Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 23. Mai 1920.23. Mai 1920 Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
Punkte wegsetzte und dort, wo es glaubte, eine diplomatische Dieses Vorgehen war ebenso zweckmäßig, wie eine direkte Das Konsulat in Uljasutai war, als ich es zum ersten Male Herr Xionin ließ fünf oder sechs Vertreter der größten chine- Baues zu leisten. Bei ihrer offiziellen Beschwerde im russischen Man stelle sich nun die Lage der russischen Konsuln in der 23. Mai 1920 Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
Punkte wegſetzte und dort, wo es glaubte, eine diplomatiſche Dieſes Vorgehen war ebenſo zweckmäßig, wie eine direkte Das Konſulat in Uljaſutai war, als ich es zum erſten Male Herr Xionin ließ fünf oder ſechs Vertreter der größten chine- Baues zu leiſten. Bei ihrer offiziellen Beſchwerde im ruſſiſchen Man ſtelle ſich nun die Lage der ruſſiſchen Konſuln in der <TEI> <text> <body> <div type="jVarious" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <floatingText> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0007" n="193"/> <fw place="top" type="header">23. Mai 1920 <hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi></fw><lb/> <cb/> <p>Punkte wegſetzte und dort, wo es glaubte, eine diplomatiſche<lb/> Vertretung zu benötigen, dieſe einfach einführte, ohne ſich um<lb/> den Widerſpruch der lokalen chineſiſchen Behörden und des Aus-<lb/> wärtigen Amtes in Peking zu kümmern. „Hier ſind wir und<lb/> hier bleiben wir“ war ihre Deviſe, und ſie blieben. Den Chineſen<lb/> wurde es allmählich bei dieſem Vorgehen ungemütlich, und ſie<lb/> kündigten den abgelaufenen Ilivertrag genau zu der vorge-<lb/> ſehenen Friſt und weigerten ſich, auf eine Erneuerung desſelben<lb/> einzugehen. Aber die ruſſiſchen Diplomaten wußten ſich zu<lb/> helfen. Prompt erneuerten ſie ihrerſeits einſeitig den Vertrag<lb/> im Jahre 1911, ohne ſich um den Widerſpruch der Chineſen zu<lb/> kümmern, um weitere zehn Jahre. <hi rendition="#aq">„Right or wrong my<lb/> country“</hi> war hier die Loſung, und der einſeitig erneuerte Ili-<lb/> vertrag bleib einſtweilen, durch vorgeſchobene Koſakenregimen-<lb/> ter kräftig unterſtützt, beſtehen, bis ein neuer Handelsvertrag<lb/> zuſtande kam, ohne daß die anderen intereſſierten Mächte es<lb/> gewagt hätten, dagegen zu opponieren. 1905 eröffneten die Ruſ-<lb/> ſen ihr Konſulat im Uljaſutai unter Konſul Boleyſchew. Hierzu<lb/> gehörte der Uljaſutai-, der Kobdo- und Uranchai-Bezirk. 1912<lb/> wurde der Kobdo-Bezirk abgetrennt und in Kobdo ſelbſt von<lb/> Generalkonſul Luba, dem bald der Konſul Kusminſki folgte, das<lb/> neue Konſulat eröffnet. Ebenſo eröffnete Luba unter Bedeckung<lb/> von 25 Koſaken das Konſulat von Charuſum<hi rendition="#aq">è</hi>, auf der Karte<lb/> Tulta genannt.</p><lb/> <p>Dieſes Vorgehen war ebenſo zweckmäßig, wie eine direkte<lb/> Vertragsverletzung und Vergewaltigung. Urga iſt das Zentrum<lb/> der mongoliſchen Politik und des Handels der äußeren Mon-<lb/> golei, rings umgeben von einer ſich intenſio ausbreitenden chine-<lb/> ſiſchen Koloniſation. Uljaſutai in ſeiner politiſchen Lage nicht<lb/> ſo günſtig wie Urga, da heute nach der Vertreibung der Chineſen,<lb/> die einflußreichſte Perſönlichkeit in der Mongolei, Dſalchenſen-<lb/> Gegen, in ſeinem Kloſter 300 Werſt von Uljaſutai lebt. Der neue<lb/> Gouverneur, der heute an Stelle von Zezen-Beeſe, der ins<lb/> Finanzminiſterium berufen wurde, in Uljaſutai reſidiert, wird<lb/> wohl ſchwerlich viel Selbſtändigkeit entwickeln. Kobdo iſt zer-<lb/> ſtört, und die paar ruſſiſchen Händler werden ſich wohl kaum<lb/> dort aufhalten. Der Konſul lebt einſtweilen mit ſeinen 500<lb/> Koſaken in Zelten und Jurten, bis die neue Stadt gebaut oder<lb/> die alte zerſtörte Stadt wieder hergeſtellt worden iſt. Seine<lb/> politiſche Tätigkeit ſcheint ſich darauf beſchränken zu wollen, die<lb/> Chineſen an einem nochmaligen Eindringen in den Kobdo-Bezirk<lb/> zu hindern. Charuſum<hi rendition="#aq">è</hi> (Tulta) iſt heute eigentlich der wichtigſte<lb/> Punkt in dieſer Gegend. Hier ſitzt der Herzog Palta-Wan, der<lb/> treu mit dem geſamten Altai-Bezirk bei den Chineſen aushält.<lb/> Die Tätigkeit des Konſuls beſchränkt ſich auch dort auf ein<lb/> Beobachten der politiſchen und militäriſchen Vorgänge in Charu-<lb/> ſum<hi rendition="#aq">è</hi> und Umgebung, da die drei oder vier noch lebenden ruſ-<lb/> ſiſchen Untertanen eines Konſulats für ihren Handel wohl kaum<lb/> bedürfen.</p><lb/> <p>Das Konſulat in Uljaſutai war, als ich es zum erſten Male<lb/> ſah, eine ſchmutzige chineſiſche Fanſa mit Papierfenſtern. Konſul<lb/> Volbyſchew ſelbſt lebte einige Jahre ſogar in einer mongoliſchen<lb/> Jurte und wurde von der chineſiſchen Behörde in Uljaſutai nicht<lb/> anerkannt. Ein ſolches Wohnen des Konſuls trug gerade nicht<lb/> zur Vermehrung des ruſſiſchen Anſehens bei den Chineſen bei.<lb/> Schließlich war denn auch die Bedürfnisfrage brennend gewor-<lb/> den, aber die Duma hatte noch keine Zeit gefunden, die Gelder<lb/> zum Umbau reſp. Neubau des Konſulats Uljaſutai zu bewilligen.<lb/> Da griff der Konſulatsſekretär Xionin kurz vor der Urlaubs-<lb/> reiſe des Konſuls Walter zu folgenden Mitteln.</p><lb/> <p>Herr Xionin ließ fünf oder ſechs Vertreter der größten chine-<lb/> ſiſchen Firmen zu ſich rufen und bat ſie, da das Konſulatsgebäude<lb/> doch das Eigentum eines Chineſen ſei, die nötige Summe für<lb/> den Umbau vorzuſchießen. Die Chineſen erbaten ſich einen Tag<lb/> Bedenkzeit, darauf erklärten ſie dem Konſulatsſekretär, ſie wür-<lb/> den die verlangte Summe vorſchießen, wenn er ſich verpflichtete,<lb/> ſie im Uranchai-Bezirk, wo dieſe Chineſen mit Hunderttauſenden<lb/> Lans intereſſiert wären, zu ſchützen, und die Plünderung ihrer<lb/> Läden dort zu verhindern, was Xionin auch verſprach. Die<lb/> Chineſen garantierten daraufhin die Bauſumme und zahlten dieſe<lb/> ratenweiſe ein. Trotzdem plünderten die Mongolen die Läden<lb/> der betreffenden Firmen im Uranchai-Bezirk, ohne daß die<lb/> Chineſen bei dem Herrn Xionin die verſprochene Hilfe fanden.<lb/> Sie verloren ihr Vermögen und waren ſchließlich auch noch ver-<lb/> pflichtet, die letzten Ratenzahlungen zur Fertigſtellung des</p><lb/> <cb/> <p>Baues zu leiſten. Bei ihrer offiziellen Beſchwerde im ruſſiſchen<lb/> Konſulat wurden ſie einfach aus dem Konſulat verwieſen. Mein<lb/> Gewährsmann mußte, um überhaupt zahlen zu können, ſein<lb/> Brennholz — Brennholz beſitzt in Uljaſutai während der Win-<lb/> terzeit ſehr großen Wert — verkaufen. Als aber die Uranſchaizen<lb/> auch die Ruſſen bedrohten, nachdem ſie den chineſiſchen Handel<lb/> glücklich zur ſtillen Freude des ruſſiſchen Konſulatsſekretärs ver-<lb/> nichtet hatten, wurden von Herrn Xionin vier Koſaken abge-<lb/> ſchickt, die ohne Widerſtand der Mongolen die überlebenden chine-<lb/> ſiſchen Angeſtellten jener Firmen, die zum Ausbau des Konſu-<lb/> lats Geld beigeſteuert hatten, über die ruſſiſche Grenze geleiteten.<lb/> Das Konſulatsgebäude war bei unſerer Ankunft in Uljaſutai<lb/> beinahe fertig, und Herr Xionin fuhr nach den Anſtrengungen<lb/> der diplomatiſchen Kampagne nach Südfrankreich, um ſich dort<lb/> auf ſein diplomatiſches Examen vorzubereiten. Hinter ihm her<lb/> ſchalten die Verwünſchungen der ausgeplünderten und ruinierten<lb/> chineſiſchen Kaufleute. Aber trotz alledem kann man dem Mann<lb/> in ſeinem fanatiſchen Haß gegen alles nicht rein Nationalruſſiſche,<lb/> obwohl ſelber ein Fremdſtämmiger, wegen ſeiner aufs Prak-<lb/> tiſche aufgebauten Politik eine gewiſſe Anerkennung nicht ver-<lb/> ſagen. Die Tätigkeit der ruſſiſchen Konſuln in der Mongolei be-<lb/> ſtand lange Zeit einfach darin, daß ſie mit mehr oder weniger<lb/> Energie und perſönlichem Intereſſe auf die Einhaltung der Ver-<lb/> träge achteten. Dazu gehörte eben keine beſondere Diplomatie.<lb/> Sie fußten, durch die ganze Organiſation des Konſulatsdienſtes<lb/> veranlaßt, auf dem Vergangenen, und beſchränkten ſich darauf,<lb/> den etwa einlaufenden Klagen der ruſſiſchen Untertanen ſo gut<lb/> es ging abzuhelfen. Die geſchickten chineſiſchen Diplomaten<lb/> nutzten ſelbſtverſtändlich ein ſolches Verhalten der Konſulats-<lb/> behörden gründlich aus, die ruſſiſchen Händler verſuchten trotz<lb/> aller Schikanen der Chineſen ihre Ziel auf hundert krummen<lb/> Wegen zu erreichen, und ſeit langer Zeit war eine allgemeine<lb/> Spannung durch den vollſtändigen Niedergang des ruſſiſchen<lb/> Handels eingetreten, die ſchließlich zur Kataſtrophe führen mußte.<lb/> Die ruſſiſchen Konſuln der jüngeren Generation richteten Note<lb/> auf Note an ihren Geſandten nach Peking oder an ihre Regie-<lb/> rung nach Petersburg. China aber kümmerte ſich wenig um<lb/> all dieſe papiernen Drohungen, war doch das Anſehen Rußlands<lb/> durch den ruſſiſch-japaniſchen Krieg bei der gelben Raſſe ſtark<lb/> geſunken.</p><lb/> <p>Man ſtelle ſich nun die Lage der ruſſiſchen Konſuln in der<lb/> äußeren Mongolei vor. Bis vor kurzem in ſchlechten Gebäuden<lb/> untergebracht, nur mit ſolchen Möbeln verſehen, die ſie hier und<lb/> da von einem chineſiſchen Großkaufmann, der ihnen zum Dank<lb/> verpflichtet war, geſchenkt erhalten oder von chineſiſchen Hand-<lb/> werkern hatten anfertigen laſſen, ohne tägliche Zeitungen und<lb/> Telegramme, die ſie ſchnell von allem, was in ihrem Bezirk vor-<lb/> geht, unterrichten könnten, ſind ſie beauftragt, die Intereſſen der<lb/> ruſſiſchen Untertanen zu wahren, die ſelbſt weit in einem großen<lb/> Bezirk zerſtreut leben und die im Durchſchnitt in kultureller<lb/> Beziehung nicht weit über den Mongolen und tief unter dem<lb/> chineſiſchen Durchſchnittskaufmann ſtehen; gibt es doch viele<lb/> unter den ruſſiſchen Händlern, die heute noch wenig Vertrauen<lb/> zu ihren Konſuln haben und andere, die allen Grund haben, ſich<lb/> vor den Konſuln zu verſtecken. Der Konſul ſoll den Mittelpunkt<lb/> der Kolonie bilden, in deſſen Händen alle Fäden politiſcher, ſowie<lb/> handelspolitiſcher Art zuſammenlaufen, aber dies iſt bei der<lb/> Größe des Bezirkes leider unmöglich. So ſind die ſtatiſtiſchen<lb/> Angaben, die die Konſuln von ihren eigenen Untertanen über<lb/> ihr Handeln, ihren Umſatz, die Art des Handels erhalten, alle<lb/> mit großer Vorſicht aufzunehmen, da, wie ich ſelbſt feſtſtellen<lb/> konnte, viele ruſſiſche Groß- und Kleinhändler falſche Angaben<lb/> über Güte, Bezugsquelle und beſonders über die Gangbarkeit<lb/> der Waren machen, weil ſie fürchten, durch die richtigen An-<lb/> gaben ihren Konkurrenten eventuelle Handhaben zu geben. Für<lb/> gewöhnlich macht der Konſul nur dann die Bekanntſchaft ſeiner<lb/> Landsleute, wenn ſie ſelber zu ihm kommen, um ihn zu bitten,<lb/> ihre Intereſſen wahrzunehmen, oder aber, wenn von den mongo-<lb/> liſchen oder chineſiſchen Behörden Klagen gegen ſie erhoben wer-<lb/> den. In ſolchen Fällen iſt dann der Konſul Richter und Schieds-<lb/> richter zu gleicher Zeit. Es hält natürlich bei der Lage der Dinge<lb/> ſchwer, wenn der Konſul nicht ſchon durch vorhergehende Er-<lb/> fahrung mit ſeinem ruſſiſchen Landsmann bekannt und mit<lb/> ſeiner mehr oder minder ehrlichen Veranlagung vertraut iſt, das<lb/> Recht vom Unrecht zu unterſcheiden, und häufig hört man Klagen</p><lb/> </div> </body> </floatingText> </div> </div> </body> </text> </TEI> [193/0007]
23. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
Punkte wegſetzte und dort, wo es glaubte, eine diplomatiſche
Vertretung zu benötigen, dieſe einfach einführte, ohne ſich um
den Widerſpruch der lokalen chineſiſchen Behörden und des Aus-
wärtigen Amtes in Peking zu kümmern. „Hier ſind wir und
hier bleiben wir“ war ihre Deviſe, und ſie blieben. Den Chineſen
wurde es allmählich bei dieſem Vorgehen ungemütlich, und ſie
kündigten den abgelaufenen Ilivertrag genau zu der vorge-
ſehenen Friſt und weigerten ſich, auf eine Erneuerung desſelben
einzugehen. Aber die ruſſiſchen Diplomaten wußten ſich zu
helfen. Prompt erneuerten ſie ihrerſeits einſeitig den Vertrag
im Jahre 1911, ohne ſich um den Widerſpruch der Chineſen zu
kümmern, um weitere zehn Jahre. „Right or wrong my
country“ war hier die Loſung, und der einſeitig erneuerte Ili-
vertrag bleib einſtweilen, durch vorgeſchobene Koſakenregimen-
ter kräftig unterſtützt, beſtehen, bis ein neuer Handelsvertrag
zuſtande kam, ohne daß die anderen intereſſierten Mächte es
gewagt hätten, dagegen zu opponieren. 1905 eröffneten die Ruſ-
ſen ihr Konſulat im Uljaſutai unter Konſul Boleyſchew. Hierzu
gehörte der Uljaſutai-, der Kobdo- und Uranchai-Bezirk. 1912
wurde der Kobdo-Bezirk abgetrennt und in Kobdo ſelbſt von
Generalkonſul Luba, dem bald der Konſul Kusminſki folgte, das
neue Konſulat eröffnet. Ebenſo eröffnete Luba unter Bedeckung
von 25 Koſaken das Konſulat von Charuſumè, auf der Karte
Tulta genannt.
Dieſes Vorgehen war ebenſo zweckmäßig, wie eine direkte
Vertragsverletzung und Vergewaltigung. Urga iſt das Zentrum
der mongoliſchen Politik und des Handels der äußeren Mon-
golei, rings umgeben von einer ſich intenſio ausbreitenden chine-
ſiſchen Koloniſation. Uljaſutai in ſeiner politiſchen Lage nicht
ſo günſtig wie Urga, da heute nach der Vertreibung der Chineſen,
die einflußreichſte Perſönlichkeit in der Mongolei, Dſalchenſen-
Gegen, in ſeinem Kloſter 300 Werſt von Uljaſutai lebt. Der neue
Gouverneur, der heute an Stelle von Zezen-Beeſe, der ins
Finanzminiſterium berufen wurde, in Uljaſutai reſidiert, wird
wohl ſchwerlich viel Selbſtändigkeit entwickeln. Kobdo iſt zer-
ſtört, und die paar ruſſiſchen Händler werden ſich wohl kaum
dort aufhalten. Der Konſul lebt einſtweilen mit ſeinen 500
Koſaken in Zelten und Jurten, bis die neue Stadt gebaut oder
die alte zerſtörte Stadt wieder hergeſtellt worden iſt. Seine
politiſche Tätigkeit ſcheint ſich darauf beſchränken zu wollen, die
Chineſen an einem nochmaligen Eindringen in den Kobdo-Bezirk
zu hindern. Charuſumè (Tulta) iſt heute eigentlich der wichtigſte
Punkt in dieſer Gegend. Hier ſitzt der Herzog Palta-Wan, der
treu mit dem geſamten Altai-Bezirk bei den Chineſen aushält.
Die Tätigkeit des Konſuls beſchränkt ſich auch dort auf ein
Beobachten der politiſchen und militäriſchen Vorgänge in Charu-
ſumè und Umgebung, da die drei oder vier noch lebenden ruſ-
ſiſchen Untertanen eines Konſulats für ihren Handel wohl kaum
bedürfen.
Das Konſulat in Uljaſutai war, als ich es zum erſten Male
ſah, eine ſchmutzige chineſiſche Fanſa mit Papierfenſtern. Konſul
Volbyſchew ſelbſt lebte einige Jahre ſogar in einer mongoliſchen
Jurte und wurde von der chineſiſchen Behörde in Uljaſutai nicht
anerkannt. Ein ſolches Wohnen des Konſuls trug gerade nicht
zur Vermehrung des ruſſiſchen Anſehens bei den Chineſen bei.
Schließlich war denn auch die Bedürfnisfrage brennend gewor-
den, aber die Duma hatte noch keine Zeit gefunden, die Gelder
zum Umbau reſp. Neubau des Konſulats Uljaſutai zu bewilligen.
Da griff der Konſulatsſekretär Xionin kurz vor der Urlaubs-
reiſe des Konſuls Walter zu folgenden Mitteln.
Herr Xionin ließ fünf oder ſechs Vertreter der größten chine-
ſiſchen Firmen zu ſich rufen und bat ſie, da das Konſulatsgebäude
doch das Eigentum eines Chineſen ſei, die nötige Summe für
den Umbau vorzuſchießen. Die Chineſen erbaten ſich einen Tag
Bedenkzeit, darauf erklärten ſie dem Konſulatsſekretär, ſie wür-
den die verlangte Summe vorſchießen, wenn er ſich verpflichtete,
ſie im Uranchai-Bezirk, wo dieſe Chineſen mit Hunderttauſenden
Lans intereſſiert wären, zu ſchützen, und die Plünderung ihrer
Läden dort zu verhindern, was Xionin auch verſprach. Die
Chineſen garantierten daraufhin die Bauſumme und zahlten dieſe
ratenweiſe ein. Trotzdem plünderten die Mongolen die Läden
der betreffenden Firmen im Uranchai-Bezirk, ohne daß die
Chineſen bei dem Herrn Xionin die verſprochene Hilfe fanden.
Sie verloren ihr Vermögen und waren ſchließlich auch noch ver-
pflichtet, die letzten Ratenzahlungen zur Fertigſtellung des
Baues zu leiſten. Bei ihrer offiziellen Beſchwerde im ruſſiſchen
Konſulat wurden ſie einfach aus dem Konſulat verwieſen. Mein
Gewährsmann mußte, um überhaupt zahlen zu können, ſein
Brennholz — Brennholz beſitzt in Uljaſutai während der Win-
terzeit ſehr großen Wert — verkaufen. Als aber die Uranſchaizen
auch die Ruſſen bedrohten, nachdem ſie den chineſiſchen Handel
glücklich zur ſtillen Freude des ruſſiſchen Konſulatsſekretärs ver-
nichtet hatten, wurden von Herrn Xionin vier Koſaken abge-
ſchickt, die ohne Widerſtand der Mongolen die überlebenden chine-
ſiſchen Angeſtellten jener Firmen, die zum Ausbau des Konſu-
lats Geld beigeſteuert hatten, über die ruſſiſche Grenze geleiteten.
Das Konſulatsgebäude war bei unſerer Ankunft in Uljaſutai
beinahe fertig, und Herr Xionin fuhr nach den Anſtrengungen
der diplomatiſchen Kampagne nach Südfrankreich, um ſich dort
auf ſein diplomatiſches Examen vorzubereiten. Hinter ihm her
ſchalten die Verwünſchungen der ausgeplünderten und ruinierten
chineſiſchen Kaufleute. Aber trotz alledem kann man dem Mann
in ſeinem fanatiſchen Haß gegen alles nicht rein Nationalruſſiſche,
obwohl ſelber ein Fremdſtämmiger, wegen ſeiner aufs Prak-
tiſche aufgebauten Politik eine gewiſſe Anerkennung nicht ver-
ſagen. Die Tätigkeit der ruſſiſchen Konſuln in der Mongolei be-
ſtand lange Zeit einfach darin, daß ſie mit mehr oder weniger
Energie und perſönlichem Intereſſe auf die Einhaltung der Ver-
träge achteten. Dazu gehörte eben keine beſondere Diplomatie.
Sie fußten, durch die ganze Organiſation des Konſulatsdienſtes
veranlaßt, auf dem Vergangenen, und beſchränkten ſich darauf,
den etwa einlaufenden Klagen der ruſſiſchen Untertanen ſo gut
es ging abzuhelfen. Die geſchickten chineſiſchen Diplomaten
nutzten ſelbſtverſtändlich ein ſolches Verhalten der Konſulats-
behörden gründlich aus, die ruſſiſchen Händler verſuchten trotz
aller Schikanen der Chineſen ihre Ziel auf hundert krummen
Wegen zu erreichen, und ſeit langer Zeit war eine allgemeine
Spannung durch den vollſtändigen Niedergang des ruſſiſchen
Handels eingetreten, die ſchließlich zur Kataſtrophe führen mußte.
Die ruſſiſchen Konſuln der jüngeren Generation richteten Note
auf Note an ihren Geſandten nach Peking oder an ihre Regie-
rung nach Petersburg. China aber kümmerte ſich wenig um
all dieſe papiernen Drohungen, war doch das Anſehen Rußlands
durch den ruſſiſch-japaniſchen Krieg bei der gelben Raſſe ſtark
geſunken.
Man ſtelle ſich nun die Lage der ruſſiſchen Konſuln in der
äußeren Mongolei vor. Bis vor kurzem in ſchlechten Gebäuden
untergebracht, nur mit ſolchen Möbeln verſehen, die ſie hier und
da von einem chineſiſchen Großkaufmann, der ihnen zum Dank
verpflichtet war, geſchenkt erhalten oder von chineſiſchen Hand-
werkern hatten anfertigen laſſen, ohne tägliche Zeitungen und
Telegramme, die ſie ſchnell von allem, was in ihrem Bezirk vor-
geht, unterrichten könnten, ſind ſie beauftragt, die Intereſſen der
ruſſiſchen Untertanen zu wahren, die ſelbſt weit in einem großen
Bezirk zerſtreut leben und die im Durchſchnitt in kultureller
Beziehung nicht weit über den Mongolen und tief unter dem
chineſiſchen Durchſchnittskaufmann ſtehen; gibt es doch viele
unter den ruſſiſchen Händlern, die heute noch wenig Vertrauen
zu ihren Konſuln haben und andere, die allen Grund haben, ſich
vor den Konſuln zu verſtecken. Der Konſul ſoll den Mittelpunkt
der Kolonie bilden, in deſſen Händen alle Fäden politiſcher, ſowie
handelspolitiſcher Art zuſammenlaufen, aber dies iſt bei der
Größe des Bezirkes leider unmöglich. So ſind die ſtatiſtiſchen
Angaben, die die Konſuln von ihren eigenen Untertanen über
ihr Handeln, ihren Umſatz, die Art des Handels erhalten, alle
mit großer Vorſicht aufzunehmen, da, wie ich ſelbſt feſtſtellen
konnte, viele ruſſiſche Groß- und Kleinhändler falſche Angaben
über Güte, Bezugsquelle und beſonders über die Gangbarkeit
der Waren machen, weil ſie fürchten, durch die richtigen An-
gaben ihren Konkurrenten eventuelle Handhaben zu geben. Für
gewöhnlich macht der Konſul nur dann die Bekanntſchaft ſeiner
Landsleute, wenn ſie ſelber zu ihm kommen, um ihn zu bitten,
ihre Intereſſen wahrzunehmen, oder aber, wenn von den mongo-
liſchen oder chineſiſchen Behörden Klagen gegen ſie erhoben wer-
den. In ſolchen Fällen iſt dann der Konſul Richter und Schieds-
richter zu gleicher Zeit. Es hält natürlich bei der Lage der Dinge
ſchwer, wenn der Konſul nicht ſchon durch vorhergehende Er-
fahrung mit ſeinem ruſſiſchen Landsmann bekannt und mit
ſeiner mehr oder minder ehrlichen Veranlagung vertraut iſt, das
Recht vom Unrecht zu unterſcheiden, und häufig hört man Klagen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-04-24T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |