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Allgemeine Zeitung, Nr. 41, 10. Oktober 1914.

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Allgemeine Zeitung 10. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch] und Land kennen zu lernen; von einiger Entfernung erblickt man
aber die Dinge klarer als aus der Nähe, aus der Stille vernimmt
das Ohr deutlicher als mitten im Wirrwarr. Und mein Zeugnis
lautet dahin: in ganz Deutschland hat in den letzten 43 Jahren
nicht ein einziger Mann gelebt, der Krieg gewollt hätte, nicht einer.
Wer das Gegenteil behauptet, lügt -- sei es wissentlich, sei es
unwissentlich.

Mir wurde das Glück zuteil, Deutsche aus allen Gauen und
aus allen Ständen gründlich genau kennen zu lernen, von des
Kaisers Majestät an bis zu braven Handwerkern, mit denen ich
tagtäglich zu tun hatte. Ich habe Schulleute, Gelehrte, Kaufmänner,
Bankiers, Offiziere, Diplomaten, Ingenieure, Dichter, Journalisten,
Beamte, Künstler intim gekannt: niemals habe ich einen Kriegs-
lustigen, oder richtiger gesprochen, einen Kriegslüsternen angetrof-
fen. In England dagegen fand ich bei meinen letzten Besuchen.
1907 und 1908, allerorts einen geradezu erschreckenden blinden Haß
gegen Deutschland und die ungeduldige Erwartung eines Vernich-
tungskrieges. Die Abwesenheit jeglicher Animosität gegen andere
Völker ist ein auffallendes Kennzeichen der Deutschen -- und zwar
der Deutschen allein. Sie pflegen eher nach der Seite der über-
triebenen Anerkennung fremder Verdienste zu irren. Außerdem
weiß jeder Deutsche, daß er bei der geographischen Lage seines Lan-
des von einem Kriege alles zu fürchten und wenig zu hoffen hat.
Wie sollte ein Volk, bei welchem Industrie, Handel und Wissen-
schaft von Jahr zu Jahr immer höher blühen, wie dies in Deutsch-
land der letzten 43 Jahre der Fall war, Krieg herbeizetteln wollen,
der alle drei vernichtet?

Ich überschreite den mir zugemessenen Raum, übergehe darum
gar vieles und beschränke mich heute auf das eine: ich will nur
noch von Kaiser Wilhelm reden. Nur er könnte als Einzelner eine
ausschlaggebende Wirkung ausgeübt haben. Ich bin dem Kaiser
nicht oft, doch unter besonders günstigen Umständen begegnet:
außerhalb der Hofetikette, zu zwanglosem Meinungsaustausche, un-
belauscht. Nie habe ich ein Wort des Monarchen wiederholt; nicht,
daß er mir Geheimnisse anvertraut hätte, sondern weil unsereiner
die mögliche Wirkung eines Wortes für einen Mann in so expo-
nierter Stellung nicht vorauszusehen vermag: auch heute will ich
von dieser Maxime nicht abweichen. Doch begehe ich gewiß keine
Indiskretion, wenn ich sage, daß in dieser bedeutenden Persönlich-
keit zwei Züge mir über alles bemerkenswert erschienen, als die
zwei "Dominanten" ihres ganzen Fühlens, Denkens und Handelns;
das tiefe, nie weichende Gefühl der Verantwortung vor Gott und
-- hierdurch eng und streng bedingt -- der energische, herrische, ja
-- wenn es nicht paradox klingt -- der ungestüme Wille, Deutsch-
land den Frieden zu bewahren. Deutschlands Macht, die seiner
Fürsorge so viel verdankt, sollte nicht Krieg heraufbeschwören, viel-
mehr den Mißwollenden Frieden aufzwingen. Seine Taten be-
weisen es ja: denn wo auch in den letzten zehn Jahren die Situa-
tion für Deutschlands Ehre fast unerträglich ward -- und dafür
sorgte England nach Möglichkeit --, er war es, der Kaiser, der
immer wieder den Frieden durchsetzte. Nicht etwa, daß es in
Deutschland eine Kriegspartei gegeben habe; das ist eine Times-
Lüge, wohl aber gab es verantwortungsvolle Staatsmänner und
Soldaten, die mit Recht sagten: Wenn England und seine Kum-
pane Krieg um jeden Preis wollen, dann lieber sofort. Der Kaiser
aber konnte bei seinem Gott dieses Argument nicht durchsetzen; er
stieß das Schwert in die Scheide zurück. Kein Wunsch -- dessen
bin ich innerlich überzeugt -- überwog bei Wilhelm II. den einen,
auf seinem Sterbebette sich sagen zu können: Ich habe meinem
Lande unverbrüchlich den Frieden bewahrt, die Geschichte wird mich
den "Friedenskaiser" nennen. Schenkt aber Gott den deutsch-öster-
reichischen Waffen den Sieg, den vollkommen niederschmetternden
Sieg -- was wir alle von ihm erflehen, auch wir Nichtdeutschen,
insofern uns das Wohl und die Kultur der gesitteten Menschhett
höher steht als nationale Eitelkeit --, dann, aber auch nur dann
genießt Europa eines hundertjährigen Friedens, und der Wunsch
des großen und guten, von seinen Standesgenossen so schmählich
betrogenen Fürsten wird doch noch in Erfüllung gehen, glorreicher
als er es sich gedacht hatte, zugleich ganz Deutschland zur Rechtferti-
gung vor Verleumdung und Lüge: erst recht wird er dann
"Friedenskaiser" heißen, da er und sein Heer als ihr ureigenes
Werk den Frieden geschaffen haben werden.

Bayreuth.


[Spaltenumbruch]
Die Mobilisierung Größerbritanniens.

König Georg hat ein Manifest an alle britische Kolonien ge-
richtet, indem er sich als der Herrscher hinstellt, der unbedingt den
Frieden gewollt habe, dem aber das Schwert von böswilligen
Feinden Englands in die Hand gedrängt sei, in dem den Dominien
und Schutzgebieten für ihr treues Festhalten zum Reich gedankt
und die Erwartung geschlossenen, gemeinsamen Kampfes gegen
den zu vernichtenden Gegner ausgesprochen wird. Und in der
Tat! Wenn den ruhmredigen britischen Zeitungsberichten zu
glauben wäre, dann müßte plötzlich ganz Großbritannien ein einig
Volk von Brüdern geworden sein, dann brennten alle Schwester-
staaten und Kolonien, selbst die indischen Fürsten und schließlich
sogar die Zulus Südafrikas darauf, Blut und Gut für Englands
Ruhm, Ehre, Größe und Weltherrschaft einzusetzen. Wie voll-
kommen eine solche Begeisterung, wenn sie tatsächlich vorhanden
und echt wäre, im Widerspruch stände zu der bislang in den über-
seeischen britischen Machtgebieten bekundeten Gesinnung, weiß
jeder, der irgendwie die Entwicklung des imperialistisch-födera-
listischen Problems seit der Chamberlainschen Zeit aufmerksam ver-
folgt hat. Indessen: der Krieg hat eine merkwürdige reinigend-
revolutionäre und bindende Wirkung auf die Seele gerade
solcher Völker, die sich im Frieden aufs heftigste befehden,
wie es eben jetzt Oestereich-Ungarns einmütiges Erheben gegen
die Bedrohungen des Zarismus leuchtenden Zeugnisses bewiesen
hat. Aber solcher Umschwung setzt große gemeinsame Ideale voraus,
die einem heiligen Gralfeuer gleich verdeckt im Herzen der Streiten-
den brennen und deren Glut durch die Zündkraft großer tragischer
Krisen zu hellen Flammen entfacht wird. Besteht ein solcher Kitt
im größerbritannischen Reich, das Rassen jeder Farbe, jeden Bluts,
das Völker schroff entgegengesetzten Glaubens, Kulturrangs, ent-
wicklungsgeschichtlichen Standgrunds und Zieles umfaßt? Genügt
etwa als solches Polarisationsmittel der demokratische Freiheits-
gedanke, der für England nur zu oft nichts anderes gewesen ist
als eine Maske, hinter der sich habgierige Ichsucht und räuberisches
Herrentum verbarg? Und selbst wenn diese Bedenken grundlos
wären, verfügen die kolonialen Sekundanten Londons wirklich
über Waffen von solcher Schärfe, daß ihre programmatische Hilfs-
leistung von durchschlagender Bedeutung sein könnte?

Als im Frühling dieses Jahres Winston Churchill im Unter-
haus sein Reichsverteidigungsprogramm entwarf und darauf hin-
wies, daß im Falle eines europäischen Kriegs die Entsendung eines
australischen Geschwaders nach der Nordsee geboten sein könne,
während der Commonwealth unter dem Schutz der verbündeten
japanischen Flotte gegen alle Angriffe gesichert wäre erhob sich in
Sidney und Melbourne ein Sturm der Entrüstung, dem
der Bundesverteidigungsminister Miller in einer geharnischten Er-
klärung von acht Thesen Ausdruck gab, unter deren Anklagen die
schärfsten waren: 1. die endgültige Nichterfüllung des Ueberein-
kommens von 1909 seitens der britischen Admiralität, 2. die Zer-
störung der Grundlage, auf der die australische Flotte aufgebaut
sei und für die das australische Volk seine Millionen ausgegeben
habe, 3. eine verhängnisvolle Auslegung des britisch-japanischen
Bündnisses, der Australien um keinen Preis zustimmen könne. Und
derartige entrüstete Vorwürfe stehen nicht etwa vereinzelt da, son-
dern sind zu Dutzendmalen von den führenden Staatsmännern der
australischen Dominien erhoben worden. Es sei zum Zeugnis dessen
nur an die Aeußerung des Attorney General von Neuseeland er-
innert, als er an den Londoner Beratungen des Imperial Defence
Comittee teilgenommen und schwer enttäuscht nach Auckland zurück-
gekehrt war: "In Altengland scheine man noch immer kein rechtes
Verständnis für die schlimme Lage der Schwesterstaaten zunächst der
Brandung der gelben Gefahr zu haben. Auf die britische Flotte set
kein Verlaß; es bleibe also nur übrig und die Zeit sei dafür reif, daß
Neuseeland, Australien, Kanada und die Vereinigten Staaten sich
zu gemeinsamem Handeln zusammenschlössen." Das A und O aller
australischen Politik ist und bleibt eben die Abwehr der mongo-
lischen Einwanderungsflut, vor allem die Verteidigung gegen das
anmaßliche und herrschsüchtige Japan, das offener Erklärung nach
die Beherrschung der gesamten pazifischen Machtsphäre zu seinem
imperialistischen Programm gemacht hat. Wie könnten angesichts
solcher Drohungen eines solchen Erbfeindes, den England jetzt zu
Schergendiensten gegen uns geworben und damit noch selbstbe-
wußter, herausfordernder gemacht hat, die Dominien aufrichtigen
Drang verspüren, sich irgendwelcher Streitkräfte zu See oder
zu Land um des europäischen Kriegs willen zu entblößen?

Allgemeine Zeitung 10. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch] und Land kennen zu lernen; von einiger Entfernung erblickt man
aber die Dinge klarer als aus der Nähe, aus der Stille vernimmt
das Ohr deutlicher als mitten im Wirrwarr. Und mein Zeugnis
lautet dahin: in ganz Deutſchland hat in den letzten 43 Jahren
nicht ein einziger Mann gelebt, der Krieg gewollt hätte, nicht einer.
Wer das Gegenteil behauptet, lügt — ſei es wiſſentlich, ſei es
unwiſſentlich.

Mir wurde das Glück zuteil, Deutſche aus allen Gauen und
aus allen Ständen gründlich genau kennen zu lernen, von des
Kaiſers Majeſtät an bis zu braven Handwerkern, mit denen ich
tagtäglich zu tun hatte. Ich habe Schulleute, Gelehrte, Kaufmänner,
Bankiers, Offiziere, Diplomaten, Ingenieure, Dichter, Journaliſten,
Beamte, Künſtler intim gekannt: niemals habe ich einen Kriegs-
luſtigen, oder richtiger geſprochen, einen Kriegslüſternen angetrof-
fen. In England dagegen fand ich bei meinen letzten Beſuchen.
1907 und 1908, allerorts einen geradezu erſchreckenden blinden Haß
gegen Deutſchland und die ungeduldige Erwartung eines Vernich-
tungskrieges. Die Abweſenheit jeglicher Animoſität gegen andere
Völker iſt ein auffallendes Kennzeichen der Deutſchen — und zwar
der Deutſchen allein. Sie pflegen eher nach der Seite der über-
triebenen Anerkennung fremder Verdienſte zu irren. Außerdem
weiß jeder Deutſche, daß er bei der geographiſchen Lage ſeines Lan-
des von einem Kriege alles zu fürchten und wenig zu hoffen hat.
Wie ſollte ein Volk, bei welchem Induſtrie, Handel und Wiſſen-
ſchaft von Jahr zu Jahr immer höher blühen, wie dies in Deutſch-
land der letzten 43 Jahre der Fall war, Krieg herbeizetteln wollen,
der alle drei vernichtet?

Ich überſchreite den mir zugemeſſenen Raum, übergehe darum
gar vieles und beſchränke mich heute auf das eine: ich will nur
noch von Kaiſer Wilhelm reden. Nur er könnte als Einzelner eine
ausſchlaggebende Wirkung ausgeübt haben. Ich bin dem Kaiſer
nicht oft, doch unter beſonders günſtigen Umſtänden begegnet:
außerhalb der Hofetikette, zu zwangloſem Meinungsaustauſche, un-
belauſcht. Nie habe ich ein Wort des Monarchen wiederholt; nicht,
daß er mir Geheimniſſe anvertraut hätte, ſondern weil unſereiner
die mögliche Wirkung eines Wortes für einen Mann in ſo expo-
nierter Stellung nicht vorauszuſehen vermag: auch heute will ich
von dieſer Maxime nicht abweichen. Doch begehe ich gewiß keine
Indiskretion, wenn ich ſage, daß in dieſer bedeutenden Perſönlich-
keit zwei Züge mir über alles bemerkenswert erſchienen, als die
zwei „Dominanten“ ihres ganzen Fühlens, Denkens und Handelns;
das tiefe, nie weichende Gefühl der Verantwortung vor Gott und
— hierdurch eng und ſtreng bedingt — der energiſche, herriſche, ja
— wenn es nicht paradox klingt — der ungeſtüme Wille, Deutſch-
land den Frieden zu bewahren. Deutſchlands Macht, die ſeiner
Fürſorge ſo viel verdankt, ſollte nicht Krieg heraufbeſchwören, viel-
mehr den Mißwollenden Frieden aufzwingen. Seine Taten be-
weiſen es ja: denn wo auch in den letzten zehn Jahren die Situa-
tion für Deutſchlands Ehre faſt unerträglich ward — und dafür
ſorgte England nach Möglichkeit —, er war es, der Kaiſer, der
immer wieder den Frieden durchſetzte. Nicht etwa, daß es in
Deutſchland eine Kriegspartei gegeben habe; das iſt eine Times-
Lüge, wohl aber gab es verantwortungsvolle Staatsmänner und
Soldaten, die mit Recht ſagten: Wenn England und ſeine Kum-
pane Krieg um jeden Preis wollen, dann lieber ſofort. Der Kaiſer
aber konnte bei ſeinem Gott dieſes Argument nicht durchſetzen; er
ſtieß das Schwert in die Scheide zurück. Kein Wunſch — deſſen
bin ich innerlich überzeugt — überwog bei Wilhelm II. den einen,
auf ſeinem Sterbebette ſich ſagen zu können: Ich habe meinem
Lande unverbrüchlich den Frieden bewahrt, die Geſchichte wird mich
den „Friedenskaiſer“ nennen. Schenkt aber Gott den deutſch-öſter-
reichiſchen Waffen den Sieg, den vollkommen niederſchmetternden
Sieg — was wir alle von ihm erflehen, auch wir Nichtdeutſchen,
inſofern uns das Wohl und die Kultur der geſitteten Menſchhett
höher ſteht als nationale Eitelkeit —, dann, aber auch nur dann
genießt Europa eines hundertjährigen Friedens, und der Wunſch
des großen und guten, von ſeinen Standesgenoſſen ſo ſchmählich
betrogenen Fürſten wird doch noch in Erfüllung gehen, glorreicher
als er es ſich gedacht hatte, zugleich ganz Deutſchland zur Rechtferti-
gung vor Verleumdung und Lüge: erſt recht wird er dann
„Friedenskaiſer“ heißen, da er und ſein Heer als ihr ureigenes
Werk den Frieden geſchaffen haben werden.

Bayreuth.


[Spaltenumbruch]
Die Mobiliſierung Größerbritanniens.

König Georg hat ein Manifeſt an alle britiſche Kolonien ge-
richtet, indem er ſich als der Herrſcher hinſtellt, der unbedingt den
Frieden gewollt habe, dem aber das Schwert von böswilligen
Feinden Englands in die Hand gedrängt ſei, in dem den Dominien
und Schutzgebieten für ihr treues Feſthalten zum Reich gedankt
und die Erwartung geſchloſſenen, gemeinſamen Kampfes gegen
den zu vernichtenden Gegner ausgeſprochen wird. Und in der
Tat! Wenn den ruhmredigen britiſchen Zeitungsberichten zu
glauben wäre, dann müßte plötzlich ganz Großbritannien ein einig
Volk von Brüdern geworden ſein, dann brennten alle Schweſter-
ſtaaten und Kolonien, ſelbſt die indiſchen Fürſten und ſchließlich
ſogar die Zulus Südafrikas darauf, Blut und Gut für Englands
Ruhm, Ehre, Größe und Weltherrſchaft einzuſetzen. Wie voll-
kommen eine ſolche Begeiſterung, wenn ſie tatſächlich vorhanden
und echt wäre, im Widerſpruch ſtände zu der bislang in den über-
ſeeiſchen britiſchen Machtgebieten bekundeten Geſinnung, weiß
jeder, der irgendwie die Entwicklung des imperialiſtiſch-födera-
liſtiſchen Problems ſeit der Chamberlainſchen Zeit aufmerkſam ver-
folgt hat. Indeſſen: der Krieg hat eine merkwürdige reinigend-
revolutionäre und bindende Wirkung auf die Seele gerade
ſolcher Völker, die ſich im Frieden aufs heftigſte befehden,
wie es eben jetzt Oeſtereich-Ungarns einmütiges Erheben gegen
die Bedrohungen des Zarismus leuchtenden Zeugniſſes bewieſen
hat. Aber ſolcher Umſchwung ſetzt große gemeinſame Ideale voraus,
die einem heiligen Gralfeuer gleich verdeckt im Herzen der Streiten-
den brennen und deren Glut durch die Zündkraft großer tragiſcher
Kriſen zu hellen Flammen entfacht wird. Beſteht ein ſolcher Kitt
im größerbritanniſchen Reich, das Raſſen jeder Farbe, jeden Bluts,
das Völker ſchroff entgegengeſetzten Glaubens, Kulturrangs, ent-
wicklungsgeſchichtlichen Standgrunds und Zieles umfaßt? Genügt
etwa als ſolches Polariſationsmittel der demokratiſche Freiheits-
gedanke, der für England nur zu oft nichts anderes geweſen iſt
als eine Maske, hinter der ſich habgierige Ichſucht und räuberiſches
Herrentum verbarg? Und ſelbſt wenn dieſe Bedenken grundlos
wären, verfügen die kolonialen Sekundanten Londons wirklich
über Waffen von ſolcher Schärfe, daß ihre programmatiſche Hilfs-
leiſtung von durchſchlagender Bedeutung ſein könnte?

Als im Frühling dieſes Jahres Winſton Churchill im Unter-
haus ſein Reichsverteidigungsprogramm entwarf und darauf hin-
wies, daß im Falle eines europäiſchen Kriegs die Entſendung eines
auſtraliſchen Geſchwaders nach der Nordſee geboten ſein könne,
während der Commonwealth unter dem Schutz der verbündeten
japaniſchen Flotte gegen alle Angriffe geſichert wäre erhob ſich in
Sidney und Melbourne ein Sturm der Entrüſtung, dem
der Bundesverteidigungsminiſter Miller in einer geharniſchten Er-
klärung von acht Theſen Ausdruck gab, unter deren Anklagen die
ſchärfſten waren: 1. die endgültige Nichterfüllung des Ueberein-
kommens von 1909 ſeitens der britiſchen Admiralität, 2. die Zer-
ſtörung der Grundlage, auf der die auſtraliſche Flotte aufgebaut
ſei und für die das auſtraliſche Volk ſeine Millionen ausgegeben
habe, 3. eine verhängnisvolle Auslegung des britiſch-japaniſchen
Bündniſſes, der Auſtralien um keinen Preis zuſtimmen könne. Und
derartige entrüſtete Vorwürfe ſtehen nicht etwa vereinzelt da, ſon-
dern ſind zu Dutzendmalen von den führenden Staatsmännern der
auſtraliſchen Dominien erhoben worden. Es ſei zum Zeugnis deſſen
nur an die Aeußerung des Attorney General von Neuſeeland er-
innert, als er an den Londoner Beratungen des Imperial Defence
Comittee teilgenommen und ſchwer enttäuſcht nach Auckland zurück-
gekehrt war: „In Altengland ſcheine man noch immer kein rechtes
Verſtändnis für die ſchlimme Lage der Schweſterſtaaten zunächſt der
Brandung der gelben Gefahr zu haben. Auf die britiſche Flotte ſet
kein Verlaß; es bleibe alſo nur übrig und die Zeit ſei dafür reif, daß
Neuſeeland, Auſtralien, Kanada und die Vereinigten Staaten ſich
zu gemeinſamem Handeln zuſammenſchlöſſen.“ Das A und O aller
auſtraliſchen Politik iſt und bleibt eben die Abwehr der mongo-
liſchen Einwanderungsflut, vor allem die Verteidigung gegen das
anmaßliche und herrſchſüchtige Japan, das offener Erklärung nach
die Beherrſchung der geſamten pazifiſchen Machtſphäre zu ſeinem
imperialiſtiſchen Programm gemacht hat. Wie könnten angeſichts
ſolcher Drohungen eines ſolchen Erbfeindes, den England jetzt zu
Schergendienſten gegen uns geworben und damit noch ſelbſtbe-
wußter, herausfordernder gemacht hat, die Dominien aufrichtigen
Drang verſpüren, ſich irgendwelcher Streitkräfte zu See oder
zu Land um des europäiſchen Kriegs willen zu entblößen?

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[602.[602]/0006] Allgemeine Zeitung 10. Oktober 1914. und Land kennen zu lernen; von einiger Entfernung erblickt man aber die Dinge klarer als aus der Nähe, aus der Stille vernimmt das Ohr deutlicher als mitten im Wirrwarr. Und mein Zeugnis lautet dahin: in ganz Deutſchland hat in den letzten 43 Jahren nicht ein einziger Mann gelebt, der Krieg gewollt hätte, nicht einer. Wer das Gegenteil behauptet, lügt — ſei es wiſſentlich, ſei es unwiſſentlich. Mir wurde das Glück zuteil, Deutſche aus allen Gauen und aus allen Ständen gründlich genau kennen zu lernen, von des Kaiſers Majeſtät an bis zu braven Handwerkern, mit denen ich tagtäglich zu tun hatte. Ich habe Schulleute, Gelehrte, Kaufmänner, Bankiers, Offiziere, Diplomaten, Ingenieure, Dichter, Journaliſten, Beamte, Künſtler intim gekannt: niemals habe ich einen Kriegs- luſtigen, oder richtiger geſprochen, einen Kriegslüſternen angetrof- fen. In England dagegen fand ich bei meinen letzten Beſuchen. 1907 und 1908, allerorts einen geradezu erſchreckenden blinden Haß gegen Deutſchland und die ungeduldige Erwartung eines Vernich- tungskrieges. Die Abweſenheit jeglicher Animoſität gegen andere Völker iſt ein auffallendes Kennzeichen der Deutſchen — und zwar der Deutſchen allein. Sie pflegen eher nach der Seite der über- triebenen Anerkennung fremder Verdienſte zu irren. Außerdem weiß jeder Deutſche, daß er bei der geographiſchen Lage ſeines Lan- des von einem Kriege alles zu fürchten und wenig zu hoffen hat. Wie ſollte ein Volk, bei welchem Induſtrie, Handel und Wiſſen- ſchaft von Jahr zu Jahr immer höher blühen, wie dies in Deutſch- land der letzten 43 Jahre der Fall war, Krieg herbeizetteln wollen, der alle drei vernichtet? Ich überſchreite den mir zugemeſſenen Raum, übergehe darum gar vieles und beſchränke mich heute auf das eine: ich will nur noch von Kaiſer Wilhelm reden. Nur er könnte als Einzelner eine ausſchlaggebende Wirkung ausgeübt haben. Ich bin dem Kaiſer nicht oft, doch unter beſonders günſtigen Umſtänden begegnet: außerhalb der Hofetikette, zu zwangloſem Meinungsaustauſche, un- belauſcht. Nie habe ich ein Wort des Monarchen wiederholt; nicht, daß er mir Geheimniſſe anvertraut hätte, ſondern weil unſereiner die mögliche Wirkung eines Wortes für einen Mann in ſo expo- nierter Stellung nicht vorauszuſehen vermag: auch heute will ich von dieſer Maxime nicht abweichen. Doch begehe ich gewiß keine Indiskretion, wenn ich ſage, daß in dieſer bedeutenden Perſönlich- keit zwei Züge mir über alles bemerkenswert erſchienen, als die zwei „Dominanten“ ihres ganzen Fühlens, Denkens und Handelns; das tiefe, nie weichende Gefühl der Verantwortung vor Gott und — hierdurch eng und ſtreng bedingt — der energiſche, herriſche, ja — wenn es nicht paradox klingt — der ungeſtüme Wille, Deutſch- land den Frieden zu bewahren. Deutſchlands Macht, die ſeiner Fürſorge ſo viel verdankt, ſollte nicht Krieg heraufbeſchwören, viel- mehr den Mißwollenden Frieden aufzwingen. Seine Taten be- weiſen es ja: denn wo auch in den letzten zehn Jahren die Situa- tion für Deutſchlands Ehre faſt unerträglich ward — und dafür ſorgte England nach Möglichkeit —, er war es, der Kaiſer, der immer wieder den Frieden durchſetzte. Nicht etwa, daß es in Deutſchland eine Kriegspartei gegeben habe; das iſt eine Times- Lüge, wohl aber gab es verantwortungsvolle Staatsmänner und Soldaten, die mit Recht ſagten: Wenn England und ſeine Kum- pane Krieg um jeden Preis wollen, dann lieber ſofort. Der Kaiſer aber konnte bei ſeinem Gott dieſes Argument nicht durchſetzen; er ſtieß das Schwert in die Scheide zurück. Kein Wunſch — deſſen bin ich innerlich überzeugt — überwog bei Wilhelm II. den einen, auf ſeinem Sterbebette ſich ſagen zu können: Ich habe meinem Lande unverbrüchlich den Frieden bewahrt, die Geſchichte wird mich den „Friedenskaiſer“ nennen. Schenkt aber Gott den deutſch-öſter- reichiſchen Waffen den Sieg, den vollkommen niederſchmetternden Sieg — was wir alle von ihm erflehen, auch wir Nichtdeutſchen, inſofern uns das Wohl und die Kultur der geſitteten Menſchhett höher ſteht als nationale Eitelkeit —, dann, aber auch nur dann genießt Europa eines hundertjährigen Friedens, und der Wunſch des großen und guten, von ſeinen Standesgenoſſen ſo ſchmählich betrogenen Fürſten wird doch noch in Erfüllung gehen, glorreicher als er es ſich gedacht hatte, zugleich ganz Deutſchland zur Rechtferti- gung vor Verleumdung und Lüge: erſt recht wird er dann „Friedenskaiſer“ heißen, da er und ſein Heer als ihr ureigenes Werk den Frieden geſchaffen haben werden. Bayreuth. Die Mobiliſierung Größerbritanniens. König Georg hat ein Manifeſt an alle britiſche Kolonien ge- richtet, indem er ſich als der Herrſcher hinſtellt, der unbedingt den Frieden gewollt habe, dem aber das Schwert von böswilligen Feinden Englands in die Hand gedrängt ſei, in dem den Dominien und Schutzgebieten für ihr treues Feſthalten zum Reich gedankt und die Erwartung geſchloſſenen, gemeinſamen Kampfes gegen den zu vernichtenden Gegner ausgeſprochen wird. Und in der Tat! Wenn den ruhmredigen britiſchen Zeitungsberichten zu glauben wäre, dann müßte plötzlich ganz Großbritannien ein einig Volk von Brüdern geworden ſein, dann brennten alle Schweſter- ſtaaten und Kolonien, ſelbſt die indiſchen Fürſten und ſchließlich ſogar die Zulus Südafrikas darauf, Blut und Gut für Englands Ruhm, Ehre, Größe und Weltherrſchaft einzuſetzen. Wie voll- kommen eine ſolche Begeiſterung, wenn ſie tatſächlich vorhanden und echt wäre, im Widerſpruch ſtände zu der bislang in den über- ſeeiſchen britiſchen Machtgebieten bekundeten Geſinnung, weiß jeder, der irgendwie die Entwicklung des imperialiſtiſch-födera- liſtiſchen Problems ſeit der Chamberlainſchen Zeit aufmerkſam ver- folgt hat. Indeſſen: der Krieg hat eine merkwürdige reinigend- revolutionäre und bindende Wirkung auf die Seele gerade ſolcher Völker, die ſich im Frieden aufs heftigſte befehden, wie es eben jetzt Oeſtereich-Ungarns einmütiges Erheben gegen die Bedrohungen des Zarismus leuchtenden Zeugniſſes bewieſen hat. Aber ſolcher Umſchwung ſetzt große gemeinſame Ideale voraus, die einem heiligen Gralfeuer gleich verdeckt im Herzen der Streiten- den brennen und deren Glut durch die Zündkraft großer tragiſcher Kriſen zu hellen Flammen entfacht wird. Beſteht ein ſolcher Kitt im größerbritanniſchen Reich, das Raſſen jeder Farbe, jeden Bluts, das Völker ſchroff entgegengeſetzten Glaubens, Kulturrangs, ent- wicklungsgeſchichtlichen Standgrunds und Zieles umfaßt? Genügt etwa als ſolches Polariſationsmittel der demokratiſche Freiheits- gedanke, der für England nur zu oft nichts anderes geweſen iſt als eine Maske, hinter der ſich habgierige Ichſucht und räuberiſches Herrentum verbarg? Und ſelbſt wenn dieſe Bedenken grundlos wären, verfügen die kolonialen Sekundanten Londons wirklich über Waffen von ſolcher Schärfe, daß ihre programmatiſche Hilfs- leiſtung von durchſchlagender Bedeutung ſein könnte? Als im Frühling dieſes Jahres Winſton Churchill im Unter- haus ſein Reichsverteidigungsprogramm entwarf und darauf hin- wies, daß im Falle eines europäiſchen Kriegs die Entſendung eines auſtraliſchen Geſchwaders nach der Nordſee geboten ſein könne, während der Commonwealth unter dem Schutz der verbündeten japaniſchen Flotte gegen alle Angriffe geſichert wäre erhob ſich in Sidney und Melbourne ein Sturm der Entrüſtung, dem der Bundesverteidigungsminiſter Miller in einer geharniſchten Er- klärung von acht Theſen Ausdruck gab, unter deren Anklagen die ſchärfſten waren: 1. die endgültige Nichterfüllung des Ueberein- kommens von 1909 ſeitens der britiſchen Admiralität, 2. die Zer- ſtörung der Grundlage, auf der die auſtraliſche Flotte aufgebaut ſei und für die das auſtraliſche Volk ſeine Millionen ausgegeben habe, 3. eine verhängnisvolle Auslegung des britiſch-japaniſchen Bündniſſes, der Auſtralien um keinen Preis zuſtimmen könne. Und derartige entrüſtete Vorwürfe ſtehen nicht etwa vereinzelt da, ſon- dern ſind zu Dutzendmalen von den führenden Staatsmännern der auſtraliſchen Dominien erhoben worden. Es ſei zum Zeugnis deſſen nur an die Aeußerung des Attorney General von Neuſeeland er- innert, als er an den Londoner Beratungen des Imperial Defence Comittee teilgenommen und ſchwer enttäuſcht nach Auckland zurück- gekehrt war: „In Altengland ſcheine man noch immer kein rechtes Verſtändnis für die ſchlimme Lage der Schweſterſtaaten zunächſt der Brandung der gelben Gefahr zu haben. Auf die britiſche Flotte ſet kein Verlaß; es bleibe alſo nur übrig und die Zeit ſei dafür reif, daß Neuſeeland, Auſtralien, Kanada und die Vereinigten Staaten ſich zu gemeinſamem Handeln zuſammenſchlöſſen.“ Das A und O aller auſtraliſchen Politik iſt und bleibt eben die Abwehr der mongo- liſchen Einwanderungsflut, vor allem die Verteidigung gegen das anmaßliche und herrſchſüchtige Japan, das offener Erklärung nach die Beherrſchung der geſamten pazifiſchen Machtſphäre zu ſeinem imperialiſtiſchen Programm gemacht hat. Wie könnten angeſichts ſolcher Drohungen eines ſolchen Erbfeindes, den England jetzt zu Schergendienſten gegen uns geworben und damit noch ſelbſtbe- wußter, herausfordernder gemacht hat, die Dominien aufrichtigen Drang verſpüren, ſich irgendwelcher Streitkräfte zu See oder zu Land um des europäiſchen Kriegs willen zu entblößen?

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-27T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 41, 10. Oktober 1914, S. 602.[602]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine41_1914/6>, abgerufen am 03.12.2024.