Allgemeine Zeitung, Nr. 347, 15. Dezember 1890.München, Montag Allgemeine Zeitung 15. December 1890. Abendblatt Nr. 347. [Spaltenumbruch]
auch kaum eine lange Debatte veranlassen, namentlich je Der beunruhigende Eindruck, welchen der plötzliche Deutsches Reich. §§. Berlin, 14. Dec. Wenn man sich ein Bild über + Berlin, 14. Dec. Die Errichtung eines gemeinsamen = Berlin, 14. Dec. Der Reichstag hat sich bis zum Im Abgeordnetenhause haben gestern auch die Com- Im Herrenhause hat Graf v. Frankenberg den Antrag Die Schulreformconferenz wird voraussichtlich gegen Wie die "Köln. Ztg." hervorhebt, ist in die Berathungen der Der Evangelische Oberkirchenrath hat folgenden "Es sind neuerdings Fälle vorgekommen, in denen confessionell- * Berlin, 14. Dec. Der Kaiser, welcher in der ver- Der König von Sachsen und Prinz Georg von Sachsen Der Reichskanzler v. Caprivi hat, der "Köln. Volksztg." Die Preise der Arbeiter-Fahrkarten sind auf allen l. Meiningen, 12. Dec. Der gestern eröffneten Landes- München, Montag Allgemeine Zeitung 15. December 1890. Abendblatt Nr. 347. [Spaltenumbruch]
auch kaum eine lange Debatte veranlaſſen, namentlich je Der beunruhigende Eindruck, welchen der plötzliche Deutſches Reich. §§. Berlin, 14. Dec. Wenn man ſich ein Bild über ┸ Berlin, 14. Dec. Die Errichtung eines gemeinſamen = Berlin, 14. Dec. Der Reichstag hat ſich bis zum Im Abgeordnetenhauſe haben geſtern auch die Com- Im Herrenhauſe hat Graf v. Frankenberg den Antrag Die Schulreformconferenz wird vorausſichtlich gegen Wie die „Köln. Ztg.“ hervorhebt, iſt in die Berathungen der Der Evangeliſche Oberkirchenrath hat folgenden „Es ſind neuerdings Fälle vorgekommen, in denen confeſſionell- * Berlin, 14. Dec. Der Kaiſer, welcher in der ver- Der König von Sachſen und Prinz Georg von Sachſen Der Reichskanzler v. Caprivi hat, der „Köln. Volksztg.“ Die Preiſe der Arbeiter-Fahrkarten ſind auf allen λ. Meiningen, 12. Dec. Der geſtern eröffneten Landes- <TEI> <text> <body> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <pb facs="#f0002" n="2"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">München, Montag Allgemeine Zeitung</hi> 15. December 1890. Abendblatt Nr. 347.</fw><lb/> <cb/> </div> </div> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div xml:id="a1b" prev="#a1a" type="jArticle" n="3"> <p>auch kaum eine lange Debatte veranlaſſen, namentlich je<lb/> nach den Erklärungen, welche die Regierung abgibt. Jeden-<lb/> falls iſt die rechtzeitige Erledigung des Budgets nach dem<lb/> ganzen Stande der Dinge nun ſicher.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Der beunruhigende Eindruck, welchen der plötzliche<lb/> Rücktritt des Finanzminiſters <hi rendition="#g">Giolitti</hi> auf einen Theil<lb/> der italieniſchen Deputirten ausgeübt hatte, iſt durch Er-<lb/> klärungen Giolitti’s, daß er nicht in die Oppoſition zu<lb/> gehen gedenke, ſowie durch die Darlegungen der Regierung<lb/> in der Verſammlung der miniſteriellen Kammermajorität<lb/> beſeitigt worden; zur Feſtigung der parlamentariſchen<lb/> Parteiverhältniſſe wird auch der Beſchluß der Gruppe<lb/> Rudini erheblich beitragen, von der Bildung einer eigenen<lb/> Fraction der Rechten abzuſehen und in dem allgemeinen<lb/> Majoritätsverbande zu verbleiben, um die Actionsfähigkeit<lb/> desſelben nicht zu beeinträchtigen. Hoffentlich beſtätigt ſich<lb/> ein in Rom colportirtes Gerücht von eruſten Differenzen<lb/> zwiſchen Hrn. Criſpi und dem Kriegsminiſter Bertol<hi rendition="#aq">é</hi>-Viale<lb/> wegen der Abſtriche am Kriegsbudget nicht, wenngleich<lb/> gerade mit Rückſicht auf den Urſprung dieſer Mißhellig-<lb/> keiten eine Erſchütterung des Cabinets durch den Rücktritt<lb/> des Kriegsminiſters nicht zu befürchten wäre. Erſparungen<lb/> — das iſt heute das allgemeine Loſungswort in Italien,<lb/> und das Miniſterium könnte der öffentlichen Meinung<lb/> gegenüber in dieſer Hinſicht augenblicklich kaum zu viel<lb/> thun; andrerſeits muß aber feſtgehalten werden, daß auch<lb/> dem neuen Erſparungsſyſtem gewiſſe Grenzen geſteckt ſind<lb/> und daß es immerhin bedenklich wäre, gerade an dem<lb/> Kriegsbudget zu radicale Abſtriche vorzunehmen, welche<lb/> das Vertrauen in die volle Schlagſertigkeit Italiens in einer<lb/> vielleicht jählings hereinbrechenden Stunde ernſteſter<lb/> Entſcheidungen vermindern müßten. Das <hi rendition="#aq">est modus in<lb/> rebus</hi> gilt, wie man es auch beklagen mag, wohl noch<lb/> für lange hinaus als eiſernes Nothwendigkeitsgeſetz ganz<lb/> beſonders für die Einſchränkung der Ausgaben zu mili-<lb/> täriſchen Zwecken, und auch Italien kann ſich dieſem Ge-<lb/> bote ohne Gefährdung wichtiger Daſeiusintereſſen nicht<lb/> entziehen. Uebrigens dürfte ſich auf dem Gebiete der<lb/> Verwaltung, auf welchem nach Giolitti’s Ausſage eine<lb/> „unſinnige Verſchwendung“ herrſchen ſoll, ein hinreichend<lb/> großes Feld zur Bewerkſtelligung ausgiebiger Erſparungen<lb/> bieten.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Deutſches Reich.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>§§. <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 14. Dec.</dateline> <p>Wenn man ſich ein Bild über<lb/> die <hi rendition="#g">Stellung unſrer Parteien</hi> in Reichstag und Landtag zu<lb/> machen verſucht, kommt man im weſentlichen doch zu dem<lb/> Neſultat, daß Alles noch ebenſo unklar und unſicher liegt, wie<lb/> zur Zeit der Eröffnung unſrer beiden parlamentariſchen Körper-<lb/> ſchaften. Es hat ſich die Thatſache geltend gemacht, daß nach<lb/> dem Rücktritt des Fürſten Bismarck man den werdenden Zu-<lb/> ſtänden als einem Unbekannten gegenüberſtand und gleichſam<lb/> taſtend vorging. Keine der Parteien wollte das lockende Ziel<lb/> ihrer Regierungsfähigkeit voreilig aus dem Auge verlieren und<lb/> ſo konnte es geſchehen, daß in verhältnißmäßig ruhigem Ton<lb/> Materien verhandelt wurden, bei welchen in früherer Zeit Alles<lb/> in Feuer und Flammen gerathen wäre. Daß dieſes Syſtem<lb/> parlamentariſcher und, faſt könnte man ſagen: diplomatiſcher<lb/> Taktik ſich auf die Dauer nicht wird durchführen laſſen, ſteht<lb/> jedem Einſichtigen feſt; unſicher iſt nur der Kampftermin. Wir<lb/> unſrerſeits halten es für wahrſcheinlich, daß, bei Gelegenheit<lb/> der Etatdebatten, die bisherige Haltung nicht mehr zu be-<lb/> haupten ſein wird und daß auf den ruhigen Anfang<lb/> eine ſtürmiſche Fortſetzung folgen dürfte. Auch hier aber<lb/> iſt das Ende nicht abzuſehen. Für den <hi rendition="#g">Neichstag</hi><lb/> läßt ſich nur foviel mit Sicherheit ſagen, daß ſür<lb/> die Aufhebung der Lebensmittelzölle eine größere Majori-<lb/> tät ſich finden wird und daß trotz aller Gegenwirkung<lb/> ein Beſchluß für die Aufhebung des Jeſuitengeſetzes ebenfalls<lb/> mit Sicherheit erwartet werden kann. Im Reichstag iſt heute<lb/> das Geſtirn Windthorſts herrſchend und das Jeſuitengeſetz der<lb/> Prüfſtein der Parteien. Von der Stellung, welche die Parteien<lb/> zu dieſem Geſetz einhalten, wird es abhängen, welche Zugeſtänd-<lb/> niſſe ſie von den 105 Stimmen des Centrums erhalten können,<lb/> und das wird in allen Fragen mitſpielen. Die Situation wird<lb/> noch verwickelter, weil ſich voraueſehen läßt, daß der Bundes-<lb/> rath gegen die Aufhebung des Jeſuitengeſetzes beſchließen wird,<lb/> was gewiß Niemand genauer überſchaut, als der vielgewandte<lb/> Führer des Centrums. Es handelt ſich alſo in dieſem Kampfe<lb/> im Grunde nicht um die Erreichung eines <hi rendition="#g">ſofort</hi> eintretenden,<lb/> mit Händen greifbaren Erfolges, ſondern um ein geiſtiges<lb/> Canoſſa des Reichstages, deſſen Folgen dann freilich Windt-<lb/> horſt zu gute kämen. Wohl aber könnte die Abſtimmung des<lb/> Reichstags das Material zu einer höchſt gefährlichen und auf-<lb/> regenden Agitation in den Bundesſtaaten liefern, deren „Nein“<lb/> den Antrag Windthorſt zu Fall brächte. (? D. R. Das In-<lb/> tereſſe der Bevölkerungen an der Rückberufung der Jeſuiten<lb/> ſcheint da umſomehr überſchätzt zu werden, als die Geiſtlichkeit<lb/> ſelbſt damit nichts weniger als einverſtanden iſt.) Was aus den<lb/> Verhandlungen der <hi rendition="#g">Commiſſionen</hi> des <hi rendition="#g">Abgeordnetenhauſes</hi><lb/> an die Oeffentlichkeit tritt, iſt ebenfalls nicht gerade dazu angethan,<lb/> optimiſtiſche Erwartungen wachzurufen. Das Volksſchulgeſetz<lb/> wird aller Wahrſcheinlichkeit nach fallen, und es iſt nicht aus-<lb/> geſchloſſen, daß in Folge der Modiſicationen, welche die Vor-<lb/> lage in den, wie wir hören, ſehr erregten Verhandlungen der<lb/> Commiſſion erfahren hat, auch die Nationalliberalen dagegen<lb/> ſtimmen. Ebenſo heftig wogt der Kampf über die Steuer-<lb/> reform, die gleichfalls in veränderter Geſtalt aus der Commiſſion<lb/> hervorgehen wird, und zwar nach der Richtung, daß die Be-<lb/> ſtimmungen über die Declarationspflicht abgeſchwächt werden<lb/> und die Erbſchaftsſteuer ganz beſeitigt wird. Aus Kreiſen, die<lb/> den Verhandlungen in der Commiſſion nicht fremd ſind, iſt<lb/> uns die Bemerkung entgegengetreten, daß, wenn man<lb/> die Klagen der einzelnen wirthſchaftlichen Gruppen aus dem<lb/> Munde ihrer Advocaten in der Commiſſion anhöre, man leicht<lb/> die Vorſtellung gewinnen könnte, daß Deutſchland ſich in einem<lb/> Stadium tieſſten materiellen Niederganges befinde. Handwerk,<lb/> Ackerbau, Kaufmannsſtand, Induſtrie, Beamtenthum, den Ge-<lb/> lehrtenſtand nicht zu vergeſſen — alle würden ſie erdrückt durch<lb/> die Laſt unerträglicher Steuern und dabei trinkt man in Deutſch-<lb/> land jahraus, jahrein für 3 Milliarden Mark Vier, Wein und<lb/> andere Spirituoſen. Die Zahl klingt unglaublich, iſt aber<lb/> richtig und ſie dürfte durch ihre erſtaunliche Höhe beweiſen,<lb/> daß das deutſche Volk für die ernſten Vedürfniſſe des Staates<lb/> doch noch Geld übrig haben ſollte. Der Vergleich zwiſchen<lb/> der Steuerlaſt Deutſchlands, Englands und Frankreichs,<lb/> 19 M. bei uns zu 35 M. in England und 55 M. in Frank-<lb/><cb/> reich, iſt ſo beweiſend, daß man in ernſten patriotiſchen Kreiſen<lb/> von übermäßigem oder gar unerlräglichem Druck zu reden Ve-<lb/> denken tragen müßte. Die vom Finanzminiſter jetzt geplante<lb/> gerechtere Vertheilung der Steuerlaſt iſt zweifellos eine Wohl-<lb/> that, wird aber als ſolche nur empfunden werden, wenn ſie nicht<lb/> durch allzu freigebige Streichungen von Commiſſion und Land-<lb/> tag zu einer Minderung der Machtmittel des Staates führt.<lb/> Denn auch vom Staate gilt das Wort: Geld iſt Macht.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>┸ <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 14. Dec.</dateline> <p>Die Errichtung eines gemeinſamen<lb/><hi rendition="#g">Unfallkranken- und Reconvaleſcentenhauſes</hi> für ſämmt-<lb/> liche Berufsgenoffenſchaften in Berlin iſt bekanntlich bereits ſeit<lb/> längerer Zeit im Werke, nachdem auf einem früheren Berufs-<lb/> genoſſenſchaftstage die Anlage ſolcher Häuſer ſeitens der Genoſſen-<lb/> ſchaften angeregt worden war. Ueber die Herſtellungskoſten iſt<lb/> vor kurzem, wie gemeldet, eine Verſtändigung mit dem Reichsver-<lb/> ſicherungsamte dahin erreicht worden, daß dieſelben durch eine An-<lb/> leihe mit ſtarker Amortiſation zu beſchaffen wären. Gegenwärtig<lb/> handelt es ſich nur darum, zunächſt eine ſichere Unterlage für den<lb/> Umfang zu gewinnen, den man der Anſtalt zu geben hätte. In<lb/> der Sache hat nun am Freitag eine Vorbeſprechung des geſchäfts-<lb/> führenden Ausſchuſſes des Genoſſenſchaftsverbandes unter Vorſitz<lb/> des Commercienrathes Röſicke ſtattgefunden, wobei beſchloſſen<lb/> wurde, einen Fragebogen bierüber an die in Berlin ſitzenden Sec-<lb/> tionen der Berufsgenoſſenſchaften zu verſenden. Nach dem Ein-<lb/> gehen der Antworten ſollen dann weitere Vorlagen ausgearbeitet<lb/> und eine Verſammlung ſämmtlicher Vertreter zur Beſchlußfaſſung<lb/> einberufen werden.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>= <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 14. Dec.</dateline> <p>Der <hi rendition="#g">Reichstag</hi> hat ſich bis zum<lb/> 13. Januar vertagt und wird alsdann ſeine Thätigkeit mit<lb/> der lang verſchobenen Berathung über die Anträge auf Ab-<lb/> ſchaffung, beziehungsweiſe Ermäßigung der landwirthſchaft-<lb/> lichen Zölle wieder aufnehmen. Die Commiſſionen werden<lb/> ſchon ein paar Tage früher ihre Arbeiten beginnen oder fort-<lb/> ſetzen. Das Plenum wird ſich nach Neujahr zunächſt haupt-<lb/> ſächlich mit der zweiten Etatsberathung und dem Arbeiter-<lb/> ſchutzgeſetz zu beſchäftigen haben, über welches letztere der Com-<lb/> miſſionsbericht während der Vertagung erſcheinen dürfte. Von<lb/> ſonſtigen größeren Vorlagen bleiben alsdann namentlich noch<lb/> diejenigen über Reform der Zuckerſteuer, über Aenderung des<lb/> Krankenverſicherungs- und des Patentgeſetzes, über den Schutz<lb/> von Gebrauchsmuſtern zu erledigen. Es erſcheint wohl mög-<lb/> lich, mit dieſen Arbeiten vor Oſtern, alſo etwa bis zum 20. März,<lb/> fertig zu werden, wie auch der Präſident in Ausſicht ſtellte.<lb/> Die <hi rendition="#g">Ausſichten des Zuckerſteuergeſetzes,</hi> welches der<lb/> Reichstag vorgeſtern in eine Commiſſion verwieſen hat, ſind<lb/> freilich noch ganz unſicher, da alle Parteien in dieſer Frage ge-<lb/> ſpalten ſind. Das Centrum hat in der vorgeſtrigen Verhand-<lb/> lung geſchwiegen, die Conſervativen haben ſich nur mit großer Zu-<lb/> rückhaltung geäußert; es laſſen ſich ſonach über die Stellung dieſer<lb/> Parteien höchſtens Vermuthungen aufftellen; jedenfalls herrſchen<lb/> auch hier ſtarke Meinungsverſchiedenheiten. Im allgemeinen<lb/> glaubt man annehmen zu dürfen, daß es zu einer Verſtändi-<lb/> gung kommen werde, da der jetzige Zuſtand der wachſenden<lb/> Schädigung der Reichscaſſe kaum mehr erträglich iſt. Auf<lb/> welcher Grundlage aber das Geſetz ſchließlich zu Stande kom-<lb/> men wird, ob die Uebergangserleichterungen für die Zucker-<lb/> induſtrie vermehrt und in ihrer Dauer verlängert werden, ob<lb/> die Erhöhung der Verbrauchsabgabe durchdringen wird, dar-<lb/> über läßt ſich noch gar nichts abſehen. Ueber alle Einzelheiten<lb/> des Geſetzentwurfs wird es jedenfalls noch zu langen und<lb/> ſchwierigen Verhandlungen kommen. Die Intereſſen einer In-<lb/> duſtrie, die vermöge ihrer großen wirthſchaftlichen Bedeutung<lb/> ſorgfältige Schonung bedarf, ſtehen hier in einem ſchwer zu<lb/> verſöhnenden Gegenſatz zu den fiscaliſchen Rückſichten auf die<lb/> Neichscaſſe und zu den wirthſchaftspolitiſchen Erwägungen, die<lb/> ſich aus der Thatſache einer ſo bedeutenden Staatsunterſtützung<lb/> eines einzelnen Gewerbszweigs ergeben. Es läßt ſich aber<lb/> nicht länger vermeiden, in dieſer Angelegenheit, die ſeit<lb/> langen Jahren die weiteſten politiſchen und geſchäftlichen Kreiſe<lb/> in Anſpruch nimmt und beunruhigt, endlich einmal zu einem<lb/> entſcheidenden Schritt zu gelangen, und darum wiegt die Ueber-<lb/> zeugung vor, ein einfaches Scheitern des Geſetzes ſei nicht möglich.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <p>Im <hi rendition="#g">Abgeordnetenhauſe</hi> haben geſtern auch die Com-<lb/> miſſionen für die Landgemeindeordnung und das Volksſchul-<lb/> geſetz ihre Arbeiten begonnen. In ſämmtlichen mit der Bera-<lb/> thung der Reformgeſetze betrauten Commiſſionen zeigt ſich das<lb/> erfreuliche Beſtreben, möglichſt raſch und energiſch auf das Ziel<lb/> loszugehen. Die Steuercommiſſionen ſind in wenigen Sitzungen<lb/> unerwartet weit in ihren Berathungen fortgeſchritten. Man<lb/> wird ſonach erwarten dürfen, daß ſchon frühzeitig im neuen<lb/> Jahr das Haus ſich wieder mit dieſen Geſetzen wird befaſſen<lb/> können. Der Wiederbeginn der Plenatſitzungen wird für den<lb/> 8. Januar erwartet. Die Anberaumung des Termines iſt in<lb/> das Belieben des Präſidenten geſtellt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Im <hi rendition="#g">Herrenhauſe</hi> hat Graf v. Frankenberg den Antrag<lb/> eingebracht, die Bildung einer Behörde zu erwägen, welcher alle<lb/> Intereſſen der <hi rendition="#g">Waſſerwirthſchaft</hi> in Bezug auf die Landes-<lb/> cultur, auf Abwendung der Hochwaſſergefahren und beſſere<lb/> Ausnutzung für Schifffahrt und Gewerbe unterſtellt werden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Die <hi rendition="#g">Schulreformconferenz</hi> wird vorausſichtlich gegen<lb/> Mitte der neuen Woche ihre Berathungen ſchließen. Zunächſt<lb/> hat die Schulreformbewegung die Bildung eines <hi rendition="#g">Gymnaſial-<lb/> vereins</hi> ins Leben gerufen, welcher „die Erhaltung unſrer<lb/> Gymnaſialbildung im weſentlichen auf den bisherigen humani-<lb/> ſtiſchen Grundlagen“ anſtrebt. Der Verein, für welchen bereits<lb/> eine große Anzahl hervorragender und angeſehener Männer<lb/> ihre Mitgliedſchaft zugeſagt haben, wird ſich am Montag<lb/> (15. d. M.) in Berlin conſtituiren; er bezweckt ſelbſtverſtändlich,<lb/> ſich über ganz Deutſchland auszubreiten. Zur Begründung des<lb/> Vereins laden ein die HH. <hi rendition="#g">Albrecht</hi>-Straßburg i. E., <hi rendition="#g">Dei-<lb/> ters</hi>-Koblenz, <hi rendition="#g">Graf</hi>-Elberfeld, <hi rendition="#g">Jäger</hi>-Köln, <hi rendition="#g">Kropatſcheck</hi>-<lb/> Berlin, <hi rendition="#g">Kübler</hi>-Berlin, <hi rendition="#g">Schiller</hi>-Gießen, <hi rendition="#g">Schrader</hi>-Halle,<lb/><hi rendition="#g">Uhlig</hi>-Heidelberg — bezeichnenderweiſe ſämmtlich Mitglieder<lb/> der Conferenz.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Wie die „Köln. Ztg.“ hervorhebt, iſt in die Berathungen der<lb/><hi rendition="#g">Schulreformconferenz,</hi> ſeitdem der Miniſter ſelbſt die Lei-<lb/> tung übernommen hat, ein raſcherer Zug gekommen. An einem<lb/> wichtigen Punkt, dem Geſchichtsunterricht in Unterſecunda des<lb/> Gymnaſiums, iſt dem neuerdings betonten Grundſatz <hi rendition="#g">ſtärkerer<lb/> Berückſichtigung der neueren Geſchichte</hi> ein erſtes Zuge-<lb/> ſtändniß durch Einführung einer ausführlichen Behandlung der<lb/> Geſchichte der letzten hundert Jahre (1789 bis 1871) gemacht<lb/> worden, wodurch den mit Unterſecunda abgehenden Schülern ein<lb/> ſtarker vaterländiſcher Eindruck gleichſam mit auf den Weg gegeben<lb/> werden ſoll. Die alte Geſchichte wurde auf die Oberſecunda be-<lb/> ſchränkt: wie die „Köln. Ztg.“ hört, hätte ſelbſt ein ſchroffer Ver-<lb/> treter des jetzigen Gymnaſiallehrplans, Director Jäger aus Köln,<lb/> dem unter beſtimmten Cautelen zugeſtimmt. Außerdem wird uns<lb/> berichtet, daß Provincialſchulrath Krauſe aus Danzig mit tieſem<lb/> Ernſt und großer Wirkung auf die üblen Folgen hingewieſen habe,<lb/> welche aus der fortwährenden Verſchiebung der Negulirung der<lb/><hi rendition="#g">äußeren Verhältniſſe des Lehrerſtandes</hi> zu erwarten<lb/> ſeien. Außerdem wurde noch über höchſte Schülerziffer, Zahl der<lb/><cb/> Pflichtſtunden der Lehrer und Verwandtes geſprochen, wobei, wie<lb/> freilich zu erwarten war, Forderungen und Wünſche laut geworden<lb/> wären, die noch ſehr weit von dem Erreichbaren, geſchweige dem<lb/> Wirtlichen entfernt ſind.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Der <hi rendition="#g">Evangeliſche Oberkirchenrath</hi> hat folgenden<lb/><hi rendition="#g">Erlaß über Ehefragen</hi> veröffentlicht:</p><lb/> <cit> <quote>„Es ſind neuerdings Fälle vorgekommen, in denen confeſſionell-<lb/> gemiſchte Ehen nach vorangegangener römiſch-katholiſcher Trauung<lb/> von evangeliſchen Geiſtlichen ohne Beachtung der für evangeliſche<lb/> Trauungen vorgeſchriebenen Formen eingeſegnet worden ſind. Vei<lb/> den zu ſolchem Zwecke veranſtalteten Familienfeiern hat ſich der<lb/> mitwirkende Geiſtliche auf Anſprache, Gebet und Segensſpruch be-<lb/> ſchränkt und weder eine Beantwortung der Traufragen verlangt,<lb/> noch die agendariſche Trauformel angewandt. Ein ſolches Verfahren<lb/> muß für unzuläſſig erachtet werden. Die Kirche fordert von ihren<lb/> Gliedern, daß ſie eine Ehe nicht ohne kirchliche Mitwirkung<lb/> eingehen; die Form, in welcher dieſe Mitwirkung gefordert<lb/> und gewährt wird, iſt nach der beſtehenden kirchlichen Ord-<lb/> nung ausſchließlich die Trauung. Die Anwendung einer an-<lb/> deren Form je nach Velieben des einzelnen Geiſtlichen verbietet<lb/> ſich als eine Umgehung der beſtimmten vorgeſchriebenen litur-<lb/> giſchen Ordnung und eine die Ehre der Kirche verletzende<lb/> Zweideutigkeit. Wer die Trauung verſchmäht, verzichtet damit<lb/> überhaupt auf Mitwirkung der Kirche bei Eingehung ſeiner Ehe.<lb/> Dieſe kirchliche Mitwirkung iſt grundfätzlich auch ſolchen Mitgliedern<lb/> zu gewähren, welche eine gemiſchte Ehe eingehen, ſofern dem nicht<lb/> etwa im einzelnen Falle unzuläſſige Zuſagen in Betreff der Kinder-<lb/> erziehung oder ſonſtige beſtimmte Gründe entgegenſtehen; insbeſon-<lb/> dere gibt eine vorangegangene römiſch-katholiſche Trauung an ſich<lb/> noch keinen Grund, ſie ihnen zu verſagen, immer wird ſie auch<lb/> ihnen nur in der dafür ein- für allemal feſtſtehenden agendariſchen<lb/> Form gewährt werden können, gegenwärtig alſo in Gemäßheit der<lb/> darüber in der Trauungsordnung enthaltenen Vorſchriften. Legen<lb/> ſie auf die Trauung keinen Werth oder glauben ſie darauf mit<lb/> Rückſicht auf Zugeſtändniſſe an die Anforderungen einer fremden<lb/> Religionsgemeinſchaft verzichten zu müſſen, ſo verlieren ſie damit<lb/> jeden Anſpruch auf irgendwelche Mitwirkung der Kirche bei Ein-<lb/> gehung ihrer Ehe, und eine Betheiligung evangeliſcher Geiſtlichen<lb/> daran in Form einer freien liturgiſchen Feier oder eines abge-<lb/> ſchwächten Trauungsactes würde weder mit der Ordnung, noch mit<lb/> der Würde der Kirche vereinbar ſein. Die Geiſtlichen werden<lb/> demnach die in dieſer Nichtung an ſie gelangende Anträge abzu-<lb/> lehnen haben.“</quote> </cit> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>* <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 14. Dec.</dateline> <p>Der <hi rendition="#g">Kaiſer,</hi> welcher in der ver-<lb/> gangenen Nacht von ſeinem Jagdausflug nach Barby zurückgekehrt<lb/> war, empfing heute Mittag 12 Uhr den Erbgroßherzog von Luxemburg,<lb/> welcher die Thronbeſteigung ſeines Vaters notiſicirte. Erbgroß-<lb/> herzog Wilhelm war geſtern Abends 11 Uhr hier eingetroffen und<lb/> am Bahnhof vom Prinzen Friedrich Leopold und der Generalität<lb/> empfangen worden. Eine Compagnie der Gardefüſiliere mit Fahne<lb/> und Muſik bildete die Ehrenwache. Heute Rachmittag folgte der<lb/> Erbgroßherzog einer Einladung zur Tafel bei den kaiſerlichen<lb/> Majeſtäten. Der Erbgroßherzog führte die Kaiſerin zur Tafel, an<lb/> welcher alle Prinzen des königlichen Hauſes, der Reichskanzler,<lb/> Graf Moltke, die Miniſter v. Voetticher, v. Maybach, v. Goßler,<lb/> die oberſten Hofchargen und zahlreiche Generale theilnahmen.<lb/> Der „Poſt“ zufolge gehörten zu den Tafelgäſten Ihrer Majeſtäten auch<lb/> die ſchleswig-holſteiniſchen Herrſchaften und Prinz Aribert von Anhalt.<lb/> Vor der Taſel hatte Se. Maj. der Kaiſer noch dem Oberſchloß-<lb/> hauptmann Graſen Perponcher Audienz ertheilt. — Die Kopen-<lb/> hagener „National-Tidende“ bringt in beſtimmter Form die Nach-<lb/> richt, daß der <hi rendition="#g">Prinz Chriſtian</hi> ſich in nicht ferner Zeit nach<lb/> Berlin begeben werde, um ſeine <hi rendition="#g">Verlobung</hi> mit der Schweſter<lb/> des Kaiſers, <hi rendition="#g">Prinzeſſin Margarethe,</hi> zu feiern. Die Nach-<lb/> richt hat zwar noch keine Beſtätigung von deutſcher Seite gefunden,<lb/> da jedoch das genannte Blatt den däniſchen Hofkreiſen nahe ſteht<lb/> und als deren Organ gilt, ſo wird von der Meldung jedenfalls<lb/> Kenntniß zu nehmen ſein. Prinz Chriſtian iſt der älteſte Sohn<lb/> des däniſchen Kronprinzen, alſo vorausſichtlich der künftige König<lb/> von Dänemark. — Dem heutigen <hi rendition="#g">Dîner beim Finanzminiſter</hi><lb/> zu Ehren der Mitglieder der Einkommenſteuer- und der Gewerbe-<lb/> ſteuercommiſſion wohnten auch der Präſident des Abgeordneten-<lb/> hauſes v. Köller, Abg. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Windthorſt und Oberpräſident<lb/><hi rendition="#aq">Dr.</hi> v. Bennigſen, der auf der Durchreiſe hier verweilte, bei. In<lb/> der Unterhaltung wurden parlamentariſche Gegenſtände nicht be-<lb/> rührt. Miniſter Miquel äußerte bei Beginn des Mahles, er hoffe,<lb/> die Herren hätten Progreſſion und Degreſſion zu Hauſe gelaſſen<lb/> und würden ſich nur dem gemüthlichen Beiſammenſein hingeben. —<lb/> Heute Mittag hat im Anſchluß an den Beſchluß der Philologen-<lb/> Verſammlung in Zürich von 1887 im Architektenhauſe nach einer<lb/> Anſprache des Rectors der Greifswalder Univerſität Profeſſor<lb/><hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Reifferſcheid</hi> die Gründung einer Geſellſchaft für deutſche<lb/> Erziehungs- und Schulgeſchichte ſtattgefunden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Der <hi rendition="#g">König von Sachſen</hi> und Prinz <hi rendition="#g">Georg</hi> von Sachſen<lb/> werden am Montag Nachmittag aus Dresden hier eintreffen, um<lb/> ſpäter den Kaiſer zur Jagd nach Königs-Wuſterhauſen zu begleiten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Der Reichskanzler v. <hi rendition="#g">Caprivi</hi> hat, der „Köln. Volksztg.“<lb/> zufolge am Freitag eine längere Beſprechung mit dem Abg.<lb/><hi rendition="#g">Windthorſt</hi> gehabt. — Der japaniſche Geſandte am hieſigen<lb/> Hofe, Marquis <hi rendition="#g">Saïonzi,</hi> iſt nach Berlin zurückgekehrt und hat<lb/> die Geſchäfte der Geſandtſchaft wieder übernommen. — Der Biſchof<lb/> von Telepte, J. B. <hi rendition="#g">Anzer,</hi> apoſtol. Vicar von Süd-Schantung<lb/> in China, welcher in beſonderer Miſſion kürzlich aus China hier<lb/> eintraf und ſich dann nach Magdeburg begeben hatte, iſt hier<lb/> wieder eingetroffen. — Der türkiſche General v. <hi rendition="#g">Hobe Paſcha</hi><lb/> hat ſeine Abreiſe yerſchieben müſſen, da ſeine Gattin ernſtlich er-<lb/> krankt iſt. — Prof. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Schottmüller</hi> wird, wie die „Magdeb.<lb/> Ztg.“ hört, ſeit ſeiner Rückkehr aus Rom und ſeinem Rücktritt von<lb/> der Leitung der dortigen hiſtoriſchen Station als Hülfsarbeiter im<lb/> Unterrichtsminiſterium in der Abtheilung für das höhere Schul-<lb/> weſen beſchäftigt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Die Preiſe der <hi rendition="#g">Arbeiter-Fahrkarten</hi> ſind auf allen<lb/> preußiſchen Staatseiſenbahnen nunmehr allgemein auf 1 <hi rendition="#g">Pfennig<lb/> für den Kilometer</hi> herabgeſetzt worden. — Der <hi rendition="#g">Expreßgut-<lb/> verkehr</hi> wird auf den preußiſchen Staatsbahnen nunmehr auch<lb/> auf ſolche Stationen ausgedehnt, von und nach welchen directe<lb/> Fahrkarten nicht ausgegeben werden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>λ. <hi rendition="#b">Meiningen,</hi> 12. Dec.</dateline> <p>Der geſtern eröffneten <hi rendition="#g">Landes-<lb/> ſynode</hi> hat die Regierung drei Kirchengeſetzentwürfe, Gehaltsver-<lb/> hältniſſe der Geiſtlichen, erledigte Pfarrſtellen und die Landeskirch-<lb/> caſſe betreffend, vorgelegt. Zur Durchführung dieſer Geſetze begehrt<lb/> die Regierung aus der Landeskirchcaſſe einen Zuſchuß von 10,000<lb/> Mark für die Alterszulagen, 2000 Mark zu den Koſten der Landes-<lb/> ſynode und ſonſtiger kirchlichen Bedürfniſſe, ſowie daß die Landeskirch-<lb/> caſſe die dem Hülfsfonds obliegenden Leiſtungen unter gewiſſen<lb/> Vorausſetzungen übernimmt. Ferner verlangt die Regierung die<lb/> Ermächtigung, die im Kirchenetat von 1887 bis 1889 erübrigten<lb/> 11,000 Mark zu Remunerationen an Geiſtliche verwenden zu dürfen.<lb/> In Betreff der <hi rendition="#g">Gehaltsverhältniſſe</hi> der Geiſtlichen beſtimmt<lb/> der Geſetzentwurf, daß der Mindeſtgehalt 1800 Mark betragen ſoll.<lb/> Wenn ſolcher nach 5 Jahren nicht 2000, nach 10 nicht 2200,<lb/> nach 15 nicht 2400, nach 20 nicht 2700 und nach 30 Jahren<lb/> nicht 3000 Mark beträgt, ſo iſt der Fehlbetrag durch Alterszulagen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2/0002]
München, Montag Allgemeine Zeitung 15. December 1890. Abendblatt Nr. 347.
auch kaum eine lange Debatte veranlaſſen, namentlich je
nach den Erklärungen, welche die Regierung abgibt. Jeden-
falls iſt die rechtzeitige Erledigung des Budgets nach dem
ganzen Stande der Dinge nun ſicher.
Der beunruhigende Eindruck, welchen der plötzliche
Rücktritt des Finanzminiſters Giolitti auf einen Theil
der italieniſchen Deputirten ausgeübt hatte, iſt durch Er-
klärungen Giolitti’s, daß er nicht in die Oppoſition zu
gehen gedenke, ſowie durch die Darlegungen der Regierung
in der Verſammlung der miniſteriellen Kammermajorität
beſeitigt worden; zur Feſtigung der parlamentariſchen
Parteiverhältniſſe wird auch der Beſchluß der Gruppe
Rudini erheblich beitragen, von der Bildung einer eigenen
Fraction der Rechten abzuſehen und in dem allgemeinen
Majoritätsverbande zu verbleiben, um die Actionsfähigkeit
desſelben nicht zu beeinträchtigen. Hoffentlich beſtätigt ſich
ein in Rom colportirtes Gerücht von eruſten Differenzen
zwiſchen Hrn. Criſpi und dem Kriegsminiſter Bertolé-Viale
wegen der Abſtriche am Kriegsbudget nicht, wenngleich
gerade mit Rückſicht auf den Urſprung dieſer Mißhellig-
keiten eine Erſchütterung des Cabinets durch den Rücktritt
des Kriegsminiſters nicht zu befürchten wäre. Erſparungen
— das iſt heute das allgemeine Loſungswort in Italien,
und das Miniſterium könnte der öffentlichen Meinung
gegenüber in dieſer Hinſicht augenblicklich kaum zu viel
thun; andrerſeits muß aber feſtgehalten werden, daß auch
dem neuen Erſparungsſyſtem gewiſſe Grenzen geſteckt ſind
und daß es immerhin bedenklich wäre, gerade an dem
Kriegsbudget zu radicale Abſtriche vorzunehmen, welche
das Vertrauen in die volle Schlagſertigkeit Italiens in einer
vielleicht jählings hereinbrechenden Stunde ernſteſter
Entſcheidungen vermindern müßten. Das est modus in
rebus gilt, wie man es auch beklagen mag, wohl noch
für lange hinaus als eiſernes Nothwendigkeitsgeſetz ganz
beſonders für die Einſchränkung der Ausgaben zu mili-
täriſchen Zwecken, und auch Italien kann ſich dieſem Ge-
bote ohne Gefährdung wichtiger Daſeiusintereſſen nicht
entziehen. Uebrigens dürfte ſich auf dem Gebiete der
Verwaltung, auf welchem nach Giolitti’s Ausſage eine
„unſinnige Verſchwendung“ herrſchen ſoll, ein hinreichend
großes Feld zur Bewerkſtelligung ausgiebiger Erſparungen
bieten.
Deutſches Reich.
§§. Berlin, 14. Dec. Wenn man ſich ein Bild über
die Stellung unſrer Parteien in Reichstag und Landtag zu
machen verſucht, kommt man im weſentlichen doch zu dem
Neſultat, daß Alles noch ebenſo unklar und unſicher liegt, wie
zur Zeit der Eröffnung unſrer beiden parlamentariſchen Körper-
ſchaften. Es hat ſich die Thatſache geltend gemacht, daß nach
dem Rücktritt des Fürſten Bismarck man den werdenden Zu-
ſtänden als einem Unbekannten gegenüberſtand und gleichſam
taſtend vorging. Keine der Parteien wollte das lockende Ziel
ihrer Regierungsfähigkeit voreilig aus dem Auge verlieren und
ſo konnte es geſchehen, daß in verhältnißmäßig ruhigem Ton
Materien verhandelt wurden, bei welchen in früherer Zeit Alles
in Feuer und Flammen gerathen wäre. Daß dieſes Syſtem
parlamentariſcher und, faſt könnte man ſagen: diplomatiſcher
Taktik ſich auf die Dauer nicht wird durchführen laſſen, ſteht
jedem Einſichtigen feſt; unſicher iſt nur der Kampftermin. Wir
unſrerſeits halten es für wahrſcheinlich, daß, bei Gelegenheit
der Etatdebatten, die bisherige Haltung nicht mehr zu be-
haupten ſein wird und daß auf den ruhigen Anfang
eine ſtürmiſche Fortſetzung folgen dürfte. Auch hier aber
iſt das Ende nicht abzuſehen. Für den Neichstag
läßt ſich nur foviel mit Sicherheit ſagen, daß ſür
die Aufhebung der Lebensmittelzölle eine größere Majori-
tät ſich finden wird und daß trotz aller Gegenwirkung
ein Beſchluß für die Aufhebung des Jeſuitengeſetzes ebenfalls
mit Sicherheit erwartet werden kann. Im Reichstag iſt heute
das Geſtirn Windthorſts herrſchend und das Jeſuitengeſetz der
Prüfſtein der Parteien. Von der Stellung, welche die Parteien
zu dieſem Geſetz einhalten, wird es abhängen, welche Zugeſtänd-
niſſe ſie von den 105 Stimmen des Centrums erhalten können,
und das wird in allen Fragen mitſpielen. Die Situation wird
noch verwickelter, weil ſich voraueſehen läßt, daß der Bundes-
rath gegen die Aufhebung des Jeſuitengeſetzes beſchließen wird,
was gewiß Niemand genauer überſchaut, als der vielgewandte
Führer des Centrums. Es handelt ſich alſo in dieſem Kampfe
im Grunde nicht um die Erreichung eines ſofort eintretenden,
mit Händen greifbaren Erfolges, ſondern um ein geiſtiges
Canoſſa des Reichstages, deſſen Folgen dann freilich Windt-
horſt zu gute kämen. Wohl aber könnte die Abſtimmung des
Reichstags das Material zu einer höchſt gefährlichen und auf-
regenden Agitation in den Bundesſtaaten liefern, deren „Nein“
den Antrag Windthorſt zu Fall brächte. (? D. R. Das In-
tereſſe der Bevölkerungen an der Rückberufung der Jeſuiten
ſcheint da umſomehr überſchätzt zu werden, als die Geiſtlichkeit
ſelbſt damit nichts weniger als einverſtanden iſt.) Was aus den
Verhandlungen der Commiſſionen des Abgeordnetenhauſes
an die Oeffentlichkeit tritt, iſt ebenfalls nicht gerade dazu angethan,
optimiſtiſche Erwartungen wachzurufen. Das Volksſchulgeſetz
wird aller Wahrſcheinlichkeit nach fallen, und es iſt nicht aus-
geſchloſſen, daß in Folge der Modiſicationen, welche die Vor-
lage in den, wie wir hören, ſehr erregten Verhandlungen der
Commiſſion erfahren hat, auch die Nationalliberalen dagegen
ſtimmen. Ebenſo heftig wogt der Kampf über die Steuer-
reform, die gleichfalls in veränderter Geſtalt aus der Commiſſion
hervorgehen wird, und zwar nach der Richtung, daß die Be-
ſtimmungen über die Declarationspflicht abgeſchwächt werden
und die Erbſchaftsſteuer ganz beſeitigt wird. Aus Kreiſen, die
den Verhandlungen in der Commiſſion nicht fremd ſind, iſt
uns die Bemerkung entgegengetreten, daß, wenn man
die Klagen der einzelnen wirthſchaftlichen Gruppen aus dem
Munde ihrer Advocaten in der Commiſſion anhöre, man leicht
die Vorſtellung gewinnen könnte, daß Deutſchland ſich in einem
Stadium tieſſten materiellen Niederganges befinde. Handwerk,
Ackerbau, Kaufmannsſtand, Induſtrie, Beamtenthum, den Ge-
lehrtenſtand nicht zu vergeſſen — alle würden ſie erdrückt durch
die Laſt unerträglicher Steuern und dabei trinkt man in Deutſch-
land jahraus, jahrein für 3 Milliarden Mark Vier, Wein und
andere Spirituoſen. Die Zahl klingt unglaublich, iſt aber
richtig und ſie dürfte durch ihre erſtaunliche Höhe beweiſen,
daß das deutſche Volk für die ernſten Vedürfniſſe des Staates
doch noch Geld übrig haben ſollte. Der Vergleich zwiſchen
der Steuerlaſt Deutſchlands, Englands und Frankreichs,
19 M. bei uns zu 35 M. in England und 55 M. in Frank-
reich, iſt ſo beweiſend, daß man in ernſten patriotiſchen Kreiſen
von übermäßigem oder gar unerlräglichem Druck zu reden Ve-
denken tragen müßte. Die vom Finanzminiſter jetzt geplante
gerechtere Vertheilung der Steuerlaſt iſt zweifellos eine Wohl-
that, wird aber als ſolche nur empfunden werden, wenn ſie nicht
durch allzu freigebige Streichungen von Commiſſion und Land-
tag zu einer Minderung der Machtmittel des Staates führt.
Denn auch vom Staate gilt das Wort: Geld iſt Macht.
┸ Berlin, 14. Dec. Die Errichtung eines gemeinſamen
Unfallkranken- und Reconvaleſcentenhauſes für ſämmt-
liche Berufsgenoffenſchaften in Berlin iſt bekanntlich bereits ſeit
längerer Zeit im Werke, nachdem auf einem früheren Berufs-
genoſſenſchaftstage die Anlage ſolcher Häuſer ſeitens der Genoſſen-
ſchaften angeregt worden war. Ueber die Herſtellungskoſten iſt
vor kurzem, wie gemeldet, eine Verſtändigung mit dem Reichsver-
ſicherungsamte dahin erreicht worden, daß dieſelben durch eine An-
leihe mit ſtarker Amortiſation zu beſchaffen wären. Gegenwärtig
handelt es ſich nur darum, zunächſt eine ſichere Unterlage für den
Umfang zu gewinnen, den man der Anſtalt zu geben hätte. In
der Sache hat nun am Freitag eine Vorbeſprechung des geſchäfts-
führenden Ausſchuſſes des Genoſſenſchaftsverbandes unter Vorſitz
des Commercienrathes Röſicke ſtattgefunden, wobei beſchloſſen
wurde, einen Fragebogen bierüber an die in Berlin ſitzenden Sec-
tionen der Berufsgenoſſenſchaften zu verſenden. Nach dem Ein-
gehen der Antworten ſollen dann weitere Vorlagen ausgearbeitet
und eine Verſammlung ſämmtlicher Vertreter zur Beſchlußfaſſung
einberufen werden.
= Berlin, 14. Dec. Der Reichstag hat ſich bis zum
13. Januar vertagt und wird alsdann ſeine Thätigkeit mit
der lang verſchobenen Berathung über die Anträge auf Ab-
ſchaffung, beziehungsweiſe Ermäßigung der landwirthſchaft-
lichen Zölle wieder aufnehmen. Die Commiſſionen werden
ſchon ein paar Tage früher ihre Arbeiten beginnen oder fort-
ſetzen. Das Plenum wird ſich nach Neujahr zunächſt haupt-
ſächlich mit der zweiten Etatsberathung und dem Arbeiter-
ſchutzgeſetz zu beſchäftigen haben, über welches letztere der Com-
miſſionsbericht während der Vertagung erſcheinen dürfte. Von
ſonſtigen größeren Vorlagen bleiben alsdann namentlich noch
diejenigen über Reform der Zuckerſteuer, über Aenderung des
Krankenverſicherungs- und des Patentgeſetzes, über den Schutz
von Gebrauchsmuſtern zu erledigen. Es erſcheint wohl mög-
lich, mit dieſen Arbeiten vor Oſtern, alſo etwa bis zum 20. März,
fertig zu werden, wie auch der Präſident in Ausſicht ſtellte.
Die Ausſichten des Zuckerſteuergeſetzes, welches der
Reichstag vorgeſtern in eine Commiſſion verwieſen hat, ſind
freilich noch ganz unſicher, da alle Parteien in dieſer Frage ge-
ſpalten ſind. Das Centrum hat in der vorgeſtrigen Verhand-
lung geſchwiegen, die Conſervativen haben ſich nur mit großer Zu-
rückhaltung geäußert; es laſſen ſich ſonach über die Stellung dieſer
Parteien höchſtens Vermuthungen aufftellen; jedenfalls herrſchen
auch hier ſtarke Meinungsverſchiedenheiten. Im allgemeinen
glaubt man annehmen zu dürfen, daß es zu einer Verſtändi-
gung kommen werde, da der jetzige Zuſtand der wachſenden
Schädigung der Reichscaſſe kaum mehr erträglich iſt. Auf
welcher Grundlage aber das Geſetz ſchließlich zu Stande kom-
men wird, ob die Uebergangserleichterungen für die Zucker-
induſtrie vermehrt und in ihrer Dauer verlängert werden, ob
die Erhöhung der Verbrauchsabgabe durchdringen wird, dar-
über läßt ſich noch gar nichts abſehen. Ueber alle Einzelheiten
des Geſetzentwurfs wird es jedenfalls noch zu langen und
ſchwierigen Verhandlungen kommen. Die Intereſſen einer In-
duſtrie, die vermöge ihrer großen wirthſchaftlichen Bedeutung
ſorgfältige Schonung bedarf, ſtehen hier in einem ſchwer zu
verſöhnenden Gegenſatz zu den fiscaliſchen Rückſichten auf die
Neichscaſſe und zu den wirthſchaftspolitiſchen Erwägungen, die
ſich aus der Thatſache einer ſo bedeutenden Staatsunterſtützung
eines einzelnen Gewerbszweigs ergeben. Es läßt ſich aber
nicht länger vermeiden, in dieſer Angelegenheit, die ſeit
langen Jahren die weiteſten politiſchen und geſchäftlichen Kreiſe
in Anſpruch nimmt und beunruhigt, endlich einmal zu einem
entſcheidenden Schritt zu gelangen, und darum wiegt die Ueber-
zeugung vor, ein einfaches Scheitern des Geſetzes ſei nicht möglich.
Im Abgeordnetenhauſe haben geſtern auch die Com-
miſſionen für die Landgemeindeordnung und das Volksſchul-
geſetz ihre Arbeiten begonnen. In ſämmtlichen mit der Bera-
thung der Reformgeſetze betrauten Commiſſionen zeigt ſich das
erfreuliche Beſtreben, möglichſt raſch und energiſch auf das Ziel
loszugehen. Die Steuercommiſſionen ſind in wenigen Sitzungen
unerwartet weit in ihren Berathungen fortgeſchritten. Man
wird ſonach erwarten dürfen, daß ſchon frühzeitig im neuen
Jahr das Haus ſich wieder mit dieſen Geſetzen wird befaſſen
können. Der Wiederbeginn der Plenatſitzungen wird für den
8. Januar erwartet. Die Anberaumung des Termines iſt in
das Belieben des Präſidenten geſtellt.
Im Herrenhauſe hat Graf v. Frankenberg den Antrag
eingebracht, die Bildung einer Behörde zu erwägen, welcher alle
Intereſſen der Waſſerwirthſchaft in Bezug auf die Landes-
cultur, auf Abwendung der Hochwaſſergefahren und beſſere
Ausnutzung für Schifffahrt und Gewerbe unterſtellt werden.
Die Schulreformconferenz wird vorausſichtlich gegen
Mitte der neuen Woche ihre Berathungen ſchließen. Zunächſt
hat die Schulreformbewegung die Bildung eines Gymnaſial-
vereins ins Leben gerufen, welcher „die Erhaltung unſrer
Gymnaſialbildung im weſentlichen auf den bisherigen humani-
ſtiſchen Grundlagen“ anſtrebt. Der Verein, für welchen bereits
eine große Anzahl hervorragender und angeſehener Männer
ihre Mitgliedſchaft zugeſagt haben, wird ſich am Montag
(15. d. M.) in Berlin conſtituiren; er bezweckt ſelbſtverſtändlich,
ſich über ganz Deutſchland auszubreiten. Zur Begründung des
Vereins laden ein die HH. Albrecht-Straßburg i. E., Dei-
ters-Koblenz, Graf-Elberfeld, Jäger-Köln, Kropatſcheck-
Berlin, Kübler-Berlin, Schiller-Gießen, Schrader-Halle,
Uhlig-Heidelberg — bezeichnenderweiſe ſämmtlich Mitglieder
der Conferenz.
Wie die „Köln. Ztg.“ hervorhebt, iſt in die Berathungen der
Schulreformconferenz, ſeitdem der Miniſter ſelbſt die Lei-
tung übernommen hat, ein raſcherer Zug gekommen. An einem
wichtigen Punkt, dem Geſchichtsunterricht in Unterſecunda des
Gymnaſiums, iſt dem neuerdings betonten Grundſatz ſtärkerer
Berückſichtigung der neueren Geſchichte ein erſtes Zuge-
ſtändniß durch Einführung einer ausführlichen Behandlung der
Geſchichte der letzten hundert Jahre (1789 bis 1871) gemacht
worden, wodurch den mit Unterſecunda abgehenden Schülern ein
ſtarker vaterländiſcher Eindruck gleichſam mit auf den Weg gegeben
werden ſoll. Die alte Geſchichte wurde auf die Oberſecunda be-
ſchränkt: wie die „Köln. Ztg.“ hört, hätte ſelbſt ein ſchroffer Ver-
treter des jetzigen Gymnaſiallehrplans, Director Jäger aus Köln,
dem unter beſtimmten Cautelen zugeſtimmt. Außerdem wird uns
berichtet, daß Provincialſchulrath Krauſe aus Danzig mit tieſem
Ernſt und großer Wirkung auf die üblen Folgen hingewieſen habe,
welche aus der fortwährenden Verſchiebung der Negulirung der
äußeren Verhältniſſe des Lehrerſtandes zu erwarten
ſeien. Außerdem wurde noch über höchſte Schülerziffer, Zahl der
Pflichtſtunden der Lehrer und Verwandtes geſprochen, wobei, wie
freilich zu erwarten war, Forderungen und Wünſche laut geworden
wären, die noch ſehr weit von dem Erreichbaren, geſchweige dem
Wirtlichen entfernt ſind.
Der Evangeliſche Oberkirchenrath hat folgenden
Erlaß über Ehefragen veröffentlicht:
„Es ſind neuerdings Fälle vorgekommen, in denen confeſſionell-
gemiſchte Ehen nach vorangegangener römiſch-katholiſcher Trauung
von evangeliſchen Geiſtlichen ohne Beachtung der für evangeliſche
Trauungen vorgeſchriebenen Formen eingeſegnet worden ſind. Vei
den zu ſolchem Zwecke veranſtalteten Familienfeiern hat ſich der
mitwirkende Geiſtliche auf Anſprache, Gebet und Segensſpruch be-
ſchränkt und weder eine Beantwortung der Traufragen verlangt,
noch die agendariſche Trauformel angewandt. Ein ſolches Verfahren
muß für unzuläſſig erachtet werden. Die Kirche fordert von ihren
Gliedern, daß ſie eine Ehe nicht ohne kirchliche Mitwirkung
eingehen; die Form, in welcher dieſe Mitwirkung gefordert
und gewährt wird, iſt nach der beſtehenden kirchlichen Ord-
nung ausſchließlich die Trauung. Die Anwendung einer an-
deren Form je nach Velieben des einzelnen Geiſtlichen verbietet
ſich als eine Umgehung der beſtimmten vorgeſchriebenen litur-
giſchen Ordnung und eine die Ehre der Kirche verletzende
Zweideutigkeit. Wer die Trauung verſchmäht, verzichtet damit
überhaupt auf Mitwirkung der Kirche bei Eingehung ſeiner Ehe.
Dieſe kirchliche Mitwirkung iſt grundfätzlich auch ſolchen Mitgliedern
zu gewähren, welche eine gemiſchte Ehe eingehen, ſofern dem nicht
etwa im einzelnen Falle unzuläſſige Zuſagen in Betreff der Kinder-
erziehung oder ſonſtige beſtimmte Gründe entgegenſtehen; insbeſon-
dere gibt eine vorangegangene römiſch-katholiſche Trauung an ſich
noch keinen Grund, ſie ihnen zu verſagen, immer wird ſie auch
ihnen nur in der dafür ein- für allemal feſtſtehenden agendariſchen
Form gewährt werden können, gegenwärtig alſo in Gemäßheit der
darüber in der Trauungsordnung enthaltenen Vorſchriften. Legen
ſie auf die Trauung keinen Werth oder glauben ſie darauf mit
Rückſicht auf Zugeſtändniſſe an die Anforderungen einer fremden
Religionsgemeinſchaft verzichten zu müſſen, ſo verlieren ſie damit
jeden Anſpruch auf irgendwelche Mitwirkung der Kirche bei Ein-
gehung ihrer Ehe, und eine Betheiligung evangeliſcher Geiſtlichen
daran in Form einer freien liturgiſchen Feier oder eines abge-
ſchwächten Trauungsactes würde weder mit der Ordnung, noch mit
der Würde der Kirche vereinbar ſein. Die Geiſtlichen werden
demnach die in dieſer Nichtung an ſie gelangende Anträge abzu-
lehnen haben.“
* Berlin, 14. Dec. Der Kaiſer, welcher in der ver-
gangenen Nacht von ſeinem Jagdausflug nach Barby zurückgekehrt
war, empfing heute Mittag 12 Uhr den Erbgroßherzog von Luxemburg,
welcher die Thronbeſteigung ſeines Vaters notiſicirte. Erbgroß-
herzog Wilhelm war geſtern Abends 11 Uhr hier eingetroffen und
am Bahnhof vom Prinzen Friedrich Leopold und der Generalität
empfangen worden. Eine Compagnie der Gardefüſiliere mit Fahne
und Muſik bildete die Ehrenwache. Heute Rachmittag folgte der
Erbgroßherzog einer Einladung zur Tafel bei den kaiſerlichen
Majeſtäten. Der Erbgroßherzog führte die Kaiſerin zur Tafel, an
welcher alle Prinzen des königlichen Hauſes, der Reichskanzler,
Graf Moltke, die Miniſter v. Voetticher, v. Maybach, v. Goßler,
die oberſten Hofchargen und zahlreiche Generale theilnahmen.
Der „Poſt“ zufolge gehörten zu den Tafelgäſten Ihrer Majeſtäten auch
die ſchleswig-holſteiniſchen Herrſchaften und Prinz Aribert von Anhalt.
Vor der Taſel hatte Se. Maj. der Kaiſer noch dem Oberſchloß-
hauptmann Graſen Perponcher Audienz ertheilt. — Die Kopen-
hagener „National-Tidende“ bringt in beſtimmter Form die Nach-
richt, daß der Prinz Chriſtian ſich in nicht ferner Zeit nach
Berlin begeben werde, um ſeine Verlobung mit der Schweſter
des Kaiſers, Prinzeſſin Margarethe, zu feiern. Die Nach-
richt hat zwar noch keine Beſtätigung von deutſcher Seite gefunden,
da jedoch das genannte Blatt den däniſchen Hofkreiſen nahe ſteht
und als deren Organ gilt, ſo wird von der Meldung jedenfalls
Kenntniß zu nehmen ſein. Prinz Chriſtian iſt der älteſte Sohn
des däniſchen Kronprinzen, alſo vorausſichtlich der künftige König
von Dänemark. — Dem heutigen Dîner beim Finanzminiſter
zu Ehren der Mitglieder der Einkommenſteuer- und der Gewerbe-
ſteuercommiſſion wohnten auch der Präſident des Abgeordneten-
hauſes v. Köller, Abg. Dr. Windthorſt und Oberpräſident
Dr. v. Bennigſen, der auf der Durchreiſe hier verweilte, bei. In
der Unterhaltung wurden parlamentariſche Gegenſtände nicht be-
rührt. Miniſter Miquel äußerte bei Beginn des Mahles, er hoffe,
die Herren hätten Progreſſion und Degreſſion zu Hauſe gelaſſen
und würden ſich nur dem gemüthlichen Beiſammenſein hingeben. —
Heute Mittag hat im Anſchluß an den Beſchluß der Philologen-
Verſammlung in Zürich von 1887 im Architektenhauſe nach einer
Anſprache des Rectors der Greifswalder Univerſität Profeſſor
Dr. Reifferſcheid die Gründung einer Geſellſchaft für deutſche
Erziehungs- und Schulgeſchichte ſtattgefunden.
Der König von Sachſen und Prinz Georg von Sachſen
werden am Montag Nachmittag aus Dresden hier eintreffen, um
ſpäter den Kaiſer zur Jagd nach Königs-Wuſterhauſen zu begleiten.
Der Reichskanzler v. Caprivi hat, der „Köln. Volksztg.“
zufolge am Freitag eine längere Beſprechung mit dem Abg.
Windthorſt gehabt. — Der japaniſche Geſandte am hieſigen
Hofe, Marquis Saïonzi, iſt nach Berlin zurückgekehrt und hat
die Geſchäfte der Geſandtſchaft wieder übernommen. — Der Biſchof
von Telepte, J. B. Anzer, apoſtol. Vicar von Süd-Schantung
in China, welcher in beſonderer Miſſion kürzlich aus China hier
eintraf und ſich dann nach Magdeburg begeben hatte, iſt hier
wieder eingetroffen. — Der türkiſche General v. Hobe Paſcha
hat ſeine Abreiſe yerſchieben müſſen, da ſeine Gattin ernſtlich er-
krankt iſt. — Prof. Dr. Schottmüller wird, wie die „Magdeb.
Ztg.“ hört, ſeit ſeiner Rückkehr aus Rom und ſeinem Rücktritt von
der Leitung der dortigen hiſtoriſchen Station als Hülfsarbeiter im
Unterrichtsminiſterium in der Abtheilung für das höhere Schul-
weſen beſchäftigt.
Die Preiſe der Arbeiter-Fahrkarten ſind auf allen
preußiſchen Staatseiſenbahnen nunmehr allgemein auf 1 Pfennig
für den Kilometer herabgeſetzt worden. — Der Expreßgut-
verkehr wird auf den preußiſchen Staatsbahnen nunmehr auch
auf ſolche Stationen ausgedehnt, von und nach welchen directe
Fahrkarten nicht ausgegeben werden.
λ. Meiningen, 12. Dec. Der geſtern eröffneten Landes-
ſynode hat die Regierung drei Kirchengeſetzentwürfe, Gehaltsver-
hältniſſe der Geiſtlichen, erledigte Pfarrſtellen und die Landeskirch-
caſſe betreffend, vorgelegt. Zur Durchführung dieſer Geſetze begehrt
die Regierung aus der Landeskirchcaſſe einen Zuſchuß von 10,000
Mark für die Alterszulagen, 2000 Mark zu den Koſten der Landes-
ſynode und ſonſtiger kirchlichen Bedürfniſſe, ſowie daß die Landeskirch-
caſſe die dem Hülfsfonds obliegenden Leiſtungen unter gewiſſen
Vorausſetzungen übernimmt. Ferner verlangt die Regierung die
Ermächtigung, die im Kirchenetat von 1887 bis 1889 erübrigten
11,000 Mark zu Remunerationen an Geiſtliche verwenden zu dürfen.
In Betreff der Gehaltsverhältniſſe der Geiſtlichen beſtimmt
der Geſetzentwurf, daß der Mindeſtgehalt 1800 Mark betragen ſoll.
Wenn ſolcher nach 5 Jahren nicht 2000, nach 10 nicht 2200,
nach 15 nicht 2400, nach 20 nicht 2700 und nach 30 Jahren
nicht 3000 Mark beträgt, ſo iſt der Fehlbetrag durch Alterszulagen
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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