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Allgemeine Zeitung, Nr. 38, 19. September 1914.

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Allgemeine Zeitung 19. September 1914.
[Spaltenumbruch] der Absatz nach neutralen Ländern wesentlich erschwert: zwei-
tens sind die Außenstände bei den Angehörigen feindlicher
Staaten vorläufig uneintreibbar, für die Zukunft aber minde-
stens gefährdet, außerdem sind die bestellten, bereits fertigen
für Rechnung feindlichen Ausländer hergestellten Waren
nicht ablieferbar; drittens muß damit gerechnet werden, daß
selbst im günstigsten Falle, d. h. nach einem auf der ganzen
Linie siegreichen Kriege lange Zeit vergehen wird, bis wieder
geregelte Beziehungen zu den ausländischen Kunden herge-
stellt werden können; zum Teil wird wohl mit einem endgül-
tigen Verlust einzelner Kunden gerechnet werden müssen. Die
bayerische Exportindustrie ist also in einer außerordentlich
schwierigen Lage; unter diesen Umständen ist es begreiflich,
daß in Nürnberg, Oberfranken und anderen Mittelpunkten
der Exportindustrie eine sehr gedrückte Stimmung herrscht.

In feindlichen Zeitungen wird jetzt viel davon gesprochen,
daß man unsern Ausfuhrhandel überhaupt vernichten und
uns in Zukunft nichts mehr abkaufen will. Derartige Schreie-
reien dürfen wir nicht allzu ernst nehmen und uns dadurch
nicht einschüchtern lassen. Der gute Kaufmann, welcher nach
gesunden wirtschaftlichen Grundsätzen arbeitet, wird ohne
Rücksicht auf die Nationalität stets dort kaufen, wo er für das
billigste Geld die beste Ware erhält. An diesem einfachen
und klaren Satze wird niemand etwas ändern können. Wenn
also Deutschland in den letzten Jahren seine Ausfuhr so
enorm steigern konnte, so war der Grund hierfür einfach der,
daß wir die meisten Waren so gut und so billig liefern konn-
ten, daß es für den Ausländer wirtschaftlicher war, bei uns
als im eigenen Lande zu kaufen. Denn es wird doch im
Ernste kein Mensch behaupten wollen, daß wir die Steige-
rung unserer Ausfuhr unserer allgemeinen Beliebtheit ver-
danken; der jetzige Krieg zeigt im Gegenteil deutlich, daß wir
nur Feinde hatten und daß unsere Entwicklung überall mit
Neid und Mißgunst verfolgt wurde. Also nicht wegen unserer
Beliebtheit, sondern trotz unserer Unbeliebtheit konnten wir
unsere Ausfuhr steigern, weil unsere Industrie auf vielen Ge-
bieten die leistungsfähigste war und ihren Kunden die Mög-
lichkeit bot, ihren Bedarf in wirtschaftlich vorteilhaftester
Weise zu decken. Hieran wird auch in Zukunft nichts geän-
dert werden, denn daß die Industrie der uns feindlichen Län-
der in absehbarer Zeit der unserigen an Leistungsfähigkeit
gleichkommen oder sie gar übertreffen wird, wagen wohl selbst
die begeistertsten französischen und englischen Optimisten nicht
anzunehmen. Die ausländischen Kaufleute werden also auch
in Zukunft die Wahl haben: entweder ihr Geschäft nach ge-
sunden wirtschaftlichen Grundsätzen zu betreiben und gewisse
Waren nach wie vor vorteilhaft bei uns zu kaufen oder aus-
schließlich nach nationalen Gesichtspunkten zu arbeiten und
sich über die Grundgesetze wirtschaftlicher Arbeit hinwegzu-
setzen. Würden die ausländischen Kaufleute wirklich so töricht
sein, das letztere zu tun, so hätten sie ganz allein den Schaden
zu tragen. Solange unsere deutsche Industrie in technischer
Beziehung in den bisherigen Bahnen weiterschreitet, haben
wir wohl mit Bezug auf die Gestaltung unserer Ausfuhr nichts
zu fürchten. Lassen wir unsere Feinde ruhig schreien; wirt-
schaftlichen Notwendigkeiten gegenüber sind sie machtlos.

Bei dieser Gelegenheit soll auch ein Wort über die in
Deutschland jetzt im Gange befindliche Bewegung gegen aus-
ländische Waren gesagt werden. Es gibt wohl nichts Törich-
teres als wenn Angehörige eines Volkes Waren, die sie im
Inlande mindestens ebensogut und billig, zum Teil besser und
billiger haben können, vom Auslande oder mit ausländischer
Herkunftsbezeichnung kaufen, lediglich aus dem Grunde, weil
sie vor dem Auslande eine unbegrenzte Hochachtung haben.
Diese Vorliebe des Deutschen für Ausländerei muß gründlich
ausgerottet werden; sie ist lächerlich und unwürdig zugleich.
Ist es nicht geradezu grotesk, wenn Krefelder Seidenstoffe
nach Lyon geliefert werden, um dann als "französische
Seidenstoffe" mit entsprechenden Preisaufschlägen zurückzu-
wandern und bei uns in Deutschland verkauft zu werden?
In Glauchau existiert eine Fabrik, welche Seidenkrawatten-
stoffe ausschließlich an englische Firmen liefert; diese Erzeug-
nisse kommen dann als "englische Krawatten" nach Deutsch-
land und werden dort mit Vorliebe gekauft. Die Liste sol-
cher Lächerlichkeiten ließe sich lange fortsetzen; ein ganz be-
[Spaltenumbruch] sonders lustiger Fall ereignete sich jedoch kürzlich im Rhein-
land: Als die Boykottbewegung englischer Waren einsetzte,
wurden auch die Erzeugnisse einer Firma boykottiert, welche
als "Sheffielder Stahl" verkauft wurden; die bedrohte Firma
erließ hierauf eine Erklärung, in der sie auseinandersetzte,
daß der Boykott sie zu Unrecht treffe; sie verkaufe ihre Waren
allerdings seit Jahren als "Sheffielder Stahl", weil das
Publikum englischen Stahl bevorzuge; in Wirklichkeit stamme
dieser Stahl aber aus Solingen, sie habe nie auch nur ein
Gramm aus England bezogen. Gibt es eine bessere Illustra-
tion für die törichte "Ausländerei" der Deutschen? Die Be-
wegung, welche jetzt eingesetzt hat, um zu erreichen, daß die
Deutschen in Zukunft alle diejenigen Waren, welche sie in
Deutschland ebensogut und ebensobillig kaufen können, als
vom Auslande, von Deutschland kaufen sollen, ist also durch-
aus berechtigt. Sie schießt aber über das Ziel hinaus, wenn
sie darauf hinwirken will, daß Deutschland in Zukunft über-
haupt keine ausländischen Waren mehr kaufen soll. Wir
sind auf die Ausfuhr unserer Erzeugnisse ins Ausland ange-
wiesen und würden uns selbst am meisten schädigen, wenn
wir aus unserer Weltwirtschaft eine reine Nationalwirtschaft
machen würden. Ausländische Fabrikate zu boykottieren,
nur weil sie aus dem Auslande stammen, ist töricht, solange
wie solche Erzeugnisse wirtschaftlich vorteilhafter vom Aus-
lande kaufen können. Wir wollen auch nach dem Kriege un-
sere Waren an England, Frankreich und Rußland verkaufen
und dürfen deshalb nicht aus nationalen Gründen die Grund-
sätze gesunder Wirtschaftlichkeit preisgeben. Wir werden auch
nach dem Kriege wieder russischen Weizen, russischen Kaviar
und französischen Rotwein, französisches Leder u. a. Dinge
kaufen. Die Boykottbewegung ausländischer Waren ist be-
rechtigt, soweit es sich um die Beseitigung törichter Vorliebe
für ausländische Fabrikate ohne wirtschaftlichen Grund han-
delt, sie schießt über das Ziel hinaus, wenn sie dazu auffor-
dert, unter Mißachtung wirtschaftlicher Grundsätze vom Aus-
land überhaupt nichts mehr zu kaufen.

Die bayerische Exportindustrie wird gegenwärtig auch
durch die im Interesse der Kriegführung erlassenen umfang-
reichen Ausfuhrverbote erheblich geschädigt. Wenn
auch inzwischen einige Milderungen verfügt wurden, so sind
doch noch so zahlreiche Gegenstände von Ausfuhrverboten be-
troffen, daß die Industrie darunter schwer zu leiden hat. Ins-
besondere gehen auch die Grenzzollbehörden, welche sich genau
an den Buchstaben der Verordnungen halten und sich zu einer
freieren Auslegung nicht befugt erachten, sehr streng vor und
halten unnachsichtlich alle Waren an, die irgendwie unter die
in den Ausfuhrverboten benannten allgemeinen Warenkate-
gorien fallen. Sehr oft handelt es sich dabei um Waren, die
offensichtlich weder Kriegszwecken dienen, noch sonst irgend-
wie mit dem Krieg in Verbindung gebracht werden können.
Durch solche Maßnahmen wird natürlich auch der jetzt allein
offene Weg des Handels mit den neutralen Staaten erschwert.

Während des Krieges kommt der Handel mit Frankreich,
England, Rußland, Belgien, Serbien, der insgesamt 3,285
Millionen in der Einfuhr und 3,776 Millionen in der Aus-
fuhr betrug, vollständig in Wegfall. Dagegen bleiben unserem
Handel, wenn auch teilweise mit Verkehrserschwerungen in
Europa folgende Länder offen: Bulgarien, Dänemark, Ita-
lien, Niederlande, Norwegen, Oesterreich-Ungarn, Rumänien,
Schweden, Schweiz, Türkei mit insgesamt 2,351 Millionen
bisheriger Einfuhr und 3,672 Millionen bisheriger Ausfuhr.
Hierzu kommen noch die allerdings nur auf dem Seewege
über Italien erreichbaren Spanien und Portugal.

Von außereuropäischen Ländern müssen wir mit dem
vollständigen Fortfall des Handels mit Afrika und
Australien während der Dauer des Krieges rechnen, doch
sollte es uns gelingen einen Teil des Handels mit Asien zu
retten. Hier kämen in erster Linie China, Niederländisch-
Indien, Siam und die Philippinen in Betracht, nach welchen
Ländern wir bisher für ca. 240 Millionen Mark Waren aus-
führten. Ganz besonders wichtig bleibt für uns jedoch der
amerikanische Kontinent -- mit Ausnahme Kana-
das --, um so mehr als dieser von zahlreichen neutralen Häfen
durch regelmäßige Schiffsverbindungen zu erreichen ist. Wäh-
rend wir also insgesamt 4,461 Millionen unserer Ausfuhr

Allgemeine Zeitung 19. September 1914.
[Spaltenumbruch] der Abſatz nach neutralen Ländern weſentlich erſchwert: zwei-
tens ſind die Außenſtände bei den Angehörigen feindlicher
Staaten vorläufig uneintreibbar, für die Zukunft aber minde-
ſtens gefährdet, außerdem ſind die beſtellten, bereits fertigen
für Rechnung feindlichen Ausländer hergeſtellten Waren
nicht ablieferbar; drittens muß damit gerechnet werden, daß
ſelbſt im günſtigſten Falle, d. h. nach einem auf der ganzen
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geregelte Beziehungen zu den ausländiſchen Kunden herge-
ſtellt werden können; zum Teil wird wohl mit einem endgül-
tigen Verluſt einzelner Kunden gerechnet werden müſſen. Die
bayeriſche Exportinduſtrie iſt alſo in einer außerordentlich
ſchwierigen Lage; unter dieſen Umſtänden iſt es begreiflich,
daß in Nürnberg, Oberfranken und anderen Mittelpunkten
der Exportinduſtrie eine ſehr gedrückte Stimmung herrſcht.

In feindlichen Zeitungen wird jetzt viel davon geſprochen,
daß man unſern Ausfuhrhandel überhaupt vernichten und
uns in Zukunft nichts mehr abkaufen will. Derartige Schreie-
reien dürfen wir nicht allzu ernſt nehmen und uns dadurch
nicht einſchüchtern laſſen. Der gute Kaufmann, welcher nach
geſunden wirtſchaftlichen Grundſätzen arbeitet, wird ohne
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billigſte Geld die beſte Ware erhält. An dieſem einfachen
und klaren Satze wird niemand etwas ändern können. Wenn
alſo Deutſchland in den letzten Jahren ſeine Ausfuhr ſo
enorm ſteigern konnte, ſo war der Grund hierfür einfach der,
daß wir die meiſten Waren ſo gut und ſo billig liefern konn-
ten, daß es für den Ausländer wirtſchaftlicher war, bei uns
als im eigenen Lande zu kaufen. Denn es wird doch im
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rung unſerer Ausfuhr unſerer allgemeinen Beliebtheit ver-
danken; der jetzige Krieg zeigt im Gegenteil deutlich, daß wir
nur Feinde hatten und daß unſere Entwicklung überall mit
Neid und Mißgunſt verfolgt wurde. Alſo nicht wegen unſerer
Beliebtheit, ſondern trotz unſerer Unbeliebtheit konnten wir
unſere Ausfuhr ſteigern, weil unſere Induſtrie auf vielen Ge-
bieten die leiſtungsfähigſte war und ihren Kunden die Mög-
lichkeit bot, ihren Bedarf in wirtſchaftlich vorteilhafteſter
Weiſe zu decken. Hieran wird auch in Zukunft nichts geän-
dert werden, denn daß die Induſtrie der uns feindlichen Län-
der in abſehbarer Zeit der unſerigen an Leiſtungsfähigkeit
gleichkommen oder ſie gar übertreffen wird, wagen wohl ſelbſt
die begeiſtertſten franzöſiſchen und engliſchen Optimiſten nicht
anzunehmen. Die ausländiſchen Kaufleute werden alſo auch
in Zukunft die Wahl haben: entweder ihr Geſchäft nach ge-
ſunden wirtſchaftlichen Grundſätzen zu betreiben und gewiſſe
Waren nach wie vor vorteilhaft bei uns zu kaufen oder aus-
ſchließlich nach nationalen Geſichtspunkten zu arbeiten und
ſich über die Grundgeſetze wirtſchaftlicher Arbeit hinwegzu-
ſetzen. Würden die ausländiſchen Kaufleute wirklich ſo töricht
ſein, das letztere zu tun, ſo hätten ſie ganz allein den Schaden
zu tragen. Solange unſere deutſche Induſtrie in techniſcher
Beziehung in den bisherigen Bahnen weiterſchreitet, haben
wir wohl mit Bezug auf die Geſtaltung unſerer Ausfuhr nichts
zu fürchten. Laſſen wir unſere Feinde ruhig ſchreien; wirt-
ſchaftlichen Notwendigkeiten gegenüber ſind ſie machtlos.

Bei dieſer Gelegenheit ſoll auch ein Wort über die in
Deutſchland jetzt im Gange befindliche Bewegung gegen aus-
ländiſche Waren geſagt werden. Es gibt wohl nichts Törich-
teres als wenn Angehörige eines Volkes Waren, die ſie im
Inlande mindeſtens ebenſogut und billig, zum Teil beſſer und
billiger haben können, vom Auslande oder mit ausländiſcher
Herkunftsbezeichnung kaufen, lediglich aus dem Grunde, weil
ſie vor dem Auslande eine unbegrenzte Hochachtung haben.
Dieſe Vorliebe des Deutſchen für Ausländerei muß gründlich
ausgerottet werden; ſie iſt lächerlich und unwürdig zugleich.
Iſt es nicht geradezu grotesk, wenn Krefelder Seidenſtoffe
nach Lyon geliefert werden, um dann als „franzöſiſche
Seidenſtoffe“ mit entſprechenden Preisaufſchlägen zurückzu-
wandern und bei uns in Deutſchland verkauft zu werden?
In Glauchau exiſtiert eine Fabrik, welche Seidenkrawatten-
ſtoffe ausſchließlich an engliſche Firmen liefert; dieſe Erzeug-
niſſe kommen dann als „engliſche Krawatten“ nach Deutſch-
land und werden dort mit Vorliebe gekauft. Die Liſte ſol-
cher Lächerlichkeiten ließe ſich lange fortſetzen; ein ganz be-
[Spaltenumbruch] ſonders luſtiger Fall ereignete ſich jedoch kürzlich im Rhein-
land: Als die Boykottbewegung engliſcher Waren einſetzte,
wurden auch die Erzeugniſſe einer Firma boykottiert, welche
als „Sheffielder Stahl“ verkauft wurden; die bedrohte Firma
erließ hierauf eine Erklärung, in der ſie auseinanderſetzte,
daß der Boykott ſie zu Unrecht treffe; ſie verkaufe ihre Waren
allerdings ſeit Jahren als „Sheffielder Stahl“, weil das
Publikum engliſchen Stahl bevorzuge; in Wirklichkeit ſtamme
dieſer Stahl aber aus Solingen, ſie habe nie auch nur ein
Gramm aus England bezogen. Gibt es eine beſſere Illuſtra-
tion für die törichte „Ausländerei“ der Deutſchen? Die Be-
wegung, welche jetzt eingeſetzt hat, um zu erreichen, daß die
Deutſchen in Zukunft alle diejenigen Waren, welche ſie in
Deutſchland ebenſogut und ebenſobillig kaufen können, als
vom Auslande, von Deutſchland kaufen ſollen, iſt alſo durch-
aus berechtigt. Sie ſchießt aber über das Ziel hinaus, wenn
ſie darauf hinwirken will, daß Deutſchland in Zukunft über-
haupt keine ausländiſchen Waren mehr kaufen ſoll. Wir
ſind auf die Ausfuhr unſerer Erzeugniſſe ins Ausland ange-
wieſen und würden uns ſelbſt am meiſten ſchädigen, wenn
wir aus unſerer Weltwirtſchaft eine reine Nationalwirtſchaft
machen würden. Ausländiſche Fabrikate zu boykottieren,
nur weil ſie aus dem Auslande ſtammen, iſt töricht, ſolange
wie ſolche Erzeugniſſe wirtſchaftlich vorteilhafter vom Aus-
lande kaufen können. Wir wollen auch nach dem Kriege un-
ſere Waren an England, Frankreich und Rußland verkaufen
und dürfen deshalb nicht aus nationalen Gründen die Grund-
ſätze geſunder Wirtſchaftlichkeit preisgeben. Wir werden auch
nach dem Kriege wieder ruſſiſchen Weizen, ruſſiſchen Kaviar
und franzöſiſchen Rotwein, franzöſiſches Leder u. a. Dinge
kaufen. Die Boykottbewegung ausländiſcher Waren iſt be-
rechtigt, ſoweit es ſich um die Beſeitigung törichter Vorliebe
für ausländiſche Fabrikate ohne wirtſchaftlichen Grund han-
delt, ſie ſchießt über das Ziel hinaus, wenn ſie dazu auffor-
dert, unter Mißachtung wirtſchaftlicher Grundſätze vom Aus-
land überhaupt nichts mehr zu kaufen.

Die bayeriſche Exportinduſtrie wird gegenwärtig auch
durch die im Intereſſe der Kriegführung erlaſſenen umfang-
reichen Ausfuhrverbote erheblich geſchädigt. Wenn
auch inzwiſchen einige Milderungen verfügt wurden, ſo ſind
doch noch ſo zahlreiche Gegenſtände von Ausfuhrverboten be-
troffen, daß die Induſtrie darunter ſchwer zu leiden hat. Ins-
beſondere gehen auch die Grenzzollbehörden, welche ſich genau
an den Buchſtaben der Verordnungen halten und ſich zu einer
freieren Auslegung nicht befugt erachten, ſehr ſtreng vor und
halten unnachſichtlich alle Waren an, die irgendwie unter die
in den Ausfuhrverboten benannten allgemeinen Warenkate-
gorien fallen. Sehr oft handelt es ſich dabei um Waren, die
offenſichtlich weder Kriegszwecken dienen, noch ſonſt irgend-
wie mit dem Krieg in Verbindung gebracht werden können.
Durch ſolche Maßnahmen wird natürlich auch der jetzt allein
offene Weg des Handels mit den neutralen Staaten erſchwert.

Während des Krieges kommt der Handel mit Frankreich,
England, Rußland, Belgien, Serbien, der insgeſamt 3,285
Millionen in der Einfuhr und 3,776 Millionen in der Aus-
fuhr betrug, vollſtändig in Wegfall. Dagegen bleiben unſerem
Handel, wenn auch teilweiſe mit Verkehrserſchwerungen in
Europa folgende Länder offen: Bulgarien, Dänemark, Ita-
lien, Niederlande, Norwegen, Oeſterreich-Ungarn, Rumänien,
Schweden, Schweiz, Türkei mit insgeſamt 2,351 Millionen
bisheriger Einfuhr und 3,672 Millionen bisheriger Ausfuhr.
Hierzu kommen noch die allerdings nur auf dem Seewege
über Italien erreichbaren Spanien und Portugal.

Von außereuropäiſchen Ländern müſſen wir mit dem
vollſtändigen Fortfall des Handels mit Afrika und
Auſtralien während der Dauer des Krieges rechnen, doch
ſollte es uns gelingen einen Teil des Handels mit Aſien zu
retten. Hier kämen in erſter Linie China, Niederländiſch-
Indien, Siam und die Philippinen in Betracht, nach welchen
Ländern wir bisher für ca. 240 Millionen Mark Waren aus-
führten. Ganz beſonders wichtig bleibt für uns jedoch der
amerikaniſche Kontinent — mit Ausnahme Kana-
das —, um ſo mehr als dieſer von zahlreichen neutralen Häfen
durch regelmäßige Schiffsverbindungen zu erreichen iſt. Wäh-
rend wir alſo insgeſamt 4,461 Millionen unſerer Ausfuhr

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[572/0010] Allgemeine Zeitung 19. September 1914. der Abſatz nach neutralen Ländern weſentlich erſchwert: zwei- tens ſind die Außenſtände bei den Angehörigen feindlicher Staaten vorläufig uneintreibbar, für die Zukunft aber minde- ſtens gefährdet, außerdem ſind die beſtellten, bereits fertigen für Rechnung feindlichen Ausländer hergeſtellten Waren nicht ablieferbar; drittens muß damit gerechnet werden, daß ſelbſt im günſtigſten Falle, d. h. nach einem auf der ganzen Linie ſiegreichen Kriege lange Zeit vergehen wird, bis wieder geregelte Beziehungen zu den ausländiſchen Kunden herge- ſtellt werden können; zum Teil wird wohl mit einem endgül- tigen Verluſt einzelner Kunden gerechnet werden müſſen. Die bayeriſche Exportinduſtrie iſt alſo in einer außerordentlich ſchwierigen Lage; unter dieſen Umſtänden iſt es begreiflich, daß in Nürnberg, Oberfranken und anderen Mittelpunkten der Exportinduſtrie eine ſehr gedrückte Stimmung herrſcht. In feindlichen Zeitungen wird jetzt viel davon geſprochen, daß man unſern Ausfuhrhandel überhaupt vernichten und uns in Zukunft nichts mehr abkaufen will. Derartige Schreie- reien dürfen wir nicht allzu ernſt nehmen und uns dadurch nicht einſchüchtern laſſen. Der gute Kaufmann, welcher nach geſunden wirtſchaftlichen Grundſätzen arbeitet, wird ohne Rückſicht auf die Nationalität ſtets dort kaufen, wo er für das billigſte Geld die beſte Ware erhält. An dieſem einfachen und klaren Satze wird niemand etwas ändern können. Wenn alſo Deutſchland in den letzten Jahren ſeine Ausfuhr ſo enorm ſteigern konnte, ſo war der Grund hierfür einfach der, daß wir die meiſten Waren ſo gut und ſo billig liefern konn- ten, daß es für den Ausländer wirtſchaftlicher war, bei uns als im eigenen Lande zu kaufen. Denn es wird doch im Ernſte kein Menſch behaupten wollen, daß wir die Steige- rung unſerer Ausfuhr unſerer allgemeinen Beliebtheit ver- danken; der jetzige Krieg zeigt im Gegenteil deutlich, daß wir nur Feinde hatten und daß unſere Entwicklung überall mit Neid und Mißgunſt verfolgt wurde. Alſo nicht wegen unſerer Beliebtheit, ſondern trotz unſerer Unbeliebtheit konnten wir unſere Ausfuhr ſteigern, weil unſere Induſtrie auf vielen Ge- bieten die leiſtungsfähigſte war und ihren Kunden die Mög- lichkeit bot, ihren Bedarf in wirtſchaftlich vorteilhafteſter Weiſe zu decken. Hieran wird auch in Zukunft nichts geän- dert werden, denn daß die Induſtrie der uns feindlichen Län- der in abſehbarer Zeit der unſerigen an Leiſtungsfähigkeit gleichkommen oder ſie gar übertreffen wird, wagen wohl ſelbſt die begeiſtertſten franzöſiſchen und engliſchen Optimiſten nicht anzunehmen. Die ausländiſchen Kaufleute werden alſo auch in Zukunft die Wahl haben: entweder ihr Geſchäft nach ge- ſunden wirtſchaftlichen Grundſätzen zu betreiben und gewiſſe Waren nach wie vor vorteilhaft bei uns zu kaufen oder aus- ſchließlich nach nationalen Geſichtspunkten zu arbeiten und ſich über die Grundgeſetze wirtſchaftlicher Arbeit hinwegzu- ſetzen. Würden die ausländiſchen Kaufleute wirklich ſo töricht ſein, das letztere zu tun, ſo hätten ſie ganz allein den Schaden zu tragen. Solange unſere deutſche Induſtrie in techniſcher Beziehung in den bisherigen Bahnen weiterſchreitet, haben wir wohl mit Bezug auf die Geſtaltung unſerer Ausfuhr nichts zu fürchten. Laſſen wir unſere Feinde ruhig ſchreien; wirt- ſchaftlichen Notwendigkeiten gegenüber ſind ſie machtlos. Bei dieſer Gelegenheit ſoll auch ein Wort über die in Deutſchland jetzt im Gange befindliche Bewegung gegen aus- ländiſche Waren geſagt werden. Es gibt wohl nichts Törich- teres als wenn Angehörige eines Volkes Waren, die ſie im Inlande mindeſtens ebenſogut und billig, zum Teil beſſer und billiger haben können, vom Auslande oder mit ausländiſcher Herkunftsbezeichnung kaufen, lediglich aus dem Grunde, weil ſie vor dem Auslande eine unbegrenzte Hochachtung haben. Dieſe Vorliebe des Deutſchen für Ausländerei muß gründlich ausgerottet werden; ſie iſt lächerlich und unwürdig zugleich. Iſt es nicht geradezu grotesk, wenn Krefelder Seidenſtoffe nach Lyon geliefert werden, um dann als „franzöſiſche Seidenſtoffe“ mit entſprechenden Preisaufſchlägen zurückzu- wandern und bei uns in Deutſchland verkauft zu werden? In Glauchau exiſtiert eine Fabrik, welche Seidenkrawatten- ſtoffe ausſchließlich an engliſche Firmen liefert; dieſe Erzeug- niſſe kommen dann als „engliſche Krawatten“ nach Deutſch- land und werden dort mit Vorliebe gekauft. Die Liſte ſol- cher Lächerlichkeiten ließe ſich lange fortſetzen; ein ganz be- ſonders luſtiger Fall ereignete ſich jedoch kürzlich im Rhein- land: Als die Boykottbewegung engliſcher Waren einſetzte, wurden auch die Erzeugniſſe einer Firma boykottiert, welche als „Sheffielder Stahl“ verkauft wurden; die bedrohte Firma erließ hierauf eine Erklärung, in der ſie auseinanderſetzte, daß der Boykott ſie zu Unrecht treffe; ſie verkaufe ihre Waren allerdings ſeit Jahren als „Sheffielder Stahl“, weil das Publikum engliſchen Stahl bevorzuge; in Wirklichkeit ſtamme dieſer Stahl aber aus Solingen, ſie habe nie auch nur ein Gramm aus England bezogen. Gibt es eine beſſere Illuſtra- tion für die törichte „Ausländerei“ der Deutſchen? Die Be- wegung, welche jetzt eingeſetzt hat, um zu erreichen, daß die Deutſchen in Zukunft alle diejenigen Waren, welche ſie in Deutſchland ebenſogut und ebenſobillig kaufen können, als vom Auslande, von Deutſchland kaufen ſollen, iſt alſo durch- aus berechtigt. Sie ſchießt aber über das Ziel hinaus, wenn ſie darauf hinwirken will, daß Deutſchland in Zukunft über- haupt keine ausländiſchen Waren mehr kaufen ſoll. Wir ſind auf die Ausfuhr unſerer Erzeugniſſe ins Ausland ange- wieſen und würden uns ſelbſt am meiſten ſchädigen, wenn wir aus unſerer Weltwirtſchaft eine reine Nationalwirtſchaft machen würden. Ausländiſche Fabrikate zu boykottieren, nur weil ſie aus dem Auslande ſtammen, iſt töricht, ſolange wie ſolche Erzeugniſſe wirtſchaftlich vorteilhafter vom Aus- lande kaufen können. Wir wollen auch nach dem Kriege un- ſere Waren an England, Frankreich und Rußland verkaufen und dürfen deshalb nicht aus nationalen Gründen die Grund- ſätze geſunder Wirtſchaftlichkeit preisgeben. Wir werden auch nach dem Kriege wieder ruſſiſchen Weizen, ruſſiſchen Kaviar und franzöſiſchen Rotwein, franzöſiſches Leder u. a. Dinge kaufen. Die Boykottbewegung ausländiſcher Waren iſt be- rechtigt, ſoweit es ſich um die Beſeitigung törichter Vorliebe für ausländiſche Fabrikate ohne wirtſchaftlichen Grund han- delt, ſie ſchießt über das Ziel hinaus, wenn ſie dazu auffor- dert, unter Mißachtung wirtſchaftlicher Grundſätze vom Aus- land überhaupt nichts mehr zu kaufen. Die bayeriſche Exportinduſtrie wird gegenwärtig auch durch die im Intereſſe der Kriegführung erlaſſenen umfang- reichen Ausfuhrverbote erheblich geſchädigt. Wenn auch inzwiſchen einige Milderungen verfügt wurden, ſo ſind doch noch ſo zahlreiche Gegenſtände von Ausfuhrverboten be- troffen, daß die Induſtrie darunter ſchwer zu leiden hat. Ins- beſondere gehen auch die Grenzzollbehörden, welche ſich genau an den Buchſtaben der Verordnungen halten und ſich zu einer freieren Auslegung nicht befugt erachten, ſehr ſtreng vor und halten unnachſichtlich alle Waren an, die irgendwie unter die in den Ausfuhrverboten benannten allgemeinen Warenkate- gorien fallen. Sehr oft handelt es ſich dabei um Waren, die offenſichtlich weder Kriegszwecken dienen, noch ſonſt irgend- wie mit dem Krieg in Verbindung gebracht werden können. Durch ſolche Maßnahmen wird natürlich auch der jetzt allein offene Weg des Handels mit den neutralen Staaten erſchwert. Während des Krieges kommt der Handel mit Frankreich, England, Rußland, Belgien, Serbien, der insgeſamt 3,285 Millionen in der Einfuhr und 3,776 Millionen in der Aus- fuhr betrug, vollſtändig in Wegfall. Dagegen bleiben unſerem Handel, wenn auch teilweiſe mit Verkehrserſchwerungen in Europa folgende Länder offen: Bulgarien, Dänemark, Ita- lien, Niederlande, Norwegen, Oeſterreich-Ungarn, Rumänien, Schweden, Schweiz, Türkei mit insgeſamt 2,351 Millionen bisheriger Einfuhr und 3,672 Millionen bisheriger Ausfuhr. Hierzu kommen noch die allerdings nur auf dem Seewege über Italien erreichbaren Spanien und Portugal. Von außereuropäiſchen Ländern müſſen wir mit dem vollſtändigen Fortfall des Handels mit Afrika und Auſtralien während der Dauer des Krieges rechnen, doch ſollte es uns gelingen einen Teil des Handels mit Aſien zu retten. Hier kämen in erſter Linie China, Niederländiſch- Indien, Siam und die Philippinen in Betracht, nach welchen Ländern wir bisher für ca. 240 Millionen Mark Waren aus- führten. Ganz beſonders wichtig bleibt für uns jedoch der amerikaniſche Kontinent — mit Ausnahme Kana- das —, um ſo mehr als dieſer von zahlreichen neutralen Häfen durch regelmäßige Schiffsverbindungen zu erreichen iſt. Wäh- rend wir alſo insgeſamt 4,461 Millionen unſerer Ausfuhr

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 38, 19. September 1914, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine38_1914/10>, abgerufen am 21.11.2024.