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Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 23. Mai 1920.

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Allgemeine Zeitung 23. Mai 1920
[Spaltenumbruch]

wie: "Unser russischer Konsul entscheidet gegen uns und für die
Mongolen oder Chinesen". Dann aber hat meistens der Konsul
mit seinem salomonischen Urteil das Richtige getroffen. Doppelt
schwer für den Konsul ist es, bei der verzwickten Handelslage
und den Kreditverhältnissen mit ihren Wucherzinsen, die mehr
oder minder versteckt vom Verkäufer bei Kreditgewährung er-
hoben werden, richtig zu entscheiden, da den meisten Herren die
juristische Vorbildung vollständig abgeht. Bei schweren Ver-
brechen saßen zur Zeit der Chinesenherrschaft der russische Konsul
und der Dsurgan für fremde Angelegenheiten gemeinsam zu Ge-
richt, bei kleinen Vergehen auf den Chochuni ritt der Dolmetscher,
recht häufig ein Burät aus der Dolmetscherschule in Urga und
ein chinesischer Schreiber hin, um die Sache zu untersuchen. Jetzt
sind an Stelle der Chinesen die entsprechenden mongolischen Be-
amten vertreten. Ein solches vorzügliches Verhältnis, wie es
z. B. zwischen der Deutschen Kolonie in Moskau und ihrem
leider zu früh verstorbenen Generalkonsul Dr. Kohlhaas bestand,
wäre auch beim besten Willen in Uljasutai und Kobdo nicht zu
erreichen, aber in Urga, wo in der Stadt selbst eine Menge
russischer Untertanen leben, erstrebenswert.

Theater und Musik
Nationaltheater.
Corregidor. -- Musikant.

Hugo Wolfs Corregidor: eines jener Werke, die immer
wieder -- auf Grund ihrer wirklich vorhandenen Qualitäten --
hervorgeholt werden, und denen doch nie längeres Leben be-
schieden war. Diesmal, von Walter vortrefflich einstudiert und
mit großem Geschick geleitet, mit Jerger, Brodersen, Reinhardt
in den Hauptrollen vortrefflich besetzt, ein unbedingter, warmer
Erfolg. Ich persönlich kann mich des Eindruckes trotzdem nicht
erwehren; es wird nicht lange dauern und der Corregidor wird
abermals verschwinden ... Wirkliches Bühnenblut fließt nicht
in den Adern dieser Partitur, und Theater ist Theater und läßt
seiner Gesetze nicht spotten. Wenn man dies fühlt, ist es von ge-
ringem Belang zu betonen, daß das Werk herrliche Schönheiten
enthält, daß es aber auch eine arge orchestrale Monotonie, einen
zähen musikalischen Fluß besitzt. -- Ich seh's nicht ein, warum
man fürs Theater ein Werk retten will, das vom untheatra-
lischsten Lyriker geschrieben wurde. Ach, würden wir doch end-
lich des Trugschlusses ledig, das qualitativ Hochwertige müsse
auch theaterwirksam sein oder sein können. Es ist ja beinahe
ein Wunder, wenn etwas Hochwertiges es fertig bringt, auch
gutes, lebensfähiges Theater zu sein, ein Wunder, das sich doch
wahrlich selten genug ereignet, um uns die Augen darüber zu
öffnen, daß im Theater das Theater entscheidet und nicht die
geistige Qualität.

Bittners Musikant: der umgekehrte Fall. Kein vollkom-
menes, kein sehr gutes Theater: aber echt als solches. Geistig
gewertet viel Kitsch, Bombast und Sentimentalität. Viel innere
und äußere Unglaubhaftigkeit. Aber es lebt -- nicht mehr
lang vielleicht. Denn es ist die Leistung eines Theatertalentes,
nicht Genies. -- Die Vorstellung war gut, der Erfolg groß.

Feuilleton
Der Morgen.
Gib mir deine lieben Hände! -- Sieh, schon
Huscht der erste Glanz des jungen Tages
Scheu und selig über der Silberwolken
Wallende Schleier

Und der blaue Mantel der Nacht sinkt in die
Dunklen Täler nieder. -- Noch schläft das Land zu
Unsern Füßen, doch um der alten Berge
Ragende Gipfel

Schlingt das Frührot schon seine Goldgewinde
Wie durch weißes Haar. -- Horch, ein Vöglein regt sich
In verlornen Tönen, und alle Quellen
Rauschen erwachend

[Spaltenumbruch] Stärker auf, wo auf dem gewund'nen Pfade
Sie mit Purpurlippen der Morgen küßte
Und seine lichten Flammen über
Ihre verträumten Täler ausgießt.

O sieh, wie feuerflutend die Himmel lohen!
Horch, horch, wie tausend Lerchen in trunk'nem Jubel
Im ätherblauen Licht versinken!
Sieh, wie im Strahlengewand die Sonne

Befreit heraufschwebt und ihr verklärtes Lächeln
Uns ruft! Wie ringsum gleich dem erweckten Schläfer
Die Lande tiefaufatmend ihrer
Seligen Herrin entgegenjauchzen!

O gib mir deine Hände, die lieben Hände!
Dann wollen wir zusammen die stillen Pfade
Dahingeh'n, Hand in Hand, des Lichtes
Kinder, wo blühende Zweige kosend

Sich neigen über uns in dem warmen Lufthauch,
Wo ungezählte Blumen den weichen Teppich
Auf unsrem Weg aus Duft gewoben,
Und in den dichten Rosengebüschen

Ein Vöglein sehnend singt von dem höchsten Glück
Der treuen Liebe! -- -- Gib mir die lieben Hände,
Bis dann die letzte Nacht einst in den
Sternlosen Mantel uns leise einhüllt --!


Die Inokulation der Liebe.

(Fortsetzung.)

Nicht jeder trifft, Bekanntschaften zu machen,
Die Zeit so gut, wie sie der Ritter traf.
Die Schöne lag in einem lust'gen Schlaf,
Ein Viertelstündchen vorm Erwachen.
So mancher Reiz, von dem der schwüle Tag
Die feinen Decken weggeschoben,
Ward durch das halbe Licht der Laube mehr erhoben,
In deren Schattenkreis sie lag. --
Ein solches Kleinod zu entdecken,
War sich der Ritter nicht verseh'n.
Er sah und blieb mit freudigem Erschrecken
Beim ersten Augenblick wie eine Säule steh'n:
Beim zweiten wollt' er näher geh'n,
Beim dritten -- aber ach! die Unschuld schläft zu schön;
Es wär ja schade sie zu wecken! --
Nun konnt' er eine lange Zeit
In unentschloss'ner Trunkenheit
Bei diesem Gegenstand nicht seinen Blicken wehren:
Doch, als er reiflicher erwog,
Was ihm der Schlaf verriet und was er ihm entzog,
Wagt er es endlich, ihn zu stören. --
Denn seh'n wir wohl die größte Schönheit ganz,
Man seh, auch was man will, so lange wir den Glanz
Von ihren Augen noch entbehren?
Er kniete vor ihr hin, küßt ihre nächste Hand --
Kein Wunder, daß der Schlaf verschwand!
Es war der erste Kuß, den sie in ihrem Leben
(Verglückt war der, der ihn gegeben)
Im Wachen und ihm Traum empfand.
Errötend sprang sie auf und drehte
Den starren Blick auf den, der ihr die Hand gedrückt.
So steht im Schein der Abendröte
Der Venus Marmorbild, das einen Garten schmückt.
Man spotte nicht! Der jungen Schönen
War der Besuch von einer Mannsperson
Noch unerhört: doch wird sie schon
Sich mit der Zeit daran gewöhnen. --
Die gute Fee, der wohl an Szenen
Von dieser Art nicht viel gelegen war,
Ermunterte zuletzt das allzustille Paar,

Allgemeine Zeitung 23. Mai 1920
[Spaltenumbruch]

wie: „Unſer ruſſiſcher Konſul entſcheidet gegen uns und für die
Mongolen oder Chineſen“. Dann aber hat meiſtens der Konſul
mit ſeinem ſalomoniſchen Urteil das Richtige getroffen. Doppelt
ſchwer für den Konſul iſt es, bei der verzwickten Handelslage
und den Kreditverhältniſſen mit ihren Wucherzinſen, die mehr
oder minder verſteckt vom Verkäufer bei Kreditgewährung er-
hoben werden, richtig zu entſcheiden, da den meiſten Herren die
juriſtiſche Vorbildung vollſtändig abgeht. Bei ſchweren Ver-
brechen ſaßen zur Zeit der Chineſenherrſchaft der ruſſiſche Konſul
und der Dſurgan für fremde Angelegenheiten gemeinſam zu Ge-
richt, bei kleinen Vergehen auf den Chochuni ritt der Dolmetſcher,
recht häufig ein Burät aus der Dolmetſcherſchule in Urga und
ein chineſiſcher Schreiber hin, um die Sache zu unterſuchen. Jetzt
ſind an Stelle der Chineſen die entſprechenden mongoliſchen Be-
amten vertreten. Ein ſolches vorzügliches Verhältnis, wie es
z. B. zwiſchen der Deutſchen Kolonie in Moskau und ihrem
leider zu früh verſtorbenen Generalkonſul Dr. Kohlhaas beſtand,
wäre auch beim beſten Willen in Uljaſutai und Kobdo nicht zu
erreichen, aber in Urga, wo in der Stadt ſelbſt eine Menge
ruſſiſcher Untertanen leben, erſtrebenswert.

Theater und Muſik
Nationaltheater.
Corregidor. — Muſikant.

Hugo Wolfs Corregidor: eines jener Werke, die immer
wieder — auf Grund ihrer wirklich vorhandenen Qualitäten —
hervorgeholt werden, und denen doch nie längeres Leben be-
ſchieden war. Diesmal, von Walter vortrefflich einſtudiert und
mit großem Geſchick geleitet, mit Jerger, Broderſen, Reinhardt
in den Hauptrollen vortrefflich beſetzt, ein unbedingter, warmer
Erfolg. Ich perſönlich kann mich des Eindruckes trotzdem nicht
erwehren; es wird nicht lange dauern und der Corregidor wird
abermals verſchwinden ... Wirkliches Bühnenblut fließt nicht
in den Adern dieſer Partitur, und Theater iſt Theater und läßt
ſeiner Geſetze nicht ſpotten. Wenn man dies fühlt, iſt es von ge-
ringem Belang zu betonen, daß das Werk herrliche Schönheiten
enthält, daß es aber auch eine arge orcheſtrale Monotonie, einen
zähen muſikaliſchen Fluß beſitzt. — Ich ſeh’s nicht ein, warum
man fürs Theater ein Werk retten will, das vom untheatra-
liſchſten Lyriker geſchrieben wurde. Ach, würden wir doch end-
lich des Trugſchluſſes ledig, das qualitativ Hochwertige müſſe
auch theaterwirkſam ſein oder ſein können. Es iſt ja beinahe
ein Wunder, wenn etwas Hochwertiges es fertig bringt, auch
gutes, lebensfähiges Theater zu ſein, ein Wunder, das ſich doch
wahrlich ſelten genug ereignet, um uns die Augen darüber zu
öffnen, daß im Theater das Theater entſcheidet und nicht die
geiſtige Qualität.

Bittners Muſikant: der umgekehrte Fall. Kein vollkom-
menes, kein ſehr gutes Theater: aber echt als ſolches. Geiſtig
gewertet viel Kitſch, Bombaſt und Sentimentalität. Viel innere
und äußere Unglaubhaftigkeit. Aber es lebt — nicht mehr
lang vielleicht. Denn es iſt die Leiſtung eines Theatertalentes,
nicht Genies. — Die Vorſtellung war gut, der Erfolg groß.

Feuilleton
Der Morgen.
Gib mir deine lieben Hände! — Sieh, ſchon
Huſcht der erſte Glanz des jungen Tages
Scheu und ſelig über der Silberwolken
Wallende Schleier

Und der blaue Mantel der Nacht ſinkt in die
Dunklen Täler nieder. — Noch ſchläft das Land zu
Unſern Füßen, doch um der alten Berge
Ragende Gipfel

Schlingt das Frührot ſchon ſeine Goldgewinde
Wie durch weißes Haar. — Horch, ein Vöglein regt ſich
In verlornen Tönen, und alle Quellen
Rauſchen erwachend

[Spaltenumbruch] Stärker auf, wo auf dem gewund’nen Pfade
Sie mit Purpurlippen der Morgen küßte
Und ſeine lichten Flammen über
Ihre verträumten Täler ausgießt.

O ſieh, wie feuerflutend die Himmel lohen!
Horch, horch, wie tauſend Lerchen in trunk’nem Jubel
Im ätherblauen Licht verſinken!
Sieh, wie im Strahlengewand die Sonne

Befreit heraufſchwebt und ihr verklärtes Lächeln
Uns ruft! Wie ringsum gleich dem erweckten Schläfer
Die Lande tiefaufatmend ihrer
Seligen Herrin entgegenjauchzen!

O gib mir deine Hände, die lieben Hände!
Dann wollen wir zuſammen die ſtillen Pfade
Dahingeh’n, Hand in Hand, des Lichtes
Kinder, wo blühende Zweige koſend

Sich neigen über uns in dem warmen Lufthauch,
Wo ungezählte Blumen den weichen Teppich
Auf unſrem Weg aus Duft gewoben,
Und in den dichten Roſengebüſchen

Ein Vöglein ſehnend ſingt von dem höchſten Glück
Der treuen Liebe! — — Gib mir die lieben Hände,
Bis dann die letzte Nacht einſt in den
Sternloſen Mantel uns leiſe einhüllt —!


Die Inokulation der Liebe.

(Fortſetzung.)

Nicht jeder trifft, Bekanntſchaften zu machen,
Die Zeit ſo gut, wie ſie der Ritter traf.
Die Schöne lag in einem luſt’gen Schlaf,
Ein Viertelſtündchen vorm Erwachen.
So mancher Reiz, von dem der ſchwüle Tag
Die feinen Decken weggeſchoben,
Ward durch das halbe Licht der Laube mehr erhoben,
In deren Schattenkreis ſie lag. —
Ein ſolches Kleinod zu entdecken,
War ſich der Ritter nicht verſeh’n.
Er ſah und blieb mit freudigem Erſchrecken
Beim erſten Augenblick wie eine Säule ſteh’n:
Beim zweiten wollt’ er näher geh’n,
Beim dritten — aber ach! die Unſchuld ſchläft zu ſchön;
Es wär ja ſchade ſie zu wecken! —
Nun konnt’ er eine lange Zeit
In unentſchloſſ’ner Trunkenheit
Bei dieſem Gegenſtand nicht ſeinen Blicken wehren:
Doch, als er reiflicher erwog,
Was ihm der Schlaf verriet und was er ihm entzog,
Wagt er es endlich, ihn zu ſtören. —
Denn ſeh’n wir wohl die größte Schönheit ganz,
Man ſeh, auch was man will, ſo lange wir den Glanz
Von ihren Augen noch entbehren?
Er kniete vor ihr hin, küßt ihre nächſte Hand —
Kein Wunder, daß der Schlaf verſchwand!
Es war der erſte Kuß, den ſie in ihrem Leben
(Verglückt war der, der ihn gegeben)
Im Wachen und ihm Traum empfand.
Errötend ſprang ſie auf und drehte
Den ſtarren Blick auf den, der ihr die Hand gedrückt.
So ſteht im Schein der Abendröte
Der Venus Marmorbild, das einen Garten ſchmückt.
Man ſpotte nicht! Der jungen Schönen
War der Beſuch von einer Mannsperſon
Noch unerhört: doch wird ſie ſchon
Sich mit der Zeit daran gewöhnen. —
Die gute Fee, der wohl an Szenen
Von dieſer Art nicht viel gelegen war,
Ermunterte zuletzt das allzuſtille Paar,

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[194/0008] Allgemeine Zeitung 23. Mai 1920 wie: „Unſer ruſſiſcher Konſul entſcheidet gegen uns und für die Mongolen oder Chineſen“. Dann aber hat meiſtens der Konſul mit ſeinem ſalomoniſchen Urteil das Richtige getroffen. Doppelt ſchwer für den Konſul iſt es, bei der verzwickten Handelslage und den Kreditverhältniſſen mit ihren Wucherzinſen, die mehr oder minder verſteckt vom Verkäufer bei Kreditgewährung er- hoben werden, richtig zu entſcheiden, da den meiſten Herren die juriſtiſche Vorbildung vollſtändig abgeht. Bei ſchweren Ver- brechen ſaßen zur Zeit der Chineſenherrſchaft der ruſſiſche Konſul und der Dſurgan für fremde Angelegenheiten gemeinſam zu Ge- richt, bei kleinen Vergehen auf den Chochuni ritt der Dolmetſcher, recht häufig ein Burät aus der Dolmetſcherſchule in Urga und ein chineſiſcher Schreiber hin, um die Sache zu unterſuchen. Jetzt ſind an Stelle der Chineſen die entſprechenden mongoliſchen Be- amten vertreten. Ein ſolches vorzügliches Verhältnis, wie es z. B. zwiſchen der Deutſchen Kolonie in Moskau und ihrem leider zu früh verſtorbenen Generalkonſul Dr. Kohlhaas beſtand, wäre auch beim beſten Willen in Uljaſutai und Kobdo nicht zu erreichen, aber in Urga, wo in der Stadt ſelbſt eine Menge ruſſiſcher Untertanen leben, erſtrebenswert. Theater und Muſik Nationaltheater. Corregidor. — Muſikant. Hugo Wolfs Corregidor: eines jener Werke, die immer wieder — auf Grund ihrer wirklich vorhandenen Qualitäten — hervorgeholt werden, und denen doch nie längeres Leben be- ſchieden war. Diesmal, von Walter vortrefflich einſtudiert und mit großem Geſchick geleitet, mit Jerger, Broderſen, Reinhardt in den Hauptrollen vortrefflich beſetzt, ein unbedingter, warmer Erfolg. Ich perſönlich kann mich des Eindruckes trotzdem nicht erwehren; es wird nicht lange dauern und der Corregidor wird abermals verſchwinden ... Wirkliches Bühnenblut fließt nicht in den Adern dieſer Partitur, und Theater iſt Theater und läßt ſeiner Geſetze nicht ſpotten. Wenn man dies fühlt, iſt es von ge- ringem Belang zu betonen, daß das Werk herrliche Schönheiten enthält, daß es aber auch eine arge orcheſtrale Monotonie, einen zähen muſikaliſchen Fluß beſitzt. — Ich ſeh’s nicht ein, warum man fürs Theater ein Werk retten will, das vom untheatra- liſchſten Lyriker geſchrieben wurde. Ach, würden wir doch end- lich des Trugſchluſſes ledig, das qualitativ Hochwertige müſſe auch theaterwirkſam ſein oder ſein können. Es iſt ja beinahe ein Wunder, wenn etwas Hochwertiges es fertig bringt, auch gutes, lebensfähiges Theater zu ſein, ein Wunder, das ſich doch wahrlich ſelten genug ereignet, um uns die Augen darüber zu öffnen, daß im Theater das Theater entſcheidet und nicht die geiſtige Qualität. Bittners Muſikant: der umgekehrte Fall. Kein vollkom- menes, kein ſehr gutes Theater: aber echt als ſolches. Geiſtig gewertet viel Kitſch, Bombaſt und Sentimentalität. Viel innere und äußere Unglaubhaftigkeit. Aber es lebt — nicht mehr lang vielleicht. Denn es iſt die Leiſtung eines Theatertalentes, nicht Genies. — Die Vorſtellung war gut, der Erfolg groß. Feuilleton Der Morgen. Von Heinz W. L. Doering. Meiner Braut zu eigen! Gib mir deine lieben Hände! — Sieh, ſchon Huſcht der erſte Glanz des jungen Tages Scheu und ſelig über der Silberwolken Wallende Schleier Und der blaue Mantel der Nacht ſinkt in die Dunklen Täler nieder. — Noch ſchläft das Land zu Unſern Füßen, doch um der alten Berge Ragende Gipfel Schlingt das Frührot ſchon ſeine Goldgewinde Wie durch weißes Haar. — Horch, ein Vöglein regt ſich In verlornen Tönen, und alle Quellen Rauſchen erwachend Stärker auf, wo auf dem gewund’nen Pfade Sie mit Purpurlippen der Morgen küßte Und ſeine lichten Flammen über Ihre verträumten Täler ausgießt. O ſieh, wie feuerflutend die Himmel lohen! Horch, horch, wie tauſend Lerchen in trunk’nem Jubel Im ätherblauen Licht verſinken! Sieh, wie im Strahlengewand die Sonne Befreit heraufſchwebt und ihr verklärtes Lächeln Uns ruft! Wie ringsum gleich dem erweckten Schläfer Die Lande tiefaufatmend ihrer Seligen Herrin entgegenjauchzen! O gib mir deine Hände, die lieben Hände! Dann wollen wir zuſammen die ſtillen Pfade Dahingeh’n, Hand in Hand, des Lichtes Kinder, wo blühende Zweige koſend Sich neigen über uns in dem warmen Lufthauch, Wo ungezählte Blumen den weichen Teppich Auf unſrem Weg aus Duft gewoben, Und in den dichten Roſengebüſchen Ein Vöglein ſehnend ſingt von dem höchſten Glück Der treuen Liebe! — — Gib mir die lieben Hände, Bis dann die letzte Nacht einſt in den Sternloſen Mantel uns leiſe einhüllt —! Die Inokulation der Liebe. Eine Erzählung von Herrn von Thümmel. An den Herrn Kreisſteuereinnehmer Weiße in Leipzig. (Fortſetzung.) Nicht jeder trifft, Bekanntſchaften zu machen, Die Zeit ſo gut, wie ſie der Ritter traf. Die Schöne lag in einem luſt’gen Schlaf, Ein Viertelſtündchen vorm Erwachen. So mancher Reiz, von dem der ſchwüle Tag Die feinen Decken weggeſchoben, Ward durch das halbe Licht der Laube mehr erhoben, In deren Schattenkreis ſie lag. — Ein ſolches Kleinod zu entdecken, War ſich der Ritter nicht verſeh’n. Er ſah und blieb mit freudigem Erſchrecken Beim erſten Augenblick wie eine Säule ſteh’n: Beim zweiten wollt’ er näher geh’n, Beim dritten — aber ach! die Unſchuld ſchläft zu ſchön; Es wär ja ſchade ſie zu wecken! — Nun konnt’ er eine lange Zeit In unentſchloſſ’ner Trunkenheit Bei dieſem Gegenſtand nicht ſeinen Blicken wehren: Doch, als er reiflicher erwog, Was ihm der Schlaf verriet und was er ihm entzog, Wagt er es endlich, ihn zu ſtören. — Denn ſeh’n wir wohl die größte Schönheit ganz, Man ſeh, auch was man will, ſo lange wir den Glanz Von ihren Augen noch entbehren? Er kniete vor ihr hin, küßt ihre nächſte Hand — Kein Wunder, daß der Schlaf verſchwand! Es war der erſte Kuß, den ſie in ihrem Leben (Verglückt war der, der ihn gegeben) Im Wachen und ihm Traum empfand. Errötend ſprang ſie auf und drehte Den ſtarren Blick auf den, der ihr die Hand gedrückt. So ſteht im Schein der Abendröte Der Venus Marmorbild, das einen Garten ſchmückt. Man ſpotte nicht! Der jungen Schönen War der Beſuch von einer Mannsperſon Noch unerhört: doch wird ſie ſchon Sich mit der Zeit daran gewöhnen. — Die gute Fee, der wohl an Szenen Von dieſer Art nicht viel gelegen war, Ermunterte zuletzt das allzuſtille Paar,

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 23. Mai 1920, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine20_1920/8>, abgerufen am 21.11.2024.