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Allgemeine Zeitung, Nr. 32, 8. August 1914.

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[Spaltenumbruch] Hetze richtiger zu nennen wäre, müßte also auch hier vollkommenes
Fiasko erlitten haben, wäre ihrem Ränkespiel nicht die eigentüm-
liche politische Atmosphäre Belgrads zu Hilfe gekommen, in der
orientalische Rückständigkeit und Auswilderung ungezähmter brutaler
Instinkte stets die vorherrschenden Triebkräfte gewesen sind. Bei
dem ganzen Kampf der Obrenowitsche gegen die Karageorgewitsche
handelte es sich im Grunde um ein Ringen der ruhigen, arbeitenden
Volkselemente, die in Frieden mit Oesterreich leben wollten, und
den Russophilen, den Vertretern der draufgängerischen Militär-
partei und aller, die aus systematischer Aufstachelung der blinden
Massen gegen jegliches, was Deutsch heißt, ihre trüben Geschäfte
machten. Mit der Ermordung König Alexanders durch die Offiziers-
verschwörer, die den Flüchtling Peter als ihren Figuranten auf den
Thron Duschans setzten, fiel das Schicksalslos endgültig zugunsten
dieses militärischen Demagogismus; mit welchem Erfolg, zeigte sich
schon 1908 in nur scharfem Licht gelegentlich der Enthüllungen über
das von dem berüchtigten Agitator Nastitsch geleitete Treiben des
allserbischen "Pokret"; dessen Programm, das denselben Herrn
Sveta Simitsch zum Verfasser haben soll, der in Wien die Ver-
sicherung von der loyalen Anerkennung der österreichischen Herr-
schaft in Bosnien durch die serbische Regierung überreichte, gipfelte
in den Leitmotiven: 1. Bündnis mit Montenegro, dessen Politik
der serbischen sich vollkommen anpassen soll; 2. Entwicklung der
Verbrüderungsidee zwischen den serbischen Parteien und den
Serbenfreunden in Kroatien, insbesondere Unterstützung der serbi-
schen und kroatischen unabhängigen Partei in Ungarn in ihrem
Ringen gegen die Krone; 3. Diskreditierung der österreichischen Ver-
waltung in den besetzten Provinzen durch die Presse und Auf-
wiegelung der orthodoxen und muselmanischen Bevölkerung;
4. Schaffung eines "fliegenden" ingoslawischen Komitees, das sich
aus serbischen Politikern Ungarns, Bosniens und Dalmatiens zu-
sammensetzt und sich mit den Aufgaben zu beschäftigen hat, welche
die serbische Regierung nicht erfüllen kann (einfacher gesagt: welche
diese unterstützen soll, aber vor der Oeffentlichkeit verleugnen will);
5. Bildung einer Insurrektionsarmee aus den Sokols; 6. Pflege
freundschaftlicher Beziehungen mit Rußland und Begünstigung aller
Unternehmungen, welche der Ausbreitung des allslawischen Ideals
in Ost- und Westeuropa dienlich sein können. Man sieht, hier ist
bereits die ganze verhängnisvolle Entwicklungslinie vorgezeichnet,
auf der sich die Beziehungen zwischen Serbien und Oesterreich immer
unseliger bis zu dem ruchlosen Meuchelmord von Serajewo zu-
gespitzt haben und die auch ohne diese Schandtat früher oder später
in dem blutigen Zusammenstoß des heutigen Tages hätte auslaufen
müssen. Zugleich aber zeigt sich deutlich, wie Belgrad der schwarze
Fleck ist, der am schärfsten die unheilvolle Doppelzüngigkeit und
Unwahrhaftigkeit der russischen Politik offenbart. Von allen
Freunden, die man sich auf dem Balkan zu werben gedachte, blieb
schließlich als zuverlässige Stütze nur noch das Land der Fürsten-
mörder und der endemischen Militärputsche, und was das eigentliche
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redenden Zeugnisses der Ausspruch eines russischen Staatsmannes:
Der Weg nach den Dardanellen geht über Wien! Mit Wien aber
sollte zugleich Deutschland getroffen und niedergedrückt werden als
Stammburg des Germanentums, dem das westliche Rußland fast
alles verdankt, was es an Kultur besitzt. So will es die fanatische
allslawische Hetze eines Reiches, das nichts ist als ein durch blutigen
Absolutismus zusammengehaltenes Völkerkonglomerat, so wollen es
-- dieses Giftkeims darf nicht vergessen werden -- die "Sphären"
der Petersburger Hofschranzen und Großwürdenträger, deren Geld-
beutelinteresse an Mobilmachungen und Krieg nur zu bekannt ist.

Das sind die wichtigsten Charakterzüge der europäischen Krise,
in deren Fieberausbruch heute die deutschen Völker um ihr Dasein
zu kämpfen haben. Frankreich, das sich die Kulturleuchte der Welt
zu sein rühmt, stellt sich auf die Seite der Macht, die, wenn sie
siegte, in Mitteleuropa das Schreckenregiment kosakischer Barbarei
aufrichten würde, und Englands Regierung spielt entgegen der Stim-
mung des eigenen Volks unter derselben Ententendecke. Aber wenn
jemals, so tritt heute die von dem großen Politiker-Philosophen
Friedrich List schon vor rund 70 Jahren erkannte Wahrheit hell ins
Licht: "Frankreich und Rußland sind zueinander hingezogen durch
das Gewicht der Unzulänglichkeit ihrer Nationaleigenschaften ....
Das erste Ziel ihrer entente cordiale wird kein anderes sein als
das, Deutschland zu unterdrücken oder doch so weit zu unterwerfen,
als es erforderlich ist, um die Deutschen dem gemeinschaftlichen Zweck
der Alliance, der Bedrohung der englischen Suprematie in Europa
[Spaltenumbruch] wie in Asien ein Ende zu machen." So ist Großbritannien vor
eine Entscheidung in der Wahl seiner politischen Haltung gestellt,
die für sein Ansehen als Weltmacht und vor allem als Kulturmacht
für alle Zeiten ausschlaggebend sein muß. Welches Los es gewählt,
ist bekannt: gegen das stammverwandte Deutschland, für Frankreich,
das es Jahrhundertelang als seinen Erbfeind betrachtete, für Ruß-
land, gegen dessen orientalischen Ausdehnungsdrang es noch im
Krimkrieg gemeinsam mit den Franzosen sich zur Wehr gesetzt hat
und das, übergewaltig geworden, in Asien die britische Macht über
kurz oder lang zerdrücken wird wie eine Lawine Bauernhütten.
Verblendeter, unmoralischer hat das Foreign Office kaum jemals in
das Rad der europäischen Weltgeschichte eingegriffen als heute. Wir
aber, angegriffen von allen Seiten, dürfen mit Recht auf den Schild
unserer guten Sache vertrauen und halten, männlich, ruhig den Ge-
fahren ins Auge blickend, zu dem Spruch des alten Spartaners
Archidamos, daß der Mann -- und mit ihm das Volk -- nur immer
unter den härtesten Bedingungen zur höchsten Tüchtigkeit erzogen
werden kann.

Theater und Musik
Münchener Theater.
Die Richard Wagner- und Mozart-Festspiele. -- Die
übrigen Theater
.

Im Prinzregenten-Theater und im K. Residenz-Theater
haben die Festspiele begonnen: unter Umständen, die alle
Welt kennt und die unseren heurigen Festspielen, sowie den
Künstlern überhaupt nicht günstig sind. Es ist bewunderungs-
würdig, daß unsere Künstler noch soviel Selbstbeherrschung
haben, daß sie spielen und singen können und fast noch merk-
würdiger, daß sie ein Publikum finden. Und doch hat die
erste Parsifal-Aufführung, mit der die Wagner-Festspiele
im Prinzregenten-Theater und die Figaro-Aufführung im
Residenz-Theater, mit dem dort die Festspiele begannen,
gezeigt, daß es in München sogar noch einen Rest von frem-
dem Publikum gab oder gibt, der noch nicht die Flucht er-
griffen hat. Als ich vor wenigen Monaten an dieser Stelle
meiner Befürchtung Ausdruck gab, daß ein Krieg oder eine
Epidemie alle für unsere Fremden berechneten Anstalten in
Frage stellen, ja zugrunde richten könnte, weshalb man auf
einer solideren Basis arbeiten sollte, konnte ich noch nicht
ahnen, daß die Ereignisse schon so bald eine so grausame
Illustration und ein so drastisches Beweismaterial an die
Hand geben würden. Gebe Gott, daß diese künstlerische und
noch mehr wirtschaftliche Krise ohne dauernden Schaden an
unseren Kunstinstituten vorübergehen möge.

Um das Gesehene und Gehörte kurz zusammenzufassen,
so ist zu sagen, daß der Beginn der beiden Festspiele
künstlerisch auf einer durchaus Achtung gebietenden Höhe
stand. Der Parsifal wie der Figaro brachten keine neue Be-
setzung und keinen Gast. Man befand sich völlig unter sich.
Herr Knote sang zum zweitenmal bei uns den Parsifal, der
ihm stimmlich durchaus liegt. Leider sieht er aber besonders
im Torengewand des ersten Aktes nicht sehr gut aus. Frau
Faßbender sang die Kundry, Feinhals den Amfortas, Gill-
mann den Titurel. Die vollkommenste Leistung des
Abends war wieder ohne Zweifel der Gurnemanz Benders.
In den Nebenrollen gehören der Klingsor Baubergers und
die führende Stimme der Blumenmädchen, Frau Bosetti,
immer zu den erfreulichsten Eindrücken des Abends. Szenisch
gelang alles, ebenso wie Herr Walter den musikalischen Teil
prachtvoll zum Klingen brachte. Das Publikum, welches
das Haus fast ganz füllte, verließ es, wie dies beim Parsifal
ja üblich ist, lautlos, was gewiß auch der ernsten Stimmung
in der es gekommen war, entsprach.

Der Figaro sah schon im kleineren Raume des Residenz-
Theaters ein bedeutend zusammengeschrumpftes Publikum
vor sich: Viele mochten wohl empfinden, daß eine komische
Oper und sei sie selbst von Mozart, doch in zu grellem Wider-
spruche mit der allgemeinen Stimmung stehe. Wer nun aber
gekommen war, der fand sich doch durch die unvergängliche
Musik Mozarts neuerdings erhoben und erfrischt und vergaß
vielleicht für kurze Momente die brennenden Sorgen des

Allgemeine Zeitung 8. Auguſt 1914.
[Spaltenumbruch] Hetze richtiger zu nennen wäre, müßte alſo auch hier vollkommenes
Fiasko erlitten haben, wäre ihrem Ränkeſpiel nicht die eigentüm-
liche politiſche Atmoſphäre Belgrads zu Hilfe gekommen, in der
orientaliſche Rückſtändigkeit und Auswilderung ungezähmter brutaler
Inſtinkte ſtets die vorherrſchenden Triebkräfte geweſen ſind. Bei
dem ganzen Kampf der Obrenowitſche gegen die Karageorgewitſche
handelte es ſich im Grunde um ein Ringen der ruhigen, arbeitenden
Volkselemente, die in Frieden mit Oeſterreich leben wollten, und
den Ruſſophilen, den Vertretern der draufgängeriſchen Militär-
partei und aller, die aus ſyſtematiſcher Aufſtachelung der blinden
Maſſen gegen jegliches, was Deutſch heißt, ihre trüben Geſchäfte
machten. Mit der Ermordung König Alexanders durch die Offiziers-
verſchwörer, die den Flüchtling Peter als ihren Figuranten auf den
Thron Duſchans ſetzten, fiel das Schickſalslos endgültig zugunſten
dieſes militäriſchen Demagogismus; mit welchem Erfolg, zeigte ſich
ſchon 1908 in nur ſcharfem Licht gelegentlich der Enthüllungen über
das von dem berüchtigten Agitator Naſtitſch geleitete Treiben des
allſerbiſchen „Pokret“; deſſen Programm, das denſelben Herrn
Sveta Simitſch zum Verfaſſer haben ſoll, der in Wien die Ver-
ſicherung von der loyalen Anerkennung der öſterreichiſchen Herr-
ſchaft in Bosnien durch die ſerbiſche Regierung überreichte, gipfelte
in den Leitmotiven: 1. Bündnis mit Montenegro, deſſen Politik
der ſerbiſchen ſich vollkommen anpaſſen ſoll; 2. Entwicklung der
Verbrüderungsidee zwiſchen den ſerbiſchen Parteien und den
Serbenfreunden in Kroatien, insbeſondere Unterſtützung der ſerbi-
ſchen und kroatiſchen unabhängigen Partei in Ungarn in ihrem
Ringen gegen die Krone; 3. Diskreditierung der öſterreichiſchen Ver-
waltung in den beſetzten Provinzen durch die Preſſe und Auf-
wiegelung der orthodoxen und muſelmaniſchen Bevölkerung;
4. Schaffung eines „fliegenden“ ingoſlawiſchen Komitees, das ſich
aus ſerbiſchen Politikern Ungarns, Bosniens und Dalmatiens zu-
ſammenſetzt und ſich mit den Aufgaben zu beſchäftigen hat, welche
die ſerbiſche Regierung nicht erfüllen kann (einfacher geſagt: welche
dieſe unterſtützen ſoll, aber vor der Oeffentlichkeit verleugnen will);
5. Bildung einer Inſurrektionsarmee aus den Sokols; 6. Pflege
freundſchaftlicher Beziehungen mit Rußland und Begünſtigung aller
Unternehmungen, welche der Ausbreitung des allſlawiſchen Ideals
in Oſt- und Weſteuropa dienlich ſein können. Man ſieht, hier iſt
bereits die ganze verhängnisvolle Entwicklungslinie vorgezeichnet,
auf der ſich die Beziehungen zwiſchen Serbien und Oeſterreich immer
unſeliger bis zu dem ruchloſen Meuchelmord von Serajewo zu-
geſpitzt haben und die auch ohne dieſe Schandtat früher oder ſpäter
in dem blutigen Zuſammenſtoß des heutigen Tages hätte auslaufen
müſſen. Zugleich aber zeigt ſich deutlich, wie Belgrad der ſchwarze
Fleck iſt, der am ſchärfſten die unheilvolle Doppelzüngigkeit und
Unwahrhaftigkeit der ruſſiſchen Politik offenbart. Von allen
Freunden, die man ſich auf dem Balkan zu werben gedachte, blieb
ſchließlich als zuverläſſige Stütze nur noch das Land der Fürſten-
mörder und der endemiſchen Militärputſche, und was das eigentliche
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redenden Zeugniſſes der Ausſpruch eines ruſſiſchen Staatsmannes:
Der Weg nach den Dardanellen geht über Wien! Mit Wien aber
ſollte zugleich Deutſchland getroffen und niedergedrückt werden als
Stammburg des Germanentums, dem das weſtliche Rußland faſt
alles verdankt, was es an Kultur beſitzt. So will es die fanatiſche
allſlawiſche Hetze eines Reiches, das nichts iſt als ein durch blutigen
Abſolutismus zuſammengehaltenes Völkerkonglomerat, ſo wollen es
— dieſes Giftkeims darf nicht vergeſſen werden — die „Sphären“
der Petersburger Hofſchranzen und Großwürdenträger, deren Geld-
beutelintereſſe an Mobilmachungen und Krieg nur zu bekannt iſt.

Das ſind die wichtigſten Charakterzüge der europäiſchen Kriſe,
in deren Fieberausbruch heute die deutſchen Völker um ihr Daſein
zu kämpfen haben. Frankreich, das ſich die Kulturleuchte der Welt
zu ſein rühmt, ſtellt ſich auf die Seite der Macht, die, wenn ſie
ſiegte, in Mitteleuropa das Schreckenregiment koſakiſcher Barbarei
aufrichten würde, und Englands Regierung ſpielt entgegen der Stim-
mung des eigenen Volks unter derſelben Ententendecke. Aber wenn
jemals, ſo tritt heute die von dem großen Politiker-Philoſophen
Friedrich Liſt ſchon vor rund 70 Jahren erkannte Wahrheit hell ins
Licht: „Frankreich und Rußland ſind zueinander hingezogen durch
das Gewicht der Unzulänglichkeit ihrer Nationaleigenſchaften ....
Das erſte Ziel ihrer entente cordiale wird kein anderes ſein als
das, Deutſchland zu unterdrücken oder doch ſo weit zu unterwerfen,
als es erforderlich iſt, um die Deutſchen dem gemeinſchaftlichen Zweck
der Alliance, der Bedrohung der engliſchen Suprematie in Europa
[Spaltenumbruch] wie in Aſien ein Ende zu machen.“ So iſt Großbritannien vor
eine Entſcheidung in der Wahl ſeiner politiſchen Haltung geſtellt,
die für ſein Anſehen als Weltmacht und vor allem als Kulturmacht
für alle Zeiten ausſchlaggebend ſein muß. Welches Los es gewählt,
iſt bekannt: gegen das ſtammverwandte Deutſchland, für Frankreich,
das es Jahrhundertelang als ſeinen Erbfeind betrachtete, für Ruß-
land, gegen deſſen orientaliſchen Ausdehnungsdrang es noch im
Krimkrieg gemeinſam mit den Franzoſen ſich zur Wehr geſetzt hat
und das, übergewaltig geworden, in Aſien die britiſche Macht über
kurz oder lang zerdrücken wird wie eine Lawine Bauernhütten.
Verblendeter, unmoraliſcher hat das Foreign Office kaum jemals in
das Rad der europäiſchen Weltgeſchichte eingegriffen als heute. Wir
aber, angegriffen von allen Seiten, dürfen mit Recht auf den Schild
unſerer guten Sache vertrauen und halten, männlich, ruhig den Ge-
fahren ins Auge blickend, zu dem Spruch des alten Spartaners
Archidamos, daß der Mann — und mit ihm das Volk — nur immer
unter den härteſten Bedingungen zur höchſten Tüchtigkeit erzogen
werden kann.

Theater und Muſik
Münchener Theater.
Die Richard Wagner- und Mozart-Feſtſpiele. — Die
übrigen Theater
.

Im Prinzregenten-Theater und im K. Reſidenz-Theater
haben die Feſtſpiele begonnen: unter Umſtänden, die alle
Welt kennt und die unſeren heurigen Feſtſpielen, ſowie den
Künſtlern überhaupt nicht günſtig ſind. Es iſt bewunderungs-
würdig, daß unſere Künſtler noch ſoviel Selbſtbeherrſchung
haben, daß ſie ſpielen und ſingen können und faſt noch merk-
würdiger, daß ſie ein Publikum finden. Und doch hat die
erſte Parſifal-Aufführung, mit der die Wagner-Feſtſpiele
im Prinzregenten-Theater und die Figaro-Aufführung im
Reſidenz-Theater, mit dem dort die Feſtſpiele begannen,
gezeigt, daß es in München ſogar noch einen Reſt von frem-
dem Publikum gab oder gibt, der noch nicht die Flucht er-
griffen hat. Als ich vor wenigen Monaten an dieſer Stelle
meiner Befürchtung Ausdruck gab, daß ein Krieg oder eine
Epidemie alle für unſere Fremden berechneten Anſtalten in
Frage ſtellen, ja zugrunde richten könnte, weshalb man auf
einer ſolideren Baſis arbeiten ſollte, konnte ich noch nicht
ahnen, daß die Ereigniſſe ſchon ſo bald eine ſo grauſame
Illuſtration und ein ſo draſtiſches Beweismaterial an die
Hand geben würden. Gebe Gott, daß dieſe künſtleriſche und
noch mehr wirtſchaftliche Kriſe ohne dauernden Schaden an
unſeren Kunſtinſtituten vorübergehen möge.

Um das Geſehene und Gehörte kurz zuſammenzufaſſen,
ſo iſt zu ſagen, daß der Beginn der beiden Feſtſpiele
künſtleriſch auf einer durchaus Achtung gebietenden Höhe
ſtand. Der Parſifal wie der Figaro brachten keine neue Be-
ſetzung und keinen Gaſt. Man befand ſich völlig unter ſich.
Herr Knote ſang zum zweitenmal bei uns den Parſifal, der
ihm ſtimmlich durchaus liegt. Leider ſieht er aber beſonders
im Torengewand des erſten Aktes nicht ſehr gut aus. Frau
Faßbender ſang die Kundry, Feinhals den Amfortas, Gill-
mann den Titurel. Die vollkommenſte Leiſtung des
Abends war wieder ohne Zweifel der Gurnemanz Benders.
In den Nebenrollen gehören der Klingſor Baubergers und
die führende Stimme der Blumenmädchen, Frau Boſetti,
immer zu den erfreulichſten Eindrücken des Abends. Szeniſch
gelang alles, ebenſo wie Herr Walter den muſikaliſchen Teil
prachtvoll zum Klingen brachte. Das Publikum, welches
das Haus faſt ganz füllte, verließ es, wie dies beim Parſifal
ja üblich iſt, lautlos, was gewiß auch der ernſten Stimmung
in der es gekommen war, entſprach.

Der Figaro ſah ſchon im kleineren Raume des Reſidenz-
Theaters ein bedeutend zuſammengeſchrumpftes Publikum
vor ſich: Viele mochten wohl empfinden, daß eine komiſche
Oper und ſei ſie ſelbſt von Mozart, doch in zu grellem Wider-
ſpruche mit der allgemeinen Stimmung ſtehe. Wer nun aber
gekommen war, der fand ſich doch durch die unvergängliche
Muſik Mozarts neuerdings erhoben und erfriſcht und vergaß
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[504/0006] Allgemeine Zeitung 8. Auguſt 1914. Theater und Muſik Hetze richtiger zu nennen wäre, müßte alſo auch hier vollkommenes Fiasko erlitten haben, wäre ihrem Ränkeſpiel nicht die eigentüm- liche politiſche Atmoſphäre Belgrads zu Hilfe gekommen, in der orientaliſche Rückſtändigkeit und Auswilderung ungezähmter brutaler Inſtinkte ſtets die vorherrſchenden Triebkräfte geweſen ſind. Bei dem ganzen Kampf der Obrenowitſche gegen die Karageorgewitſche handelte es ſich im Grunde um ein Ringen der ruhigen, arbeitenden Volkselemente, die in Frieden mit Oeſterreich leben wollten, und den Ruſſophilen, den Vertretern der draufgängeriſchen Militär- partei und aller, die aus ſyſtematiſcher Aufſtachelung der blinden Maſſen gegen jegliches, was Deutſch heißt, ihre trüben Geſchäfte machten. Mit der Ermordung König Alexanders durch die Offiziers- verſchwörer, die den Flüchtling Peter als ihren Figuranten auf den Thron Duſchans ſetzten, fiel das Schickſalslos endgültig zugunſten dieſes militäriſchen Demagogismus; mit welchem Erfolg, zeigte ſich ſchon 1908 in nur ſcharfem Licht gelegentlich der Enthüllungen über das von dem berüchtigten Agitator Naſtitſch geleitete Treiben des allſerbiſchen „Pokret“; deſſen Programm, das denſelben Herrn Sveta Simitſch zum Verfaſſer haben ſoll, der in Wien die Ver- ſicherung von der loyalen Anerkennung der öſterreichiſchen Herr- ſchaft in Bosnien durch die ſerbiſche Regierung überreichte, gipfelte in den Leitmotiven: 1. Bündnis mit Montenegro, deſſen Politik der ſerbiſchen ſich vollkommen anpaſſen ſoll; 2. Entwicklung der Verbrüderungsidee zwiſchen den ſerbiſchen Parteien und den Serbenfreunden in Kroatien, insbeſondere Unterſtützung der ſerbi- ſchen und kroatiſchen unabhängigen Partei in Ungarn in ihrem Ringen gegen die Krone; 3. Diskreditierung der öſterreichiſchen Ver- waltung in den beſetzten Provinzen durch die Preſſe und Auf- wiegelung der orthodoxen und muſelmaniſchen Bevölkerung; 4. Schaffung eines „fliegenden“ ingoſlawiſchen Komitees, das ſich aus ſerbiſchen Politikern Ungarns, Bosniens und Dalmatiens zu- ſammenſetzt und ſich mit den Aufgaben zu beſchäftigen hat, welche die ſerbiſche Regierung nicht erfüllen kann (einfacher geſagt: welche dieſe unterſtützen ſoll, aber vor der Oeffentlichkeit verleugnen will); 5. Bildung einer Inſurrektionsarmee aus den Sokols; 6. Pflege freundſchaftlicher Beziehungen mit Rußland und Begünſtigung aller Unternehmungen, welche der Ausbreitung des allſlawiſchen Ideals in Oſt- und Weſteuropa dienlich ſein können. Man ſieht, hier iſt bereits die ganze verhängnisvolle Entwicklungslinie vorgezeichnet, auf der ſich die Beziehungen zwiſchen Serbien und Oeſterreich immer unſeliger bis zu dem ruchloſen Meuchelmord von Serajewo zu- geſpitzt haben und die auch ohne dieſe Schandtat früher oder ſpäter in dem blutigen Zuſammenſtoß des heutigen Tages hätte auslaufen müſſen. Zugleich aber zeigt ſich deutlich, wie Belgrad der ſchwarze Fleck iſt, der am ſchärfſten die unheilvolle Doppelzüngigkeit und Unwahrhaftigkeit der ruſſiſchen Politik offenbart. Von allen Freunden, die man ſich auf dem Balkan zu werben gedachte, blieb ſchließlich als zuverläſſige Stütze nur noch das Land der Fürſten- mörder und der endemiſchen Militärputſche, und was das eigentliche Ziel dieſer ſeltſamen Verbrüderung war und iſt, beweiſt laut redenden Zeugniſſes der Ausſpruch eines ruſſiſchen Staatsmannes: Der Weg nach den Dardanellen geht über Wien! Mit Wien aber ſollte zugleich Deutſchland getroffen und niedergedrückt werden als Stammburg des Germanentums, dem das weſtliche Rußland faſt alles verdankt, was es an Kultur beſitzt. So will es die fanatiſche allſlawiſche Hetze eines Reiches, das nichts iſt als ein durch blutigen Abſolutismus zuſammengehaltenes Völkerkonglomerat, ſo wollen es — dieſes Giftkeims darf nicht vergeſſen werden — die „Sphären“ der Petersburger Hofſchranzen und Großwürdenträger, deren Geld- beutelintereſſe an Mobilmachungen und Krieg nur zu bekannt iſt. Das ſind die wichtigſten Charakterzüge der europäiſchen Kriſe, in deren Fieberausbruch heute die deutſchen Völker um ihr Daſein zu kämpfen haben. Frankreich, das ſich die Kulturleuchte der Welt zu ſein rühmt, ſtellt ſich auf die Seite der Macht, die, wenn ſie ſiegte, in Mitteleuropa das Schreckenregiment koſakiſcher Barbarei aufrichten würde, und Englands Regierung ſpielt entgegen der Stim- mung des eigenen Volks unter derſelben Ententendecke. Aber wenn jemals, ſo tritt heute die von dem großen Politiker-Philoſophen Friedrich Liſt ſchon vor rund 70 Jahren erkannte Wahrheit hell ins Licht: „Frankreich und Rußland ſind zueinander hingezogen durch das Gewicht der Unzulänglichkeit ihrer Nationaleigenſchaften .... Das erſte Ziel ihrer entente cordiale wird kein anderes ſein als das, Deutſchland zu unterdrücken oder doch ſo weit zu unterwerfen, als es erforderlich iſt, um die Deutſchen dem gemeinſchaftlichen Zweck der Alliance, der Bedrohung der engliſchen Suprematie in Europa wie in Aſien ein Ende zu machen.“ So iſt Großbritannien vor eine Entſcheidung in der Wahl ſeiner politiſchen Haltung geſtellt, die für ſein Anſehen als Weltmacht und vor allem als Kulturmacht für alle Zeiten ausſchlaggebend ſein muß. Welches Los es gewählt, iſt bekannt: gegen das ſtammverwandte Deutſchland, für Frankreich, das es Jahrhundertelang als ſeinen Erbfeind betrachtete, für Ruß- land, gegen deſſen orientaliſchen Ausdehnungsdrang es noch im Krimkrieg gemeinſam mit den Franzoſen ſich zur Wehr geſetzt hat und das, übergewaltig geworden, in Aſien die britiſche Macht über kurz oder lang zerdrücken wird wie eine Lawine Bauernhütten. Verblendeter, unmoraliſcher hat das Foreign Office kaum jemals in das Rad der europäiſchen Weltgeſchichte eingegriffen als heute. Wir aber, angegriffen von allen Seiten, dürfen mit Recht auf den Schild unſerer guten Sache vertrauen und halten, männlich, ruhig den Ge- fahren ins Auge blickend, zu dem Spruch des alten Spartaners Archidamos, daß der Mann — und mit ihm das Volk — nur immer unter den härteſten Bedingungen zur höchſten Tüchtigkeit erzogen werden kann. Dr. Frhr. v. Mackay. Münchener Theater. Die Richard Wagner- und Mozart-Feſtſpiele. — Die übrigen Theater. Im Prinzregenten-Theater und im K. Reſidenz-Theater haben die Feſtſpiele begonnen: unter Umſtänden, die alle Welt kennt und die unſeren heurigen Feſtſpielen, ſowie den Künſtlern überhaupt nicht günſtig ſind. Es iſt bewunderungs- würdig, daß unſere Künſtler noch ſoviel Selbſtbeherrſchung haben, daß ſie ſpielen und ſingen können und faſt noch merk- würdiger, daß ſie ein Publikum finden. Und doch hat die erſte Parſifal-Aufführung, mit der die Wagner-Feſtſpiele im Prinzregenten-Theater und die Figaro-Aufführung im Reſidenz-Theater, mit dem dort die Feſtſpiele begannen, gezeigt, daß es in München ſogar noch einen Reſt von frem- dem Publikum gab oder gibt, der noch nicht die Flucht er- griffen hat. Als ich vor wenigen Monaten an dieſer Stelle meiner Befürchtung Ausdruck gab, daß ein Krieg oder eine Epidemie alle für unſere Fremden berechneten Anſtalten in Frage ſtellen, ja zugrunde richten könnte, weshalb man auf einer ſolideren Baſis arbeiten ſollte, konnte ich noch nicht ahnen, daß die Ereigniſſe ſchon ſo bald eine ſo grauſame Illuſtration und ein ſo draſtiſches Beweismaterial an die Hand geben würden. Gebe Gott, daß dieſe künſtleriſche und noch mehr wirtſchaftliche Kriſe ohne dauernden Schaden an unſeren Kunſtinſtituten vorübergehen möge. Um das Geſehene und Gehörte kurz zuſammenzufaſſen, ſo iſt zu ſagen, daß der Beginn der beiden Feſtſpiele künſtleriſch auf einer durchaus Achtung gebietenden Höhe ſtand. Der Parſifal wie der Figaro brachten keine neue Be- ſetzung und keinen Gaſt. Man befand ſich völlig unter ſich. Herr Knote ſang zum zweitenmal bei uns den Parſifal, der ihm ſtimmlich durchaus liegt. Leider ſieht er aber beſonders im Torengewand des erſten Aktes nicht ſehr gut aus. Frau Faßbender ſang die Kundry, Feinhals den Amfortas, Gill- mann den Titurel. Die vollkommenſte Leiſtung des Abends war wieder ohne Zweifel der Gurnemanz Benders. In den Nebenrollen gehören der Klingſor Baubergers und die führende Stimme der Blumenmädchen, Frau Boſetti, immer zu den erfreulichſten Eindrücken des Abends. Szeniſch gelang alles, ebenſo wie Herr Walter den muſikaliſchen Teil prachtvoll zum Klingen brachte. Das Publikum, welches das Haus faſt ganz füllte, verließ es, wie dies beim Parſifal ja üblich iſt, lautlos, was gewiß auch der ernſten Stimmung in der es gekommen war, entſprach. Der Figaro ſah ſchon im kleineren Raume des Reſidenz- Theaters ein bedeutend zuſammengeſchrumpftes Publikum vor ſich: Viele mochten wohl empfinden, daß eine komiſche Oper und ſei ſie ſelbſt von Mozart, doch in zu grellem Wider- ſpruche mit der allgemeinen Stimmung ſtehe. Wer nun aber gekommen war, der fand ſich doch durch die unvergängliche Muſik Mozarts neuerdings erhoben und erfriſcht und vergaß vielleicht für kurze Momente die brennenden Sorgen des

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 32, 8. August 1914, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine32_1914/6>, abgerufen am 03.12.2024.