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Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 1. August 1914.

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Allgemeine Zeitung 1. August 1914.
[Spaltenumbruch] eine Stärkung ihrer Macht und durch Eroberung von "Neuland"
mit Hilfe des nationalliberalen Wahlbruders werden auch die anti-
nationalen auf den Ruin des deuschen Staates hinzielenden Tenden-
zen gefördert. Die Mitgliederzahl in den sozialdemokratischen Ver-
einen ist nach dem Bericht an den Parteitag um etwa 100,000, auf
1,085,905 gestiegen! Die Zahl der weiblichen Mitglieder von rund
140,000 auf fast 175,000. Die Zahl der regelmäßigen Bezieher
der Parteipresse wuchs von 1,465,000 auf 1,488,000! Insgesamt
wurden im Reiche 45,000 Mitglieder-, 13,000 öffentliche Versamm-
lungen abgehalten; nicht weniger als 45 Millionen Flugblätter sind
verbreitet worden. Diese Zahlen sollten doch den Schildträgern des
Umsturzes zu denken geben!


Italiens Stellung zum österreichisch-serbi-
schen Konflikt
.

Abgesehen von Frankreich kommt keiner der
Großmächte die eventuelle Notwendigkeit kriegerischer Verwicklung
im Augenblick unerwünschter als Italien. Hat sich doch infolge der
finanziellen Schwierigkeiten nach dem Tripolis- und letzten Balkan-
krieg auf der Apenninhalbinsel die anarchisch auftretende Sozial-
demokratie derart neu gestärkt, daß die Regierung schon seit Wochen,
um gegen alle neuen Aufstände und Ausstände genügend vorbereitet
zu sein, die letztjährigen Kontingente zur Verstärkung wieder unter
die Fahne gerufen und die Sommermanöver fast überall unter-
lassen hat. Die Sorge, in Albanien eingreifen zu müssen und den
so mühsam geschaffenen Gleichgewichtszustand mit Oesterreich in
Frage zu stellen, die ewige Furcht, um Valona gebracht zu werden,
und also vor höchst unerwünschten neuen finanziellen Opfern zu
stehen, machen die Lage schon schwierig genug. Dementsprechend
ist die neue Balkanverwicklung in Italien allgemein unter dem Ein-
druck des Schwankens vernommen worden. Das österreichische
Ultimatum wird überall als begründet aber in letzten Forderungen
als absichtlich bis zur Unannehmbarkeit getrieben empfunden. Wohl
sagte man sich, daß selbst bei ausgedehntestem Konflikt, die Pflicht
aktiver Bündnis-Erfüllung an Italien zuletzt herantreten würde,
andrerseits machte man sich aber vom ersten Augenblick an kein
Hehl daraus, daß die eigenen Landesinteressen im Balkan bedroht
seien und schon jetzt eine erneute -- vorläufig diplomatische --
Kraftanstrengung benötigen. Die führenden Blätter gehen so weit,
daß sie trotz betonter Pflicht der Bündnistreue, nicht nur jeden
weiteren Gebietszuwachs Oesterreichs als Italien bedrohliches
Uebergewicht hinstellen und dementsprechend unbedingte, aber
schwierige Entschädigung Italiens fordern, sondern behaupten, daß
Oesterreich, selbst wenn es keinen Zoll breit gewänne, wohl aber
sich von Serbien durch dessen staatliche Vernichtung befreite, einen
unerträglichen Vorteil gegenüber Italien gewänne. Ein Angriff
Oesterreichs auf die Berge des Lowzen wird perhorresziert. Der
einstimmige Ruf des Landes, die eigenen Interessen unter keinen
Umständen beeinträchtigen zu lassen, d. h., wenn irgend möglich,
außer Spiel zu bleiben und jede Gewaltmaßregel auf dem Balkan
zu hindern, oder doch ausreichend entschädigt zu werden, findet in
dem großen Eifer der Regierung, mit England zusammen den
Frieden zu befürworten, seinen ersten internationalen Ausdruck
Ebenso unzweideutig bezeichnet die Reserve, die die eigene freudige
Zustimmung zu den Londoner Vorschlägen, von dem deutschen Ein-
verständnis abhängig machte, Italiens Bereitschaft im Notfall, wenn
auch augenblicklich vielfach unerwünscht, die Probe auf den Drei-
bund, also hauptsächlich einen Kampf gegen Frankreich auszuhalten.
Etwas mehr Sympathie würde die etwa sich ergebende Notwendig-
keit einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Griechenland finden.
Aber im Grunde sehnt sich alles nach Ruhe, um im eigenen Lande
Ordnung zu schaffen und die drängenden Kulturarbeiten zu be-
werkstelligen.



Ueber die militärische Lage nach einem Ein-
greifen Rußlands
spricht sich General von Blume hinsicht-
lich der Kräfteverteilung der Mächtegruppen dahin aus, daß die
numerische Ueberlegenheit des Dreiverbandes gegenüber dem Drei-
bund nur durch die außerordentliche Stärke der russischen Armee
bedingt ist. Er beziffert die gesamte verfügbare Kriegsstärke Ruß-
lands
auf 6,665,000 Mann, wozu noch die Reichswehr mit
1,443,000 Mann treten würde, d. h. Rußland kann im Kriegsfalle
über 71/2 Millionen ausgebildeter Mannschaft ins Feld stellen. Diese
enormen Truppenmassen sollen, soweit bisher bekannt geworden,
im Ernstfalle in 37 Armeekorps mit 59 Infanteriedivisionen, 11
Schützendivisionen und 11 selbständigen Schützenbrigaden zusammen-
[Spaltenumbruch] gefaßt werden. Hinzu kommen 34 Kavalleriedivisionen, die aus
den bereits im Frieden bestehenden 24 Kavalleriedivisionen durch
Hinzunahme von 10 weiteren Kosakenformationen gebildet werden.
Die gesamte Reichswehr wird in 40 Divisionen gegliedert und zwar
in je 20 ersten und zweiten Aufgebots. Könnten diese riesenhaften
Truppenmassen ausschließlich gegen uns und das verbündete Oester-
reich zur Verwendung kommen, so bestände in der Tat die ernstliche
Gefahr für uns, durch das Gewicht der Ueberzahl möglicherweise
erdrückt zu werden.

Allein man muß sich stets vor Augen halten, daß gar keine
Rede davon sein kann, die gesamte russische Truppenmacht in voller
Kriegsstärke gegen unsere Grenzen zu schleudern. Einmal müssen
russische Truppen den Besitz der russisch-asiatischen Gebiete und des
Kaukasus sicherstellen, und dann ist das Zarenreich, wie ja die aus-
gedehnten Streikunruhen dieser Tage haben kund werden lassen,
im inneren noch längst nicht so beruhigt und frei von Wirren,
als daß man ohne Gefährdung die Enblößung der inneren Gebiete
vornehmen könnte. Damit ermäßigten sich die faktisch gegen uns
in Betracht kommende russische Truppenzahl ganz erheblich.

Frankreich schließt sich seinem russischen Verbündeten nach
neuesten Berechnungen mit 51/2 Millionen ausgebildeter Mann-
schaften an. Sein Heer umfaßt 22 Armeekorps, von denen das
19. in Nordafrika liegt und das 22. die Kolonialtruppen umfaßt.
Hinzu treten 10 Kavalleriedivisionen. Hält man diesen Kriegs-
stärken die entsprechenden Zahlen der Dreibundarmee gegenüber,
so ist unumwunden die numerische Schwäche der letzteren zuzugeben.
Einmal sind die Kriegsstärken von Oesterreich und Italien verhält-
nismäßig viel geringer, und auch die eigentliche Feldarmee Deutsch-
lands erreicht knapp 21/2 Millionen Mann.

Die Kriegsstärke des österreichisch-ungarischen
Heeres beträgt jetzt rund 2 Millionen Mann, allerdings ohne Land-
sturm und Ersatzreserve. Sie zerfällt in 16 Armeekorps zu je
3 Divisionen und 10 Kavalleriedivisionen. Italien berechnet
seine ungefähre Kriegsstärke auf 1,100,000 Mann. Im Kriegsfall
besteht sie aus 14 Armeekorps zu 2 bis 3 Divisionen.

Für Deutschland lassen sich folgende Zahlen aufstellen: An
ausgebildeten Mannschaften werden wir in einem bevorstehenden
Kriege 4,150,000 Mann ins Feld stellen können. Die eigentliche
Feldarmee mit den mobilen Landwehrformationen und allen Spezial-
truppen und Trains wird auf 70,000 Offiziere, 2,300,000 Mann,
770,000 Pferde und 140,000 Fuhrwerke berechnet. Die Feldarmee
1. Linie einschließlich der Reserveformationen beläuft sich auf
1,740,000, die Landwehr auf 1,790,000 Mann, zusammen rund
31/2 Millionen. Dazu treten mindestens 600,000 ausgebidete Land-
sturmpflichtige. Die Gliederung des deutschen Heeres ergibt 25
Armeekorps mit zusammen 50 Infanteriedivisionen und 11 Kaval-
leriedivisionen, die aber erst im Mobilmachungsfalle gebildet wer-
den. Mindestens 25 Reservedivisionen können deutscherseits zur
Aufstellung gelangen. Wirkt dieses Zahlenmaterial auch in mancher
Hinsicht beunruhigend, so darf man doch keinen Augenblick ver-
gessen, daß das Uebergewicht an Zahl noch nicht allein den Sieg
des Gegners verbürgt. Was unsere etwaigen Gegner in dieser
Hinsicht voraus haben, machen sicherlich die Soldaten der Dreibunds-
truppen durch ihre überlegene Ausbildung, Ausrüstung und sonstigen
hervorstehenden militärischen Qualitäten wieder wett.


Der Wert des russischen Heeres.

In dem "Militär-
Wochenblatt" findet sich in einer Abhandlung über die Streitkräfte
Oesterreichs und Serbiens folgende interessante Bemerkung: "Ebenso
wie die österreichisch-ungarische Armee in Europa vielfach unter-
schätzt wird, so wird die Kampfkraft der russischen Armee meistens
überschätzt. Daß die russische Armee der Zahl nach von außer-
ordentlicher Stärke ist, kann niemand bestreiten, die Zahl entscheidet
aber, wie uns die Kriege Friedrichs des Großen lehren, im Kriege
glücklicherweise nicht; als wichtigere Faktoren treten hier noch hinzu
die Moral des Heeres, höhere Führung, Bewaffnung, Ausrüstung,
Lage und Ausdehnung des Staatsgebietes, dessen Eisenbahnnetz,
Gesinnung der Bevölkerung u. dergl. mehr. Es scheint nicht unan-
gebracht, jetzt daran zu erinnern, daß in neuester Zeit Rußland
allein noch niemals über eine ebenbürtige Armee den Sieg errun-
gen hat; 1877 wäre ihm ohne die Hilfe des Fürsten Carol von
Rumänien nicht einmal die Niederwerfung der Türkei gelungen;
der modernen japanischen Armee gegenüber im mandschurischen
Kriege erlitt Rußland eine empfindliche Niederlage. Hier sei ein-
geschaltet, daß die kürzlich in der Presse oft aufgetauchte Nachricht

Allgemeine Zeitung 1. Auguſt 1914.
[Spaltenumbruch] eine Stärkung ihrer Macht und durch Eroberung von „Neuland“
mit Hilfe des nationalliberalen Wahlbruders werden auch die anti-
nationalen auf den Ruin des deuſchen Staates hinzielenden Tenden-
zen gefördert. Die Mitgliederzahl in den ſozialdemokratiſchen Ver-
einen iſt nach dem Bericht an den Parteitag um etwa 100,000, auf
1,085,905 geſtiegen! Die Zahl der weiblichen Mitglieder von rund
140,000 auf faſt 175,000. Die Zahl der regelmäßigen Bezieher
der Parteipreſſe wuchs von 1,465,000 auf 1,488,000! Insgeſamt
wurden im Reiche 45,000 Mitglieder-, 13,000 öffentliche Verſamm-
lungen abgehalten; nicht weniger als 45 Millionen Flugblätter ſind
verbreitet worden. Dieſe Zahlen ſollten doch den Schildträgern des
Umſturzes zu denken geben!


Italiens Stellung zum öſterreichiſch-ſerbi-
ſchen Konflikt
.

Abgeſehen von Frankreich kommt keiner der
Großmächte die eventuelle Notwendigkeit kriegeriſcher Verwicklung
im Augenblick unerwünſchter als Italien. Hat ſich doch infolge der
finanziellen Schwierigkeiten nach dem Tripolis- und letzten Balkan-
krieg auf der Apenninhalbinſel die anarchiſch auftretende Sozial-
demokratie derart neu geſtärkt, daß die Regierung ſchon ſeit Wochen,
um gegen alle neuen Aufſtände und Ausſtände genügend vorbereitet
zu ſein, die letztjährigen Kontingente zur Verſtärkung wieder unter
die Fahne gerufen und die Sommermanöver faſt überall unter-
laſſen hat. Die Sorge, in Albanien eingreifen zu müſſen und den
ſo mühſam geſchaffenen Gleichgewichtszuſtand mit Oeſterreich in
Frage zu ſtellen, die ewige Furcht, um Valona gebracht zu werden,
und alſo vor höchſt unerwünſchten neuen finanziellen Opfern zu
ſtehen, machen die Lage ſchon ſchwierig genug. Dementſprechend
iſt die neue Balkanverwicklung in Italien allgemein unter dem Ein-
druck des Schwankens vernommen worden. Das öſterreichiſche
Ultimatum wird überall als begründet aber in letzten Forderungen
als abſichtlich bis zur Unannehmbarkeit getrieben empfunden. Wohl
ſagte man ſich, daß ſelbſt bei ausgedehnteſtem Konflikt, die Pflicht
aktiver Bündnis-Erfüllung an Italien zuletzt herantreten würde,
andrerſeits machte man ſich aber vom erſten Augenblick an kein
Hehl daraus, daß die eigenen Landesintereſſen im Balkan bedroht
ſeien und ſchon jetzt eine erneute — vorläufig diplomatiſche —
Kraftanſtrengung benötigen. Die führenden Blätter gehen ſo weit,
daß ſie trotz betonter Pflicht der Bündnistreue, nicht nur jeden
weiteren Gebietszuwachs Oeſterreichs als Italien bedrohliches
Uebergewicht hinſtellen und dementſprechend unbedingte, aber
ſchwierige Entſchädigung Italiens fordern, ſondern behaupten, daß
Oeſterreich, ſelbſt wenn es keinen Zoll breit gewänne, wohl aber
ſich von Serbien durch deſſen ſtaatliche Vernichtung befreite, einen
unerträglichen Vorteil gegenüber Italien gewänne. Ein Angriff
Oeſterreichs auf die Berge des Lowzen wird perhorresziert. Der
einſtimmige Ruf des Landes, die eigenen Intereſſen unter keinen
Umſtänden beeinträchtigen zu laſſen, d. h., wenn irgend möglich,
außer Spiel zu bleiben und jede Gewaltmaßregel auf dem Balkan
zu hindern, oder doch ausreichend entſchädigt zu werden, findet in
dem großen Eifer der Regierung, mit England zuſammen den
Frieden zu befürworten, ſeinen erſten internationalen Ausdruck
Ebenſo unzweideutig bezeichnet die Reſerve, die die eigene freudige
Zuſtimmung zu den Londoner Vorſchlägen, von dem deutſchen Ein-
verſtändnis abhängig machte, Italiens Bereitſchaft im Notfall, wenn
auch augenblicklich vielfach unerwünſcht, die Probe auf den Drei-
bund, alſo hauptſächlich einen Kampf gegen Frankreich auszuhalten.
Etwas mehr Sympathie würde die etwa ſich ergebende Notwendig-
keit einer kriegeriſchen Auseinanderſetzung mit Griechenland finden.
Aber im Grunde ſehnt ſich alles nach Ruhe, um im eigenen Lande
Ordnung zu ſchaffen und die drängenden Kulturarbeiten zu be-
werkſtelligen.



Ueber die militäriſche Lage nach einem Ein-
greifen Rußlands
ſpricht ſich General von Blume hinſicht-
lich der Kräfteverteilung der Mächtegruppen dahin aus, daß die
numeriſche Ueberlegenheit des Dreiverbandes gegenüber dem Drei-
bund nur durch die außerordentliche Stärke der ruſſiſchen Armee
bedingt iſt. Er beziffert die geſamte verfügbare Kriegsſtärke Ruß-
lands
auf 6,665,000 Mann, wozu noch die Reichswehr mit
1,443,000 Mann treten würde, d. h. Rußland kann im Kriegsfalle
über 7½ Millionen ausgebildeter Mannſchaft ins Feld ſtellen. Dieſe
enormen Truppenmaſſen ſollen, ſoweit bisher bekannt geworden,
im Ernſtfalle in 37 Armeekorps mit 59 Infanteriediviſionen, 11
Schützendiviſionen und 11 ſelbſtändigen Schützenbrigaden zuſammen-
[Spaltenumbruch] gefaßt werden. Hinzu kommen 34 Kavalleriediviſionen, die aus
den bereits im Frieden beſtehenden 24 Kavalleriediviſionen durch
Hinzunahme von 10 weiteren Koſakenformationen gebildet werden.
Die geſamte Reichswehr wird in 40 Diviſionen gegliedert und zwar
in je 20 erſten und zweiten Aufgebots. Könnten dieſe rieſenhaften
Truppenmaſſen ausſchließlich gegen uns und das verbündete Oeſter-
reich zur Verwendung kommen, ſo beſtände in der Tat die ernſtliche
Gefahr für uns, durch das Gewicht der Ueberzahl möglicherweiſe
erdrückt zu werden.

Allein man muß ſich ſtets vor Augen halten, daß gar keine
Rede davon ſein kann, die geſamte ruſſiſche Truppenmacht in voller
Kriegsſtärke gegen unſere Grenzen zu ſchleudern. Einmal müſſen
ruſſiſche Truppen den Beſitz der ruſſiſch-aſiatiſchen Gebiete und des
Kaukaſus ſicherſtellen, und dann iſt das Zarenreich, wie ja die aus-
gedehnten Streikunruhen dieſer Tage haben kund werden laſſen,
im inneren noch längſt nicht ſo beruhigt und frei von Wirren,
als daß man ohne Gefährdung die Enblößung der inneren Gebiete
vornehmen könnte. Damit ermäßigten ſich die faktiſch gegen uns
in Betracht kommende ruſſiſche Truppenzahl ganz erheblich.

Frankreich ſchließt ſich ſeinem ruſſiſchen Verbündeten nach
neueſten Berechnungen mit 5½ Millionen ausgebildeter Mann-
ſchaften an. Sein Heer umfaßt 22 Armeekorps, von denen das
19. in Nordafrika liegt und das 22. die Kolonialtruppen umfaßt.
Hinzu treten 10 Kavalleriediviſionen. Hält man dieſen Kriegs-
ſtärken die entſprechenden Zahlen der Dreibundarmee gegenüber,
ſo iſt unumwunden die numeriſche Schwäche der letzteren zuzugeben.
Einmal ſind die Kriegsſtärken von Oeſterreich und Italien verhält-
nismäßig viel geringer, und auch die eigentliche Feldarmee Deutſch-
lands erreicht knapp 2½ Millionen Mann.

Die Kriegsſtärke des öſterreichiſch-ungariſchen
Heeres beträgt jetzt rund 2 Millionen Mann, allerdings ohne Land-
ſturm und Erſatzreſerve. Sie zerfällt in 16 Armeekorps zu je
3 Diviſionen und 10 Kavalleriediviſionen. Italien berechnet
ſeine ungefähre Kriegsſtärke auf 1,100,000 Mann. Im Kriegsfall
beſteht ſie aus 14 Armeekorps zu 2 bis 3 Diviſionen.

Für Deutſchland laſſen ſich folgende Zahlen aufſtellen: An
ausgebildeten Mannſchaften werden wir in einem bevorſtehenden
Kriege 4,150,000 Mann ins Feld ſtellen können. Die eigentliche
Feldarmee mit den mobilen Landwehrformationen und allen Spezial-
truppen und Trains wird auf 70,000 Offiziere, 2,300,000 Mann,
770,000 Pferde und 140,000 Fuhrwerke berechnet. Die Feldarmee
1. Linie einſchließlich der Reſerveformationen beläuft ſich auf
1,740,000, die Landwehr auf 1,790,000 Mann, zuſammen rund
3½ Millionen. Dazu treten mindeſtens 600,000 ausgebidete Land-
ſturmpflichtige. Die Gliederung des deutſchen Heeres ergibt 25
Armeekorps mit zuſammen 50 Infanteriediviſionen und 11 Kaval-
leriediviſionen, die aber erſt im Mobilmachungsfalle gebildet wer-
den. Mindeſtens 25 Reſervediviſionen können deutſcherſeits zur
Aufſtellung gelangen. Wirkt dieſes Zahlenmaterial auch in mancher
Hinſicht beunruhigend, ſo darf man doch keinen Augenblick ver-
geſſen, daß das Uebergewicht an Zahl noch nicht allein den Sieg
des Gegners verbürgt. Was unſere etwaigen Gegner in dieſer
Hinſicht voraus haben, machen ſicherlich die Soldaten der Dreibunds-
truppen durch ihre überlegene Ausbildung, Ausrüſtung und ſonſtigen
hervorſtehenden militäriſchen Qualitäten wieder wett.


Der Wert des ruſſiſchen Heeres.

In dem „Militär-
Wochenblatt“ findet ſich in einer Abhandlung über die Streitkräfte
Oeſterreichs und Serbiens folgende intereſſante Bemerkung: „Ebenſo
wie die öſterreichiſch-ungariſche Armee in Europa vielfach unter-
ſchätzt wird, ſo wird die Kampfkraft der ruſſiſchen Armee meiſtens
überſchätzt. Daß die ruſſiſche Armee der Zahl nach von außer-
ordentlicher Stärke iſt, kann niemand beſtreiten, die Zahl entſcheidet
aber, wie uns die Kriege Friedrichs des Großen lehren, im Kriege
glücklicherweiſe nicht; als wichtigere Faktoren treten hier noch hinzu
die Moral des Heeres, höhere Führung, Bewaffnung, Ausrüſtung,
Lage und Ausdehnung des Staatsgebietes, deſſen Eiſenbahnnetz,
Geſinnung der Bevölkerung u. dergl. mehr. Es ſcheint nicht unan-
gebracht, jetzt daran zu erinnern, daß in neueſter Zeit Rußland
allein noch niemals über eine ebenbürtige Armee den Sieg errun-
gen hat; 1877 wäre ihm ohne die Hilfe des Fürſten Carol von
Rumänien nicht einmal die Niederwerfung der Türkei gelungen;
der modernen japaniſchen Armee gegenüber im mandſchuriſchen
Kriege erlitt Rußland eine empfindliche Niederlage. Hier ſei ein-
geſchaltet, daß die kürzlich in der Preſſe oft aufgetauchte Nachricht

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[488/0002] Allgemeine Zeitung 1. Auguſt 1914. eine Stärkung ihrer Macht und durch Eroberung von „Neuland“ mit Hilfe des nationalliberalen Wahlbruders werden auch die anti- nationalen auf den Ruin des deuſchen Staates hinzielenden Tenden- zen gefördert. Die Mitgliederzahl in den ſozialdemokratiſchen Ver- einen iſt nach dem Bericht an den Parteitag um etwa 100,000, auf 1,085,905 geſtiegen! Die Zahl der weiblichen Mitglieder von rund 140,000 auf faſt 175,000. Die Zahl der regelmäßigen Bezieher der Parteipreſſe wuchs von 1,465,000 auf 1,488,000! Insgeſamt wurden im Reiche 45,000 Mitglieder-, 13,000 öffentliche Verſamm- lungen abgehalten; nicht weniger als 45 Millionen Flugblätter ſind verbreitet worden. Dieſe Zahlen ſollten doch den Schildträgern des Umſturzes zu denken geben! Italiens Stellung zum öſterreichiſch-ſerbi- ſchen Konflikt. Abgeſehen von Frankreich kommt keiner der Großmächte die eventuelle Notwendigkeit kriegeriſcher Verwicklung im Augenblick unerwünſchter als Italien. Hat ſich doch infolge der finanziellen Schwierigkeiten nach dem Tripolis- und letzten Balkan- krieg auf der Apenninhalbinſel die anarchiſch auftretende Sozial- demokratie derart neu geſtärkt, daß die Regierung ſchon ſeit Wochen, um gegen alle neuen Aufſtände und Ausſtände genügend vorbereitet zu ſein, die letztjährigen Kontingente zur Verſtärkung wieder unter die Fahne gerufen und die Sommermanöver faſt überall unter- laſſen hat. Die Sorge, in Albanien eingreifen zu müſſen und den ſo mühſam geſchaffenen Gleichgewichtszuſtand mit Oeſterreich in Frage zu ſtellen, die ewige Furcht, um Valona gebracht zu werden, und alſo vor höchſt unerwünſchten neuen finanziellen Opfern zu ſtehen, machen die Lage ſchon ſchwierig genug. Dementſprechend iſt die neue Balkanverwicklung in Italien allgemein unter dem Ein- druck des Schwankens vernommen worden. Das öſterreichiſche Ultimatum wird überall als begründet aber in letzten Forderungen als abſichtlich bis zur Unannehmbarkeit getrieben empfunden. Wohl ſagte man ſich, daß ſelbſt bei ausgedehnteſtem Konflikt, die Pflicht aktiver Bündnis-Erfüllung an Italien zuletzt herantreten würde, andrerſeits machte man ſich aber vom erſten Augenblick an kein Hehl daraus, daß die eigenen Landesintereſſen im Balkan bedroht ſeien und ſchon jetzt eine erneute — vorläufig diplomatiſche — Kraftanſtrengung benötigen. Die führenden Blätter gehen ſo weit, daß ſie trotz betonter Pflicht der Bündnistreue, nicht nur jeden weiteren Gebietszuwachs Oeſterreichs als Italien bedrohliches Uebergewicht hinſtellen und dementſprechend unbedingte, aber ſchwierige Entſchädigung Italiens fordern, ſondern behaupten, daß Oeſterreich, ſelbſt wenn es keinen Zoll breit gewänne, wohl aber ſich von Serbien durch deſſen ſtaatliche Vernichtung befreite, einen unerträglichen Vorteil gegenüber Italien gewänne. Ein Angriff Oeſterreichs auf die Berge des Lowzen wird perhorresziert. Der einſtimmige Ruf des Landes, die eigenen Intereſſen unter keinen Umſtänden beeinträchtigen zu laſſen, d. h., wenn irgend möglich, außer Spiel zu bleiben und jede Gewaltmaßregel auf dem Balkan zu hindern, oder doch ausreichend entſchädigt zu werden, findet in dem großen Eifer der Regierung, mit England zuſammen den Frieden zu befürworten, ſeinen erſten internationalen Ausdruck Ebenſo unzweideutig bezeichnet die Reſerve, die die eigene freudige Zuſtimmung zu den Londoner Vorſchlägen, von dem deutſchen Ein- verſtändnis abhängig machte, Italiens Bereitſchaft im Notfall, wenn auch augenblicklich vielfach unerwünſcht, die Probe auf den Drei- bund, alſo hauptſächlich einen Kampf gegen Frankreich auszuhalten. Etwas mehr Sympathie würde die etwa ſich ergebende Notwendig- keit einer kriegeriſchen Auseinanderſetzung mit Griechenland finden. Aber im Grunde ſehnt ſich alles nach Ruhe, um im eigenen Lande Ordnung zu ſchaffen und die drängenden Kulturarbeiten zu be- werkſtelligen. O. H. H. Ueber die militäriſche Lage nach einem Ein- greifen Rußlands ſpricht ſich General von Blume hinſicht- lich der Kräfteverteilung der Mächtegruppen dahin aus, daß die numeriſche Ueberlegenheit des Dreiverbandes gegenüber dem Drei- bund nur durch die außerordentliche Stärke der ruſſiſchen Armee bedingt iſt. Er beziffert die geſamte verfügbare Kriegsſtärke Ruß- lands auf 6,665,000 Mann, wozu noch die Reichswehr mit 1,443,000 Mann treten würde, d. h. Rußland kann im Kriegsfalle über 7½ Millionen ausgebildeter Mannſchaft ins Feld ſtellen. Dieſe enormen Truppenmaſſen ſollen, ſoweit bisher bekannt geworden, im Ernſtfalle in 37 Armeekorps mit 59 Infanteriediviſionen, 11 Schützendiviſionen und 11 ſelbſtändigen Schützenbrigaden zuſammen- gefaßt werden. Hinzu kommen 34 Kavalleriediviſionen, die aus den bereits im Frieden beſtehenden 24 Kavalleriediviſionen durch Hinzunahme von 10 weiteren Koſakenformationen gebildet werden. Die geſamte Reichswehr wird in 40 Diviſionen gegliedert und zwar in je 20 erſten und zweiten Aufgebots. Könnten dieſe rieſenhaften Truppenmaſſen ausſchließlich gegen uns und das verbündete Oeſter- reich zur Verwendung kommen, ſo beſtände in der Tat die ernſtliche Gefahr für uns, durch das Gewicht der Ueberzahl möglicherweiſe erdrückt zu werden. Allein man muß ſich ſtets vor Augen halten, daß gar keine Rede davon ſein kann, die geſamte ruſſiſche Truppenmacht in voller Kriegsſtärke gegen unſere Grenzen zu ſchleudern. Einmal müſſen ruſſiſche Truppen den Beſitz der ruſſiſch-aſiatiſchen Gebiete und des Kaukaſus ſicherſtellen, und dann iſt das Zarenreich, wie ja die aus- gedehnten Streikunruhen dieſer Tage haben kund werden laſſen, im inneren noch längſt nicht ſo beruhigt und frei von Wirren, als daß man ohne Gefährdung die Enblößung der inneren Gebiete vornehmen könnte. Damit ermäßigten ſich die faktiſch gegen uns in Betracht kommende ruſſiſche Truppenzahl ganz erheblich. Frankreich ſchließt ſich ſeinem ruſſiſchen Verbündeten nach neueſten Berechnungen mit 5½ Millionen ausgebildeter Mann- ſchaften an. Sein Heer umfaßt 22 Armeekorps, von denen das 19. in Nordafrika liegt und das 22. die Kolonialtruppen umfaßt. Hinzu treten 10 Kavalleriediviſionen. Hält man dieſen Kriegs- ſtärken die entſprechenden Zahlen der Dreibundarmee gegenüber, ſo iſt unumwunden die numeriſche Schwäche der letzteren zuzugeben. Einmal ſind die Kriegsſtärken von Oeſterreich und Italien verhält- nismäßig viel geringer, und auch die eigentliche Feldarmee Deutſch- lands erreicht knapp 2½ Millionen Mann. Die Kriegsſtärke des öſterreichiſch-ungariſchen Heeres beträgt jetzt rund 2 Millionen Mann, allerdings ohne Land- ſturm und Erſatzreſerve. Sie zerfällt in 16 Armeekorps zu je 3 Diviſionen und 10 Kavalleriediviſionen. Italien berechnet ſeine ungefähre Kriegsſtärke auf 1,100,000 Mann. Im Kriegsfall beſteht ſie aus 14 Armeekorps zu 2 bis 3 Diviſionen. Für Deutſchland laſſen ſich folgende Zahlen aufſtellen: An ausgebildeten Mannſchaften werden wir in einem bevorſtehenden Kriege 4,150,000 Mann ins Feld ſtellen können. Die eigentliche Feldarmee mit den mobilen Landwehrformationen und allen Spezial- truppen und Trains wird auf 70,000 Offiziere, 2,300,000 Mann, 770,000 Pferde und 140,000 Fuhrwerke berechnet. Die Feldarmee 1. Linie einſchließlich der Reſerveformationen beläuft ſich auf 1,740,000, die Landwehr auf 1,790,000 Mann, zuſammen rund 3½ Millionen. Dazu treten mindeſtens 600,000 ausgebidete Land- ſturmpflichtige. Die Gliederung des deutſchen Heeres ergibt 25 Armeekorps mit zuſammen 50 Infanteriediviſionen und 11 Kaval- leriediviſionen, die aber erſt im Mobilmachungsfalle gebildet wer- den. Mindeſtens 25 Reſervediviſionen können deutſcherſeits zur Aufſtellung gelangen. Wirkt dieſes Zahlenmaterial auch in mancher Hinſicht beunruhigend, ſo darf man doch keinen Augenblick ver- geſſen, daß das Uebergewicht an Zahl noch nicht allein den Sieg des Gegners verbürgt. Was unſere etwaigen Gegner in dieſer Hinſicht voraus haben, machen ſicherlich die Soldaten der Dreibunds- truppen durch ihre überlegene Ausbildung, Ausrüſtung und ſonſtigen hervorſtehenden militäriſchen Qualitäten wieder wett. Der Wert des ruſſiſchen Heeres. In dem „Militär- Wochenblatt“ findet ſich in einer Abhandlung über die Streitkräfte Oeſterreichs und Serbiens folgende intereſſante Bemerkung: „Ebenſo wie die öſterreichiſch-ungariſche Armee in Europa vielfach unter- ſchätzt wird, ſo wird die Kampfkraft der ruſſiſchen Armee meiſtens überſchätzt. Daß die ruſſiſche Armee der Zahl nach von außer- ordentlicher Stärke iſt, kann niemand beſtreiten, die Zahl entſcheidet aber, wie uns die Kriege Friedrichs des Großen lehren, im Kriege glücklicherweiſe nicht; als wichtigere Faktoren treten hier noch hinzu die Moral des Heeres, höhere Führung, Bewaffnung, Ausrüſtung, Lage und Ausdehnung des Staatsgebietes, deſſen Eiſenbahnnetz, Geſinnung der Bevölkerung u. dergl. mehr. Es ſcheint nicht unan- gebracht, jetzt daran zu erinnern, daß in neueſter Zeit Rußland allein noch niemals über eine ebenbürtige Armee den Sieg errun- gen hat; 1877 wäre ihm ohne die Hilfe des Fürſten Carol von Rumänien nicht einmal die Niederwerfung der Türkei gelungen; der modernen japaniſchen Armee gegenüber im mandſchuriſchen Kriege erlitt Rußland eine empfindliche Niederlage. Hier ſei ein- geſchaltet, daß die kürzlich in der Preſſe oft aufgetauchte Nachricht

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 1. August 1914, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine31_1914/2>, abgerufen am 21.11.2024.