Allgemeine Zeitung, Nr. 39, 8. Februar 1850.[Spaltenumbruch]
Confundirung der Wünsche einer idealen Anschauung mit den wirklich Von der praktischen Ausbildung, von der Gediegenheit des Charak- München, 5 Februar. Den Shakspeare hat man uns endlich II München, im Januar. Man hört in neuerer Zeit oft und Man hat die Einführung eines neuen Strafverfahrens in allen deut- [Spaltenumbruch]
Confundirung der Wünſche einer idealen Anſchauung mit den wirklich Von der praktiſchen Ausbildung, von der Gediegenheit des Charak- ⊙ München, 5 Februar. Den Shakſpeare hat man uns endlich II München, im Januar. Man hört in neuerer Zeit oft und Man hat die Einführung eines neuen Strafverfahrens in allen deut- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0012" n="620"/><cb/> Confundirung der Wünſche einer idealen Anſchauung mit den wirklich<lb/> erreichbaren, den Anforderungen der Neuzeit entſprechenden Abänderun-<lb/> gen, welche unſchwer dem organiſchen Edict von 1808 über das Medicinal-<lb/> weſen einverleibt werden können, kann zu einem ſo diametral entgegen-<lb/> ſtehenden Organiſationsproject geführt haben, welches mit der Leichtig-<lb/> keit der Selbſtäuſchung über die praktiſchen Hinderniſſe hinwegſchreitend<lb/> nur immer dem Schattenbilde der Wirklichkeit nachjagt, ohne je dasſelbe<lb/> erreichen zu können.</p><lb/> <p>Von der praktiſchen Ausbildung, von der Gediegenheit des Charak-<lb/> ters der Commiſſionsmitglieder läßt ſich mit Zuverſicht erwarten daß ſie<lb/> ſolche Auswüchſe abſchneiden, und für die Reform des Medicinalweſens in<lb/> einer Weiſe Sorge tragen werden daß ſie nicht, zu ihren Collegen zurück-<lb/> kehrend, nothwendig haben über ihr eigenes Machwerk zu erröthen.</p> </div> </div><lb/> <div type="jCulturalNews" n="1"><lb/> <div type="jComment" n="2"> <dateline>⊙ <hi rendition="#b">München,</hi> 5 Februar.</dateline> <p>Den Shakſpeare hat man uns endlich<lb/> wieder vergönnt mit Aug’ und Ohr zu bewundern. Der Verſuch einige<lb/> ſeiner minder bekannten Stücke auf die Bühne zu bringen geſchah in<lb/> jüngſter Zeit mit ſo viel Glück und Geſchick, daß ſelbſt bei mehrfacher Wieder-<lb/> holung unſerm Hoftheater ein überfülltes Haus nicht fehlte. Wir ſahen<lb/> den „Sommernachtstraum“, „Viola“, die „Irrungen“, und hörten,<lb/> mit Ausnahme jener tadelſüchtigen Kritiker die nie beſriedigt ſeyn wollen,<lb/> nur Stimmen des Lobes und der Freude über die gelungene Darſtellung,<lb/> zu welcher im Sommernachtstraum auch das treffliche Orcheſter, das ſich<lb/> einer meiſterhaften Leitung erfreut, vorzüglich mitwirkte. Die Mendels-<lb/> ſohn’ſche Muſik zu dieſem Stück iſt unbeſtreitbar eine der herrlichſten<lb/> Compoſitionen dieſes ſinnigen Meiſters, voll Tönereichthums und durch-<lb/> aus eigenthümlicher Schönheiten. So ſehr uns dieſer Verſuch, die Shak-<lb/> ſpeare’ſchen Stücke durch lebendiges Schauen und Hören näher zu bringen,<lb/> erfreute, ſo ſchmerzlich vermiſſen wir in unſerm Opernrepertoire die guten<lb/> claſſiſchen Stücke, nach welchen die Freunde deutſcher Muſik ſich ſehnen,<lb/> wie der durſtige Sahara-Wanderer nach den Brunnen der Oaſe. Wir<lb/> wiſſen, es gibt Leute welche unſere edelſten Tondichtungen, ſelbſt den<lb/> Fidelio und ſogar den Don Juan, für „veraltet“, für „langweilig“ er-<lb/> klären. Beethoven und Mozart langweilig! „Nur dem Vandalen ſind ſie<lb/> Stein.“ Aber wie kommt es daß, trotz der Treue Lachners für die claſſi-<lb/> ſche Schule, man unter zwanzig Aufführungen von Stücken wie „Teufels-<lb/> antheil“, „Stradella“, „Regimentstochter“ und anderm lieblichen Tönege-<lb/> tändel, welches dem Feuilleton Jules Janins ſicher mehr behagt als dem<lb/> deutſchen Geſchmack, kaum <hi rendition="#g">ein</hi> gutes claſſiſches Stück auf dem Anſchlag-<lb/> zettel liest? Die Muſik iſt die Lieblingskunſt der Zeit und des deutſchen<lb/> Volks. Die Statuen Griechenlands, die Bilder der großen Italiener ſind uns<lb/> ewig unerreichbar. Aber in der Muſik haben wir Deutſchen Größeres<lb/> geleiſtet alſ irgendein Volk der Welt, und faſt minder ſchmerzlich würde<lb/> es uns ſeyn die Glyptothek verſchloſſen oder die Fresken des Königsbaues<lb/> verhüllt zu ſehen, als wenn man uns die herrlichſten deutſchen Tondich-<lb/> tungen entfremden wollte.</p> </div> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <dateline><hi rendition="#aq">II</hi><hi rendition="#b">München,</hi> im Januar.</dateline> <p>Man hört in neuerer Zeit oft und<lb/> von vielen Seiten, namentlich auch von älteren Officieren darüber klagen<lb/> daß die Mannszucht und Disciplin im Heere geſunken ſey, und daß es<lb/> außerordentlicher Mittel bedürfe um dieſelbe dauerhaft zu befeſtigen und<lb/> das Anſehen der Geſetze wieder herzuſtellen. Wenn in einer Zeit wo bei<lb/> der geſammten Bevölkerung die Begriffe von Recht und Unrecht ſich oft<lb/> auf eine betrübende Weiſe verwirrten, und das Geſetz häufig nur mit<lb/> Mübe aufrecht erhalten werden konnte, einzelne Symptome dieſer allge-<lb/> meinen Krankheit auch im Heere ſich bemerkbar machten, ſo darf man<lb/> ſich darüber wohl nicht wundern. Ueberdieß möchte die Haltung der<lb/> bayeriſchen Armee während der jüngſtverfloſſenen zwei Jahre im Ganzen<lb/> wohl für ſehr befriedigend erklärt werden; mehrere Abtheilungen der-<lb/> ſelben haben Gelegenheit gehabt zu beweiſen daß die alte bayeriſche Treue<lb/> und Tapferkeit nicht ausgeſtorben iſt, und auch die Mannszucht konnte<lb/> wenigſtens in weitaus dem größeren Theil der Armee genügend gehand-<lb/> habt werden. Zwar ſind während der pfälziſchen Revolution leider auch<lb/> in bayeriſchen Truppen-Abtheilungen ziemlich zahlreiche Fälle von Fah-<lb/> nenflucht vorgekommen, allein dieſelben waren doch wenigſtens weder ſo<lb/> allgemein wie im badiſchen Heere, noch von jenen ſcheußlichen Erſchei-<lb/> nungen der tiefſten Entfittlichung und ſchimpflicher Roheit und Bruta-<lb/> lität gegen die bisherigen Vorgeſetzten begleitet. Wenn wir alſo auch in<lb/> dieſe Klagen über die Abnahme der Disciplin nicht vollkommen einzu-<lb/> ſtimmen vermögen und die Furcht vor dem allmählichen Verfall der<lb/> Mannszucht für nicht gerechtfertigt halten, ſo läßt ſich doch wohl die<lb/> Nothwendigkeit nicht läugnen auf Mittel zu ſinnen, wie auch im Sol-<lb/> daten die Achtung vor dem Geſetz, die Ueberzeugung von deſſen unver-<lb/> meidlicher Wirkſamkeit und von der unausbleiblichen Ahndung einer<lb/> jeden Uebertretung desſelben neu zu beleben und zu kräftigen ſey. Ob<lb/> dieß durch Verſchärfung der jetzt beſtehenden Strafbeſtimmungen, na-<lb/> mentlich aber durch Wiedereinführung der Prügelſtrafe, wofür ſich bereits<lb/><cb/> wieder manche Stimmen ausſprechen, erreicht werden könne, erſcheint<lb/> uns als im höchſten Grade zweifelhaft, und es ſtehen uns hierin die ſicher<lb/> gewichtigen Autoritäten Scharnhorſt und Gneiſenau zur Seite, welche<lb/> ſchon im Jahr 1808 muthig für Abſchaffung der körperlichen Züchtigung<lb/> kämpften. Wir glauben vielmehr daß hiezu andere Mittel vonnöthen<lb/> ſeyen!</p><lb/> <p>Man hat die Einführung eines neuen Strafverfahrens in allen deut-<lb/> ſchen Gauen als eine der wichtigſten Errungenſchaften der neueſten Zeit<lb/> betrachtet, und dieſelbe nicht bloß deßhalb ſo freudig begrüßt weil durch<lb/> die Oeffentlichkeit der Verhandlungen eine Schranke gegen die Willkür<lb/> errichtet ward, ſondern namentlich auch darum, weil man davon eine<lb/> Verſtärkung des Rechtsgefühls im Volke erwartete. Sollte nicht hierin<lb/> auch ein Fingerzeig enthalten ſeyn welcher Weg zum gleichen Ziele auch<lb/> beim Heere einzuſchlagen ſey? Als erſte Maßregel welche zu dieſem Endzweck<lb/> geboten ſeyn dürfte, erſcheint die Abſchaffung des geſonderten Gerichts-<lb/> ſtandes für Militärperſonen bei der Unterſuchung und Aburtheilung aller<lb/> jener Vergehen und Verbrechen welche nicht im Dienſte begangen wor-<lb/> den, oder beſondere Beziehung auf das dienſtliche Verhältniß des Sol-<lb/> daten haben. Es möchte gegen die Ueberweiſung aller derartigen Fälle<lb/> an die gewöhnlichen bürgerlichen Gerichte um ſo weniger etwas einzu-<lb/> wenden ſeyn, als in der letzten Zeit beinahe alle privilegirten Gerichts-<lb/> ſtände gefallen ſind, durch dieſe Maßregel auch eine von jenen Schranken<lb/> welche den Militär von den übrigen Staatsbürgern trennen, und den<lb/> erſtern gleichſam als außerhalb des Volkes ſtehend erſcheinen laſſen, ver-<lb/> ſchwinden würde, als dadurch in allen jenen Fällen wo Militär- und<lb/> Civilperſonen an einer geſetzwidrigen Handlung gemeinſchaftlich Antheil<lb/> genommen, die ſogenannten gemiſchten Gerichte aufhören und ſo die Un-<lb/> terſuchungen gewiß weſentlich vereinfacht und beſchleunigt würden, und<lb/> endlich den Militärbehörden damit eine bedeutende Arbeitslaſt abgenom-<lb/> men würde, ohne daß hieraus irgendein nachtheiliger Einfluß auf die<lb/> militäriſchen Dienſtes- oder Standesverhältniſſe zu befürchten wäre.<lb/> Etwas anderes freilich iſt es mit denjenigen Vergehen welche der Soldat<lb/> im Dienſte begeht, oder welche in unmittelbarer Verbindung mit den<lb/> Dienſtesverhältniſſen ſtehen! Daß bei der Aburtheilung derſelben nicht<lb/> bloß ein möglichſt ſchleuniges Verfahren, mit Formen bekleidet welche<lb/> geeignet ſind das Anſehen des Geſetzes zu erhöhen, ſondern in den mei-<lb/> ſten Fällen auch ſtrengere Beſtrafung eintreten müſſe, iſt von jeher und<lb/> von allen Militärgeſetzgebungen anerkannt worden, und es wurde als<lb/> das geeignete Mittel hlezu ſtets ein aus Standesgenoſſen zuſammenge-<lb/> ſetztes Gericht angeſehen. Schon die Kriegsartikel Maximilians <hi rendition="#aq">I</hi> für<lb/> die Landsknechte vom Jahr 1508 ſtellen dieſen Grundſatz oben an, und<lb/> die Anordnungen welche Guſtav Adolf im Jahr 1621 bezüglich der Bil-<lb/> dung der Kriegs- und Standgerichte erließ, ſind mit geringen Abände-<lb/> rungen in die meiſten deutſchen Militärgeſetzbücher übergegangen und<lb/> haben ſich zum Theil bis auf den heutigen Tag erhalten. Auch die Be-<lb/> ſtimmungen der bayeriſchen Militärdienſtesvorſchriften über das gericht-<lb/> liche Verfahren für alle Vergehen welche nicht rein disciplinärer Natur<lb/> ſind und als ſolche der Strafgewalt des Truppencommandanten anheim-<lb/> fallen, ſind auf ähnliche Grundlagen baſirt. In denſelben wird unter-<lb/> ſchieden zwiſchen Kriegscommiſſionen und Kriegsgerichten, von denen die<lb/> erſteren nur aus einer geringern Anzahl von Richtern, und zwar aus-<lb/> ſchließlich aus Officieren beſtehen, und über Vergehen — die letzteren<lb/> aber, aus einer größern Zahl von Richtern aller Chargen zuſammenge-<lb/> ſetzt, über die Verbrechen zu urtheilen haben. Bei beiden Commiſſionen<lb/> hat die Vorunterſuchung ein rechtskundiger Militärbeamte, der Auditor,<lb/> zu führen, der jedoch bei dem Urtheil ſelbſt keine entſcheidende, ſondern<lb/> bloß berathende Stimme hat. Leider aber ſind dieſe der Hauptſache nach<lb/> gewiß ſehr zweckmäßigen Einrichtungen in der Regel nicht von dem ge-<lb/> wünſchten Erfolg begleitet. Die Auditore, ſtets mit einer Maſſe von<lb/> Geſchäften überhäuft, ſind ſelbſt bei dem beſten Willen nicht im Stande<lb/> die Unterſuchungen mit jener Raſchheit zu Ende zu führen welche das<lb/> unumgänglichſte Erforderniß der Militärjuſtiz iſt. So tritt denn ſehr oft<lb/> der Fall ein daß ein großer Theil jener Mannſchaft, welche zur Zeit<lb/> einer Geſetzes-Uebertretung anweſend war und dieſelbe alſo gleichſam mit<lb/> anſah, in der Zwiſchenzeit beurlaubt worden oder ausmarſchirt iſt, und<lb/> alſo den Ausgang der Unterſuchung nicht mehr erfährt, ſohin glauben<lb/> wird daß keine Beſtrafung erfolgt ſey, während bei den übrigen die Er-<lb/> innerung an die That verwiſcht iſt, und nunmehr das Mitleid mit dem<lb/> Beſtraften in einer Weiſe rege werden muß daß aller abſchreckende Ein-<lb/> druck der Strafe verſchwindet: wie auch der von derſelben Betroffene<lb/> häufig bereits auf keine unangenehmen Folgen ſeines Fehltrittes mehr<lb/> gefaßt war, und nun ſehr geneigt iſt ſich für unſchuldig oder doch für<lb/> zu ſtrenge beſtraft zu halten. Hierzu kommt noch daß der Auditor ſich<lb/> in der Regel ſehr ſchwer von einem ſtreng juridiſchen Beweisverfahren<lb/> loszumachen weiß, wodurch häufig Unterſuchungen erfolglos bleiben oder<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [620/0012]
Confundirung der Wünſche einer idealen Anſchauung mit den wirklich
erreichbaren, den Anforderungen der Neuzeit entſprechenden Abänderun-
gen, welche unſchwer dem organiſchen Edict von 1808 über das Medicinal-
weſen einverleibt werden können, kann zu einem ſo diametral entgegen-
ſtehenden Organiſationsproject geführt haben, welches mit der Leichtig-
keit der Selbſtäuſchung über die praktiſchen Hinderniſſe hinwegſchreitend
nur immer dem Schattenbilde der Wirklichkeit nachjagt, ohne je dasſelbe
erreichen zu können.
Von der praktiſchen Ausbildung, von der Gediegenheit des Charak-
ters der Commiſſionsmitglieder läßt ſich mit Zuverſicht erwarten daß ſie
ſolche Auswüchſe abſchneiden, und für die Reform des Medicinalweſens in
einer Weiſe Sorge tragen werden daß ſie nicht, zu ihren Collegen zurück-
kehrend, nothwendig haben über ihr eigenes Machwerk zu erröthen.
⊙ München, 5 Februar. Den Shakſpeare hat man uns endlich
wieder vergönnt mit Aug’ und Ohr zu bewundern. Der Verſuch einige
ſeiner minder bekannten Stücke auf die Bühne zu bringen geſchah in
jüngſter Zeit mit ſo viel Glück und Geſchick, daß ſelbſt bei mehrfacher Wieder-
holung unſerm Hoftheater ein überfülltes Haus nicht fehlte. Wir ſahen
den „Sommernachtstraum“, „Viola“, die „Irrungen“, und hörten,
mit Ausnahme jener tadelſüchtigen Kritiker die nie beſriedigt ſeyn wollen,
nur Stimmen des Lobes und der Freude über die gelungene Darſtellung,
zu welcher im Sommernachtstraum auch das treffliche Orcheſter, das ſich
einer meiſterhaften Leitung erfreut, vorzüglich mitwirkte. Die Mendels-
ſohn’ſche Muſik zu dieſem Stück iſt unbeſtreitbar eine der herrlichſten
Compoſitionen dieſes ſinnigen Meiſters, voll Tönereichthums und durch-
aus eigenthümlicher Schönheiten. So ſehr uns dieſer Verſuch, die Shak-
ſpeare’ſchen Stücke durch lebendiges Schauen und Hören näher zu bringen,
erfreute, ſo ſchmerzlich vermiſſen wir in unſerm Opernrepertoire die guten
claſſiſchen Stücke, nach welchen die Freunde deutſcher Muſik ſich ſehnen,
wie der durſtige Sahara-Wanderer nach den Brunnen der Oaſe. Wir
wiſſen, es gibt Leute welche unſere edelſten Tondichtungen, ſelbſt den
Fidelio und ſogar den Don Juan, für „veraltet“, für „langweilig“ er-
klären. Beethoven und Mozart langweilig! „Nur dem Vandalen ſind ſie
Stein.“ Aber wie kommt es daß, trotz der Treue Lachners für die claſſi-
ſche Schule, man unter zwanzig Aufführungen von Stücken wie „Teufels-
antheil“, „Stradella“, „Regimentstochter“ und anderm lieblichen Tönege-
tändel, welches dem Feuilleton Jules Janins ſicher mehr behagt als dem
deutſchen Geſchmack, kaum ein gutes claſſiſches Stück auf dem Anſchlag-
zettel liest? Die Muſik iſt die Lieblingskunſt der Zeit und des deutſchen
Volks. Die Statuen Griechenlands, die Bilder der großen Italiener ſind uns
ewig unerreichbar. Aber in der Muſik haben wir Deutſchen Größeres
geleiſtet alſ irgendein Volk der Welt, und faſt minder ſchmerzlich würde
es uns ſeyn die Glyptothek verſchloſſen oder die Fresken des Königsbaues
verhüllt zu ſehen, als wenn man uns die herrlichſten deutſchen Tondich-
tungen entfremden wollte.
II München, im Januar. Man hört in neuerer Zeit oft und
von vielen Seiten, namentlich auch von älteren Officieren darüber klagen
daß die Mannszucht und Disciplin im Heere geſunken ſey, und daß es
außerordentlicher Mittel bedürfe um dieſelbe dauerhaft zu befeſtigen und
das Anſehen der Geſetze wieder herzuſtellen. Wenn in einer Zeit wo bei
der geſammten Bevölkerung die Begriffe von Recht und Unrecht ſich oft
auf eine betrübende Weiſe verwirrten, und das Geſetz häufig nur mit
Mübe aufrecht erhalten werden konnte, einzelne Symptome dieſer allge-
meinen Krankheit auch im Heere ſich bemerkbar machten, ſo darf man
ſich darüber wohl nicht wundern. Ueberdieß möchte die Haltung der
bayeriſchen Armee während der jüngſtverfloſſenen zwei Jahre im Ganzen
wohl für ſehr befriedigend erklärt werden; mehrere Abtheilungen der-
ſelben haben Gelegenheit gehabt zu beweiſen daß die alte bayeriſche Treue
und Tapferkeit nicht ausgeſtorben iſt, und auch die Mannszucht konnte
wenigſtens in weitaus dem größeren Theil der Armee genügend gehand-
habt werden. Zwar ſind während der pfälziſchen Revolution leider auch
in bayeriſchen Truppen-Abtheilungen ziemlich zahlreiche Fälle von Fah-
nenflucht vorgekommen, allein dieſelben waren doch wenigſtens weder ſo
allgemein wie im badiſchen Heere, noch von jenen ſcheußlichen Erſchei-
nungen der tiefſten Entfittlichung und ſchimpflicher Roheit und Bruta-
lität gegen die bisherigen Vorgeſetzten begleitet. Wenn wir alſo auch in
dieſe Klagen über die Abnahme der Disciplin nicht vollkommen einzu-
ſtimmen vermögen und die Furcht vor dem allmählichen Verfall der
Mannszucht für nicht gerechtfertigt halten, ſo läßt ſich doch wohl die
Nothwendigkeit nicht läugnen auf Mittel zu ſinnen, wie auch im Sol-
daten die Achtung vor dem Geſetz, die Ueberzeugung von deſſen unver-
meidlicher Wirkſamkeit und von der unausbleiblichen Ahndung einer
jeden Uebertretung desſelben neu zu beleben und zu kräftigen ſey. Ob
dieß durch Verſchärfung der jetzt beſtehenden Strafbeſtimmungen, na-
mentlich aber durch Wiedereinführung der Prügelſtrafe, wofür ſich bereits
wieder manche Stimmen ausſprechen, erreicht werden könne, erſcheint
uns als im höchſten Grade zweifelhaft, und es ſtehen uns hierin die ſicher
gewichtigen Autoritäten Scharnhorſt und Gneiſenau zur Seite, welche
ſchon im Jahr 1808 muthig für Abſchaffung der körperlichen Züchtigung
kämpften. Wir glauben vielmehr daß hiezu andere Mittel vonnöthen
ſeyen!
Man hat die Einführung eines neuen Strafverfahrens in allen deut-
ſchen Gauen als eine der wichtigſten Errungenſchaften der neueſten Zeit
betrachtet, und dieſelbe nicht bloß deßhalb ſo freudig begrüßt weil durch
die Oeffentlichkeit der Verhandlungen eine Schranke gegen die Willkür
errichtet ward, ſondern namentlich auch darum, weil man davon eine
Verſtärkung des Rechtsgefühls im Volke erwartete. Sollte nicht hierin
auch ein Fingerzeig enthalten ſeyn welcher Weg zum gleichen Ziele auch
beim Heere einzuſchlagen ſey? Als erſte Maßregel welche zu dieſem Endzweck
geboten ſeyn dürfte, erſcheint die Abſchaffung des geſonderten Gerichts-
ſtandes für Militärperſonen bei der Unterſuchung und Aburtheilung aller
jener Vergehen und Verbrechen welche nicht im Dienſte begangen wor-
den, oder beſondere Beziehung auf das dienſtliche Verhältniß des Sol-
daten haben. Es möchte gegen die Ueberweiſung aller derartigen Fälle
an die gewöhnlichen bürgerlichen Gerichte um ſo weniger etwas einzu-
wenden ſeyn, als in der letzten Zeit beinahe alle privilegirten Gerichts-
ſtände gefallen ſind, durch dieſe Maßregel auch eine von jenen Schranken
welche den Militär von den übrigen Staatsbürgern trennen, und den
erſtern gleichſam als außerhalb des Volkes ſtehend erſcheinen laſſen, ver-
ſchwinden würde, als dadurch in allen jenen Fällen wo Militär- und
Civilperſonen an einer geſetzwidrigen Handlung gemeinſchaftlich Antheil
genommen, die ſogenannten gemiſchten Gerichte aufhören und ſo die Un-
terſuchungen gewiß weſentlich vereinfacht und beſchleunigt würden, und
endlich den Militärbehörden damit eine bedeutende Arbeitslaſt abgenom-
men würde, ohne daß hieraus irgendein nachtheiliger Einfluß auf die
militäriſchen Dienſtes- oder Standesverhältniſſe zu befürchten wäre.
Etwas anderes freilich iſt es mit denjenigen Vergehen welche der Soldat
im Dienſte begeht, oder welche in unmittelbarer Verbindung mit den
Dienſtesverhältniſſen ſtehen! Daß bei der Aburtheilung derſelben nicht
bloß ein möglichſt ſchleuniges Verfahren, mit Formen bekleidet welche
geeignet ſind das Anſehen des Geſetzes zu erhöhen, ſondern in den mei-
ſten Fällen auch ſtrengere Beſtrafung eintreten müſſe, iſt von jeher und
von allen Militärgeſetzgebungen anerkannt worden, und es wurde als
das geeignete Mittel hlezu ſtets ein aus Standesgenoſſen zuſammenge-
ſetztes Gericht angeſehen. Schon die Kriegsartikel Maximilians I für
die Landsknechte vom Jahr 1508 ſtellen dieſen Grundſatz oben an, und
die Anordnungen welche Guſtav Adolf im Jahr 1621 bezüglich der Bil-
dung der Kriegs- und Standgerichte erließ, ſind mit geringen Abände-
rungen in die meiſten deutſchen Militärgeſetzbücher übergegangen und
haben ſich zum Theil bis auf den heutigen Tag erhalten. Auch die Be-
ſtimmungen der bayeriſchen Militärdienſtesvorſchriften über das gericht-
liche Verfahren für alle Vergehen welche nicht rein disciplinärer Natur
ſind und als ſolche der Strafgewalt des Truppencommandanten anheim-
fallen, ſind auf ähnliche Grundlagen baſirt. In denſelben wird unter-
ſchieden zwiſchen Kriegscommiſſionen und Kriegsgerichten, von denen die
erſteren nur aus einer geringern Anzahl von Richtern, und zwar aus-
ſchließlich aus Officieren beſtehen, und über Vergehen — die letzteren
aber, aus einer größern Zahl von Richtern aller Chargen zuſammenge-
ſetzt, über die Verbrechen zu urtheilen haben. Bei beiden Commiſſionen
hat die Vorunterſuchung ein rechtskundiger Militärbeamte, der Auditor,
zu führen, der jedoch bei dem Urtheil ſelbſt keine entſcheidende, ſondern
bloß berathende Stimme hat. Leider aber ſind dieſe der Hauptſache nach
gewiß ſehr zweckmäßigen Einrichtungen in der Regel nicht von dem ge-
wünſchten Erfolg begleitet. Die Auditore, ſtets mit einer Maſſe von
Geſchäften überhäuft, ſind ſelbſt bei dem beſten Willen nicht im Stande
die Unterſuchungen mit jener Raſchheit zu Ende zu führen welche das
unumgänglichſte Erforderniß der Militärjuſtiz iſt. So tritt denn ſehr oft
der Fall ein daß ein großer Theil jener Mannſchaft, welche zur Zeit
einer Geſetzes-Uebertretung anweſend war und dieſelbe alſo gleichſam mit
anſah, in der Zwiſchenzeit beurlaubt worden oder ausmarſchirt iſt, und
alſo den Ausgang der Unterſuchung nicht mehr erfährt, ſohin glauben
wird daß keine Beſtrafung erfolgt ſey, während bei den übrigen die Er-
innerung an die That verwiſcht iſt, und nunmehr das Mitleid mit dem
Beſtraften in einer Weiſe rege werden muß daß aller abſchreckende Ein-
druck der Strafe verſchwindet: wie auch der von derſelben Betroffene
häufig bereits auf keine unangenehmen Folgen ſeines Fehltrittes mehr
gefaßt war, und nun ſehr geneigt iſt ſich für unſchuldig oder doch für
zu ſtrenge beſtraft zu halten. Hierzu kommt noch daß der Auditor ſich
in der Regel ſehr ſchwer von einem ſtreng juridiſchen Beweisverfahren
loszumachen weiß, wodurch häufig Unterſuchungen erfolglos bleiben oder
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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