Allgemeine Zeitung, Nr. 38, 19. September 1914.Allgemeine Zeitung 19. September 1914. [Spaltenumbruch]
der Absatz nach neutralen Ländern wesentlich erschwert: zwei-tens sind die Außenstände bei den Angehörigen feindlicher Staaten vorläufig uneintreibbar, für die Zukunft aber minde- stens gefährdet, außerdem sind die bestellten, bereits fertigen für Rechnung feindlichen Ausländer hergestellten Waren nicht ablieferbar; drittens muß damit gerechnet werden, daß selbst im günstigsten Falle, d. h. nach einem auf der ganzen Linie siegreichen Kriege lange Zeit vergehen wird, bis wieder geregelte Beziehungen zu den ausländischen Kunden herge- stellt werden können; zum Teil wird wohl mit einem endgül- tigen Verlust einzelner Kunden gerechnet werden müssen. Die bayerische Exportindustrie ist also in einer außerordentlich schwierigen Lage; unter diesen Umständen ist es begreiflich, daß in Nürnberg, Oberfranken und anderen Mittelpunkten der Exportindustrie eine sehr gedrückte Stimmung herrscht. In feindlichen Zeitungen wird jetzt viel davon gesprochen, Bei dieser Gelegenheit soll auch ein Wort über die in Die bayerische Exportindustrie wird gegenwärtig auch Während des Krieges kommt der Handel mit Frankreich, Von außereuropäischen Ländern müssen wir mit dem Allgemeine Zeitung 19. September 1914. [Spaltenumbruch]
der Abſatz nach neutralen Ländern weſentlich erſchwert: zwei-tens ſind die Außenſtände bei den Angehörigen feindlicher Staaten vorläufig uneintreibbar, für die Zukunft aber minde- ſtens gefährdet, außerdem ſind die beſtellten, bereits fertigen für Rechnung feindlichen Ausländer hergeſtellten Waren nicht ablieferbar; drittens muß damit gerechnet werden, daß ſelbſt im günſtigſten Falle, d. h. nach einem auf der ganzen Linie ſiegreichen Kriege lange Zeit vergehen wird, bis wieder geregelte Beziehungen zu den ausländiſchen Kunden herge- ſtellt werden können; zum Teil wird wohl mit einem endgül- tigen Verluſt einzelner Kunden gerechnet werden müſſen. Die bayeriſche Exportinduſtrie iſt alſo in einer außerordentlich ſchwierigen Lage; unter dieſen Umſtänden iſt es begreiflich, daß in Nürnberg, Oberfranken und anderen Mittelpunkten der Exportinduſtrie eine ſehr gedrückte Stimmung herrſcht. In feindlichen Zeitungen wird jetzt viel davon geſprochen, Bei dieſer Gelegenheit ſoll auch ein Wort über die in Die bayeriſche Exportinduſtrie wird gegenwärtig auch Während des Krieges kommt der Handel mit Frankreich, Von außereuropäiſchen Ländern müſſen wir mit dem <TEI> <text> <body> <div type="jFinancialNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="572"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 19. September 1914.</fw><lb/><cb/> der Abſatz nach neutralen Ländern weſentlich erſchwert: zwei-<lb/> tens ſind die Außenſtände bei den Angehörigen feindlicher<lb/> Staaten vorläufig uneintreibbar, für die Zukunft aber minde-<lb/> ſtens gefährdet, außerdem ſind die beſtellten, bereits fertigen<lb/> für Rechnung feindlichen Ausländer hergeſtellten Waren<lb/> nicht ablieferbar; drittens muß damit gerechnet werden, daß<lb/> ſelbſt im günſtigſten Falle, d. h. nach einem auf der ganzen<lb/> Linie ſiegreichen Kriege lange Zeit vergehen wird, bis wieder<lb/> geregelte Beziehungen zu den ausländiſchen Kunden herge-<lb/> ſtellt werden können; zum Teil wird wohl mit einem endgül-<lb/> tigen Verluſt einzelner Kunden gerechnet werden müſſen. Die<lb/> bayeriſche Exportinduſtrie iſt alſo in einer außerordentlich<lb/> ſchwierigen Lage; unter dieſen Umſtänden iſt es begreiflich,<lb/> daß in Nürnberg, Oberfranken und anderen Mittelpunkten<lb/> der Exportinduſtrie eine ſehr gedrückte Stimmung herrſcht.</p><lb/> <p>In feindlichen Zeitungen wird jetzt viel davon geſprochen,<lb/> daß man unſern Ausfuhrhandel überhaupt vernichten und<lb/> uns in Zukunft nichts mehr abkaufen will. Derartige Schreie-<lb/> reien dürfen wir nicht allzu ernſt nehmen und uns dadurch<lb/> nicht einſchüchtern laſſen. Der gute Kaufmann, welcher nach<lb/> geſunden wirtſchaftlichen Grundſätzen arbeitet, wird ohne<lb/> Rückſicht auf die Nationalität ſtets dort kaufen, wo er für das<lb/> billigſte Geld die beſte Ware erhält. An dieſem einfachen<lb/> und klaren Satze wird niemand etwas ändern können. Wenn<lb/> alſo Deutſchland in den letzten Jahren ſeine Ausfuhr ſo<lb/> enorm ſteigern konnte, ſo war der Grund hierfür einfach der,<lb/> daß wir die meiſten Waren ſo gut und ſo billig liefern konn-<lb/> ten, daß es für den Ausländer wirtſchaftlicher war, bei uns<lb/> als im eigenen Lande zu kaufen. Denn es wird doch im<lb/> Ernſte kein Menſch behaupten wollen, daß wir die Steige-<lb/> rung unſerer Ausfuhr unſerer allgemeinen Beliebtheit ver-<lb/> danken; der jetzige Krieg zeigt im Gegenteil deutlich, daß wir<lb/> nur Feinde hatten und daß unſere Entwicklung überall mit<lb/> Neid und Mißgunſt verfolgt wurde. Alſo nicht wegen unſerer<lb/> Beliebtheit, ſondern trotz unſerer Unbeliebtheit konnten wir<lb/> unſere Ausfuhr ſteigern, weil unſere Induſtrie auf vielen Ge-<lb/> bieten die leiſtungsfähigſte war und ihren Kunden die Mög-<lb/> lichkeit bot, ihren Bedarf in wirtſchaftlich vorteilhafteſter<lb/> Weiſe zu decken. Hieran wird auch in Zukunft nichts geän-<lb/> dert werden, denn daß die Induſtrie der uns feindlichen Län-<lb/> der in abſehbarer Zeit der unſerigen an Leiſtungsfähigkeit<lb/> gleichkommen oder ſie gar übertreffen wird, wagen wohl ſelbſt<lb/> die begeiſtertſten franzöſiſchen und engliſchen Optimiſten nicht<lb/> anzunehmen. Die ausländiſchen Kaufleute werden alſo auch<lb/> in Zukunft die Wahl haben: entweder ihr Geſchäft nach ge-<lb/> ſunden wirtſchaftlichen Grundſätzen zu betreiben und gewiſſe<lb/> Waren nach wie vor vorteilhaft bei uns zu kaufen oder aus-<lb/> ſchließlich nach nationalen Geſichtspunkten zu arbeiten und<lb/> ſich über die Grundgeſetze wirtſchaftlicher Arbeit hinwegzu-<lb/> ſetzen. Würden die ausländiſchen Kaufleute wirklich ſo töricht<lb/> ſein, das letztere zu tun, ſo hätten ſie ganz allein den Schaden<lb/> zu tragen. Solange unſere deutſche Induſtrie in techniſcher<lb/> Beziehung in den bisherigen Bahnen weiterſchreitet, haben<lb/> wir wohl mit Bezug auf die Geſtaltung unſerer Ausfuhr nichts<lb/> zu fürchten. Laſſen wir unſere Feinde ruhig ſchreien; wirt-<lb/> ſchaftlichen Notwendigkeiten gegenüber ſind ſie machtlos.</p><lb/> <p>Bei dieſer Gelegenheit ſoll auch ein Wort über die in<lb/> Deutſchland jetzt im Gange befindliche Bewegung gegen aus-<lb/> ländiſche Waren geſagt werden. Es gibt wohl nichts Törich-<lb/> teres als wenn Angehörige eines Volkes Waren, die ſie im<lb/> Inlande mindeſtens ebenſogut und billig, zum Teil beſſer und<lb/> billiger haben können, vom Auslande oder mit ausländiſcher<lb/> Herkunftsbezeichnung kaufen, lediglich aus dem Grunde, weil<lb/> ſie vor dem Auslande eine unbegrenzte Hochachtung haben.<lb/> Dieſe Vorliebe des Deutſchen für Ausländerei muß gründlich<lb/> ausgerottet werden; ſie iſt lächerlich und unwürdig zugleich.<lb/> Iſt es nicht geradezu grotesk, wenn Krefelder Seidenſtoffe<lb/> nach Lyon geliefert werden, um dann als „franzöſiſche<lb/> Seidenſtoffe“ mit entſprechenden Preisaufſchlägen zurückzu-<lb/> wandern und bei uns in Deutſchland verkauft zu werden?<lb/> In Glauchau exiſtiert eine Fabrik, welche Seidenkrawatten-<lb/> ſtoffe ausſchließlich an engliſche Firmen liefert; dieſe Erzeug-<lb/> niſſe kommen dann als „engliſche Krawatten“ nach Deutſch-<lb/> land und werden dort mit Vorliebe gekauft. Die Liſte ſol-<lb/> cher Lächerlichkeiten ließe ſich lange fortſetzen; ein ganz be-<lb/><cb/> ſonders luſtiger Fall ereignete ſich jedoch kürzlich im Rhein-<lb/> land: Als die Boykottbewegung engliſcher Waren einſetzte,<lb/> wurden auch die Erzeugniſſe einer Firma boykottiert, welche<lb/> als „Sheffielder Stahl“ verkauft wurden; die bedrohte Firma<lb/> erließ hierauf eine Erklärung, in der ſie auseinanderſetzte,<lb/> daß der Boykott ſie zu Unrecht treffe; ſie verkaufe ihre Waren<lb/> allerdings ſeit Jahren als „Sheffielder Stahl“, weil das<lb/> Publikum engliſchen Stahl bevorzuge; in Wirklichkeit ſtamme<lb/> dieſer Stahl aber aus Solingen, ſie habe nie auch nur ein<lb/> Gramm aus England bezogen. Gibt es eine beſſere Illuſtra-<lb/> tion für die törichte „Ausländerei“ der Deutſchen? Die Be-<lb/> wegung, welche jetzt eingeſetzt hat, um zu erreichen, daß die<lb/> Deutſchen in Zukunft alle diejenigen Waren, welche ſie in<lb/> Deutſchland ebenſogut und ebenſobillig kaufen können, als<lb/> vom Auslande, von Deutſchland kaufen ſollen, iſt alſo durch-<lb/> aus berechtigt. Sie ſchießt aber über das Ziel hinaus, wenn<lb/> ſie darauf hinwirken will, daß Deutſchland in Zukunft über-<lb/> haupt keine ausländiſchen Waren mehr kaufen ſoll. Wir<lb/> ſind auf die Ausfuhr unſerer Erzeugniſſe ins Ausland ange-<lb/> wieſen und würden uns ſelbſt am meiſten ſchädigen, wenn<lb/> wir aus unſerer Weltwirtſchaft eine reine Nationalwirtſchaft<lb/> machen würden. Ausländiſche Fabrikate zu boykottieren,<lb/> nur weil ſie aus dem Auslande ſtammen, iſt töricht, ſolange<lb/> wie ſolche Erzeugniſſe wirtſchaftlich vorteilhafter vom Aus-<lb/> lande kaufen können. Wir wollen auch nach dem Kriege un-<lb/> ſere Waren an England, Frankreich und Rußland verkaufen<lb/> und dürfen deshalb nicht aus nationalen Gründen die Grund-<lb/> ſätze geſunder Wirtſchaftlichkeit preisgeben. Wir werden auch<lb/> nach dem Kriege wieder ruſſiſchen Weizen, ruſſiſchen Kaviar<lb/> und franzöſiſchen Rotwein, franzöſiſches Leder u. a. Dinge<lb/> kaufen. Die Boykottbewegung ausländiſcher Waren iſt be-<lb/> rechtigt, ſoweit es ſich um die Beſeitigung törichter Vorliebe<lb/> für ausländiſche Fabrikate ohne wirtſchaftlichen Grund han-<lb/> delt, ſie ſchießt über das Ziel hinaus, wenn ſie dazu auffor-<lb/> dert, unter Mißachtung wirtſchaftlicher Grundſätze vom Aus-<lb/> land überhaupt nichts mehr zu kaufen.</p><lb/> <p>Die bayeriſche Exportinduſtrie wird gegenwärtig auch<lb/> durch die im Intereſſe der Kriegführung erlaſſenen umfang-<lb/> reichen <hi rendition="#g">Ausfuhrverbote</hi> erheblich geſchädigt. Wenn<lb/> auch inzwiſchen einige Milderungen verfügt wurden, ſo ſind<lb/> doch noch ſo zahlreiche Gegenſtände von Ausfuhrverboten be-<lb/> troffen, daß die Induſtrie darunter ſchwer zu leiden hat. Ins-<lb/> beſondere gehen auch die Grenzzollbehörden, welche ſich genau<lb/> an den Buchſtaben der Verordnungen halten und ſich zu einer<lb/> freieren Auslegung nicht befugt erachten, ſehr ſtreng vor und<lb/> halten unnachſichtlich alle Waren an, die irgendwie unter die<lb/> in den Ausfuhrverboten benannten allgemeinen Warenkate-<lb/> gorien fallen. Sehr oft handelt es ſich dabei um Waren, die<lb/> offenſichtlich weder Kriegszwecken dienen, noch ſonſt irgend-<lb/> wie mit dem Krieg in Verbindung gebracht werden können.<lb/> Durch ſolche Maßnahmen wird natürlich auch der jetzt allein<lb/> offene Weg des Handels mit den neutralen Staaten erſchwert.</p><lb/> <p>Während des Krieges kommt der Handel mit Frankreich,<lb/> England, Rußland, Belgien, Serbien, der insgeſamt 3,285<lb/> Millionen in der Einfuhr und 3,776 Millionen in der Aus-<lb/> fuhr betrug, vollſtändig in Wegfall. Dagegen bleiben unſerem<lb/> Handel, wenn auch teilweiſe mit Verkehrserſchwerungen in<lb/> Europa folgende Länder offen: Bulgarien, Dänemark, Ita-<lb/> lien, Niederlande, Norwegen, Oeſterreich-Ungarn, Rumänien,<lb/> Schweden, Schweiz, Türkei mit insgeſamt 2,351 Millionen<lb/> bisheriger Einfuhr und 3,672 Millionen bisheriger Ausfuhr.<lb/> Hierzu kommen noch die allerdings nur auf dem Seewege<lb/> über Italien erreichbaren Spanien und Portugal.</p><lb/> <p>Von außereuropäiſchen Ländern müſſen wir mit dem<lb/> vollſtändigen Fortfall des Handels mit <hi rendition="#g">Afrika</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Auſtralien</hi> während der Dauer des Krieges rechnen, doch<lb/> ſollte es uns gelingen einen Teil des Handels mit <hi rendition="#g">Aſien</hi> zu<lb/> retten. Hier kämen in erſter Linie China, Niederländiſch-<lb/> Indien, Siam und die Philippinen in Betracht, nach welchen<lb/> Ländern wir bisher für ca. 240 Millionen Mark Waren aus-<lb/> führten. Ganz beſonders wichtig bleibt für uns jedoch der<lb/><hi rendition="#g">amerikaniſche Kontinent</hi> — mit Ausnahme Kana-<lb/> das —, um ſo mehr als dieſer von zahlreichen neutralen Häfen<lb/> durch regelmäßige Schiffsverbindungen zu erreichen iſt. Wäh-<lb/> rend wir alſo insgeſamt 4,461 Millionen unſerer Ausfuhr<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [572/0010]
Allgemeine Zeitung 19. September 1914.
der Abſatz nach neutralen Ländern weſentlich erſchwert: zwei-
tens ſind die Außenſtände bei den Angehörigen feindlicher
Staaten vorläufig uneintreibbar, für die Zukunft aber minde-
ſtens gefährdet, außerdem ſind die beſtellten, bereits fertigen
für Rechnung feindlichen Ausländer hergeſtellten Waren
nicht ablieferbar; drittens muß damit gerechnet werden, daß
ſelbſt im günſtigſten Falle, d. h. nach einem auf der ganzen
Linie ſiegreichen Kriege lange Zeit vergehen wird, bis wieder
geregelte Beziehungen zu den ausländiſchen Kunden herge-
ſtellt werden können; zum Teil wird wohl mit einem endgül-
tigen Verluſt einzelner Kunden gerechnet werden müſſen. Die
bayeriſche Exportinduſtrie iſt alſo in einer außerordentlich
ſchwierigen Lage; unter dieſen Umſtänden iſt es begreiflich,
daß in Nürnberg, Oberfranken und anderen Mittelpunkten
der Exportinduſtrie eine ſehr gedrückte Stimmung herrſcht.
In feindlichen Zeitungen wird jetzt viel davon geſprochen,
daß man unſern Ausfuhrhandel überhaupt vernichten und
uns in Zukunft nichts mehr abkaufen will. Derartige Schreie-
reien dürfen wir nicht allzu ernſt nehmen und uns dadurch
nicht einſchüchtern laſſen. Der gute Kaufmann, welcher nach
geſunden wirtſchaftlichen Grundſätzen arbeitet, wird ohne
Rückſicht auf die Nationalität ſtets dort kaufen, wo er für das
billigſte Geld die beſte Ware erhält. An dieſem einfachen
und klaren Satze wird niemand etwas ändern können. Wenn
alſo Deutſchland in den letzten Jahren ſeine Ausfuhr ſo
enorm ſteigern konnte, ſo war der Grund hierfür einfach der,
daß wir die meiſten Waren ſo gut und ſo billig liefern konn-
ten, daß es für den Ausländer wirtſchaftlicher war, bei uns
als im eigenen Lande zu kaufen. Denn es wird doch im
Ernſte kein Menſch behaupten wollen, daß wir die Steige-
rung unſerer Ausfuhr unſerer allgemeinen Beliebtheit ver-
danken; der jetzige Krieg zeigt im Gegenteil deutlich, daß wir
nur Feinde hatten und daß unſere Entwicklung überall mit
Neid und Mißgunſt verfolgt wurde. Alſo nicht wegen unſerer
Beliebtheit, ſondern trotz unſerer Unbeliebtheit konnten wir
unſere Ausfuhr ſteigern, weil unſere Induſtrie auf vielen Ge-
bieten die leiſtungsfähigſte war und ihren Kunden die Mög-
lichkeit bot, ihren Bedarf in wirtſchaftlich vorteilhafteſter
Weiſe zu decken. Hieran wird auch in Zukunft nichts geän-
dert werden, denn daß die Induſtrie der uns feindlichen Län-
der in abſehbarer Zeit der unſerigen an Leiſtungsfähigkeit
gleichkommen oder ſie gar übertreffen wird, wagen wohl ſelbſt
die begeiſtertſten franzöſiſchen und engliſchen Optimiſten nicht
anzunehmen. Die ausländiſchen Kaufleute werden alſo auch
in Zukunft die Wahl haben: entweder ihr Geſchäft nach ge-
ſunden wirtſchaftlichen Grundſätzen zu betreiben und gewiſſe
Waren nach wie vor vorteilhaft bei uns zu kaufen oder aus-
ſchließlich nach nationalen Geſichtspunkten zu arbeiten und
ſich über die Grundgeſetze wirtſchaftlicher Arbeit hinwegzu-
ſetzen. Würden die ausländiſchen Kaufleute wirklich ſo töricht
ſein, das letztere zu tun, ſo hätten ſie ganz allein den Schaden
zu tragen. Solange unſere deutſche Induſtrie in techniſcher
Beziehung in den bisherigen Bahnen weiterſchreitet, haben
wir wohl mit Bezug auf die Geſtaltung unſerer Ausfuhr nichts
zu fürchten. Laſſen wir unſere Feinde ruhig ſchreien; wirt-
ſchaftlichen Notwendigkeiten gegenüber ſind ſie machtlos.
Bei dieſer Gelegenheit ſoll auch ein Wort über die in
Deutſchland jetzt im Gange befindliche Bewegung gegen aus-
ländiſche Waren geſagt werden. Es gibt wohl nichts Törich-
teres als wenn Angehörige eines Volkes Waren, die ſie im
Inlande mindeſtens ebenſogut und billig, zum Teil beſſer und
billiger haben können, vom Auslande oder mit ausländiſcher
Herkunftsbezeichnung kaufen, lediglich aus dem Grunde, weil
ſie vor dem Auslande eine unbegrenzte Hochachtung haben.
Dieſe Vorliebe des Deutſchen für Ausländerei muß gründlich
ausgerottet werden; ſie iſt lächerlich und unwürdig zugleich.
Iſt es nicht geradezu grotesk, wenn Krefelder Seidenſtoffe
nach Lyon geliefert werden, um dann als „franzöſiſche
Seidenſtoffe“ mit entſprechenden Preisaufſchlägen zurückzu-
wandern und bei uns in Deutſchland verkauft zu werden?
In Glauchau exiſtiert eine Fabrik, welche Seidenkrawatten-
ſtoffe ausſchließlich an engliſche Firmen liefert; dieſe Erzeug-
niſſe kommen dann als „engliſche Krawatten“ nach Deutſch-
land und werden dort mit Vorliebe gekauft. Die Liſte ſol-
cher Lächerlichkeiten ließe ſich lange fortſetzen; ein ganz be-
ſonders luſtiger Fall ereignete ſich jedoch kürzlich im Rhein-
land: Als die Boykottbewegung engliſcher Waren einſetzte,
wurden auch die Erzeugniſſe einer Firma boykottiert, welche
als „Sheffielder Stahl“ verkauft wurden; die bedrohte Firma
erließ hierauf eine Erklärung, in der ſie auseinanderſetzte,
daß der Boykott ſie zu Unrecht treffe; ſie verkaufe ihre Waren
allerdings ſeit Jahren als „Sheffielder Stahl“, weil das
Publikum engliſchen Stahl bevorzuge; in Wirklichkeit ſtamme
dieſer Stahl aber aus Solingen, ſie habe nie auch nur ein
Gramm aus England bezogen. Gibt es eine beſſere Illuſtra-
tion für die törichte „Ausländerei“ der Deutſchen? Die Be-
wegung, welche jetzt eingeſetzt hat, um zu erreichen, daß die
Deutſchen in Zukunft alle diejenigen Waren, welche ſie in
Deutſchland ebenſogut und ebenſobillig kaufen können, als
vom Auslande, von Deutſchland kaufen ſollen, iſt alſo durch-
aus berechtigt. Sie ſchießt aber über das Ziel hinaus, wenn
ſie darauf hinwirken will, daß Deutſchland in Zukunft über-
haupt keine ausländiſchen Waren mehr kaufen ſoll. Wir
ſind auf die Ausfuhr unſerer Erzeugniſſe ins Ausland ange-
wieſen und würden uns ſelbſt am meiſten ſchädigen, wenn
wir aus unſerer Weltwirtſchaft eine reine Nationalwirtſchaft
machen würden. Ausländiſche Fabrikate zu boykottieren,
nur weil ſie aus dem Auslande ſtammen, iſt töricht, ſolange
wie ſolche Erzeugniſſe wirtſchaftlich vorteilhafter vom Aus-
lande kaufen können. Wir wollen auch nach dem Kriege un-
ſere Waren an England, Frankreich und Rußland verkaufen
und dürfen deshalb nicht aus nationalen Gründen die Grund-
ſätze geſunder Wirtſchaftlichkeit preisgeben. Wir werden auch
nach dem Kriege wieder ruſſiſchen Weizen, ruſſiſchen Kaviar
und franzöſiſchen Rotwein, franzöſiſches Leder u. a. Dinge
kaufen. Die Boykottbewegung ausländiſcher Waren iſt be-
rechtigt, ſoweit es ſich um die Beſeitigung törichter Vorliebe
für ausländiſche Fabrikate ohne wirtſchaftlichen Grund han-
delt, ſie ſchießt über das Ziel hinaus, wenn ſie dazu auffor-
dert, unter Mißachtung wirtſchaftlicher Grundſätze vom Aus-
land überhaupt nichts mehr zu kaufen.
Die bayeriſche Exportinduſtrie wird gegenwärtig auch
durch die im Intereſſe der Kriegführung erlaſſenen umfang-
reichen Ausfuhrverbote erheblich geſchädigt. Wenn
auch inzwiſchen einige Milderungen verfügt wurden, ſo ſind
doch noch ſo zahlreiche Gegenſtände von Ausfuhrverboten be-
troffen, daß die Induſtrie darunter ſchwer zu leiden hat. Ins-
beſondere gehen auch die Grenzzollbehörden, welche ſich genau
an den Buchſtaben der Verordnungen halten und ſich zu einer
freieren Auslegung nicht befugt erachten, ſehr ſtreng vor und
halten unnachſichtlich alle Waren an, die irgendwie unter die
in den Ausfuhrverboten benannten allgemeinen Warenkate-
gorien fallen. Sehr oft handelt es ſich dabei um Waren, die
offenſichtlich weder Kriegszwecken dienen, noch ſonſt irgend-
wie mit dem Krieg in Verbindung gebracht werden können.
Durch ſolche Maßnahmen wird natürlich auch der jetzt allein
offene Weg des Handels mit den neutralen Staaten erſchwert.
Während des Krieges kommt der Handel mit Frankreich,
England, Rußland, Belgien, Serbien, der insgeſamt 3,285
Millionen in der Einfuhr und 3,776 Millionen in der Aus-
fuhr betrug, vollſtändig in Wegfall. Dagegen bleiben unſerem
Handel, wenn auch teilweiſe mit Verkehrserſchwerungen in
Europa folgende Länder offen: Bulgarien, Dänemark, Ita-
lien, Niederlande, Norwegen, Oeſterreich-Ungarn, Rumänien,
Schweden, Schweiz, Türkei mit insgeſamt 2,351 Millionen
bisheriger Einfuhr und 3,672 Millionen bisheriger Ausfuhr.
Hierzu kommen noch die allerdings nur auf dem Seewege
über Italien erreichbaren Spanien und Portugal.
Von außereuropäiſchen Ländern müſſen wir mit dem
vollſtändigen Fortfall des Handels mit Afrika und
Auſtralien während der Dauer des Krieges rechnen, doch
ſollte es uns gelingen einen Teil des Handels mit Aſien zu
retten. Hier kämen in erſter Linie China, Niederländiſch-
Indien, Siam und die Philippinen in Betracht, nach welchen
Ländern wir bisher für ca. 240 Millionen Mark Waren aus-
führten. Ganz beſonders wichtig bleibt für uns jedoch der
amerikaniſche Kontinent — mit Ausnahme Kana-
das —, um ſo mehr als dieſer von zahlreichen neutralen Häfen
durch regelmäßige Schiffsverbindungen zu erreichen iſt. Wäh-
rend wir alſo insgeſamt 4,461 Millionen unſerer Ausfuhr
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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