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Allgemeine Zeitung, Nr. 35, 29. August 1914.

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29. August 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] tung für das furchtbare Verbrechen dieses
Krieges und alle seine Folgen für die Entwick-
lung des Reiches Gottes auf Erden von unserm
Volk und seiner Regierung abweisen dürfen
und müssen. Aus tiefster Ueberzeugung müssen
wir sie denen zuschieben, die das Netz der Kriegs-
verschwörung gegen Deutschland seit lange im
Verborgenen arglistig gesponnen und jetzt über
uns geworfen haben, um uns zu ersticken
.

Wir wenden uns an das Gewissen unserer christlichen
Brüder im Auslande und schieben ihnen die Frage zu, was Gott
jetzt von ihnen erwartet, und was geschehen kann und muß, damit
nicht durch Verblendung und Ruchlosigkeit in der großen Gottes-
stunde der Weltmission die Christenheit ihrer Kraft und Legitima-
tion zum Botendienst an die nichtchristliche Menschheit beraubt
werde.

Der heilige Gott führt seine Sache auch durch den Sturm der
Kriegsgreuel und läßt sich durch menschliche Bosheit sein Ziel nicht
verrücken. So treten wir vor ihn mit dem Gebet:

"Dein Name werde geheiliget!
Dein Reich komme!
Dein Wille geschehe!"

Feuilleton
Der Krieg und die Münchener Theater.

So wie in alle Lebensverhältnisse, so hat der europä-
ische Krieg auch in alle Gebiete der Kunst, das Wort im
weitesten Sinne genommen, eingegriffen. Nicht nur inso-
fern, als die Künstler aus ihrer friedlichen Tätigkeit vielfach
herausgerissen worden sind, hinaus auf das Feld der Ehre,
sondern, weil auch das genießende Publikum vor dem Lärm
der Waffen und dem furchtbarem Ernst der Lage die Genuß-
fähigkeit eingebüßt hat. Unsere Ausstellungssäle stehen ver-
ödet, und die Künstlerkorporationen beraten sich eben, wie
den vielfach brotlos gewordenen Künstlern -- wie viele
waren es schon vor dem Kriege! -- zu helfen sei. Ganz
ähnlich steht es mit den Theatern. Wohl sind auch hier
Viele in den harten Dienst der Waffen getreten, aber eben-
soviele sind zurückgeblieben, ohne die Möglichkeit ihre Kunst
auszuüben und stehen vor der Gefahr, wenn ihre Muse an-
haltend schweigt, Arbeit und Brot zu verlieren. Das war
wohl auch der Hauptgrund, weshalb man hier und ander-
wärts die Wiedereröffnung der Theater gestattet hat. Da-
mit ist es nun freilich nicht getan: das Theater braucht nicht
nur darstellende Künstler um wirken zu können, sondern es
braucht vor allem auch ein Publikum für das, was es dar-
stellen will. Und da hapert es vielfach noch. Es ist ja so
begreiflich, daß vor allem jene zahllosen Familien, aus denen
der Vater, der Gatte, der Sohn oder Bruder hinaus ins
Feld gezogen ist, wenig Lust haben, die Abende im Theater
zuzubringen. Mit banger Sorge sehen sie den Nachrichten
von den Kriegsschauplätzen entgegen, und für jene gar, denen
dort vielleicht das Liebste gefallen, hat das Theater wohl für
lange Zeit, ja vielleicht für immer, alle Reize verloren. Aber
es ist da noch ein anderer Grund. Jene überaus seichte, ja
frivole Unterhaltungsliteratur, die unsere Bühnen bis zum
Ausbruch des Krieges immer ausschließlicher beherrschte, ist
nun vor diesem großen Ereignis in ihrer ganzen Wertlosig-
keit zusammengebrochen. Oft und oft ist es gesagt worden:
ein langer Frieden ist zwar allen Künsten günstig, er läßt
aber auch alle Schattenseiten derselben üppig ins Kraut
schießen. So ein Krieg ist wie ein großartiges reinigendes
Gewitter: alles Falsche und Unechte wird weggewaschen, und
nur das Gute, Wahre und Schöne bleibt und kann neben
ihn bestehen. Das ist eine ganz andere und viel einschneiden-
dere "Umwertung aller Werte" als die unserer Aestheten.
Wenn man in diesem Augenblick so wenig Sinn für
das Theater hat, ja sich mit Ekel von ihm abwendet, so ist
gerade das Theater, wie es vor dem Kriege war, mit daran
schuld. Diesen selben Gedanken finde ich gerade in diesen
Tagen in einem zur Berliner Theatereröffnung geschriebe-
nen Feuilleton der "Deutschen Tageszeitung" ausgesprochen.
[Spaltenumbruch] Der Verfasser liest dort den Berliner Theaterleitern in zor-
nigen Worten den Text. Da aber Berlin bekanntlich zuletzt
für alle deutschen Theater eine gewisse Führung für sich in
Anspruch genommen hat, gilt, was er sagt, heute auch für
jede andere Stadt. Er sagt: "Daß sogar leidenschaftliche
Kunstfreunde den krampfhaften Versuchen, die "Saison zu
eröffnen", zornig ablehnend gegenüberstehen, und daß man-
chem schon das bloße Wort Theater eine Kränkung vaterlän-
dischen Empfindens scheint, daran hat niemand schuld als
unsere Bühnenleiter selbst. Jn einer süddeutschen Stadt,
deren berufene Führer ihren Bürgern mit weihevollem Ernst
die Bedeutung des heiligen Krieges vor Augen gerückt und
die vorbildlich für eine würdige Haltung der Bevölkerung
gesorgt haben, in dieser Stadt sind dem Theaterspiel wäh-
rend des Feldzuges maßgebende Fürsprecher entstanden. Es
diene dazu, die ungeheure Spannung zu besänftigen und zu
lösen; es bringe abends die Menschen in festlicher Stimmung
zusammen und ermögliche ihnen nachbarliche Aussprache,
Mitteilungen von Meldungen und Briefen aus dem Lager.
Wichtige Nachrichten könnten von der Bühne herab verkün-
det werden und fänden dann doppelt begeisterten Widerhall,
und was das Beste sei: an der Hand unserer Dichter lerne
die Menge den Wert echten Heldentums kennen. Alles
große Geschehene erscheine verklärt; im goldenen Lichte der
Poesie reife und veredle sich die Vaterlandsliebe. -- Man
blickt verwundert von den Zeilen auf, die so hohen Tons die
Bühne als moralische Anstalt preisen. Wo stehen denn die
Musentempel, die dies reiche Lob verdienen? Jn der ver-
gangenen Spielzeit sind wir ihnen selten begegnet... Die
erdrückende Mehrheit der Schaubühnen jedoch pflegte aus-
schließlich seichteste und leichteste Possen-Literatur, und viele
fraßen Staub mit Lust. Schändliche Zotenreißerei war
Trumpf; wer sich dagegen aufbäumte, den lachte man als
rückständig und unweltstädtisch aus. Gewiß, das große
Publikum bevorzugte diese Kost. Es drängte sich in die
albernsten und frechsten Operetten, hatte Witterung nur für
Fäulnis und dreiste Eindeutigkeiten. "Abends will man
doch nicht nachdenken, abends will man amüsiert werden
und die Arbeit des Tages vergessen." Theater, die dieser
Stimmung entgegenkamen, machten das beste Geschäft, und
ein Geschäft zu machen, nichts als ein Geschäft zu machen,
war der einzige Grundsatz, den sie hatten. Seit Jahren ist
hier darauf hingewiesen worden, daß diese Art des Betrie-
bes die Theater notwendig zugrunde richten mußte. Jm
Variete, im Zirkus, in Singspielhallen mit und ohne Nacht-
konzession, schließlich im Kino fand das künstlich der ernsten
Kunst entwöhnte Volk reichere Befriedigung seiner Triebe
als auf der Bühne. Selbstmörderisch hat sie gegen ihre
eigene Existenz gewütet. Und nun ist es dahin gekommen,
daß man unter Theater nicht mehr den Tempel der Schiller
und Kleist, sondern ein Amüsierlokal versteht. Gut für ge-
fahrlose, üppige Zeiten, unerträglich in Jahren, wo mit blan-
kem Eisen um die Zukunft unseres Volkes gerungen wird!

Warnt das jäh aufgesprungene Menetekel nicht? Merkt
keiner von den überschlauen Geschäftsleuten, wie töricht und
verbrecherisch sie gehandelt haben?

Wohl möchten sie jetzt alles im Handumdrehen wieder
gut machen. Jch weiß nicht, wieviele Berliner Bühnen für
das kommende Spieljahr Kleists Hermannsschlacht angekün-
digt haben. Die ernstesten und wuchtigsten Dramen werden
aus dem Staub der Archive herausgesucht. Und nur Schöp-
fungen deutscher Dichter. Noch im Frühsommer las man's
anders: wieder drohte eine Ueberschwemmung mit den Wer-
ken ausländischer und inländischer Schriftsteller, deren Haupt-
talent in ihrer Gepfeffertheit besteht. Zumal die Ausländer
sollten reichlich zu Worte kommen. Seit 1871 beherrschten
sie ja die Bretter, die angeblich die deutsche Welt bedeuteten
-- kein jämmerliches französisches Ehebruchsstück, kein russi-
scher Schmarren war zu schlecht, als daß man sie nicht brüh-
warm uns kosmopolitischen, internationalen usw. Deutschen
aufgetischt hätte...

Ein Tropfen Fegefeuer ist den Theaterleuten von heute
in die Augen gespritzt. Wie lange ihre erzwungene Besse-
rung anhält, möge unerörtert bleiben. Jedenfalls zeigen sie
die innere Kraft ihrer Bekehrung nicht gerade dadurch an,

29. Auguſt 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] tung für das furchtbare Verbrechen dieſes
Krieges und alle ſeine Folgen für die Entwick-
lung des Reiches Gottes auf Erden von unſerm
Volk und ſeiner Regierung abweiſen dürfen
und müſſen. Aus tiefſter Ueberzeugung müſſen
wir ſie denen zuſchieben, die das Netz der Kriegs-
verſchwörung gegen Deutſchland ſeit lange im
Verborgenen argliſtig geſponnen und jetzt über
uns geworfen haben, um uns zu erſticken
.

Wir wenden uns an das Gewiſſen unſerer chriſtlichen
Brüder im Auslande und ſchieben ihnen die Frage zu, was Gott
jetzt von ihnen erwartet, und was geſchehen kann und muß, damit
nicht durch Verblendung und Ruchloſigkeit in der großen Gottes-
ſtunde der Weltmiſſion die Chriſtenheit ihrer Kraft und Legitima-
tion zum Botendienſt an die nichtchriſtliche Menſchheit beraubt
werde.

Der heilige Gott führt ſeine Sache auch durch den Sturm der
Kriegsgreuel und läßt ſich durch menſchliche Bosheit ſein Ziel nicht
verrücken. So treten wir vor ihn mit dem Gebet:

„Dein Name werde geheiliget!
Dein Reich komme!
Dein Wille geſchehe!“

Feuilleton
Der Krieg und die Münchener Theater.

So wie in alle Lebensverhältniſſe, ſo hat der europä-
iſche Krieg auch in alle Gebiete der Kunſt, das Wort im
weiteſten Sinne genommen, eingegriffen. Nicht nur inſo-
fern, als die Künſtler aus ihrer friedlichen Tätigkeit vielfach
herausgeriſſen worden ſind, hinaus auf das Feld der Ehre,
ſondern, weil auch das genießende Publikum vor dem Lärm
der Waffen und dem furchtbarem Ernſt der Lage die Genuß-
fähigkeit eingebüßt hat. Unſere Ausſtellungsſäle ſtehen ver-
ödet, und die Künſtlerkorporationen beraten ſich eben, wie
den vielfach brotlos gewordenen Künſtlern — wie viele
waren es ſchon vor dem Kriege! — zu helfen ſei. Ganz
ähnlich ſteht es mit den Theatern. Wohl ſind auch hier
Viele in den harten Dienſt der Waffen getreten, aber eben-
ſoviele ſind zurückgeblieben, ohne die Möglichkeit ihre Kunſt
auszuüben und ſtehen vor der Gefahr, wenn ihre Muſe an-
haltend ſchweigt, Arbeit und Brot zu verlieren. Das war
wohl auch der Hauptgrund, weshalb man hier und ander-
wärts die Wiedereröffnung der Theater geſtattet hat. Da-
mit iſt es nun freilich nicht getan: das Theater braucht nicht
nur darſtellende Künſtler um wirken zu können, ſondern es
braucht vor allem auch ein Publikum für das, was es dar-
ſtellen will. Und da hapert es vielfach noch. Es iſt ja ſo
begreiflich, daß vor allem jene zahlloſen Familien, aus denen
der Vater, der Gatte, der Sohn oder Bruder hinaus ins
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zuzubringen. Mit banger Sorge ſehen ſie den Nachrichten
von den Kriegsſchauplätzen entgegen, und für jene gar, denen
dort vielleicht das Liebſte gefallen, hat das Theater wohl für
lange Zeit, ja vielleicht für immer, alle Reize verloren. Aber
es iſt da noch ein anderer Grund. Jene überaus ſeichte, ja
frivole Unterhaltungsliteratur, die unſere Bühnen bis zum
Ausbruch des Krieges immer ausſchließlicher beherrſchte, iſt
nun vor dieſem großen Ereignis in ihrer ganzen Wertloſig-
keit zuſammengebrochen. Oft und oft iſt es geſagt worden:
ein langer Frieden iſt zwar allen Künſten günſtig, er läßt
aber auch alle Schattenſeiten derſelben üppig ins Kraut
ſchießen. So ein Krieg iſt wie ein großartiges reinigendes
Gewitter: alles Falſche und Unechte wird weggewaſchen, und
nur das Gute, Wahre und Schöne bleibt und kann neben
ihn beſtehen. Das iſt eine ganz andere und viel einſchneiden-
dere „Umwertung aller Werte“ als die unſerer Aeſtheten.
Wenn man in dieſem Augenblick ſo wenig Sinn für
das Theater hat, ja ſich mit Ekel von ihm abwendet, ſo iſt
gerade das Theater, wie es vor dem Kriege war, mit daran
ſchuld. Dieſen ſelben Gedanken finde ich gerade in dieſen
Tagen in einem zur Berliner Theatereröffnung geſchriebe-
nen Feuilleton der „Deutſchen Tageszeitung“ ausgeſprochen.
[Spaltenumbruch] Der Verfaſſer lieſt dort den Berliner Theaterleitern in zor-
nigen Worten den Text. Da aber Berlin bekanntlich zuletzt
für alle deutſchen Theater eine gewiſſe Führung für ſich in
Anſpruch genommen hat, gilt, was er ſagt, heute auch für
jede andere Stadt. Er ſagt: „Daß ſogar leidenſchaftliche
Kunſtfreunde den krampfhaften Verſuchen, die „Saiſon zu
eröffnen“, zornig ablehnend gegenüberſtehen, und daß man-
chem ſchon das bloße Wort Theater eine Kränkung vaterlän-
diſchen Empfindens ſcheint, daran hat niemand ſchuld als
unſere Bühnenleiter ſelbſt. Jn einer ſüddeutſchen Stadt,
deren berufene Führer ihren Bürgern mit weihevollem Ernſt
die Bedeutung des heiligen Krieges vor Augen gerückt und
die vorbildlich für eine würdige Haltung der Bevölkerung
geſorgt haben, in dieſer Stadt ſind dem Theaterſpiel wäh-
rend des Feldzuges maßgebende Fürſprecher entſtanden. Es
diene dazu, die ungeheure Spannung zu beſänftigen und zu
löſen; es bringe abends die Menſchen in feſtlicher Stimmung
zuſammen und ermögliche ihnen nachbarliche Ausſprache,
Mitteilungen von Meldungen und Briefen aus dem Lager.
Wichtige Nachrichten könnten von der Bühne herab verkün-
det werden und fänden dann doppelt begeiſterten Widerhall,
und was das Beſte ſei: an der Hand unſerer Dichter lerne
die Menge den Wert echten Heldentums kennen. Alles
große Geſchehene erſcheine verklärt; im goldenen Lichte der
Poeſie reife und veredle ſich die Vaterlandsliebe. — Man
blickt verwundert von den Zeilen auf, die ſo hohen Tons die
Bühne als moraliſche Anſtalt preiſen. Wo ſtehen denn die
Muſentempel, die dies reiche Lob verdienen? Jn der ver-
gangenen Spielzeit ſind wir ihnen ſelten begegnet... Die
erdrückende Mehrheit der Schaubühnen jedoch pflegte aus-
ſchließlich ſeichteſte und leichteſte Poſſen-Literatur, und viele
fraßen Staub mit Luſt. Schändliche Zotenreißerei war
Trumpf; wer ſich dagegen aufbäumte, den lachte man als
rückſtändig und unweltſtädtiſch aus. Gewiß, das große
Publikum bevorzugte dieſe Koſt. Es drängte ſich in die
albernſten und frechſten Operetten, hatte Witterung nur für
Fäulnis und dreiſte Eindeutigkeiten. „Abends will man
doch nicht nachdenken, abends will man amüſiert werden
und die Arbeit des Tages vergeſſen.“ Theater, die dieſer
Stimmung entgegenkamen, machten das beſte Geſchäft, und
ein Geſchäft zu machen, nichts als ein Geſchäft zu machen,
war der einzige Grundſatz, den ſie hatten. Seit Jahren iſt
hier darauf hingewieſen worden, daß dieſe Art des Betrie-
bes die Theater notwendig zugrunde richten mußte. Jm
Varieté, im Zirkus, in Singſpielhallen mit und ohne Nacht-
konzeſſion, ſchließlich im Kino fand das künſtlich der ernſten
Kunſt entwöhnte Volk reichere Befriedigung ſeiner Triebe
als auf der Bühne. Selbſtmörderiſch hat ſie gegen ihre
eigene Exiſtenz gewütet. Und nun iſt es dahin gekommen,
daß man unter Theater nicht mehr den Tempel der Schiller
und Kleiſt, ſondern ein Amüſierlokal verſteht. Gut für ge-
fahrloſe, üppige Zeiten, unerträglich in Jahren, wo mit blan-
kem Eiſen um die Zukunft unſeres Volkes gerungen wird!

Warnt das jäh aufgeſprungene Menetekel nicht? Merkt
keiner von den überſchlauen Geſchäftsleuten, wie töricht und
verbrecheriſch ſie gehandelt haben?

Wohl möchten ſie jetzt alles im Handumdrehen wieder
gut machen. Jch weiß nicht, wieviele Berliner Bühnen für
das kommende Spieljahr Kleiſts Hermannsſchlacht angekün-
digt haben. Die ernſteſten und wuchtigſten Dramen werden
aus dem Staub der Archive herausgeſucht. Und nur Schöp-
fungen deutſcher Dichter. Noch im Frühſommer las man’s
anders: wieder drohte eine Ueberſchwemmung mit den Wer-
ken ausländiſcher und inländiſcher Schriftſteller, deren Haupt-
talent in ihrer Gepfeffertheit beſteht. Zumal die Ausländer
ſollten reichlich zu Worte kommen. Seit 1871 beherrſchten
ſie ja die Bretter, die angeblich die deutſche Welt bedeuteten
— kein jämmerliches franzöſiſches Ehebruchsſtück, kein ruſſi-
ſcher Schmarren war zu ſchlecht, als daß man ſie nicht brüh-
warm uns kosmopolitiſchen, internationalen uſw. Deutſchen
aufgetiſcht hätte...

Ein Tropfen Fegefeuer iſt den Theaterleuten von heute
in die Augen geſpritzt. Wie lange ihre erzwungene Beſſe-
rung anhält, möge unerörtert bleiben. Jedenfalls zeigen ſie
die innere Kraft ihrer Bekehrung nicht gerade dadurch an,
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[533/0007] 29. Auguſt 1914. Allgemeine Zeitung tung für das furchtbare Verbrechen dieſes Krieges und alle ſeine Folgen für die Entwick- lung des Reiches Gottes auf Erden von unſerm Volk und ſeiner Regierung abweiſen dürfen und müſſen. Aus tiefſter Ueberzeugung müſſen wir ſie denen zuſchieben, die das Netz der Kriegs- verſchwörung gegen Deutſchland ſeit lange im Verborgenen argliſtig geſponnen und jetzt über uns geworfen haben, um uns zu erſticken. Wir wenden uns an das Gewiſſen unſerer chriſtlichen Brüder im Auslande und ſchieben ihnen die Frage zu, was Gott jetzt von ihnen erwartet, und was geſchehen kann und muß, damit nicht durch Verblendung und Ruchloſigkeit in der großen Gottes- ſtunde der Weltmiſſion die Chriſtenheit ihrer Kraft und Legitima- tion zum Botendienſt an die nichtchriſtliche Menſchheit beraubt werde. Der heilige Gott führt ſeine Sache auch durch den Sturm der Kriegsgreuel und läßt ſich durch menſchliche Bosheit ſein Ziel nicht verrücken. So treten wir vor ihn mit dem Gebet: „Dein Name werde geheiliget! Dein Reich komme! Dein Wille geſchehe!“ Feuilleton Der Krieg und die Münchener Theater. So wie in alle Lebensverhältniſſe, ſo hat der europä- iſche Krieg auch in alle Gebiete der Kunſt, das Wort im weiteſten Sinne genommen, eingegriffen. Nicht nur inſo- fern, als die Künſtler aus ihrer friedlichen Tätigkeit vielfach herausgeriſſen worden ſind, hinaus auf das Feld der Ehre, ſondern, weil auch das genießende Publikum vor dem Lärm der Waffen und dem furchtbarem Ernſt der Lage die Genuß- fähigkeit eingebüßt hat. Unſere Ausſtellungsſäle ſtehen ver- ödet, und die Künſtlerkorporationen beraten ſich eben, wie den vielfach brotlos gewordenen Künſtlern — wie viele waren es ſchon vor dem Kriege! — zu helfen ſei. Ganz ähnlich ſteht es mit den Theatern. Wohl ſind auch hier Viele in den harten Dienſt der Waffen getreten, aber eben- ſoviele ſind zurückgeblieben, ohne die Möglichkeit ihre Kunſt auszuüben und ſtehen vor der Gefahr, wenn ihre Muſe an- haltend ſchweigt, Arbeit und Brot zu verlieren. Das war wohl auch der Hauptgrund, weshalb man hier und ander- wärts die Wiedereröffnung der Theater geſtattet hat. Da- mit iſt es nun freilich nicht getan: das Theater braucht nicht nur darſtellende Künſtler um wirken zu können, ſondern es braucht vor allem auch ein Publikum für das, was es dar- ſtellen will. Und da hapert es vielfach noch. Es iſt ja ſo begreiflich, daß vor allem jene zahlloſen Familien, aus denen der Vater, der Gatte, der Sohn oder Bruder hinaus ins Feld gezogen iſt, wenig Luſt haben, die Abende im Theater zuzubringen. Mit banger Sorge ſehen ſie den Nachrichten von den Kriegsſchauplätzen entgegen, und für jene gar, denen dort vielleicht das Liebſte gefallen, hat das Theater wohl für lange Zeit, ja vielleicht für immer, alle Reize verloren. Aber es iſt da noch ein anderer Grund. Jene überaus ſeichte, ja frivole Unterhaltungsliteratur, die unſere Bühnen bis zum Ausbruch des Krieges immer ausſchließlicher beherrſchte, iſt nun vor dieſem großen Ereignis in ihrer ganzen Wertloſig- keit zuſammengebrochen. Oft und oft iſt es geſagt worden: ein langer Frieden iſt zwar allen Künſten günſtig, er läßt aber auch alle Schattenſeiten derſelben üppig ins Kraut ſchießen. So ein Krieg iſt wie ein großartiges reinigendes Gewitter: alles Falſche und Unechte wird weggewaſchen, und nur das Gute, Wahre und Schöne bleibt und kann neben ihn beſtehen. Das iſt eine ganz andere und viel einſchneiden- dere „Umwertung aller Werte“ als die unſerer Aeſtheten. Wenn man in dieſem Augenblick ſo wenig Sinn für das Theater hat, ja ſich mit Ekel von ihm abwendet, ſo iſt gerade das Theater, wie es vor dem Kriege war, mit daran ſchuld. Dieſen ſelben Gedanken finde ich gerade in dieſen Tagen in einem zur Berliner Theatereröffnung geſchriebe- nen Feuilleton der „Deutſchen Tageszeitung“ ausgeſprochen. Der Verfaſſer lieſt dort den Berliner Theaterleitern in zor- nigen Worten den Text. Da aber Berlin bekanntlich zuletzt für alle deutſchen Theater eine gewiſſe Führung für ſich in Anſpruch genommen hat, gilt, was er ſagt, heute auch für jede andere Stadt. Er ſagt: „Daß ſogar leidenſchaftliche Kunſtfreunde den krampfhaften Verſuchen, die „Saiſon zu eröffnen“, zornig ablehnend gegenüberſtehen, und daß man- chem ſchon das bloße Wort Theater eine Kränkung vaterlän- diſchen Empfindens ſcheint, daran hat niemand ſchuld als unſere Bühnenleiter ſelbſt. Jn einer ſüddeutſchen Stadt, deren berufene Führer ihren Bürgern mit weihevollem Ernſt die Bedeutung des heiligen Krieges vor Augen gerückt und die vorbildlich für eine würdige Haltung der Bevölkerung geſorgt haben, in dieſer Stadt ſind dem Theaterſpiel wäh- rend des Feldzuges maßgebende Fürſprecher entſtanden. Es diene dazu, die ungeheure Spannung zu beſänftigen und zu löſen; es bringe abends die Menſchen in feſtlicher Stimmung zuſammen und ermögliche ihnen nachbarliche Ausſprache, Mitteilungen von Meldungen und Briefen aus dem Lager. Wichtige Nachrichten könnten von der Bühne herab verkün- det werden und fänden dann doppelt begeiſterten Widerhall, und was das Beſte ſei: an der Hand unſerer Dichter lerne die Menge den Wert echten Heldentums kennen. Alles große Geſchehene erſcheine verklärt; im goldenen Lichte der Poeſie reife und veredle ſich die Vaterlandsliebe. — Man blickt verwundert von den Zeilen auf, die ſo hohen Tons die Bühne als moraliſche Anſtalt preiſen. Wo ſtehen denn die Muſentempel, die dies reiche Lob verdienen? Jn der ver- gangenen Spielzeit ſind wir ihnen ſelten begegnet... Die erdrückende Mehrheit der Schaubühnen jedoch pflegte aus- ſchließlich ſeichteſte und leichteſte Poſſen-Literatur, und viele fraßen Staub mit Luſt. Schändliche Zotenreißerei war Trumpf; wer ſich dagegen aufbäumte, den lachte man als rückſtändig und unweltſtädtiſch aus. Gewiß, das große Publikum bevorzugte dieſe Koſt. Es drängte ſich in die albernſten und frechſten Operetten, hatte Witterung nur für Fäulnis und dreiſte Eindeutigkeiten. „Abends will man doch nicht nachdenken, abends will man amüſiert werden und die Arbeit des Tages vergeſſen.“ Theater, die dieſer Stimmung entgegenkamen, machten das beſte Geſchäft, und ein Geſchäft zu machen, nichts als ein Geſchäft zu machen, war der einzige Grundſatz, den ſie hatten. Seit Jahren iſt hier darauf hingewieſen worden, daß dieſe Art des Betrie- bes die Theater notwendig zugrunde richten mußte. Jm Varieté, im Zirkus, in Singſpielhallen mit und ohne Nacht- konzeſſion, ſchließlich im Kino fand das künſtlich der ernſten Kunſt entwöhnte Volk reichere Befriedigung ſeiner Triebe als auf der Bühne. Selbſtmörderiſch hat ſie gegen ihre eigene Exiſtenz gewütet. Und nun iſt es dahin gekommen, daß man unter Theater nicht mehr den Tempel der Schiller und Kleiſt, ſondern ein Amüſierlokal verſteht. Gut für ge- fahrloſe, üppige Zeiten, unerträglich in Jahren, wo mit blan- kem Eiſen um die Zukunft unſeres Volkes gerungen wird! Warnt das jäh aufgeſprungene Menetekel nicht? Merkt keiner von den überſchlauen Geſchäftsleuten, wie töricht und verbrecheriſch ſie gehandelt haben? Wohl möchten ſie jetzt alles im Handumdrehen wieder gut machen. Jch weiß nicht, wieviele Berliner Bühnen für das kommende Spieljahr Kleiſts Hermannsſchlacht angekün- digt haben. Die ernſteſten und wuchtigſten Dramen werden aus dem Staub der Archive herausgeſucht. Und nur Schöp- fungen deutſcher Dichter. Noch im Frühſommer las man’s anders: wieder drohte eine Ueberſchwemmung mit den Wer- ken ausländiſcher und inländiſcher Schriftſteller, deren Haupt- talent in ihrer Gepfeffertheit beſteht. Zumal die Ausländer ſollten reichlich zu Worte kommen. Seit 1871 beherrſchten ſie ja die Bretter, die angeblich die deutſche Welt bedeuteten — kein jämmerliches franzöſiſches Ehebruchsſtück, kein ruſſi- ſcher Schmarren war zu ſchlecht, als daß man ſie nicht brüh- warm uns kosmopolitiſchen, internationalen uſw. Deutſchen aufgetiſcht hätte... Ein Tropfen Fegefeuer iſt den Theaterleuten von heute in die Augen geſpritzt. Wie lange ihre erzwungene Beſſe- rung anhält, möge unerörtert bleiben. Jedenfalls zeigen ſie die innere Kraft ihrer Bekehrung nicht gerade dadurch an,

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Christopher Georgi, Susanne Haaf, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 35, 29. August 1914, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine35_1914/7>, abgerufen am 21.11.2024.