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Allgemeine Zeitung, Nr. 32, 8. August 1914.

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8. August 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Unsere heiligsten Güter, das Vaterland, den eigenen Herd,
gilt es gegen einen ruchlosen Ueberfall zu schützen!

Feinde ringsum! Das ist das Kennzeichen der Lage. Ein
schwerer Kampf und große Opfer stehen uns bevor.

Ich vertraue, daß der alte kriegerische Geist noch in dem deut-
schen Volke lebt, jener gewaltige kriegerische Geist, der den Feind,
wo er ihn findet, angreift, koste es, was es wolle, und der von
jeher die Furcht und der Schrecken unserer Feinde gewesen ist.

Ich vertraue auf Euch, Ihr deutschen Soldaten! In jedem von
Euch lebt der heiße, durch nichts zu bezwingende Wille zum Sieg.
Jeder von Euch weiß, wenn es sein muß, wie ein Held zu sterben.

Gedenkt unserer großen, ruhmreichen Vergangenheit!

Gedenkt, daß Ihr Deutsche seid!

Gott helfe uns!


(gez.) Wilhelm.


Vor der Pforte des Weltkriegs!

Mars regiert die Stunde, Europa, die ganze Welt. Und vor
seinem ehernen Tritt verschwinden die theoretischen Schreckgespenster
und die Verfehmungen des Kriegs durch Sozialisten, Pazifisten und
andere Illusionisten vom Schlag des Verfassers der Great Illusion
wie ein nächtlicher Spuck vor aufgehender Morgenröte! Die Ner-
ven straffen sich, die Pulse fliegen, alle deutschen Gaue brennen, wie
einst Bismarck prophezeite, auf gleich einer Pulvermine. Der Tra-
gik des Völkergerichtes, dessen dramatische Entscheidungen nahen, ist
sich jedes Herz bewußt; aber ihren Druck überwinden aufstürmend
die Spannkräfte einer großen Zeit, die durch die außerordentlichen
Maßstäbe ihres Geschehens die Menschheit von den Verstrickungen
des Alltäglich-Kleinlichen und -Gemeinen unabhängig macht. Das
körperlich, geistig, sittlich Tüchtige, Aristokratische, Ungewöhnliche er-
hebt sich, heldischer Sinn wird wach und allerwärts, vom Belt bis
zu den Alpen, fluten Begeisterungswogen auf als Offenbarungen
von heißer Vaterlandsliebe, Pflichtbewußtsein, soldatischer und bür-
gerlicher Zucht, Aufopferungsfähigkeit, Bundestreue. Sind das etwa
geringe Dinge, wie sie im Spiegel der Gedankenblässe der Friedens-
schwärmer erscheinen, sind es nicht vielmehr Ewigkeitswerte, die
fortwirken müssen in alle Zeit und vielen Geschlechtern von Enkeln
und Enkelkindern Atem und Schwungkraft geben werden zu allem,
was wahrhaft gut, adelig, erhaben, gottnahe ist?

Worin also liegt das Wesen, die Bedeutung und Zwecksetzung
dieses gewaltigen Ringens des Deutschtums mit dem Aufgebot aller
seiner politischen, sittlichen und ethischen Kräfte im weitesten Rahmen
der weltgeschichtlichen Entwicklungsprozesse, die über der Völker, der
Rassen, der ganzen Menschheit Schicksalsfragen entscheiden?

Deutschland als das "Rückgrat Europas" hat seit alters einen
bald offenen, bald in verdeckten Minengängen sich bewegenden Zwei-
frontenkampf um sein nationales Dasein und die Befestigung und
Ausweitung seiner staatlichen und kulturellen Macht zu führen ge-
habt: im Westen gegen das Franzosentum, im Osten gegen das Sla-
wentum. Der Charakter beider Kämpfe war sehr verschieden. Gegen
Frankreich wogte das Ringen in Ebbe und Flut unregelmäßig hin
und her. Zeitweilig vermochten die gallischen Eroberer ihre Fahnen
bis in das Herz Deutschlands zu tragen, während wir uns auf Ab-
wehrkriege beschränkten und dabei der Beeinflussung durch den Geist
romanischer Kultur nur zu mattherzig Raum gaben, bis schließlich
die Siege von 1870/71 endgültig die Einigung der Mehrheit der
deutschen Stämme in einem großen Bundesreich und damit dessen
Uebergewicht über den Vogesennachbarn stabilisierten, so zwar, daß
dieser allein uns anzugreifen fraglos nicht mehr wagen würde. Er
bedarf dazu eines Bundesgenossen, den er eben an der anderen
Kampflinie, der östlichen, gefunden hat. Hier schuf das Fundament
unserer Machtstellung die Glanzzeit des deutschen Ordens, der nicht
durch kriegerische Eroberung, sondern durch friedliche Kulturarbeit
"das größte kolonisatorische Werk vollbrachte, das die Welt seit den
Tagen von Roms Weltherrschaft gesehen". Weit über die heutigen
ostpreußischen und posenschen Grenzen hinaus drang der germanische
Siedler vor und wurde überall, von den Polen und Litauern, freu-
dig bewillkommnet als arbeitswilliger, erzieherisch und organisa-
torisch befähigter Gast: Kiew hatte Jahrhunderte lang deutsches
Stadtrecht, in Krakau herrschte bis 1500 die deutsche Sprache vor.
Genau wie Preußen, dessen Bevölkerung heute zur Hälfte auf Boden
wohnt, der vor tausend Jahren nicht in deutschem Besitz war, ist die
Habsburgische Doppelmonarchie überwiegend auf kolonisiertem
Boden erwachsen. Belgrad, das heute wiederum belagerte, erwies
sich noch bei einer Volkszählung zur Zeit Karls VI. als "eine rein
deutsche Kommunität", und der weit in das Reich des Madjarentums
vorgeschobene Posten der siebenbürgischen Sachsen ist nur ein ver-
[Spaltenumbruch] einzeltes besonders charakteristisches Beispiel dessen, wie weitgreifend
und kühn einst die deutsche Kulturarbeit auf dem verwilderten
Kampfgebiet des südosteuropäischen Völkermischmasches sich betätigte.
In weiterer scharfer Antithese zu der westlichen deutsch-französischen
Prozeßsache ist aber dieses östliche Ringen mit dem Slawentum bis
auf die Gegenwart zu keinerlei Abschluß gelangt. Im Gegenteil! Die
Balkankatastrophe der letzten Jahre mit ihren revolutionierenden
Fernwirkungen auf das Verhältnis Oesterreich-Ungarns zu seinen
slawischen Nachbarmächten wies bereits nur zu eindringlich redenden
Zeugnisses darauf hin, daß heute erst dieses Völkerdrama den schärf-
sten Krisen sich zubewegt und das Stadium ständig wachsender Ent-
ladungsgefährlichkeit durchläuft, und stellte zugleich klar ins Licht,
wie in diesem Zersetzungsprozeß Rußland eine ständig aktiver wer-
dende bedrohliche Rolle spielt.

Die Anfänge des Vordrängens der zarischen Politik gegen den
Balkan reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück. Damals, 1472, ver-
mählte sich der Großfürst Iwan mit Sophie, der Nichte des letzten
byzantinischen Kaisers Konstantin Paläologos. Als dann mit der
Personalunion unter Bochdan Chmelnicki (1654) das politische
Schwergewicht des Reichs endgültig nach dem Norden verlegt wurde,
um den Sieg des moskowitischen Großfürstentums mit seinem tata-
risch-despotischen Geist und Charakter über das liberalere Klein-
russentum zu besiegeln, als gleichzeitig die Grenzen des Staates
bis zum Schwarzen Meer vorgerückt wurden und nun aus dem
Balkan scharenweise Südslawen auf der Flucht vor den osmanischen
Eroberern nach Rußland einwanderten und den weißen Zaren um
seinen Schutz anriefen: da wirkte alles das zusammen, daß mit Er-
folg dem russischen Volk die Idee suggeriert werden konnte, es sei
seine große heilige nationale Aufgabe und apostolische Sendung, das
griechische Kreuz auf der Hagia Sophia als Wahrzeichen zarischer
und orthodox-katholischer Weltmacht aufzurichten und zugleich der
Schutzherr der verfolgten südslawischen Völker zu sein. Diese, das
Jugoslawentum, teilen sich bekanntlich in die vier "Plemena" der
Slowenen, Kroaten, Serben, Bulgaren. Irgendwelche Einheit zwi-
schen den Stämmen hat nie bestanden und konnte nicht bestehen.
National nicht, weil die ganze Geschichte dieser Völker von ewigen
Bruderkämpfen erfüllt ist, moralisch nicht, weil sie keinerlei kultu-
relle Harmonien binden, ja im Grunde überhaupt keine Kultur außer
den von anderen Nationen entlehnten Gesittungsgütern besitzen,
rassenpolitisch nicht, weil die angebliche Blutsverwandschaft mit sehr
viel fremdartigen Säuren durchsetzt ist: beispielsweise sind die Bul-
garen zum guten Teil Turanen, während der sogenannte Illyrismus,
der eine ingoslawische Sprachgemeinschaft behauptet, als völlig phan-
tastisch schon deshalb erscheint, weil er den großen thrakoillyrischen
von den Albanern und Arumanen (Kutzowalachen) gebildeten Zweig
ganz außer Acht läßt. Die "Obstscheskro sojedinennisch slavjan", die
Gesellschaft der vereinigten Slawen, war und blieb eine Herde, die
von allen möglichen Abstoßungskräften geplagt, durch keinerlei wirk-
liche Brüderlichkeitsempfindungen zusammengehalten wurde. Die
Bulgaren haben sich stets abseits der allslawischen Propaganda ge-
halten; der Tscheche Havlicek, einer der ersten Schrittmacher der
slovanska vzayemnost (slavischen Wechselseitigkeit) predigte: "Je macht-
voller das Habsburgische Reich emporwachsen wird, desto kräftiger
werden auch unsere Nationen sich erheben"; bei den Polen wirkte die
Furcht vor dem russischen Druck aus leicht begreiflichen Gründen
noch stärker und die Kroaten waren im allgemeinen ebenfalls durch-
aus österreichisch gestimmt, um über Rückendeckung gegen die Ueber-
griffe des Serbentums zu verfügen. Und dieses selbst? Mit der
nationalen Erneuerung Serbiens wurden in Belgrad die leiden-
schaftlichen Hoffnungen auf Wiederherstellung des alten Großserbiens
König Duschans, das mit der Schlacht auf dem Amselfelde zusam-
brach, heißer und heißer: da machte, 1878, der Berliner Kongreß
einen Strich durch derlei Zukunftsträume, indem er Oesterreich-
Ungarn die Anwartschaft auf Bosnien und die Herzegowina zusprach.
Mit deren endgültiger Einverleibung 1908 wurde daher der Ge-
danke der großstaatlichen Einigung des gesamten Serbentums völlig
schimärisch; demgemäß mahnte Nowakowitsch, der frühere Minister-
präsident und Vorsitzende der weiland Londoner Friedenskonferenz,
als Führer der sogenannten Habsburgischen Partei, die noch bis
in die Anfänge dieses Jahrhunderts hinein dem nationalistischen
Chauvinismus wacker Stand hielt und die geistig, politisch und wirt-
schaftlich bedeutendsten Köpfe des Landes in ihrem Lager vereinte:
"Sehen wir zu, daß wir wenigstens die nationale Einheit uns sichern;
das ist nur möglich in Anlehnung an die benachbarte Doppel-
monarchie!" Die Petersburger allrussische Politik, wie die allslawische

8. Auguſt 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Unſere heiligſten Güter, das Vaterland, den eigenen Herd,
gilt es gegen einen ruchloſen Ueberfall zu ſchützen!

Feinde ringsum! Das iſt das Kennzeichen der Lage. Ein
ſchwerer Kampf und große Opfer ſtehen uns bevor.

Ich vertraue, daß der alte kriegeriſche Geiſt noch in dem deut-
ſchen Volke lebt, jener gewaltige kriegeriſche Geiſt, der den Feind,
wo er ihn findet, angreift, koſte es, was es wolle, und der von
jeher die Furcht und der Schrecken unſerer Feinde geweſen iſt.

Ich vertraue auf Euch, Ihr deutſchen Soldaten! In jedem von
Euch lebt der heiße, durch nichts zu bezwingende Wille zum Sieg.
Jeder von Euch weiß, wenn es ſein muß, wie ein Held zu ſterben.

Gedenkt unſerer großen, ruhmreichen Vergangenheit!

Gedenkt, daß Ihr Deutſche ſeid!

Gott helfe uns!


(gez.) Wilhelm.


Vor der Pforte des Weltkriegs!

Mars regiert die Stunde, Europa, die ganze Welt. Und vor
ſeinem ehernen Tritt verſchwinden die theoretiſchen Schreckgeſpenſter
und die Verfehmungen des Kriegs durch Sozialiſten, Pazifiſten und
andere Illuſioniſten vom Schlag des Verfaſſers der Great Illuſion
wie ein nächtlicher Spuck vor aufgehender Morgenröte! Die Ner-
ven ſtraffen ſich, die Pulſe fliegen, alle deutſchen Gaue brennen, wie
einſt Bismarck prophezeite, auf gleich einer Pulvermine. Der Tra-
gik des Völkergerichtes, deſſen dramatiſche Entſcheidungen nahen, iſt
ſich jedes Herz bewußt; aber ihren Druck überwinden aufſtürmend
die Spannkräfte einer großen Zeit, die durch die außerordentlichen
Maßſtäbe ihres Geſchehens die Menſchheit von den Verſtrickungen
des Alltäglich-Kleinlichen und -Gemeinen unabhängig macht. Das
körperlich, geiſtig, ſittlich Tüchtige, Ariſtokratiſche, Ungewöhnliche er-
hebt ſich, heldiſcher Sinn wird wach und allerwärts, vom Belt bis
zu den Alpen, fluten Begeiſterungswogen auf als Offenbarungen
von heißer Vaterlandsliebe, Pflichtbewußtſein, ſoldatiſcher und bür-
gerlicher Zucht, Aufopferungsfähigkeit, Bundestreue. Sind das etwa
geringe Dinge, wie ſie im Spiegel der Gedankenbläſſe der Friedens-
ſchwärmer erſcheinen, ſind es nicht vielmehr Ewigkeitswerte, die
fortwirken müſſen in alle Zeit und vielen Geſchlechtern von Enkeln
und Enkelkindern Atem und Schwungkraft geben werden zu allem,
was wahrhaft gut, adelig, erhaben, gottnahe iſt?

Worin alſo liegt das Weſen, die Bedeutung und Zweckſetzung
dieſes gewaltigen Ringens des Deutſchtums mit dem Aufgebot aller
ſeiner politiſchen, ſittlichen und ethiſchen Kräfte im weiteſten Rahmen
der weltgeſchichtlichen Entwicklungsprozeſſe, die über der Völker, der
Raſſen, der ganzen Menſchheit Schickſalsfragen entſcheiden?

Deutſchland als das „Rückgrat Europas“ hat ſeit alters einen
bald offenen, bald in verdeckten Minengängen ſich bewegenden Zwei-
frontenkampf um ſein nationales Daſein und die Befeſtigung und
Ausweitung ſeiner ſtaatlichen und kulturellen Macht zu führen ge-
habt: im Weſten gegen das Franzoſentum, im Oſten gegen das Sla-
wentum. Der Charakter beider Kämpfe war ſehr verſchieden. Gegen
Frankreich wogte das Ringen in Ebbe und Flut unregelmäßig hin
und her. Zeitweilig vermochten die galliſchen Eroberer ihre Fahnen
bis in das Herz Deutſchlands zu tragen, während wir uns auf Ab-
wehrkriege beſchränkten und dabei der Beeinfluſſung durch den Geiſt
romaniſcher Kultur nur zu mattherzig Raum gaben, bis ſchließlich
die Siege von 1870/71 endgültig die Einigung der Mehrheit der
deutſchen Stämme in einem großen Bundesreich und damit deſſen
Uebergewicht über den Vogeſennachbarn ſtabiliſierten, ſo zwar, daß
dieſer allein uns anzugreifen fraglos nicht mehr wagen würde. Er
bedarf dazu eines Bundesgenoſſen, den er eben an der anderen
Kampflinie, der öſtlichen, gefunden hat. Hier ſchuf das Fundament
unſerer Machtſtellung die Glanzzeit des deutſchen Ordens, der nicht
durch kriegeriſche Eroberung, ſondern durch friedliche Kulturarbeit
„das größte koloniſatoriſche Werk vollbrachte, das die Welt ſeit den
Tagen von Roms Weltherrſchaft geſehen“. Weit über die heutigen
oſtpreußiſchen und poſenſchen Grenzen hinaus drang der germaniſche
Siedler vor und wurde überall, von den Polen und Litauern, freu-
dig bewillkommnet als arbeitswilliger, erzieheriſch und organiſa-
toriſch befähigter Gaſt: Kiew hatte Jahrhunderte lang deutſches
Stadtrecht, in Krakau herrſchte bis 1500 die deutſche Sprache vor.
Genau wie Preußen, deſſen Bevölkerung heute zur Hälfte auf Boden
wohnt, der vor tauſend Jahren nicht in deutſchem Beſitz war, iſt die
Habsburgiſche Doppelmonarchie überwiegend auf koloniſiertem
Boden erwachſen. Belgrad, das heute wiederum belagerte, erwies
ſich noch bei einer Volkszählung zur Zeit Karls VI. als „eine rein
deutſche Kommunität“, und der weit in das Reich des Madjarentums
vorgeſchobene Poſten der ſiebenbürgiſchen Sachſen iſt nur ein ver-
[Spaltenumbruch] einzeltes beſonders charakteriſtiſches Beiſpiel deſſen, wie weitgreifend
und kühn einſt die deutſche Kulturarbeit auf dem verwilderten
Kampfgebiet des ſüdoſteuropäiſchen Völkermiſchmaſches ſich betätigte.
In weiterer ſcharfer Antitheſe zu der weſtlichen deutſch-franzöſiſchen
Prozeßſache iſt aber dieſes öſtliche Ringen mit dem Slawentum bis
auf die Gegenwart zu keinerlei Abſchluß gelangt. Im Gegenteil! Die
Balkankataſtrophe der letzten Jahre mit ihren revolutionierenden
Fernwirkungen auf das Verhältnis Oeſterreich-Ungarns zu ſeinen
ſlawiſchen Nachbarmächten wies bereits nur zu eindringlich redenden
Zeugniſſes darauf hin, daß heute erſt dieſes Völkerdrama den ſchärf-
ſten Kriſen ſich zubewegt und das Stadium ſtändig wachſender Ent-
ladungsgefährlichkeit durchläuft, und ſtellte zugleich klar ins Licht,
wie in dieſem Zerſetzungsprozeß Rußland eine ſtändig aktiver wer-
dende bedrohliche Rolle ſpielt.

Die Anfänge des Vordrängens der zariſchen Politik gegen den
Balkan reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück. Damals, 1472, ver-
mählte ſich der Großfürſt Iwan mit Sophie, der Nichte des letzten
byzantiniſchen Kaiſers Konſtantin Paläologos. Als dann mit der
Perſonalunion unter Bochdan Chmelnicki (1654) das politiſche
Schwergewicht des Reichs endgültig nach dem Norden verlegt wurde,
um den Sieg des moskowitiſchen Großfürſtentums mit ſeinem tata-
riſch-deſpotiſchen Geiſt und Charakter über das liberalere Klein-
ruſſentum zu beſiegeln, als gleichzeitig die Grenzen des Staates
bis zum Schwarzen Meer vorgerückt wurden und nun aus dem
Balkan ſcharenweiſe Südſlawen auf der Flucht vor den osmaniſchen
Eroberern nach Rußland einwanderten und den weißen Zaren um
ſeinen Schutz anriefen: da wirkte alles das zuſammen, daß mit Er-
folg dem ruſſiſchen Volk die Idee ſuggeriert werden konnte, es ſei
ſeine große heilige nationale Aufgabe und apoſtoliſche Sendung, das
griechiſche Kreuz auf der Hagia Sophia als Wahrzeichen zariſcher
und orthodox-katholiſcher Weltmacht aufzurichten und zugleich der
Schutzherr der verfolgten ſüdſlawiſchen Völker zu ſein. Dieſe, das
Jugoſlawentum, teilen ſich bekanntlich in die vier „Plemena“ der
Slowenen, Kroaten, Serben, Bulgaren. Irgendwelche Einheit zwi-
ſchen den Stämmen hat nie beſtanden und konnte nicht beſtehen.
National nicht, weil die ganze Geſchichte dieſer Völker von ewigen
Bruderkämpfen erfüllt iſt, moraliſch nicht, weil ſie keinerlei kultu-
relle Harmonien binden, ja im Grunde überhaupt keine Kultur außer
den von anderen Nationen entlehnten Geſittungsgütern beſitzen,
raſſenpolitiſch nicht, weil die angebliche Blutsverwandſchaft mit ſehr
viel fremdartigen Säuren durchſetzt iſt: beiſpielsweiſe ſind die Bul-
garen zum guten Teil Turanen, während der ſogenannte Illyrismus,
der eine ingoſlawiſche Sprachgemeinſchaft behauptet, als völlig phan-
taſtiſch ſchon deshalb erſcheint, weil er den großen thrakoillyriſchen
von den Albanern und Arumanen (Kutzowalachen) gebildeten Zweig
ganz außer Acht läßt. Die „Obſtſcheſkro ſojedinenniſch ſlavjan“, die
Geſellſchaft der vereinigten Slawen, war und blieb eine Herde, die
von allen möglichen Abſtoßungskräften geplagt, durch keinerlei wirk-
liche Brüderlichkeitsempfindungen zuſammengehalten wurde. Die
Bulgaren haben ſich ſtets abſeits der allſlawiſchen Propaganda ge-
halten; der Tſcheche Havlicek, einer der erſten Schrittmacher der
ſlovanſka vzayemnoſt (ſlaviſchen Wechſelſeitigkeit) predigte: „Je macht-
voller das Habsburgiſche Reich emporwachſen wird, deſto kräftiger
werden auch unſere Nationen ſich erheben“; bei den Polen wirkte die
Furcht vor dem ruſſiſchen Druck aus leicht begreiflichen Gründen
noch ſtärker und die Kroaten waren im allgemeinen ebenfalls durch-
aus öſterreichiſch geſtimmt, um über Rückendeckung gegen die Ueber-
griffe des Serbentums zu verfügen. Und dieſes ſelbſt? Mit der
nationalen Erneuerung Serbiens wurden in Belgrad die leiden-
ſchaftlichen Hoffnungen auf Wiederherſtellung des alten Großſerbiens
König Duſchans, das mit der Schlacht auf dem Amſelfelde zuſam-
brach, heißer und heißer: da machte, 1878, der Berliner Kongreß
einen Strich durch derlei Zukunftsträume, indem er Oeſterreich-
Ungarn die Anwartſchaft auf Bosnien und die Herzegowina zuſprach.
Mit deren endgültiger Einverleibung 1908 wurde daher der Ge-
danke der großſtaatlichen Einigung des geſamten Serbentums völlig
ſchimäriſch; demgemäß mahnte Nowakowitſch, der frühere Miniſter-
präſident und Vorſitzende der weiland Londoner Friedenskonferenz,
als Führer der ſogenannten Habsburgiſchen Partei, die noch bis
in die Anfänge dieſes Jahrhunderts hinein dem nationaliſtiſchen
Chauvinismus wacker Stand hielt und die geiſtig, politiſch und wirt-
ſchaftlich bedeutendſten Köpfe des Landes in ihrem Lager vereinte:
„Sehen wir zu, daß wir wenigſtens die nationale Einheit uns ſichern;
das iſt nur möglich in Anlehnung an die benachbarte Doppel-
monarchie!“ Die Petersburger allruſſiſche Politik, wie die allſlawiſche

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[503/0005] 8. Auguſt 1914. Allgemeine Zeitung Unſere heiligſten Güter, das Vaterland, den eigenen Herd, gilt es gegen einen ruchloſen Ueberfall zu ſchützen! Feinde ringsum! Das iſt das Kennzeichen der Lage. Ein ſchwerer Kampf und große Opfer ſtehen uns bevor. Ich vertraue, daß der alte kriegeriſche Geiſt noch in dem deut- ſchen Volke lebt, jener gewaltige kriegeriſche Geiſt, der den Feind, wo er ihn findet, angreift, koſte es, was es wolle, und der von jeher die Furcht und der Schrecken unſerer Feinde geweſen iſt. Ich vertraue auf Euch, Ihr deutſchen Soldaten! In jedem von Euch lebt der heiße, durch nichts zu bezwingende Wille zum Sieg. Jeder von Euch weiß, wenn es ſein muß, wie ein Held zu ſterben. Gedenkt unſerer großen, ruhmreichen Vergangenheit! Gedenkt, daß Ihr Deutſche ſeid! Gott helfe uns! Berlin, Schloß, den 6. Auguſt 1914. (gez.) Wilhelm. Vor der Pforte des Weltkriegs! Mars regiert die Stunde, Europa, die ganze Welt. Und vor ſeinem ehernen Tritt verſchwinden die theoretiſchen Schreckgeſpenſter und die Verfehmungen des Kriegs durch Sozialiſten, Pazifiſten und andere Illuſioniſten vom Schlag des Verfaſſers der Great Illuſion wie ein nächtlicher Spuck vor aufgehender Morgenröte! Die Ner- ven ſtraffen ſich, die Pulſe fliegen, alle deutſchen Gaue brennen, wie einſt Bismarck prophezeite, auf gleich einer Pulvermine. Der Tra- gik des Völkergerichtes, deſſen dramatiſche Entſcheidungen nahen, iſt ſich jedes Herz bewußt; aber ihren Druck überwinden aufſtürmend die Spannkräfte einer großen Zeit, die durch die außerordentlichen Maßſtäbe ihres Geſchehens die Menſchheit von den Verſtrickungen des Alltäglich-Kleinlichen und -Gemeinen unabhängig macht. Das körperlich, geiſtig, ſittlich Tüchtige, Ariſtokratiſche, Ungewöhnliche er- hebt ſich, heldiſcher Sinn wird wach und allerwärts, vom Belt bis zu den Alpen, fluten Begeiſterungswogen auf als Offenbarungen von heißer Vaterlandsliebe, Pflichtbewußtſein, ſoldatiſcher und bür- gerlicher Zucht, Aufopferungsfähigkeit, Bundestreue. Sind das etwa geringe Dinge, wie ſie im Spiegel der Gedankenbläſſe der Friedens- ſchwärmer erſcheinen, ſind es nicht vielmehr Ewigkeitswerte, die fortwirken müſſen in alle Zeit und vielen Geſchlechtern von Enkeln und Enkelkindern Atem und Schwungkraft geben werden zu allem, was wahrhaft gut, adelig, erhaben, gottnahe iſt? Worin alſo liegt das Weſen, die Bedeutung und Zweckſetzung dieſes gewaltigen Ringens des Deutſchtums mit dem Aufgebot aller ſeiner politiſchen, ſittlichen und ethiſchen Kräfte im weiteſten Rahmen der weltgeſchichtlichen Entwicklungsprozeſſe, die über der Völker, der Raſſen, der ganzen Menſchheit Schickſalsfragen entſcheiden? Deutſchland als das „Rückgrat Europas“ hat ſeit alters einen bald offenen, bald in verdeckten Minengängen ſich bewegenden Zwei- frontenkampf um ſein nationales Daſein und die Befeſtigung und Ausweitung ſeiner ſtaatlichen und kulturellen Macht zu führen ge- habt: im Weſten gegen das Franzoſentum, im Oſten gegen das Sla- wentum. Der Charakter beider Kämpfe war ſehr verſchieden. Gegen Frankreich wogte das Ringen in Ebbe und Flut unregelmäßig hin und her. Zeitweilig vermochten die galliſchen Eroberer ihre Fahnen bis in das Herz Deutſchlands zu tragen, während wir uns auf Ab- wehrkriege beſchränkten und dabei der Beeinfluſſung durch den Geiſt romaniſcher Kultur nur zu mattherzig Raum gaben, bis ſchließlich die Siege von 1870/71 endgültig die Einigung der Mehrheit der deutſchen Stämme in einem großen Bundesreich und damit deſſen Uebergewicht über den Vogeſennachbarn ſtabiliſierten, ſo zwar, daß dieſer allein uns anzugreifen fraglos nicht mehr wagen würde. Er bedarf dazu eines Bundesgenoſſen, den er eben an der anderen Kampflinie, der öſtlichen, gefunden hat. Hier ſchuf das Fundament unſerer Machtſtellung die Glanzzeit des deutſchen Ordens, der nicht durch kriegeriſche Eroberung, ſondern durch friedliche Kulturarbeit „das größte koloniſatoriſche Werk vollbrachte, das die Welt ſeit den Tagen von Roms Weltherrſchaft geſehen“. Weit über die heutigen oſtpreußiſchen und poſenſchen Grenzen hinaus drang der germaniſche Siedler vor und wurde überall, von den Polen und Litauern, freu- dig bewillkommnet als arbeitswilliger, erzieheriſch und organiſa- toriſch befähigter Gaſt: Kiew hatte Jahrhunderte lang deutſches Stadtrecht, in Krakau herrſchte bis 1500 die deutſche Sprache vor. Genau wie Preußen, deſſen Bevölkerung heute zur Hälfte auf Boden wohnt, der vor tauſend Jahren nicht in deutſchem Beſitz war, iſt die Habsburgiſche Doppelmonarchie überwiegend auf koloniſiertem Boden erwachſen. 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Als dann mit der Perſonalunion unter Bochdan Chmelnicki (1654) das politiſche Schwergewicht des Reichs endgültig nach dem Norden verlegt wurde, um den Sieg des moskowitiſchen Großfürſtentums mit ſeinem tata- riſch-deſpotiſchen Geiſt und Charakter über das liberalere Klein- ruſſentum zu beſiegeln, als gleichzeitig die Grenzen des Staates bis zum Schwarzen Meer vorgerückt wurden und nun aus dem Balkan ſcharenweiſe Südſlawen auf der Flucht vor den osmaniſchen Eroberern nach Rußland einwanderten und den weißen Zaren um ſeinen Schutz anriefen: da wirkte alles das zuſammen, daß mit Er- folg dem ruſſiſchen Volk die Idee ſuggeriert werden konnte, es ſei ſeine große heilige nationale Aufgabe und apoſtoliſche Sendung, das griechiſche Kreuz auf der Hagia Sophia als Wahrzeichen zariſcher und orthodox-katholiſcher Weltmacht aufzurichten und zugleich der Schutzherr der verfolgten ſüdſlawiſchen Völker zu ſein. Dieſe, das Jugoſlawentum, teilen ſich bekanntlich in die vier „Plemena“ der Slowenen, Kroaten, Serben, Bulgaren. Irgendwelche Einheit zwi- ſchen den Stämmen hat nie beſtanden und konnte nicht beſtehen. National nicht, weil die ganze Geſchichte dieſer Völker von ewigen Bruderkämpfen erfüllt iſt, moraliſch nicht, weil ſie keinerlei kultu- relle Harmonien binden, ja im Grunde überhaupt keine Kultur außer den von anderen Nationen entlehnten Geſittungsgütern beſitzen, raſſenpolitiſch nicht, weil die angebliche Blutsverwandſchaft mit ſehr viel fremdartigen Säuren durchſetzt iſt: beiſpielsweiſe ſind die Bul- garen zum guten Teil Turanen, während der ſogenannte Illyrismus, der eine ingoſlawiſche Sprachgemeinſchaft behauptet, als völlig phan- taſtiſch ſchon deshalb erſcheint, weil er den großen thrakoillyriſchen von den Albanern und Arumanen (Kutzowalachen) gebildeten Zweig ganz außer Acht läßt. Die „Obſtſcheſkro ſojedinenniſch ſlavjan“, die Geſellſchaft der vereinigten Slawen, war und blieb eine Herde, die von allen möglichen Abſtoßungskräften geplagt, durch keinerlei wirk- liche Brüderlichkeitsempfindungen zuſammengehalten wurde. Die Bulgaren haben ſich ſtets abſeits der allſlawiſchen Propaganda ge- halten; der Tſcheche Havlicek, einer der erſten Schrittmacher der ſlovanſka vzayemnoſt (ſlaviſchen Wechſelſeitigkeit) predigte: „Je macht- voller das Habsburgiſche Reich emporwachſen wird, deſto kräftiger werden auch unſere Nationen ſich erheben“; bei den Polen wirkte die Furcht vor dem ruſſiſchen Druck aus leicht begreiflichen Gründen noch ſtärker und die Kroaten waren im allgemeinen ebenfalls durch- aus öſterreichiſch geſtimmt, um über Rückendeckung gegen die Ueber- griffe des Serbentums zu verfügen. Und dieſes ſelbſt? Mit der nationalen Erneuerung Serbiens wurden in Belgrad die leiden- ſchaftlichen Hoffnungen auf Wiederherſtellung des alten Großſerbiens König Duſchans, das mit der Schlacht auf dem Amſelfelde zuſam- brach, heißer und heißer: da machte, 1878, der Berliner Kongreß einen Strich durch derlei Zukunftsträume, indem er Oeſterreich- Ungarn die Anwartſchaft auf Bosnien und die Herzegowina zuſprach. 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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Susanne Haaf, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 32, 8. August 1914, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine32_1914/5>, abgerufen am 21.11.2024.