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Allgemeine Zeitung, Nr. 40, 3. Oktober 1914.

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Allgemeine Zeitung 3. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch] Ich ließ jeden einzelnen vortreten. Wir untersuchten sie. Die Waffen
mußten sie im Fort lassen. Meine vier Leute hatten das Gewehr
im Anschlag. Der Kommandant des Forts, Malonne, übergab mir
seinen Säbel. Dann ließ ich die Belgier in eine Ecke treten, damit
sie nicht sehen konnten, wer hereinkäme. Neben dem Kommandanten
nahm ich 5 Offiziere und 20 Mann gefangen, die übrigen 400 waren
schon vorher geflohen. Ich ließ nun meinen Zug nachkummen. Die
Gesichter der belgischen Offiziere hättet ihr sehen sollen, als sie nach-
her unsere geringe Anzahl sahen. Ich holte die belgische Flagge
herunter, und meine Leute verfertigten aus einer belgischen Hofe,
einem Hemd und einer roten französischen Bauchbinde eine deutsche
Fahne und hißten sie. Vorher hatten wir den Weinkeller aufge-
macht und ließen beim Aufziehen der Fahne ein paar Sektpullen
knallen. Bis zur Ablösung mußte ich das Fort, das gönzlich unbe-
schossen war, besetzt halten. Ich erbeutete vier 21-Zentimeter-Kano-
nen und eine Anzahl kleinerer Kaliber, über 100 Gewehre und Pisto-
len, 500 Granaten und mehrere tausend Gewehrpatronen. Ich wurde
erst am nächsten Morgen abgelöst. Wir schwelgten inzwischen in den
großen Mengen aufgestapelter Vorräte."

(Leutnant von der Linde hat seinen Eltern den Degen des Kom-
mandanten und die Fahne des Forts Malonne als Siegestrophäe
geschickt.)



In französischer Gefangenschaft.

Der aus der Kriegsgefangenschaft in Frankreich zurückgekehrte
Oberingenieur Kristen, welcher vor dem Kriege bei den staatlichen
Kraftwerken an der Rhone angestellt war, berichtet über seine Wahr-
nehmungen und Erlebnisse in der "Wiener Reichspost", die dazu
schreibt:

Kristens Aussagen sind insbesondere charakteristisch für die
frühen Kriegsvorbereitungen Frankreichs, die selose unserem Ultima-
tum an Serbien vorausgingen. Kristen hatte im Anfang des Jahres
in Paris Gelegenheit, mit dem inzwischen ermordeten Sozialisten-
führer Jaures zu sprechen, der ihm schon damals im Verlaufe des
Gespräches mitteilte, Frankreich hätte mit einer Macht zu Lande und
einer Macht zur See sich verbunden, um in naher Zeit Deutschlands
Ende herbeizuführen. Damals, erzählt Kristen, habe ich dieser Unter-
redung mit Jaures noch gar keine Bedeutung beigemessen. Erst als
ich am 18. Juli auf meinen Dienstreisen bemerkte, daß in den Vogesen
größere Truppenmassen zusammengezogen wurde, erinnerte ich mich
der Weissagungen Jaures'. Am 21. Juli wurde bereits plötzlich der
Kriegszustand verkündet. Am 27. Juli bekam ich vormittags meine
Papiere mit der Aufforderung, Frankreich zu verlassen. Der Bahn-
verkehr war aber bereits für die Zivilpersonen gesperrt. Nachmittag
wurde ich verhaftet und zusammen mit 179 Deutschen, Oesterreichern
und Ungarn in einen Keller gesperrt. Am nächsten Morgen ging es
unter Bewachung nach Toul. Auf dem Wege durch die Stadt wurden
wir vom Publikum mit Steinen, Kies und Kot beworfen und abends
in einem Eiskeller auf Stroh untergebracht. Vom 2. August an
wurden wir unter Kolbenstößen und Ohrfeigen gezwungen, um Toul
Schanzen, Gräben und Stacheldrähte zu ziehen. Die Schanzgräben,
die eine Breite von 1.30 Meter hatten, wurden mit Stacheldraht
überspannt.

Unter uns befand sich auch ein gewisser Paul Schambach, Pro-
kurist der deutschen Wollfabrik Schlumberger in Belfort, der 80,000
Franks Gelder seiner Firma bei sich hatte. Als er sich gegen die
Wegnahme des Geldes wehrte, wurde er hinter eine Zitadelle geführt
und mußte dort sein Grab selber schaufeln. Dann wurde er kurzer-
hand niedergeschossen. Am 10. August hörten wir Kanonendonner,
und Schrapnellkugeln prasselten auf das Dach. Am nächsten Tage
wurden wir besonders roh behandelt und schlecht beköstigt. Alles
Geld mußten wir hergeben, ich allein 800 Franks Arbeitsgelder und
28,000 Franks Obligationen. Am 18. August hörten wir wieder
Kanonendonner. Jeder von uns Oesterreichern und Ungarn gedachte
im Stillen unseres Kaisers, dessen Geburtstag wir im Herzen feierten.
Die Krankenwagen brachten Verwundete in großer Menge, darunter
16 schwerverletzte Deutsche. Die Bevölkerung und die Soldaten be-
nahmen sich gegen diese armen Schwerverletzten in der schmachvoll-
sten Weise, überschütteten sie mit Schmähungen und ließen sie drei
Stunden in der heißesten Sonnenglut liegen. Als ich den Armen
mit dem Taschentuch Kühlung verschaffen wollte, wurde ich von einem
Offizier mit dem Säbel zurückgestoßen. Schon damals machte sich
gegen die Regierung eine Mißstimmung geltend. Die Automobile,
die in Toul mit der Aufschrift "a Berlin" die Stadt durchfuhren, ver-
mochten die Zweifel der Bevölkerung nicht zu zerstrenen. Kristen
[Spaltenumbruch] berichtet, das Volk habe wenig Hoffnung auf ein glückliches Ende des
Krieges und verlange bereits stürmisch nach einer neuen Regierung.
In Toul habe er von hohen Offizieren wiederholt die Meinung aus-
sprechen hören, daß die neue Regierung sich dann an den Vertrag
mit England und Rußland, nur gemeinsam den Frieden zu schließen,
nicht zu halten brauche, da für sie dieser Vertrag ja nicht bestehe.



Französische Bestien.

Der Generalstabsarzt der Armee und Chef des Feldsanitäts-
wesens v. Schjerning hat dem Kaiser folgende haarsträubende
Meldung erstattet:

"Vor einigen Tagen wurde in Orchies ein Lazarett von
Franktireurs überfallen. Bei der am 24. September gegen Orchies
unternommenen Strafexpedition durch Landwehrbataillon 35 stieß
dieses auf überlegene feindliche Truppen aller Gattungen und mußte
unter Verlust von 8 Toten und 35 Verwundeten zurück. Ein am
nächsten Tage ausgesandtes bayerisches Pionierbataillon stieß auf
keinen Feind mehr und fand Orchies von Einwohnern verlassen. Am
Orte wurden zwanzig, beim Gefecht am vorhergehenden Tage ver-
wundete Deutsche grauenhaft verstümmelt aufgefunden. Ohren und
Nasen waren ihnen abgeschnitten, und man hatte sie durch Einführen
von Sägemehl in Mund und Nase erstickt. Die Richtigkeit des
darüber aufgenommenen Befundes wurde von zwei französischen
Geistlichen unterschriftlich bestätigt. Orchies wurde dem Erdboden
gleichgemacht."


Der Feind im Osten.

Auf dem deutsch-russischen Kriegsschauplatz hat sich Neues nicht
ereignet. Die Russen, deren in Ostpreußen stehende Armeekorps
von Hindenburg bis zur Vernichtung geschlagen worden sind, scheinen
nun ihre Hauptmacht gegen Oesterreich gerichtet zu haben, wo in
Galizien zurzeit ein schwerer Völkerkampf tobt, dessen Ausläufe bis
in die ungarischen Karpathen hereinreichen.

Aus Budapest wird dem Wolffschen Bureau unter dem 27. ds.
nicht amtlich gemeldet:

Das Ungarische Korrespondenz-Bureau ist von kompetenter Seite
ermächtigt worden, folgendes bekannt zu geben:

Beim Uzsoker Paß drang gestern eine mehrere 1000 Mann starke
russische Truppenabteilung ein, die bei Malomret zwischen Fenyves-
woelgy und Csontos zurückgeschlagen wurde. Im Maramaroser
Komitat sind bei Tornye ebenfalls Plänkeleien mit den dort einge-
brochenen russischen Truppen und unseren zum Grenzschutz befohle-
nen Truppen im Gange. Nach Munkacs und Hußt sind größere
Truppenabteilungen unterwegs, um die Unsern zu unterstützen. Alle
diese Grenzplänkeleien sind von geringerer Bedeutung und geben,
nachdem wir bei der Grenze und im Innern des Landes über ge-
nügend Truppen verfügen, keinen Anlaß zur Besorgnis.

Amtlich wird aus Wien mitgeteilt: Die nach der Schlacht bei
Lemberg eingeleitete Versammlung unserer Streitkräfte im Raume
westlich vom San gab nicht nur der Ententepresse Veranlassung zu
den böswilligsten Erfindungen und lächerlichsten Kommentaren, son-
dern rief auch anderwärts unrichtige Vorstellungen über die Lage
unseres Heeres hervor.

Demgegenüber muß darauf hingewiesen werden, daß die er-
wähnte Versammlung durchaus freiwillig erfolgt ist, wofür als Be-
weis nun angeführt sei, daß der Gegner sie nirgends zu stören ver-
mochte oder dies auch nur versuchte. Die feindlicherseits aufgestell-
ten Behauptungen über Erfolge an der Sanlinie sind ganz unwahr.
Es handelt sich lediglich um einzelne mit großem Truppenaufwand
und schwerer Geschützmunition inßenierte Beschießungen gegen feld-
mäßig gesicherte, schwach besetzte Uebergangsstellen, die nach Erfüllung
ihres Zweckes, Sprengung der Brücken, freiwillig geräumt wurden.
Die aus London stammende Nachricht vom Falle zweier Forts von
Przemysl ist natürlich ganz aus der Luft gegriffen. Auf dem Balkan-
kriegsschauplatze ist die Lage auch seit dem letzten, deutlich genug
sprechenden Communique unverändert geblieben. Die von feindlicher
Seite verbreitete Nachricht über die Einnahme Serajewos durch Ser-
ben oder Montenegriner kann nach authentischen Informationen als
glatt erfunden bezeichnet werden.

Am 28. September nachmittags ist, wie der Feldzeugmeister
Potiorek bekannt gibt, nach mehr als 14 tägigen, hartnäckigen Kämp-
fen, während deren unsere Truppen die Drina und die Save neuer-

Allgemeine Zeitung 3. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch] Ich ließ jeden einzelnen vortreten. Wir unterſuchten ſie. Die Waffen
mußten ſie im Fort laſſen. Meine vier Leute hatten das Gewehr
im Anſchlag. Der Kommandant des Forts, Malonne, übergab mir
ſeinen Säbel. Dann ließ ich die Belgier in eine Ecke treten, damit
ſie nicht ſehen konnten, wer hereinkäme. Neben dem Kommandanten
nahm ich 5 Offiziere und 20 Mann gefangen, die übrigen 400 waren
ſchon vorher geflohen. Ich ließ nun meinen Zug nachkummen. Die
Geſichter der belgiſchen Offiziere hättet ihr ſehen ſollen, als ſie nach-
her unſere geringe Anzahl ſahen. Ich holte die belgiſche Flagge
herunter, und meine Leute verfertigten aus einer belgiſchen Hofe,
einem Hemd und einer roten franzöſiſchen Bauchbinde eine deutſche
Fahne und hißten ſie. Vorher hatten wir den Weinkeller aufge-
macht und ließen beim Aufziehen der Fahne ein paar Sektpullen
knallen. Bis zur Ablöſung mußte ich das Fort, das gönzlich unbe-
ſchoſſen war, beſetzt halten. Ich erbeutete vier 21-Zentimeter-Kano-
nen und eine Anzahl kleinerer Kaliber, über 100 Gewehre und Piſto-
len, 500 Granaten und mehrere tauſend Gewehrpatronen. Ich wurde
erſt am nächſten Morgen abgelöſt. Wir ſchwelgten inzwiſchen in den
großen Mengen aufgeſtapelter Vorräte.“

(Leutnant von der Linde hat ſeinen Eltern den Degen des Kom-
mandanten und die Fahne des Forts Malonne als Siegestrophäe
geſchickt.)



In franzöſiſcher Gefangenſchaft.

Der aus der Kriegsgefangenſchaft in Frankreich zurückgekehrte
Oberingenieur Kriſten, welcher vor dem Kriege bei den ſtaatlichen
Kraftwerken an der Rhone angeſtellt war, berichtet über ſeine Wahr-
nehmungen und Erlebniſſe in der „Wiener Reichspoſt“, die dazu
ſchreibt:

Kriſtens Ausſagen ſind insbeſondere charakteriſtiſch für die
frühen Kriegsvorbereitungen Frankreichs, die ſeloſe unſerem Ultima-
tum an Serbien vorausgingen. Kriſten hatte im Anfang des Jahres
in Paris Gelegenheit, mit dem inzwiſchen ermordeten Sozialiſten-
führer Jaurès zu ſprechen, der ihm ſchon damals im Verlaufe des
Geſpräches mitteilte, Frankreich hätte mit einer Macht zu Lande und
einer Macht zur See ſich verbunden, um in naher Zeit Deutſchlands
Ende herbeizuführen. Damals, erzählt Kriſten, habe ich dieſer Unter-
redung mit Jaurès noch gar keine Bedeutung beigemeſſen. Erſt als
ich am 18. Juli auf meinen Dienſtreiſen bemerkte, daß in den Vogeſen
größere Truppenmaſſen zuſammengezogen wurde, erinnerte ich mich
der Weisſagungen Jaurès’. Am 21. Juli wurde bereits plötzlich der
Kriegszuſtand verkündet. Am 27. Juli bekam ich vormittags meine
Papiere mit der Aufforderung, Frankreich zu verlaſſen. Der Bahn-
verkehr war aber bereits für die Zivilperſonen geſperrt. Nachmittag
wurde ich verhaftet und zuſammen mit 179 Deutſchen, Oeſterreichern
und Ungarn in einen Keller geſperrt. Am nächſten Morgen ging es
unter Bewachung nach Toul. Auf dem Wege durch die Stadt wurden
wir vom Publikum mit Steinen, Kies und Kot beworfen und abends
in einem Eiskeller auf Stroh untergebracht. Vom 2. Auguſt an
wurden wir unter Kolbenſtößen und Ohrfeigen gezwungen, um Toul
Schanzen, Gräben und Stacheldrähte zu ziehen. Die Schanzgräben,
die eine Breite von 1.30 Meter hatten, wurden mit Stacheldraht
überſpannt.

Unter uns befand ſich auch ein gewiſſer Paul Schambach, Pro-
kuriſt der deutſchen Wollfabrik Schlumberger in Belfort, der 80,000
Franks Gelder ſeiner Firma bei ſich hatte. Als er ſich gegen die
Wegnahme des Geldes wehrte, wurde er hinter eine Zitadelle geführt
und mußte dort ſein Grab ſelber ſchaufeln. Dann wurde er kurzer-
hand niedergeſchoſſen. Am 10. Auguſt hörten wir Kanonendonner,
und Schrapnellkugeln praſſelten auf das Dach. Am nächſten Tage
wurden wir beſonders roh behandelt und ſchlecht beköſtigt. Alles
Geld mußten wir hergeben, ich allein 800 Franks Arbeitsgelder und
28,000 Franks Obligationen. Am 18. Auguſt hörten wir wieder
Kanonendonner. Jeder von uns Oeſterreichern und Ungarn gedachte
im Stillen unſeres Kaiſers, deſſen Geburtstag wir im Herzen feierten.
Die Krankenwagen brachten Verwundete in großer Menge, darunter
16 ſchwerverletzte Deutſche. Die Bevölkerung und die Soldaten be-
nahmen ſich gegen dieſe armen Schwerverletzten in der ſchmachvoll-
ſten Weiſe, überſchütteten ſie mit Schmähungen und ließen ſie drei
Stunden in der heißeſten Sonnenglut liegen. Als ich den Armen
mit dem Taſchentuch Kühlung verſchaffen wollte, wurde ich von einem
Offizier mit dem Säbel zurückgeſtoßen. Schon damals machte ſich
gegen die Regierung eine Mißſtimmung geltend. Die Automobile,
die in Toul mit der Aufſchrift „à Berlin“ die Stadt durchfuhren, ver-
mochten die Zweifel der Bevölkerung nicht zu zerſtrenen. Kriſten
[Spaltenumbruch] berichtet, das Volk habe wenig Hoffnung auf ein glückliches Ende des
Krieges und verlange bereits ſtürmiſch nach einer neuen Regierung.
In Toul habe er von hohen Offizieren wiederholt die Meinung aus-
ſprechen hören, daß die neue Regierung ſich dann an den Vertrag
mit England und Rußland, nur gemeinſam den Frieden zu ſchließen,
nicht zu halten brauche, da für ſie dieſer Vertrag ja nicht beſtehe.



Franzöſiſche Beſtien.

Der Generalſtabsarzt der Armee und Chef des Feldſanitäts-
weſens v. Schjerning hat dem Kaiſer folgende haarſträubende
Meldung erſtattet:

„Vor einigen Tagen wurde in Orchies ein Lazarett von
Franktireurs überfallen. Bei der am 24. September gegen Orchies
unternommenen Strafexpedition durch Landwehrbataillon 35 ſtieß
dieſes auf überlegene feindliche Truppen aller Gattungen und mußte
unter Verluſt von 8 Toten und 35 Verwundeten zurück. Ein am
nächſten Tage ausgeſandtes bayeriſches Pionierbataillon ſtieß auf
keinen Feind mehr und fand Orchies von Einwohnern verlaſſen. Am
Orte wurden zwanzig, beim Gefecht am vorhergehenden Tage ver-
wundete Deutſche grauenhaft verſtümmelt aufgefunden. Ohren und
Naſen waren ihnen abgeſchnitten, und man hatte ſie durch Einführen
von Sägemehl in Mund und Naſe erſtickt. Die Richtigkeit des
darüber aufgenommenen Befundes wurde von zwei franzöſiſchen
Geiſtlichen unterſchriftlich beſtätigt. Orchies wurde dem Erdboden
gleichgemacht.“


Der Feind im Oſten.

Auf dem deutſch-ruſſiſchen Kriegsſchauplatz hat ſich Neues nicht
ereignet. Die Ruſſen, deren in Oſtpreußen ſtehende Armeekorps
von Hindenburg bis zur Vernichtung geſchlagen worden ſind, ſcheinen
nun ihre Hauptmacht gegen Oeſterreich gerichtet zu haben, wo in
Galizien zurzeit ein ſchwerer Völkerkampf tobt, deſſen Ausläufe bis
in die ungariſchen Karpathen hereinreichen.

Aus Budapeſt wird dem Wolffſchen Bureau unter dem 27. ds.
nicht amtlich gemeldet:

Das Ungariſche Korreſpondenz-Bureau iſt von kompetenter Seite
ermächtigt worden, folgendes bekannt zu geben:

Beim Uzſoker Paß drang geſtern eine mehrere 1000 Mann ſtarke
ruſſiſche Truppenabteilung ein, die bei Malomret zwiſchen Fenyves-
woelgy und Cſontos zurückgeſchlagen wurde. Im Maramaroſer
Komitat ſind bei Tornye ebenfalls Plänkeleien mit den dort einge-
brochenen ruſſiſchen Truppen und unſeren zum Grenzſchutz befohle-
nen Truppen im Gange. Nach Munkacs und Huſzt ſind größere
Truppenabteilungen unterwegs, um die Unſern zu unterſtützen. Alle
dieſe Grenzplänkeleien ſind von geringerer Bedeutung und geben,
nachdem wir bei der Grenze und im Innern des Landes über ge-
nügend Truppen verfügen, keinen Anlaß zur Beſorgnis.

Amtlich wird aus Wien mitgeteilt: Die nach der Schlacht bei
Lemberg eingeleitete Verſammlung unſerer Streitkräfte im Raume
weſtlich vom San gab nicht nur der Ententepreſſe Veranlaſſung zu
den böswilligſten Erfindungen und lächerlichſten Kommentaren, ſon-
dern rief auch anderwärts unrichtige Vorſtellungen über die Lage
unſeres Heeres hervor.

Demgegenüber muß darauf hingewieſen werden, daß die er-
wähnte Verſammlung durchaus freiwillig erfolgt iſt, wofür als Be-
weis nun angeführt ſei, daß der Gegner ſie nirgends zu ſtören ver-
mochte oder dies auch nur verſuchte. Die feindlicherſeits aufgeſtell-
ten Behauptungen über Erfolge an der Sanlinie ſind ganz unwahr.
Es handelt ſich lediglich um einzelne mit großem Truppenaufwand
und ſchwerer Geſchützmunition inſzenierte Beſchießungen gegen feld-
mäßig geſicherte, ſchwach beſetzte Uebergangsſtellen, die nach Erfüllung
ihres Zweckes, Sprengung der Brücken, freiwillig geräumt wurden.
Die aus London ſtammende Nachricht vom Falle zweier Forts von
Przemysl iſt natürlich ganz aus der Luft gegriffen. Auf dem Balkan-
kriegsſchauplatze iſt die Lage auch ſeit dem letzten, deutlich genug
ſprechenden Communiqué unverändert geblieben. Die von feindlicher
Seite verbreitete Nachricht über die Einnahme Serajewos durch Ser-
ben oder Montenegriner kann nach authentiſchen Informationen als
glatt erfunden bezeichnet werden.

Am 28. September nachmittags iſt, wie der Feldzeugmeiſter
Potiorek bekannt gibt, nach mehr als 14 tägigen, hartnäckigen Kämp-
fen, während deren unſere Truppen die Drina und die Save neuer-

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[586/0002] Allgemeine Zeitung 3. Oktober 1914. Ich ließ jeden einzelnen vortreten. Wir unterſuchten ſie. Die Waffen mußten ſie im Fort laſſen. Meine vier Leute hatten das Gewehr im Anſchlag. Der Kommandant des Forts, Malonne, übergab mir ſeinen Säbel. Dann ließ ich die Belgier in eine Ecke treten, damit ſie nicht ſehen konnten, wer hereinkäme. Neben dem Kommandanten nahm ich 5 Offiziere und 20 Mann gefangen, die übrigen 400 waren ſchon vorher geflohen. Ich ließ nun meinen Zug nachkummen. Die Geſichter der belgiſchen Offiziere hättet ihr ſehen ſollen, als ſie nach- her unſere geringe Anzahl ſahen. Ich holte die belgiſche Flagge herunter, und meine Leute verfertigten aus einer belgiſchen Hofe, einem Hemd und einer roten franzöſiſchen Bauchbinde eine deutſche Fahne und hißten ſie. Vorher hatten wir den Weinkeller aufge- macht und ließen beim Aufziehen der Fahne ein paar Sektpullen knallen. Bis zur Ablöſung mußte ich das Fort, das gönzlich unbe- ſchoſſen war, beſetzt halten. Ich erbeutete vier 21-Zentimeter-Kano- nen und eine Anzahl kleinerer Kaliber, über 100 Gewehre und Piſto- len, 500 Granaten und mehrere tauſend Gewehrpatronen. Ich wurde erſt am nächſten Morgen abgelöſt. Wir ſchwelgten inzwiſchen in den großen Mengen aufgeſtapelter Vorräte.“ (Leutnant von der Linde hat ſeinen Eltern den Degen des Kom- mandanten und die Fahne des Forts Malonne als Siegestrophäe geſchickt.) In franzöſiſcher Gefangenſchaft. Der aus der Kriegsgefangenſchaft in Frankreich zurückgekehrte Oberingenieur Kriſten, welcher vor dem Kriege bei den ſtaatlichen Kraftwerken an der Rhone angeſtellt war, berichtet über ſeine Wahr- nehmungen und Erlebniſſe in der „Wiener Reichspoſt“, die dazu ſchreibt: Kriſtens Ausſagen ſind insbeſondere charakteriſtiſch für die frühen Kriegsvorbereitungen Frankreichs, die ſeloſe unſerem Ultima- tum an Serbien vorausgingen. Kriſten hatte im Anfang des Jahres in Paris Gelegenheit, mit dem inzwiſchen ermordeten Sozialiſten- führer Jaurès zu ſprechen, der ihm ſchon damals im Verlaufe des Geſpräches mitteilte, Frankreich hätte mit einer Macht zu Lande und einer Macht zur See ſich verbunden, um in naher Zeit Deutſchlands Ende herbeizuführen. Damals, erzählt Kriſten, habe ich dieſer Unter- redung mit Jaurès noch gar keine Bedeutung beigemeſſen. Erſt als ich am 18. Juli auf meinen Dienſtreiſen bemerkte, daß in den Vogeſen größere Truppenmaſſen zuſammengezogen wurde, erinnerte ich mich der Weisſagungen Jaurès’. Am 21. Juli wurde bereits plötzlich der Kriegszuſtand verkündet. Am 27. Juli bekam ich vormittags meine Papiere mit der Aufforderung, Frankreich zu verlaſſen. Der Bahn- verkehr war aber bereits für die Zivilperſonen geſperrt. Nachmittag wurde ich verhaftet und zuſammen mit 179 Deutſchen, Oeſterreichern und Ungarn in einen Keller geſperrt. Am nächſten Morgen ging es unter Bewachung nach Toul. Auf dem Wege durch die Stadt wurden wir vom Publikum mit Steinen, Kies und Kot beworfen und abends in einem Eiskeller auf Stroh untergebracht. Vom 2. Auguſt an wurden wir unter Kolbenſtößen und Ohrfeigen gezwungen, um Toul Schanzen, Gräben und Stacheldrähte zu ziehen. Die Schanzgräben, die eine Breite von 1.30 Meter hatten, wurden mit Stacheldraht überſpannt. Unter uns befand ſich auch ein gewiſſer Paul Schambach, Pro- kuriſt der deutſchen Wollfabrik Schlumberger in Belfort, der 80,000 Franks Gelder ſeiner Firma bei ſich hatte. Als er ſich gegen die Wegnahme des Geldes wehrte, wurde er hinter eine Zitadelle geführt und mußte dort ſein Grab ſelber ſchaufeln. Dann wurde er kurzer- hand niedergeſchoſſen. Am 10. Auguſt hörten wir Kanonendonner, und Schrapnellkugeln praſſelten auf das Dach. Am nächſten Tage wurden wir beſonders roh behandelt und ſchlecht beköſtigt. Alles Geld mußten wir hergeben, ich allein 800 Franks Arbeitsgelder und 28,000 Franks Obligationen. Am 18. Auguſt hörten wir wieder Kanonendonner. Jeder von uns Oeſterreichern und Ungarn gedachte im Stillen unſeres Kaiſers, deſſen Geburtstag wir im Herzen feierten. Die Krankenwagen brachten Verwundete in großer Menge, darunter 16 ſchwerverletzte Deutſche. Die Bevölkerung und die Soldaten be- nahmen ſich gegen dieſe armen Schwerverletzten in der ſchmachvoll- ſten Weiſe, überſchütteten ſie mit Schmähungen und ließen ſie drei Stunden in der heißeſten Sonnenglut liegen. Als ich den Armen mit dem Taſchentuch Kühlung verſchaffen wollte, wurde ich von einem Offizier mit dem Säbel zurückgeſtoßen. Schon damals machte ſich gegen die Regierung eine Mißſtimmung geltend. Die Automobile, die in Toul mit der Aufſchrift „à Berlin“ die Stadt durchfuhren, ver- mochten die Zweifel der Bevölkerung nicht zu zerſtrenen. Kriſten berichtet, das Volk habe wenig Hoffnung auf ein glückliches Ende des Krieges und verlange bereits ſtürmiſch nach einer neuen Regierung. In Toul habe er von hohen Offizieren wiederholt die Meinung aus- ſprechen hören, daß die neue Regierung ſich dann an den Vertrag mit England und Rußland, nur gemeinſam den Frieden zu ſchließen, nicht zu halten brauche, da für ſie dieſer Vertrag ja nicht beſtehe. Franzöſiſche Beſtien. Der Generalſtabsarzt der Armee und Chef des Feldſanitäts- weſens v. Schjerning hat dem Kaiſer folgende haarſträubende Meldung erſtattet: „Vor einigen Tagen wurde in Orchies ein Lazarett von Franktireurs überfallen. Bei der am 24. September gegen Orchies unternommenen Strafexpedition durch Landwehrbataillon 35 ſtieß dieſes auf überlegene feindliche Truppen aller Gattungen und mußte unter Verluſt von 8 Toten und 35 Verwundeten zurück. Ein am nächſten Tage ausgeſandtes bayeriſches Pionierbataillon ſtieß auf keinen Feind mehr und fand Orchies von Einwohnern verlaſſen. Am Orte wurden zwanzig, beim Gefecht am vorhergehenden Tage ver- wundete Deutſche grauenhaft verſtümmelt aufgefunden. Ohren und Naſen waren ihnen abgeſchnitten, und man hatte ſie durch Einführen von Sägemehl in Mund und Naſe erſtickt. Die Richtigkeit des darüber aufgenommenen Befundes wurde von zwei franzöſiſchen Geiſtlichen unterſchriftlich beſtätigt. Orchies wurde dem Erdboden gleichgemacht.“ Der Feind im Oſten. Auf dem deutſch-ruſſiſchen Kriegsſchauplatz hat ſich Neues nicht ereignet. Die Ruſſen, deren in Oſtpreußen ſtehende Armeekorps von Hindenburg bis zur Vernichtung geſchlagen worden ſind, ſcheinen nun ihre Hauptmacht gegen Oeſterreich gerichtet zu haben, wo in Galizien zurzeit ein ſchwerer Völkerkampf tobt, deſſen Ausläufe bis in die ungariſchen Karpathen hereinreichen. Aus Budapeſt wird dem Wolffſchen Bureau unter dem 27. ds. nicht amtlich gemeldet: Das Ungariſche Korreſpondenz-Bureau iſt von kompetenter Seite ermächtigt worden, folgendes bekannt zu geben: Beim Uzſoker Paß drang geſtern eine mehrere 1000 Mann ſtarke ruſſiſche Truppenabteilung ein, die bei Malomret zwiſchen Fenyves- woelgy und Cſontos zurückgeſchlagen wurde. Im Maramaroſer Komitat ſind bei Tornye ebenfalls Plänkeleien mit den dort einge- brochenen ruſſiſchen Truppen und unſeren zum Grenzſchutz befohle- nen Truppen im Gange. Nach Munkacs und Huſzt ſind größere Truppenabteilungen unterwegs, um die Unſern zu unterſtützen. Alle dieſe Grenzplänkeleien ſind von geringerer Bedeutung und geben, nachdem wir bei der Grenze und im Innern des Landes über ge- nügend Truppen verfügen, keinen Anlaß zur Beſorgnis. Amtlich wird aus Wien mitgeteilt: Die nach der Schlacht bei Lemberg eingeleitete Verſammlung unſerer Streitkräfte im Raume weſtlich vom San gab nicht nur der Ententepreſſe Veranlaſſung zu den böswilligſten Erfindungen und lächerlichſten Kommentaren, ſon- dern rief auch anderwärts unrichtige Vorſtellungen über die Lage unſeres Heeres hervor. Demgegenüber muß darauf hingewieſen werden, daß die er- wähnte Verſammlung durchaus freiwillig erfolgt iſt, wofür als Be- weis nun angeführt ſei, daß der Gegner ſie nirgends zu ſtören ver- mochte oder dies auch nur verſuchte. Die feindlicherſeits aufgeſtell- ten Behauptungen über Erfolge an der Sanlinie ſind ganz unwahr. Es handelt ſich lediglich um einzelne mit großem Truppenaufwand und ſchwerer Geſchützmunition inſzenierte Beſchießungen gegen feld- mäßig geſicherte, ſchwach beſetzte Uebergangsſtellen, die nach Erfüllung ihres Zweckes, Sprengung der Brücken, freiwillig geräumt wurden. Die aus London ſtammende Nachricht vom Falle zweier Forts von Przemysl iſt natürlich ganz aus der Luft gegriffen. Auf dem Balkan- kriegsſchauplatze iſt die Lage auch ſeit dem letzten, deutlich genug ſprechenden Communiqué unverändert geblieben. Die von feindlicher Seite verbreitete Nachricht über die Einnahme Serajewos durch Ser- ben oder Montenegriner kann nach authentiſchen Informationen als glatt erfunden bezeichnet werden. Am 28. September nachmittags iſt, wie der Feldzeugmeiſter Potiorek bekannt gibt, nach mehr als 14 tägigen, hartnäckigen Kämp- fen, während deren unſere Truppen die Drina und die Save neuer-

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 40, 3. Oktober 1914, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine40_1914/2>, abgerufen am 21.11.2024.