erbat ſich der Bibliothekar
Ebert in Wolfenbüttel angeregt durch die Worte Goethes, daß
alle oder doch viele bedeutende Männer, darunter auch Leſſing
Nichtraucher oder Tabakfeinde geweſen wären, von der alten
Aufwärterin Leſſings genaue Auskunft über einige Lebens-
gewohnheiten des „Herrn Hofrates“. Ebert erhielt jedoch von
der mürriſchen, altersſchwachen Perſon folgende Antwort in
breitem Braunſchweiger Platt, die des Humors nicht entbehrt:
„Jä, jä, ſmöten (!) un ſchriewen (ſchreiben) konne hei (er)
woll! Aber tau weiter was hei nich tau bruken!“ (Zu Beſſerem
war er nicht zu gebrauchen.)
Auf einer Reiſe von Hamburg nach Wolfenbüttel nahm
Leſſing in einem Landſtädtchen Aufenthalt, wo auch eine wan-
dernde Komödiantentruppe mit ihrem Theſpiskarren eingezogen
war. Die „Palmarumbrüder“, ſo nannte man in alter Zeit in
Niederſachſen die wandernden Schauſpieler, erfuhren von der
Anweſenheit des großen „Komödiendichters“ und ſetzten ſchleu-
nigſt in ihrem primitiven Theaterſaal „Minna von Barnhelm“
dem Publikum vor. Leſſing wurde von einem Freunde gut zu-
geredet, der Vorſtellung beizuwohnen. „Welcher Vater ſieht nicht
gern ſein Kind wieder, wo es auch ſei!“
„Wenn er aber fürchten muß, es am Galgen zu ſehen?“
entgegnete Leſſing.
[Abbildung]
Das faſt vollendete
„Nathan“ - Manuſkript
beſchmutzte einſt das
kranke Kätzchen des
Dichters. Für die große
Tierliebe Leſſings ſpricht
der Umſtand, daß das
Tier mit keiner Züch-
tigung bedacht wurde,
ſondern ſofort in liebe-
volle Behandlung kam.
Die Katze hatte einige
Szenen des „Nathan“
derartig verunreinigt,
daß Leſſing ſich der
mühevollen Arbeit des
Abſchreibens unterziehen
mußte. Dieſe Tätigkeit
unterbrach der Dichter
mehrfach und nahm das erkrankte Kätzchen in Augenſchein.
Auch ſorgte er für ein gutes Lager und brachte dem vier-
füßigen Patienten Milch.
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(2023-01-02T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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