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Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 24. Januar 1929.

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Seite 2 "AZ am Abend" Nr. 20 Donnerstag, den 24. Januar.


nicht allzu groß waren, aber sein Beispiel genügte,
nicht nur den Hof, sondern auch die besitzenden
Kreise in Stadt und Land zur Nachahmung an-
zuregen. --
Ich frage nun: Wo bleibt die Kunstliebe un-
serer heutigen Staats- und städtischen Würden-
träger? Die Kaufkraft der ehemaligen bürger-
lichen Mittelschicht ist freilich erlahmt, aber an
ihrer Stelle stehen nicht nur die Spitzen
einer gut bezahlten höheren Be-
amtenschaft,
sondern auch die mit respek-
tablen Einkommen gesegneten Füh-
rer in Handel und Industrie.
Diese
heute noch gut situierten Schichten sollten sich
nicht das Armutszeugnis ausstellen, daß ihnen
die künstlerische Kultur des Heims als unnützer
Tand gilt. Wo aber bleibt der neue Reichtum?
Zeigte sich dessen Kunstliebe nur in Zeiten der
Inflation, als die Bildwerke verschleudert wur-
den? Es ist nicht der Geldmangel an sich die
Ursache, sondern es besteht das Verlangen nach
Kunst fast gar nicht mehr. Der neue Reichtum
sollte erkennen, daß nicht nur der Adel, sondern
auch der Besitz verpflichtet.
An Staat und Stadt ist wohl die Anfrage
berechtigt, ob sie annähernd -- auch in Anbetracht
der heutigen Finanznot -- für künstlerische Kul-
tur das Mögliche leisten, -- am Maße dessen
gewesen, was für Bizepskultur aufgebracht wird.
Zu keiner Zeit durften sich unsere Geistesheroen
so seitenlanger Dithyramben erfreuen, wie sie
heute den Helden des Fußballes und des Box-
kampfes zuteil werden. Erfordern Elfmeter und
Kinnhaken ebensoviel Arbeit, ebensoviel Ent-
sagung wie der dornige Weg zu den Höhen der
Kunst? Der Ruf "panem et circenses!", so
lernten wir Rückständigen auf der Schulbank,
bezeichnete den Niedergang des einstigen Römer-
volkes. Jeder Künstler und Kunstfreund wird
an der befreienden Tat der Körperkultur und
der Volksertüchtigung seine ehrliche Freude
haben -- aber nur, wenn sie nicht mit der Preis-
gabe der geistigen und seelischen Kultur bezahlt
werden muß. Deutschlands kulturelle Weltgeltung
beruht nicht zum wenigsten darauf, daß wir ein-
mal das Volk der Dichter und Denker waren, --
haben wir nicht heute noch die Aufgabe, neben
der sportlichen Ertüchtigung auch in einem un-
sichtbaren geistigen Olympia ehrenvoll zu be-
stehen?
Aber auch die Künstlerschaft selbst
trägt ein Großteil Schuld am Niedergange. Es
kann ein Ausländer nichts so Dummes sagen, daß
es nicht in vielen deutschen Köpfen bewundernde
Aufnahme findet. Corbusier heißt der französische
Architekt, der den von vielen deutschen Architekten
mit Beifall aufgenommenen geistvollen Satz
hämmerte: "Ein Bild ist ein Schmutzfleck an der
Wand." Auf der zweiten Tagung des Deutschen
Werkbundes 1928 in München sagte -- zum
Glück kein Künstler, sondern der gefeierte Heidel-
berger Soziologe und Universitätsprofessor --
Dr. A. Weber in der Frage des Raumschmuckes
die Worte: "Hinweg mit dem erbärmlichen Be-
hagen!" Und so laufen wie die Hammeln immer
mehr deutsche Architekten hinter Ideen her, die
ursprünglich der engen, kleinbürgerlichen, puri-
tanischen Wohnungsbarbarei Amerikas entnom-
men sind, und stimmen ein in das Feldgeschrei:
Herunter mit den Bildern von der Wand! Nicht
nur, daß sie damit dem ohnehin spärlichen kunst-
freudigen Publikum den Kopf verwirren, stoßen
sie hiermit ihren Maler- und Bildhauerkollegen
das Messer in den Rücken.



Amanullahs Widerruf
bestätigt

Er will Kabul wieder erobern


Die afghanische
Gesandtschaft bestätigt durch eine Erklärung
die Meldung, daß König Amanullah seine
Abdankung zugunsten seines Bruders offi-
ziell widerrufen hat. Sämtliche Gouverneure
der Provinzen Mesar-e-Scherif, Herat, Kan-
dahar und anderer Provinzen haben ihre
Treue und Anhänglichkeit beleuert.

Es werden in Kandahar mit allem Eifer
unter persönlicher Leitung des Königs
Amanullah Vorbereitungen für
die Wiedereroberung Kabuls

und die Niederwerfung Batscha-i-Sakaos
getroffen. Die Anhängerschaft von Batscha-
i-Sakaos ist im Schwinden und die Geist-
lichkeit, die zu Anfang das Zeichen zum
Aufruhr gegeben hatte, hat ihren Fehler
eingesehen und ist bereit, diesen wiedergut-
zumachen.



Aufhebung eines Trotzkistischen
Geheimbundes in Moskau

150 Personen verhaftet


Wie die Blälter
berichten, ist ein Trotzkistischer Geheimbund,
der sich im antisowjetistischen Sinne betätigte,
aufgehoben worden. 150 Personen wurden
verhaftet.



Verbrecherjagd in den Straßen von Brüssel

Im Verlauf einer dramatischen Jagd durch die
Straßen gelang es der Polizei, die beiden Räuber
Berckmanns und Demoor, die vor eini-
gen Tagen zwei Polizeibeamte durch Revolver-
schüsse verletzt hatten und als sehr gefährlich gal-
ten, mit einigen Stunden Zwischenraum nachein-
ander dingfest zu machen. Während des Kampfes,
der der Verhaftung Demoors vorausging, wur-
den noch zwei Polizeibeamte schwer verletzt. De-
moor selbst wurde durch Revolverschüsse nieder-
gestreckt und ins Hospital gebracht. Beide Räuber
besaßen bei ihrer Verhaftung Revolver und reich-
lich Munition. Die Polizeibeamten wurden u. a.
mit Geschossen ausgerüstet, die be-
täubende Gase enthielten.

[Spaltenumbruch]
Gegen Steuererhöhungen --
für Ausgabenbeschränkung

Die Spitzenverbände der Wirtschaft zu den Steuerplänen


Die Spitzenverbände
der Wirtschaft, nämlich der Reichsverband
der Deutschen Industrie, der Zentralverband
des deutschen Bank- und Bankiergewerbes
und die entsprechenden übrigen Verbände
der Industrie, des Groß-Uebersee- und Ein-
zelhandels, des Handwerks und des Ver-
sicherungsgewerbes geben eine von diesen
Spitzenverbänden zu den Steuererhöhungs-
vorschlägen der Reichsregierung und zu
dem Entwurf eines Steuervereinheit-
lichungsgesetzes gefaßte Entschließung
bekannt:

Darin wird zunächst darauf hingewiesen,
daß die beteiligten Verbände schon seit Jah-
ren auf die der Kapitalbildung aus dem
wachsenden Steuermaß erwachsenden Gefah-
ren aufmerksam gemacht und folgende For-
derung aufgestellt wird:

Wir verlangen unter schärfster Ablehnung
jeder Steuererhöhung, daß der
Ausgleich des Haushalts durch weitere
Ausgabenbeschränkung

herbeigeführt wird.

Weiter erklärt die Ent-
[Spaltenumbruch] schließung, daß die Spitzenverbände an
ihrer Forderung der Steuervereinfachung
und Steuervereinheitlichung, insbesondere
auf dem Gebiete der Realsteuer festhalten,
jedoch
den vorliegenden Entwurf des Steuer-
vereinheitlichungsgesetzes verwerfen,

daß er der von der Wirtschaft mit der
Steuervereinheitlichung erstrebte Steuer-
senkung nicht dienen kann, sondern im
Gegenteil gerade zu einer Verstärkung des
Steuerdruckes verleitet. Schließlich stellt die
Entschließung die Forderung auf, daß die
im Gesetzentwurf enthaltene
Bevorzugung sterbender Betriebe der
öffentlichen Hand

beseitigt und nach dieser Richtung einer
Revision unterzogen werden soll. Es sei ein
Widersinn, daß die Private Wirtschaft mit
Steuern bis an die Grenze des Möglichen
belastet werde und gleichzeitig Organisatio-
nen von der Steuer befreit werden, die die
wirtschaftliche Freiheit und die Fähigkeit
zur Aufbringung von Steuern unterbinden.



Der Berliner Bankskandal
Haftbefehlgegen Inhaber und Prokuristen

Summe übersteigt bereits drei Millionen * Neue Untersuchungsergebnisse

[Spaltenumbruch]

Die Berliner Staats-
anwaltschaft hat gegen Dr. Lewin, den In-
haber des zusammengebrochenen Bankhauses G.
Löwenberg & Co., und die Prokuristen
Rappaport und Montey Haftbefehl zwecks
steckbrieflicher Verfolgung beantragt und gleich-
zeitig Eröffnung der Voruntersuchung gefordert.

Auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft wur-
den in Sachen des Bankskandals von der Krimi-
nalpolizei weitere Durchsuchungen vorgenommen.
Die gesamten Geschäftsbücher des Bankhauses
Löwenberg wurden beschlagnahmt und Sachver-
ständigen übergeben. Die Nachforschungen haben
ergeben, daß die
Unterschriften der Wechsel tatsächlich gefälscht
[Spaltenumbruch] sind. Die Fälschungen betreffen u. a. eine Aktien-
gesellschaft der Elektrobranche und eines der
allerersten Berliner Privatbankhäuser. Von diesem
sind allein für eine Million gefälscht.

Soweit sich bisher überblicken läßt, ist die bis-
herige
Gesamtsumme von 3 Millionen bereits
überschritten.

Ob Wechsel in dieser Höhe in den Verkehr ge-
kommen sind, hat sich noch nicht feststellen lassen.
Die Ehefrau Rappaports, die über den Verbleib
ihres Mannes befragt werden sollte, konnte bis
zur Stunde nicht ermittelt werden. Man nimmt
aber an, daß sie sich noch in Berlin bei Bekann-
ten aufhält.



Krankenheilung durch Telephon

Ein Heilmagnetiseur wegen Betrugs vor Gericht * Freispruch


Vor dem Schöffen-
gericht Charlottenburg wurde wegen Be-
trugs gegen einen Heilmagnetiseur verhan-
delt, der ein fünfjähriges diphtheriekrankes
Kind behandelt hatte, indem er auf telepho-
nischen Anruf der Mutter hin, die ihm von
der Erkrankung Mitteilung gemacht hatte,
ins Telephon rief:
"Die Krankheit soll verschwinden."
Nach der Aussage der Mutter soll das Kind
zweimal nach einer solchen telephonischen
Wunderkur sich rasch erholt haben, dann



[irrelevantes Material]

aber bekam es plötzlich starrkrampfähnliche
Zustände und verstarb, ehe der Arzt erschei-
nen konnte. Der Arzt hatte von dem Vor-
haben gehört und Anzeige wegen Betrug
erstattet.

In der Gerichtsverhandlung, zu der zahl-
reiche medizinische Sachverständige geladen
waren, erschien auch ein Heilmagnetiseur
als Sachverständiger, der energisch auf der
Ansicht beharrte, daß der persönliche Ein-
fluß des Heilmagnetiseurs
auch durch das Telephon sich übertragen
lasse.

Das Gericht lehnte es ab, zu der medizini-
schen Streitfrage Stellung zu nehmen, und
sprach den Angeklagten, der sich, wie festge-
stellt wurde, eines großen Anhangs er-
freut, mit der Begründung frei, daß ihm
eine subjektive Betrugsabsicht nicht nach-
zuweisen sei.

[Spaltenumbruch]
Die 49prozentige
Regierung

Severing für die Große Koalition


Ueber die Notwendig-
keit, der Reichsregierung eine feste Basis zu
geben, schreibt Reichsinnenminister Severing
in einer sozialistischen Zeitschrift unter an-
derem:

Man hat den heutigen Zustand der
49prozentigen Koalition schon häufig damit
zu beschönigen versucht, daß die Regierung
ja arbeiten könne, in dem sicheren Bewußt-
sein, von den Parteien ihrer Mitglieder
kein Mißtrauensvotum zu erhalten. In die-
sem Zustande könnte man, ohne die Inter-
essen des Reiches zu gefährden,
in normalen Zeiten
vielleicht die Geschäfte führen, also verwal-
ten. In einem Zeitabschnitt aber, in dem
jeder Tag zu gesetzgeberischen Taten drängt,
ist dieser Zustand eine Gefahr für das An-
sehen des Parlamentarimus und damit für
den Palamentarismus selbst.
Eine Koalition, in der alle Parteien der
Regierung gegenüber freie Hand be-
halten wollen, ist keine Koalition.

Und eine Regierung, die ihre Gesetze nicht
mit einer sicheren Mehrheit durchbringen
kann, ist keine Koalitionsregierung und
sieht sich auf die Dauer ebensosehr in ihrer
Initiative gehemmt, wie der einzelne Mini-
ster. Und darum ist die Forderung, die Große
Koalition zu schaffen, nichts anderes als die
Forderung, einen Zustand zu beseitigen, der,
je länger er andauert, um so stärker die
Gefahren vermehrt, die in der Versumpfung
unseres politischen Lebens liegen.


[irrelevantes Material] [Spaltenumbruch]
Die
bayerische Rechtspflege

Die Frage der Arbeitsgerichte


In der Mittwoch-
sitzung des Haushaltsausschusses bemerkte
Justizminister Gürtner, bezüglich der
Zwangsversicherung der Rechtsanwälte
seien unter Führung eines Nürnberger
Rechtsanwaltes schon früher Versuche ge-
macht worden, die aber scheiterten. Sollte
die Standesvertretung erneut an das
Justizministerium mit dem Wunsche heran-
treten, von neuem die Frage zu prüfen, so
würde sich das Ministerium selbstverständ-
lich dieser Aufgabe nicht entziehen.

Abg. Högner (Soz.) kritisierte eine
Reihe gerichtlicher Urteile, darunter Frei-
sprüche wegen Beleidigungen der Reichs-
farben mit der Begründung, es seien die
Farben des Reichsbanners gemeint ge-
wesen.

Der Justizminister
ging in längeren Ausführungen auf die vor-
gebrachten Wünsche und Beschwerden ein
und beantwortete die einzelnen an ihn ge-
richteten Fragen.

Unter anderem führte er aus,
die Farben Schwarz-Rot-Gold genössen
nur im Zusammenhang als Reichs-
flagge Rechtsschutz.

Zur Frage der
Arbeitsgerichte
stellte der Minister fest, daß deren Tätigkeit
allgemeine Anerkennung gefunden habe.
Es gebe zahlreiche Gründe für und gegen
eine Vergrößerung der Arbeitsgerichts-
bezirke. Grundsätzlich stimme er mit dem
Antrag der Koalition überein. Es sei nicht
beabsichtigt, die in dem Koalitionsantrag ge-
forderte Verringerung der Zahl der Arbeits-
und Landesarbeitsgerichte erst zusammen
mit der Durchführung der Vereinfachung
der Staatsverwaltung vorzunehmen, son-
dern nach Möglichkeit schon früher. An
manchen Plätzen werde man aber ohne Per-
sonalvermehrung nicht auskommen.

Bei der Abstimmung wurden sämtliche
Kapitel der zur Beratung stehenden Posi-
tion angenommen, der sozialdemokratische
Antrag abgelehnt, die beiden Anträge der
Koalitionsparteien angenommen. Der natio-
nalsozialistische Antrag war vorher gleich-
falls der Ablehnung verfallen. Der dafür
angenommene Antrag der Koalitionspartei
ersucht die Staatsregierung, die
Zahl der in Bayern bestehenden Arbeits-
gerichte auf etwa 100 zu vermindern

und die der Landesarbeitsgerichte auf etwa
7 zu vermindern, soweit dies ohne Personal-
vermehrung und ohne eine allzu große Er-
schwerung der Rechtsverfolgung für die Be-
teiligten möglich ist.



Finanzstreit zwischen
Reich und Ländern

Vorbesprechungen am Freitag


Am Freitag wer-
den nach einer Meldung der "Germania"
in Berlin Vorbesprechungen zur Bereinigung
sämtlicher finanzieller Streitfragen zwischen
dem Reich und den Ländern stattfinden. An
den Besprechungen nehmen von den Län-
dern Preußen, Bayern, Württemberg, Sach-
sen, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin
und Oldenburg teil.

Die Länder werden durch ihre Minister-
präsidenten sowie durch ihre Finanzminister
vertreten sein.



Diesmal im Norden
Berlins

Wieder ein Ueberfall eines Verbrecher-
vereins auf eine Gastwirtschaft


Ein ähnlicher Vorfall wie
seinerzeit am Schlesischen Bahnhof spielte sich
gestern abend im Norden Berlins ab. Nach dem
Vorbild der Immertreu-Leute fuhren gegen 11 Uhr
vor ein Lokal in der Punckerstraße plötzlich drei
Kraftdroschken vor. Dem Wagen entstiegen etwa
zehn bis zwölf Mann, die in das Lokal ein-
drangen und mit mehreren dort sitzenden Gästen
Streit anfingen. Es kam zu einer Schlägerei, in
deren Verlauf auch ein Schuß abgefeuert wurde,
der aber sein Ziel verfehlte. Die Polizei war auf
den Ueberfallalarm alsbald mit einem größeren
Aufgebot zur Stelle, so daß die Streitenden ge-
trennt werden konnten, ehe es zu einem ernsteren
Blutvergießen kam. Mehrere der Angreifer konn-
ten verhaftet werden. Nach den bisherigen Er-
mittlungen scheint es sich um einen vorbereiteten
Rachezug zu handeln.

Seite 2 „AZ am Abend“ Nr. 20 Donnerstag, den 24. Januar.


nicht allzu groß waren, aber ſein Beiſpiel genügte,
nicht nur den Hof, ſondern auch die beſitzenden
Kreiſe in Stadt und Land zur Nachahmung an-
zuregen. —
Ich frage nun: Wo bleibt die Kunſtliebe un-
ſerer heutigen Staats- und ſtädtiſchen Würden-
träger? Die Kaufkraft der ehemaligen bürger-
lichen Mittelſchicht iſt freilich erlahmt, aber an
ihrer Stelle ſtehen nicht nur die Spitzen
einer gut bezahlten höheren Be-
amtenſchaft,
ſondern auch die mit reſpek-
tablen Einkommen geſegneten Füh-
rer in Handel und Induſtrie.
Dieſe
heute noch gut ſituierten Schichten ſollten ſich
nicht das Armutszeugnis ausſtellen, daß ihnen
die künſtleriſche Kultur des Heims als unnützer
Tand gilt. Wo aber bleibt der neue Reichtum?
Zeigte ſich deſſen Kunſtliebe nur in Zeiten der
Inflation, als die Bildwerke verſchleudert wur-
den? Es iſt nicht der Geldmangel an ſich die
Urſache, ſondern es beſteht das Verlangen nach
Kunſt faſt gar nicht mehr. Der neue Reichtum
ſollte erkennen, daß nicht nur der Adel, ſondern
auch der Beſitz verpflichtet.
An Staat und Stadt iſt wohl die Anfrage
berechtigt, ob ſie annähernd — auch in Anbetracht
der heutigen Finanznot — für künſtleriſche Kul-
tur das Mögliche leiſten, — am Maße deſſen
geweſen, was für Bizepskultur aufgebracht wird.
Zu keiner Zeit durften ſich unſere Geiſtesheroen
ſo ſeitenlanger Dithyramben erfreuen, wie ſie
heute den Helden des Fußballes und des Box-
kampfes zuteil werden. Erfordern Elfmeter und
Kinnhaken ebenſoviel Arbeit, ebenſoviel Ent-
ſagung wie der dornige Weg zu den Höhen der
Kunſt? Der Ruf „panem et circenses!“, ſo
lernten wir Rückſtändigen auf der Schulbank,
bezeichnete den Niedergang des einſtigen Römer-
volkes. Jeder Künſtler und Kunſtfreund wird
an der befreienden Tat der Körperkultur und
der Volksertüchtigung ſeine ehrliche Freude
haben — aber nur, wenn ſie nicht mit der Preis-
gabe der geiſtigen und ſeeliſchen Kultur bezahlt
werden muß. Deutſchlands kulturelle Weltgeltung
beruht nicht zum wenigſten darauf, daß wir ein-
mal das Volk der Dichter und Denker waren, —
haben wir nicht heute noch die Aufgabe, neben
der ſportlichen Ertüchtigung auch in einem un-
ſichtbaren geiſtigen Olympia ehrenvoll zu be-
ſtehen?
Aber auch die Künſtlerſchaft ſelbſt
trägt ein Großteil Schuld am Niedergange. Es
kann ein Ausländer nichts ſo Dummes ſagen, daß
es nicht in vielen deutſchen Köpfen bewundernde
Aufnahme findet. Corbuſier heißt der franzöſiſche
Architekt, der den von vielen deutſchen Architekten
mit Beifall aufgenommenen geiſtvollen Satz
hämmerte: „Ein Bild iſt ein Schmutzfleck an der
Wand.“ Auf der zweiten Tagung des Deutſchen
Werkbundes 1928 in München ſagte — zum
Glück kein Künſtler, ſondern der gefeierte Heidel-
berger Soziologe und Univerſitätsprofeſſor —
Dr. A. Weber in der Frage des Raumſchmuckes
die Worte: „Hinweg mit dem erbärmlichen Be-
hagen!“ Und ſo laufen wie die Hammeln immer
mehr deutſche Architekten hinter Ideen her, die
urſprünglich der engen, kleinbürgerlichen, puri-
taniſchen Wohnungsbarbarei Amerikas entnom-
men ſind, und ſtimmen ein in das Feldgeſchrei:
Herunter mit den Bildern von der Wand! Nicht
nur, daß ſie damit dem ohnehin ſpärlichen kunſt-
freudigen Publikum den Kopf verwirren, ſtoßen
ſie hiermit ihren Maler- und Bildhauerkollegen
das Meſſer in den Rücken.



Amanullahs Widerruf
beſtätigt

Er will Kabul wieder erobern


Die afghaniſche
Geſandtſchaft beſtätigt durch eine Erklärung
die Meldung, daß König Amanullah ſeine
Abdankung zugunſten ſeines Bruders offi-
ziell widerrufen hat. Sämtliche Gouverneure
der Provinzen Meſar-e-Scherif, Herat, Kan-
dahar und anderer Provinzen haben ihre
Treue und Anhänglichkeit beleuert.

Es werden in Kandahar mit allem Eifer
unter perſönlicher Leitung des Königs
Amanullah Vorbereitungen für
die Wiedereroberung Kabuls

und die Niederwerfung Batſcha-i-Sakaos
getroffen. Die Anhängerſchaft von Batſcha-
i-Sakaos iſt im Schwinden und die Geiſt-
lichkeit, die zu Anfang das Zeichen zum
Aufruhr gegeben hatte, hat ihren Fehler
eingeſehen und iſt bereit, dieſen wiedergut-
zumachen.



Aufhebung eines Trotzkiſtiſchen
Geheimbundes in Moskau

150 Perſonen verhaftet


Wie die Blälter
berichten, iſt ein Trotzkiſtiſcher Geheimbund,
der ſich im antiſowjetiſtiſchen Sinne betätigte,
aufgehoben worden. 150 Perſonen wurden
verhaftet.



Verbrecherjagd in den Straßen von Brüſſel

Im Verlauf einer dramatiſchen Jagd durch die
Straßen gelang es der Polizei, die beiden Räuber
Berckmanns und Demoor, die vor eini-
gen Tagen zwei Polizeibeamte durch Revolver-
ſchüſſe verletzt hatten und als ſehr gefährlich gal-
ten, mit einigen Stunden Zwiſchenraum nachein-
ander dingfeſt zu machen. Während des Kampfes,
der der Verhaftung Demoors vorausging, wur-
den noch zwei Polizeibeamte ſchwer verletzt. De-
moor ſelbſt wurde durch Revolverſchüſſe nieder-
geſtreckt und ins Hoſpital gebracht. Beide Räuber
beſaßen bei ihrer Verhaftung Revolver und reich-
lich Munition. Die Polizeibeamten wurden u. a.
mit Geſchoſſen ausgerüſtet, die be-
täubende Gaſe enthielten.

[Spaltenumbruch]
Gegen Steuererhöhungen —
für Ausgabenbeſchränkung

Die Spitzenverbände der Wirtſchaft zu den Steuerplänen


Die Spitzenverbände
der Wirtſchaft, nämlich der Reichsverband
der Deutſchen Induſtrie, der Zentralverband
des deutſchen Bank- und Bankiergewerbes
und die entſprechenden übrigen Verbände
der Induſtrie, des Groß-Ueberſee- und Ein-
zelhandels, des Handwerks und des Ver-
ſicherungsgewerbes geben eine von dieſen
Spitzenverbänden zu den Steuererhöhungs-
vorſchlägen der Reichsregierung und zu
dem Entwurf eines Steuervereinheit-
lichungsgeſetzes gefaßte Entſchließung
bekannt:

Darin wird zunächſt darauf hingewieſen,
daß die beteiligten Verbände ſchon ſeit Jah-
ren auf die der Kapitalbildung aus dem
wachſenden Steuermaß erwachſenden Gefah-
ren aufmerkſam gemacht und folgende For-
derung aufgeſtellt wird:

Wir verlangen unter ſchärfſter Ablehnung
jeder Steuererhöhung, daß der
Ausgleich des Haushalts durch weitere
Ausgabenbeſchränkung

herbeigeführt wird.

Weiter erklärt die Ent-
[Spaltenumbruch] ſchließung, daß die Spitzenverbände an
ihrer Forderung der Steuervereinfachung
und Steuervereinheitlichung, insbeſondere
auf dem Gebiete der Realſteuer feſthalten,
jedoch
den vorliegenden Entwurf des Steuer-
vereinheitlichungsgeſetzes verwerfen,

daß er der von der Wirtſchaft mit der
Steuervereinheitlichung erſtrebte Steuer-
ſenkung nicht dienen kann, ſondern im
Gegenteil gerade zu einer Verſtärkung des
Steuerdruckes verleitet. Schließlich ſtellt die
Entſchließung die Forderung auf, daß die
im Geſetzentwurf enthaltene
Bevorzugung ſterbender Betriebe der
öffentlichen Hand

beſeitigt und nach dieſer Richtung einer
Reviſion unterzogen werden ſoll. Es ſei ein
Widerſinn, daß die Private Wirtſchaft mit
Steuern bis an die Grenze des Möglichen
belaſtet werde und gleichzeitig Organiſatio-
nen von der Steuer befreit werden, die die
wirtſchaftliche Freiheit und die Fähigkeit
zur Aufbringung von Steuern unterbinden.



Der Berliner Bankskandal
Haftbefehlgegen Inhaber und Prokuriſten

Summe überſteigt bereits drei Millionen * Neue Unterſuchungsergebniſſe

[Spaltenumbruch]

Die Berliner Staats-
anwaltſchaft hat gegen Dr. Lewin, den In-
haber des zuſammengebrochenen Bankhauſes G.
Löwenberg & Co., und die Prokuriſten
Rappaport und Montey Haftbefehl zwecks
ſteckbrieflicher Verfolgung beantragt und gleich-
zeitig Eröffnung der Vorunterſuchung gefordert.

Auf Veranlaſſung der Staatsanwaltſchaft wur-
den in Sachen des Bankſkandals von der Krimi-
nalpolizei weitere Durchſuchungen vorgenommen.
Die geſamten Geſchäftsbücher des Bankhauſes
Löwenberg wurden beſchlagnahmt und Sachver-
ſtändigen übergeben. Die Nachforſchungen haben
ergeben, daß die
Unterſchriften der Wechſel tatſächlich gefälſcht
[Spaltenumbruch] ſind. Die Fälſchungen betreffen u. a. eine Aktien-
geſellſchaft der Elektrobranche und eines der
allererſten Berliner Privatbankhäuſer. Von dieſem
ſind allein für eine Million gefälſcht.

Soweit ſich bisher überblicken läßt, iſt die bis-
herige
Geſamtſumme von 3 Millionen bereits
überſchritten.

Ob Wechſel in dieſer Höhe in den Verkehr ge-
kommen ſind, hat ſich noch nicht feſtſtellen laſſen.
Die Ehefrau Rappaports, die über den Verbleib
ihres Mannes befragt werden ſollte, konnte bis
zur Stunde nicht ermittelt werden. Man nimmt
aber an, daß ſie ſich noch in Berlin bei Bekann-
ten aufhält.



Krankenheilung durch Telephon

Ein Heilmagnetiſeur wegen Betrugs vor Gericht * Freiſpruch


Vor dem Schöffen-
gericht Charlottenburg wurde wegen Be-
trugs gegen einen Heilmagnetiſeur verhan-
delt, der ein fünfjähriges diphtheriekrankes
Kind behandelt hatte, indem er auf telepho-
niſchen Anruf der Mutter hin, die ihm von
der Erkrankung Mitteilung gemacht hatte,
ins Telephon rief:
„Die Krankheit ſoll verſchwinden.“
Nach der Ausſage der Mutter ſoll das Kind
zweimal nach einer ſolchen telephoniſchen
Wunderkur ſich raſch erholt haben, dann



[irrelevantes Material]

aber bekam es plötzlich ſtarrkrampfähnliche
Zuſtände und verſtarb, ehe der Arzt erſchei-
nen konnte. Der Arzt hatte von dem Vor-
haben gehört und Anzeige wegen Betrug
erſtattet.

In der Gerichtsverhandlung, zu der zahl-
reiche mediziniſche Sachverſtändige geladen
waren, erſchien auch ein Heilmagnetiſeur
als Sachverſtändiger, der energiſch auf der
Anſicht beharrte, daß der perſönliche Ein-
fluß des Heilmagnetiſeurs
auch durch das Telephon ſich übertragen
laſſe.

Das Gericht lehnte es ab, zu der medizini-
ſchen Streitfrage Stellung zu nehmen, und
ſprach den Angeklagten, der ſich, wie feſtge-
ſtellt wurde, eines großen Anhangs er-
freut, mit der Begründung frei, daß ihm
eine ſubjektive Betrugsabſicht nicht nach-
zuweiſen ſei.

[Spaltenumbruch]
Die 49prozentige
Regierung

Severing für die Große Koalition


Ueber die Notwendig-
keit, der Reichsregierung eine feſte Baſis zu
geben, ſchreibt Reichsinnenminiſter Severing
in einer ſozialiſtiſchen Zeitſchrift unter an-
derem:

Man hat den heutigen Zuſtand der
49prozentigen Koalition ſchon häufig damit
zu beſchönigen verſucht, daß die Regierung
ja arbeiten könne, in dem ſicheren Bewußt-
ſein, von den Parteien ihrer Mitglieder
kein Mißtrauensvotum zu erhalten. In die-
ſem Zuſtande könnte man, ohne die Inter-
eſſen des Reiches zu gefährden,
in normalen Zeiten
vielleicht die Geſchäfte führen, alſo verwal-
ten. In einem Zeitabſchnitt aber, in dem
jeder Tag zu geſetzgeberiſchen Taten drängt,
iſt dieſer Zuſtand eine Gefahr für das An-
ſehen des Parlamentarimus und damit für
den Palamentarismus ſelbſt.
Eine Koalition, in der alle Parteien der
Regierung gegenüber freie Hand be-
halten wollen, iſt keine Koalition.

Und eine Regierung, die ihre Geſetze nicht
mit einer ſicheren Mehrheit durchbringen
kann, iſt keine Koalitionsregierung und
ſieht ſich auf die Dauer ebenſoſehr in ihrer
Initiative gehemmt, wie der einzelne Mini-
ſter. Und darum iſt die Forderung, die Große
Koalition zu ſchaffen, nichts anderes als die
Forderung, einen Zuſtand zu beſeitigen, der,
je länger er andauert, um ſo ſtärker die
Gefahren vermehrt, die in der Verſumpfung
unſeres politiſchen Lebens liegen.


[irrelevantes Material] [Spaltenumbruch]
Die
bayeriſche Rechtspflege

Die Frage der Arbeitsgerichte


In der Mittwoch-
ſitzung des Haushaltsausſchuſſes bemerkte
Juſtizminiſter Gürtner, bezüglich der
Zwangsverſicherung der Rechtsanwälte
ſeien unter Führung eines Nürnberger
Rechtsanwaltes ſchon früher Verſuche ge-
macht worden, die aber ſcheiterten. Sollte
die Standesvertretung erneut an das
Juſtizminiſterium mit dem Wunſche heran-
treten, von neuem die Frage zu prüfen, ſo
würde ſich das Miniſterium ſelbſtverſtänd-
lich dieſer Aufgabe nicht entziehen.

Abg. Högner (Soz.) kritiſierte eine
Reihe gerichtlicher Urteile, darunter Frei-
ſprüche wegen Beleidigungen der Reichs-
farben mit der Begründung, es ſeien die
Farben des Reichsbanners gemeint ge-
weſen.

Der Juſtizminiſter
ging in längeren Ausführungen auf die vor-
gebrachten Wünſche und Beſchwerden ein
und beantwortete die einzelnen an ihn ge-
richteten Fragen.

Unter anderem führte er aus,
die Farben Schwarz-Rot-Gold genöſſen
nur im Zuſammenhang als Reichs-
flagge Rechtsſchutz.

Zur Frage der
Arbeitsgerichte
ſtellte der Miniſter feſt, daß deren Tätigkeit
allgemeine Anerkennung gefunden habe.
Es gebe zahlreiche Gründe für und gegen
eine Vergrößerung der Arbeitsgerichts-
bezirke. Grundſätzlich ſtimme er mit dem
Antrag der Koalition überein. Es ſei nicht
beabſichtigt, die in dem Koalitionsantrag ge-
forderte Verringerung der Zahl der Arbeits-
und Landesarbeitsgerichte erſt zuſammen
mit der Durchführung der Vereinfachung
der Staatsverwaltung vorzunehmen, ſon-
dern nach Möglichkeit ſchon früher. An
manchen Plätzen werde man aber ohne Per-
ſonalvermehrung nicht auskommen.

Bei der Abſtimmung wurden ſämtliche
Kapitel der zur Beratung ſtehenden Poſi-
tion angenommen, der ſozialdemokratiſche
Antrag abgelehnt, die beiden Anträge der
Koalitionsparteien angenommen. Der natio-
nalſozialiſtiſche Antrag war vorher gleich-
falls der Ablehnung verfallen. Der dafür
angenommene Antrag der Koalitionspartei
erſucht die Staatsregierung, die
Zahl der in Bayern beſtehenden Arbeits-
gerichte auf etwa 100 zu vermindern

und die der Landesarbeitsgerichte auf etwa
7 zu vermindern, ſoweit dies ohne Perſonal-
vermehrung und ohne eine allzu große Er-
ſchwerung der Rechtsverfolgung für die Be-
teiligten möglich iſt.



Finanzſtreit zwiſchen
Reich und Ländern

Vorbeſprechungen am Freitag


Am Freitag wer-
den nach einer Meldung der „Germania“
in Berlin Vorbeſprechungen zur Bereinigung
ſämtlicher finanzieller Streitfragen zwiſchen
dem Reich und den Ländern ſtattfinden. An
den Beſprechungen nehmen von den Län-
dern Preußen, Bayern, Württemberg, Sach-
ſen, Baden, Heſſen, Mecklenburg-Schwerin
und Oldenburg teil.

Die Länder werden durch ihre Miniſter-
präſidenten ſowie durch ihre Finanzminiſter
vertreten ſein.



Diesmal im Norden
Berlins

Wieder ein Ueberfall eines Verbrecher-
vereins auf eine Gaſtwirtſchaft


Ein ähnlicher Vorfall wie
ſeinerzeit am Schleſiſchen Bahnhof ſpielte ſich
geſtern abend im Norden Berlins ab. Nach dem
Vorbild der Immertreu-Leute fuhren gegen 11 Uhr
vor ein Lokal in der Punckerſtraße plötzlich drei
Kraftdroſchken vor. Dem Wagen entſtiegen etwa
zehn bis zwölf Mann, die in das Lokal ein-
drangen und mit mehreren dort ſitzenden Gäſten
Streit anfingen. Es kam zu einer Schlägerei, in
deren Verlauf auch ein Schuß abgefeuert wurde,
der aber ſein Ziel verfehlte. Die Polizei war auf
den Ueberfallalarm alsbald mit einem größeren
Aufgebot zur Stelle, ſo daß die Streitenden ge-
trennt werden konnten, ehe es zu einem ernſteren
Blutvergießen kam. Mehrere der Angreifer konn-
ten verhaftet werden. Nach den bisherigen Er-
mittlungen ſcheint es ſich um einen vorbereiteten
Rachezug zu handeln.

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[Seite 2[2]/0002] Seite 2 „AZ am Abend“ Nr. 20 Donnerstag, den 24. Januar. nicht allzu groß waren, aber ſein Beiſpiel genügte, nicht nur den Hof, ſondern auch die beſitzenden Kreiſe in Stadt und Land zur Nachahmung an- zuregen. — Ich frage nun: Wo bleibt die Kunſtliebe un- ſerer heutigen Staats- und ſtädtiſchen Würden- träger? Die Kaufkraft der ehemaligen bürger- lichen Mittelſchicht iſt freilich erlahmt, aber an ihrer Stelle ſtehen nicht nur die Spitzen einer gut bezahlten höheren Be- amtenſchaft, ſondern auch die mit reſpek- tablen Einkommen geſegneten Füh- rer in Handel und Induſtrie. Dieſe heute noch gut ſituierten Schichten ſollten ſich nicht das Armutszeugnis ausſtellen, daß ihnen die künſtleriſche Kultur des Heims als unnützer Tand gilt. Wo aber bleibt der neue Reichtum? Zeigte ſich deſſen Kunſtliebe nur in Zeiten der Inflation, als die Bildwerke verſchleudert wur- den? Es iſt nicht der Geldmangel an ſich die Urſache, ſondern es beſteht das Verlangen nach Kunſt faſt gar nicht mehr. Der neue Reichtum ſollte erkennen, daß nicht nur der Adel, ſondern auch der Beſitz verpflichtet. An Staat und Stadt iſt wohl die Anfrage berechtigt, ob ſie annähernd — auch in Anbetracht der heutigen Finanznot — für künſtleriſche Kul- tur das Mögliche leiſten, — am Maße deſſen geweſen, was für Bizepskultur aufgebracht wird. Zu keiner Zeit durften ſich unſere Geiſtesheroen ſo ſeitenlanger Dithyramben erfreuen, wie ſie heute den Helden des Fußballes und des Box- kampfes zuteil werden. Erfordern Elfmeter und Kinnhaken ebenſoviel Arbeit, ebenſoviel Ent- ſagung wie der dornige Weg zu den Höhen der Kunſt? Der Ruf „panem et circenses!“, ſo lernten wir Rückſtändigen auf der Schulbank, bezeichnete den Niedergang des einſtigen Römer- volkes. Jeder Künſtler und Kunſtfreund wird an der befreienden Tat der Körperkultur und der Volksertüchtigung ſeine ehrliche Freude haben — aber nur, wenn ſie nicht mit der Preis- gabe der geiſtigen und ſeeliſchen Kultur bezahlt werden muß. Deutſchlands kulturelle Weltgeltung beruht nicht zum wenigſten darauf, daß wir ein- mal das Volk der Dichter und Denker waren, — haben wir nicht heute noch die Aufgabe, neben der ſportlichen Ertüchtigung auch in einem un- ſichtbaren geiſtigen Olympia ehrenvoll zu be- ſtehen? Aber auch die Künſtlerſchaft ſelbſt trägt ein Großteil Schuld am Niedergange. Es kann ein Ausländer nichts ſo Dummes ſagen, daß es nicht in vielen deutſchen Köpfen bewundernde Aufnahme findet. Corbuſier heißt der franzöſiſche Architekt, der den von vielen deutſchen Architekten mit Beifall aufgenommenen geiſtvollen Satz hämmerte: „Ein Bild iſt ein Schmutzfleck an der Wand.“ Auf der zweiten Tagung des Deutſchen Werkbundes 1928 in München ſagte — zum Glück kein Künſtler, ſondern der gefeierte Heidel- berger Soziologe und Univerſitätsprofeſſor — Dr. A. Weber in der Frage des Raumſchmuckes die Worte: „Hinweg mit dem erbärmlichen Be- hagen!“ Und ſo laufen wie die Hammeln immer mehr deutſche Architekten hinter Ideen her, die urſprünglich der engen, kleinbürgerlichen, puri- taniſchen Wohnungsbarbarei Amerikas entnom- men ſind, und ſtimmen ein in das Feldgeſchrei: Herunter mit den Bildern von der Wand! Nicht nur, daß ſie damit dem ohnehin ſpärlichen kunſt- freudigen Publikum den Kopf verwirren, ſtoßen ſie hiermit ihren Maler- und Bildhauerkollegen das Meſſer in den Rücken. Amanullahs Widerruf beſtätigt Er will Kabul wieder erobern Berlin, 24. Januar. Die afghaniſche Geſandtſchaft beſtätigt durch eine Erklärung die Meldung, daß König Amanullah ſeine Abdankung zugunſten ſeines Bruders offi- ziell widerrufen hat. Sämtliche Gouverneure der Provinzen Meſar-e-Scherif, Herat, Kan- dahar und anderer Provinzen haben ihre Treue und Anhänglichkeit beleuert. Es werden in Kandahar mit allem Eifer unter perſönlicher Leitung des Königs Amanullah Vorbereitungen für die Wiedereroberung Kabuls und die Niederwerfung Batſcha-i-Sakaos getroffen. Die Anhängerſchaft von Batſcha- i-Sakaos iſt im Schwinden und die Geiſt- lichkeit, die zu Anfang das Zeichen zum Aufruhr gegeben hatte, hat ihren Fehler eingeſehen und iſt bereit, dieſen wiedergut- zumachen. Aufhebung eines Trotzkiſtiſchen Geheimbundes in Moskau 150 Perſonen verhaftet Moskau, 24. Januar. Wie die Blälter berichten, iſt ein Trotzkiſtiſcher Geheimbund, der ſich im antiſowjetiſtiſchen Sinne betätigte, aufgehoben worden. 150 Perſonen wurden verhaftet. Verbrecherjagd in den Straßen von Brüſſel Im Verlauf einer dramatiſchen Jagd durch die Straßen gelang es der Polizei, die beiden Räuber Berckmanns und Demoor, die vor eini- gen Tagen zwei Polizeibeamte durch Revolver- ſchüſſe verletzt hatten und als ſehr gefährlich gal- ten, mit einigen Stunden Zwiſchenraum nachein- ander dingfeſt zu machen. Während des Kampfes, der der Verhaftung Demoors vorausging, wur- den noch zwei Polizeibeamte ſchwer verletzt. De- moor ſelbſt wurde durch Revolverſchüſſe nieder- geſtreckt und ins Hoſpital gebracht. Beide Räuber beſaßen bei ihrer Verhaftung Revolver und reich- lich Munition. Die Polizeibeamten wurden u. a. mit Geſchoſſen ausgerüſtet, die be- täubende Gaſe enthielten. Gegen Steuererhöhungen — für Ausgabenbeſchränkung Die Spitzenverbände der Wirtſchaft zu den Steuerplänen Berlin, 24. Januar. Die Spitzenverbände der Wirtſchaft, nämlich der Reichsverband der Deutſchen Induſtrie, der Zentralverband des deutſchen Bank- und Bankiergewerbes und die entſprechenden übrigen Verbände der Induſtrie, des Groß-Ueberſee- und Ein- zelhandels, des Handwerks und des Ver- ſicherungsgewerbes geben eine von dieſen Spitzenverbänden zu den Steuererhöhungs- vorſchlägen der Reichsregierung und zu dem Entwurf eines Steuervereinheit- lichungsgeſetzes gefaßte Entſchließung bekannt: Darin wird zunächſt darauf hingewieſen, daß die beteiligten Verbände ſchon ſeit Jah- ren auf die der Kapitalbildung aus dem wachſenden Steuermaß erwachſenden Gefah- ren aufmerkſam gemacht und folgende For- derung aufgeſtellt wird: Wir verlangen unter ſchärfſter Ablehnung jeder Steuererhöhung, daß der Ausgleich des Haushalts durch weitere Ausgabenbeſchränkung herbeigeführt wird. Weiter erklärt die Ent- ſchließung, daß die Spitzenverbände an ihrer Forderung der Steuervereinfachung und Steuervereinheitlichung, insbeſondere auf dem Gebiete der Realſteuer feſthalten, jedoch den vorliegenden Entwurf des Steuer- vereinheitlichungsgeſetzes verwerfen, daß er der von der Wirtſchaft mit der Steuervereinheitlichung erſtrebte Steuer- ſenkung nicht dienen kann, ſondern im Gegenteil gerade zu einer Verſtärkung des Steuerdruckes verleitet. Schließlich ſtellt die Entſchließung die Forderung auf, daß die im Geſetzentwurf enthaltene Bevorzugung ſterbender Betriebe der öffentlichen Hand beſeitigt und nach dieſer Richtung einer Reviſion unterzogen werden ſoll. Es ſei ein Widerſinn, daß die Private Wirtſchaft mit Steuern bis an die Grenze des Möglichen belaſtet werde und gleichzeitig Organiſatio- nen von der Steuer befreit werden, die die wirtſchaftliche Freiheit und die Fähigkeit zur Aufbringung von Steuern unterbinden. Der Berliner Bankskandal Haftbefehlgegen Inhaber und Prokuriſten Summe überſteigt bereits drei Millionen * Neue Unterſuchungsergebniſſe Berlin, 24. Januar. Die Berliner Staats- anwaltſchaft hat gegen Dr. Lewin, den In- haber des zuſammengebrochenen Bankhauſes G. Löwenberg & Co., und die Prokuriſten Rappaport und Montey Haftbefehl zwecks ſteckbrieflicher Verfolgung beantragt und gleich- zeitig Eröffnung der Vorunterſuchung gefordert. Auf Veranlaſſung der Staatsanwaltſchaft wur- den in Sachen des Bankſkandals von der Krimi- nalpolizei weitere Durchſuchungen vorgenommen. Die geſamten Geſchäftsbücher des Bankhauſes Löwenberg wurden beſchlagnahmt und Sachver- ſtändigen übergeben. Die Nachforſchungen haben ergeben, daß die Unterſchriften der Wechſel tatſächlich gefälſcht ſind. Die Fälſchungen betreffen u. a. eine Aktien- geſellſchaft der Elektrobranche und eines der allererſten Berliner Privatbankhäuſer. Von dieſem ſind allein für eine Million gefälſcht. Soweit ſich bisher überblicken läßt, iſt die bis- herige Geſamtſumme von 3 Millionen bereits überſchritten. Ob Wechſel in dieſer Höhe in den Verkehr ge- kommen ſind, hat ſich noch nicht feſtſtellen laſſen. Die Ehefrau Rappaports, die über den Verbleib ihres Mannes befragt werden ſollte, konnte bis zur Stunde nicht ermittelt werden. Man nimmt aber an, daß ſie ſich noch in Berlin bei Bekann- ten aufhält. Krankenheilung durch Telephon Ein Heilmagnetiſeur wegen Betrugs vor Gericht * Freiſpruch Berlin, 24. Januar. Vor dem Schöffen- gericht Charlottenburg wurde wegen Be- trugs gegen einen Heilmagnetiſeur verhan- delt, der ein fünfjähriges diphtheriekrankes Kind behandelt hatte, indem er auf telepho- niſchen Anruf der Mutter hin, die ihm von der Erkrankung Mitteilung gemacht hatte, ins Telephon rief: „Die Krankheit ſoll verſchwinden.“ Nach der Ausſage der Mutter ſoll das Kind zweimal nach einer ſolchen telephoniſchen Wunderkur ſich raſch erholt haben, dann _ aber bekam es plötzlich ſtarrkrampfähnliche Zuſtände und verſtarb, ehe der Arzt erſchei- nen konnte. Der Arzt hatte von dem Vor- haben gehört und Anzeige wegen Betrug erſtattet. In der Gerichtsverhandlung, zu der zahl- reiche mediziniſche Sachverſtändige geladen waren, erſchien auch ein Heilmagnetiſeur als Sachverſtändiger, der energiſch auf der Anſicht beharrte, daß der perſönliche Ein- fluß des Heilmagnetiſeurs auch durch das Telephon ſich übertragen laſſe. Das Gericht lehnte es ab, zu der medizini- ſchen Streitfrage Stellung zu nehmen, und ſprach den Angeklagten, der ſich, wie feſtge- ſtellt wurde, eines großen Anhangs er- freut, mit der Begründung frei, daß ihm eine ſubjektive Betrugsabſicht nicht nach- zuweiſen ſei. Die 49prozentige Regierung Severing für die Große Koalition Berlin, 24. Januar. Ueber die Notwendig- keit, der Reichsregierung eine feſte Baſis zu geben, ſchreibt Reichsinnenminiſter Severing in einer ſozialiſtiſchen Zeitſchrift unter an- derem: Man hat den heutigen Zuſtand der 49prozentigen Koalition ſchon häufig damit zu beſchönigen verſucht, daß die Regierung ja arbeiten könne, in dem ſicheren Bewußt- ſein, von den Parteien ihrer Mitglieder kein Mißtrauensvotum zu erhalten. In die- ſem Zuſtande könnte man, ohne die Inter- eſſen des Reiches zu gefährden, in normalen Zeiten vielleicht die Geſchäfte führen, alſo verwal- ten. In einem Zeitabſchnitt aber, in dem jeder Tag zu geſetzgeberiſchen Taten drängt, iſt dieſer Zuſtand eine Gefahr für das An- ſehen des Parlamentarimus und damit für den Palamentarismus ſelbſt. Eine Koalition, in der alle Parteien der Regierung gegenüber freie Hand be- halten wollen, iſt keine Koalition. Und eine Regierung, die ihre Geſetze nicht mit einer ſicheren Mehrheit durchbringen kann, iſt keine Koalitionsregierung und ſieht ſich auf die Dauer ebenſoſehr in ihrer Initiative gehemmt, wie der einzelne Mini- ſter. Und darum iſt die Forderung, die Große Koalition zu ſchaffen, nichts anderes als die Forderung, einen Zuſtand zu beſeitigen, der, je länger er andauert, um ſo ſtärker die Gefahren vermehrt, die in der Verſumpfung unſeres politiſchen Lebens liegen. _ Die bayeriſche Rechtspflege Die Frage der Arbeitsgerichte München, 24. Januar. In der Mittwoch- ſitzung des Haushaltsausſchuſſes bemerkte Juſtizminiſter Gürtner, bezüglich der Zwangsverſicherung der Rechtsanwälte ſeien unter Führung eines Nürnberger Rechtsanwaltes ſchon früher Verſuche ge- macht worden, die aber ſcheiterten. Sollte die Standesvertretung erneut an das Juſtizminiſterium mit dem Wunſche heran- treten, von neuem die Frage zu prüfen, ſo würde ſich das Miniſterium ſelbſtverſtänd- lich dieſer Aufgabe nicht entziehen. Abg. Högner (Soz.) kritiſierte eine Reihe gerichtlicher Urteile, darunter Frei- ſprüche wegen Beleidigungen der Reichs- farben mit der Begründung, es ſeien die Farben des Reichsbanners gemeint ge- weſen. Der Juſtizminiſter ging in längeren Ausführungen auf die vor- gebrachten Wünſche und Beſchwerden ein und beantwortete die einzelnen an ihn ge- richteten Fragen. Unter anderem führte er aus, die Farben Schwarz-Rot-Gold genöſſen nur im Zuſammenhang als Reichs- flagge Rechtsſchutz. Zur Frage der Arbeitsgerichte ſtellte der Miniſter feſt, daß deren Tätigkeit allgemeine Anerkennung gefunden habe. Es gebe zahlreiche Gründe für und gegen eine Vergrößerung der Arbeitsgerichts- bezirke. Grundſätzlich ſtimme er mit dem Antrag der Koalition überein. Es ſei nicht beabſichtigt, die in dem Koalitionsantrag ge- forderte Verringerung der Zahl der Arbeits- und Landesarbeitsgerichte erſt zuſammen mit der Durchführung der Vereinfachung der Staatsverwaltung vorzunehmen, ſon- dern nach Möglichkeit ſchon früher. An manchen Plätzen werde man aber ohne Per- ſonalvermehrung nicht auskommen. Bei der Abſtimmung wurden ſämtliche Kapitel der zur Beratung ſtehenden Poſi- tion angenommen, der ſozialdemokratiſche Antrag abgelehnt, die beiden Anträge der Koalitionsparteien angenommen. Der natio- nalſozialiſtiſche Antrag war vorher gleich- falls der Ablehnung verfallen. Der dafür angenommene Antrag der Koalitionspartei erſucht die Staatsregierung, die Zahl der in Bayern beſtehenden Arbeits- gerichte auf etwa 100 zu vermindern und die der Landesarbeitsgerichte auf etwa 7 zu vermindern, ſoweit dies ohne Perſonal- vermehrung und ohne eine allzu große Er- ſchwerung der Rechtsverfolgung für die Be- teiligten möglich iſt. Finanzſtreit zwiſchen Reich und Ländern Vorbeſprechungen am Freitag Berlin, 24. Januar. Am Freitag wer- den nach einer Meldung der „Germania“ in Berlin Vorbeſprechungen zur Bereinigung ſämtlicher finanzieller Streitfragen zwiſchen dem Reich und den Ländern ſtattfinden. An den Beſprechungen nehmen von den Län- dern Preußen, Bayern, Württemberg, Sach- ſen, Baden, Heſſen, Mecklenburg-Schwerin und Oldenburg teil. Die Länder werden durch ihre Miniſter- präſidenten ſowie durch ihre Finanzminiſter vertreten ſein. Diesmal im Norden Berlins Wieder ein Ueberfall eines Verbrecher- vereins auf eine Gaſtwirtſchaft Berlin, 24. Jan. Ein ähnlicher Vorfall wie ſeinerzeit am Schleſiſchen Bahnhof ſpielte ſich geſtern abend im Norden Berlins ab. Nach dem Vorbild der Immertreu-Leute fuhren gegen 11 Uhr vor ein Lokal in der Punckerſtraße plötzlich drei Kraftdroſchken vor. Dem Wagen entſtiegen etwa zehn bis zwölf Mann, die in das Lokal ein- drangen und mit mehreren dort ſitzenden Gäſten Streit anfingen. Es kam zu einer Schlägerei, in deren Verlauf auch ein Schuß abgefeuert wurde, der aber ſein Ziel verfehlte. Die Polizei war auf den Ueberfallalarm alsbald mit einem größeren Aufgebot zur Stelle, ſo daß die Streitenden ge- trennt werden konnten, ehe es zu einem ernſteren Blutvergießen kam. Mehrere der Angreifer konn- ten verhaftet werden. Nach den bisherigen Er- mittlungen ſcheint es ſich um einen vorbereiteten Rachezug zu handeln.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-01-02T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 24. Januar 1929, S. Seite 2[2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine20_1929/2>, abgerufen am 21.11.2024.