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Allgemeine Zeitung, Nr. 21, 30. Mai 1920.

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Allgemeine Zeitung 30. Mai 1920
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Illustrierung der Heiligen Schrift als durch den Film; die
tausendfach gehörten Namen der Bibel werden vor unseren Augen
zur Wirklichkeit und ein Panorama der heiligen Stätten ent-
rollt sich vor unseren Blicken. Auch den sogenannten Kultur-
silmen ist ein hoher pädagogischer Wert zuzusprechen. Wir sehen
hier Trachtenseste und Fastnachtsbräuche im Schwarzwald, er-
leben das wogende Getreibe Oberammergaus in der Passionszeit,
nehmen teil am Schützenfest der Thurner Armbrustschützen, aber
auch die Kultur außereuropäischer Völker wird uns durch den
Lehrfilm nähergebracht. Ob es nun das Leben in einem süd-
amerikanischen Indianerdorf oder das Volksleben auf den
Molukkeninseln ist, immer werden wir durch eine lebenswahre
Darstellung gefesselt.

Sport und Spiel sind gleichfalls dankbare Gebiete für den
Film. Besonders der alpine Sport hat zu reizvollen Filmen
Anlaß gegeben und werden uns hier Filme, wie der Klettersport
im Schwarzwald, ein Aufftieg auf den Pilatus oder zur Zug-
spitze geboten. Anheimelnde Bilder zeigt auch ein Film über den
Wintersport im Riesengebirge, auch St. Moritz fehlt nicht. Ein
Film über Mädchenturnen zeigt den Lehrfilm von einer anderen
Seite. Den Kindern wird hier das Turnen in vorbildlichem Sinne
gelehrt; sie sehen, wie sie turnen sollen, jede Turnübung wird in
meisterhafter Ausführung geboten.

Die Lehrsilme aus Industrie und Gewerbe wenden sich mehr
an die Fachschulen, denen sie zu einem unschätzbaren Lehrmittel
geworden sind. Ein sogenannter eiserner Film rollt die Eisen-
gewinnung in allen ihren Teilen und Einzelheiten vor dem Be-
schauer auf. Man sieht den Kokereibetrieb, einen Hochofen, wird
dann durch ein Stahlwerk und Walzwerk geführt und hat dann
im Lager und der Verladung des Eisens gewissermaßen den Ab-
schluß vom Werdegang des Eisens vor sich. Die Technik weiß mit
einer reichen Fülle von Bildern aufzuwarten. Ein Gang durch
ein Messingwerk, durch eine Lokomotivfabrik oder Gießerei wird
auch den Nichtfachmann viel Anregungen bescheren. Weiter sieht
man im Lehrfilm das Entstehen einer Glühbirne, man kann
einem Glockenguß beiwohnen, sieht Steingutwaren oder ein
Piano entstehen; Dinge des Alltags, die in ihrem oft verwickelten
Werden und Entstehen uns in dieser Hinsicht völlig fremd sind.
Auch Lehrfilme vom Holz zum Papier oder wie eine Zeitung ent-
steht, erfreuen den Laien durch manche technische Ueberraschung.
Auch die Nahrungsmittelindustrie wird in ihrer gewerbetechni-
schen Gestaltung durch den Lehrfilm in die breite Oeffentlichkeit
getragen. Da gibt es Filme über Milch und Milchverwertung,
also Käse- und Buttererzeugung, ferner über die Bier- und
Zuckererzeugung, auch die Brothäckerei fehlt nicht. Gerade auf
dem Gebiete der Technik und des Gewerbes hat der Lehrfilm noch
einen weiten Spielraum; hier ist filmmäßig noch viel Arbeit
zu leisten.

Auch die Landwirtschaft ist von dem Lehrfilm mit großem
Erfolg in Angriff genommen worden. In der Bodenbearbeitung
nimmt der neuzeitliche Motorpflug eine erste Stelle ein. Dieser
Lehrfilm ist für die Ausbildung von Motorpflugführern von
großem Nutzen. Eine filmmäßige Behandlung hat weiter der
Weinbau und Weinhandel, der Feldgemüsebau und der Kohl-
anbau gefunden. Sehr belehrend wirkt auch ein Film über Ent-
stehung und Pflege des Ackers und über den Anbau und die Ver-
wertung von Oelfrüchten; ein Lehrfilm beschäftigt sich mit dem
Tomatenanbau im Oderbruch. Die Fischerei ist mit Lehrfilmen
über die Forellenzucht und Karpfenzucht vertreten. Die Sied-
lungsfrage ist vom Film gleichfalls erfolgreich behandelt
worden. Das Gebiet der Jugendfürsorge ist vom Film nicht ver-
gessen worden; es gibt einen Film Jung-Deutschland und einen
über die Pfadfinder. Gerade diese Filme werden bei der Jugend
immer ein begeistertes Echo auslösen.

Man ersieht aus dem Gesagten, daß bereits eine stattliche
Zahl von Lehrfilmen vorhanden ist, so daß ein geregelter Schul-
betrieb schon jetzt möglich wäre. Die deutsche Filmindustrie hat
nun in letzter Zeit die Herstellung von Lehrfilmen in größerem
Umfange in die Hand genommen und angesichts deutscher
Rührigkeit und Tatkraft dürfen wir sicher sein, daß wir in
kurzer Zeit über einen reichen Schatz pädagogisch wertvoller
Lehrfilme verfügen werden. Der Lehrfilm wird voraussichtlich
in die alten Lehrmethoden eine Bresche legen, ohne deswegen
umstürzlerisch zu wirken. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die
Schüler der ersten Viertelstunde der Vorführung eines Films mit

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gespanntester Aufmerksamkeit folgen, daß dann in der nächsten
halben Stunde eine langsam zunehmende Ermüdung eintritt und
daß nach dreiviertelstündiger Dauer die geistige Aufnahme von
Filmbildern ziemlich unterbunden ist. Aus dieser Erfahrung
heraus sollen Lehrfilme über eine halbstündige Vorführungs-
dauer nicht hinausgehen. Man hat vorgeschlagen, Lehrarchive
zu schaffen, die in ihrer örtlichen Wirksamkeit begrenzt den
einzelnen Provinzialschulkollegien zu unterstellen und anzu-
gliedern wären. Einem zentralen Schulfilmarchiv für das
Schulfilmarchiv einen gewaltigen Verwaltungskörper erhalten,
dessen schnelles und sicheres Arbeiten bei seiner Größe fraglich
und gefährlich erscheint. Doch wird diese Frage zur rechten Zeit
ihre richtige Lösung finden. Die Hauptsache ist gegenwärtig, daß
der Gedanke von der Nützlichkeit und Notwendigkeit des Lehr-
films sich in der Schulwelt erst einmal völlig Bahn bricht.
Wichtig für den Siegeszug des Lehrfilms ist die noch junge Er-
findung der Tageslicht-Projektionswand, welche die Vorführung
der Filme bei Tageslicht, also im nicht verdunkelten Raum ge-
stattet. Entscheidend für die nächste Zukunft der deutschen Lehr-
filme wird die Haltung der Regierung sein, die den Schulen
zunächst ausreichende Mittel zur Verfügung stellen muß, damit
die Schulen die notwendigen Kinoapparate ankaufen können.
Haben die Schulen erst mal die erforderlichen Vorführungs-
apparate, dann wird die Sache der Lehrfilme auch in großer
Form marschieren.

Kunst und Literatur
Erlebtes von Heinrich Laube.

Gleich Dingelstedt sollte Heinrich Laube ursprünglich Theo-
loge werden. In seinen Erinnerungen erzählt er in anschau-
licher Weise, wie er in Halle und später in Breslau "der Bur-
schenschaft verdächtig" zwischen der Gottesgelahrtheit und dem
Journalismus hin- und hergeschwankt, wie er heute als Hofmeister
alias Jugenderzieher im gräflichen Hause tätig gewesen, morgen
mit der vielversprechenden Zeitschrift "Aurora" die staunende
Mitwelt überraschte. Und als er in Wien mit Grillparzer in
der Roten-Turm-Straße literarische Nachtgespräche führte und
Bauernfeld im Blauen Stern nähergetreten war, als er Rau-
pachs "Müller und sein Kind" im Burgtheater mit einem
heiteren und einem nassen Auge über sich ergehen ließ, da ahnte
er nicht, in welch enge Beziehung zum Theater und insonderheit
zur Burg eine nahe Zukunft ihn bringen sollte. "Das Theater,"
schreibt er, "lag damals weit abwärts von meinen Interessen,
und es überraschte mich selbst, daß ich fast jeden Abend ins Burg-
theater gezogen wurde."

Laubes Theatererinnerungen gehen auf seine früheste Jugend
zurück. In seiner Vaterstadt Sprottau, wo die einzige Leihbiblio-
thek "in einem kleinen Kaufladen neben Zucker und Kaffee und
allen Spezereien" Platz hatte, wo Goethe und Schiller "total
unbekannt" waren, wo Schillers und Wielands Namen sich da-
gegen in zwei ehrsamen Ratskutschern verewigt fanden, dort
emfing er die ersten Theatereindrücke. Laube berichtet darüber:
"Endlich kam auch ein Theater zum Vorschein, und das ver-
drängte all meine anderen Interessen. Eine reisende Gesellschaft,
die Butenopsche, eröffnete ihren Tempel in einer Reitbahn.
Diese Reitbahn war ein luftiges Gebäude, im Dache wenigstens
fehlte eine erkleckliche Anzahl von Schindeln. Ich kannte diese
Lücken genau, denn diese Reitbahn stieß auf der Hintergasse
an meines Großvaters Garten, dessen hohe Apfelbäume ich bis
ins äußerste Gezweig zu besuchen pflegte. Dies Gezweig reichte
bis ans Schindeldach, und mein Plan war gleich gemacht: von
da oben durch die Lücken wollte ich zuschauen. Denn das Geld
hatte ich nicht, um zwei Groschen für den letzten Platz zu bezahlen.

Welches ist nun der Mittelpunkt des Reizes, der mich so
frühzeitig zum Theater zog? Das ist nicht so leicht zu sagen.
Denn wenn man glaubt, weil ich eine Anzahl Theaterstücke ge-
schrieben und weil ich lange Jahre Theaterdirektor gewesen:
ich hätte eben die Theaterpassion von Jugend auf im Leibe ge-
habt -- so irrt man sich. Dem widerspricht wenigstens vieles in

Allgemeine Zeitung 30. Mai 1920
[Spaltenumbruch]

Illuſtrierung der Heiligen Schrift als durch den Film; die
tauſendfach gehörten Namen der Bibel werden vor unſeren Augen
zur Wirklichkeit und ein Panorama der heiligen Stätten ent-
rollt ſich vor unſeren Blicken. Auch den ſogenannten Kultur-
ſilmen iſt ein hoher pädagogiſcher Wert zuzuſprechen. Wir ſehen
hier Trachtenſeſte und Faſtnachtsbräuche im Schwarzwald, er-
leben das wogende Getreibe Oberammergaus in der Paſſionszeit,
nehmen teil am Schützenfeſt der Thurner Armbruſtſchützen, aber
auch die Kultur außereuropäiſcher Völker wird uns durch den
Lehrfilm nähergebracht. Ob es nun das Leben in einem ſüd-
amerikaniſchen Indianerdorf oder das Volksleben auf den
Molukkeninſeln iſt, immer werden wir durch eine lebenswahre
Darſtellung gefeſſelt.

Sport und Spiel ſind gleichfalls dankbare Gebiete für den
Film. Beſonders der alpine Sport hat zu reizvollen Filmen
Anlaß gegeben und werden uns hier Filme, wie der Kletterſport
im Schwarzwald, ein Aufftieg auf den Pilatus oder zur Zug-
ſpitze geboten. Anheimelnde Bilder zeigt auch ein Film über den
Winterſport im Rieſengebirge, auch St. Moritz fehlt nicht. Ein
Film über Mädchenturnen zeigt den Lehrfilm von einer anderen
Seite. Den Kindern wird hier das Turnen in vorbildlichem Sinne
gelehrt; ſie ſehen, wie ſie turnen ſollen, jede Turnübung wird in
meiſterhafter Ausführung geboten.

Die Lehrſilme aus Induſtrie und Gewerbe wenden ſich mehr
an die Fachſchulen, denen ſie zu einem unſchätzbaren Lehrmittel
geworden ſind. Ein ſogenannter eiſerner Film rollt die Eiſen-
gewinnung in allen ihren Teilen und Einzelheiten vor dem Be-
ſchauer auf. Man ſieht den Kokereibetrieb, einen Hochofen, wird
dann durch ein Stahlwerk und Walzwerk geführt und hat dann
im Lager und der Verladung des Eiſens gewiſſermaßen den Ab-
ſchluß vom Werdegang des Eiſens vor ſich. Die Technik weiß mit
einer reichen Fülle von Bildern aufzuwarten. Ein Gang durch
ein Meſſingwerk, durch eine Lokomotivfabrik oder Gießerei wird
auch den Nichtfachmann viel Anregungen beſcheren. Weiter ſieht
man im Lehrfilm das Entſtehen einer Glühbirne, man kann
einem Glockenguß beiwohnen, ſieht Steingutwaren oder ein
Piano entſtehen; Dinge des Alltags, die in ihrem oft verwickelten
Werden und Entſtehen uns in dieſer Hinſicht völlig fremd ſind.
Auch Lehrfilme vom Holz zum Papier oder wie eine Zeitung ent-
ſteht, erfreuen den Laien durch manche techniſche Ueberraſchung.
Auch die Nahrungsmittelinduſtrie wird in ihrer gewerbetechni-
ſchen Geſtaltung durch den Lehrfilm in die breite Oeffentlichkeit
getragen. Da gibt es Filme über Milch und Milchverwertung,
alſo Käſe- und Buttererzeugung, ferner über die Bier- und
Zuckererzeugung, auch die Brothäckerei fehlt nicht. Gerade auf
dem Gebiete der Technik und des Gewerbes hat der Lehrfilm noch
einen weiten Spielraum; hier iſt filmmäßig noch viel Arbeit
zu leiſten.

Auch die Landwirtſchaft iſt von dem Lehrfilm mit großem
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nimmt der neuzeitliche Motorpflug eine erſte Stelle ein. Dieſer
Lehrfilm iſt für die Ausbildung von Motorpflugführern von
großem Nutzen. Eine filmmäßige Behandlung hat weiter der
Weinbau und Weinhandel, der Feldgemüſebau und der Kohl-
anbau gefunden. Sehr belehrend wirkt auch ein Film über Ent-
ſtehung und Pflege des Ackers und über den Anbau und die Ver-
wertung von Oelfrüchten; ein Lehrfilm beſchäftigt ſich mit dem
Tomatenanbau im Oderbruch. Die Fiſcherei iſt mit Lehrfilmen
über die Forellenzucht und Karpfenzucht vertreten. Die Sied-
lungsfrage iſt vom Film gleichfalls erfolgreich behandelt
worden. Das Gebiet der Jugendfürſorge iſt vom Film nicht ver-
geſſen worden; es gibt einen Film Jung-Deutſchland und einen
über die Pfadfinder. Gerade dieſe Filme werden bei der Jugend
immer ein begeiſtertes Echo auslöſen.

Man erſieht aus dem Geſagten, daß bereits eine ſtattliche
Zahl von Lehrfilmen vorhanden iſt, ſo daß ein geregelter Schul-
betrieb ſchon jetzt möglich wäre. Die deutſche Filminduſtrie hat
nun in letzter Zeit die Herſtellung von Lehrfilmen in größerem
Umfange in die Hand genommen und angeſichts deutſcher
Rührigkeit und Tatkraft dürfen wir ſicher ſein, daß wir in
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Lehrfilme verfügen werden. Der Lehrfilm wird vorausſichtlich
in die alten Lehrmethoden eine Breſche legen, ohne deswegen
umſtürzleriſch zu wirken. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die
Schüler der erſten Viertelſtunde der Vorführung eines Films mit

[Spaltenumbruch]

geſpannteſter Aufmerkſamkeit folgen, daß dann in der nächſten
halben Stunde eine langſam zunehmende Ermüdung eintritt und
daß nach dreiviertelſtündiger Dauer die geiſtige Aufnahme von
Filmbildern ziemlich unterbunden iſt. Aus dieſer Erfahrung
heraus ſollen Lehrfilme über eine halbſtündige Vorführungs-
dauer nicht hinausgehen. Man hat vorgeſchlagen, Lehrarchive
zu ſchaffen, die in ihrer örtlichen Wirkſamkeit begrenzt den
einzelnen Provinzialſchulkollegien zu unterſtellen und anzu-
gliedern wären. Einem zentralen Schulfilmarchiv für das
Schulfilmarchiv einen gewaltigen Verwaltungskörper erhalten,
deſſen ſchnelles und ſicheres Arbeiten bei ſeiner Größe fraglich
und gefährlich erſcheint. Doch wird dieſe Frage zur rechten Zeit
ihre richtige Löſung finden. Die Hauptſache iſt gegenwärtig, daß
der Gedanke von der Nützlichkeit und Notwendigkeit des Lehr-
films ſich in der Schulwelt erſt einmal völlig Bahn bricht.
Wichtig für den Siegeszug des Lehrfilms iſt die noch junge Er-
findung der Tageslicht-Projektionswand, welche die Vorführung
der Filme bei Tageslicht, alſo im nicht verdunkelten Raum ge-
ſtattet. Entſcheidend für die nächſte Zukunft der deutſchen Lehr-
filme wird die Haltung der Regierung ſein, die den Schulen
zunächſt ausreichende Mittel zur Verfügung ſtellen muß, damit
die Schulen die notwendigen Kinoapparate ankaufen können.
Haben die Schulen erſt mal die erforderlichen Vorführungs-
apparate, dann wird die Sache der Lehrfilme auch in großer
Form marſchieren.

Kunſt und Literatur
Erlebtes von Heinrich Laube.

Gleich Dingelſtedt ſollte Heinrich Laube urſprünglich Theo-
loge werden. In ſeinen Erinnerungen erzählt er in anſchau-
licher Weiſe, wie er in Halle und ſpäter in Breslau „der Bur-
ſchenſchaft verdächtig“ zwiſchen der Gottesgelahrtheit und dem
Journalismus hin- und hergeſchwankt, wie er heute als Hofmeiſter
alias Jugenderzieher im gräflichen Hauſe tätig geweſen, morgen
mit der vielverſprechenden Zeitſchrift „Aurora“ die ſtaunende
Mitwelt überraſchte. Und als er in Wien mit Grillparzer in
der Roten-Turm-Straße literariſche Nachtgeſpräche führte und
Bauernfeld im Blauen Stern nähergetreten war, als er Rau-
pachs „Müller und ſein Kind“ im Burgtheater mit einem
heiteren und einem naſſen Auge über ſich ergehen ließ, da ahnte
er nicht, in welch enge Beziehung zum Theater und inſonderheit
zur Burg eine nahe Zukunft ihn bringen ſollte. „Das Theater,“
ſchreibt er, „lag damals weit abwärts von meinen Intereſſen,
und es überraſchte mich ſelbſt, daß ich faſt jeden Abend ins Burg-
theater gezogen wurde.“

Laubes Theatererinnerungen gehen auf ſeine früheſte Jugend
zurück. In ſeiner Vaterſtadt Sprottau, wo die einzige Leihbiblio-
thek „in einem kleinen Kaufladen neben Zucker und Kaffee und
allen Spezereien“ Platz hatte, wo Goethe und Schiller „total
unbekannt“ waren, wo Schillers und Wielands Namen ſich da-
gegen in zwei ehrſamen Ratskutſchern verewigt fanden, dort
emfing er die erſten Theatereindrücke. Laube berichtet darüber:
„Endlich kam auch ein Theater zum Vorſchein, und das ver-
drängte all meine anderen Intereſſen. Eine reiſende Geſellſchaft,
die Butenopſche, eröffnete ihren Tempel in einer Reitbahn.
Dieſe Reitbahn war ein luftiges Gebäude, im Dache wenigſtens
fehlte eine erkleckliche Anzahl von Schindeln. Ich kannte dieſe
Lücken genau, denn dieſe Reitbahn ſtieß auf der Hintergaſſe
an meines Großvaters Garten, deſſen hohe Apfelbäume ich bis
ins äußerſte Gezweig zu beſuchen pflegte. Dies Gezweig reichte
bis ans Schindeldach, und mein Plan war gleich gemacht: von
da oben durch die Lücken wollte ich zuſchauen. Denn das Geld
hatte ich nicht, um zwei Groſchen für den letzten Platz zu bezahlen.

Welches iſt nun der Mittelpunkt des Reizes, der mich ſo
frühzeitig zum Theater zog? Das iſt nicht ſo leicht zu ſagen.
Denn wenn man glaubt, weil ich eine Anzahl Theaterſtücke ge-
ſchrieben und weil ich lange Jahre Theaterdirektor geweſen:
ich hätte eben die Theaterpaſſion von Jugend auf im Leibe ge-
habt — ſo irrt man ſich. Dem widerſpricht wenigſtens vieles in

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[204/0006] Allgemeine Zeitung 30. Mai 1920 Illuſtrierung der Heiligen Schrift als durch den Film; die tauſendfach gehörten Namen der Bibel werden vor unſeren Augen zur Wirklichkeit und ein Panorama der heiligen Stätten ent- rollt ſich vor unſeren Blicken. Auch den ſogenannten Kultur- ſilmen iſt ein hoher pädagogiſcher Wert zuzuſprechen. Wir ſehen hier Trachtenſeſte und Faſtnachtsbräuche im Schwarzwald, er- leben das wogende Getreibe Oberammergaus in der Paſſionszeit, nehmen teil am Schützenfeſt der Thurner Armbruſtſchützen, aber auch die Kultur außereuropäiſcher Völker wird uns durch den Lehrfilm nähergebracht. Ob es nun das Leben in einem ſüd- amerikaniſchen Indianerdorf oder das Volksleben auf den Molukkeninſeln iſt, immer werden wir durch eine lebenswahre Darſtellung gefeſſelt. Sport und Spiel ſind gleichfalls dankbare Gebiete für den Film. Beſonders der alpine Sport hat zu reizvollen Filmen Anlaß gegeben und werden uns hier Filme, wie der Kletterſport im Schwarzwald, ein Aufftieg auf den Pilatus oder zur Zug- ſpitze geboten. Anheimelnde Bilder zeigt auch ein Film über den Winterſport im Rieſengebirge, auch St. Moritz fehlt nicht. Ein Film über Mädchenturnen zeigt den Lehrfilm von einer anderen Seite. Den Kindern wird hier das Turnen in vorbildlichem Sinne gelehrt; ſie ſehen, wie ſie turnen ſollen, jede Turnübung wird in meiſterhafter Ausführung geboten. Die Lehrſilme aus Induſtrie und Gewerbe wenden ſich mehr an die Fachſchulen, denen ſie zu einem unſchätzbaren Lehrmittel geworden ſind. Ein ſogenannter eiſerner Film rollt die Eiſen- gewinnung in allen ihren Teilen und Einzelheiten vor dem Be- ſchauer auf. Man ſieht den Kokereibetrieb, einen Hochofen, wird dann durch ein Stahlwerk und Walzwerk geführt und hat dann im Lager und der Verladung des Eiſens gewiſſermaßen den Ab- ſchluß vom Werdegang des Eiſens vor ſich. Die Technik weiß mit einer reichen Fülle von Bildern aufzuwarten. Ein Gang durch ein Meſſingwerk, durch eine Lokomotivfabrik oder Gießerei wird auch den Nichtfachmann viel Anregungen beſcheren. Weiter ſieht man im Lehrfilm das Entſtehen einer Glühbirne, man kann einem Glockenguß beiwohnen, ſieht Steingutwaren oder ein Piano entſtehen; Dinge des Alltags, die in ihrem oft verwickelten Werden und Entſtehen uns in dieſer Hinſicht völlig fremd ſind. Auch Lehrfilme vom Holz zum Papier oder wie eine Zeitung ent- ſteht, erfreuen den Laien durch manche techniſche Ueberraſchung. Auch die Nahrungsmittelinduſtrie wird in ihrer gewerbetechni- ſchen Geſtaltung durch den Lehrfilm in die breite Oeffentlichkeit getragen. Da gibt es Filme über Milch und Milchverwertung, alſo Käſe- und Buttererzeugung, ferner über die Bier- und Zuckererzeugung, auch die Brothäckerei fehlt nicht. Gerade auf dem Gebiete der Technik und des Gewerbes hat der Lehrfilm noch einen weiten Spielraum; hier iſt filmmäßig noch viel Arbeit zu leiſten. Auch die Landwirtſchaft iſt von dem Lehrfilm mit großem Erfolg in Angriff genommen worden. In der Bodenbearbeitung nimmt der neuzeitliche Motorpflug eine erſte Stelle ein. Dieſer Lehrfilm iſt für die Ausbildung von Motorpflugführern von großem Nutzen. Eine filmmäßige Behandlung hat weiter der Weinbau und Weinhandel, der Feldgemüſebau und der Kohl- anbau gefunden. Sehr belehrend wirkt auch ein Film über Ent- ſtehung und Pflege des Ackers und über den Anbau und die Ver- wertung von Oelfrüchten; ein Lehrfilm beſchäftigt ſich mit dem Tomatenanbau im Oderbruch. Die Fiſcherei iſt mit Lehrfilmen über die Forellenzucht und Karpfenzucht vertreten. Die Sied- lungsfrage iſt vom Film gleichfalls erfolgreich behandelt worden. Das Gebiet der Jugendfürſorge iſt vom Film nicht ver- geſſen worden; es gibt einen Film Jung-Deutſchland und einen über die Pfadfinder. Gerade dieſe Filme werden bei der Jugend immer ein begeiſtertes Echo auslöſen. Man erſieht aus dem Geſagten, daß bereits eine ſtattliche Zahl von Lehrfilmen vorhanden iſt, ſo daß ein geregelter Schul- betrieb ſchon jetzt möglich wäre. Die deutſche Filminduſtrie hat nun in letzter Zeit die Herſtellung von Lehrfilmen in größerem Umfange in die Hand genommen und angeſichts deutſcher Rührigkeit und Tatkraft dürfen wir ſicher ſein, daß wir in kurzer Zeit über einen reichen Schatz pädagogiſch wertvoller Lehrfilme verfügen werden. Der Lehrfilm wird vorausſichtlich in die alten Lehrmethoden eine Breſche legen, ohne deswegen umſtürzleriſch zu wirken. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Schüler der erſten Viertelſtunde der Vorführung eines Films mit geſpannteſter Aufmerkſamkeit folgen, daß dann in der nächſten halben Stunde eine langſam zunehmende Ermüdung eintritt und daß nach dreiviertelſtündiger Dauer die geiſtige Aufnahme von Filmbildern ziemlich unterbunden iſt. Aus dieſer Erfahrung heraus ſollen Lehrfilme über eine halbſtündige Vorführungs- dauer nicht hinausgehen. Man hat vorgeſchlagen, Lehrarchive zu ſchaffen, die in ihrer örtlichen Wirkſamkeit begrenzt den einzelnen Provinzialſchulkollegien zu unterſtellen und anzu- gliedern wären. Einem zentralen Schulfilmarchiv für das Schulfilmarchiv einen gewaltigen Verwaltungskörper erhalten, deſſen ſchnelles und ſicheres Arbeiten bei ſeiner Größe fraglich und gefährlich erſcheint. Doch wird dieſe Frage zur rechten Zeit ihre richtige Löſung finden. Die Hauptſache iſt gegenwärtig, daß der Gedanke von der Nützlichkeit und Notwendigkeit des Lehr- films ſich in der Schulwelt erſt einmal völlig Bahn bricht. Wichtig für den Siegeszug des Lehrfilms iſt die noch junge Er- findung der Tageslicht-Projektionswand, welche die Vorführung der Filme bei Tageslicht, alſo im nicht verdunkelten Raum ge- ſtattet. Entſcheidend für die nächſte Zukunft der deutſchen Lehr- filme wird die Haltung der Regierung ſein, die den Schulen zunächſt ausreichende Mittel zur Verfügung ſtellen muß, damit die Schulen die notwendigen Kinoapparate ankaufen können. Haben die Schulen erſt mal die erforderlichen Vorführungs- apparate, dann wird die Sache der Lehrfilme auch in großer Form marſchieren. Dr. P. Martell. Kunſt und Literatur Erlebtes von Heinrich Laube. Von Dr. Eduard Scharrer-Santen. Gleich Dingelſtedt ſollte Heinrich Laube urſprünglich Theo- loge werden. In ſeinen Erinnerungen erzählt er in anſchau- licher Weiſe, wie er in Halle und ſpäter in Breslau „der Bur- ſchenſchaft verdächtig“ zwiſchen der Gottesgelahrtheit und dem Journalismus hin- und hergeſchwankt, wie er heute als Hofmeiſter alias Jugenderzieher im gräflichen Hauſe tätig geweſen, morgen mit der vielverſprechenden Zeitſchrift „Aurora“ die ſtaunende Mitwelt überraſchte. Und als er in Wien mit Grillparzer in der Roten-Turm-Straße literariſche Nachtgeſpräche führte und Bauernfeld im Blauen Stern nähergetreten war, als er Rau- pachs „Müller und ſein Kind“ im Burgtheater mit einem heiteren und einem naſſen Auge über ſich ergehen ließ, da ahnte er nicht, in welch enge Beziehung zum Theater und inſonderheit zur Burg eine nahe Zukunft ihn bringen ſollte. „Das Theater,“ ſchreibt er, „lag damals weit abwärts von meinen Intereſſen, und es überraſchte mich ſelbſt, daß ich faſt jeden Abend ins Burg- theater gezogen wurde.“ Laubes Theatererinnerungen gehen auf ſeine früheſte Jugend zurück. In ſeiner Vaterſtadt Sprottau, wo die einzige Leihbiblio- thek „in einem kleinen Kaufladen neben Zucker und Kaffee und allen Spezereien“ Platz hatte, wo Goethe und Schiller „total unbekannt“ waren, wo Schillers und Wielands Namen ſich da- gegen in zwei ehrſamen Ratskutſchern verewigt fanden, dort emfing er die erſten Theatereindrücke. Laube berichtet darüber: „Endlich kam auch ein Theater zum Vorſchein, und das ver- drängte all meine anderen Intereſſen. Eine reiſende Geſellſchaft, die Butenopſche, eröffnete ihren Tempel in einer Reitbahn. Dieſe Reitbahn war ein luftiges Gebäude, im Dache wenigſtens fehlte eine erkleckliche Anzahl von Schindeln. Ich kannte dieſe Lücken genau, denn dieſe Reitbahn ſtieß auf der Hintergaſſe an meines Großvaters Garten, deſſen hohe Apfelbäume ich bis ins äußerſte Gezweig zu beſuchen pflegte. Dies Gezweig reichte bis ans Schindeldach, und mein Plan war gleich gemacht: von da oben durch die Lücken wollte ich zuſchauen. Denn das Geld hatte ich nicht, um zwei Groſchen für den letzten Platz zu bezahlen. Welches iſt nun der Mittelpunkt des Reizes, der mich ſo frühzeitig zum Theater zog? Das iſt nicht ſo leicht zu ſagen. Denn wenn man glaubt, weil ich eine Anzahl Theaterſtücke ge- ſchrieben und weil ich lange Jahre Theaterdirektor geweſen: ich hätte eben die Theaterpaſſion von Jugend auf im Leibe ge- habt — ſo irrt man ſich. Dem widerſpricht wenigſtens vieles in

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 21, 30. Mai 1920, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine21_1920/6>, abgerufen am 21.11.2024.