Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 23. Mai 1920.Allgemeine Zeitung 23. Mai 1920 [Spaltenumbruch]
Fuhr er prophetisch fort, wird er weit heftiger Und schob nur etwas auf, das, wenn man zärtlich liebt, [irrelevantes Material]
Allgemeine Zeitung 23. Mai 1920 [Spaltenumbruch]
Fuhr er prophetiſch fort, wird er weit heftiger Und ſchob nur etwas auf, das, wenn man zärtlich liebt, [irrelevantes Material]
<TEI> <text> <body> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div xml:id="a01a" next="#a01b" type="jArticle" n="2"> <pb facs="#f0010" n="196"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 23. Mai 1920</fw><lb/> <cb/> <p>Fuhr er prophetiſch fort, wird er weit heftiger<lb/> In den geſchwollnen Adern ſchlagen.<lb/> Und jetzt, ſprach er, halt ich für gut,<lb/> Und ſprachs in jenem Ton, der den verlornen Mut<lb/> Bei Kranken wiederbringt, mit freundſchaftlichen Küſſen<lb/> Das jungfräuliche Winterblut<lb/> Vor allen Dingen zu verſüßen.<lb/> Für eine feurige Natur<lb/> Iſt dies die beſte Frühlingskur,<lb/> Wie wir aus der Erfahrung wiſſen. —<lb/> „Ich folge gern, rief das geliebte Kind,<lb/> Und fühle wirklich ſchon die Süßigkeit gelind<lb/> Mit jedem Kuß durch meine Adern fließen“ —<lb/> Sie wiederholten oft der Liebe Kinderſpiel,<lb/> Das beiden Teilen wohlgefiel:<lb/> Die Alte nur fing an den Kopf dabei zu ſchütteln.<lb/> „Eh ich noch völlig mündig war“<lb/> Murrt ſie vor ſich, „genoß ich zwar<lb/> „Auch dann und wann von dieſen ſüßen Mitteln:<lb/> Allein wenn ich mich recht beſinnen kann,<lb/> War etwas anders ſchuld daran.<lb/> Doch wie man manchmal lieſt, hat alles ſich verwandelt.<lb/> Ein jedes Jahr hat eine neue Kur,<lb/> Und ſonſten brauchten Mörder nur<lb/> Den Schirlingsſaft, den itzt der Arzt verhandelt.“<lb/> Das junge Paar fuhr fort in beſter Eintracht froh<lb/> Zu küſſen, er — und ſie — dafür zu danken:<lb/> Und wie der erſte Tag entfloh,<lb/> Verging der andere auch — Doch fingen ſchon der Kranken<lb/> Am dritten an die Knie zu wanken.<lb/> Der Puls ſchlug heftiger, ſobald der Ritter kam<lb/> Und ſtockte, wenn er Abſchied nahm.<lb/> Dann jagten Wünſche ſich mit ſchreckenden Gedanken.<lb/> Die Langeweile zwar beſchleunigte die Nacht:<lb/> Doch ſeufzend ward ſie hingebracht:<lb/> Matt ſtand ſie auf. — Mit ſchmachtenden Gebärden<lb/> Erzählte ſie der Alten ihre Not<lb/> Und ſprach am vierten Tag, um widerlegt zu werden,<lb/> Mit ſüßem Lächeln von dem Tod.<lb/> Die Alte ließ an ſie, weil doch einmal die Mütter<lb/> Viel weiter als die Töchter ſehn,<lb/> Erfahrungsvoll viel Tröſtliches ergeh’n. —<lb/> „Mein Kind, ſprach ſie, der Tod iſt bitter.<lb/> Sie werden, — laſſen Sie den Ritter<lb/> Das Seinige nur tun — es beſſer überſteh’n,<lb/> Als ſich jetzt denken läßt.“ — Zum Glücke<lb/> Trat auch, indem ſie ſprach, der junge Arzt herein<lb/> Und mit ihm Troſt und Ruhe. Sein Kuß und ſeine Blicke<lb/> Verbreiteten (ſo wie geſchwinder Sonnenſchein<lb/> Ein Schimmern übers Meer) auf Karolinens Wangen<lb/> Ein Lächeln, wie man nur in einer Brautnacht ſieht.<lb/> Das von dem Herzen ausgegangen,<lb/> Sich auf das Herz zurückezieht,<lb/> Und unſerm jungen Herrn ein feuriges Verlangen<lb/> Nach ihm, als nach dem Tod verriet.<lb/> Der Ritter zitterte, und wär dem keuſchen Orden<lb/> Beinah ſchon untreu geworden. —<lb/> Wenn ich Deutſchmeiſter wär’, hätt’ ich’s wohl verdacht?<lb/> Die Liebe hat ſchon mehr Meineidige gemacht,<lb/> Die dennoch zu Kapitel gehen:<lb/> Denn, würde jeder abgeſetzt,<lb/> Der dieſe ſtrenge Pflicht verletzt,<lb/> So würden weit und breit die Lehen<lb/> Des deutſchen Reiches offen ſtehen.<lb/> Ach wider eines Mädchen Reiz<lb/> Hilft weder Fürſtenhut noch Kreuz! —<lb/> Und dennoch hielt der junge Herr noch lange<lb/> Sein Herz, ſo ſehr es auch nach der Vollendung ſchlug,<lb/> In jenem ungeduld’gen Zwange,<lb/> Den nie vor ihm ein deutſcher Herr ertrug.<lb/> Zwar überließ er noch den unzufried’nen Sinnen<lb/> So manche ſchon erlangte kleine Luſt<lb/> Auf Karolinens Mund und Bruſt<lb/> Wenn’s möglich wär, noch einmal zu gewinnen,</p><lb/> <cb/> <p>Und ſchob nur etwas auf, das, wenn man zärtlich liebt,<lb/> Man ungern einen Tag verſchiebt.<lb/> So überließ Columb ermüdeten Begleitern<lb/> Von ſeiner Tapferkeit das ſchon entdeckte Land:<lb/> Voll Ahndungen, mit ſieggewohnter Hand<lb/> Sein ſeltnes Glück noch zu erweitern,<lb/> Schifft er in Ruhe fort, und überſchifft den Strand,<lb/> Wo Helden ohne Vorſicht ſcheitern. —<lb/> Der Schönen ward, nach Sonnenuntergang,<lb/> Wo ſie ihr Freund verließ, die Zeit gewaltig lang.<lb/> Sie ſank verlaſſen und entkräftet<lb/> Auf einen alten Lehnſtuhl hin,<lb/> Und hatte voller Eigenſinn<lb/> Die Augen auf die Wand geheftet;<lb/> „Ach!“ ſeufzte ſie mit krankem Ton,<lb/> „Ich werde mich bald legen müſſen!<lb/> So ausgebreitet fühl’ ich ſchon<lb/> Die Wirkungen von ſeinen Küſſen<lb/> Durch alle meine Adern fließen:<lb/> Drum gute Mutter haltet nur<lb/> Ein friſchgemachtes Bette fertig,</p> </div><lb/> <div type="jAn" n="2"> <gap reason="insignificant"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [196/0010]
Allgemeine Zeitung 23. Mai 1920
Fuhr er prophetiſch fort, wird er weit heftiger
In den geſchwollnen Adern ſchlagen.
Und jetzt, ſprach er, halt ich für gut,
Und ſprachs in jenem Ton, der den verlornen Mut
Bei Kranken wiederbringt, mit freundſchaftlichen Küſſen
Das jungfräuliche Winterblut
Vor allen Dingen zu verſüßen.
Für eine feurige Natur
Iſt dies die beſte Frühlingskur,
Wie wir aus der Erfahrung wiſſen. —
„Ich folge gern, rief das geliebte Kind,
Und fühle wirklich ſchon die Süßigkeit gelind
Mit jedem Kuß durch meine Adern fließen“ —
Sie wiederholten oft der Liebe Kinderſpiel,
Das beiden Teilen wohlgefiel:
Die Alte nur fing an den Kopf dabei zu ſchütteln.
„Eh ich noch völlig mündig war“
Murrt ſie vor ſich, „genoß ich zwar
„Auch dann und wann von dieſen ſüßen Mitteln:
Allein wenn ich mich recht beſinnen kann,
War etwas anders ſchuld daran.
Doch wie man manchmal lieſt, hat alles ſich verwandelt.
Ein jedes Jahr hat eine neue Kur,
Und ſonſten brauchten Mörder nur
Den Schirlingsſaft, den itzt der Arzt verhandelt.“
Das junge Paar fuhr fort in beſter Eintracht froh
Zu küſſen, er — und ſie — dafür zu danken:
Und wie der erſte Tag entfloh,
Verging der andere auch — Doch fingen ſchon der Kranken
Am dritten an die Knie zu wanken.
Der Puls ſchlug heftiger, ſobald der Ritter kam
Und ſtockte, wenn er Abſchied nahm.
Dann jagten Wünſche ſich mit ſchreckenden Gedanken.
Die Langeweile zwar beſchleunigte die Nacht:
Doch ſeufzend ward ſie hingebracht:
Matt ſtand ſie auf. — Mit ſchmachtenden Gebärden
Erzählte ſie der Alten ihre Not
Und ſprach am vierten Tag, um widerlegt zu werden,
Mit ſüßem Lächeln von dem Tod.
Die Alte ließ an ſie, weil doch einmal die Mütter
Viel weiter als die Töchter ſehn,
Erfahrungsvoll viel Tröſtliches ergeh’n. —
„Mein Kind, ſprach ſie, der Tod iſt bitter.
Sie werden, — laſſen Sie den Ritter
Das Seinige nur tun — es beſſer überſteh’n,
Als ſich jetzt denken läßt.“ — Zum Glücke
Trat auch, indem ſie ſprach, der junge Arzt herein
Und mit ihm Troſt und Ruhe. Sein Kuß und ſeine Blicke
Verbreiteten (ſo wie geſchwinder Sonnenſchein
Ein Schimmern übers Meer) auf Karolinens Wangen
Ein Lächeln, wie man nur in einer Brautnacht ſieht.
Das von dem Herzen ausgegangen,
Sich auf das Herz zurückezieht,
Und unſerm jungen Herrn ein feuriges Verlangen
Nach ihm, als nach dem Tod verriet.
Der Ritter zitterte, und wär dem keuſchen Orden
Beinah ſchon untreu geworden. —
Wenn ich Deutſchmeiſter wär’, hätt’ ich’s wohl verdacht?
Die Liebe hat ſchon mehr Meineidige gemacht,
Die dennoch zu Kapitel gehen:
Denn, würde jeder abgeſetzt,
Der dieſe ſtrenge Pflicht verletzt,
So würden weit und breit die Lehen
Des deutſchen Reiches offen ſtehen.
Ach wider eines Mädchen Reiz
Hilft weder Fürſtenhut noch Kreuz! —
Und dennoch hielt der junge Herr noch lange
Sein Herz, ſo ſehr es auch nach der Vollendung ſchlug,
In jenem ungeduld’gen Zwange,
Den nie vor ihm ein deutſcher Herr ertrug.
Zwar überließ er noch den unzufried’nen Sinnen
So manche ſchon erlangte kleine Luſt
Auf Karolinens Mund und Bruſt
Wenn’s möglich wär, noch einmal zu gewinnen,
Und ſchob nur etwas auf, das, wenn man zärtlich liebt,
Man ungern einen Tag verſchiebt.
So überließ Columb ermüdeten Begleitern
Von ſeiner Tapferkeit das ſchon entdeckte Land:
Voll Ahndungen, mit ſieggewohnter Hand
Sein ſeltnes Glück noch zu erweitern,
Schifft er in Ruhe fort, und überſchifft den Strand,
Wo Helden ohne Vorſicht ſcheitern. —
Der Schönen ward, nach Sonnenuntergang,
Wo ſie ihr Freund verließ, die Zeit gewaltig lang.
Sie ſank verlaſſen und entkräftet
Auf einen alten Lehnſtuhl hin,
Und hatte voller Eigenſinn
Die Augen auf die Wand geheftet;
„Ach!“ ſeufzte ſie mit krankem Ton,
„Ich werde mich bald legen müſſen!
So ausgebreitet fühl’ ich ſchon
Die Wirkungen von ſeinen Küſſen
Durch alle meine Adern fließen:
Drum gute Mutter haltet nur
Ein friſchgemachtes Bette fertig,
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(2023-04-24T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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