Allgemeine Zeitung, Nr. 346, 14. Dezember 1890.Sonntag, Drittes Morgenblatt, Nr. 346 der Allgemeinen Zeitung. 14. December 1890. [Spaltenumbruch] Inhalts-Uebersicht. Niederlande. P. Amsterdam: Ministerium. Deficit. H. de Veer. Italien. Rom: Zum Inhalt der Thronrede. Die Minister- krisis und das Finanzprogramm der Regierung. * Zur Er- nennung Grimaldi's. Aus Afrika. Schweden und Norwegen. Stockholm: Zur Russificirung Finnlands. Rußland. St. Petersburg: Nihilistenproceß. Russificirung. Rumänien. H. Bukarest: Aus dem Parlament. Zum make- donischen Kirchenconflict. Staatsschuld. Montenegro. Weinbau auf den Schwarzen Bergen. Verschiedenes. -- Handel und Volkswirthschaft. Niederlande. P. Amsterdam, 11. Dec. Der Verlauf der ersten Sitzung Italien. Rom, 10. Dec. Daß die Thronrede, mit welcher * Eine der "Pol. Corr." aus Rom zugehende Meldung Schweden und Norwegen. Stockholm, 8. Dec. Aus Finnland treffen fortdauernd Rußland. * St. Petersburg, 8. Dec. Dem "Bureau Reuter" wird * Die Russificirung der baltischen Provinzen nimmt Der Gouverneur von Kurland hat die Veröffentlichung von Rumänien. H. Bukarest, 9. Dec. In der heutigen Kammersitzung Sonntag, Drittes Morgenblatt, Nr. 346 der Allgemeinen Zeitung. 14. December 1890. [Spaltenumbruch] Inhalts-Ueberſicht. Niederlande. P. Amſterdam: Miniſterium. Deficit. H. de Veer. Italien. ♋ Rom: Zum Inhalt der Thronrede. Die Miniſter- kriſis und das Finanzprogramm der Regierung. * Zur Er- nennung Grimaldi’s. Aus Afrika. Schweden und Norwegen. ♁ Stockholm: Zur Ruſſificirung Finnlands. Rußland. St. Petersburg: Nihiliſtenproceß. Ruſſificirung. Rumänien. H. Bukareſt: Aus dem Parlament. Zum make- doniſchen Kirchenconflict. Staatsſchuld. Montenegro. Weinbau auf den Schwarzen Bergen. Verſchiedenes. — Handel und Volkswirthſchaft. Niederlande. P. Amſterdam, 11. Dec. Der Verlauf der erſten Sitzung Italien. ♋ Rom, 10. Dec. Daß die Thronrede, mit welcher * Eine der „Pol. Corr.“ aus Rom zugehende Meldung Schweden und Norwegen. ♁ Stockholm, 8. Dec. Aus Finnland treffen fortdauernd Rußland. * St. Petersburg, 8. Dec. Dem „Bureau Reuter“ wird * Die Ruſſificirung der baltiſchen Provinzen nimmt Der Gouverneur von Kurland hat die Veröffentlichung von Rumänien. H. Bukareſt, 9. Dec. In der heutigen Kammerſitzung <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div n="1"> <head><hi rendition="#b">Sonntag, Drittes Morgenblatt, Nr. 346 der Allgemeinen Zeitung.</hi> 14. December 1890.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> </div> <div type="contents" n="1"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Inhalts-Ueberſicht.</hi> </hi> </head><lb/> <list> <item><hi rendition="#b">Niederlande.</hi><hi rendition="#aq">P.</hi><hi rendition="#g">Amſterdam:</hi> Miniſterium. Deficit. H. de Veer.</item><lb/> <item><hi rendition="#b">Italien.</hi> ♋ <hi rendition="#g">Rom:</hi> Zum Inhalt der Thronrede. 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Dec.</dateline> <p>Der Verlauf der erſten Sitzung<lb/> der Zweiten Kammer nach dem Tode des Königs zeigte, wie ſehr<lb/> es den Abgeordneten Bedürſniß war, ſich wieder einmal gründlich<lb/> auszuſprechen. Der Colonialminiſter Makay mußte es am meiſten<lb/> entgelten. Schon ſeit einigen Tagen wird ihm von der geſammten<lb/> Preſſe ein Verſtoß gegen die Verfaſſung vorgehalten. Das <hi rendition="#g">Mini-<lb/> ſterium</hi> hatte nämlich, wahrſcheinlich mit Rückſicht auf den ange-<lb/> griffenen Zuſtand der Königin-Regentin, unterlaſſen, der Form wegen<lb/> ſeine Entlaſſung einzureichen und die Königin-Regentin wiederum<lb/> hatte durch Cabinetsordre das Miniſterium beſtätigt. Dies<lb/> dünkt einem Theil der Preſſe ungeheuerlich, und namentlich<lb/> die Radicalen rühren die Alarmtrommel ganz energiſch.<lb/> Unangenehmer als dieſer Zwiſchenfall iſt für den Miniſterpräſi-<lb/> denten das <hi rendition="#g">Deficit</hi> von 23 Millionen Gulden im indiſchen Budget<lb/> und wenig tröſtlich klingen ſeine Entſchuldigungen: „Die ſchlechte<lb/> Kaffeeernte trage die Schuld, der Zuſtand ſei nicht hoffnungslos;<lb/> die Ueberſchüſſe der früheren Jahre genügten zur Deckung; eine<lb/> Anleihe ſei unnöthig.“ Feſt ſteht, daß die Deficite im Colonial-<lb/> budget ſich von Jahr zu Jahr mehren. Der Atjeh-Krieg allerdings<lb/> verſchlingt Unſummen; auch die unglückliche Zinnexpedition nach Flores<lb/> erfordert viele Opfer an Geld und Menſchen, allein die eigentliche Ur-<lb/> ſache ſitzt tiefer. Das Gouvernement ermuntert das Privatcapital<lb/> viel zu wenig und die chineſiſche Mauer, die nunmehr gegen aus-<lb/> wärtiges Capital errichtet iſt durch das Verbot gegen Niederlaſſungen<lb/> nicht holländiſcher Landbauunternehmungen, wird auch das Ihrige<lb/> dazu beitragen. Das directe telegraphiſche Verbindungskabel mit<lb/> Surinam (Riederländiſch-Indien) wurde geſtern eröffnet. Der<lb/> Preis eines Wortes beträgt 1 fl. 10 Cents mehr als früher.<lb/> H. <hi rendition="#g">de Veer,</hi> der langjährige Redacteur des Volksblattes „Nieuws<lb/> van den Dag“, das ſehr viel Sympathie für Deutſchland hegt, iſt<lb/> heute im 61. Lebensjahre geſtorben.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Italien.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>♋ <hi rendition="#b">Rom,</hi> 10. Dec.</dateline> <p>Daß die <hi rendition="#g">Thronrede,</hi> mit welcher<lb/> heute die 17. Legislaturperiode eröffnet worden iſt, ein<lb/> ſtiliſtiſches Meiſterſtück ſei, kann nicht behauptet werden. In<lb/> vielfach ſchwerfälligem und unbeholfenem Ausdruck, dem man<lb/> die Verlegenheit über die plötzlich ausgebrochene Miniſterkriſis<lb/> anzumerken meint, und in ſprungweiſer Darſtellung reiht ſie<lb/> mühſam die Geſichtspunkte aneinander, welche die Regierung<lb/> vor der zum erſten Mal verſammelten neuen Volksvertretung<lb/> entwickeln zu müſſen glaubte. Trotz der Kürze und an-<lb/> ſcheinenden Beſtimmtheit der mit Redeblumen durchflochtenen<lb/> Sätze wird man den Eindruck nicht los, daß die Thronrede<lb/> nicht gewagt hat, ebenſo entſchieden wie die Turiner Pro-<lb/> grammrede des Miniſterpräſidenten von den Abſichten der Re-<lb/> gierung zu reden, welche den dringenden Wünſchen des Landes<lb/> entſprechen und dasſelbe bewogen haben, bei den Wahlen ſich<lb/> mit ſo großer Mehrheit für die gegenwärtige Politik auszu-<lb/> ſprechen. Mit Befriedigung werden die Italiener von neuem<lb/> hören, was ſchon mehrere frühere Thronreden ausgeſprochen<lb/> haben: daß die Nation abermals ihr Vertrauen in die freien<lb/> Staatseinrichtungen beſtätigt hat, daß ſie in den Grundſätzen<lb/> der Ordnung und Freiheit die Baſis der modernen Geſellſchaft<lb/> erblickt, daß das ſichere Bewußtſein ſeiner Rechte und Pflichten,<lb/> der beſtimmte Ausdruck ſeines Willens dem italieniſchen Staate<lb/> überall Achtung und Anſehen verſchaffe und daß eine durchaus<lb/> friedliche Luft in Europa wehe, auch in Afrika nur noch<lb/> friedliche Aufgaben zu löſen ſeien. Auffällig gezwungen aber<lb/> ſind die Uebergänge von der mit der Motivirung des Amneſtie-<lb/> decrets verbundenen Zuſicherung, daß die Arbeiterſchutz- und<lb/> Verſorgungsgeſetzgebung die Hauptaufgabe der neuen Geſetz-<lb/> gebungsperiode bilden werde, von der Erwähnung des Eintritts<lb/> der königlichen Prinzen in den Senat und ihrer be-<lb/> ginnenden Mitwirkung an der Hebung der vaterländiſchen<lb/> Wohlfahrt und der „Befruchtung der Volksliebe“ zu der Er-<lb/> klärung, daß „deßhalb das Heer und die Flotte nicht ver-<lb/> geſſen werden ſollen“, indem „nach Erledigung der Heeres-<lb/> organiſation in den Grenzen der Vertheidigung Italien ſich<lb/> ſicher fühlt und ohne Beunruhigung die Ereigniſſe abwarten<lb/> kann.“ Wenn man dieſen Hinweis nicht als ganz überflüſſig<lb/> betrachten ſoll, ſo kann er ſchwerlich anders aufgefaßt werden,<lb/> denn als eine Zurückweiſung der Hoffnungen auf allmähliche<lb/> Herabſetzung des ungeheuer angewachſenen Militäretats. —<lb/> „Gemeinſame Sorge wird vor allem die Solidität der Finanzen<lb/> ſein müſſen.“ Es wird demgemäß die Vorlegung von Finanz-<lb/> maßregeln verheißen, von denen die Regierung das Gleichgewicht<lb/> im Staatshaushalt „erwartet“; „das Parlament wird verſtehen,<lb/> durch Erſparniſſe in den Verwaltungsämtern und eine Neu-<lb/> ordnung des Steuerweſens die Mittel für Herſtellung des<lb/> Gleichgewichts zu finden.“ Die Verwaltung ſoll weniger koſt-<lb/> ſpielig gemacht werden; das Eingreifen des Staates ſoll über-<lb/> all da aufhören, wo die Provinzen, Gemeinden und die Privat-<lb/> initiative genügen können, ohne daß indeſſen der Staat auf<lb/> diejenige Oberaufſicht verzichtet, welche eine dem Willen der<lb/> Nation zuwiderlaufende Entwicklung des localen Lebens aus-<lb/> ſchließt. — Der letzte Theil der Thronrede iſt mit einem Nach-<lb/> druck, den nur die jüngſt bekannt gewordenen, auf Zuſammen-<lb/> faſſung aller ſtaatsfeindlichen klerikalen Kräfte gerichteten<lb/> neuen Anſtrengungen des Vaticans erklärlich machen, der<lb/> Zurückweiſung aller gegen die Staatsgewalt und die königliche<lb/> Souveränetät gerichteten, „im Namen der Religion“ unternom-<lb/> menen Angriffe gewidmet. Vielleicht wäre es beſſer, wenn von<lb/> der Unantaſtbarkeit der Inſtitutionen weniger oft und feierlich<lb/> die Rede wäre. Aber die Regierung mag geglaubt haben,<lb/> ſowohl den klerikalen als den radicalen Staatsfeinden, wenn<lb/> auch beide weit entfernt ſind, eine ernſtliche Gefahr für Italien<lb/> zu bilden, eine neue Warnung zukommen laſſen zu ſollen.<lb/> Allgemeiner Zuſtimmung iſt die Zuſage ſicher, daß die italie-<lb/> niſche Monarchie, „gegründet auf die Plebiſcite und die Ueber-<lb/> lieferung“, ein Pfand des Friedens und der Freiheit, jeder<lb/> geſetzlichen Bethätigung offen iſt, daß ſie Vertrauen zum Fort-<lb/> ſchritt hat und jede Reform annimmt, welche dem Wohle des<lb/> Volkes dient, „deſſen Liebe die Baſis des Thrones iſt“. Es<lb/> fehlt in der Thronrede jede Andeutung des Weges, auf welchem<lb/><cb/> die Regierung die nothwendigen Erſparungen verwirklichen, die<lb/> wirthſchaftliche Lage und den Credit heben, durch die Geſetz-<lb/> gebung den enterbten Claſſen zu Hülfe kommen wolle. Es iſt<lb/> daher ſehr begreiflich, daß die öffentliche Meinung zunächſt<lb/> mehr beunruhigt worden iſt, umſomehr, als die ganz un-<lb/> erwartete Miniſterkriſis am Tage vor der Parlamentseröff-<lb/> nung den gewagteſten Vermuthungen Thür und Thor öffnete.<lb/> Während 24 Stunden zuvor die Meinungsverſchiedenheiten<lb/> zwiſchen dem Finanz- und dem Bautenminiſter als ausgeglichen<lb/> bezeichnet werden und ihrer Natur nach ſo angeſehen werden<lb/> mußten, erfuhr man mit Staunen, daß der König am 9. Dec.<lb/> Vormittags das Entlaſſungsgeſuch Giolitti’s genehmigt und<lb/> Grimaldi zu ſeinem Nachfolger ernannt hatte. Der Bauten-<lb/> miniſter, welcher, dem Erſparnißprogramm gehorſam, die Mehr-<lb/> forderung von 17 Millionen auf 3 Millionen ermäßigt hatte,<lb/> weigerte ſich, auch auf dieſe 3 Millionen zu verzichten, wie<lb/> Giolitti unerbittlich verlangte, und er ſtellte ſein Portefeuille<lb/> dem Miniſterpräſidenten zur Verfügung. Dieſer bot es dem<lb/> Finanzminiſter an, damit er verſuche, ohne die 3 Millionen<lb/> auszukommen. Giolitti lehnte ſowohl dies wie auch den Vor-<lb/> ſchlag, der Kammer die Entſcheidung zu überlaſſen, ab, weil er<lb/> verſprochen hatte, ein im Gleichgewicht befindliches Budget<lb/> vorzulegen, und er zog vor, zurückzutreten. Criſpi, der in der<lb/> geſtrigen Mehrheitsverſammlung — an welcher 280 De-<lb/> putirte theilnahmen — dieſe Vorgänge beſtätigte, fügte<lb/> zur Beſchwichtigung der entſtandenen Beſorgniſſe hinzu, daß<lb/> das Finanzprogramm der Negierung nicht die geringſte<lb/> Aenderung erleide, daß kein Centeſimo neuer Steuern aufgelegt<lb/> werden ſolle und daß der nächſtjährige Fehlbetrag auf<lb/> 7 Millionen reducirt ſei. Und das Gleichgewicht?!</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>* Eine der „Pol. Corr.“ aus <hi rendition="#g">Rom</hi> zugehende Meldung<lb/> verſichert auf Grund von nicht anzuzweifelnden Mittheilungen,<lb/> daß der Eintritt des Herrn <hi rendition="#g">Grimaldi</hi> in das italieniſche<lb/> Cabinet als Finanzminiſter keinerlei Aenderung in dem be-<lb/> kannten Finanzprogramm der Regierung zur Folge haben<lb/> werde. Es ſei vorauszuſehen, daß Hr. Grimaldi, deſſen Be-<lb/> ſtreben auf finanzpolitiſchem Gebiete ſtets auf die Herſtellung<lb/> des Gleichgewichtes im italieniſchen Staatshaushalte gerichtet<lb/> war, ſeine Thätigkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen,<lb/> welche hiefür weit günſtiger ſind als die früheren, mit um ſo größerer<lb/> Energie auf die Erreichung dieſes Zieles concentriren werde.<lb/> Weiter wird gemeldet, daß dem Miniſterpräſidenten Criſpi<lb/> ein vom König des Tigr<hi rendition="#aq">é</hi>-Gebietes, Ras <hi rendition="#g">Mangaſcha,</hi> unter-<lb/> zeichneter, gleichzeitig aber auch im Namen des Negus<lb/><hi rendition="#g">Menelik,</hi> deſſen Vaſall Mangaſcha iſt, geſchriebener Brief<lb/> zugekommen iſt, welcher einen ſehr freundſchaftlichen Charakter<lb/> trägt und volle Ergebenheit für Italien zum Ausdruck bringt.<lb/> Das Schreiben gipfelt in der Erklärung Mangaſcha’s, daß<lb/> Italien und Aethiopien für alle Zukunft als unzertrennlich<lb/> anzuſehen ſeien. Dieſe Kundgebung bildet die gründlichſte<lb/> Widerlegung der von franzöſiſchen Journalen, insbeſondere<lb/> vom Pariſer „Si<hi rendition="#aq">è</hi>cle“ (vgl. die geſtrige Tagesſchau. D. R.)<lb/> in jüngſter Zeit verbreiteten Gerüchte über eine angeblich<lb/> in den Beziehungen Italiens zu Abeſſinien eingetretene<lb/> Spannung.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Schweden und Norwegen.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>♁ <hi rendition="#b">Stockholm,</hi> 8. Dec.</dateline> <p>Aus <hi rendition="#g">Finnland</hi> treffen fortdauernd<lb/> ſehr trübe Nachrichten ein, welche hier zu Lande große Aufregung<lb/> hervorrufen. In St. Petersburg ſoll jetzt eine Commiſſion nieder-<lb/> geſetzt ſein, welche die finnländiſche Verfaſſung umarbeiten ſoll;<lb/> der finnländiſche Landtag ſoll allerdings beſtehen bleiben, aber er<lb/> ſoll nur die Eigenſchaft einer berathenden Verſammlung haben,<lb/> nicht mehr eine geſetzgebende Körperſchaft ſein. Ferner wird be-<lb/> richtet, daß das beſtehende finnländiſche Strafgeſetzbuch ſuspendirt<lb/> werden ſoll. Der Zar hat als Regent (Großfürſt) Finnlands gar<lb/> nicht das Recht, ein verfaſſungsmäßig zu Stande gekommenes und<lb/> von ihm ſelbſt ſanctionirtes Geſetz außer Kraft zu ſetzen, aber<lb/> von der ruſſiſchen Gewaltherrſchaft kann man eben Alles erwarten.<lb/> Die angedrohte Suspendirung des Strafgeſetzbuches ſoll den Rück-<lb/> tritt des finnländiſchen Senators Montgomery bewirkt haben.<lb/> Dieſer legte ſchon vor vier Jahren ſein damaliges Staats-<lb/> procuratoramt wegen ruſſiſcher Uebergriffe nieder; 1887 wurde er<lb/> dann Präſident des Waſa-Hofgerichts und im darauf folgenden<lb/> Jahre wurde er Mitglied des Comit<hi rendition="#aq">é</hi>s für finniſche Angelegen-<lb/> heiten im Staatsſecretariat zu St. Petersburg. Montgomery iſt<lb/> der dritte ausſcheidende Senator, ihm gingen voran die Senatoren<lb/> Mechelin und Weißenberg. Das von unſerm Hofe wohlorientirte<lb/> „Stockholms Dagblad“ ſchreibt anläßlich der aufregenden Vor-<lb/> gänge in Finnland: „Daß einer der bedeutendſten Männer Finn-<lb/> lands nach dem anderen auf ſolche Weiſe ſeinen verantwortungs-<lb/> vollen Poſten verläßt, iſt in Wahrheit ein trauriges Zeichen der<lb/> Zeit, welches, wie ſo vieles Andere, zeigt, wie ſchlecht es in<lb/> unſerm alten Bruderlande beſtellt iſt.“ Sehr geſpannt iſt man<lb/> hier, wie der am 22. Januar zuſammentretende finnländiſche<lb/> Landtag ſich zu den ruſſiſchen Gewaltmaßregeln ſtellen wird. Daß<lb/> derſelbe ſich gegen dieſe auflehnen wird, ſteht mit Sicherheit zu<lb/> erwarten.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Rußland.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>* <hi rendition="#b">St. Petersburg,</hi> 8. Dec.</dateline> <p>Dem „Bureau Reuter“ wird<lb/> von hier gemeldet: Der <hi rendition="#g">Nihiliſtenproceß,</hi> der gegenwärtig vor<lb/> einer außerordentlichen Abtheilung des Senats verhandelt wird,<lb/> dürfte bis Ende dieſes Jahres dauern, denn die Angeklagten ſind<lb/> zahlreich. Sie wurden aus verſchiedenen Gründen zu verſchiedenen<lb/> Zeiten ſeit Beginn des laufenden Jahres verhaftet. Es wird<lb/> ihnen in Gruppen von je fünf der Proceß gemacht. Wie die<lb/> Hauptfigur der erſten vor etwa drei Wochen ſchuldig befundenen<lb/> Gruppe (Sophie Günsberg), iſt auch die hervorragendſte Perſön-<lb/> lichkeit der zweiten Gruppe von Angeklagten, deren Proceß<lb/> jetzt verhandelt wird, ein junges Weib, und zwar die nahe<lb/> Anverwandte eines ziemlich hochgeſtellten Beamten des<lb/> Cultusminiſteriums, der ein dem heiligen Synod gehöriges<lb/> Haus bewohnt. In dieſem Hauſe wurde die junge Frau ver-<lb/> haſtet und die Polizei fand gleichzeitig dort zahlreiche revo-<lb/> lutionäre Proclamationen, etliche Bomben und eine Quantität<lb/> Dynamit vor. Ganz beſondere Umſtände erregten den Verdacht<lb/> der Behörden und veranlaßten ſie, eine Hausſuchung dort vorzu-<lb/> nehmen. Die junge Dame heißt Olga Iwanowsky und ſtudirte<lb/> Medicin. Eine ihrer intimſten Freundinnen war Sophie Güns-<lb/> berg. Ihr Onkel iſt der Geheimrath Illinsky, Leiter einer Ab-<lb/> theilung im heiligen Synod am Liteinaia-Proſpect. Die Polizei-<lb/> behörde wurde durch einen anonymen Brief veranlaßt, eine Haus-<lb/> ſuchung in der Wohnung Illinsky’s vorzunehmen. In den von<lb/> Illinsky bewohnten Gemächern entdeckte die Polizei eine Anzahl<lb/> revolutionärer Proclamationen, Manuſcripte in Ziffernſchriſt, eine<lb/> Quantität Dynamit und eine große Anzahl von Briefen des<lb/> Frl. Iwanowsky. Aus den Briefen ging hervor, daß ſie einen<lb/> ſehr ausgedehnten Briefwechſel mit Nihiliſten im In- und Auslande<lb/> unterhielt. Die junge Dame wurde ſofort verhaftet. Die mit<lb/> Beſchlag belegten Briefe lieferten der Polizei die Namen und<lb/><cb/> Adreſſen von Nihiliſten, auf welche ſie lange gefahndet hatte, und<lb/> ſie nahm nun in verſchiedenen Theilen des Reiches eine Reihe<lb/> von Verhaftungen vor. Im Laufe des Proceſſes wurde feſtge-<lb/> ſtellt, daß täglich Nihiliſtenverſammlungen unter dem Vorſitz von<lb/> Olga Iwanowsky in dem Hauſe am Liteinaia-Proſpect ſtatt-<lb/> fanden, und zwar immer, wenn Geheimrath Illinsky in Amts-<lb/> geſchäften abweſend war.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>* Die <hi rendition="#g">Ruſſificirung der baltiſchen Provinzen</hi> nimmt<lb/> ihren Fortgang und die dem Deutſchthum feindſeligſten Organe<lb/> ſprechen ihre volle Zufriedenheit mit dem jetzigen entſchiedenen Vor-<lb/> gehen der Regierung aus. Die „Moskauer (ruſſiſche) Zeitung“<lb/> freut ſich, daß der baltiſche Adel ſeiner „Vorrechte“ gründlich ent-<lb/> kleidet wird; habe er ja doch nur dann ruſſiſche Geſinnung gezeigt,<lb/> wenn es ſich um Erhaltung ſeiner Privilegien handelte, im ent-<lb/> gegengeſetzten Fall habe er unter ruſſiſcher, wie früher unter ſchwedi-<lb/> ſcher und polniſcher Herrſchaft ſich nicht geſchent, den Schutz des<lb/> Auslands anzurufen! — Was den Ausgleich der Inſtitutionen<lb/><hi rendition="#g">Finnlands</hi> mit denjenigen des Kaiſerreichs betrifft, ſo wird den<lb/> rigaiſchen „Wjeſtnik“ aus St. Petersburg geſchrieben: Die Ar-<lb/> beiten der unter dem Vorſitz des Grafen <hi rendition="#g">Heyden</hi> behufs der <hi rendition="#g">Zoll-<lb/> vereinigung</hi> Finnlands mit Rußland niedergeſetzten beſonderen<lb/> Commiſſion rücken rüſtig vorwärts, da ihre Beendigung mit der-<lb/> jenigen der Arbeiten der Tarifcommiſſion zuſammenfallen ſoll. Wie<lb/> man hört, beabſichtigt die Commiſſion, in Finnland den Differential-<lb/> tarif zur Anwendung zu bringen und gleichzeitig ungeſäumt die<lb/> volle Vereinigung der finnländiſchen Zollinſtitutionen mit denjenigen<lb/> des ganzen Reiches zu vollziehen. Ueberhaupt findet die Commiſ-<lb/> ſion, daß die völlige Aufhebung der Zollgrenze zwiſchen dem Groß-<lb/> fürſtenthum und dem Reich nur eine Frage der nächſten Zeit ſein<lb/> dürfte, da die producirende Induſtrie beider Länder bei einer der-<lb/> artigen Entſcheidung der Frage durchaus nicht leide, daß dieſe Frage<lb/> aber nur nach Uebergang der finnländiſchen Zollämter in das<lb/> Reſſort der ruſſiſchen Zollverwaltung verwirklicht werden könne, ſobald<lb/> die letzten Maßregeln zur Erfüllung dieſer Angelegenheit klargeſtellt<lb/> ſein werden. Bis dahin ſei es aber unerläßlich, das Reich vor<lb/> dem Zuſtrom ausländiſcher Producte und Erzeugniſſe unter dem<lb/> Deckmantel finnländiſcher zu ſchützen, wie es bereits das Finanz-<lb/> miniſterium angeregt habe. Zugleich hat die Commiſſion für noth-<lb/> wendig befunden, gleichzeitig mit der Entſcheidung der Zollfrage,<lb/> einheitliche Regeln und Steuern für die <hi rendition="#g">Handelsflotten</hi> des<lb/> Großſürſtenthums und des Reichs feſtzuſtellen, da die gegenwärtig<lb/> in dieſer Beziehung beſtehenden Vorſchriften ſich durch große Un-<lb/> gleichmäßigkeit und ſogar geradezu durch Ungerechtigkeit auszeichnen,<lb/> was wiederum äußerſt ſchädlich auf die ruſſiſche Handelsſchifffahrt<lb/> einwirkt. Was die Verſchmelzung des <hi rendition="#g">Münzverkehrs</hi> angeht,<lb/> ſo iſt im Princip bereits beſchloſſen, den finnländiſchen Münzhof<lb/> zu ſchließen und in dem Großfürſtenthum dieſelbe Gold- und Silber-<lb/> münze einzuführen, wie ſie im Reich im Verkehr iſt, umſomehr, als<lb/> ſich die finnländiſche von der letzteren nur durch die Benennungen<lb/> unterſcheidet, dem Werthe nach aber ihr faſt vollſtändig entſpricht.<lb/> Was die Einführung der Creditbillete im Großfürſtenthum an-<lb/> betrifft, ſo wird dieſe Frage noch nicht bearbeitet.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Der Gouverneur von Kurland hat die Veröffentlichung von<lb/> Theaterplacaten, ſonſtigen Affichen, Wohnungsanzeigen u. ſ. w. in<lb/><hi rendition="#g">deutſcher</hi> Sprache allein verboten und die Beifügung eines<lb/><hi rendition="#g">ruſſiſchen Textes</hi> für alle derartigen Kundmachungen vorge-<lb/> ſchrieben. — Die ruſſiſche Regierung hat die Einführung eines<lb/> intenſiven Unterrichtes in der <hi rendition="#g">ruſſiſchen Sprache,</hi> 10 bis 20<lb/> Stunden wöchentlich, an den Volksſchulen der in Südrußland be-<lb/> ſtehenden <hi rendition="#g">deutſchen Mennoniten-Colonien</hi> verfügt — eine<lb/> Maßregel, durch welche die von der Regierung beſchloſſene voll-<lb/> ſtändige Verdrängung der deutſchen Unterrichtsſprache an dieſen<lb/> Anſtalten und ihre Erſetzung durch das Ruſſiſche angebahnt wer-<lb/> den ſoll.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Rumänien.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline><hi rendition="#aq">H.</hi><hi rendition="#b">Bukareſt,</hi> 9. Dec.</dateline> <p>In der heutigen <hi rendition="#g">Kammerſitzung</hi><lb/> wurde die von der Adreßcommiſſion in Vorſchlag gebrachte<lb/> Antwort auf die Eröffnungs-Thronrede verleſen. Einzig und<lb/> allein eine Umſchreibung der diesmal außergewöhnlich lang<lb/> ausgefallenen Thronrede bietend, wird der in Rede ſtehende<lb/> Adreßentwurf eben in Folge ſeiner Länge den oppoſitionellen<lb/> Parteien willkommene Gelegenheit zur Einbringung zahlreicher<lb/> Abänderungs- und Zuſatzanträge bieten, deren einziger Zweck<lb/> lediglich auf obſtructioniſtiſchem Gebiete zu ſuchen ſein wird.<lb/> Haben ja doch auch die von altconſervativer, nationalliberaler<lb/> und radicaler Seite eingebrachten Proteſte gegen den ver-<lb/> faſſungsmäßigen Charakter des Miniſteriums Mano eben auch<lb/> nur die Verhinderung jedweder poſitiven parlamentariſchen Leiſtung<lb/> im Auge, während die von nationalliberaler und altconſervativer<lb/> Seite eingeleitete außerparlamentariſche Parallelaction die Thätig-<lb/> keit der Regierung dem großen Publicum gegenüber herab-<lb/> zuſetzen bemüht iſt. So kündigt eine in der vorgeſtrigen Ver-<lb/> ſammlung der nationalliberalen Partei gefaßte Reſolution<lb/> die „energiſcheſte Fortſetzung des Kampfes gegen die dem<lb/> Lande gegen ſeinen Willen aufgezwungene Willkürherrſchaft“<lb/> an, während die Anhänger Catargiu’s und Vernesco’s ein Mani-<lb/> feſt an die Bevölkerung vorbereiten, welches ebenſo, wie die<lb/> Erklärung L. Catargiu’s gegen den angeblich mit der Ver-<lb/> faſſung in Widerſpruch ſtehenden Fortbeſtand der gegenwärtigen<lb/> Regierung gerichtet iſt. Ob es dem Zuſammenwirken der<lb/> nationalliberalen und der altconſervativen Oppoſition gelingen<lb/> wird, das Cabinet Mano zum Falle zu bringen, hängt in<lb/> erſter Reihe von der Verläßlichkeit des conſervativen Flügels<lb/> der Regierungspartei ab, und es würde im Hinblick auf die<lb/> ſchon bei verſchiedenen Anläſſen zu Tage getretene Unzuver-<lb/> läſſigkeit der gouvernemental-conſervativen Partei, namentlich<lb/> des Senats, doch eine etwas allzu optimiſtiſche Auffaſſung<lb/> der inneren politiſchen Lage bekunden, wenn man die Kriſen-<lb/> gefahr als eine durch das jüngſte Vertrauensvotum des<lb/> Senats überwundene anſehen wollte. — Die Meldungen<lb/> hieſiger Blätter, daß Cultusminiſter Majoresco bei der<lb/> Pfortenregierung die Errichtung eines <hi rendition="#g">rumäniſchen Bis-<lb/> thums in Makedonien</hi> beantragt habe oder beantragen<lb/> werde, werden vom officiöſen Blatte unſres Auswärtigen<lb/> Amtes mit aller Entſchiedenheit dementirt. Wohl ſeien der<lb/> hohen Pforte angeſichts des zur Sperrung der orthodoxen<lb/> Kirchen Makedoniens führenden Kirchenſtreites mehrere Ge-<lb/> ſuche der makedoniſchen Rumänen um Beſtellung eines der<lb/> rumäniſchen Sprache mächtigen Biſchofs zugegangen. Aber<lb/> abgeſehen davon, daß dieſe Geſuche durch die mittlerweile<lb/> zur Beilegung des Conflictes ergriffenen Maßregeln und durch<lb/> die Wiedereröffnung der makedoniſchen Kirchen gegenſtandslos<lb/> geworden ſeien, habe die Regierung Rumäniens auch niemals<lb/> daran gedacht, ſich in eine innere Angelegenheit des befreun-<lb/> deten Pfortenſtaates zu mengen. — Nach amtlichen Mitthei-<lb/> lungen wird die <hi rendition="#g">öffentliche Schuld</hi> am 1./13. April<lb/> Frcs. 934,718,040.98 betragen und ſind für dieſelbe in das<lb/> Budget des Verwaltungsjahres 1891—1892 Frcs. 54,803,743<lb/> als Jahreserforderniß an Zinſen und Amortiſationsquoten<lb/> eingeſtellt worden.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Sonntag, Drittes Morgenblatt, Nr. 346 der Allgemeinen Zeitung. 14. December 1890.
Inhalts-Ueberſicht.
Niederlande. P. Amſterdam: Miniſterium. Deficit. H. de Veer.
Italien. ♋ Rom: Zum Inhalt der Thronrede. Die Miniſter-
kriſis und das Finanzprogramm der Regierung. * Zur Er-
nennung Grimaldi’s. Aus Afrika.
Schweden und Norwegen. ♁ Stockholm: Zur Ruſſificirung
Finnlands.
Rußland. St. Petersburg: Nihiliſtenproceß. Ruſſificirung.
Rumänien. H. Bukareſt: Aus dem Parlament. Zum make-
doniſchen Kirchenconflict. Staatsſchuld.
Montenegro. Weinbau auf den Schwarzen Bergen.
Verſchiedenes. — Handel und Volkswirthſchaft.
Niederlande.
P. Amſterdam, 11. Dec. Der Verlauf der erſten Sitzung
der Zweiten Kammer nach dem Tode des Königs zeigte, wie ſehr
es den Abgeordneten Bedürſniß war, ſich wieder einmal gründlich
auszuſprechen. Der Colonialminiſter Makay mußte es am meiſten
entgelten. Schon ſeit einigen Tagen wird ihm von der geſammten
Preſſe ein Verſtoß gegen die Verfaſſung vorgehalten. Das Mini-
ſterium hatte nämlich, wahrſcheinlich mit Rückſicht auf den ange-
griffenen Zuſtand der Königin-Regentin, unterlaſſen, der Form wegen
ſeine Entlaſſung einzureichen und die Königin-Regentin wiederum
hatte durch Cabinetsordre das Miniſterium beſtätigt. Dies
dünkt einem Theil der Preſſe ungeheuerlich, und namentlich
die Radicalen rühren die Alarmtrommel ganz energiſch.
Unangenehmer als dieſer Zwiſchenfall iſt für den Miniſterpräſi-
denten das Deficit von 23 Millionen Gulden im indiſchen Budget
und wenig tröſtlich klingen ſeine Entſchuldigungen: „Die ſchlechte
Kaffeeernte trage die Schuld, der Zuſtand ſei nicht hoffnungslos;
die Ueberſchüſſe der früheren Jahre genügten zur Deckung; eine
Anleihe ſei unnöthig.“ Feſt ſteht, daß die Deficite im Colonial-
budget ſich von Jahr zu Jahr mehren. Der Atjeh-Krieg allerdings
verſchlingt Unſummen; auch die unglückliche Zinnexpedition nach Flores
erfordert viele Opfer an Geld und Menſchen, allein die eigentliche Ur-
ſache ſitzt tiefer. Das Gouvernement ermuntert das Privatcapital
viel zu wenig und die chineſiſche Mauer, die nunmehr gegen aus-
wärtiges Capital errichtet iſt durch das Verbot gegen Niederlaſſungen
nicht holländiſcher Landbauunternehmungen, wird auch das Ihrige
dazu beitragen. Das directe telegraphiſche Verbindungskabel mit
Surinam (Riederländiſch-Indien) wurde geſtern eröffnet. Der
Preis eines Wortes beträgt 1 fl. 10 Cents mehr als früher.
H. de Veer, der langjährige Redacteur des Volksblattes „Nieuws
van den Dag“, das ſehr viel Sympathie für Deutſchland hegt, iſt
heute im 61. Lebensjahre geſtorben.
Italien.
♋ Rom, 10. Dec. Daß die Thronrede, mit welcher
heute die 17. Legislaturperiode eröffnet worden iſt, ein
ſtiliſtiſches Meiſterſtück ſei, kann nicht behauptet werden. In
vielfach ſchwerfälligem und unbeholfenem Ausdruck, dem man
die Verlegenheit über die plötzlich ausgebrochene Miniſterkriſis
anzumerken meint, und in ſprungweiſer Darſtellung reiht ſie
mühſam die Geſichtspunkte aneinander, welche die Regierung
vor der zum erſten Mal verſammelten neuen Volksvertretung
entwickeln zu müſſen glaubte. Trotz der Kürze und an-
ſcheinenden Beſtimmtheit der mit Redeblumen durchflochtenen
Sätze wird man den Eindruck nicht los, daß die Thronrede
nicht gewagt hat, ebenſo entſchieden wie die Turiner Pro-
grammrede des Miniſterpräſidenten von den Abſichten der Re-
gierung zu reden, welche den dringenden Wünſchen des Landes
entſprechen und dasſelbe bewogen haben, bei den Wahlen ſich
mit ſo großer Mehrheit für die gegenwärtige Politik auszu-
ſprechen. Mit Befriedigung werden die Italiener von neuem
hören, was ſchon mehrere frühere Thronreden ausgeſprochen
haben: daß die Nation abermals ihr Vertrauen in die freien
Staatseinrichtungen beſtätigt hat, daß ſie in den Grundſätzen
der Ordnung und Freiheit die Baſis der modernen Geſellſchaft
erblickt, daß das ſichere Bewußtſein ſeiner Rechte und Pflichten,
der beſtimmte Ausdruck ſeines Willens dem italieniſchen Staate
überall Achtung und Anſehen verſchaffe und daß eine durchaus
friedliche Luft in Europa wehe, auch in Afrika nur noch
friedliche Aufgaben zu löſen ſeien. Auffällig gezwungen aber
ſind die Uebergänge von der mit der Motivirung des Amneſtie-
decrets verbundenen Zuſicherung, daß die Arbeiterſchutz- und
Verſorgungsgeſetzgebung die Hauptaufgabe der neuen Geſetz-
gebungsperiode bilden werde, von der Erwähnung des Eintritts
der königlichen Prinzen in den Senat und ihrer be-
ginnenden Mitwirkung an der Hebung der vaterländiſchen
Wohlfahrt und der „Befruchtung der Volksliebe“ zu der Er-
klärung, daß „deßhalb das Heer und die Flotte nicht ver-
geſſen werden ſollen“, indem „nach Erledigung der Heeres-
organiſation in den Grenzen der Vertheidigung Italien ſich
ſicher fühlt und ohne Beunruhigung die Ereigniſſe abwarten
kann.“ Wenn man dieſen Hinweis nicht als ganz überflüſſig
betrachten ſoll, ſo kann er ſchwerlich anders aufgefaßt werden,
denn als eine Zurückweiſung der Hoffnungen auf allmähliche
Herabſetzung des ungeheuer angewachſenen Militäretats. —
„Gemeinſame Sorge wird vor allem die Solidität der Finanzen
ſein müſſen.“ Es wird demgemäß die Vorlegung von Finanz-
maßregeln verheißen, von denen die Regierung das Gleichgewicht
im Staatshaushalt „erwartet“; „das Parlament wird verſtehen,
durch Erſparniſſe in den Verwaltungsämtern und eine Neu-
ordnung des Steuerweſens die Mittel für Herſtellung des
Gleichgewichts zu finden.“ Die Verwaltung ſoll weniger koſt-
ſpielig gemacht werden; das Eingreifen des Staates ſoll über-
all da aufhören, wo die Provinzen, Gemeinden und die Privat-
initiative genügen können, ohne daß indeſſen der Staat auf
diejenige Oberaufſicht verzichtet, welche eine dem Willen der
Nation zuwiderlaufende Entwicklung des localen Lebens aus-
ſchließt. — Der letzte Theil der Thronrede iſt mit einem Nach-
druck, den nur die jüngſt bekannt gewordenen, auf Zuſammen-
faſſung aller ſtaatsfeindlichen klerikalen Kräfte gerichteten
neuen Anſtrengungen des Vaticans erklärlich machen, der
Zurückweiſung aller gegen die Staatsgewalt und die königliche
Souveränetät gerichteten, „im Namen der Religion“ unternom-
menen Angriffe gewidmet. Vielleicht wäre es beſſer, wenn von
der Unantaſtbarkeit der Inſtitutionen weniger oft und feierlich
die Rede wäre. Aber die Regierung mag geglaubt haben,
ſowohl den klerikalen als den radicalen Staatsfeinden, wenn
auch beide weit entfernt ſind, eine ernſtliche Gefahr für Italien
zu bilden, eine neue Warnung zukommen laſſen zu ſollen.
Allgemeiner Zuſtimmung iſt die Zuſage ſicher, daß die italie-
niſche Monarchie, „gegründet auf die Plebiſcite und die Ueber-
lieferung“, ein Pfand des Friedens und der Freiheit, jeder
geſetzlichen Bethätigung offen iſt, daß ſie Vertrauen zum Fort-
ſchritt hat und jede Reform annimmt, welche dem Wohle des
Volkes dient, „deſſen Liebe die Baſis des Thrones iſt“. Es
fehlt in der Thronrede jede Andeutung des Weges, auf welchem
die Regierung die nothwendigen Erſparungen verwirklichen, die
wirthſchaftliche Lage und den Credit heben, durch die Geſetz-
gebung den enterbten Claſſen zu Hülfe kommen wolle. Es iſt
daher ſehr begreiflich, daß die öffentliche Meinung zunächſt
mehr beunruhigt worden iſt, umſomehr, als die ganz un-
erwartete Miniſterkriſis am Tage vor der Parlamentseröff-
nung den gewagteſten Vermuthungen Thür und Thor öffnete.
Während 24 Stunden zuvor die Meinungsverſchiedenheiten
zwiſchen dem Finanz- und dem Bautenminiſter als ausgeglichen
bezeichnet werden und ihrer Natur nach ſo angeſehen werden
mußten, erfuhr man mit Staunen, daß der König am 9. Dec.
Vormittags das Entlaſſungsgeſuch Giolitti’s genehmigt und
Grimaldi zu ſeinem Nachfolger ernannt hatte. Der Bauten-
miniſter, welcher, dem Erſparnißprogramm gehorſam, die Mehr-
forderung von 17 Millionen auf 3 Millionen ermäßigt hatte,
weigerte ſich, auch auf dieſe 3 Millionen zu verzichten, wie
Giolitti unerbittlich verlangte, und er ſtellte ſein Portefeuille
dem Miniſterpräſidenten zur Verfügung. Dieſer bot es dem
Finanzminiſter an, damit er verſuche, ohne die 3 Millionen
auszukommen. Giolitti lehnte ſowohl dies wie auch den Vor-
ſchlag, der Kammer die Entſcheidung zu überlaſſen, ab, weil er
verſprochen hatte, ein im Gleichgewicht befindliches Budget
vorzulegen, und er zog vor, zurückzutreten. Criſpi, der in der
geſtrigen Mehrheitsverſammlung — an welcher 280 De-
putirte theilnahmen — dieſe Vorgänge beſtätigte, fügte
zur Beſchwichtigung der entſtandenen Beſorgniſſe hinzu, daß
das Finanzprogramm der Negierung nicht die geringſte
Aenderung erleide, daß kein Centeſimo neuer Steuern aufgelegt
werden ſolle und daß der nächſtjährige Fehlbetrag auf
7 Millionen reducirt ſei. Und das Gleichgewicht?!
* Eine der „Pol. Corr.“ aus Rom zugehende Meldung
verſichert auf Grund von nicht anzuzweifelnden Mittheilungen,
daß der Eintritt des Herrn Grimaldi in das italieniſche
Cabinet als Finanzminiſter keinerlei Aenderung in dem be-
kannten Finanzprogramm der Regierung zur Folge haben
werde. Es ſei vorauszuſehen, daß Hr. Grimaldi, deſſen Be-
ſtreben auf finanzpolitiſchem Gebiete ſtets auf die Herſtellung
des Gleichgewichtes im italieniſchen Staatshaushalte gerichtet
war, ſeine Thätigkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen,
welche hiefür weit günſtiger ſind als die früheren, mit um ſo größerer
Energie auf die Erreichung dieſes Zieles concentriren werde.
Weiter wird gemeldet, daß dem Miniſterpräſidenten Criſpi
ein vom König des Tigré-Gebietes, Ras Mangaſcha, unter-
zeichneter, gleichzeitig aber auch im Namen des Negus
Menelik, deſſen Vaſall Mangaſcha iſt, geſchriebener Brief
zugekommen iſt, welcher einen ſehr freundſchaftlichen Charakter
trägt und volle Ergebenheit für Italien zum Ausdruck bringt.
Das Schreiben gipfelt in der Erklärung Mangaſcha’s, daß
Italien und Aethiopien für alle Zukunft als unzertrennlich
anzuſehen ſeien. Dieſe Kundgebung bildet die gründlichſte
Widerlegung der von franzöſiſchen Journalen, insbeſondere
vom Pariſer „Siècle“ (vgl. die geſtrige Tagesſchau. D. R.)
in jüngſter Zeit verbreiteten Gerüchte über eine angeblich
in den Beziehungen Italiens zu Abeſſinien eingetretene
Spannung.
Schweden und Norwegen.
♁ Stockholm, 8. Dec. Aus Finnland treffen fortdauernd
ſehr trübe Nachrichten ein, welche hier zu Lande große Aufregung
hervorrufen. In St. Petersburg ſoll jetzt eine Commiſſion nieder-
geſetzt ſein, welche die finnländiſche Verfaſſung umarbeiten ſoll;
der finnländiſche Landtag ſoll allerdings beſtehen bleiben, aber er
ſoll nur die Eigenſchaft einer berathenden Verſammlung haben,
nicht mehr eine geſetzgebende Körperſchaft ſein. Ferner wird be-
richtet, daß das beſtehende finnländiſche Strafgeſetzbuch ſuspendirt
werden ſoll. Der Zar hat als Regent (Großfürſt) Finnlands gar
nicht das Recht, ein verfaſſungsmäßig zu Stande gekommenes und
von ihm ſelbſt ſanctionirtes Geſetz außer Kraft zu ſetzen, aber
von der ruſſiſchen Gewaltherrſchaft kann man eben Alles erwarten.
Die angedrohte Suspendirung des Strafgeſetzbuches ſoll den Rück-
tritt des finnländiſchen Senators Montgomery bewirkt haben.
Dieſer legte ſchon vor vier Jahren ſein damaliges Staats-
procuratoramt wegen ruſſiſcher Uebergriffe nieder; 1887 wurde er
dann Präſident des Waſa-Hofgerichts und im darauf folgenden
Jahre wurde er Mitglied des Comités für finniſche Angelegen-
heiten im Staatsſecretariat zu St. Petersburg. Montgomery iſt
der dritte ausſcheidende Senator, ihm gingen voran die Senatoren
Mechelin und Weißenberg. Das von unſerm Hofe wohlorientirte
„Stockholms Dagblad“ ſchreibt anläßlich der aufregenden Vor-
gänge in Finnland: „Daß einer der bedeutendſten Männer Finn-
lands nach dem anderen auf ſolche Weiſe ſeinen verantwortungs-
vollen Poſten verläßt, iſt in Wahrheit ein trauriges Zeichen der
Zeit, welches, wie ſo vieles Andere, zeigt, wie ſchlecht es in
unſerm alten Bruderlande beſtellt iſt.“ Sehr geſpannt iſt man
hier, wie der am 22. Januar zuſammentretende finnländiſche
Landtag ſich zu den ruſſiſchen Gewaltmaßregeln ſtellen wird. Daß
derſelbe ſich gegen dieſe auflehnen wird, ſteht mit Sicherheit zu
erwarten.
Rußland.
* St. Petersburg, 8. Dec. Dem „Bureau Reuter“ wird
von hier gemeldet: Der Nihiliſtenproceß, der gegenwärtig vor
einer außerordentlichen Abtheilung des Senats verhandelt wird,
dürfte bis Ende dieſes Jahres dauern, denn die Angeklagten ſind
zahlreich. Sie wurden aus verſchiedenen Gründen zu verſchiedenen
Zeiten ſeit Beginn des laufenden Jahres verhaftet. Es wird
ihnen in Gruppen von je fünf der Proceß gemacht. Wie die
Hauptfigur der erſten vor etwa drei Wochen ſchuldig befundenen
Gruppe (Sophie Günsberg), iſt auch die hervorragendſte Perſön-
lichkeit der zweiten Gruppe von Angeklagten, deren Proceß
jetzt verhandelt wird, ein junges Weib, und zwar die nahe
Anverwandte eines ziemlich hochgeſtellten Beamten des
Cultusminiſteriums, der ein dem heiligen Synod gehöriges
Haus bewohnt. In dieſem Hauſe wurde die junge Frau ver-
haſtet und die Polizei fand gleichzeitig dort zahlreiche revo-
lutionäre Proclamationen, etliche Bomben und eine Quantität
Dynamit vor. Ganz beſondere Umſtände erregten den Verdacht
der Behörden und veranlaßten ſie, eine Hausſuchung dort vorzu-
nehmen. Die junge Dame heißt Olga Iwanowsky und ſtudirte
Medicin. Eine ihrer intimſten Freundinnen war Sophie Güns-
berg. Ihr Onkel iſt der Geheimrath Illinsky, Leiter einer Ab-
theilung im heiligen Synod am Liteinaia-Proſpect. Die Polizei-
behörde wurde durch einen anonymen Brief veranlaßt, eine Haus-
ſuchung in der Wohnung Illinsky’s vorzunehmen. In den von
Illinsky bewohnten Gemächern entdeckte die Polizei eine Anzahl
revolutionärer Proclamationen, Manuſcripte in Ziffernſchriſt, eine
Quantität Dynamit und eine große Anzahl von Briefen des
Frl. Iwanowsky. Aus den Briefen ging hervor, daß ſie einen
ſehr ausgedehnten Briefwechſel mit Nihiliſten im In- und Auslande
unterhielt. Die junge Dame wurde ſofort verhaftet. Die mit
Beſchlag belegten Briefe lieferten der Polizei die Namen und
Adreſſen von Nihiliſten, auf welche ſie lange gefahndet hatte, und
ſie nahm nun in verſchiedenen Theilen des Reiches eine Reihe
von Verhaftungen vor. Im Laufe des Proceſſes wurde feſtge-
ſtellt, daß täglich Nihiliſtenverſammlungen unter dem Vorſitz von
Olga Iwanowsky in dem Hauſe am Liteinaia-Proſpect ſtatt-
fanden, und zwar immer, wenn Geheimrath Illinsky in Amts-
geſchäften abweſend war.
* Die Ruſſificirung der baltiſchen Provinzen nimmt
ihren Fortgang und die dem Deutſchthum feindſeligſten Organe
ſprechen ihre volle Zufriedenheit mit dem jetzigen entſchiedenen Vor-
gehen der Regierung aus. Die „Moskauer (ruſſiſche) Zeitung“
freut ſich, daß der baltiſche Adel ſeiner „Vorrechte“ gründlich ent-
kleidet wird; habe er ja doch nur dann ruſſiſche Geſinnung gezeigt,
wenn es ſich um Erhaltung ſeiner Privilegien handelte, im ent-
gegengeſetzten Fall habe er unter ruſſiſcher, wie früher unter ſchwedi-
ſcher und polniſcher Herrſchaft ſich nicht geſchent, den Schutz des
Auslands anzurufen! — Was den Ausgleich der Inſtitutionen
Finnlands mit denjenigen des Kaiſerreichs betrifft, ſo wird den
rigaiſchen „Wjeſtnik“ aus St. Petersburg geſchrieben: Die Ar-
beiten der unter dem Vorſitz des Grafen Heyden behufs der Zoll-
vereinigung Finnlands mit Rußland niedergeſetzten beſonderen
Commiſſion rücken rüſtig vorwärts, da ihre Beendigung mit der-
jenigen der Arbeiten der Tarifcommiſſion zuſammenfallen ſoll. Wie
man hört, beabſichtigt die Commiſſion, in Finnland den Differential-
tarif zur Anwendung zu bringen und gleichzeitig ungeſäumt die
volle Vereinigung der finnländiſchen Zollinſtitutionen mit denjenigen
des ganzen Reiches zu vollziehen. Ueberhaupt findet die Commiſ-
ſion, daß die völlige Aufhebung der Zollgrenze zwiſchen dem Groß-
fürſtenthum und dem Reich nur eine Frage der nächſten Zeit ſein
dürfte, da die producirende Induſtrie beider Länder bei einer der-
artigen Entſcheidung der Frage durchaus nicht leide, daß dieſe Frage
aber nur nach Uebergang der finnländiſchen Zollämter in das
Reſſort der ruſſiſchen Zollverwaltung verwirklicht werden könne, ſobald
die letzten Maßregeln zur Erfüllung dieſer Angelegenheit klargeſtellt
ſein werden. Bis dahin ſei es aber unerläßlich, das Reich vor
dem Zuſtrom ausländiſcher Producte und Erzeugniſſe unter dem
Deckmantel finnländiſcher zu ſchützen, wie es bereits das Finanz-
miniſterium angeregt habe. Zugleich hat die Commiſſion für noth-
wendig befunden, gleichzeitig mit der Entſcheidung der Zollfrage,
einheitliche Regeln und Steuern für die Handelsflotten des
Großſürſtenthums und des Reichs feſtzuſtellen, da die gegenwärtig
in dieſer Beziehung beſtehenden Vorſchriften ſich durch große Un-
gleichmäßigkeit und ſogar geradezu durch Ungerechtigkeit auszeichnen,
was wiederum äußerſt ſchädlich auf die ruſſiſche Handelsſchifffahrt
einwirkt. Was die Verſchmelzung des Münzverkehrs angeht,
ſo iſt im Princip bereits beſchloſſen, den finnländiſchen Münzhof
zu ſchließen und in dem Großfürſtenthum dieſelbe Gold- und Silber-
münze einzuführen, wie ſie im Reich im Verkehr iſt, umſomehr, als
ſich die finnländiſche von der letzteren nur durch die Benennungen
unterſcheidet, dem Werthe nach aber ihr faſt vollſtändig entſpricht.
Was die Einführung der Creditbillete im Großfürſtenthum an-
betrifft, ſo wird dieſe Frage noch nicht bearbeitet.
Der Gouverneur von Kurland hat die Veröffentlichung von
Theaterplacaten, ſonſtigen Affichen, Wohnungsanzeigen u. ſ. w. in
deutſcher Sprache allein verboten und die Beifügung eines
ruſſiſchen Textes für alle derartigen Kundmachungen vorge-
ſchrieben. — Die ruſſiſche Regierung hat die Einführung eines
intenſiven Unterrichtes in der ruſſiſchen Sprache, 10 bis 20
Stunden wöchentlich, an den Volksſchulen der in Südrußland be-
ſtehenden deutſchen Mennoniten-Colonien verfügt — eine
Maßregel, durch welche die von der Regierung beſchloſſene voll-
ſtändige Verdrängung der deutſchen Unterrichtsſprache an dieſen
Anſtalten und ihre Erſetzung durch das Ruſſiſche angebahnt wer-
den ſoll.
Rumänien.
H. Bukareſt, 9. Dec. In der heutigen Kammerſitzung
wurde die von der Adreßcommiſſion in Vorſchlag gebrachte
Antwort auf die Eröffnungs-Thronrede verleſen. Einzig und
allein eine Umſchreibung der diesmal außergewöhnlich lang
ausgefallenen Thronrede bietend, wird der in Rede ſtehende
Adreßentwurf eben in Folge ſeiner Länge den oppoſitionellen
Parteien willkommene Gelegenheit zur Einbringung zahlreicher
Abänderungs- und Zuſatzanträge bieten, deren einziger Zweck
lediglich auf obſtructioniſtiſchem Gebiete zu ſuchen ſein wird.
Haben ja doch auch die von altconſervativer, nationalliberaler
und radicaler Seite eingebrachten Proteſte gegen den ver-
faſſungsmäßigen Charakter des Miniſteriums Mano eben auch
nur die Verhinderung jedweder poſitiven parlamentariſchen Leiſtung
im Auge, während die von nationalliberaler und altconſervativer
Seite eingeleitete außerparlamentariſche Parallelaction die Thätig-
keit der Regierung dem großen Publicum gegenüber herab-
zuſetzen bemüht iſt. So kündigt eine in der vorgeſtrigen Ver-
ſammlung der nationalliberalen Partei gefaßte Reſolution
die „energiſcheſte Fortſetzung des Kampfes gegen die dem
Lande gegen ſeinen Willen aufgezwungene Willkürherrſchaft“
an, während die Anhänger Catargiu’s und Vernesco’s ein Mani-
feſt an die Bevölkerung vorbereiten, welches ebenſo, wie die
Erklärung L. Catargiu’s gegen den angeblich mit der Ver-
faſſung in Widerſpruch ſtehenden Fortbeſtand der gegenwärtigen
Regierung gerichtet iſt. Ob es dem Zuſammenwirken der
nationalliberalen und der altconſervativen Oppoſition gelingen
wird, das Cabinet Mano zum Falle zu bringen, hängt in
erſter Reihe von der Verläßlichkeit des conſervativen Flügels
der Regierungspartei ab, und es würde im Hinblick auf die
ſchon bei verſchiedenen Anläſſen zu Tage getretene Unzuver-
läſſigkeit der gouvernemental-conſervativen Partei, namentlich
des Senats, doch eine etwas allzu optimiſtiſche Auffaſſung
der inneren politiſchen Lage bekunden, wenn man die Kriſen-
gefahr als eine durch das jüngſte Vertrauensvotum des
Senats überwundene anſehen wollte. — Die Meldungen
hieſiger Blätter, daß Cultusminiſter Majoresco bei der
Pfortenregierung die Errichtung eines rumäniſchen Bis-
thums in Makedonien beantragt habe oder beantragen
werde, werden vom officiöſen Blatte unſres Auswärtigen
Amtes mit aller Entſchiedenheit dementirt. Wohl ſeien der
hohen Pforte angeſichts des zur Sperrung der orthodoxen
Kirchen Makedoniens führenden Kirchenſtreites mehrere Ge-
ſuche der makedoniſchen Rumänen um Beſtellung eines der
rumäniſchen Sprache mächtigen Biſchofs zugegangen. Aber
abgeſehen davon, daß dieſe Geſuche durch die mittlerweile
zur Beilegung des Conflictes ergriffenen Maßregeln und durch
die Wiedereröffnung der makedoniſchen Kirchen gegenſtandslos
geworden ſeien, habe die Regierung Rumäniens auch niemals
daran gedacht, ſich in eine innere Angelegenheit des befreun-
deten Pfortenſtaates zu mengen. — Nach amtlichen Mitthei-
lungen wird die öffentliche Schuld am 1./13. April
Frcs. 934,718,040.98 betragen und ſind für dieſelbe in das
Budget des Verwaltungsjahres 1891—1892 Frcs. 54,803,743
als Jahreserforderniß an Zinſen und Amortiſationsquoten
eingeſtellt worden.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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