Allgemeine Zeitung, Nr. 44, 31. Oktober 1914.Allgemeine Zeitung 31. Oktober 1914. [Spaltenumbruch]
Das Odium bleibt auf ihm lasten, daß er den Feinden Deutschlandseine Waffe in die Hand gedrückt hat. Würde er je einen Blanko- Wechsel unterzeichnen, über dessen Gebrauch er im Unklaren wäre? Schwerlich! Er hat einen solchen Wechsel moralisch auf Deutsch- land ausgestellt in der Meinung, die "Barbaren" sollen ihn be- zahlen. Als eine venetianische Bombe das Parthenon zur Ruine machte, da war es keineswegs das Kunstwerk Parthenon, auf das gezielt wurde, sondern die im Gebäude befindlichen türkischen Pul- verkammern. Die Venetianer waren zweifellos im Recht, die Tür- ken die Barbaren. So ist es mit Reims, Herr Hodlerl -- Die der Ansicht desjenigen Recht geben, der auf einen Menschen an- legt, zielt, schießt und nachher bekennt, er habe eigentlich bloß seiner Meinung Ausdruck geben, aber niemanden verletzen wollen, sind punkto Verstand nicht höher einzuschätzen als der Schütz! Und nun Herr Jacques -- Dalcroze. Wie Hodler hat er Deutsche Hilfe hat Herren Dalcroze unlängst dazu verholfen, Wird er die gleiche Rückzugslinie einschlagen, wie Herr Hodler? In der Gartenstadt Hellerau steht eine mächtige Gebäude- Der in diesen Zeilen seiner Meinung Ausdruck gab, ist selbst Das Durchtränktsein mit einer wenig beneidenswerten Noblesse A la guerre comme a la guerre! Soll es beispielsweise den in der Schweiz ansässigen, nicht Die französische Schweiz wird übrigens künftig wohl kaum Allgemeine Zeitung 31. Oktober 1914. [Spaltenumbruch]
Das Odium bleibt auf ihm laſten, daß er den Feinden Deutſchlandseine Waffe in die Hand gedrückt hat. Würde er je einen Blanko- Wechſel unterzeichnen, über deſſen Gebrauch er im Unklaren wäre? Schwerlich! Er hat einen ſolchen Wechſel moraliſch auf Deutſch- land ausgeſtellt in der Meinung, die „Barbaren“ ſollen ihn be- zahlen. Als eine venetianiſche Bombe das Parthenon zur Ruine machte, da war es keineswegs das Kunſtwerk Parthenon, auf das gezielt wurde, ſondern die im Gebäude befindlichen türkiſchen Pul- verkammern. Die Venetianer waren zweifellos im Recht, die Tür- ken die Barbaren. So iſt es mit Reims, Herr Hodlerl — Die der Anſicht desjenigen Recht geben, der auf einen Menſchen an- legt, zielt, ſchießt und nachher bekennt, er habe eigentlich bloß ſeiner Meinung Ausdruck geben, aber niemanden verletzen wollen, ſind punkto Verſtand nicht höher einzuſchätzen als der Schütz! Und nun Herr Jacques — Dalcroze. Wie Hodler hat er Deutſche Hilfe hat Herren Dalcroze unlängſt dazu verholfen, Wird er die gleiche Rückzugslinie einſchlagen, wie Herr Hodler? In der Gartenſtadt Hellerau ſteht eine mächtige Gebäude- Der in dieſen Zeilen ſeiner Meinung Ausdruck gab, iſt ſelbſt Das Durchtränktſein mit einer wenig beneidenswerten Nobleſſe A la guerre comme à la guerre! Soll es beiſpielsweiſe den in der Schweiz anſäſſigen, nicht Die franzöſiſche Schweiz wird übrigens künftig wohl kaum <TEI> <text> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0008" n="640"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 31. Oktober 1914.</fw><lb/><cb/> Das Odium bleibt auf ihm laſten, daß er den Feinden Deutſchlands<lb/> eine Waffe in die Hand gedrückt hat. Würde er je einen Blanko-<lb/> Wechſel unterzeichnen, über deſſen Gebrauch er im Unklaren wäre?<lb/> Schwerlich! 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Sen-<lb/> timentalitäten haben zu ſchweigen, wo das Schickſal ſpricht.<lb/> Kanonendonner iſt nichts für zarte Aeſtheten-Nerven.</p><lb/> <p>Deutſche Hilfe hat Herren Dalcroze unlängſt dazu verholfen,<lb/> das zu verwirklichen, was ihm zuvor weder in ſeiner Vaterſtadt<lb/> Genf, noch irgendwo in Frankreich zu erreichen möglich war. Er<lb/> müßte als denkender Menſch mithin wiſſen, daß man in Deutſch-<lb/> land für ideale Beſtrebungen nicht nur der eigenen Leute, ſondern<lb/> auch der Fremden, ja für dieſe manchmal beinahe mehr, Ver-<lb/> ſtändnis, nötigenfalls auch die erforderlichen Mittel zur Realiſie-<lb/> rung ſolcher Beſtrebungen hat. Und dennoch! — — — — — —<lb/> Pfui, Herr Dalcroze! — — Für derartige Geſinnung gibt es im<lb/> Deutſchen nur eine richtige Bezeichnung: „Wicht!“</p><lb/> <p>Wird er die gleiche Rückzugslinie einſchlagen, wie Herr Hodler?<lb/> Unmöglich iſt es nicht, aber billig, charakterlos! Hier ſind „unlieb-<lb/> ſame Mißverſtändniſſe“ ausgeſchloſſen! 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Jetzt hält er ſich für berufen, in das Horn ſeines<lb/> Landsmannes und Geſinnungsgenoſſen Hodler zu ſtoßen, die Welt<lb/> zu verunglimpfen, der er die Verwirklichung ſeiner Pläne dankt.<lb/> Täte er das gleiche als Deutſcher in Frankreich, er würde mit<lb/> Recht geſteinigt! Die deutſchen „Barbaren“ laſſen ihn jedenfalls<lb/> am Leben. Die ihm aber in ſeinem Unternehmen nahe ſtehen<lb/> oder ſtanden, werden wiſſen, was ſie als Männer dieſem Herrn<lb/> ſchulden. Hoffentlich wird auch Herr Jacques Dalcroze, wagt er<lb/> es, eine Geſchäfts- oder Kunſtreiſe durch das geſchmähte Land der<lb/> Barbaren zu machen, wie ſich’s gehört, durch geeignete Kräfte,<lb/> durch „<hi rendition="#aq">Maîtres de plaisir</hi>“, wie ſie für dieſen Fall paſſend erſchei-<lb/> nen, höflichſt bis zur Grenze geleitet und über dieſelbe abgeſchoben.<lb/> Auch ihm ſei von Herzen ein ferneres Blühen und Gedeihen im<lb/> Kreiſe der Nation gewünſcht, wo ſeine Geſinnungs- und Hand-<lb/> lungsweiſe als mannhaft und anſtändig, als die Tat eines „Grand<lb/> Eſprit“ gelten kann. Er hat von Genf nicht weit hin! Gleiches<lb/> werde ſeinem Syſtem zuteil. Sein Name verſchwinde vom deutſchen<lb/> Boden! Um Erſatz braucht man nicht verlegen zu ſein. Mit dem<lb/> Problem der Körperbildung, der Erweckung des rhythmiſchen Ge-<lb/> fühls haben ſich auch andere gründlich befaßt. Sie mögen künftig<lb/> in dem Feſtbau zu Hellerau den erſetzbaren Verluſt ausgleichen.<lb/> Hoffentlich behalten Eltern, die ihren Kindern dort durchaus eine<lb/><cb/> Zukunftserziehung geben laſſen wollen, ihre Zuverſicht, auch ohne<lb/> daß ein ausländiſch klingender Name als Magnet für die Anſtalt<lb/> wirkt. Wo aber in deutſchen Geſellſchaften dieſer Name noch in<lb/> der Mitgliederliſte vorkommt, da ſei er, wie der des Schweizer<lb/> Malers, ausgetilgt. Die beiden Herren, vielleicht auch noch andere,<lb/> mögen dann merken, daß man auch in Deutſchland mit dem von<lb/> Frankreich ausgegangenen Worte: „<hi rendition="#aq">A la guerre comme à la<lb/> guerre</hi>“ Ernſt zu machen imſtande iſt, daß allgemein der Ausdruck<lb/> eines unzweifelhaft abweiſenden Standpunktes in dieſem Falle für<lb/> das einzig Richtige befunden wird. Hier ſei reiner Tiſch gemacht!<lb/> Der Anſchluß an die große „Havas“-Gemeinde, die „Verdunkelung<lb/> der Wahrheit“ als ihren höchſten Grundſatz anſchaut, trotzdem ihre<lb/> Hauptaktionäre in einer ſehr frommen Stadt am Rhein ſitzen ſollen,<lb/> ſei auch fernerhin vermieden. „Du biſt ein Havas!“ gilt heute in<lb/> der Oſtſchweiz für eine Beleidigung ernſthafter Art. <hi rendition="#aq">Mutatis<lb/> mutandis</hi> iſt es etwa die Ueberſetzung von „Lugenbeutel“.</p><lb/> <p>Der in dieſen Zeilen ſeiner Meinung Ausdruck gab, iſt ſelbſt<lb/> Schweizer. Seit vierzig Jahren wohnt, arbeitet er in Deutſchland.<lb/> Glücklich ſchätzt er ſich, Zeuge nicht nur großer, mächtiger getaner<lb/> Kulturarbeit geweſen zu ſein, ſondern neuerdings die erſchütternd<lb/> gewaltige Zeit mitdurchlebt zu haben, wo ein ernſtes Volk ohne<lb/> viel Redensarten aufſtand, ſeine Würde äußerlich und innerhalb<lb/> in mannhafter Weiſe zu wahren gegen revanchedurſtige Gallier,<lb/> gegen fromme, Augen und Wahrheit verdrehende Briten, gegen<lb/> „Freiheit bringende“ Koſakenhorden, gegen die ſlawiſchen Voll-<lb/> barbaren der ſchwarzen Berge und deren Helfershelfer! Was<lb/> wiſſen denn Leute, deren Urteil auf lauter Verlogenheit beruht,<lb/> von der Zeit, da der Sturm losbrach, wo jeder Tag an erhebenden<lb/> Augenblicken reich war und noch iſt, wo Tauſende jauchzend dem<lb/> Tod entgegenziehen! „Sie haben die Feinde gezählt, erſt wann<lb/> ſie den Sieg erſtritten“, ſang Leuthold.</p><lb/> <p>Das Durchtränktſein mit einer wenig beneidenswerten Nobleſſe<lb/> der Geſinnung iſt es übrigens nicht allein, was im Benehmen<lb/> dieſer Herren, H. u. D., zum Ausdruck kommt. Unwillkürlich frägt<lb/> man ſich: Sind die Veranlaſſer ſolcher Vorfälle wirklich ſo be-<lb/> ſchränkt, daß ſie nicht wiſſen, mit welch gefährlichem Feuer ſie<lb/> ſpielen, oder wird dieſes Feuer beabſichtigtermaßen zur Schaffung<lb/> ernſter Schwierigkeiten geſchürt? Wie lange hat es gedauert,<lb/> bis die Verfaſſer des ebenſo geiſtloſen als gemeinen Pasquilles,<lb/> „Vermächtnis Kaiſer Wilhelm <hi rendition="#aq">II.</hi>“, endlich aus dem Gebiete der<lb/> Eidgenoſſenſchaft verwieſen wurden! Geziemte es ſich da nicht,<lb/> endlich mit einem gehörigen kalten Waſſerſtrahl dazwiſchen zu<lb/> fahren? Was bis jetzt vom Ruſſiſch-Franco-Britiſchen Kleeblatt<lb/> an diplomatiſchen Kniffen und verwerflichen Streichen zwecks<lb/> Unruheſtiftung und Verwirrung der neutralen Staaten in Szene<lb/> ging, läßt die Vermutung ſehr wohl aufkommen, daß auch die<lb/> Schweiz zum Tummelplatz dafür auserſehen werden ſoll. Schmäh-<lb/> lich genug, daß eigene Volksgenoſſen ſich zur Mithilfe dabei her-<lb/> geben, gleichzeitig aber die Stirn haben, ſich mit ihrer Neutralität<lb/> zu brüſten. Freilich muß man ſich hier ſchon beinahe fragen:<lb/> Auf welchem Standpunkt ſtehen eigentlich Behörden, die ſolch<lb/> grobem Unfug, wie ihn die Herren in Genf z. B. treiben, keinen<lb/> Riegel ſchieben? Iſt Genf eine franzöſiſche Stadt oder eine in<lb/> neutralem Gebiete gelegene? Sind die behördlichen Organe zu<lb/> ſchwach, um Ruhe zu gebieten, oder? — — Dann wozu die unge-<lb/> heuerlichen Aufwendungen für die zum Schutze „ſtrikteſter Neutra-<lb/> lität“ aufgeſtellten Heeresmaſſen! Hier wäre ein fauſtkräftiges<lb/> Dreinfahren gegen die franktireurartigen Störenfriede am Platz,<lb/> Herr General Wille!</p><lb/> <p> <hi rendition="#aq">A la guerre comme à la guerre!</hi> </p><lb/> <p>Soll es beiſpielsweiſe den in der Schweiz anſäſſigen, nicht<lb/> etwa beheimateten italieniſchen Obſt- und Gemüſehändlern, Wein-<lb/> verkäufern uſw. unbenommen ſein, allſonntäglich vor verſammelter<lb/> Wirtshausgemeinde über die Notwendigkeit deutſcher Niederlagen<lb/> mit der dieſem Volke eigenen Frechheit Vortrag zu halten! Hat<lb/> der Zimmermann nicht für alle Fremden, deren Aufenthalt nicht<lb/> immer bloß geſchäftlichen Zwecken dient, das gleiche Loch in der<lb/> Landesgrenze offen gelaſſen? Was geſchieht Deutſchen im gleichen<lb/> Falle? Schreiber dieſer Zeilen war Zeuge ſolcher Szenen! Keine<lb/> Stimme erhob ſich dagegen, noch viel weniger Fäuſte.</p><lb/> <p>Die franzöſiſche Schweiz wird übrigens künftig wohl kaum<lb/> zu den von wohlhabenden Deutſchen vorzugsweiſe aufgeſuchten<lb/> Gegenden zählen. Die Ungezogenheiten, die dort in Menge vor-<lb/> gekommen und allgemein bekannt geworden ſind, wirken ſicher-<lb/> lich nicht als verführeriſche Einladung. Die Unliebenswürdigkeiten<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [640/0008]
Allgemeine Zeitung 31. Oktober 1914.
Das Odium bleibt auf ihm laſten, daß er den Feinden Deutſchlands
eine Waffe in die Hand gedrückt hat. Würde er je einen Blanko-
Wechſel unterzeichnen, über deſſen Gebrauch er im Unklaren wäre?
Schwerlich! Er hat einen ſolchen Wechſel moraliſch auf Deutſch-
land ausgeſtellt in der Meinung, die „Barbaren“ ſollen ihn be-
zahlen. Als eine venetianiſche Bombe das Parthenon zur Ruine
machte, da war es keineswegs das Kunſtwerk Parthenon, auf das
gezielt wurde, ſondern die im Gebäude befindlichen türkiſchen Pul-
verkammern. Die Venetianer waren zweifellos im Recht, die Tür-
ken die Barbaren. So iſt es mit Reims, Herr Hodlerl — Die
der Anſicht desjenigen Recht geben, der auf einen Menſchen an-
legt, zielt, ſchießt und nachher bekennt, er habe eigentlich bloß
ſeiner Meinung Ausdruck geben, aber niemanden verletzen wollen,
ſind punkto Verſtand nicht höher einzuſchätzen als der Schütz!
Und nun Herr Jacques — Dalcroze. Wie Hodler hat er
ſich der Schar angeſchloſſen, die Deutſchlands militäriſch unanfecht-
bares Verhalten vor Reims verläſtert, das Volk, das dort gegen
Franzoſen und Briten in ehrlichem Kampfe focht, als eine unkul-
tivierte Horde bezeichnet. Wo um Sein oder Nichtſein einer Nation
auf Tod und Leben gerungen wird, da kommt es auf ein Dutzend zu-
ſammengeſchoſſener Kathedralen nicht an. Das galt den Fran-
zoſen offenbar auch als Grundſatz, ſonſt hätten ſie das Heiligtum
nicht ſelbſt zum Ziele des deutſchen Artilleriefeuers gemacht. Uebri-
gens nahm letzteres ſofort eine andere Richtung, nachdem der Be-
obachtungspoſten auf den Türmen, die Batterien ſichtlich von der
Kathedrale abgezogen waren. Franzöſiſche Arroganz beanſtandet,
was ſie ſelbſt für erlaubt hält, immer bei anderen Nationen. Sen-
timentalitäten haben zu ſchweigen, wo das Schickſal ſpricht.
Kanonendonner iſt nichts für zarte Aeſtheten-Nerven.
Deutſche Hilfe hat Herren Dalcroze unlängſt dazu verholfen,
das zu verwirklichen, was ihm zuvor weder in ſeiner Vaterſtadt
Genf, noch irgendwo in Frankreich zu erreichen möglich war. Er
müßte als denkender Menſch mithin wiſſen, daß man in Deutſch-
land für ideale Beſtrebungen nicht nur der eigenen Leute, ſondern
auch der Fremden, ja für dieſe manchmal beinahe mehr, Ver-
ſtändnis, nötigenfalls auch die erforderlichen Mittel zur Realiſie-
rung ſolcher Beſtrebungen hat. Und dennoch! — — — — — —
Pfui, Herr Dalcroze! — — Für derartige Geſinnung gibt es im
Deutſchen nur eine richtige Bezeichnung: „Wicht!“
Wird er die gleiche Rückzugslinie einſchlagen, wie Herr Hodler?
Unmöglich iſt es nicht, aber billig, charakterlos! Hier ſind „unlieb-
ſame Mißverſtändniſſe“ ausgeſchloſſen! Ein Mann, ein Wort!
In der Gartenſtadt Hellerau ſteht eine mächtige Gebäude-
gruppe, überragt von hochgeführtem Feſtſaalbau: Die Schule, in
deren Räumen wie in den anſchließenden Häuſern der Name „Dal-
croze“ als „suprema lex“ hoffentlich die längſte Zeit gegolten hat.
Deutſches Kapital iſt dort, beträchtlich an Umfang, im Intereſſe
des Genfers inveſtiert. Nebenher aber wird in vielen deutſchen
Städten Unterricht in rhythmiſch-muſikaliſcher Körperbildung,
Syſtem Dalcroze, erteilt. Der Erfinder dieſer an ſich hochgeiſt-
reichen, deshalb nicht ohne fachliche Anſechtung gebliebenen Unter-
richtsmethode überläßt den von ihm diplomierten Schülern die Er-
teilung derſelben, natürlich nicht gratis. So ſchuf er ſich unter
ausgiebigſter Beihilfe Deutſcher (Dr. Dohrns z. B.) eine ange-
ſehene Exiſtenz. Jetzt hält er ſich für berufen, in das Horn ſeines
Landsmannes und Geſinnungsgenoſſen Hodler zu ſtoßen, die Welt
zu verunglimpfen, der er die Verwirklichung ſeiner Pläne dankt.
Täte er das gleiche als Deutſcher in Frankreich, er würde mit
Recht geſteinigt! Die deutſchen „Barbaren“ laſſen ihn jedenfalls
am Leben. Die ihm aber in ſeinem Unternehmen nahe ſtehen
oder ſtanden, werden wiſſen, was ſie als Männer dieſem Herrn
ſchulden. Hoffentlich wird auch Herr Jacques Dalcroze, wagt er
es, eine Geſchäfts- oder Kunſtreiſe durch das geſchmähte Land der
Barbaren zu machen, wie ſich’s gehört, durch geeignete Kräfte,
durch „Maîtres de plaisir“, wie ſie für dieſen Fall paſſend erſchei-
nen, höflichſt bis zur Grenze geleitet und über dieſelbe abgeſchoben.
Auch ihm ſei von Herzen ein ferneres Blühen und Gedeihen im
Kreiſe der Nation gewünſcht, wo ſeine Geſinnungs- und Hand-
lungsweiſe als mannhaft und anſtändig, als die Tat eines „Grand
Eſprit“ gelten kann. Er hat von Genf nicht weit hin! Gleiches
werde ſeinem Syſtem zuteil. Sein Name verſchwinde vom deutſchen
Boden! Um Erſatz braucht man nicht verlegen zu ſein. Mit dem
Problem der Körperbildung, der Erweckung des rhythmiſchen Ge-
fühls haben ſich auch andere gründlich befaßt. Sie mögen künftig
in dem Feſtbau zu Hellerau den erſetzbaren Verluſt ausgleichen.
Hoffentlich behalten Eltern, die ihren Kindern dort durchaus eine
Zukunftserziehung geben laſſen wollen, ihre Zuverſicht, auch ohne
daß ein ausländiſch klingender Name als Magnet für die Anſtalt
wirkt. Wo aber in deutſchen Geſellſchaften dieſer Name noch in
der Mitgliederliſte vorkommt, da ſei er, wie der des Schweizer
Malers, ausgetilgt. Die beiden Herren, vielleicht auch noch andere,
mögen dann merken, daß man auch in Deutſchland mit dem von
Frankreich ausgegangenen Worte: „A la guerre comme à la
guerre“ Ernſt zu machen imſtande iſt, daß allgemein der Ausdruck
eines unzweifelhaft abweiſenden Standpunktes in dieſem Falle für
das einzig Richtige befunden wird. Hier ſei reiner Tiſch gemacht!
Der Anſchluß an die große „Havas“-Gemeinde, die „Verdunkelung
der Wahrheit“ als ihren höchſten Grundſatz anſchaut, trotzdem ihre
Hauptaktionäre in einer ſehr frommen Stadt am Rhein ſitzen ſollen,
ſei auch fernerhin vermieden. „Du biſt ein Havas!“ gilt heute in
der Oſtſchweiz für eine Beleidigung ernſthafter Art. Mutatis
mutandis iſt es etwa die Ueberſetzung von „Lugenbeutel“.
Der in dieſen Zeilen ſeiner Meinung Ausdruck gab, iſt ſelbſt
Schweizer. Seit vierzig Jahren wohnt, arbeitet er in Deutſchland.
Glücklich ſchätzt er ſich, Zeuge nicht nur großer, mächtiger getaner
Kulturarbeit geweſen zu ſein, ſondern neuerdings die erſchütternd
gewaltige Zeit mitdurchlebt zu haben, wo ein ernſtes Volk ohne
viel Redensarten aufſtand, ſeine Würde äußerlich und innerhalb
in mannhafter Weiſe zu wahren gegen revanchedurſtige Gallier,
gegen fromme, Augen und Wahrheit verdrehende Briten, gegen
„Freiheit bringende“ Koſakenhorden, gegen die ſlawiſchen Voll-
barbaren der ſchwarzen Berge und deren Helfershelfer! Was
wiſſen denn Leute, deren Urteil auf lauter Verlogenheit beruht,
von der Zeit, da der Sturm losbrach, wo jeder Tag an erhebenden
Augenblicken reich war und noch iſt, wo Tauſende jauchzend dem
Tod entgegenziehen! „Sie haben die Feinde gezählt, erſt wann
ſie den Sieg erſtritten“, ſang Leuthold.
Das Durchtränktſein mit einer wenig beneidenswerten Nobleſſe
der Geſinnung iſt es übrigens nicht allein, was im Benehmen
dieſer Herren, H. u. D., zum Ausdruck kommt. Unwillkürlich frägt
man ſich: Sind die Veranlaſſer ſolcher Vorfälle wirklich ſo be-
ſchränkt, daß ſie nicht wiſſen, mit welch gefährlichem Feuer ſie
ſpielen, oder wird dieſes Feuer beabſichtigtermaßen zur Schaffung
ernſter Schwierigkeiten geſchürt? Wie lange hat es gedauert,
bis die Verfaſſer des ebenſo geiſtloſen als gemeinen Pasquilles,
„Vermächtnis Kaiſer Wilhelm II.“, endlich aus dem Gebiete der
Eidgenoſſenſchaft verwieſen wurden! Geziemte es ſich da nicht,
endlich mit einem gehörigen kalten Waſſerſtrahl dazwiſchen zu
fahren? Was bis jetzt vom Ruſſiſch-Franco-Britiſchen Kleeblatt
an diplomatiſchen Kniffen und verwerflichen Streichen zwecks
Unruheſtiftung und Verwirrung der neutralen Staaten in Szene
ging, läßt die Vermutung ſehr wohl aufkommen, daß auch die
Schweiz zum Tummelplatz dafür auserſehen werden ſoll. Schmäh-
lich genug, daß eigene Volksgenoſſen ſich zur Mithilfe dabei her-
geben, gleichzeitig aber die Stirn haben, ſich mit ihrer Neutralität
zu brüſten. Freilich muß man ſich hier ſchon beinahe fragen:
Auf welchem Standpunkt ſtehen eigentlich Behörden, die ſolch
grobem Unfug, wie ihn die Herren in Genf z. B. treiben, keinen
Riegel ſchieben? Iſt Genf eine franzöſiſche Stadt oder eine in
neutralem Gebiete gelegene? Sind die behördlichen Organe zu
ſchwach, um Ruhe zu gebieten, oder? — — Dann wozu die unge-
heuerlichen Aufwendungen für die zum Schutze „ſtrikteſter Neutra-
lität“ aufgeſtellten Heeresmaſſen! Hier wäre ein fauſtkräftiges
Dreinfahren gegen die franktireurartigen Störenfriede am Platz,
Herr General Wille!
A la guerre comme à la guerre!
Soll es beiſpielsweiſe den in der Schweiz anſäſſigen, nicht
etwa beheimateten italieniſchen Obſt- und Gemüſehändlern, Wein-
verkäufern uſw. unbenommen ſein, allſonntäglich vor verſammelter
Wirtshausgemeinde über die Notwendigkeit deutſcher Niederlagen
mit der dieſem Volke eigenen Frechheit Vortrag zu halten! Hat
der Zimmermann nicht für alle Fremden, deren Aufenthalt nicht
immer bloß geſchäftlichen Zwecken dient, das gleiche Loch in der
Landesgrenze offen gelaſſen? Was geſchieht Deutſchen im gleichen
Falle? Schreiber dieſer Zeilen war Zeuge ſolcher Szenen! Keine
Stimme erhob ſich dagegen, noch viel weniger Fäuſte.
Die franzöſiſche Schweiz wird übrigens künftig wohl kaum
zu den von wohlhabenden Deutſchen vorzugsweiſe aufgeſuchten
Gegenden zählen. Die Ungezogenheiten, die dort in Menge vor-
gekommen und allgemein bekannt geworden ſind, wirken ſicher-
lich nicht als verführeriſche Einladung. Die Unliebenswürdigkeiten
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(2023-04-27T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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