Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 7. November 1914.Allgemeine Zeitung 7. November 1914. [Spaltenumbruch]
die falschen, törichten, verfehlten Bestrebungen in ihrer vollenNichtigkeit zuletzt erscheinen läßt. Wie von dem engen Leben der einzelnen menschlichen Persönlichkeit, so gilt dieses große Gesetz, dem wir alle unterworfen sind, auch von dem großen Leben der Völker. Auch hier werden die falschen Völkerbestrebungen durch den Gang der Weltgeschichte mit furchtbarer, untrüglicher Sicherheit in ihrem inneren Unwert, ihrer Nichtigkeit enthüllt. Was sich oft für den Augenblick als untrügliche Wahrheit aufbläht, das erfährt durch den Verlauf der Völkergeschichte oft jene herbe Kritik der Tatsachen, der sich niemand mehr mit sophistischen Gründen ent- ziehen kann, und manche scheinbar unumstößliche Grundlehre wird durch die Probe der Geschichte als Irrwahn, als Trugglaube enthüllt. Unter allen Beweismitteln aber, durch welche der Gang der Wie viele politische Irrlehren, die wir rechts stehenden Politiker Und der rabiateste Freihändler, der bisher immer die Meinung Und drittens, die tiefste aller Wahrheiten, welche die Welt- Aber es sind noch andere Scheinwahrheiten, die in den letzten Wie kläglich sind alle solche Hoffnungen an der harten, herben Die Ueberzeugung, daß alle großen Probleme sich immer nur Aber die nachbismarcksche Zeit drohte immer wieder sich in Man wende nicht ein, die Wissenschaft sei international. Auch Aus diesen Gründen ist mir auch der jetzt so beliebte Gelehrten- Und vollends in der sogenannten Frauenfrage, was ist da Allgemeine Zeitung 7. November 1914. [Spaltenumbruch]
die falſchen, törichten, verfehlten Beſtrebungen in ihrer vollenNichtigkeit zuletzt erſcheinen läßt. Wie von dem engen Leben der einzelnen menſchlichen Perſönlichkeit, ſo gilt dieſes große Geſetz, dem wir alle unterworfen ſind, auch von dem großen Leben der Völker. Auch hier werden die falſchen Völkerbeſtrebungen durch den Gang der Weltgeſchichte mit furchtbarer, untrüglicher Sicherheit in ihrem inneren Unwert, ihrer Nichtigkeit enthüllt. Was ſich oft für den Augenblick als untrügliche Wahrheit aufbläht, das erfährt durch den Verlauf der Völkergeſchichte oft jene herbe Kritik der Tatſachen, der ſich niemand mehr mit ſophiſtiſchen Gründen ent- ziehen kann, und manche ſcheinbar unumſtößliche Grundlehre wird durch die Probe der Geſchichte als Irrwahn, als Trugglaube enthüllt. Unter allen Beweismitteln aber, durch welche der Gang der Wie viele politiſche Irrlehren, die wir rechts ſtehenden Politiker Und der rabiateſte Freihändler, der bisher immer die Meinung Und drittens, die tiefſte aller Wahrheiten, welche die Welt- Aber es ſind noch andere Scheinwahrheiten, die in den letzten Wie kläglich ſind alle ſolche Hoffnungen an der harten, herben Die Ueberzeugung, daß alle großen Probleme ſich immer nur Aber die nachbismarckſche Zeit drohte immer wieder ſich in Man wende nicht ein, die Wiſſenſchaft ſei international. Auch Aus dieſen Gründen iſt mir auch der jetzt ſo beliebte Gelehrten- Und vollends in der ſogenannten Frauenfrage, was iſt da <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0008" n="652"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 7. 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Was ſich oft<lb/> für den Augenblick als untrügliche Wahrheit aufbläht, das erfährt<lb/> durch den Verlauf der Völkergeſchichte oft jene herbe Kritik der<lb/> Tatſachen, der ſich niemand mehr mit ſophiſtiſchen Gründen ent-<lb/> ziehen kann, und manche ſcheinbar unumſtößliche Grundlehre wird<lb/> durch die Probe der Geſchichte als Irrwahn, als Trugglaube enthüllt.</p><lb/> <p>Unter allen Beweismitteln aber, durch welche der Gang der<lb/> Weltgeſchichte Wahrheit und Irrtum in den Zeitſtrömungen ent-<lb/> hüllt, iſt der Krieg das gewaltigſte. Er vor allem bringt ans Licht,<lb/> was im Völkerleben groß und zukunftsvoll iſt, aber auch was<lb/> töricht, unſittlich und verfehlt. Er bildet das Examen Rigoroſum<lb/> der Völker, vor deſſen hartem Spruche nichts Unſittliches, nichts<lb/> Unwahres, nichts Phantaſtiſches beſtehen kann.</p><lb/> <p>Wie viele politiſche Irrlehren, die wir rechts ſtehenden Politiker<lb/> immer als ſolche bekämpft haben, ſind durch die wenigen Wochen<lb/> dieſes gewaltigen Krieges ſchon <hi rendition="#aq">ad absurdum</hi> geführt, in ihrer<lb/> ganzen Nichtigkeit und Unmöglichkeit enthüllt! Auch der aller-<lb/> radikalſte Linksliberale muß heute einſehen, was eine ſtarke, feſt<lb/> im Volke wurzelnde Dynaſtie wert iſt. Auch der extremſte Frei-<lb/> ſinnige, der Zeit ſeines Lebens für Volksherrſchaft und Parlamen-<lb/> tarismus geſchwärmt hat, muß heute beſchämt daſtehen, wenn wir<lb/> ihn fragen, ob er denn wirklich glaubt, daß der Parlamentarismus<lb/> im Stande ſei, ein Heer von gleicher Diſziplin, von gleichem Geiſte<lb/> und gleicher Leiſtungsfähigkeit zu ſchaffen wie unſer monarchiſches<lb/> Heer. Er wird keine Antwort wiſſen, wenn wir ihn fragen, ob er<lb/> wirklich glaubt, daß die muſterhafte Ordnung, dies wunderbare<lb/> Ineinandergreifen aller Räder, dies großartige Zuſammenwirken<lb/> aller Faktoren, das ſich in unſerer Mobilmachung enthüllte, auch<lb/> unter der Herrſchaft eines parlamentariſchen Regierungsſyſtems<lb/> möglich geweſen ſei, deſſen ſchädliche Wirkungen uns im engliſchen<lb/> und franzöſiſchen Heere ſo grell entgegentreten.</p><lb/> <p>Und der rabiateſte Freihändler, der bisher immer die Meinung<lb/> vertreten hat, daß man am beſten da kaufe, wo man am billigſten<lb/> kaufe, und die verhaßten Agrarier immer mit bitterſter Feindſchaft<lb/> verfolgt hat, der wird verlegen daſtehen, wenn er heute die Antwort<lb/> geben ſoll, was denn aus Deutſchland geworden wäre in dieſem<lb/> Kriege, wenn wir nicht eine leiſtungsfähige Landwirtſchaft uns er-<lb/> halten hätten. Er wird keine Antwort wiſſen auf die Frage, wo<lb/> wir heute unſere Nahrungsmittel hernehmen ſollen, heute, wo Eng-<lb/> land die amerikaniſchen Zufuhren abſchneidet und das ruſſiſche Ge-<lb/> treide ausbleibt, d. h., wo der Fall tatſächlich eingetreten iſt, auf<lb/> deſſen Möglichkeit wir immer hingewieſen haben.</p><lb/> <p>Und drittens, die tiefſte aller Wahrheiten, welche die Welt-<lb/> geſchichte enthüllt, daß die Kraft und innere Geſundheit der Völker<lb/> in letzter Linie beruht auf der Macht und Stärke des religiöſen<lb/> Bewußtſeins, wie herrlich, wie überzeugend iſt gerade dieſe Grund-<lb/> lehre unſerer konſervativen Weltanſchauung durch dieſen Krieg<lb/> beſtätigt worden! Welch ein Segen für unſer Volk, daß es nicht<lb/> die Wege Frankreichs gewandelt iſt, das die Religion aus den<lb/> Schulen verbannte und heute völlig einer atheiſtiſchen Kultur ver-<lb/> fallen zu ſein ſcheint! Wie erſchreckend treten uns gerade in dieſem<lb/> Kriege die zerrüttenden Wirkungen einer ſolchen Entwicklung bei<lb/> unſeren franzöſiſchen Feinden entgegen!</p><lb/> <p>Aber es ſind noch andere Scheinwahrheiten, die in den letzten<lb/> Zeiten ſich anſpruchsvoll in den Vordergrund drängten, und die<lb/> der Krieg in ihrer Unhaltbarkeit dargelegt hat. Zu ihnen gehört<lb/> vor allem ein übertriebener und darum unmöglicher Internationalis-<lb/> mus. Auf Koſten eines ſo wünſchenswerten ſtarken deutſchen<lb/> Nationalgefühls hat ſich immer ſtürmiſcher das Beſtreben geltend<lb/> gemacht, viele Fragen, die nur auf der Grundlage eines ſtarken<lb/> nationalen Eigenlebens zu löſen ſind, durch Verabredung und Ver-<lb/> einbarungen aller ziviliſierten Völker der Erde entſcheiden zu wollen.<lb/> Was hat man nicht alles auf internationalem Wege regeln und in<lb/> ſeinen Problemen löſen wollen: Das Recht, den Verkehr, die wirt-<lb/> ſchaftlichen Fragen, die Frauenfrage, die Wiſſenſchaft, den Unter-<lb/> richt, die Kunſt, ja die Sprache ſelbſt; ſie alle ſollten internationali-<lb/> ſiert werden. Viele ſahen im Geiſte ſchon eine zu erfindende Welt-<lb/> ſprache ihren Siegeszug um die Erde antreten. 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Wo immer<lb/> die Völker, im Altertum wie in der neuen Zeit, Großes geſchaffen<lb/> haben, wo ihre Wiſſenſchaft die Menſchheit um neue tiefe Wahr-<lb/> heiten bereicherte, wo ihre Kunſt zur wahren Klaſſizität empor-<lb/> ſtrebte, wo ihre Staats- und Kriegskunſt zur wahren Größe ſich<lb/> erhob, da geſchah es immer auf dem Boden eines ſtarken nationalen<lb/> Selbſtbewußtſeins. Nur ein Volk, das ſeines inneren Wertes ſich<lb/> bewußt iſt, das ſeine Eigenart kraftvoll zur Geltung bringt, wird<lb/> im Gedränge des Völkerlebens ſich Anſehen und Einfluß verſchaffen.<lb/> Selbſt der Künſtler, der ſcheinbar in den idealen Gebieten jenſeits<lb/> der rauhen Wirklichkeit des praktiſchen Lebens ſchafft, auch er kann<lb/> des Rückhalts an ein ſtarkes, ſeines inneren Wertes bewußtes Volks-<lb/> tum nicht entbehren. Darum konnte Goethe die berühmte Aeußerung<lb/> tun, durch die Taten Friedrichs des Großen ſei wieder Gehalt in<lb/> die deutſche Dichtung gekommen. Denn der große König hatte<lb/> unſerem Volke durch ſeine Taten des Krieges wie des Friedens<lb/> wieder das gegeben, was den Deutſchen ſeit dem Dreißigjährigen<lb/> Kriege verloren gegangen war: das Gefühl des eigenen Wertes.</p><lb/> <p>Die Ueberzeugung, daß alle großen Probleme ſich immer nur<lb/> löſen laſſen auf der Grundlage eines ſtarken, ſelbſtbewußten<lb/> nationalen Lebens, war auch durchaus die Auffaſſung des Fürſten<lb/> Bismarck. Dem Beſtreben, gewiſſe ſoziale Probleme auf inter-<lb/> nationalem Wege zu löſen, ſetzte er ſeine Ueberzeugung entgegen,<lb/> daß jeder Staat ſelbſt für ſeine Induſtrie aufkommen und einſtehen<lb/> müſſe. Darum waren ſeine Einwirkungen auf ſeine Zeit ſo ge-<lb/> waltig, weil er ihr als die Verkörperung des ſiegreichen, ringenden<lb/> Germanentums erſchien. In ihm erkannte das deutſche Volk gleich-<lb/> ſam ſich ſelbſt. Darum folgte es begeiſtert ſeinen Wegen.</p><lb/> <p>Aber die nachbismarckſche Zeit drohte immer wieder ſich in<lb/> gefährlichen internationalen Ideen zu verirren. Die Gefahr war<lb/> hier, daß man das, was man auf dieſem gewagten Wege erſtrebte,<lb/> nicht nur nicht erreichte, wohl aber das uns für unſere Miſſion im<lb/> modernen Völkerleben ſo nötige nationale Selbſtbewußtſein<lb/> ſchwächte und erſchütterte. Die göttliche Weisheit hat nicht nur<lb/> eine Nation, ſondern viele entſtehen laſſen, damit die großen Auf-<lb/> gaben, an denen unſer Geſchlecht in dem großen Emporgange der<lb/> Menſchheit, den man Weltgeſchichte nennt, arbeitet, immer von<lb/> Neuem und von den verſchiedenſten geiſtigen Richtungen aus an-<lb/> gefaßt und der Löſung entgegengeführt werden ſollten.</p><lb/> <p>Man wende nicht ein, die Wiſſenſchaft ſei international. Auch<lb/> in die Pflege der Wiſſenſchaften und die Behandlung ihrer Pro-<lb/> bleme legt jedes Volk etwas von ſeinem Geiſte hinein. Religiöſe,<lb/> philoſophiſche, juriſtiſche Probleme wird der deutſche Geiſt anders<lb/> anfaſſen und nach anderen Idealen zu löſen ſuchen, als der<lb/> Franzoſe oder Engländer. Oder iſt es reiner Zufall, daß die<lb/> engliſche Philoſophie nicht hinauskam über die Flachheiten der<lb/> Kommonſens-Philoſophie, daß die franzöſiſche des 18. Jahrhunderts<lb/> ſchließlich im Sande des Materialismus ſich verlief, die deutſche<lb/> aber ſeit Kant ihren großartigen himmelſtürmenden Siegeszug an-<lb/> trat, der alle philoſophiſchen Leiſtungen anderer Völker weit über-<lb/> holte? Und ſelbſt in den ſogenannten exakten Wiſſenſchaften wird<lb/> deutſcher Tieffinn, deutſche Kraft des Kombinierens und Kon-<lb/> ſtruierens anders vorgehen als die Forſchung anderer Völker.</p><lb/> <p>Aus dieſen Gründen iſt mir auch der jetzt ſo beliebte Gelehrten-<lb/> und Profeſſorenaustauſch immer bedenklich erſchienen. Der<lb/> Univerſitätsgelehrte iſt für uns nicht bloß der Mann der Studier-<lb/> ſtube, er iſt auch der Lehrer der deutſchen Jugend. Die deutſche<lb/> Jugend aber kann nur der begeiſtern, der deutſches Weſen im<lb/> Herzen trägt, der ihr den Tieffinn, den hohen Idealismus des<lb/> deutſchen Denkens vermittelt und vor Augen führt. Iſt es etwa<lb/> denkbar, daß ein amerikaniſcher Geſchichtsprofeſſor oder ein Fran-<lb/> zoſe die gleiche begeiſternde Wirkung auf unſere Jugend ausübt,<lb/> wie ein Treitſchke?</p><lb/> <p>Und vollends in der ſogenannten Frauenfrage, was iſt da<lb/> durch ſchwächliche, weil innerlich entdeutſchende Beſtrebungen ge-<lb/> ſündigt worden! Das Wort, daß jeder Staat, wie Fürſt Bismarck<lb/> lehrt, für ſeine Induſtrie, ſeine Arbeiter, ſeine Sozialpolitik auf-<lb/> kommen müſſe, muß unbedingt auch auf die Frauenfrage angewendet<lb/> werden. Auch dieſe läßt ſich nur auf der Grundlage eines feſten<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [652/0008]
Allgemeine Zeitung 7. November 1914.
die falſchen, törichten, verfehlten Beſtrebungen in ihrer vollen
Nichtigkeit zuletzt erſcheinen läßt. Wie von dem engen Leben der
einzelnen menſchlichen Perſönlichkeit, ſo gilt dieſes große Geſetz,
dem wir alle unterworfen ſind, auch von dem großen Leben der
Völker. Auch hier werden die falſchen Völkerbeſtrebungen durch
den Gang der Weltgeſchichte mit furchtbarer, untrüglicher Sicherheit
in ihrem inneren Unwert, ihrer Nichtigkeit enthüllt. Was ſich oft
für den Augenblick als untrügliche Wahrheit aufbläht, das erfährt
durch den Verlauf der Völkergeſchichte oft jene herbe Kritik der
Tatſachen, der ſich niemand mehr mit ſophiſtiſchen Gründen ent-
ziehen kann, und manche ſcheinbar unumſtößliche Grundlehre wird
durch die Probe der Geſchichte als Irrwahn, als Trugglaube enthüllt.
Unter allen Beweismitteln aber, durch welche der Gang der
Weltgeſchichte Wahrheit und Irrtum in den Zeitſtrömungen ent-
hüllt, iſt der Krieg das gewaltigſte. Er vor allem bringt ans Licht,
was im Völkerleben groß und zukunftsvoll iſt, aber auch was
töricht, unſittlich und verfehlt. Er bildet das Examen Rigoroſum
der Völker, vor deſſen hartem Spruche nichts Unſittliches, nichts
Unwahres, nichts Phantaſtiſches beſtehen kann.
Wie viele politiſche Irrlehren, die wir rechts ſtehenden Politiker
immer als ſolche bekämpft haben, ſind durch die wenigen Wochen
dieſes gewaltigen Krieges ſchon ad absurdum geführt, in ihrer
ganzen Nichtigkeit und Unmöglichkeit enthüllt! Auch der aller-
radikalſte Linksliberale muß heute einſehen, was eine ſtarke, feſt
im Volke wurzelnde Dynaſtie wert iſt. Auch der extremſte Frei-
ſinnige, der Zeit ſeines Lebens für Volksherrſchaft und Parlamen-
tarismus geſchwärmt hat, muß heute beſchämt daſtehen, wenn wir
ihn fragen, ob er denn wirklich glaubt, daß der Parlamentarismus
im Stande ſei, ein Heer von gleicher Diſziplin, von gleichem Geiſte
und gleicher Leiſtungsfähigkeit zu ſchaffen wie unſer monarchiſches
Heer. Er wird keine Antwort wiſſen, wenn wir ihn fragen, ob er
wirklich glaubt, daß die muſterhafte Ordnung, dies wunderbare
Ineinandergreifen aller Räder, dies großartige Zuſammenwirken
aller Faktoren, das ſich in unſerer Mobilmachung enthüllte, auch
unter der Herrſchaft eines parlamentariſchen Regierungsſyſtems
möglich geweſen ſei, deſſen ſchädliche Wirkungen uns im engliſchen
und franzöſiſchen Heere ſo grell entgegentreten.
Und der rabiateſte Freihändler, der bisher immer die Meinung
vertreten hat, daß man am beſten da kaufe, wo man am billigſten
kaufe, und die verhaßten Agrarier immer mit bitterſter Feindſchaft
verfolgt hat, der wird verlegen daſtehen, wenn er heute die Antwort
geben ſoll, was denn aus Deutſchland geworden wäre in dieſem
Kriege, wenn wir nicht eine leiſtungsfähige Landwirtſchaft uns er-
halten hätten. Er wird keine Antwort wiſſen auf die Frage, wo
wir heute unſere Nahrungsmittel hernehmen ſollen, heute, wo Eng-
land die amerikaniſchen Zufuhren abſchneidet und das ruſſiſche Ge-
treide ausbleibt, d. h., wo der Fall tatſächlich eingetreten iſt, auf
deſſen Möglichkeit wir immer hingewieſen haben.
Und drittens, die tiefſte aller Wahrheiten, welche die Welt-
geſchichte enthüllt, daß die Kraft und innere Geſundheit der Völker
in letzter Linie beruht auf der Macht und Stärke des religiöſen
Bewußtſeins, wie herrlich, wie überzeugend iſt gerade dieſe Grund-
lehre unſerer konſervativen Weltanſchauung durch dieſen Krieg
beſtätigt worden! Welch ein Segen für unſer Volk, daß es nicht
die Wege Frankreichs gewandelt iſt, das die Religion aus den
Schulen verbannte und heute völlig einer atheiſtiſchen Kultur ver-
fallen zu ſein ſcheint! Wie erſchreckend treten uns gerade in dieſem
Kriege die zerrüttenden Wirkungen einer ſolchen Entwicklung bei
unſeren franzöſiſchen Feinden entgegen!
Aber es ſind noch andere Scheinwahrheiten, die in den letzten
Zeiten ſich anſpruchsvoll in den Vordergrund drängten, und die
der Krieg in ihrer Unhaltbarkeit dargelegt hat. Zu ihnen gehört
vor allem ein übertriebener und darum unmöglicher Internationalis-
mus. Auf Koſten eines ſo wünſchenswerten ſtarken deutſchen
Nationalgefühls hat ſich immer ſtürmiſcher das Beſtreben geltend
gemacht, viele Fragen, die nur auf der Grundlage eines ſtarken
nationalen Eigenlebens zu löſen ſind, durch Verabredung und Ver-
einbarungen aller ziviliſierten Völker der Erde entſcheiden zu wollen.
Was hat man nicht alles auf internationalem Wege regeln und in
ſeinen Problemen löſen wollen: Das Recht, den Verkehr, die wirt-
ſchaftlichen Fragen, die Frauenfrage, die Wiſſenſchaft, den Unter-
richt, die Kunſt, ja die Sprache ſelbſt; ſie alle ſollten internationali-
ſiert werden. Viele ſahen im Geiſte ſchon eine zu erfindende Welt-
ſprache ihren Siegeszug um die Erde antreten. Noch mehr be-
geiſterte Anhänger einer angeblich völkerverbrüdernden modernen
Kultur ſahen bereits die Kriege verſchwinden und große Völker-
ſchiedsgerichte alle Streitigkeiten der Nationen in untrüglicher Weis-
heit regeln.
Wie kläglich ſind alle ſolche Hoffnungen an der harten, herben
Realität dieſes Weltkrieges geſcheitert! Er predigt mit feurigen
Zungen und verkündet den Völkern unter Blut und Tränen, daß
alle menſchliche Größe ſich immer nur aufbaut auf der Grundlage
der Nationalität, daß nur ein ſtarkes, auf ſeine nationale Eigenart
ſtolzes Volkstum in der Weltgeſchichte etwas bedeutet. Wo immer
die Völker, im Altertum wie in der neuen Zeit, Großes geſchaffen
haben, wo ihre Wiſſenſchaft die Menſchheit um neue tiefe Wahr-
heiten bereicherte, wo ihre Kunſt zur wahren Klaſſizität empor-
ſtrebte, wo ihre Staats- und Kriegskunſt zur wahren Größe ſich
erhob, da geſchah es immer auf dem Boden eines ſtarken nationalen
Selbſtbewußtſeins. Nur ein Volk, das ſeines inneren Wertes ſich
bewußt iſt, das ſeine Eigenart kraftvoll zur Geltung bringt, wird
im Gedränge des Völkerlebens ſich Anſehen und Einfluß verſchaffen.
Selbſt der Künſtler, der ſcheinbar in den idealen Gebieten jenſeits
der rauhen Wirklichkeit des praktiſchen Lebens ſchafft, auch er kann
des Rückhalts an ein ſtarkes, ſeines inneren Wertes bewußtes Volks-
tum nicht entbehren. Darum konnte Goethe die berühmte Aeußerung
tun, durch die Taten Friedrichs des Großen ſei wieder Gehalt in
die deutſche Dichtung gekommen. Denn der große König hatte
unſerem Volke durch ſeine Taten des Krieges wie des Friedens
wieder das gegeben, was den Deutſchen ſeit dem Dreißigjährigen
Kriege verloren gegangen war: das Gefühl des eigenen Wertes.
Die Ueberzeugung, daß alle großen Probleme ſich immer nur
löſen laſſen auf der Grundlage eines ſtarken, ſelbſtbewußten
nationalen Lebens, war auch durchaus die Auffaſſung des Fürſten
Bismarck. Dem Beſtreben, gewiſſe ſoziale Probleme auf inter-
nationalem Wege zu löſen, ſetzte er ſeine Ueberzeugung entgegen,
daß jeder Staat ſelbſt für ſeine Induſtrie aufkommen und einſtehen
müſſe. Darum waren ſeine Einwirkungen auf ſeine Zeit ſo ge-
waltig, weil er ihr als die Verkörperung des ſiegreichen, ringenden
Germanentums erſchien. In ihm erkannte das deutſche Volk gleich-
ſam ſich ſelbſt. Darum folgte es begeiſtert ſeinen Wegen.
Aber die nachbismarckſche Zeit drohte immer wieder ſich in
gefährlichen internationalen Ideen zu verirren. Die Gefahr war
hier, daß man das, was man auf dieſem gewagten Wege erſtrebte,
nicht nur nicht erreichte, wohl aber das uns für unſere Miſſion im
modernen Völkerleben ſo nötige nationale Selbſtbewußtſein
ſchwächte und erſchütterte. Die göttliche Weisheit hat nicht nur
eine Nation, ſondern viele entſtehen laſſen, damit die großen Auf-
gaben, an denen unſer Geſchlecht in dem großen Emporgange der
Menſchheit, den man Weltgeſchichte nennt, arbeitet, immer von
Neuem und von den verſchiedenſten geiſtigen Richtungen aus an-
gefaßt und der Löſung entgegengeführt werden ſollten.
Man wende nicht ein, die Wiſſenſchaft ſei international. Auch
in die Pflege der Wiſſenſchaften und die Behandlung ihrer Pro-
bleme legt jedes Volk etwas von ſeinem Geiſte hinein. Religiöſe,
philoſophiſche, juriſtiſche Probleme wird der deutſche Geiſt anders
anfaſſen und nach anderen Idealen zu löſen ſuchen, als der
Franzoſe oder Engländer. Oder iſt es reiner Zufall, daß die
engliſche Philoſophie nicht hinauskam über die Flachheiten der
Kommonſens-Philoſophie, daß die franzöſiſche des 18. Jahrhunderts
ſchließlich im Sande des Materialismus ſich verlief, die deutſche
aber ſeit Kant ihren großartigen himmelſtürmenden Siegeszug an-
trat, der alle philoſophiſchen Leiſtungen anderer Völker weit über-
holte? Und ſelbſt in den ſogenannten exakten Wiſſenſchaften wird
deutſcher Tieffinn, deutſche Kraft des Kombinierens und Kon-
ſtruierens anders vorgehen als die Forſchung anderer Völker.
Aus dieſen Gründen iſt mir auch der jetzt ſo beliebte Gelehrten-
und Profeſſorenaustauſch immer bedenklich erſchienen. Der
Univerſitätsgelehrte iſt für uns nicht bloß der Mann der Studier-
ſtube, er iſt auch der Lehrer der deutſchen Jugend. Die deutſche
Jugend aber kann nur der begeiſtern, der deutſches Weſen im
Herzen trägt, der ihr den Tieffinn, den hohen Idealismus des
deutſchen Denkens vermittelt und vor Augen führt. Iſt es etwa
denkbar, daß ein amerikaniſcher Geſchichtsprofeſſor oder ein Fran-
zoſe die gleiche begeiſternde Wirkung auf unſere Jugend ausübt,
wie ein Treitſchke?
Und vollends in der ſogenannten Frauenfrage, was iſt da
durch ſchwächliche, weil innerlich entdeutſchende Beſtrebungen ge-
ſündigt worden! Das Wort, daß jeder Staat, wie Fürſt Bismarck
lehrt, für ſeine Induſtrie, ſeine Arbeiter, ſeine Sozialpolitik auf-
kommen müſſe, muß unbedingt auch auf die Frauenfrage angewendet
werden. Auch dieſe läßt ſich nur auf der Grundlage eines feſten
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(2023-04-27T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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