Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 3. Februar 1850.[Spaltenumbruch]
Verbesserungen, z. B. insbesondere geringeres Vorherrschen des fiskali- (Beschluß folgt.) Die Justizreformen in Ungarn. # Wien, 28 Jan. Die Urtheile die man über die neuen rück- Die Regierung selbst aber hat bei den legislativen Reformen in [Spaltenumbruch]
Verbeſſerungen, z. B. insbeſondere geringeres Vorherrſchen des fiskali- (Beſchluß folgt.) Die Juſtizreformen in Ungarn. # Wien, 28 Jan. Die Urtheile die man über die neuen rück- Die Regierung ſelbſt aber hat bei den legislativen Reformen in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0013" n="541"/><cb/> Verbeſſerungen, z. B. insbeſondere geringeres Vorherrſchen des fiskali-<lb/> ſchen Intereſſe in der Civilprocedur. Hierauf wendet ſich der Vortrag<lb/> zum Gutachten über die einzelnen Theile des Entwurfes. (Hr. <hi rendition="#g">Heintz</hi><lb/> macht dazu folgende offene und <hi rendition="#g">gemüthliche</hi> Bemerkung: „Der von mir<lb/> im Februar 1849 bei der Kammer der Abgeordneten eingebrachte Geſetz-<lb/> entwurf hat dem vorliegenden Entwurf zur Grundlage gedient und gibt<lb/> manche Artikel wirklich wieder. Wenn ich deſſenungeachtet auch bei dieſen<lb/> Artikeln Modificationen beantrage, ſo diene mir als Entſchuldigung daß ich,<lb/> müde und erſchöpft von den Anſtrengungen welche die Einführung des<lb/> neuen Verfahrens in Straſſachen erheiſcht haben und in der ſichern Vor-<lb/> ausſicht meines baldigen Rücktritts, jenem Entwurf die gewohnte Auf-<lb/> merkſamkeit nicht mehr ſchenken konnte und die Sorge hiefür meinem<lb/> Amtsnachfolger überlaſſen wollte.“) Die Einzelvorſchläge des Referats<lb/> und ihre Begründung hier mitzutheilen, würde zu weit führen; es genügt<lb/> die leitenden Geſichtspunkte angegeben zu haben. Dieſes zu Ende No-<lb/> vembers v. J. gefertigte Referat kam zuerſt am 15 Dec. in dem combinir-<lb/> ten erſten und dritten Ausſchuß zur Berathung. Hier warf Hr. <hi rendition="#g">Heintz</hi><lb/> vor allem die Frage auf ob den Richtern auch in Zukunft die Proceß-<lb/> inſtruction und die Execution belaſſen, oder dieſe wie in der Pfalz beſon-<lb/> deren Beamten, Huiſſiers, gegeben und der Richter auf die Rechtsſprechung<lb/> beſchränkt werden ſolle. Der Juſtizminiſter v. <hi rendition="#g">Kleinſchrod</hi> will dieſe<lb/> wichtige Frage dem noch nicht vollendeten Civilproceßgeſetz vorbehalten<lb/> wiſſen. Das Hauptprincip, die Trennung der Juſtiz und Adminiſtration,<lb/> ſoll als dem Volke feierlichſt verſprochen, nicht verſchoben, vielmehr dem<lb/> jetzigen Verfahren angepaßt werden. Modificationen in der Organiſa-<lb/> tion ließen ſich dann immer noch anbringen, Verwirrung und Ueber-<lb/> ladung ſtänden aber eher dann in Ausſicht, wenn man auf das dem Ent-<lb/> wurf entgegengeſetzte Verfahren eingehen wollte. Mehrere Ausſchuß-<lb/> mitglieder betheiligten ſich ſofort an der folgenden Debatte, theils um dem<lb/> Referenten für ſeine klare Arbeit zu danken, theils um zu beklagen daß<lb/> die Organiſation ohne neues Verfahren eingeführt werde, daß nicht min-<lb/> deſtens ein vollſtändiges Bild der beabſichtigten Organiſation gegeben und<lb/> daran die transitoriſchen Beſtimmungen gehängt wurden; jedenfalls ſolle<lb/> man in dem allgemeinen Theil keine Beſtimmungen treffen welche künf-<lb/> tige Aenderungen oder Erſparungen an der Zahl der Gerichte und ihrer<lb/> Mitglieder auf anderem als geſetzlichem Wege ausſchließen. Die weiteren<lb/> Vota und Berathungen führten dazu daß der Ausſchuß den Geſetzentwurf<lb/> in der Art auffaßte daß die erſten fünf Abtheilungen (Art. 1 bis 64) die<lb/> Gerichtsorganiſation ſo feſtſetzen ſollen, wie ſie nicht nur dem im vorigen<lb/> Jahr eingeführten Strafproceß, ſondern auch dem neu einzuführenden<lb/> Civilproceß entſpricht; daß ferner die Schlußbeſtimmungen des Ent-<lb/> wurfs transitoriſcher Natur ſeyen und bis zur Einführung der neuen<lb/> Geſetze eine dem noch geltenden Verfahren entſprechende Modification der<lb/> neuen Gerichtsorganiſation enthalten ſollen. Da indeſſen in Folge der<lb/> Berathung Bedenken dagegen ſich erhoben, ſo fand man ſich bewogen den<lb/> ganzen Entwurf als den Entwurf eines Geſetzes aufzufaſſen, welches zwar<lb/> inſoferne definitiv ſey als es den Organismus, die Zahl und die Beſtel-<lb/> lung der Gerichte im allgemeinen und vorbehaltlich künftiger Perſonal-<lb/> reductionen betrifft, inſoweit aber nur als proviſoriſches Geſetz erſcheine<lb/> als es von dem Wirkungskreiſe der einzelnen Kategorien der Gerichte<lb/> handelt und auf das bisherige Gerichtsverfahren ſich bezieht. Kommt es<lb/> dann zu einem neuen Proceßgeſetzbuche, ſo bleiben zwar die neu conſti-<lb/> tuirten Gerichte, es können und werden aber Modificationen des jetzt zu<lb/> berathenden Geſetzes nothwendig werden. Gegenüber den Heintz’ſchen<lb/> Andeutungen iſt ſodann aus den Ausſchußverhandlungen noch die Aeuße-<lb/> rung des Juſtizminiſters eine befriedigende: „er ſey bei der Ausarbeitung<lb/> des Entwurfs von der Anſicht ausgegangen daß die Richter in Zukunft<lb/> ihre Thätigkeit lediglich der eigentlichen Beſtimmung des Richters, dem<lb/> Rechtſprechen, widmen ſollten; die freiwillige Gerichtsbarkeit, das Cura-<lb/> tel-, Verlaſſenſchafts- und Hypothekenweſen ꝛc. ſolle daher von dem Rich-<lb/> teramte getrennt und deren Beſorgung beſonderen Beamten übertragen<lb/> werden, da dieſe Geſchäfte weniger juriſtiſche Kenntniſſe als große Ge-<lb/> nauigkeit und Uebung erforderten, was insbeſondere von der Führung derHypothekenbücher gelte.“</p><lb/> <p> <hi rendition="#g">(Beſchluß folgt.)</hi> </p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Die Juſtizreformen in Ungarn.</hi> </hi> </head><lb/> <dateline># <hi rendition="#b">Wien,</hi> 28 Jan.</dateline> <p>Die Urtheile die man über die neuen rück-<lb/> ſichtlich Ungarns erlaſſenen Juſtizgeſetze im Lande und außerhalb des-<lb/> ſelben, namentlich in den öffentlichen Blättern vernimmt, lauten ſehr<lb/> verſchieden. Die öffentliche Meinung in Oeſterreich ſowohl wie auch in<lb/> Deutſchland zeigt ſich dadurch nicht beſonders befriedigt, und betrachtet<lb/> das als einen ſehr geringen Fortſchritt, während die Ungarn ſelbſt darin<lb/> bereits eine Radicalcur zu erblicken geneigt ſind. Beide Theile ſind da-<lb/> bei im Recht und zugleich auch ſehr im Unrecht. Bei allen Dingen dieſer<lb/><cb/> Art entſcheidet vor allem der Maßſtab den man bei Beurtheilung geſetz-<lb/> geberiſcher Leiſtungen anzulegen ſich veranlaßt ſieht. In ganz Deutſch-<lb/> land und ſo auch in unſerem eigenen Lande iſt dieſer ein ganz allgemeiner,<lb/> nämlich der objectiven wiſſenſchaftlichen Beurtheilung entnommener, und<lb/> das mit Grund, da man ja allenthalben von Ungarn, mit Ausnahme<lb/> weniger Touriſtenſchilderungen, auch nicht die entfernteſte Idee hat, und<lb/> daher alles nach den Begriffen die rückſichtlich der legislativen Bedürf-<lb/> niſſe in civiliſirten Ländern gelten, betrachtet. Von dieſem Standpunkte<lb/> aus können die neuen dürftigen Beſtimmungen welche die Competenz der<lb/> neuen Strafgerichte und das Verfahren in Straffällen normiren, nicht<lb/> anders als lau aufgenommen werden, indem ja dieſes alles in jedem<lb/> civiliſirten Lande ſchon vorlängſt beſteht. Ja auch die neuen Grund- und<lb/> Intabulationsbücher, die gegenwärtig zunächſt nur rückſichtlich des nicht<lb/> adeligen Grundbeſitzes und in rein permiſſiver Weiſe eingeführt wurden,<lb/> können da wo man an einen geordneten Grundbeſitz und an Hypotheken-<lb/> ämter oder andere derlei öffentliche Bücher in vollkommener Weiſe längſt<lb/> gewohnt iſt, nicht wohl auf beſonderen Beifall Anſpruch machen. Die<lb/> Ungarn dagegen, die wieder, außer den althergebrachten Inſtitutionen<lb/> ihres Landes, von den öffentlichen Einrichtungen und der Geſetzgebung<lb/> anderer Länder Europa’s, ja ſelbſt von jenen in den ſogenannten öſter-<lb/> reichiſchen Erblanden beinahe gar keine Kenntniß hatten oder doch wenig-<lb/> ſtens davon bisher ſo gut wie gar nicht Notiz nahmen, ſtaunen ſchon dieſe<lb/> erſten Anfänge moderner Geſetzgebung als etwas ganz außerordentliches<lb/> an, ſind jedoch, mit geringen Ausnahmen von unverbeſſerlichen Orthodoxen<lb/> welche an den altmagyariſchen Traditionen als einem Nationalheiligthum<lb/> feſthalten, gerne bereit die Vorzüge der neuen Einrichtungen zuzugeſtehen.<lb/> Dankbarkeit iſt nicht die letzte der Tugenden des ungariſchen National-<lb/> charakters, der in neuerer Zeit gar häufig Gegenſtand herabwürdigenden<lb/> Urtheils, das er wahrlich nicht verdient, geworden iſt, und ſie wird ſich<lb/> auch gewiß, wenn die Regierung auf dem bisher bei den Juſtizreformen<lb/> eingeſchlagenen Wege beharrt, in lohnender Weiſe bewähren. Das ein-<lb/> zige was der Ungar beinahe gar nicht zu faſſen vermag, iſt daß dem Lande<lb/> eine Wohlthat zu Theil werden ſolle durch Acte der Geſetzgebung an<lb/> denen er nicht ſelbſt unmittelbar Antheil genommen hat. In dieſer Be-<lb/> ziehung wurzelt das conſtitutionelle Bewußtſeyn tief im Herzen des ganzen<lb/> Volks und wird nicht leicht zu zerſtören ſeyn. Schlagende Erfolge allein<lb/> werden ihn in dieſer Hinſicht zu bekehren vermögen.</p><lb/> <p>Die Regierung ſelbſt aber hat bei den legislativen Reformen in<lb/> Ungarn, die nunmehr durchgreifend zur Ausführung kommen müſſen,<lb/> ungeheure Schwierigkeiten zu überwinden. Dieß zeigt ſich in keinem<lb/> Zweige mehr als in jenem der Juſtizgeſetzgebung. Man hat es dem<lb/> Miniſterium von einigen Seiten zum Vorwurf gemacht daß es nicht ohne<lb/> weiteres die vollſtändigen öſterreichiſchen Geſetzbücher in Ungarn einführt<lb/> und ſo mit einem Schlage dem Unweſen der alten Geſetze ein Ende machte.<lb/> Diejenigen welche ſo ſprechen, haben Frankreich im Auge, von welchem<lb/> aus im Anfange dieſes Jahrhunderts unter ähnlichen Verhältniſſen die<lb/> Geſetzgebung der neuen eroberten Länder ausging, und ohne viele Weit-<lb/> läuftigkeiten in jedem Lande welches franzöſiſche Armeen in Beſitz ge-<lb/> nommen, ſofort auch die franzöſiſchen Geſetzbücher und franzöſiſche Ge-<lb/> richtseinrichtungen eingebürgert wurden. Leider war dieſes Verfahren,<lb/> das allerdings der öſterreichiſchen Regierung ſehr nahe liegen mochte, in<lb/> Ungarn rein unmöglich. Wäre Oeſterreich das junge aufſtrebende Reich<lb/> geweſen wie das Frankreich jener Jahre, das unter den Siegen ſeiner<lb/> Waffen auch zugleich im Innern einen vollſtändigen geiſtigen und poli-<lb/> tiſchen Umſchwung mit Erfolg beſtanden, und aus den Kämpfen der Re-<lb/> volution gekräftigt und, im Beſitz der vollkommenſten Inſtitutionen jener<lb/> Zeit, als ein Gegenſtand der Bewunderung der übrigen Völker hervor-<lb/> gegangen, ſo konnte man ſich allerdings daran wagen mit einem kühnen<lb/> Schritt in das Chaoſ das der bewältigte ungariſche Aufſtand zurückge-<lb/> laſſen, Licht, Ordnung und Recht hineinzuführen, und mit einem gewal-<lb/> tigen Streich den gordiſchen Knoten zu durchhauen den Jahrhunderte ge-<lb/> ſchürzt und die Beſtrebungen der Beſten und Einſichtsvollſten im Lande<lb/> bisher auch nicht im entfernteſten zu löſen vermocht hatten. Auch da<lb/> wäre es noch eine Rieſenaufgabe geweſen dieſes Werk, zu deſſen Aus-<lb/> führung zahlreiche tüchtige Kräfte im Lande nothwendig geweſen wären,<lb/> bei dem fortgeſetzten paſſiven Widerſtande der altconſervativen Partei und<lb/> bei der unläugbaren Unreife und höchſt oberflächlichen Bildung des zur<lb/> Handhabung ſo ganz neuer Geſetze zu berufenden Landesadels ſowohl wie<lb/> des Beamten- und Advocatenſtandes in ſo kurzer Friſt auszuführen. Aber<lb/> ſo gut ſtand es in Oeſterreich nicht. Die Geſetzgebung der übrigen öſter-<lb/> reichiſchen Länder, obwohl für die Zeit aus welcher ſie herſtammt ein<lb/> Meiſterwerk und einer gedeihlichen Fortentwickelung fähig, war doch mit<lb/> den Forderungen der Zeit nicht in gleichem Maße fortgeſchritten. Die<lb/> Bewegung des Jahres 1848 aber hatte wohl dazu gedient den alten Bau<lb/> zu zertrümmern, nicht aber ſchaffende Kräfte genug in die Höhe getrieben<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [541/0013]
Verbeſſerungen, z. B. insbeſondere geringeres Vorherrſchen des fiskali-
ſchen Intereſſe in der Civilprocedur. Hierauf wendet ſich der Vortrag
zum Gutachten über die einzelnen Theile des Entwurfes. (Hr. Heintz
macht dazu folgende offene und gemüthliche Bemerkung: „Der von mir
im Februar 1849 bei der Kammer der Abgeordneten eingebrachte Geſetz-
entwurf hat dem vorliegenden Entwurf zur Grundlage gedient und gibt
manche Artikel wirklich wieder. Wenn ich deſſenungeachtet auch bei dieſen
Artikeln Modificationen beantrage, ſo diene mir als Entſchuldigung daß ich,
müde und erſchöpft von den Anſtrengungen welche die Einführung des
neuen Verfahrens in Straſſachen erheiſcht haben und in der ſichern Vor-
ausſicht meines baldigen Rücktritts, jenem Entwurf die gewohnte Auf-
merkſamkeit nicht mehr ſchenken konnte und die Sorge hiefür meinem
Amtsnachfolger überlaſſen wollte.“) Die Einzelvorſchläge des Referats
und ihre Begründung hier mitzutheilen, würde zu weit führen; es genügt
die leitenden Geſichtspunkte angegeben zu haben. Dieſes zu Ende No-
vembers v. J. gefertigte Referat kam zuerſt am 15 Dec. in dem combinir-
ten erſten und dritten Ausſchuß zur Berathung. Hier warf Hr. Heintz
vor allem die Frage auf ob den Richtern auch in Zukunft die Proceß-
inſtruction und die Execution belaſſen, oder dieſe wie in der Pfalz beſon-
deren Beamten, Huiſſiers, gegeben und der Richter auf die Rechtsſprechung
beſchränkt werden ſolle. Der Juſtizminiſter v. Kleinſchrod will dieſe
wichtige Frage dem noch nicht vollendeten Civilproceßgeſetz vorbehalten
wiſſen. Das Hauptprincip, die Trennung der Juſtiz und Adminiſtration,
ſoll als dem Volke feierlichſt verſprochen, nicht verſchoben, vielmehr dem
jetzigen Verfahren angepaßt werden. Modificationen in der Organiſa-
tion ließen ſich dann immer noch anbringen, Verwirrung und Ueber-
ladung ſtänden aber eher dann in Ausſicht, wenn man auf das dem Ent-
wurf entgegengeſetzte Verfahren eingehen wollte. Mehrere Ausſchuß-
mitglieder betheiligten ſich ſofort an der folgenden Debatte, theils um dem
Referenten für ſeine klare Arbeit zu danken, theils um zu beklagen daß
die Organiſation ohne neues Verfahren eingeführt werde, daß nicht min-
deſtens ein vollſtändiges Bild der beabſichtigten Organiſation gegeben und
daran die transitoriſchen Beſtimmungen gehängt wurden; jedenfalls ſolle
man in dem allgemeinen Theil keine Beſtimmungen treffen welche künf-
tige Aenderungen oder Erſparungen an der Zahl der Gerichte und ihrer
Mitglieder auf anderem als geſetzlichem Wege ausſchließen. Die weiteren
Vota und Berathungen führten dazu daß der Ausſchuß den Geſetzentwurf
in der Art auffaßte daß die erſten fünf Abtheilungen (Art. 1 bis 64) die
Gerichtsorganiſation ſo feſtſetzen ſollen, wie ſie nicht nur dem im vorigen
Jahr eingeführten Strafproceß, ſondern auch dem neu einzuführenden
Civilproceß entſpricht; daß ferner die Schlußbeſtimmungen des Ent-
wurfs transitoriſcher Natur ſeyen und bis zur Einführung der neuen
Geſetze eine dem noch geltenden Verfahren entſprechende Modification der
neuen Gerichtsorganiſation enthalten ſollen. Da indeſſen in Folge der
Berathung Bedenken dagegen ſich erhoben, ſo fand man ſich bewogen den
ganzen Entwurf als den Entwurf eines Geſetzes aufzufaſſen, welches zwar
inſoferne definitiv ſey als es den Organismus, die Zahl und die Beſtel-
lung der Gerichte im allgemeinen und vorbehaltlich künftiger Perſonal-
reductionen betrifft, inſoweit aber nur als proviſoriſches Geſetz erſcheine
als es von dem Wirkungskreiſe der einzelnen Kategorien der Gerichte
handelt und auf das bisherige Gerichtsverfahren ſich bezieht. Kommt es
dann zu einem neuen Proceßgeſetzbuche, ſo bleiben zwar die neu conſti-
tuirten Gerichte, es können und werden aber Modificationen des jetzt zu
berathenden Geſetzes nothwendig werden. Gegenüber den Heintz’ſchen
Andeutungen iſt ſodann aus den Ausſchußverhandlungen noch die Aeuße-
rung des Juſtizminiſters eine befriedigende: „er ſey bei der Ausarbeitung
des Entwurfs von der Anſicht ausgegangen daß die Richter in Zukunft
ihre Thätigkeit lediglich der eigentlichen Beſtimmung des Richters, dem
Rechtſprechen, widmen ſollten; die freiwillige Gerichtsbarkeit, das Cura-
tel-, Verlaſſenſchafts- und Hypothekenweſen ꝛc. ſolle daher von dem Rich-
teramte getrennt und deren Beſorgung beſonderen Beamten übertragen
werden, da dieſe Geſchäfte weniger juriſtiſche Kenntniſſe als große Ge-
nauigkeit und Uebung erforderten, was insbeſondere von der Führung derHypothekenbücher gelte.“
(Beſchluß folgt.)
Die Juſtizreformen in Ungarn.
# Wien, 28 Jan. Die Urtheile die man über die neuen rück-
ſichtlich Ungarns erlaſſenen Juſtizgeſetze im Lande und außerhalb des-
ſelben, namentlich in den öffentlichen Blättern vernimmt, lauten ſehr
verſchieden. Die öffentliche Meinung in Oeſterreich ſowohl wie auch in
Deutſchland zeigt ſich dadurch nicht beſonders befriedigt, und betrachtet
das als einen ſehr geringen Fortſchritt, während die Ungarn ſelbſt darin
bereits eine Radicalcur zu erblicken geneigt ſind. Beide Theile ſind da-
bei im Recht und zugleich auch ſehr im Unrecht. Bei allen Dingen dieſer
Art entſcheidet vor allem der Maßſtab den man bei Beurtheilung geſetz-
geberiſcher Leiſtungen anzulegen ſich veranlaßt ſieht. In ganz Deutſch-
land und ſo auch in unſerem eigenen Lande iſt dieſer ein ganz allgemeiner,
nämlich der objectiven wiſſenſchaftlichen Beurtheilung entnommener, und
das mit Grund, da man ja allenthalben von Ungarn, mit Ausnahme
weniger Touriſtenſchilderungen, auch nicht die entfernteſte Idee hat, und
daher alles nach den Begriffen die rückſichtlich der legislativen Bedürf-
niſſe in civiliſirten Ländern gelten, betrachtet. Von dieſem Standpunkte
aus können die neuen dürftigen Beſtimmungen welche die Competenz der
neuen Strafgerichte und das Verfahren in Straffällen normiren, nicht
anders als lau aufgenommen werden, indem ja dieſes alles in jedem
civiliſirten Lande ſchon vorlängſt beſteht. Ja auch die neuen Grund- und
Intabulationsbücher, die gegenwärtig zunächſt nur rückſichtlich des nicht
adeligen Grundbeſitzes und in rein permiſſiver Weiſe eingeführt wurden,
können da wo man an einen geordneten Grundbeſitz und an Hypotheken-
ämter oder andere derlei öffentliche Bücher in vollkommener Weiſe längſt
gewohnt iſt, nicht wohl auf beſonderen Beifall Anſpruch machen. Die
Ungarn dagegen, die wieder, außer den althergebrachten Inſtitutionen
ihres Landes, von den öffentlichen Einrichtungen und der Geſetzgebung
anderer Länder Europa’s, ja ſelbſt von jenen in den ſogenannten öſter-
reichiſchen Erblanden beinahe gar keine Kenntniß hatten oder doch wenig-
ſtens davon bisher ſo gut wie gar nicht Notiz nahmen, ſtaunen ſchon dieſe
erſten Anfänge moderner Geſetzgebung als etwas ganz außerordentliches
an, ſind jedoch, mit geringen Ausnahmen von unverbeſſerlichen Orthodoxen
welche an den altmagyariſchen Traditionen als einem Nationalheiligthum
feſthalten, gerne bereit die Vorzüge der neuen Einrichtungen zuzugeſtehen.
Dankbarkeit iſt nicht die letzte der Tugenden des ungariſchen National-
charakters, der in neuerer Zeit gar häufig Gegenſtand herabwürdigenden
Urtheils, das er wahrlich nicht verdient, geworden iſt, und ſie wird ſich
auch gewiß, wenn die Regierung auf dem bisher bei den Juſtizreformen
eingeſchlagenen Wege beharrt, in lohnender Weiſe bewähren. Das ein-
zige was der Ungar beinahe gar nicht zu faſſen vermag, iſt daß dem Lande
eine Wohlthat zu Theil werden ſolle durch Acte der Geſetzgebung an
denen er nicht ſelbſt unmittelbar Antheil genommen hat. In dieſer Be-
ziehung wurzelt das conſtitutionelle Bewußtſeyn tief im Herzen des ganzen
Volks und wird nicht leicht zu zerſtören ſeyn. Schlagende Erfolge allein
werden ihn in dieſer Hinſicht zu bekehren vermögen.
Die Regierung ſelbſt aber hat bei den legislativen Reformen in
Ungarn, die nunmehr durchgreifend zur Ausführung kommen müſſen,
ungeheure Schwierigkeiten zu überwinden. Dieß zeigt ſich in keinem
Zweige mehr als in jenem der Juſtizgeſetzgebung. Man hat es dem
Miniſterium von einigen Seiten zum Vorwurf gemacht daß es nicht ohne
weiteres die vollſtändigen öſterreichiſchen Geſetzbücher in Ungarn einführt
und ſo mit einem Schlage dem Unweſen der alten Geſetze ein Ende machte.
Diejenigen welche ſo ſprechen, haben Frankreich im Auge, von welchem
aus im Anfange dieſes Jahrhunderts unter ähnlichen Verhältniſſen die
Geſetzgebung der neuen eroberten Länder ausging, und ohne viele Weit-
läuftigkeiten in jedem Lande welches franzöſiſche Armeen in Beſitz ge-
nommen, ſofort auch die franzöſiſchen Geſetzbücher und franzöſiſche Ge-
richtseinrichtungen eingebürgert wurden. Leider war dieſes Verfahren,
das allerdings der öſterreichiſchen Regierung ſehr nahe liegen mochte, in
Ungarn rein unmöglich. Wäre Oeſterreich das junge aufſtrebende Reich
geweſen wie das Frankreich jener Jahre, das unter den Siegen ſeiner
Waffen auch zugleich im Innern einen vollſtändigen geiſtigen und poli-
tiſchen Umſchwung mit Erfolg beſtanden, und aus den Kämpfen der Re-
volution gekräftigt und, im Beſitz der vollkommenſten Inſtitutionen jener
Zeit, als ein Gegenſtand der Bewunderung der übrigen Völker hervor-
gegangen, ſo konnte man ſich allerdings daran wagen mit einem kühnen
Schritt in das Chaoſ das der bewältigte ungariſche Aufſtand zurückge-
laſſen, Licht, Ordnung und Recht hineinzuführen, und mit einem gewal-
tigen Streich den gordiſchen Knoten zu durchhauen den Jahrhunderte ge-
ſchürzt und die Beſtrebungen der Beſten und Einſichtsvollſten im Lande
bisher auch nicht im entfernteſten zu löſen vermocht hatten. Auch da
wäre es noch eine Rieſenaufgabe geweſen dieſes Werk, zu deſſen Aus-
führung zahlreiche tüchtige Kräfte im Lande nothwendig geweſen wären,
bei dem fortgeſetzten paſſiven Widerſtande der altconſervativen Partei und
bei der unläugbaren Unreife und höchſt oberflächlichen Bildung des zur
Handhabung ſo ganz neuer Geſetze zu berufenden Landesadels ſowohl wie
des Beamten- und Advocatenſtandes in ſo kurzer Friſt auszuführen. Aber
ſo gut ſtand es in Oeſterreich nicht. Die Geſetzgebung der übrigen öſter-
reichiſchen Länder, obwohl für die Zeit aus welcher ſie herſtammt ein
Meiſterwerk und einer gedeihlichen Fortentwickelung fähig, war doch mit
den Forderungen der Zeit nicht in gleichem Maße fortgeſchritten. Die
Bewegung des Jahres 1848 aber hatte wohl dazu gedient den alten Bau
zu zertrümmern, nicht aber ſchaffende Kräfte genug in die Höhe getrieben
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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