Allgemeine Zeitung, Nr. 37, 6. Februar 1850.[Spaltenumbruch]
lich, immer hieß es, selbst in jenem Moment: "Du mußt glauben, du Was im allgemeinen für Deutschland gilt, das gilt mutatis mutan- Es liegt nahe gegen diese Ansicht die bekannten Excesse anzuführen In der Motivirung dieses letzten Antrages liefert der Senat mit Die nächste Thätigkeit der Commission bestand darin die bedeutende- Nachdem der Baumeister'sche Antrag abgelehnt worden, ging die Was den Entwurf selbst betrifft, so haben Sie schon bald nach dem [Spaltenumbruch]
lich, immer hieß es, ſelbſt in jenem Moment: „Du mußt glauben, du Was im allgemeinen für Deutſchland gilt, das gilt mutatis mutan- Es liegt nahe gegen dieſe Anſicht die bekannten Exceſſe anzuführen In der Motivirung dieſes letzten Antrages liefert der Senat mit Die nächſte Thätigkeit der Commiſſion beſtand darin die bedeutende- Nachdem der Baumeiſter’ſche Antrag abgelehnt worden, ging die Was den Entwurf ſelbſt betrifft, ſo haben Sie ſchon bald nach dem <TEI> <text> <body> <div type="jAnnouncements" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0012" n="588"/><cb/> lich, immer hieß es, ſelbſt in jenem Moment: „Du mußt glauben, du<lb/> mußt wagen!“ — die Götter leihen kein Pfand, ſie leihen keine ſolche<lb/> Garantien durch die das menſchliche Leben zum reinen Mechanismus her-<lb/> abſinken würde; aber wenn zu irgendeiner Zeit, ſo war damals ein<lb/> friſches Wagen halber Gewinn. Die Gemüther waren mehr als je ge-<lb/> eint; die Wünſche des Proletariers ſelbſt bekamen für einen Augenblick<lb/> einen idealen Anflug, und die Wahlen würden eben deßhalb ſo ausge-<lb/> fallen ſeyn daß man hätte regieren und nöthigenfalls kriegen und ſiegen<lb/> können, wenn man nur der Mann dazu geweſen wäre.</p><lb/> <p>Was im allgemeinen für Deutſchland gilt, das gilt <hi rendition="#aq">mutatis mutan-<lb/> dis</hi> auch für Hamburg und in Betreff der von der conſtituirenden Ver-<lb/> ſammlung beſchloſſenen Verfaſſung. Ich ſchilderte Ihnen in meinem<lb/> letzten Artikel wie lebhaft man gerade gegen die von ihr ausgeſprochene<lb/> Anerkennung der politiſchen Berechtigung aller Staatsangehörigen<lb/> kämpfte. Es iſt wahr, ſie hätte ſich gern damit begnügen können nur<lb/> dem Gemeindebürger das Wahlrecht zuzuerkennen, falls ſie nur nicht die-<lb/> ſes Bürgerrecht, wie es ſeltſamerweiſe die 2200 forderten, von dem Nach-<lb/> weis eines genügenden Erwerbs abhängig machte. Zwar unterſcheidet<lb/> ſich Gemeinde- und Staatsbürgerrecht nur dadurch daß jenes durch eine<lb/> gewiſſe Abgabe an den Staatsſchatz erworben wird, und dieſe Abgabe<lb/> bildet gewiß kein Kriterium für politiſche Befähigung und kein Aequi-<lb/> valent für das Wahlrecht; aber der Name Bürger im Sinne des<lb/> Gemeindebürgers hat einmal einen mehr hiſtoriſchen, einen ſolideren<lb/> Klang als der moderne, abſtracte Begriff des Staatsbürgers, und die<lb/> Schranke die er zieht, iſt noch immer weit genug. Andererſeits jedoch<lb/> war es eine ſehr furchtſame Uebertreibung, wenn man in dem allgemeinen<lb/> Wahlrecht Hamburgs Untergang ſah. Wäre die neue Verfaſſung friſch-<lb/> weg eingeführt worden — in demſelben Augenblick hätte bei weitem der<lb/> größte Theil der conſtituirenden Partei eine ſehr conſervative Richtung<lb/> eingeſchlagen, und die Gaſſen-Demokratie wäre ebenſo machtlos geworden<lb/> als ſie es jetzt iſt durch die preußiſchen Bajonette.</p><lb/> <p>Es liegt nahe gegen dieſe Anſicht die bekannten Exceſſe anzuführen<lb/> die in der Nacht des 13 Auguſt gegen die preußiſchen Truppen verübt<lb/> wurden, und aus ihnen den Beweis zu entlehnen wie ſehr demoraliſirt die<lb/> unteren Stände in Hamburg ſeyen, und wie verderblich das allgemeine<lb/> Stimmrecht geweſen ſeyn würde. Man hat ſich in der That zur Genüge<lb/> auf dieſelben berufen, und doch beweiſen ſie nur was ſich in größerem<lb/> Maßſtab in andern Gegenden von Deutſchland traurig genug bewieſen<lb/> hat, daß die Reſtaurationsgelüſte in engſter Wechſelwirkung mit den<lb/> Rebellionsgelüſten ſtehen. Trotz der Bedenken die der Senat gegen die<lb/> neue Verfaſſung erhoben hatte, konnte man noch immer den Glauben<lb/> nähren daß er ſich zu jener politiſchen Moral verſtehen werde die ſich,<lb/> wenn auch für incommenſurable Größen auf dem Thron, doch nicht ge-<lb/> rade für Männer eignet welche ſich im commerciellen und geſellſchaftlichen<lb/> Verkehr als Bürger unter Bürgern bewegen; allein näher als dieſer<lb/> Glaube lag naturgemäß für die Menge der Argwohn daß der Durchmarſch<lb/> der Preußen in naher Beziehung ſtehe zu unſerer Verfaſſungsangelegen-<lb/> heit und ſich in eine Einquartierung auf unbeſtimmte Zeit (ſo ſollte eine<lb/> Generalsordre lauten) verwandeln werde. Hätte der Senat durch irgend-<lb/> eine Erklärung dieſen Argwohn zerſtreut; wären nicht die Preußen an<lb/> dem Abend eines Tages einmarſchirt an dem die niederen Volksclaſſen<lb/> ſtets in großen Schaaren nach der Vorſtadt zu ziehen pflegen welche die<lb/> Truppen zu paſſiren hatten; wäre die <hi rendition="#g">geſammte</hi> Bürgergarde auf die<lb/> Allarmplätze berufen — ſo iſt es höchſt wahrſcheinlich daß jene widerlichen<lb/> Scenen, die nur im Branntweinsdelirium aufgeführt werden konnten,<lb/> und die ich hier nicht weiter zu ſchildern brauche, da ſie ſeiner Zeit in<lb/> Ihrem Blatte beſprochen ſind, nicht vorgefallen ſeyn würden; ob es aber<lb/> wahrſcheinlich iſt daß dann die neue Verfaſſung eingeführt worden wäre,<lb/> darüber entſcheidet die Thatſache daß der Senat, nachdem eine kleine<lb/> preußiſche Armee der „Genugthuung“ halber in unſere Stadt eingezogen<lb/> war, bei erbgeſeſſener Bürgerſchaft zunächſt ein Club- und Preßgeſetz,<lb/> dann den Beitritt zum Dreikönigsbündniß, und endlich, am 27 Sept.,<lb/> die Niederſetzung einer Commiſſion, beſtehend aus vier Senatoren und<lb/> fünf Bürgern, beantragte, die eine neue Verfaſſung entwerfen ſollte, falls<lb/> die conſtituirende Verſammlung ſich nicht zur Vereinbarung verſtehen<lb/> würde.</p><lb/> <p>In der Motivirung dieſes letzten Antrages liefert der Senat mit<lb/> Bezug auf die Proteſte des Commerciums, des Miniſteriums und der 2200<lb/> eine Kritik der von der conſtituirenden Verſammlung beſchloſſenen Ver-<lb/> faſſung, die im weſentlichen dasſelbe enthält wie die Bedenken und in der<lb/> Verfaſſung den Umſturz aller Verhältniſſe erblickt; zugleich werden die<lb/> organiſchen Geſetze, die der Ausſchuß mittlerweile bis zum 1 September<lb/> vollendet und dem Senat übergeben hatte, beſprochen, und theils als <hi rendition="#aq">hors<lb/> d’œuvre,</hi> theils als eine flüchtige Arbeit behandelt; und was etwa ver-<lb/> dienſtliches an ihnen iſt, dieß verdanken ſie — wie man deutlich genug zu<lb/><cb/> verſtehen gibt — den Vorarbeiten früherer Rathscommiſſionen oder Rath-<lb/> und Bürgerdeputationen. Außer durch dieſe Kritik wird die Nicht-<lb/> einführung der Verfaſſung motivirt durch den Anſchluß Hamburgs an<lb/> das Dreikönigsbündniß, und dieß Motiv könnte ſtichhaltig erſcheinen,<lb/> wenn es nicht ein Cirkelſchluß wäre. Oder hätten Senat und Bürger-<lb/> ſchaft ſich wirklich nur aus nationaler Begeiſterung für den Anſchluß aus-<lb/> geſprochen, und nicht aus dem Grund um ein Argument gegen die Ab-<lb/> lehnung der Verfaſſung zu haben? Endlich noch bezeichnet die Motivi-<lb/> rung diejenigen Punkte nach welchen die Verfaſſung der conſtituirenden<lb/> Verſammlung abgeändert oder ein neuer Entwurf von der beantragten<lb/> Commiſſion ausgearbeitet werden müſſe; ſie ſind in Betreff des Wahl-<lb/> modus für den Senat, der im Grund auf Selbſtergänzung hinausläuft,<lb/> ſowie des Wahlgeſetzes für die Bürgerſchaft, das dem Wahlgeſetz des<lb/> Dreikönigsbündniſſes angepaßt werden ſoll, noch weniger liberal als der<lb/> Entwurf den die Neunercommiſſion zu Tage förderte, im übrigen aber<lb/> haben ſie in dieſem ihre Erfüllung gefunden. Die Bürgerſchaft geneh-<lb/> migte bekanntermaßen den Antrag und wählte in die Commiſſion fünf<lb/> Männer die zu den Stimmführern des patriotiſchen Vereins gehörten.</p><lb/> <p>Die nächſte Thätigkeit der Commiſſion beſtand darin die bedeutende-<lb/> ren Mitglieder der conſtituirenden Verſammlung für eine Vereinbarung<lb/> zu gewinnen, aber ihre Bemühungen hatten geringen Erfolg, nur <hi rendition="#aq">Dr.</hi><lb/> Baumeiſter hielt eine Verſtändigung für gerathen, und ſtellte demgemäß<lb/> in der conſtituirenden Verſammlung den Antrag auf Niederſetzung einer<lb/> Commiſſion, die eine Einigung verſuchen ſolle, doch unter der Bedingung<lb/> daß die nöthige Garantie für die Einführung der etwa vereinbarten Ver-<lb/> faſſung gegeben würde. Wenn die Verſammlung den Glauben an Garan-<lb/> tien verloren hatte, wenn ſie im Hinblick auf die Punkte die der Senat<lb/> namhaft machte, eine Verſtändigung für unmöglich hielt, und deßhalb<lb/> den Antrag Baumeiſters ablehnte, ſo ließ ſich dieß rechtfertigen; aber<lb/> nimmermehr war es zu rechtfertigen daß bei dem Antrag eines Mannes<lb/> der länger und eifriger als irgendeiner in der ganzen Verſammlung für<lb/> die Sache der bürgerlichen Freiheit gewirkt hatte, laute Zeichen des Miß-<lb/> fallens und ſelbſt des Spottes gehört wurden. Es war dieß gerade ſo<lb/> unziemlich als es unpolitiſch war daß die Verſammlung einerſeits ſich<lb/> nicht vereinbaren, andererſeits aber auch nicht ſich auflöſen wollte.</p><lb/> <p>Nachdem der Baumeiſter’ſche Antrag abgelehnt worden, ging die<lb/> Neunercommiſſion ans Werk um ſelbſtändig eine Verfaſſung zu entwer-<lb/> fen; ſie arbeitete fleißig und übergab ſchon am 3 Nov. dem Senat ihren<lb/> Entwurf zugleich mit einem Bericht der die Verfaſſung der conſtituiren-<lb/> den Verſammlung kurz kritiſirt und verurtheilt, die vergeblichen Ver-<lb/> handlungen mit der letztern berührt, die rechtliche Lage der Sache beſpricht<lb/> und im übrigen eine nähere Motivirung des Entwurfs liefert. Von In-<lb/> tereſſe iſt namentlich die Deduction: daß der Senat mit der Nichteinfüh-<lb/> rung jener Verfaſſung in vollem Recht ſey; ſie ſtützt ſich weſentlich auf<lb/> den Satz: daß Rath und Bürgerſchaft rechtlich und factiſch im vollen und<lb/> unbeſchränkten Beſitz der Staatsgewalt ſeyen, und fügt hinzu: „Ein aus-<lb/> drückliches Verſprechen daß die von der conſtituirenden Verſammlung be-<lb/> ſchloſſene Verfaſſung eingeführt werden ſolle, iſt durch Rath- und Bürger-<lb/> ſchluß nicht gegeben worden, und es <hi rendition="#g">konnte</hi> von der geſetzgebenden Ge-<lb/> walt ein ſolches Verſprechen nicht gegeben werden.“ Allerdings, es war<lb/> kein Rath- und Bürgerſchluß als der Senat, gewiſſermaßen den Rath-<lb/> und Bürgerſchluß vom 7 Sept. 1848 interpretirend, die ausdrückliche<lb/> Zuſage gab: es verſtehe ſich von ſelbſt daß die Verfaſſung ſofort ins Leben<lb/> treten werde; aber es war wenigſtens eine Rathserklärung, und jeden-<lb/> falls hätte es ſich doch geziemt gleich von vornherein der conſtituirenden<lb/> Verſammlung zu ſagen daß man das Verſprechen nicht halten <hi rendition="#g">könne</hi>.</p><lb/> <p>Was den Entwurf ſelbſt betrifft, ſo haben Sie ſchon bald nach dem<lb/> Erſcheinen desſelben eine kurze Skizze veröffentlicht, und um ſo weniger<lb/> brauche ich auf denſelben näher einzugehen; nur auf die hervorſtechenden<lb/> Unterſchiede in Vergleich zu der conſtituirenden Verſammlung ſey es mir<lb/> erlaubt kurz hinzudeuten. Der Neunerentwurf verhält ſich im allgemeinen<lb/> zu dieſer Verfaſſung ähnlich wie der Dreikönigsentwurf zu der Frankfurter<lb/> Verfaſſung: die Form iſt möglichſt beibehalten, der Geiſt iſt ein weſentlich<lb/> anderer; doch auch in der Form geben ſich manche charakteriſtiſche Unter-<lb/> ſchiede kund; ſo iſt z. B. der Abſchnitt über die Grundrechte weggefallen<lb/> und der Abſchnitt über den Senat geht dem über die Bürgerſchaft voran.<lb/> Ferner merkt man in einzelnen wichtigen Beſtimmungen eine gewiſſe Nei-<lb/> gung zu einem Compromiß mit der Verfaſſung der conſtituirenden Ver-<lb/> ſammlung: ein Mitglied des Raths <hi rendition="#g">kann</hi> nach ſechs Jahren austreten;<lb/> eine Commiſſion von Rath und <hi rendition="#g">Bürgerſchaft</hi> entwirft den Aufſatz zum<lb/> Behuf der Wahl eines Senators und ein <hi rendition="#g">Theil</hi> der Bürgerſchaft wird<lb/> in <hi rendition="#g">directer</hi> Wahl, zwar nicht von den Staatsbürgern im Sinn der Ver-<lb/> faſſung der conſtituirenden Verſammlung, aber doch von allen Gemeinde-<lb/> bürgern die fünfundzwanzig Jahr alt ſind, gewählt. Allein dieſe Con-<lb/> ceſſionen ſind in der That illuſoriſch und werden in jedem Punkte durch<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [588/0012]
lich, immer hieß es, ſelbſt in jenem Moment: „Du mußt glauben, du
mußt wagen!“ — die Götter leihen kein Pfand, ſie leihen keine ſolche
Garantien durch die das menſchliche Leben zum reinen Mechanismus her-
abſinken würde; aber wenn zu irgendeiner Zeit, ſo war damals ein
friſches Wagen halber Gewinn. Die Gemüther waren mehr als je ge-
eint; die Wünſche des Proletariers ſelbſt bekamen für einen Augenblick
einen idealen Anflug, und die Wahlen würden eben deßhalb ſo ausge-
fallen ſeyn daß man hätte regieren und nöthigenfalls kriegen und ſiegen
können, wenn man nur der Mann dazu geweſen wäre.
Was im allgemeinen für Deutſchland gilt, das gilt mutatis mutan-
dis auch für Hamburg und in Betreff der von der conſtituirenden Ver-
ſammlung beſchloſſenen Verfaſſung. Ich ſchilderte Ihnen in meinem
letzten Artikel wie lebhaft man gerade gegen die von ihr ausgeſprochene
Anerkennung der politiſchen Berechtigung aller Staatsangehörigen
kämpfte. Es iſt wahr, ſie hätte ſich gern damit begnügen können nur
dem Gemeindebürger das Wahlrecht zuzuerkennen, falls ſie nur nicht die-
ſes Bürgerrecht, wie es ſeltſamerweiſe die 2200 forderten, von dem Nach-
weis eines genügenden Erwerbs abhängig machte. Zwar unterſcheidet
ſich Gemeinde- und Staatsbürgerrecht nur dadurch daß jenes durch eine
gewiſſe Abgabe an den Staatsſchatz erworben wird, und dieſe Abgabe
bildet gewiß kein Kriterium für politiſche Befähigung und kein Aequi-
valent für das Wahlrecht; aber der Name Bürger im Sinne des
Gemeindebürgers hat einmal einen mehr hiſtoriſchen, einen ſolideren
Klang als der moderne, abſtracte Begriff des Staatsbürgers, und die
Schranke die er zieht, iſt noch immer weit genug. Andererſeits jedoch
war es eine ſehr furchtſame Uebertreibung, wenn man in dem allgemeinen
Wahlrecht Hamburgs Untergang ſah. Wäre die neue Verfaſſung friſch-
weg eingeführt worden — in demſelben Augenblick hätte bei weitem der
größte Theil der conſtituirenden Partei eine ſehr conſervative Richtung
eingeſchlagen, und die Gaſſen-Demokratie wäre ebenſo machtlos geworden
als ſie es jetzt iſt durch die preußiſchen Bajonette.
Es liegt nahe gegen dieſe Anſicht die bekannten Exceſſe anzuführen
die in der Nacht des 13 Auguſt gegen die preußiſchen Truppen verübt
wurden, und aus ihnen den Beweis zu entlehnen wie ſehr demoraliſirt die
unteren Stände in Hamburg ſeyen, und wie verderblich das allgemeine
Stimmrecht geweſen ſeyn würde. Man hat ſich in der That zur Genüge
auf dieſelben berufen, und doch beweiſen ſie nur was ſich in größerem
Maßſtab in andern Gegenden von Deutſchland traurig genug bewieſen
hat, daß die Reſtaurationsgelüſte in engſter Wechſelwirkung mit den
Rebellionsgelüſten ſtehen. Trotz der Bedenken die der Senat gegen die
neue Verfaſſung erhoben hatte, konnte man noch immer den Glauben
nähren daß er ſich zu jener politiſchen Moral verſtehen werde die ſich,
wenn auch für incommenſurable Größen auf dem Thron, doch nicht ge-
rade für Männer eignet welche ſich im commerciellen und geſellſchaftlichen
Verkehr als Bürger unter Bürgern bewegen; allein näher als dieſer
Glaube lag naturgemäß für die Menge der Argwohn daß der Durchmarſch
der Preußen in naher Beziehung ſtehe zu unſerer Verfaſſungsangelegen-
heit und ſich in eine Einquartierung auf unbeſtimmte Zeit (ſo ſollte eine
Generalsordre lauten) verwandeln werde. Hätte der Senat durch irgend-
eine Erklärung dieſen Argwohn zerſtreut; wären nicht die Preußen an
dem Abend eines Tages einmarſchirt an dem die niederen Volksclaſſen
ſtets in großen Schaaren nach der Vorſtadt zu ziehen pflegen welche die
Truppen zu paſſiren hatten; wäre die geſammte Bürgergarde auf die
Allarmplätze berufen — ſo iſt es höchſt wahrſcheinlich daß jene widerlichen
Scenen, die nur im Branntweinsdelirium aufgeführt werden konnten,
und die ich hier nicht weiter zu ſchildern brauche, da ſie ſeiner Zeit in
Ihrem Blatte beſprochen ſind, nicht vorgefallen ſeyn würden; ob es aber
wahrſcheinlich iſt daß dann die neue Verfaſſung eingeführt worden wäre,
darüber entſcheidet die Thatſache daß der Senat, nachdem eine kleine
preußiſche Armee der „Genugthuung“ halber in unſere Stadt eingezogen
war, bei erbgeſeſſener Bürgerſchaft zunächſt ein Club- und Preßgeſetz,
dann den Beitritt zum Dreikönigsbündniß, und endlich, am 27 Sept.,
die Niederſetzung einer Commiſſion, beſtehend aus vier Senatoren und
fünf Bürgern, beantragte, die eine neue Verfaſſung entwerfen ſollte, falls
die conſtituirende Verſammlung ſich nicht zur Vereinbarung verſtehen
würde.
In der Motivirung dieſes letzten Antrages liefert der Senat mit
Bezug auf die Proteſte des Commerciums, des Miniſteriums und der 2200
eine Kritik der von der conſtituirenden Verſammlung beſchloſſenen Ver-
faſſung, die im weſentlichen dasſelbe enthält wie die Bedenken und in der
Verfaſſung den Umſturz aller Verhältniſſe erblickt; zugleich werden die
organiſchen Geſetze, die der Ausſchuß mittlerweile bis zum 1 September
vollendet und dem Senat übergeben hatte, beſprochen, und theils als hors
d’œuvre, theils als eine flüchtige Arbeit behandelt; und was etwa ver-
dienſtliches an ihnen iſt, dieß verdanken ſie — wie man deutlich genug zu
verſtehen gibt — den Vorarbeiten früherer Rathscommiſſionen oder Rath-
und Bürgerdeputationen. Außer durch dieſe Kritik wird die Nicht-
einführung der Verfaſſung motivirt durch den Anſchluß Hamburgs an
das Dreikönigsbündniß, und dieß Motiv könnte ſtichhaltig erſcheinen,
wenn es nicht ein Cirkelſchluß wäre. Oder hätten Senat und Bürger-
ſchaft ſich wirklich nur aus nationaler Begeiſterung für den Anſchluß aus-
geſprochen, und nicht aus dem Grund um ein Argument gegen die Ab-
lehnung der Verfaſſung zu haben? Endlich noch bezeichnet die Motivi-
rung diejenigen Punkte nach welchen die Verfaſſung der conſtituirenden
Verſammlung abgeändert oder ein neuer Entwurf von der beantragten
Commiſſion ausgearbeitet werden müſſe; ſie ſind in Betreff des Wahl-
modus für den Senat, der im Grund auf Selbſtergänzung hinausläuft,
ſowie des Wahlgeſetzes für die Bürgerſchaft, das dem Wahlgeſetz des
Dreikönigsbündniſſes angepaßt werden ſoll, noch weniger liberal als der
Entwurf den die Neunercommiſſion zu Tage förderte, im übrigen aber
haben ſie in dieſem ihre Erfüllung gefunden. Die Bürgerſchaft geneh-
migte bekanntermaßen den Antrag und wählte in die Commiſſion fünf
Männer die zu den Stimmführern des patriotiſchen Vereins gehörten.
Die nächſte Thätigkeit der Commiſſion beſtand darin die bedeutende-
ren Mitglieder der conſtituirenden Verſammlung für eine Vereinbarung
zu gewinnen, aber ihre Bemühungen hatten geringen Erfolg, nur Dr.
Baumeiſter hielt eine Verſtändigung für gerathen, und ſtellte demgemäß
in der conſtituirenden Verſammlung den Antrag auf Niederſetzung einer
Commiſſion, die eine Einigung verſuchen ſolle, doch unter der Bedingung
daß die nöthige Garantie für die Einführung der etwa vereinbarten Ver-
faſſung gegeben würde. Wenn die Verſammlung den Glauben an Garan-
tien verloren hatte, wenn ſie im Hinblick auf die Punkte die der Senat
namhaft machte, eine Verſtändigung für unmöglich hielt, und deßhalb
den Antrag Baumeiſters ablehnte, ſo ließ ſich dieß rechtfertigen; aber
nimmermehr war es zu rechtfertigen daß bei dem Antrag eines Mannes
der länger und eifriger als irgendeiner in der ganzen Verſammlung für
die Sache der bürgerlichen Freiheit gewirkt hatte, laute Zeichen des Miß-
fallens und ſelbſt des Spottes gehört wurden. Es war dieß gerade ſo
unziemlich als es unpolitiſch war daß die Verſammlung einerſeits ſich
nicht vereinbaren, andererſeits aber auch nicht ſich auflöſen wollte.
Nachdem der Baumeiſter’ſche Antrag abgelehnt worden, ging die
Neunercommiſſion ans Werk um ſelbſtändig eine Verfaſſung zu entwer-
fen; ſie arbeitete fleißig und übergab ſchon am 3 Nov. dem Senat ihren
Entwurf zugleich mit einem Bericht der die Verfaſſung der conſtituiren-
den Verſammlung kurz kritiſirt und verurtheilt, die vergeblichen Ver-
handlungen mit der letztern berührt, die rechtliche Lage der Sache beſpricht
und im übrigen eine nähere Motivirung des Entwurfs liefert. Von In-
tereſſe iſt namentlich die Deduction: daß der Senat mit der Nichteinfüh-
rung jener Verfaſſung in vollem Recht ſey; ſie ſtützt ſich weſentlich auf
den Satz: daß Rath und Bürgerſchaft rechtlich und factiſch im vollen und
unbeſchränkten Beſitz der Staatsgewalt ſeyen, und fügt hinzu: „Ein aus-
drückliches Verſprechen daß die von der conſtituirenden Verſammlung be-
ſchloſſene Verfaſſung eingeführt werden ſolle, iſt durch Rath- und Bürger-
ſchluß nicht gegeben worden, und es konnte von der geſetzgebenden Ge-
walt ein ſolches Verſprechen nicht gegeben werden.“ Allerdings, es war
kein Rath- und Bürgerſchluß als der Senat, gewiſſermaßen den Rath-
und Bürgerſchluß vom 7 Sept. 1848 interpretirend, die ausdrückliche
Zuſage gab: es verſtehe ſich von ſelbſt daß die Verfaſſung ſofort ins Leben
treten werde; aber es war wenigſtens eine Rathserklärung, und jeden-
falls hätte es ſich doch geziemt gleich von vornherein der conſtituirenden
Verſammlung zu ſagen daß man das Verſprechen nicht halten könne.
Was den Entwurf ſelbſt betrifft, ſo haben Sie ſchon bald nach dem
Erſcheinen desſelben eine kurze Skizze veröffentlicht, und um ſo weniger
brauche ich auf denſelben näher einzugehen; nur auf die hervorſtechenden
Unterſchiede in Vergleich zu der conſtituirenden Verſammlung ſey es mir
erlaubt kurz hinzudeuten. Der Neunerentwurf verhält ſich im allgemeinen
zu dieſer Verfaſſung ähnlich wie der Dreikönigsentwurf zu der Frankfurter
Verfaſſung: die Form iſt möglichſt beibehalten, der Geiſt iſt ein weſentlich
anderer; doch auch in der Form geben ſich manche charakteriſtiſche Unter-
ſchiede kund; ſo iſt z. B. der Abſchnitt über die Grundrechte weggefallen
und der Abſchnitt über den Senat geht dem über die Bürgerſchaft voran.
Ferner merkt man in einzelnen wichtigen Beſtimmungen eine gewiſſe Nei-
gung zu einem Compromiß mit der Verfaſſung der conſtituirenden Ver-
ſammlung: ein Mitglied des Raths kann nach ſechs Jahren austreten;
eine Commiſſion von Rath und Bürgerſchaft entwirft den Aufſatz zum
Behuf der Wahl eines Senators und ein Theil der Bürgerſchaft wird
in directer Wahl, zwar nicht von den Staatsbürgern im Sinn der Ver-
faſſung der conſtituirenden Verſammlung, aber doch von allen Gemeinde-
bürgern die fünfundzwanzig Jahr alt ſind, gewählt. Allein dieſe Con-
ceſſionen ſind in der That illuſoriſch und werden in jedem Punkte durch
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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