Allgemeine Zeitung, Nr. 40, 3. Oktober 1914.
(Leutnant von der Linde hat seinen Eltern den Degen des Kom- In französischer Gefangenschaft. Der aus der Kriegsgefangenschaft in Frankreich zurückgekehrte
Französische Bestien. Der Generalstabsarzt der Armee und Chef des Feldsanitäts- "Vor einigen Tagen wurde in Orchies ein Lazarett von Der Feind im Osten. Auf dem deutsch-russischen Kriegsschauplatz hat sich Neues nicht Aus Budapest wird dem Wolffschen Bureau unter dem 27. ds. Das Ungarische Korrespondenz-Bureau ist von kompetenter Seite Beim Uzsoker Paß drang gestern eine mehrere 1000 Mann starke Amtlich wird aus Wien mitgeteilt: Die nach der Schlacht bei Demgegenüber muß darauf hingewiesen werden, daß die er- Am 28. September nachmittags ist, wie der Feldzeugmeister
(Leutnant von der Linde hat ſeinen Eltern den Degen des Kom- In franzöſiſcher Gefangenſchaft. Der aus der Kriegsgefangenſchaft in Frankreich zurückgekehrte
Franzöſiſche Beſtien. Der Generalſtabsarzt der Armee und Chef des Feldſanitäts- „Vor einigen Tagen wurde in Orchies ein Lazarett von Der Feind im Oſten. Auf dem deutſch-ruſſiſchen Kriegsſchauplatz hat ſich Neues nicht Aus Budapeſt wird dem Wolffſchen Bureau unter dem 27. ds. Das Ungariſche Korreſpondenz-Bureau iſt von kompetenter Seite Beim Uzſoker Paß drang geſtern eine mehrere 1000 Mann ſtarke Amtlich wird aus Wien mitgeteilt: Die nach der Schlacht bei Demgegenüber muß darauf hingewieſen werden, daß die er- Am 28. September nachmittags iſt, wie der Feldzeugmeiſter <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <cit> <quote><pb facs="#f0002" n="586"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 3. Oktober 1914.</fw><lb/><cb/> Ich ließ jeden einzelnen vortreten. Wir unterſuchten ſie. Die Waffen<lb/> mußten ſie im Fort laſſen. Meine vier Leute hatten das Gewehr<lb/> im Anſchlag. Der Kommandant des Forts, Malonne, übergab mir<lb/> ſeinen Säbel. Dann ließ ich die Belgier in eine Ecke treten, damit<lb/> ſie nicht ſehen konnten, wer hereinkäme. Neben dem Kommandanten<lb/> nahm ich 5 Offiziere und 20 Mann gefangen, die übrigen 400 waren<lb/> ſchon vorher geflohen. Ich ließ nun meinen Zug nachkummen. Die<lb/> Geſichter der belgiſchen Offiziere hättet ihr ſehen ſollen, als ſie nach-<lb/> her unſere geringe Anzahl ſahen. Ich holte die belgiſche Flagge<lb/> herunter, und meine Leute verfertigten aus einer belgiſchen Hofe,<lb/> einem Hemd und einer roten franzöſiſchen Bauchbinde eine deutſche<lb/> Fahne und hißten ſie. Vorher hatten wir den Weinkeller aufge-<lb/> macht und ließen beim Aufziehen der Fahne ein paar Sektpullen<lb/> knallen. Bis zur Ablöſung mußte ich das Fort, das gönzlich unbe-<lb/> ſchoſſen war, beſetzt halten. Ich erbeutete vier 21-Zentimeter-Kano-<lb/> nen und eine Anzahl kleinerer Kaliber, über 100 Gewehre und Piſto-<lb/> len, 500 Granaten und mehrere tauſend Gewehrpatronen. Ich wurde<lb/> erſt am nächſten Morgen abgelöſt. Wir ſchwelgten inzwiſchen in den<lb/> großen Mengen aufgeſtapelter Vorräte.“</quote> </cit><lb/> <p>(Leutnant von der Linde hat ſeinen Eltern den Degen des Kom-<lb/> mandanten und die Fahne des Forts Malonne als Siegestrophäe<lb/> geſchickt.)</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#g">In franzöſiſcher Gefangenſchaft.</hi> </head><lb/> <p>Der aus der Kriegsgefangenſchaft in Frankreich zurückgekehrte<lb/> Oberingenieur <hi rendition="#g">Kriſten,</hi> welcher vor dem Kriege bei den ſtaatlichen<lb/> Kraftwerken an der Rhone angeſtellt war, berichtet über ſeine Wahr-<lb/> nehmungen und Erlebniſſe in der „Wiener Reichspoſt“, die dazu<lb/> ſchreibt:</p><lb/> <cit> <quote> <p>Kriſtens Ausſagen ſind insbeſondere charakteriſtiſch für die<lb/> frühen Kriegsvorbereitungen Frankreichs, die ſeloſe unſerem Ultima-<lb/> tum an Serbien vorausgingen. 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Nachmittag<lb/> wurde ich verhaftet und zuſammen mit 179 Deutſchen, Oeſterreichern<lb/> und Ungarn in einen Keller geſperrt. Am nächſten Morgen ging es<lb/> unter Bewachung nach Toul. Auf dem Wege durch die Stadt wurden<lb/> wir vom Publikum mit Steinen, Kies und Kot beworfen und abends<lb/> in einem Eiskeller auf Stroh untergebracht. Vom 2. Auguſt an<lb/> wurden wir unter Kolbenſtößen und Ohrfeigen gezwungen, um Toul<lb/> Schanzen, Gräben und Stacheldrähte zu ziehen. Die Schanzgräben,<lb/> die eine Breite von 1.30 Meter hatten, wurden mit Stacheldraht<lb/> überſpannt.</p><lb/> <p>Unter uns befand ſich auch ein gewiſſer Paul Schambach, Pro-<lb/> kuriſt der deutſchen Wollfabrik Schlumberger in Belfort, der 80,000<lb/> Franks Gelder ſeiner Firma bei ſich hatte. Als er ſich gegen die<lb/> Wegnahme des Geldes wehrte, wurde er hinter eine Zitadelle geführt<lb/> und mußte dort ſein Grab ſelber ſchaufeln. Dann wurde er kurzer-<lb/> hand niedergeſchoſſen. Am 10. Auguſt hörten wir Kanonendonner,<lb/> und Schrapnellkugeln praſſelten auf das Dach. Am nächſten Tage<lb/> wurden wir beſonders roh behandelt und ſchlecht beköſtigt. Alles<lb/> Geld mußten wir hergeben, ich allein 800 Franks Arbeitsgelder und<lb/> 28,000 Franks Obligationen. Am 18. Auguſt hörten wir wieder<lb/> Kanonendonner. Jeder von uns Oeſterreichern und Ungarn gedachte<lb/> im Stillen unſeres Kaiſers, deſſen Geburtstag wir im Herzen feierten.<lb/> Die Krankenwagen brachten Verwundete in großer Menge, darunter<lb/> 16 ſchwerverletzte Deutſche. Die Bevölkerung und die Soldaten be-<lb/> nahmen ſich gegen dieſe armen Schwerverletzten in der ſchmachvoll-<lb/> ſten Weiſe, überſchütteten ſie mit Schmähungen und ließen ſie drei<lb/> Stunden in der heißeſten Sonnenglut liegen. Als ich den Armen<lb/> mit dem Taſchentuch Kühlung verſchaffen wollte, wurde ich von einem<lb/> Offizier mit dem Säbel zurückgeſtoßen. Schon damals machte ſich<lb/> gegen die Regierung eine Mißſtimmung geltend. Die Automobile,<lb/> die in Toul mit der Aufſchrift „<hi rendition="#aq">à</hi> Berlin“ die Stadt durchfuhren, ver-<lb/> mochten die Zweifel der Bevölkerung nicht zu zerſtrenen. Kriſten<lb/><cb/> berichtet, das Volk habe wenig Hoffnung auf ein glückliches Ende des<lb/> Krieges und verlange bereits ſtürmiſch nach einer neuen Regierung.<lb/> In Toul habe er von hohen Offizieren wiederholt die Meinung aus-<lb/> ſprechen hören, daß die neue Regierung ſich dann an den Vertrag<lb/> mit England und Rußland, nur gemeinſam den Frieden zu ſchließen,<lb/> nicht zu halten brauche, da für ſie dieſer Vertrag ja nicht beſtehe.</p> </quote> </cit> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#g">Franzöſiſche Beſtien.</hi> </head><lb/> <p>Der Generalſtabsarzt der Armee und Chef des Feldſanitäts-<lb/> weſens v. <hi rendition="#g">Schjerning</hi> hat dem Kaiſer folgende haarſträubende<lb/> Meldung erſtattet:</p><lb/> <cit> <quote>„Vor einigen Tagen wurde in <hi rendition="#g">Orchies</hi> ein Lazarett von<lb/> Franktireurs überfallen. Bei der am 24. September gegen Orchies<lb/> unternommenen Strafexpedition durch Landwehrbataillon 35 ſtieß<lb/> dieſes auf überlegene feindliche Truppen aller Gattungen und mußte<lb/> unter Verluſt von 8 Toten und 35 Verwundeten zurück. Ein am<lb/> nächſten Tage ausgeſandtes bayeriſches Pionierbataillon ſtieß auf<lb/> keinen Feind mehr und fand Orchies von Einwohnern verlaſſen. Am<lb/> Orte wurden zwanzig, beim Gefecht am vorhergehenden Tage ver-<lb/> wundete Deutſche grauenhaft verſtümmelt aufgefunden. Ohren und<lb/> Naſen waren ihnen abgeſchnitten, und man hatte ſie durch Einführen<lb/> von Sägemehl in Mund und Naſe erſtickt. Die Richtigkeit des<lb/> darüber aufgenommenen Befundes wurde von zwei franzöſiſchen<lb/> Geiſtlichen unterſchriftlich beſtätigt. Orchies wurde dem Erdboden<lb/> gleichgemacht.“</quote> </cit> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Der Feind im Oſten.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Auf dem deutſch-ruſſiſchen Kriegsſchauplatz hat ſich Neues nicht<lb/> ereignet. 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Nach Munkacs und Huſzt ſind größere<lb/> Truppenabteilungen unterwegs, um die Unſern zu unterſtützen. Alle<lb/> dieſe Grenzplänkeleien ſind von geringerer Bedeutung und geben,<lb/> nachdem wir bei der Grenze und im Innern des Landes über ge-<lb/> nügend Truppen verfügen, keinen Anlaß zur Beſorgnis.</p><lb/> <p>Amtlich wird aus <hi rendition="#g">Wien</hi> mitgeteilt: Die nach der Schlacht bei<lb/> Lemberg eingeleitete Verſammlung unſerer Streitkräfte im Raume<lb/> weſtlich vom San gab nicht nur der Ententepreſſe Veranlaſſung zu<lb/> den böswilligſten Erfindungen und lächerlichſten Kommentaren, ſon-<lb/> dern rief auch anderwärts unrichtige Vorſtellungen über die Lage<lb/> unſeres Heeres hervor.</p><lb/> <p>Demgegenüber muß darauf hingewieſen werden, daß die er-<lb/> wähnte Verſammlung durchaus freiwillig erfolgt iſt, wofür als Be-<lb/> weis nun angeführt ſei, daß der Gegner ſie nirgends zu ſtören ver-<lb/> mochte oder dies auch nur verſuchte. 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Allgemeine Zeitung 3. Oktober 1914.
Ich ließ jeden einzelnen vortreten. Wir unterſuchten ſie. Die Waffen
mußten ſie im Fort laſſen. Meine vier Leute hatten das Gewehr
im Anſchlag. Der Kommandant des Forts, Malonne, übergab mir
ſeinen Säbel. Dann ließ ich die Belgier in eine Ecke treten, damit
ſie nicht ſehen konnten, wer hereinkäme. Neben dem Kommandanten
nahm ich 5 Offiziere und 20 Mann gefangen, die übrigen 400 waren
ſchon vorher geflohen. Ich ließ nun meinen Zug nachkummen. Die
Geſichter der belgiſchen Offiziere hättet ihr ſehen ſollen, als ſie nach-
her unſere geringe Anzahl ſahen. Ich holte die belgiſche Flagge
herunter, und meine Leute verfertigten aus einer belgiſchen Hofe,
einem Hemd und einer roten franzöſiſchen Bauchbinde eine deutſche
Fahne und hißten ſie. Vorher hatten wir den Weinkeller aufge-
macht und ließen beim Aufziehen der Fahne ein paar Sektpullen
knallen. Bis zur Ablöſung mußte ich das Fort, das gönzlich unbe-
ſchoſſen war, beſetzt halten. Ich erbeutete vier 21-Zentimeter-Kano-
nen und eine Anzahl kleinerer Kaliber, über 100 Gewehre und Piſto-
len, 500 Granaten und mehrere tauſend Gewehrpatronen. Ich wurde
erſt am nächſten Morgen abgelöſt. Wir ſchwelgten inzwiſchen in den
großen Mengen aufgeſtapelter Vorräte.“
(Leutnant von der Linde hat ſeinen Eltern den Degen des Kom-
mandanten und die Fahne des Forts Malonne als Siegestrophäe
geſchickt.)
In franzöſiſcher Gefangenſchaft.
Der aus der Kriegsgefangenſchaft in Frankreich zurückgekehrte
Oberingenieur Kriſten, welcher vor dem Kriege bei den ſtaatlichen
Kraftwerken an der Rhone angeſtellt war, berichtet über ſeine Wahr-
nehmungen und Erlebniſſe in der „Wiener Reichspoſt“, die dazu
ſchreibt:
Kriſtens Ausſagen ſind insbeſondere charakteriſtiſch für die
frühen Kriegsvorbereitungen Frankreichs, die ſeloſe unſerem Ultima-
tum an Serbien vorausgingen. Kriſten hatte im Anfang des Jahres
in Paris Gelegenheit, mit dem inzwiſchen ermordeten Sozialiſten-
führer Jaurès zu ſprechen, der ihm ſchon damals im Verlaufe des
Geſpräches mitteilte, Frankreich hätte mit einer Macht zu Lande und
einer Macht zur See ſich verbunden, um in naher Zeit Deutſchlands
Ende herbeizuführen. Damals, erzählt Kriſten, habe ich dieſer Unter-
redung mit Jaurès noch gar keine Bedeutung beigemeſſen. Erſt als
ich am 18. Juli auf meinen Dienſtreiſen bemerkte, daß in den Vogeſen
größere Truppenmaſſen zuſammengezogen wurde, erinnerte ich mich
der Weisſagungen Jaurès’. Am 21. Juli wurde bereits plötzlich der
Kriegszuſtand verkündet. Am 27. Juli bekam ich vormittags meine
Papiere mit der Aufforderung, Frankreich zu verlaſſen. Der Bahn-
verkehr war aber bereits für die Zivilperſonen geſperrt. Nachmittag
wurde ich verhaftet und zuſammen mit 179 Deutſchen, Oeſterreichern
und Ungarn in einen Keller geſperrt. Am nächſten Morgen ging es
unter Bewachung nach Toul. Auf dem Wege durch die Stadt wurden
wir vom Publikum mit Steinen, Kies und Kot beworfen und abends
in einem Eiskeller auf Stroh untergebracht. Vom 2. Auguſt an
wurden wir unter Kolbenſtößen und Ohrfeigen gezwungen, um Toul
Schanzen, Gräben und Stacheldrähte zu ziehen. Die Schanzgräben,
die eine Breite von 1.30 Meter hatten, wurden mit Stacheldraht
überſpannt.
Unter uns befand ſich auch ein gewiſſer Paul Schambach, Pro-
kuriſt der deutſchen Wollfabrik Schlumberger in Belfort, der 80,000
Franks Gelder ſeiner Firma bei ſich hatte. Als er ſich gegen die
Wegnahme des Geldes wehrte, wurde er hinter eine Zitadelle geführt
und mußte dort ſein Grab ſelber ſchaufeln. Dann wurde er kurzer-
hand niedergeſchoſſen. Am 10. Auguſt hörten wir Kanonendonner,
und Schrapnellkugeln praſſelten auf das Dach. Am nächſten Tage
wurden wir beſonders roh behandelt und ſchlecht beköſtigt. Alles
Geld mußten wir hergeben, ich allein 800 Franks Arbeitsgelder und
28,000 Franks Obligationen. Am 18. Auguſt hörten wir wieder
Kanonendonner. Jeder von uns Oeſterreichern und Ungarn gedachte
im Stillen unſeres Kaiſers, deſſen Geburtstag wir im Herzen feierten.
Die Krankenwagen brachten Verwundete in großer Menge, darunter
16 ſchwerverletzte Deutſche. Die Bevölkerung und die Soldaten be-
nahmen ſich gegen dieſe armen Schwerverletzten in der ſchmachvoll-
ſten Weiſe, überſchütteten ſie mit Schmähungen und ließen ſie drei
Stunden in der heißeſten Sonnenglut liegen. Als ich den Armen
mit dem Taſchentuch Kühlung verſchaffen wollte, wurde ich von einem
Offizier mit dem Säbel zurückgeſtoßen. Schon damals machte ſich
gegen die Regierung eine Mißſtimmung geltend. Die Automobile,
die in Toul mit der Aufſchrift „à Berlin“ die Stadt durchfuhren, ver-
mochten die Zweifel der Bevölkerung nicht zu zerſtrenen. Kriſten
berichtet, das Volk habe wenig Hoffnung auf ein glückliches Ende des
Krieges und verlange bereits ſtürmiſch nach einer neuen Regierung.
In Toul habe er von hohen Offizieren wiederholt die Meinung aus-
ſprechen hören, daß die neue Regierung ſich dann an den Vertrag
mit England und Rußland, nur gemeinſam den Frieden zu ſchließen,
nicht zu halten brauche, da für ſie dieſer Vertrag ja nicht beſtehe.
Franzöſiſche Beſtien.
Der Generalſtabsarzt der Armee und Chef des Feldſanitäts-
weſens v. Schjerning hat dem Kaiſer folgende haarſträubende
Meldung erſtattet:
„Vor einigen Tagen wurde in Orchies ein Lazarett von
Franktireurs überfallen. Bei der am 24. September gegen Orchies
unternommenen Strafexpedition durch Landwehrbataillon 35 ſtieß
dieſes auf überlegene feindliche Truppen aller Gattungen und mußte
unter Verluſt von 8 Toten und 35 Verwundeten zurück. Ein am
nächſten Tage ausgeſandtes bayeriſches Pionierbataillon ſtieß auf
keinen Feind mehr und fand Orchies von Einwohnern verlaſſen. Am
Orte wurden zwanzig, beim Gefecht am vorhergehenden Tage ver-
wundete Deutſche grauenhaft verſtümmelt aufgefunden. Ohren und
Naſen waren ihnen abgeſchnitten, und man hatte ſie durch Einführen
von Sägemehl in Mund und Naſe erſtickt. Die Richtigkeit des
darüber aufgenommenen Befundes wurde von zwei franzöſiſchen
Geiſtlichen unterſchriftlich beſtätigt. Orchies wurde dem Erdboden
gleichgemacht.“
Der Feind im Oſten.
Auf dem deutſch-ruſſiſchen Kriegsſchauplatz hat ſich Neues nicht
ereignet. Die Ruſſen, deren in Oſtpreußen ſtehende Armeekorps
von Hindenburg bis zur Vernichtung geſchlagen worden ſind, ſcheinen
nun ihre Hauptmacht gegen Oeſterreich gerichtet zu haben, wo in
Galizien zurzeit ein ſchwerer Völkerkampf tobt, deſſen Ausläufe bis
in die ungariſchen Karpathen hereinreichen.
Aus Budapeſt wird dem Wolffſchen Bureau unter dem 27. ds.
nicht amtlich gemeldet:
Das Ungariſche Korreſpondenz-Bureau iſt von kompetenter Seite
ermächtigt worden, folgendes bekannt zu geben:
Beim Uzſoker Paß drang geſtern eine mehrere 1000 Mann ſtarke
ruſſiſche Truppenabteilung ein, die bei Malomret zwiſchen Fenyves-
woelgy und Cſontos zurückgeſchlagen wurde. Im Maramaroſer
Komitat ſind bei Tornye ebenfalls Plänkeleien mit den dort einge-
brochenen ruſſiſchen Truppen und unſeren zum Grenzſchutz befohle-
nen Truppen im Gange. Nach Munkacs und Huſzt ſind größere
Truppenabteilungen unterwegs, um die Unſern zu unterſtützen. Alle
dieſe Grenzplänkeleien ſind von geringerer Bedeutung und geben,
nachdem wir bei der Grenze und im Innern des Landes über ge-
nügend Truppen verfügen, keinen Anlaß zur Beſorgnis.
Amtlich wird aus Wien mitgeteilt: Die nach der Schlacht bei
Lemberg eingeleitete Verſammlung unſerer Streitkräfte im Raume
weſtlich vom San gab nicht nur der Ententepreſſe Veranlaſſung zu
den böswilligſten Erfindungen und lächerlichſten Kommentaren, ſon-
dern rief auch anderwärts unrichtige Vorſtellungen über die Lage
unſeres Heeres hervor.
Demgegenüber muß darauf hingewieſen werden, daß die er-
wähnte Verſammlung durchaus freiwillig erfolgt iſt, wofür als Be-
weis nun angeführt ſei, daß der Gegner ſie nirgends zu ſtören ver-
mochte oder dies auch nur verſuchte. Die feindlicherſeits aufgeſtell-
ten Behauptungen über Erfolge an der Sanlinie ſind ganz unwahr.
Es handelt ſich lediglich um einzelne mit großem Truppenaufwand
und ſchwerer Geſchützmunition inſzenierte Beſchießungen gegen feld-
mäßig geſicherte, ſchwach beſetzte Uebergangsſtellen, die nach Erfüllung
ihres Zweckes, Sprengung der Brücken, freiwillig geräumt wurden.
Die aus London ſtammende Nachricht vom Falle zweier Forts von
Przemysl iſt natürlich ganz aus der Luft gegriffen. Auf dem Balkan-
kriegsſchauplatze iſt die Lage auch ſeit dem letzten, deutlich genug
ſprechenden Communiqué unverändert geblieben. Die von feindlicher
Seite verbreitete Nachricht über die Einnahme Serajewos durch Ser-
ben oder Montenegriner kann nach authentiſchen Informationen als
glatt erfunden bezeichnet werden.
Am 28. September nachmittags iſt, wie der Feldzeugmeiſter
Potiorek bekannt gibt, nach mehr als 14 tägigen, hartnäckigen Kämp-
fen, während deren unſere Truppen die Drina und die Save neuer-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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