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Allgemeine Zeitung, Nr. 21, 30. Mai 1920.

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30. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

meinem Leben ... Worin also lag der Mittelpunkt des Reizes
für mich? Ich erinnere mich ganz klar: damals in jener Reit-
bahn war es der Reiz des Geheimnisses. Der Vorhang mit einer
Lyra, die einleitende Musik erregten mich; es war die Ahnung
einer mir unbekannten Welt, es war Romantik, wie mancher
kurzweg sagen würde. Und in der Tat, der ganze bunte Kram
hinter dem Vorhang, zu welchem ich mir bald, die Dachluke
aufgebend, Zugang verschaffte, die kuriose, für einen Knaben
dreifach interessante Wirtschaft hinter den Kulissen, das war
es nicht, was meinem Interesse Stich hielt. Dort blieb ich nie-
mals, wenn das Stück beginnen sollte; ich kroch stets unter dem
Podium hinaus in den Zuschauerraum und siedelte mich im
fernsten, dunkelsten Winkel an, um das Zittern des Vorhangs,
wenn aufgezogen werden sollte, im Ahnungsschauer mitzuerleben,
um in dunkler Einsamkeit die wunderbare Welt eines Ritter-
stückes zwei, drei Stunden lang an mir vorüberziehen zu sehen.
Auch was mich später nach langer Pause in Breslau wieder ins
Theater zog, war Romantik. Das Käthchen von Heilbronn
war's... Die Ritterstücke jener Jugendzeit hielten lange vor...
Und Räuberstücke waren zahlreich... Daß Schiller auf das
Thema der Räuber gekommen, hatte unter den Schauspielern
endlose Propaganda gemacht ... Schillers "Räuber" wurden in
unserer Reitbahn aufgeführt; ich sehe noch den dicken Schau-
spieler vor mir, der den Franz Moor spielte: er hatte sich das
Gesicht mit hundert schwarzen Punkten betupft. Sie bedeute-
ten Blatternnarben. Aber den Autornamen Schiller sprach nie-
mand aus, unser Ratskutscher Schiller blieb in alleinigem Besitz
dieses Namens."

Laube erzählt dann von Iffland und Kotzebues Schauspielen,
die im Vordergrund des Interesses standen, und von den Er-
folgen der französischen Stücke. Aus der letzteren Gattung nennt
er: "Des Hasses und der Liebe Rache". "Es spielte in Spanien,
wo die Franzosen unter Napoleon erobernd eingedrungen waren.
Am Schlusse eines Aktes schoß der französische Offizier sein Pistol
ab auf einen Spanier. Das Pistol versagte, und der Vorhang
fiel unter großem Gelächter des Publikums. Ich kroch eilig
unter dem Podium hinauf, um Direktor Butenops Zorn anzu-
sehen gegen den Requisiteur Krebs, den er immer auf dem
Strich hatte. Richtig! er hielt ihn bereits am Kragen und schrie
immerfort: "Das Publikum muß den Schuß hören, Canaille!
Das Publikum muß den Schuß hören!" -- Pautz! knallt der Schuß.
Neues, noch stärkeres Gelächter im Publikum."

Während seiner Studienzeit in Halle hatte Laube ein merk-
würdiges Zusammentreffen mit Goethe. Er erzählt: "Goethe
lebte noch in Weimar, er lebte noch sechs Jahre, und zwar in
unserer Nähe. Wir aufgeblasenen Burschen fragten nicht nach
Weimar. In den Wald hinauf, wie man die thüringischen Berge
nennt, welche hier Nord- und Süddeutschland scheiden, in den
grünen Wald trachteten wir... Im westlichen Teile dieser mit
Laubholz bedeckten, weichgeformten Hügel ist ein kleines, an-
mutiges Tal, Wilhelmstal geheißen, zu einer ländlichen Sommer-
residenz benutzt worden für die weimarischen Fürsten. Der Weg
von hier nach der Wartburg hinüber gehört zu den schönsten
Partien dieses Waldgebirges, und diesen Weg suchten wir. Neu-
gierig schlenderten wir durch die parkartigen Anlagen Wilhelms-
tals und schritten auf ein paar Zelte zu, welche auf einer Wiese
standen. Da stürzten zwei riesengroße Hunde uns entgegen mit
wildem Gebell und unter allen Zeichen eines ernsthaften An-
griffes. Wir verteidigten uns mit unseren Ziegenhainern und
schrien wohl auch fluchend in unserer Bedrängnis. Kurz, beide
Zelte öffneten sich, und aus jedem trat ein Mann. Der eine
war klein und mit leichter Sommerjacke bekleidet, der andere
war groß und trug einen Ueberrock. Der Kleine pfiff, der Große
rief, und die Hunde ließen ab von uns. Statt zu danken für
die Rettung, schalten wir wohl weiter über solche Hundewirtschaft,
welche friedliche Wanderer bedrohte, und schritten fürbaß. --
Der Kleine hat auch noch gelacht! -- sagte mein Adoptivbruder
grollend, und als wir nicht weit von den Zelten einem arbei-
tenden Gärtner begegneten, gaben wir diesem schuldlosen Mann
unseren Unwillen zu erkennen. Er sah uns ernsthaft an und
sagte gelassen: "Das sind die großen Hunde Seiner Durchlaucht
gewesen, und der Herr Herzog selbst mit dem Herrn Geheimrat
hat Sie errettet, denn mit den vornehmen Biestern ist nicht zu
spassen." -- Der Herr Geheimrat war Goethe und der Herr Her-
zog war Karl August gewesen.

[Spaltenumbruch]

Immer wieder kämpfte in Laubes Seele der freie Schrift-
steller mit dem Theologen. Die Zeitschrift Aurora, deren Mit-
begründer er war, gab ihm stets neuen Impuls nach der lite-
rarischen Seite hin. Trotzdem, wohl nicht zuletzt infolge seiner
völligen Mittellosigkeit, fesselte ihn immer etwas an die Theo-
logie. Es war die Aussicht auf ein Amt. "In Wahrheit,"
äußerte er sich, "hatte ich noch immer keine Vorstellung, ob
und wie Schriftstellerei ein Lebensberuf sein könnte; ich blieb
in diesem Betracht immer noch Theologe und machte deshalb eines
Tages dem theologischen Hauptprofessor, dem Konsistorialrat Da-
vid Schulz, einen Besuch, um mich sicherzustellen. Ich fragte den
gestrengen alten Herrn, der immer ziemlich mürrisch dreinsah,
ob es der theologischen Behörde vereinbar erschiene, daß man
als angehender Geistlicher auch Theaterstücke verfasse. Ich sehe
den gestrengen Mann noch vor mir. Mein Eintritt ins Zimmer
hatte ihn überrascht; er war im Begriff, ins Kollegium zu
gehen und sich für diesen Zweck die Stiefel anzuziehen. Er
saß in Hemdärmeln da und hatte einen großen blanken Stiefel
in der Hand, wie man sie damals noch trug und über das enge
Beinkleid bis zum Knie hinauf anzog. Bei meiner verfänglichen
Frage hielt er inne in seinem Geschäft, ließ den großen blanken
Stiefel in der Luft baumeln und sah mich von unten herauf schwei-
gend an. Ich meinte, es werde ein theologisches Donnerwetter
losbrechen. Es war wohl auch im Entstehen, aber der grund-
sätzliche Rationalismus mochte es in dieser Pause zerteilen. Er
ließ den baumelnden Stiefel auf den Fußboden nieder, und wäh-
rend er ihn langsam anzog und seinen Blick nur auf diese Be-
schäftigung richtete, sagte er trocken vor sich hin: Wenn der Theo-
loge übrigens ein tüchtiger Theologe sei, so werde man's ihm
nicht verargen, daß er Schriftstellerei treibe, vielleicht auch nicht
verargen, daß er fürs Theater schreibe. Es komme freilich dar-
auf an, welcher Art seine Theaterstücke wären. Und -- jetzt
war der Stiefel angezogen und der Blick schoß wieder auf
mich -- und aufpassen wird man allerdings, ob der also schrift-
stellernde Gottesgelehrte nicht Zeit und Sammlung zersplittere
an abliegenden Nebensachen. Ein Wink mit der Hand, welche
nach dem zweiten Stiefel griff, verabschiedete mich, und ich war
so klug wie zuvor."

Nach dreijähriger Studienzeit präsentierte Laube sich zum
theologischen Kandidatenexamen. "Ueber die Erbsünde" lautete
sein Thema. Er legte die "feierliche Aufgabe zu den profanen
Manuskripten und beschloß, ihr eine Zeitlang sein Nachdenken
zu widmen".

Unterdessen schrieb Laube eine Gustav-Adolf-Tragödie, über
deren Entstehung und Uraufführung er erzählt: "Der Helden-
spieler Kunst brauchte eine neue Rolle, und da ich mehrmals
erzählt hatte, daß ich mich mit dem Schwedenkönig Gustav Adolf
intim beschäftigte, so hieß es: Vorwärts, vorwärts! das ist ein
gutes Thema! Ich weiß absolut nicht mehr, wie ich auf die Idee
gekommen, und weiß ebensowenig, woher ich die Mittel geholt
zu einer fünfaktigen historischen Tragödie ..." Laube spricht
dann von einem literarischen Streit, den er mit dem berühmten
Professor Wilhelm Wackernagel hatte, da dieser den Dramatiker
Goethe höher als Schiller einschätzte. "... Ich lernte also in un-
seren Vorbesprechungen über den Schillerfeind wiederum eine
Menge literarischer Gesetze und die mögen mir wohl hilfreich
gewesen sein, ein den ganzen Abend füllendes historisches Trauer-
spiel hastig niederzuschreiben, welches die Theaterdirektion sofort
annahm und in Szene setzte. In Wahrheit ist es eine Studien-
arbeit gewesen, und daß man sie aufführte, ist eben nur ein
Zeugnis für leichtsinnige und oberflächliche Bühnenleitung.

Damals wohnte ich zum ersten Male einer Probe bei. Ohne
Eindruck, ohne Nutzen. Niemand konnte seine Rolle ordentlich,
und das befremdete niemanden, es war also herkömmlich ....
Bei der Aufführung selbst indessen fand ich doch dies Nicht-
wissen der Worte bedenklich. Gustav Adolf selbst, Herr Kunst,
leistete darin mehr, als ich vertragen konnte. Der letzte Akt
war natürlich die Schlacht bei Lützen in voller Ausdehnung ....
Das Schlachtgebet ist mir unvergeßlich geblieben als Theater-
symptom. Kunst wußte kein Wort davon auswendig und kniete
als kluger Kriegsmann dicht vor dem Souffleurkasten nieder;
die Generale und Soldaten, welche keinen Souffleur brauchten,
weil sie nicht zu reden hatten, weit zurück nach dem Hinter-
grunde. Umsonst! Diesem Schwedenkönig, der bald sterben sollte,
konnte kein Souffleur helfen. Wir auf der ersten Reihe ver-

30. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

meinem Leben ... Worin alſo lag der Mittelpunkt des Reizes
für mich? Ich erinnere mich ganz klar: damals in jener Reit-
bahn war es der Reiz des Geheimniſſes. Der Vorhang mit einer
Lyra, die einleitende Muſik erregten mich; es war die Ahnung
einer mir unbekannten Welt, es war Romantik, wie mancher
kurzweg ſagen würde. Und in der Tat, der ganze bunte Kram
hinter dem Vorhang, zu welchem ich mir bald, die Dachluke
aufgebend, Zugang verſchaffte, die kurioſe, für einen Knaben
dreifach intereſſante Wirtſchaft hinter den Kuliſſen, das war
es nicht, was meinem Intereſſe Stich hielt. Dort blieb ich nie-
mals, wenn das Stück beginnen ſollte; ich kroch ſtets unter dem
Podium hinaus in den Zuſchauerraum und ſiedelte mich im
fernſten, dunkelſten Winkel an, um das Zittern des Vorhangs,
wenn aufgezogen werden ſollte, im Ahnungsſchauer mitzuerleben,
um in dunkler Einſamkeit die wunderbare Welt eines Ritter-
ſtückes zwei, drei Stunden lang an mir vorüberziehen zu ſehen.
Auch was mich ſpäter nach langer Pauſe in Breslau wieder ins
Theater zog, war Romantik. Das Käthchen von Heilbronn
war’s... Die Ritterſtücke jener Jugendzeit hielten lange vor...
Und Räuberſtücke waren zahlreich... Daß Schiller auf das
Thema der Räuber gekommen, hatte unter den Schauſpielern
endloſe Propaganda gemacht ... Schillers „Räuber“ wurden in
unſerer Reitbahn aufgeführt; ich ſehe noch den dicken Schau-
ſpieler vor mir, der den Franz Moor ſpielte: er hatte ſich das
Geſicht mit hundert ſchwarzen Punkten betupft. Sie bedeute-
ten Blatternnarben. Aber den Autornamen Schiller ſprach nie-
mand aus, unſer Ratskutſcher Schiller blieb in alleinigem Beſitz
dieſes Namens.“

Laube erzählt dann von Iffland und Kotzebues Schauſpielen,
die im Vordergrund des Intereſſes ſtanden, und von den Er-
folgen der franzöſiſchen Stücke. Aus der letzteren Gattung nennt
er: „Des Haſſes und der Liebe Rache“. „Es ſpielte in Spanien,
wo die Franzoſen unter Napoleon erobernd eingedrungen waren.
Am Schluſſe eines Aktes ſchoß der franzöſiſche Offizier ſein Piſtol
ab auf einen Spanier. Das Piſtol verſagte, und der Vorhang
fiel unter großem Gelächter des Publikums. Ich kroch eilig
unter dem Podium hinauf, um Direktor Butenops Zorn anzu-
ſehen gegen den Requiſiteur Krebs, den er immer auf dem
Strich hatte. Richtig! er hielt ihn bereits am Kragen und ſchrie
immerfort: „Das Publikum muß den Schuß hören, Canaille!
Das Publikum muß den Schuß hören!“ — Pautz! knallt der Schuß.
Neues, noch ſtärkeres Gelächter im Publikum.“

Während ſeiner Studienzeit in Halle hatte Laube ein merk-
würdiges Zuſammentreffen mit Goethe. Er erzählt: „Goethe
lebte noch in Weimar, er lebte noch ſechs Jahre, und zwar in
unſerer Nähe. Wir aufgeblaſenen Burſchen fragten nicht nach
Weimar. In den Wald hinauf, wie man die thüringiſchen Berge
nennt, welche hier Nord- und Süddeutſchland ſcheiden, in den
grünen Wald trachteten wir... Im weſtlichen Teile dieſer mit
Laubholz bedeckten, weichgeformten Hügel iſt ein kleines, an-
mutiges Tal, Wilhelmstal geheißen, zu einer ländlichen Sommer-
reſidenz benutzt worden für die weimariſchen Fürſten. Der Weg
von hier nach der Wartburg hinüber gehört zu den ſchönſten
Partien dieſes Waldgebirges, und dieſen Weg ſuchten wir. Neu-
gierig ſchlenderten wir durch die parkartigen Anlagen Wilhelms-
tals und ſchritten auf ein paar Zelte zu, welche auf einer Wieſe
ſtanden. Da ſtürzten zwei rieſengroße Hunde uns entgegen mit
wildem Gebell und unter allen Zeichen eines ernſthaften An-
griffes. Wir verteidigten uns mit unſeren Ziegenhainern und
ſchrien wohl auch fluchend in unſerer Bedrängnis. Kurz, beide
Zelte öffneten ſich, und aus jedem trat ein Mann. Der eine
war klein und mit leichter Sommerjacke bekleidet, der andere
war groß und trug einen Ueberrock. Der Kleine pfiff, der Große
rief, und die Hunde ließen ab von uns. Statt zu danken für
die Rettung, ſchalten wir wohl weiter über ſolche Hundewirtſchaft,
welche friedliche Wanderer bedrohte, und ſchritten fürbaß. —
Der Kleine hat auch noch gelacht! — ſagte mein Adoptivbruder
grollend, und als wir nicht weit von den Zelten einem arbei-
tenden Gärtner begegneten, gaben wir dieſem ſchuldloſen Mann
unſeren Unwillen zu erkennen. Er ſah uns ernſthaft an und
ſagte gelaſſen: „Das ſind die großen Hunde Seiner Durchlaucht
geweſen, und der Herr Herzog ſelbſt mit dem Herrn Geheimrat
hat Sie errettet, denn mit den vornehmen Bieſtern iſt nicht zu
ſpaſſen.“ — Der Herr Geheimrat war Goethe und der Herr Her-
zog war Karl Auguſt geweſen.

[Spaltenumbruch]

Immer wieder kämpfte in Laubes Seele der freie Schrift-
ſteller mit dem Theologen. Die Zeitſchrift Aurora, deren Mit-
begründer er war, gab ihm ſtets neuen Impuls nach der lite-
rariſchen Seite hin. Trotzdem, wohl nicht zuletzt infolge ſeiner
völligen Mittelloſigkeit, feſſelte ihn immer etwas an die Theo-
logie. Es war die Ausſicht auf ein Amt. „In Wahrheit,“
äußerte er ſich, „hatte ich noch immer keine Vorſtellung, ob
und wie Schriftſtellerei ein Lebensberuf ſein könnte; ich blieb
in dieſem Betracht immer noch Theologe und machte deshalb eines
Tages dem theologiſchen Hauptprofeſſor, dem Konſiſtorialrat Da-
vid Schulz, einen Beſuch, um mich ſicherzuſtellen. Ich fragte den
geſtrengen alten Herrn, der immer ziemlich mürriſch dreinſah,
ob es der theologiſchen Behörde vereinbar erſchiene, daß man
als angehender Geiſtlicher auch Theaterſtücke verfaſſe. Ich ſehe
den geſtrengen Mann noch vor mir. Mein Eintritt ins Zimmer
hatte ihn überraſcht; er war im Begriff, ins Kollegium zu
gehen und ſich für dieſen Zweck die Stiefel anzuziehen. Er
ſaß in Hemdärmeln da und hatte einen großen blanken Stiefel
in der Hand, wie man ſie damals noch trug und über das enge
Beinkleid bis zum Knie hinauf anzog. Bei meiner verfänglichen
Frage hielt er inne in ſeinem Geſchäft, ließ den großen blanken
Stiefel in der Luft baumeln und ſah mich von unten herauf ſchwei-
gend an. Ich meinte, es werde ein theologiſches Donnerwetter
losbrechen. Es war wohl auch im Entſtehen, aber der grund-
ſätzliche Rationalismus mochte es in dieſer Pauſe zerteilen. Er
ließ den baumelnden Stiefel auf den Fußboden nieder, und wäh-
rend er ihn langſam anzog und ſeinen Blick nur auf dieſe Be-
ſchäftigung richtete, ſagte er trocken vor ſich hin: Wenn der Theo-
loge übrigens ein tüchtiger Theologe ſei, ſo werde man’s ihm
nicht verargen, daß er Schriftſtellerei treibe, vielleicht auch nicht
verargen, daß er fürs Theater ſchreibe. Es komme freilich dar-
auf an, welcher Art ſeine Theaterſtücke wären. Und — jetzt
war der Stiefel angezogen und der Blick ſchoß wieder auf
mich — und aufpaſſen wird man allerdings, ob der alſo ſchrift-
ſtellernde Gottesgelehrte nicht Zeit und Sammlung zerſplittere
an abliegenden Nebenſachen. Ein Wink mit der Hand, welche
nach dem zweiten Stiefel griff, verabſchiedete mich, und ich war
ſo klug wie zuvor.“

Nach dreijähriger Studienzeit präſentierte Laube ſich zum
theologiſchen Kandidatenexamen. „Ueber die Erbſünde“ lautete
ſein Thema. Er legte die „feierliche Aufgabe zu den profanen
Manuſkripten und beſchloß, ihr eine Zeitlang ſein Nachdenken
zu widmen“.

Unterdeſſen ſchrieb Laube eine Guſtav-Adolf-Tragödie, über
deren Entſtehung und Uraufführung er erzählt: „Der Helden-
ſpieler Kunſt brauchte eine neue Rolle, und da ich mehrmals
erzählt hatte, daß ich mich mit dem Schwedenkönig Guſtav Adolf
intim beſchäftigte, ſo hieß es: Vorwärts, vorwärts! das iſt ein
gutes Thema! Ich weiß abſolut nicht mehr, wie ich auf die Idee
gekommen, und weiß ebenſowenig, woher ich die Mittel geholt
zu einer fünfaktigen hiſtoriſchen Tragödie ...“ Laube ſpricht
dann von einem literariſchen Streit, den er mit dem berühmten
Profeſſor Wilhelm Wackernagel hatte, da dieſer den Dramatiker
Goethe höher als Schiller einſchätzte. „... Ich lernte alſo in un-
ſeren Vorbeſprechungen über den Schillerfeind wiederum eine
Menge literariſcher Geſetze und die mögen mir wohl hilfreich
geweſen ſein, ein den ganzen Abend füllendes hiſtoriſches Trauer-
ſpiel haſtig niederzuſchreiben, welches die Theaterdirektion ſofort
annahm und in Szene ſetzte. In Wahrheit iſt es eine Studien-
arbeit geweſen, und daß man ſie aufführte, iſt eben nur ein
Zeugnis für leichtſinnige und oberflächliche Bühnenleitung.

Damals wohnte ich zum erſten Male einer Probe bei. Ohne
Eindruck, ohne Nutzen. Niemand konnte ſeine Rolle ordentlich,
und das befremdete niemanden, es war alſo herkömmlich ....
Bei der Aufführung ſelbſt indeſſen fand ich doch dies Nicht-
wiſſen der Worte bedenklich. Guſtav Adolf ſelbſt, Herr Kunſt,
leiſtete darin mehr, als ich vertragen konnte. Der letzte Akt
war natürlich die Schlacht bei Lützen in voller Ausdehnung ....
Das Schlachtgebet iſt mir unvergeßlich geblieben als Theater-
ſymptom. Kunſt wußte kein Wort davon auswendig und kniete
als kluger Kriegsmann dicht vor dem Souffleurkaſten nieder;
die Generale und Soldaten, welche keinen Souffleur brauchten,
weil ſie nicht zu reden hatten, weit zurück nach dem Hinter-
grunde. Umſonſt! Dieſem Schwedenkönig, der bald ſterben ſollte,
konnte kein Souffleur helfen. Wir auf der erſten Reihe ver-

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[205/0007] 30. Mai 1920 Allgemeine Zeitung meinem Leben ... Worin alſo lag der Mittelpunkt des Reizes für mich? Ich erinnere mich ganz klar: damals in jener Reit- bahn war es der Reiz des Geheimniſſes. Der Vorhang mit einer Lyra, die einleitende Muſik erregten mich; es war die Ahnung einer mir unbekannten Welt, es war Romantik, wie mancher kurzweg ſagen würde. Und in der Tat, der ganze bunte Kram hinter dem Vorhang, zu welchem ich mir bald, die Dachluke aufgebend, Zugang verſchaffte, die kurioſe, für einen Knaben dreifach intereſſante Wirtſchaft hinter den Kuliſſen, das war es nicht, was meinem Intereſſe Stich hielt. Dort blieb ich nie- mals, wenn das Stück beginnen ſollte; ich kroch ſtets unter dem Podium hinaus in den Zuſchauerraum und ſiedelte mich im fernſten, dunkelſten Winkel an, um das Zittern des Vorhangs, wenn aufgezogen werden ſollte, im Ahnungsſchauer mitzuerleben, um in dunkler Einſamkeit die wunderbare Welt eines Ritter- ſtückes zwei, drei Stunden lang an mir vorüberziehen zu ſehen. Auch was mich ſpäter nach langer Pauſe in Breslau wieder ins Theater zog, war Romantik. Das Käthchen von Heilbronn war’s... Die Ritterſtücke jener Jugendzeit hielten lange vor... Und Räuberſtücke waren zahlreich... Daß Schiller auf das Thema der Räuber gekommen, hatte unter den Schauſpielern endloſe Propaganda gemacht ... Schillers „Räuber“ wurden in unſerer Reitbahn aufgeführt; ich ſehe noch den dicken Schau- ſpieler vor mir, der den Franz Moor ſpielte: er hatte ſich das Geſicht mit hundert ſchwarzen Punkten betupft. Sie bedeute- ten Blatternnarben. Aber den Autornamen Schiller ſprach nie- mand aus, unſer Ratskutſcher Schiller blieb in alleinigem Beſitz dieſes Namens.“ Laube erzählt dann von Iffland und Kotzebues Schauſpielen, die im Vordergrund des Intereſſes ſtanden, und von den Er- folgen der franzöſiſchen Stücke. Aus der letzteren Gattung nennt er: „Des Haſſes und der Liebe Rache“. „Es ſpielte in Spanien, wo die Franzoſen unter Napoleon erobernd eingedrungen waren. Am Schluſſe eines Aktes ſchoß der franzöſiſche Offizier ſein Piſtol ab auf einen Spanier. Das Piſtol verſagte, und der Vorhang fiel unter großem Gelächter des Publikums. Ich kroch eilig unter dem Podium hinauf, um Direktor Butenops Zorn anzu- ſehen gegen den Requiſiteur Krebs, den er immer auf dem Strich hatte. Richtig! er hielt ihn bereits am Kragen und ſchrie immerfort: „Das Publikum muß den Schuß hören, Canaille! Das Publikum muß den Schuß hören!“ — Pautz! knallt der Schuß. Neues, noch ſtärkeres Gelächter im Publikum.“ Während ſeiner Studienzeit in Halle hatte Laube ein merk- würdiges Zuſammentreffen mit Goethe. Er erzählt: „Goethe lebte noch in Weimar, er lebte noch ſechs Jahre, und zwar in unſerer Nähe. Wir aufgeblaſenen Burſchen fragten nicht nach Weimar. In den Wald hinauf, wie man die thüringiſchen Berge nennt, welche hier Nord- und Süddeutſchland ſcheiden, in den grünen Wald trachteten wir... Im weſtlichen Teile dieſer mit Laubholz bedeckten, weichgeformten Hügel iſt ein kleines, an- mutiges Tal, Wilhelmstal geheißen, zu einer ländlichen Sommer- reſidenz benutzt worden für die weimariſchen Fürſten. Der Weg von hier nach der Wartburg hinüber gehört zu den ſchönſten Partien dieſes Waldgebirges, und dieſen Weg ſuchten wir. Neu- gierig ſchlenderten wir durch die parkartigen Anlagen Wilhelms- tals und ſchritten auf ein paar Zelte zu, welche auf einer Wieſe ſtanden. Da ſtürzten zwei rieſengroße Hunde uns entgegen mit wildem Gebell und unter allen Zeichen eines ernſthaften An- griffes. Wir verteidigten uns mit unſeren Ziegenhainern und ſchrien wohl auch fluchend in unſerer Bedrängnis. Kurz, beide Zelte öffneten ſich, und aus jedem trat ein Mann. Der eine war klein und mit leichter Sommerjacke bekleidet, der andere war groß und trug einen Ueberrock. Der Kleine pfiff, der Große rief, und die Hunde ließen ab von uns. Statt zu danken für die Rettung, ſchalten wir wohl weiter über ſolche Hundewirtſchaft, welche friedliche Wanderer bedrohte, und ſchritten fürbaß. — Der Kleine hat auch noch gelacht! — ſagte mein Adoptivbruder grollend, und als wir nicht weit von den Zelten einem arbei- tenden Gärtner begegneten, gaben wir dieſem ſchuldloſen Mann unſeren Unwillen zu erkennen. Er ſah uns ernſthaft an und ſagte gelaſſen: „Das ſind die großen Hunde Seiner Durchlaucht geweſen, und der Herr Herzog ſelbſt mit dem Herrn Geheimrat hat Sie errettet, denn mit den vornehmen Bieſtern iſt nicht zu ſpaſſen.“ — Der Herr Geheimrat war Goethe und der Herr Her- zog war Karl Auguſt geweſen. Immer wieder kämpfte in Laubes Seele der freie Schrift- ſteller mit dem Theologen. Die Zeitſchrift Aurora, deren Mit- begründer er war, gab ihm ſtets neuen Impuls nach der lite- rariſchen Seite hin. Trotzdem, wohl nicht zuletzt infolge ſeiner völligen Mittelloſigkeit, feſſelte ihn immer etwas an die Theo- logie. Es war die Ausſicht auf ein Amt. „In Wahrheit,“ äußerte er ſich, „hatte ich noch immer keine Vorſtellung, ob und wie Schriftſtellerei ein Lebensberuf ſein könnte; ich blieb in dieſem Betracht immer noch Theologe und machte deshalb eines Tages dem theologiſchen Hauptprofeſſor, dem Konſiſtorialrat Da- vid Schulz, einen Beſuch, um mich ſicherzuſtellen. Ich fragte den geſtrengen alten Herrn, der immer ziemlich mürriſch dreinſah, ob es der theologiſchen Behörde vereinbar erſchiene, daß man als angehender Geiſtlicher auch Theaterſtücke verfaſſe. Ich ſehe den geſtrengen Mann noch vor mir. Mein Eintritt ins Zimmer hatte ihn überraſcht; er war im Begriff, ins Kollegium zu gehen und ſich für dieſen Zweck die Stiefel anzuziehen. Er ſaß in Hemdärmeln da und hatte einen großen blanken Stiefel in der Hand, wie man ſie damals noch trug und über das enge Beinkleid bis zum Knie hinauf anzog. Bei meiner verfänglichen Frage hielt er inne in ſeinem Geſchäft, ließ den großen blanken Stiefel in der Luft baumeln und ſah mich von unten herauf ſchwei- gend an. Ich meinte, es werde ein theologiſches Donnerwetter losbrechen. Es war wohl auch im Entſtehen, aber der grund- ſätzliche Rationalismus mochte es in dieſer Pauſe zerteilen. Er ließ den baumelnden Stiefel auf den Fußboden nieder, und wäh- rend er ihn langſam anzog und ſeinen Blick nur auf dieſe Be- ſchäftigung richtete, ſagte er trocken vor ſich hin: Wenn der Theo- loge übrigens ein tüchtiger Theologe ſei, ſo werde man’s ihm nicht verargen, daß er Schriftſtellerei treibe, vielleicht auch nicht verargen, daß er fürs Theater ſchreibe. Es komme freilich dar- auf an, welcher Art ſeine Theaterſtücke wären. Und — jetzt war der Stiefel angezogen und der Blick ſchoß wieder auf mich — und aufpaſſen wird man allerdings, ob der alſo ſchrift- ſtellernde Gottesgelehrte nicht Zeit und Sammlung zerſplittere an abliegenden Nebenſachen. Ein Wink mit der Hand, welche nach dem zweiten Stiefel griff, verabſchiedete mich, und ich war ſo klug wie zuvor.“ Nach dreijähriger Studienzeit präſentierte Laube ſich zum theologiſchen Kandidatenexamen. „Ueber die Erbſünde“ lautete ſein Thema. Er legte die „feierliche Aufgabe zu den profanen Manuſkripten und beſchloß, ihr eine Zeitlang ſein Nachdenken zu widmen“. Unterdeſſen ſchrieb Laube eine Guſtav-Adolf-Tragödie, über deren Entſtehung und Uraufführung er erzählt: „Der Helden- ſpieler Kunſt brauchte eine neue Rolle, und da ich mehrmals erzählt hatte, daß ich mich mit dem Schwedenkönig Guſtav Adolf intim beſchäftigte, ſo hieß es: Vorwärts, vorwärts! das iſt ein gutes Thema! Ich weiß abſolut nicht mehr, wie ich auf die Idee gekommen, und weiß ebenſowenig, woher ich die Mittel geholt zu einer fünfaktigen hiſtoriſchen Tragödie ...“ Laube ſpricht dann von einem literariſchen Streit, den er mit dem berühmten Profeſſor Wilhelm Wackernagel hatte, da dieſer den Dramatiker Goethe höher als Schiller einſchätzte. „... Ich lernte alſo in un- ſeren Vorbeſprechungen über den Schillerfeind wiederum eine Menge literariſcher Geſetze und die mögen mir wohl hilfreich geweſen ſein, ein den ganzen Abend füllendes hiſtoriſches Trauer- ſpiel haſtig niederzuſchreiben, welches die Theaterdirektion ſofort annahm und in Szene ſetzte. In Wahrheit iſt es eine Studien- arbeit geweſen, und daß man ſie aufführte, iſt eben nur ein Zeugnis für leichtſinnige und oberflächliche Bühnenleitung. Damals wohnte ich zum erſten Male einer Probe bei. Ohne Eindruck, ohne Nutzen. Niemand konnte ſeine Rolle ordentlich, und das befremdete niemanden, es war alſo herkömmlich .... Bei der Aufführung ſelbſt indeſſen fand ich doch dies Nicht- wiſſen der Worte bedenklich. Guſtav Adolf ſelbſt, Herr Kunſt, leiſtete darin mehr, als ich vertragen konnte. Der letzte Akt war natürlich die Schlacht bei Lützen in voller Ausdehnung .... Das Schlachtgebet iſt mir unvergeßlich geblieben als Theater- ſymptom. Kunſt wußte kein Wort davon auswendig und kniete als kluger Kriegsmann dicht vor dem Souffleurkaſten nieder; die Generale und Soldaten, welche keinen Souffleur brauchten, weil ſie nicht zu reden hatten, weit zurück nach dem Hinter- grunde. Umſonſt! Dieſem Schwedenkönig, der bald ſterben ſollte, konnte kein Souffleur helfen. Wir auf der erſten Reihe ver-

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 21, 30. Mai 1920, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine21_1920/7>, abgerufen am 21.11.2024.