Allgemeine Zeitung, Nr. 37, 6. Februar 1850.[Spaltenumbruch]
Wer den Gedankengang der ganzen Conception verfolgt, wird den Stuttgart. ** Stuttgart, 1 Febr. Die neuen Wahlen der Volksvertreter Hamburg. # Hamburg, 5 Jan. IV. Lamartine bezeichnet die Girondisten als Die höheren Stände hatten ihre Pflicht gegen die unteren versäumt [Spaltenumbruch]
Wer den Gedankengang der ganzen Conception verfolgt, wird den Stuttgart. ** Stuttgart, 1 Febr. Die neuen Wahlen der Volksvertreter Hamburg. # Hamburg, 5 Jan. IV. Lamartine bezeichnet die Girondiſten als Die höheren Stände hatten ihre Pflicht gegen die unteren verſäumt <TEI> <text> <body> <div type="jAnnouncements" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <pb facs="#f0011" n="587"/> <cb/> <p>Wer den Gedankengang der ganzen Conception verfolgt, wird den<lb/> ſtreng katholiſchen Charakter derſelben, das — bewußte oder unbewußte<lb/> — Beſtreben nicht verkennen mit dem Gemäldeſchmuck den Dombau des<lb/> 12ten Jahrhunderts im Geiſte ſeiner Gründer und Erbauer zu vollenden.<lb/> In den Mitteln aber der Formenbildung, Darſtellung und Ausführung<lb/> konnte jene Periode unentwickelter Kunſt nicht maßgebend ſeyn, und<lb/> Schraudolph hat ſich dabei als einen der erſten Meiſter der Münchener<lb/> Schule und von ihrem Geiſt durchdrungen bewährt. Edle, große Ge-<lb/> ſtalten, würdige und doch freie Bewegungen, Charakterbildung und Aus-<lb/> druck der Köpfe in großen Zügen, Verſtändniß und großartige Anlage<lb/> der Gewänder, und Schönheit der Formen und Verhältniſſe: das find<lb/> die Vorzüge dieſer Zeichnungen, die, großentheils in koloſſalem Maßſtab<lb/> in Fresco ausgeführt, die öden Hallen des mächtigen Kaiſerdomes mit<lb/> neuem, glänzenden Leben erfüllen, das als ein eben ſo erfreuliches denn be-<lb/> deutendes Denkmal der Kunſtbeſtrebungen und der Kunſtliebe, die wir<lb/> erlebt, genannt werden wird.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Stuttgart.</hi> </head><lb/> <dateline>** <hi rendition="#b">Stuttgart,</hi> 1 Febr.</dateline> <p>Die neuen Wahlen der Volksvertreter<lb/> zur Verſammlung der Berathung einer Verfaſſungsreviſion beginnen im<lb/> ganzen Lande am 19 d., und ſind jedenfalls am darauffolgenden Tag zu<lb/> beendigen. Die Anordnung dieſer Wahlen brachte wieder Leben und<lb/> Rührigkeit in die politiſchen Parteien, unter welchen ſeit Auflöſung der<lb/> letzten Landesverſammlung hinſichtlich der innern politiſchen Zuſtände<lb/> eine gewiſſe Ruhe eingetreten war. Die Agitationen für den Anſchluß<lb/> an den preußiſchen Bundesſtaat dauerten jedoch fort, und es ſchien als<lb/> ſollten allmählich alle Intelligenzen für denſelben gewonnen werden; doch<lb/> die k. preußiſchen Propoſitionen vom 7 Jan. ſtörten die Fortſchritte der<lb/> preußiſchen Partei in erheblichem Maße, und die bekannte Plochinger<lb/> Verſammlung konnte die großartige Wirkung nicht hervorbringen welche<lb/> man von ihr gehofft hatte. Deſſenungeachtet iſt dieſe Partei noch immer<lb/> ſtark und mächtig, ſie zählt den größten Theil der vormärzlichen Liberalen<lb/> in ihren Reihen, und es iſt kein Zweifel daß ſie ohne jene preußiſchen<lb/> Propoſitionen eine anſehnlichere Zahl von Vertretern in der nächſten Lan-<lb/> desverſammlung gefunden hätte. Doch ſteht dieſe Partei nach ihrem Organ<lb/> — der Württembergiſchen Zeitung — hinſichtlich der Wahlen nur der<lb/> Volkspartei gegenüber; ſie verſchmäht keinen liberal monarchiſch-conſtitutio-<lb/> nell geſinnten Candidaten, wenn ein ſolcher auch in der deutſchen Frage eine<lb/> abweichende Anſicht hat. Dagegen verfährt die Volkspartei ganz excluſiv,<lb/> dieſe empfiehlt nur ihre unbedingten Anhänger als würdige Repräſentan-<lb/> ten des ſouveränen Volks, und hält die Empfehlung von ſolchen Candi-<lb/> daten nur in denjenigen Wahlbezirken für nöthig welche die letzte Wahl<lb/> mit Volksmännern nicht bereits beglückt hat, ſo daß von den 64 Wahl-<lb/> bezirken nur 24 übrig bleiben, in welchen neue Candidaten ſtatt der zu<lb/> der letzten Verſammlung gewählten conſervativen Volksvertreter zu em-<lb/> pfehlen ſind; denn in 40 Bezirken ſind lediglich die letztmal gewählten<lb/> Volksmänner als neue Abgeordnete aufgeſtellt. Dieſe Aufſtellung erfolgte<lb/> in der kürzlich zu Göppingen abgehaltenen Verſammlung mit einer Zu-<lb/> verſicht und Sicherheit, daß es kaum erklärlich iſt warum dieſe Partei doch<lb/> ſo großartige Vorbereitungen und Anſtalten trifft, um die von ihr vorge-<lb/> ſchlagenen und empfohlenen Candidaten durchzuſetzen; es iſt bei dem Hohn-<lb/> gelächter über einzelne Gegencandidaten, das in der Göppinger Verſamm-<lb/> lung ſo oft wiedergekehrt ſeyn ſoll, kaum zu begreifen warum ſich das<lb/> Organ der Volkspartei — der Beobachter — wiederholt ereifert daß von<lb/> Seiten des Miniſteriums Einfluß auf die nachgeſetzten Beamten geübt<lb/> werde, um miniſterielle Candidaten in die Verſammlung zu bringen. Die<lb/> Volkspartei hätte offenbar annehmen ſollen das ſouveräne Volk werde keiner<lb/> Belehrung von Seite der mißliebigen Bureaukraten, denen ſie längſt allen<lb/> und jeden Einfluß auf dasſelbe zu entziehen ſtrebte, zugänglich ſeyn, eine<lb/> ſolche vielmehr geradezu abweiſen und nur an die allein beglückende Lehre<lb/> der Volksmänner glauben. Freilich wäre es für dieſe Partei beſſer wenn<lb/> das gegenwärtige Miniſterium die gleiche paſſive Stellung bei der neuen<lb/> Wahl einhielte, wie bei der vorigen Wahl das Märzminiſterium. Damals<lb/> agitirten Beamte, Profeſſoren, Schulmeiſter ꝛc. im Intereſſe der Volks-<lb/> partei; ein Theil der erſteren ſcheute ſich nicht in ſeinen Amtsbezirken<lb/> Männer als Volksvertreter zu empfehlen welche kurz zuvor der Anklage<lb/> gegen die Miniſter auf Hochverrath wegen Sprengung der ſogenannten<lb/> deutſchen Nationalverſammlung beigeſtimmt hatten. So mußte freilich<lb/> die Begriffsverwirrung, insbeſondere beim Landmann, ſich ſteigern. Der<lb/> einfache Landmann konnte ſich offenbar nicht vorſtellen daß untergeordnete<lb/> Diener, denen doch die Gunſt oder Mißgunſt ihrer Departementschefs nicht<lb/> gleichgütig ſeyn kann, in Wahrheit gegen dieſe ſich benehmen werden,<lb/> vielmehr mußten dieſe glauben daß es der Beamte mit der Regierung gut<lb/> meine, und dieſer Glaube nützte der Volkspartei weſentlich, welche ohne-<lb/><cb/> hin alle ihre Leute zur Wahl zu beſtimmen wußte, während der größte<lb/> Theil der Conſervativen zu Hauſe blieb und ſeinen Geſchäften, namentlich<lb/> in der Ernte, nachging. Jetzt werden freilich ſolche Beamte wenigſtens<lb/> vorſichtiger ſich benehmen, oder aber paſſiv ſich verhalten, ſollten ſie auch<lb/> von ihrer vermeintlichen Dienſtpflicht für das ſouveräne Volk noch nicht<lb/> abgekommen ſeyn. Als ein weiterer Mißſtand wird vom Beobachter die<lb/> Zerſplitterung der Wahlbezirke in mehrere Wahldiſtricte gerügt. Bei der<lb/> letzten Wahl fand die Abſtimmung nur in Städten oder in einzelnen grö-<lb/> ßeren Gemeinden eines Wahlbezirks ſtatt. In dieſem befinden ſich in der<lb/> Regel Zweigvereine des Landesausſchuſſes oder Volksvereine, und durch<lb/> dieſe konnte auf jede Weiſe zu Gunſten des Candidaten der Volkspartei ge-<lb/> wirkt werden, wie denn auch Fälle bekannt ſind in welchen unzweifelhaft<lb/> die Freiheit der Wahl vernichtet wurde. Die Wähler vom Lande wurden<lb/> nicht ſelten verhöhnt und bedroht, wollten ſie den auf einen conſervativen<lb/> Candidaten lautenden Wahlzettel nicht ſofort mit einem demokratiſchen<lb/> Stimmzettel vertauſchen. So entſtanden gerechte Klagen über Wahl-<lb/> beeinträchtigungen, und nicht ſelten hörte man von Landleuten daß ſie<lb/> nimmermehr in der Stadt abſtimmen werden. Dieſem Uebelſtand ſucht<lb/> die Miniſterialverfügung über die Anordnung der neuen Wahlen abzuhelfen.<lb/> Durch dieſelbe werden die einzelnen Wahldiſtricte in mehrere Abſtimmungs-<lb/> orte eingetheilt, wo ſich theilweiſe nicht nur keine Volksvereine, ſondern<lb/> ſogar Piusvereine befinden. Freilich würden alle dieſe Anordnungen die<lb/> Wahlen zum Nachtheil der Volkspartei nicht zu geſtalten vermögen, würde<lb/> nicht auch die andere Partei Energie und Rührigkeit zeigen; würde dieſe<lb/> nicht einſehen daß dringend geboten ſey ſeine Staatsbürgerpflicht in der<lb/> gegenwärtigen Lage des Vaterlandes zu erfüllen; und dieſes iſt wohl der<lb/> Hauptgrund warum die Volkspartei auf der einen Seite ſich ſich ſo ſicher<lb/> gibt, auf der andern aber einen Centralwahlausſchuß bildet und alle<lb/> Volksvereine und Volksmänner zur angeſtrengteſten und umſichtigſten<lb/> Thätigkeit auffordert. Noch iſt es nicht gewiß für welche Partei die Wah-<lb/> len den Ausſchlag geben werden; aber betheiligten ſich die conſervativ ge-<lb/> ſinnten Wahlberechtigten des württembergiſchen Volks bei den Wahlen,<lb/> handelten ſie mit vereinter Kraft gegen die feindliche Partei, und räumen<lb/> ſie nicht wie das letztemal derſelben im voraus das Feld, ſo iſt kaum zu<lb/> zweifeln daß ihnen der Sieg für die gute Sache, für das Beſte des Landes<lb/> zufallen wird.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Hamburg.</hi><lb/> <hi rendition="#aq">IV.</hi> </head><lb/> <dateline># <hi rendition="#b">Hamburg,</hi> 5 Jan.</dateline> <p>Lamartine bezeichnet die Girondiſten als<lb/> Demokraten welche ſich nach den Umſtänden richten, und Robespierre<lb/> und die Bergpartei als Demokraten nach Principien. Iſt dieſe Definition<lb/> richtig, ſo liegt in dem Untergang beider Parteien ſchwerlich etwas ande-<lb/> res als die Lehre daß es nur durch richtige Vermittlung der Umſtände und<lb/> Principien gelingen kann der Reſtauration einen Damm entgegenzuſetzen<lb/> und die Revolution zur Reformation zu verklären. Je ſchwerer aber dieſe<lb/> Vermittlung ſich erreichen läßt, je mehr es dazu einer glücklichen Con-<lb/> ſtellation bedarf, um ſo unſeliger iſt es wenn man den günſtigen Moment,<lb/> den die Geſchichte in roſenfarbener Feenlaune darbot, ungenützt ent-<lb/> fliehen ließ.</p><lb/> <p>Die höheren Stände hatten ihre Pflicht gegen die unteren verſäumt<lb/> und eine Demarcationslinie gezogen ähnlich jenem rothen Seil das, wie<lb/> Venedey erzählt, bei den Polenbällen in London in einem und demſelben<lb/> Saal die Nobility von der Mobility trennt. In Folge deſſen erneuerte<lb/> ſich die Revolution und mit ihr die Forderung der ſogenannten unteren<lb/> Stände ſich ſelber an der Sorge für ihr leibliches und geiſtiges Wohl zu<lb/> betheiligen und zu dem Ende politiſcher Rechte theilhaftig zu werden.<lb/> Die Erfahrung der letzten Jahre widerſprach dieſer Forderung nicht, ſie<lb/> empfahl das allgemeine Stimmrecht wenigſtens negativ, wenigſtens in ſofern<lb/> als die Beſchränkungen von neuem zur Revolution geführt hatten; zu der<lb/> Erfahrung aber geſellten ſich innere Gründe, und ſo konnte es als ein<lb/><hi rendition="#g">Princip</hi> gelten. 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Frei-<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [587/0011]
Wer den Gedankengang der ganzen Conception verfolgt, wird den
ſtreng katholiſchen Charakter derſelben, das — bewußte oder unbewußte
— Beſtreben nicht verkennen mit dem Gemäldeſchmuck den Dombau des
12ten Jahrhunderts im Geiſte ſeiner Gründer und Erbauer zu vollenden.
In den Mitteln aber der Formenbildung, Darſtellung und Ausführung
konnte jene Periode unentwickelter Kunſt nicht maßgebend ſeyn, und
Schraudolph hat ſich dabei als einen der erſten Meiſter der Münchener
Schule und von ihrem Geiſt durchdrungen bewährt. Edle, große Ge-
ſtalten, würdige und doch freie Bewegungen, Charakterbildung und Aus-
druck der Köpfe in großen Zügen, Verſtändniß und großartige Anlage
der Gewänder, und Schönheit der Formen und Verhältniſſe: das find
die Vorzüge dieſer Zeichnungen, die, großentheils in koloſſalem Maßſtab
in Fresco ausgeführt, die öden Hallen des mächtigen Kaiſerdomes mit
neuem, glänzenden Leben erfüllen, das als ein eben ſo erfreuliches denn be-
deutendes Denkmal der Kunſtbeſtrebungen und der Kunſtliebe, die wir
erlebt, genannt werden wird.
Stuttgart.
** Stuttgart, 1 Febr. Die neuen Wahlen der Volksvertreter
zur Verſammlung der Berathung einer Verfaſſungsreviſion beginnen im
ganzen Lande am 19 d., und ſind jedenfalls am darauffolgenden Tag zu
beendigen. Die Anordnung dieſer Wahlen brachte wieder Leben und
Rührigkeit in die politiſchen Parteien, unter welchen ſeit Auflöſung der
letzten Landesverſammlung hinſichtlich der innern politiſchen Zuſtände
eine gewiſſe Ruhe eingetreten war. Die Agitationen für den Anſchluß
an den preußiſchen Bundesſtaat dauerten jedoch fort, und es ſchien als
ſollten allmählich alle Intelligenzen für denſelben gewonnen werden; doch
die k. preußiſchen Propoſitionen vom 7 Jan. ſtörten die Fortſchritte der
preußiſchen Partei in erheblichem Maße, und die bekannte Plochinger
Verſammlung konnte die großartige Wirkung nicht hervorbringen welche
man von ihr gehofft hatte. Deſſenungeachtet iſt dieſe Partei noch immer
ſtark und mächtig, ſie zählt den größten Theil der vormärzlichen Liberalen
in ihren Reihen, und es iſt kein Zweifel daß ſie ohne jene preußiſchen
Propoſitionen eine anſehnlichere Zahl von Vertretern in der nächſten Lan-
desverſammlung gefunden hätte. Doch ſteht dieſe Partei nach ihrem Organ
— der Württembergiſchen Zeitung — hinſichtlich der Wahlen nur der
Volkspartei gegenüber; ſie verſchmäht keinen liberal monarchiſch-conſtitutio-
nell geſinnten Candidaten, wenn ein ſolcher auch in der deutſchen Frage eine
abweichende Anſicht hat. Dagegen verfährt die Volkspartei ganz excluſiv,
dieſe empfiehlt nur ihre unbedingten Anhänger als würdige Repräſentan-
ten des ſouveränen Volks, und hält die Empfehlung von ſolchen Candi-
daten nur in denjenigen Wahlbezirken für nöthig welche die letzte Wahl
mit Volksmännern nicht bereits beglückt hat, ſo daß von den 64 Wahl-
bezirken nur 24 übrig bleiben, in welchen neue Candidaten ſtatt der zu
der letzten Verſammlung gewählten conſervativen Volksvertreter zu em-
pfehlen ſind; denn in 40 Bezirken ſind lediglich die letztmal gewählten
Volksmänner als neue Abgeordnete aufgeſtellt. Dieſe Aufſtellung erfolgte
in der kürzlich zu Göppingen abgehaltenen Verſammlung mit einer Zu-
verſicht und Sicherheit, daß es kaum erklärlich iſt warum dieſe Partei doch
ſo großartige Vorbereitungen und Anſtalten trifft, um die von ihr vorge-
ſchlagenen und empfohlenen Candidaten durchzuſetzen; es iſt bei dem Hohn-
gelächter über einzelne Gegencandidaten, das in der Göppinger Verſamm-
lung ſo oft wiedergekehrt ſeyn ſoll, kaum zu begreifen warum ſich das
Organ der Volkspartei — der Beobachter — wiederholt ereifert daß von
Seiten des Miniſteriums Einfluß auf die nachgeſetzten Beamten geübt
werde, um miniſterielle Candidaten in die Verſammlung zu bringen. Die
Volkspartei hätte offenbar annehmen ſollen das ſouveräne Volk werde keiner
Belehrung von Seite der mißliebigen Bureaukraten, denen ſie längſt allen
und jeden Einfluß auf dasſelbe zu entziehen ſtrebte, zugänglich ſeyn, eine
ſolche vielmehr geradezu abweiſen und nur an die allein beglückende Lehre
der Volksmänner glauben. Freilich wäre es für dieſe Partei beſſer wenn
das gegenwärtige Miniſterium die gleiche paſſive Stellung bei der neuen
Wahl einhielte, wie bei der vorigen Wahl das Märzminiſterium. Damals
agitirten Beamte, Profeſſoren, Schulmeiſter ꝛc. im Intereſſe der Volks-
partei; ein Theil der erſteren ſcheute ſich nicht in ſeinen Amtsbezirken
Männer als Volksvertreter zu empfehlen welche kurz zuvor der Anklage
gegen die Miniſter auf Hochverrath wegen Sprengung der ſogenannten
deutſchen Nationalverſammlung beigeſtimmt hatten. So mußte freilich
die Begriffsverwirrung, insbeſondere beim Landmann, ſich ſteigern. Der
einfache Landmann konnte ſich offenbar nicht vorſtellen daß untergeordnete
Diener, denen doch die Gunſt oder Mißgunſt ihrer Departementschefs nicht
gleichgütig ſeyn kann, in Wahrheit gegen dieſe ſich benehmen werden,
vielmehr mußten dieſe glauben daß es der Beamte mit der Regierung gut
meine, und dieſer Glaube nützte der Volkspartei weſentlich, welche ohne-
hin alle ihre Leute zur Wahl zu beſtimmen wußte, während der größte
Theil der Conſervativen zu Hauſe blieb und ſeinen Geſchäften, namentlich
in der Ernte, nachging. Jetzt werden freilich ſolche Beamte wenigſtens
vorſichtiger ſich benehmen, oder aber paſſiv ſich verhalten, ſollten ſie auch
von ihrer vermeintlichen Dienſtpflicht für das ſouveräne Volk noch nicht
abgekommen ſeyn. Als ein weiterer Mißſtand wird vom Beobachter die
Zerſplitterung der Wahlbezirke in mehrere Wahldiſtricte gerügt. Bei der
letzten Wahl fand die Abſtimmung nur in Städten oder in einzelnen grö-
ßeren Gemeinden eines Wahlbezirks ſtatt. In dieſem befinden ſich in der
Regel Zweigvereine des Landesausſchuſſes oder Volksvereine, und durch
dieſe konnte auf jede Weiſe zu Gunſten des Candidaten der Volkspartei ge-
wirkt werden, wie denn auch Fälle bekannt ſind in welchen unzweifelhaft
die Freiheit der Wahl vernichtet wurde. Die Wähler vom Lande wurden
nicht ſelten verhöhnt und bedroht, wollten ſie den auf einen conſervativen
Candidaten lautenden Wahlzettel nicht ſofort mit einem demokratiſchen
Stimmzettel vertauſchen. So entſtanden gerechte Klagen über Wahl-
beeinträchtigungen, und nicht ſelten hörte man von Landleuten daß ſie
nimmermehr in der Stadt abſtimmen werden. Dieſem Uebelſtand ſucht
die Miniſterialverfügung über die Anordnung der neuen Wahlen abzuhelfen.
Durch dieſelbe werden die einzelnen Wahldiſtricte in mehrere Abſtimmungs-
orte eingetheilt, wo ſich theilweiſe nicht nur keine Volksvereine, ſondern
ſogar Piusvereine befinden. Freilich würden alle dieſe Anordnungen die
Wahlen zum Nachtheil der Volkspartei nicht zu geſtalten vermögen, würde
nicht auch die andere Partei Energie und Rührigkeit zeigen; würde dieſe
nicht einſehen daß dringend geboten ſey ſeine Staatsbürgerpflicht in der
gegenwärtigen Lage des Vaterlandes zu erfüllen; und dieſes iſt wohl der
Hauptgrund warum die Volkspartei auf der einen Seite ſich ſich ſo ſicher
gibt, auf der andern aber einen Centralwahlausſchuß bildet und alle
Volksvereine und Volksmänner zur angeſtrengteſten und umſichtigſten
Thätigkeit auffordert. Noch iſt es nicht gewiß für welche Partei die Wah-
len den Ausſchlag geben werden; aber betheiligten ſich die conſervativ ge-
ſinnten Wahlberechtigten des württembergiſchen Volks bei den Wahlen,
handelten ſie mit vereinter Kraft gegen die feindliche Partei, und räumen
ſie nicht wie das letztemal derſelben im voraus das Feld, ſo iſt kaum zu
zweifeln daß ihnen der Sieg für die gute Sache, für das Beſte des Landes
zufallen wird.
Hamburg.
IV.
# Hamburg, 5 Jan. Lamartine bezeichnet die Girondiſten als
Demokraten welche ſich nach den Umſtänden richten, und Robespierre
und die Bergpartei als Demokraten nach Principien. Iſt dieſe Definition
richtig, ſo liegt in dem Untergang beider Parteien ſchwerlich etwas ande-
res als die Lehre daß es nur durch richtige Vermittlung der Umſtände und
Principien gelingen kann der Reſtauration einen Damm entgegenzuſetzen
und die Revolution zur Reformation zu verklären. Je ſchwerer aber dieſe
Vermittlung ſich erreichen läßt, je mehr es dazu einer glücklichen Con-
ſtellation bedarf, um ſo unſeliger iſt es wenn man den günſtigen Moment,
den die Geſchichte in roſenfarbener Feenlaune darbot, ungenützt ent-
fliehen ließ.
Die höheren Stände hatten ihre Pflicht gegen die unteren verſäumt
und eine Demarcationslinie gezogen ähnlich jenem rothen Seil das, wie
Venedey erzählt, bei den Polenbällen in London in einem und demſelben
Saal die Nobility von der Mobility trennt. In Folge deſſen erneuerte
ſich die Revolution und mit ihr die Forderung der ſogenannten unteren
Stände ſich ſelber an der Sorge für ihr leibliches und geiſtiges Wohl zu
betheiligen und zu dem Ende politiſcher Rechte theilhaftig zu werden.
Die Erfahrung der letzten Jahre widerſprach dieſer Forderung nicht, ſie
empfahl das allgemeine Stimmrecht wenigſtens negativ, wenigſtens in ſofern
als die Beſchränkungen von neuem zur Revolution geführt hatten; zu der
Erfahrung aber geſellten ſich innere Gründe, und ſo konnte es als ein
Princip gelten. Die innern Gründe waren freilich auch zumeiſt nega-
tiver Art: die Feſtſtellung des Cenſus hatte in fich ſelbſt etwas willkür-
liches, der Beſitz war — und ſchon der Name „Glücksgüter“ ſprach dieß
aus — kein congruenter Maßſtab für Bürgertugend und common sense;
doch fehlte es auch nicht ganz an poſitiven Gründen, namentlich berief
man ſich auf die indirecten Steuern und die Wehrpflicht. Und dem Prin-
cip waren offenbar die Umſtände günſtig, viel weniger zwar gleich nach
der Revolution als in jenem Moment wo die Frankfurter Verſammlung
ihr Werk beendet zu haben ſchien. Die Gunſt der Umſtände aber war
um ſo wichtiger, da einerſeits das allgemeine Wahlrecht als die beſte
praktiſche Lehrmethode zur Erziehung von Staatsbürgern und als das
geeignetſte Mittel gegen die Revolution erſchien, während es andererſeits
ein Experiment war das die Geſellſchaft ſchlimm gefährden konnte. Frei-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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