Allgemeine Zeitung, Nr. 38, 7. Februar 1850.[Spaltenumbruch]
ringem Maß vorhanden, so ist immerhin ein Umschlag zur entschiedenen || Frankfurt a. M., 4 Febr. Den öfterreichischen Zollvereini- Bayern. München, 4 Febr. Heute Abend ist Künstlerball. *) Die Deutsche Ztg., die eben noch über die königl. Botschaft wahre
Verzweiflungsartikel gebracht hatte, stimmt plötzlich, nun die Kammern Ja gesagt, eine Art Siegeshymnus an. [Spaltenumbruch]
ringem Maß vorhanden, ſo iſt immerhin ein Umſchlag zur entſchiedenen ǁ Frankfurt a. M., 4 Febr. Den öfterreichiſchen Zollvereini- Bayern. ⦿ München, 4 Febr. Heute Abend iſt Künſtlerball. *) Die Deutſche Ztg., die eben noch über die königl. Botſchaft wahre
Verzweiflungsartikel gebracht hatte, ſtimmt plötzlich, nun die Kammern Ja geſagt, eine Art Siegeshymnus an. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0002" n="594"/><cb/> ringem Maß vorhanden, ſo iſt immerhin ein Umſchlag zur entſchiedenen<lb/> Abneigung zu erwarten. Am wenigſten wohl von der Gothaer Partei,<lb/> die eine zulängliche Dehnbarkeit hat<note place="foot" n="*)">Die <hi rendition="#g">Deutſche Ztg.,</hi> die eben noch über die königl. Botſchaft wahre<lb/> Verzweiflungsartikel gebracht hatte, ſtimmt plötzlich, nun die Kammern<lb/> Ja geſagt, eine Art Siegeshymnus an.</note> und am Ende alles daran ſetzt um<lb/> keine Gelegenheit zur Apotheoſe oder ſonſt etwas zu verſäumen. Darüber<lb/> wird man ſich ſchwerlich irgendwo täuſchen daß die Principien welche im<lb/> eignen Staat die leitenden find, von dem Reichsvorſtand auch in dem<lb/> Bundesſtaat vertreten werden. Es iſt dieß um ſo gewiſſer, je größere<lb/> Anſtrengung er in Selbſtverläugnung und Geduld gemacht hat, um dort<lb/> ſeinen Willen durchzuſetzen. Alle Staaten welche bis jetzt dem Berliner<lb/> Bündniß beigetreten ſind, hatten aber vor dem März 1848 ſchon eine<lb/> freiere Verfaſſung, das Volk mehr <hi rendition="#aq">Self-Government,</hi> als Preußen durch<lb/> die ihrem Abſchluß entgegenreifende erlangen wird: jeder einzelne hat<lb/> ſeine Bewegung durchgemacht, um zu noch weiteren Entwickelungen zu<lb/> gelangen, und wenn ſie alle nunmehr nach einem Bundesſtaat ſtreben, ſo<lb/> geſchieht dieß nicht bloß der äußeren Sicherheit wegen, ſondern um auch<lb/> eine Garantie für die Dauer der ſogenannten Errungenſchaften zu finden.<lb/> Dieſe wechſelſeitige Garantie iſt aber nur unter homogenen Theilen des<lb/> Ganzen zu denken, und nur <hi rendition="#g">die</hi> Verträge verſprechen Dauer bei welchen<lb/> jeder einzelne ſeinen Vortheil findet. Der Gang welchen die preußiſche<lb/> Verfaſſungsangelegenheit genommen hat, ſtellt aber Preußen allen übrigen<lb/> Theilen des Bundesſtaats fern: es wird zum fremden Element in der Ver-<lb/> bindung, und nur wenn die übrigen Theilnehmer ſich entſchließen könnten<lb/> rückwärts zu gehen bis zu dem Punkt auf welchem die politiſchen Zu-<lb/> ſtände von Preußen ſich jetzt befinden, wäre eine natürliche Anziehung<lb/> wahrſcheinlich. Unmöglich iſt es freilich nicht daß das in der Welt noch<lb/> nie erlebte Schauſpiel, wie eine Repräſentantenverſammlung die frei-<lb/> finnigſte Charte, von der Krone ſelber vorgelegt, bis zum Scheinconſtitu-<lb/> tionalismus abſtumpft, verflacht und verwäſſert, ſich auch in Erfurt wieder-<lb/> hole, und daß ſtatt der Reichsverfaſſung vom 26 Mai eine Reichspolizei-<lb/> ordnung nach dem Vorſchlag des Hrn. v. Blittersdorf zum Vorſchein<lb/> komme, mit einem Polizei- und Zwangsmeiſter in Berlin. Das wahr-<lb/> ſcheinlichſte iſt und bleibt daß der Verſuch in Erfurt zwar gemacht wird,<lb/> daß derſelbe aber vollſtändig ſcheitert. Die Abneigung der Völker gegen<lb/> das Project iſt im Wachſen, und da die Fürſten Hoffnung haben eben-<lb/> ſoviel Schutz für ihre dynaſtiſchen Intereſſen in dem weiteren Bund und<lb/> zwar mit geringern Opfern der Selbſtändigkeit zu erlangen, ſo wird ihnen<lb/> jede Gelegenheit willkommen ſeyn, von dem gegebenen Wort zurückzu-<lb/> treten. So erklärt ſich das ganze Bündniß am Ende als eine Verlegen-<lb/> heitsmaßregel, die ſo lange hält als die Urſache währt, und mit<lb/> ihr von ſelbſt aufhört. <hi rendition="#aq">Passato il pericolo, gabbato il Santo!</hi> Daß<lb/> darum doch in Preußen, und ganz beſonders in derjenigen Partei deren<lb/> Grundſätze jetzt ſieghaft geworden, der ernſte Wille beſtehe den Bundesſtaat<lb/> durchzuführen, dürfen Sie nicht bezweifeln; und ebenſo richtig iſt es daß<lb/> ein großer Theil derſelben von den lauterſten Beweggründen geleitet iſt. Sie<lb/> glauben wirklich daß nachdem Preußen eine Verfaſſung, wie die gegenwärtige,<lb/> gewonnen hat, es mit vollem Fug an die Spitze von Deutſchland treten und<lb/> das gemeinſame Vaterland dem Glück und der Größe entgegenführen könne.<lb/> Hoffentlich werden Sie ſich auch geſagt ſeyn laſſen daß in der Welt auf das-<lb/> jenige was wahr oder was falſch iſt, viel weniger ankommt als auf das was<lb/> geglaubt wird. Das Beſſere iſt es was zum Handeln treibt. Es iſt nicht<lb/> undenkbar daß das Zurückſchleudern Preußens in ſeiner Verfaſſungsent-<lb/> wicklung am Ende was Gutes haben wird. In der Regel iſt nur das ſe-<lb/> gensreich und ein bleibendes Eigenthum was durch lange Strebſamkeit<lb/> und langen Kampf errungen worden, und daß das preußiſche Volk nicht<lb/> ſofort in den Beſitz aller der Immunitäten und Berechtigungen gelangt<lb/> iſt welche die octroyirte Verfaſſung vom 5 Dec. 1848 ihm geboten hat,<lb/> kann der männlichen Entwicklung, die durch Ringen die Kräfte bewährt<lb/> und verſtärkt, und nach Kämpfen zum Ziel gelangt, vielleicht ſehr förder-<lb/> lich werden. Freilich droht auch eine große Gefahr. Der Schein-Confti-<lb/> tutionalismus hat noch allerwärts die Monarchie untergraben. Wie eine<lb/> auf ſogenannter breiter Grundlage errichtete demokratiſche Monarchie ge-<lb/> wirkt haben würde, davon läßt ſich nichts ſagen weil die Erfahrung man-<lb/> gelt. Einer der Hauptgründe weßhalb die Monarchie durch den Schein-<lb/> Conſtitutionalismus leidet, iſt die darin, wie es ſcheint, bedingte Corrup-<lb/> tion des Beamtenthums. Daß eine tüchtige Adminiſtration großen Stür-<lb/> men widerſtehen kann, iſt in der Geſchichte oft genug bewährt: von Ver-<lb/> faſſungen kann man dasſelbe nicht behaupten. Der moraliſche Einfluß<lb/> Preußens, das Vertrauen auf ſeine Redlichkeit, der Glaube an ſeine Bil-<lb/> dung, an ſeine natürlichen Anſprüche auf Hegemonie, lag in der Höhe auf<lb/> welche der Beamtenſtaat ſich geſchwungen hatte. Dieſer Standpunkt ſchien<lb/> dem tiefern Blick freilich ſchon in der letzten Regierungsperiode des vori-<lb/><cb/> gen Königs verloren, und wurde unter der jetzigen Regierung durch vieler-<lb/> lei Einflüſſe mehr und mehr eingebüßt ohne daß irgendwo ein zuläng-<lb/> licher Erſatz ſich hätte finden wollen. Vor dem März 1848 herrſchte, den<lb/> Principien des Königs zuwider und doch unter ſeinem Schutze, die Bureau-<lb/> kratie, aber all des Adels entkleidet der ſie in einer frühern Zeit geho-<lb/> ben und geziert hatte. Doch war die Redlichkeit geblieben und die Hin-<lb/> gebung an das Oberhaupt. Wir wollen ſehen ob in dem großen Intriguen-<lb/> ſpiel welches man den Conſtitutionalismus, wie wir ihn ſeit 1815 kennen,<lb/> nennt, dieſe Eigenſchaften ungeſchmälert verbleiben. Sowie die neue<lb/> Verfaſſung das preußiſche Volk in neue Entwicklungsproceſſe zurückwirft,<lb/> ſo wird auch Preußen im Verhältniß zu dem übrigen Deutſchland in eine<lb/> gleiche Lage dadurch verſetzt. Es iſt ein gar ſchweres Werk eine Verfaſ-<lb/> ſung für Deutſchland zu machen, und nur dem Enthuſiasmus oder der<lb/> Noth hätte die Improviſation gelingen können. Es find nun bald hun-<lb/> dert Jahre daß der alte Moſer vorherſagte: es könne den Deutſchen kein<lb/> größeres Unglück widerfahren als wenn ſie ſich eine Verfaſſung ſelber ge-<lb/> ben ſollten, und es iſt noch gar nicht lange daß die Worte des Generals<lb/> v. Radowitz vor unſern Ohren klangen. In praktiſchen Dingen iſt der<lb/> Erfolg ein Gottesurtheil! Dieſes Gottesurtheil iſt in den Minoritätswah-<lb/> len zum Erfurter Reichstag geſprochen. Das Volk erwartet nichts mehr<lb/> davon. Es knüpft ſich keine, d. h. keine uneigennützige Hoffnung mehr<lb/> daran, und wenn Preußen Deutſchlands Führer werden will, ſo muß es<lb/> die Berechtigung auf andere Weiſe erwerben, und in der Neugeſtaltung<lb/> ſeines Staatslebens damit von vorn anfangen. Ob dieß ein Unglück ſey?<lb/> Darüber gibt es verſchiedene Meinungen. Eine wohl berechtigte iſt die<lb/> daß die Gegenwart ſich wenig eignet etwas befriedigendes zu ſchaffen. Die<lb/> Dynaſtien haben zu viel zu verſchmerzen, zu viel zu beſorgen als daß ſie<lb/> einen reinen ungetrübten Blick für die Bedürfniſſe und für die Mittel zu<lb/> deren Befriedigung gewinnen könnten. Das Vertrauen im Volk iſt ſo<lb/> ſelten geworden daß es keinen Preis mehr hat. Es fragt ſich daher ob<lb/> nicht die Fortdauer des Proviſoriums, deſſen Grundlage die bisherige<lb/> Bundesgeſetzgebung bildet, noch das günſtigſte wäre. Verſpricht dasſelbe<lb/> Kraft und Energie nach außen und nach innen, alſo Befriedigung des<lb/> Nationalgefühls und Beruhigung? Können ſich mittlerweile die politi-<lb/> ſchen Strebungen die den heutigen Geiſt der Freiheit wach erhalten, den<lb/> ſpeciellen Organismen zuwenden, ohne daß ſich die Gegenſätze ſo ſchärfen<lb/> daß aus ihnen ſich ein Kampf auf Leben und Tod entwickelt? Sie haben oft aus<lb/> meiner Feder geleſen daß die Nichtigkeit der Bundesgewalt in allen nationalen<lb/> Angelegenheiten, das Schmerzgefühl darüber und die Unmöglichkeit den gro-<lb/> ßen Angelegenheiten Liebe und Eifer zuzuwenden, dahin getrieben habe alle<lb/> überſchießenden Kräfte in den kleinen Gebilden als Corroſive wirken zu machen.<lb/> Ich habe noch heute dieſe Anſicht; aber ich bin auch überzeugt daß, wenn<lb/> es der Bundesgewalt gelungen wäre auch dort noch den politiſchen Geiſt, die<lb/> Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten zu ertödten, der deutſche<lb/> Name ein ſchmachvolles Ende genommen haben, und Deutſchland zum<lb/> geographiſchen Begriff unfehlbar herabgeſunken ſeyn würde.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>ǁ <hi rendition="#b">Frankfurt a. M.,</hi> 4 Febr.</dateline> <p>Den öfterreichiſchen Zollvereini-<lb/> gungsvorſchlägen ſcheint auch von der fremden Diplomatie ein beſonderes<lb/> Gewicht beigelegt zu werden; denn man vernimmt daß mehrere auswär-<lb/> tige Geſandte die Denkſchrift des Wiener Cabinets durch eigene Couriere<lb/> an ihre Regierungen abgeſchickt haben. — Der Antrag in Betreff des An-<lb/> ſchluſſes an Erfurt ſoll nun dennoch in einer der nächſten Sitzungen des<lb/> geſetzgebenden Körpers zum Vorſchein kommen. Man kann indeſſen nicht<lb/> eben behaupten daß die Ausfichten für dieſen Antrag ſich günftiger geſtal-<lb/> tet hätten als es vor acht Tagen der Fall war. — Der Main iſt ſeit ge-<lb/> ſtern Abend noch um beinahe 2 Schuh (auf 15½) geſtiegen. Die Kais<lb/> und ihre Umgebungen find fortwährend unter Waſſer. Da indeſſen der<lb/> Eisabgang vom Obermain abgenommen hat, auch für kommende Nacht<lb/> Froſt in Ausficht ſteht, ſo dürfte der Wafferſtand wohl ſeinen Höhepunkt<lb/> erreicht haben. In unſerer Nachbarſchaft ſcheint beſonders die Umgegend<lb/> von Höchſt durch das Hochwaſſer gelitten zu haben; auch die Eiſenbahn<lb/> war theilweiſe überfluthet, ohne daß jedoch der Verkehr dadurch gehemmt<lb/> worden wäre.</p> </div> </div><lb/> <div type="jCulturalNews" n="2"> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g">Bayern.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>⦿ <hi rendition="#b">München,</hi> 4 Febr.</dateline> <p>Heute Abend iſt Künſtlerball.<lb/> Vergangenes Jahr, wo der deutſche Horizont noch voll von Hoffnungsfternen<lb/> war, ließen unſere Künftler den Barbaroſſa aus ſeinem Felſengrabe er-<lb/> wachen und brachten uns, ſtatt eines gewöhnlichen Carnevalſcherzes, eine<lb/> politiſche Feier: die Auferſtehung des deutſchen Vaterlands in finnigen<lb/> Bildern, bei deren Anblick unſer deutſches Gemüth jubelte. Die Ereig-<lb/> niſſe welche ſeitdem an uns vorübergegangen, die Enttäuſchung welche<lb/> der Begeiſterung gefolgt, machten leider jene ſchöne Darſtellung nach-<lb/> träglich zu einem deutſchen Faſchingsſchwank. Unter einem Theil der<lb/> Münchner Künſtler ſoll dieſes Jahr in allem Ernſt der Gedanke auf-<lb/> getaucht ſeyn die Kehrſeite des vergangenen Jahres allegoriſch aufzufüh-<lb/> ren: den Rückzug des Barbaroſſa in den Kyffhäuſer, um im ſteinernen<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [594/0002]
ringem Maß vorhanden, ſo iſt immerhin ein Umſchlag zur entſchiedenen
Abneigung zu erwarten. Am wenigſten wohl von der Gothaer Partei,
die eine zulängliche Dehnbarkeit hat *) und am Ende alles daran ſetzt um
keine Gelegenheit zur Apotheoſe oder ſonſt etwas zu verſäumen. Darüber
wird man ſich ſchwerlich irgendwo täuſchen daß die Principien welche im
eignen Staat die leitenden find, von dem Reichsvorſtand auch in dem
Bundesſtaat vertreten werden. Es iſt dieß um ſo gewiſſer, je größere
Anſtrengung er in Selbſtverläugnung und Geduld gemacht hat, um dort
ſeinen Willen durchzuſetzen. Alle Staaten welche bis jetzt dem Berliner
Bündniß beigetreten ſind, hatten aber vor dem März 1848 ſchon eine
freiere Verfaſſung, das Volk mehr Self-Government, als Preußen durch
die ihrem Abſchluß entgegenreifende erlangen wird: jeder einzelne hat
ſeine Bewegung durchgemacht, um zu noch weiteren Entwickelungen zu
gelangen, und wenn ſie alle nunmehr nach einem Bundesſtaat ſtreben, ſo
geſchieht dieß nicht bloß der äußeren Sicherheit wegen, ſondern um auch
eine Garantie für die Dauer der ſogenannten Errungenſchaften zu finden.
Dieſe wechſelſeitige Garantie iſt aber nur unter homogenen Theilen des
Ganzen zu denken, und nur die Verträge verſprechen Dauer bei welchen
jeder einzelne ſeinen Vortheil findet. Der Gang welchen die preußiſche
Verfaſſungsangelegenheit genommen hat, ſtellt aber Preußen allen übrigen
Theilen des Bundesſtaats fern: es wird zum fremden Element in der Ver-
bindung, und nur wenn die übrigen Theilnehmer ſich entſchließen könnten
rückwärts zu gehen bis zu dem Punkt auf welchem die politiſchen Zu-
ſtände von Preußen ſich jetzt befinden, wäre eine natürliche Anziehung
wahrſcheinlich. Unmöglich iſt es freilich nicht daß das in der Welt noch
nie erlebte Schauſpiel, wie eine Repräſentantenverſammlung die frei-
finnigſte Charte, von der Krone ſelber vorgelegt, bis zum Scheinconſtitu-
tionalismus abſtumpft, verflacht und verwäſſert, ſich auch in Erfurt wieder-
hole, und daß ſtatt der Reichsverfaſſung vom 26 Mai eine Reichspolizei-
ordnung nach dem Vorſchlag des Hrn. v. Blittersdorf zum Vorſchein
komme, mit einem Polizei- und Zwangsmeiſter in Berlin. Das wahr-
ſcheinlichſte iſt und bleibt daß der Verſuch in Erfurt zwar gemacht wird,
daß derſelbe aber vollſtändig ſcheitert. Die Abneigung der Völker gegen
das Project iſt im Wachſen, und da die Fürſten Hoffnung haben eben-
ſoviel Schutz für ihre dynaſtiſchen Intereſſen in dem weiteren Bund und
zwar mit geringern Opfern der Selbſtändigkeit zu erlangen, ſo wird ihnen
jede Gelegenheit willkommen ſeyn, von dem gegebenen Wort zurückzu-
treten. So erklärt ſich das ganze Bündniß am Ende als eine Verlegen-
heitsmaßregel, die ſo lange hält als die Urſache währt, und mit
ihr von ſelbſt aufhört. Passato il pericolo, gabbato il Santo! Daß
darum doch in Preußen, und ganz beſonders in derjenigen Partei deren
Grundſätze jetzt ſieghaft geworden, der ernſte Wille beſtehe den Bundesſtaat
durchzuführen, dürfen Sie nicht bezweifeln; und ebenſo richtig iſt es daß
ein großer Theil derſelben von den lauterſten Beweggründen geleitet iſt. Sie
glauben wirklich daß nachdem Preußen eine Verfaſſung, wie die gegenwärtige,
gewonnen hat, es mit vollem Fug an die Spitze von Deutſchland treten und
das gemeinſame Vaterland dem Glück und der Größe entgegenführen könne.
Hoffentlich werden Sie ſich auch geſagt ſeyn laſſen daß in der Welt auf das-
jenige was wahr oder was falſch iſt, viel weniger ankommt als auf das was
geglaubt wird. Das Beſſere iſt es was zum Handeln treibt. Es iſt nicht
undenkbar daß das Zurückſchleudern Preußens in ſeiner Verfaſſungsent-
wicklung am Ende was Gutes haben wird. In der Regel iſt nur das ſe-
gensreich und ein bleibendes Eigenthum was durch lange Strebſamkeit
und langen Kampf errungen worden, und daß das preußiſche Volk nicht
ſofort in den Beſitz aller der Immunitäten und Berechtigungen gelangt
iſt welche die octroyirte Verfaſſung vom 5 Dec. 1848 ihm geboten hat,
kann der männlichen Entwicklung, die durch Ringen die Kräfte bewährt
und verſtärkt, und nach Kämpfen zum Ziel gelangt, vielleicht ſehr förder-
lich werden. Freilich droht auch eine große Gefahr. Der Schein-Confti-
tutionalismus hat noch allerwärts die Monarchie untergraben. Wie eine
auf ſogenannter breiter Grundlage errichtete demokratiſche Monarchie ge-
wirkt haben würde, davon läßt ſich nichts ſagen weil die Erfahrung man-
gelt. Einer der Hauptgründe weßhalb die Monarchie durch den Schein-
Conſtitutionalismus leidet, iſt die darin, wie es ſcheint, bedingte Corrup-
tion des Beamtenthums. Daß eine tüchtige Adminiſtration großen Stür-
men widerſtehen kann, iſt in der Geſchichte oft genug bewährt: von Ver-
faſſungen kann man dasſelbe nicht behaupten. Der moraliſche Einfluß
Preußens, das Vertrauen auf ſeine Redlichkeit, der Glaube an ſeine Bil-
dung, an ſeine natürlichen Anſprüche auf Hegemonie, lag in der Höhe auf
welche der Beamtenſtaat ſich geſchwungen hatte. Dieſer Standpunkt ſchien
dem tiefern Blick freilich ſchon in der letzten Regierungsperiode des vori-
gen Königs verloren, und wurde unter der jetzigen Regierung durch vieler-
lei Einflüſſe mehr und mehr eingebüßt ohne daß irgendwo ein zuläng-
licher Erſatz ſich hätte finden wollen. Vor dem März 1848 herrſchte, den
Principien des Königs zuwider und doch unter ſeinem Schutze, die Bureau-
kratie, aber all des Adels entkleidet der ſie in einer frühern Zeit geho-
ben und geziert hatte. Doch war die Redlichkeit geblieben und die Hin-
gebung an das Oberhaupt. Wir wollen ſehen ob in dem großen Intriguen-
ſpiel welches man den Conſtitutionalismus, wie wir ihn ſeit 1815 kennen,
nennt, dieſe Eigenſchaften ungeſchmälert verbleiben. Sowie die neue
Verfaſſung das preußiſche Volk in neue Entwicklungsproceſſe zurückwirft,
ſo wird auch Preußen im Verhältniß zu dem übrigen Deutſchland in eine
gleiche Lage dadurch verſetzt. Es iſt ein gar ſchweres Werk eine Verfaſ-
ſung für Deutſchland zu machen, und nur dem Enthuſiasmus oder der
Noth hätte die Improviſation gelingen können. Es find nun bald hun-
dert Jahre daß der alte Moſer vorherſagte: es könne den Deutſchen kein
größeres Unglück widerfahren als wenn ſie ſich eine Verfaſſung ſelber ge-
ben ſollten, und es iſt noch gar nicht lange daß die Worte des Generals
v. Radowitz vor unſern Ohren klangen. In praktiſchen Dingen iſt der
Erfolg ein Gottesurtheil! Dieſes Gottesurtheil iſt in den Minoritätswah-
len zum Erfurter Reichstag geſprochen. Das Volk erwartet nichts mehr
davon. Es knüpft ſich keine, d. h. keine uneigennützige Hoffnung mehr
daran, und wenn Preußen Deutſchlands Führer werden will, ſo muß es
die Berechtigung auf andere Weiſe erwerben, und in der Neugeſtaltung
ſeines Staatslebens damit von vorn anfangen. Ob dieß ein Unglück ſey?
Darüber gibt es verſchiedene Meinungen. Eine wohl berechtigte iſt die
daß die Gegenwart ſich wenig eignet etwas befriedigendes zu ſchaffen. Die
Dynaſtien haben zu viel zu verſchmerzen, zu viel zu beſorgen als daß ſie
einen reinen ungetrübten Blick für die Bedürfniſſe und für die Mittel zu
deren Befriedigung gewinnen könnten. Das Vertrauen im Volk iſt ſo
ſelten geworden daß es keinen Preis mehr hat. Es fragt ſich daher ob
nicht die Fortdauer des Proviſoriums, deſſen Grundlage die bisherige
Bundesgeſetzgebung bildet, noch das günſtigſte wäre. Verſpricht dasſelbe
Kraft und Energie nach außen und nach innen, alſo Befriedigung des
Nationalgefühls und Beruhigung? Können ſich mittlerweile die politi-
ſchen Strebungen die den heutigen Geiſt der Freiheit wach erhalten, den
ſpeciellen Organismen zuwenden, ohne daß ſich die Gegenſätze ſo ſchärfen
daß aus ihnen ſich ein Kampf auf Leben und Tod entwickelt? Sie haben oft aus
meiner Feder geleſen daß die Nichtigkeit der Bundesgewalt in allen nationalen
Angelegenheiten, das Schmerzgefühl darüber und die Unmöglichkeit den gro-
ßen Angelegenheiten Liebe und Eifer zuzuwenden, dahin getrieben habe alle
überſchießenden Kräfte in den kleinen Gebilden als Corroſive wirken zu machen.
Ich habe noch heute dieſe Anſicht; aber ich bin auch überzeugt daß, wenn
es der Bundesgewalt gelungen wäre auch dort noch den politiſchen Geiſt, die
Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten zu ertödten, der deutſche
Name ein ſchmachvolles Ende genommen haben, und Deutſchland zum
geographiſchen Begriff unfehlbar herabgeſunken ſeyn würde.
ǁ Frankfurt a. M., 4 Febr. Den öfterreichiſchen Zollvereini-
gungsvorſchlägen ſcheint auch von der fremden Diplomatie ein beſonderes
Gewicht beigelegt zu werden; denn man vernimmt daß mehrere auswär-
tige Geſandte die Denkſchrift des Wiener Cabinets durch eigene Couriere
an ihre Regierungen abgeſchickt haben. — Der Antrag in Betreff des An-
ſchluſſes an Erfurt ſoll nun dennoch in einer der nächſten Sitzungen des
geſetzgebenden Körpers zum Vorſchein kommen. Man kann indeſſen nicht
eben behaupten daß die Ausfichten für dieſen Antrag ſich günftiger geſtal-
tet hätten als es vor acht Tagen der Fall war. — Der Main iſt ſeit ge-
ſtern Abend noch um beinahe 2 Schuh (auf 15½) geſtiegen. Die Kais
und ihre Umgebungen find fortwährend unter Waſſer. Da indeſſen der
Eisabgang vom Obermain abgenommen hat, auch für kommende Nacht
Froſt in Ausficht ſteht, ſo dürfte der Wafferſtand wohl ſeinen Höhepunkt
erreicht haben. In unſerer Nachbarſchaft ſcheint beſonders die Umgegend
von Höchſt durch das Hochwaſſer gelitten zu haben; auch die Eiſenbahn
war theilweiſe überfluthet, ohne daß jedoch der Verkehr dadurch gehemmt
worden wäre.
Bayern.
⦿ München, 4 Febr. Heute Abend iſt Künſtlerball.
Vergangenes Jahr, wo der deutſche Horizont noch voll von Hoffnungsfternen
war, ließen unſere Künftler den Barbaroſſa aus ſeinem Felſengrabe er-
wachen und brachten uns, ſtatt eines gewöhnlichen Carnevalſcherzes, eine
politiſche Feier: die Auferſtehung des deutſchen Vaterlands in finnigen
Bildern, bei deren Anblick unſer deutſches Gemüth jubelte. Die Ereig-
niſſe welche ſeitdem an uns vorübergegangen, die Enttäuſchung welche
der Begeiſterung gefolgt, machten leider jene ſchöne Darſtellung nach-
träglich zu einem deutſchen Faſchingsſchwank. Unter einem Theil der
Münchner Künſtler ſoll dieſes Jahr in allem Ernſt der Gedanke auf-
getaucht ſeyn die Kehrſeite des vergangenen Jahres allegoriſch aufzufüh-
ren: den Rückzug des Barbaroſſa in den Kyffhäuſer, um im ſteinernen
*) Die Deutſche Ztg., die eben noch über die königl. Botſchaft wahre
Verzweiflungsartikel gebracht hatte, ſtimmt plötzlich, nun die Kammern
Ja geſagt, eine Art Siegeshymnus an.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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