Allgemeine Zeitung, Nr. 46, 15. Februar 1871.[Spaltenumbruch]
wegung festhalten und fortbilden, als bereits die Reaction durch das Mi- Die Stadt Mainz wählte Hillebrand zum Deputirten, aber wer es Neueste Posten. München, 14 Febr. Sitzung der Kammer der Abgeord- Bruffel, 12 Febr. Gestern starb dahier im 86sten Jahr ein vor [Spaltenumbruch]
wegung feſthalten und fortbilden, als bereits die Reaction durch das Mi- Die Stadt Mainz wählte Hillebrand zum Deputirten, aber wer es Neueſte Poſten. ⊥ München, 14 Febr. Sitzung der Kammer der Abgeord- ✺ Bruffel, 12 Febr. Geſtern ſtarb dahier im 86ſten Jahr ein vor <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <floatingText> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0012" n="772"/><cb/> wegung feſthalten und fortbilden, als bereits die Reaction durch das Mi-<lb/> niſterium Dalwigk ihren Einzug gehalten. Das verzieh dieſes nicht; die<lb/> Bureaukratie wollte ihre Macht beweiſen, und was kümmert ſie die Blüthe<lb/> der Univerſität? Was bedurfte es der Philoſophie und Literatur um ge-<lb/> fügige Beamte zu erziehen? Hillebrand ward aus ſeinem beſten Wirken<lb/> durch die Penſionirung 1850 herausgeriſſen. Bald darauf verließen Liebig,<lb/> Biſchoff, Kopp, G. Bauer, Ihering und andere die Univerſität, welche<lb/> früher in dem Zuſammenwirken ſolcher Männer ein Anziehungspunkt für<lb/> die auswärtigen Kräfte geweſen war.</p><lb/> <p>Die Stadt Mainz wählte Hillebrand zum Deputirten, aber wer es<lb/> noch nicht wußte, der lernte es jetzt durch die Erfahrung: daß in der Klein-<lb/> ſtaaterei die Freiheit nicht geſichert war, daß wir vor allem ein Volk und<lb/> Staat werden mußten; <hi rendition="#aq">ex unitate libertas!</hi> Hillebrand wollte wenig-<lb/> ſtens retten was zu retten war, er mühte in vergeblichem Kampfe ſich ab,<lb/> und zog ſich dann nach Rödelheim, nach Soden zurück, wo er ohne die An-<lb/> regung der Univerſität und der aufſtrebenden Jugend wohl allzu früh ein<lb/> bloß beſchauliches Leben führte und auch nicht mehr in die Literatur mit<lb/> ſeinem geiſtvollen Wort eingreifen mochte. Aber er bewahrte dem voran-<lb/> ſchreitenden Leben ſeine warme Theilnahme. Und ſo war es ihm vergönnt<lb/> den Sieg des deutſchen Geiſtes und der deutſchen Waffen in der Grün-<lb/> dung des nationalen Staats mitanzuſehen, und er konnte mit dem Bewußt-<lb/> ſein ſcheiden daß auch er einen guten Kampf gekämpft und dem Ideal der<lb/> Jugend die Treue bewahrt habe.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Neueſte Poſten.</hi> </hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <dateline>⊥ <hi rendition="#b">München,</hi> 14 Febr.</dateline> <p><hi rendition="#g">Sitzung der Kammer der Abgeord-<lb/> neten.</hi> Am Miniſtertiſche ſämmtliche Miniſter. Der den Vorſitz führende<lb/> zweite Präſident Graf Seinsheim gibt das kgl. Reſcript bekannt welches<lb/> den Landtag bis zum 15 d. M. verlängert, widmet dem inzwiſchen ver-<lb/> ſtorbenen Abgg. Nonkarz einen ehrenden Nachruf, bemerkt ferner daß an<lb/> Stelle der verſtorbenen, reſp. ausgetretenen Abg. Ronkarz, F. X. Schmid,<lb/> Wiesnet, Engelb. Weiß, v. Freyberg und Häring die Erſatzmänner ein-<lb/> berufen wurden. Von dieſen iſt Bürgermeiſter Spukner von Kemnath und<lb/> Prof. Daller anweſend, die beide beeidigt wurden. Die Kammer geneh-<lb/> migt ſodann das Austrittsgeſuch des Abg. Höchſtätter. Der Präſident<lb/> bringt zur Kenntniß der Kammer daß das Juſtizminiſterium die Reviſion<lb/> des Strafproceſſes zurückgezogen, das Handelsminiſterium zwei Geſetzent-<lb/> würfe (über Erbauung der Vicinalbahn von Holzkirchen nach Tölz und<lb/> Legung eines Doppelgeleiſes auf der Bahnlinie Unterſteinach-Neumarkt-Hof)<lb/> vorgelegt hat. Mit Bezug auf Art. 4 der Reichsverfaſſung haben die Abg.<lb/> Adler und Genoſſen ihren Antrag auf Einführung von Lagerſcheinen ꝛc. zurück-<lb/> gezogen. Hierauf erhielt das Wort der k. Staatsminiſter v. <hi rendition="#g">Lutz,</hi> um die<lb/> Interpellation des Abg. Mahr wegen der Jeſuitenmiſſionen zu beantworten.<lb/> Der Hr. Miniſter führte zuvörderſt im allgemeinen aus daß die beſtehenden<lb/> Vorſchriften, welche die jetzige Regierung aufrecht erhält, aus Abneigung<lb/> der damaligen Regierung gegen die Jeſuiten entſprungen ſeien. Der<lb/> Miniſter verweist auf die Regierung König Ludwigs <hi rendition="#aq">I</hi>, insbeſondere zur<lb/> Zeit des Miniſteriums Abel, welcher, obwohl doch ganz gewiß der katyo-<lb/> liſchen Kirche ſehr gewogen, die Erlaubniß zur Gründung von Jeſuiten-<lb/> klöſtern oder zur Berufung von Jeſuiten zu ſeelſorgerlichen Zwecken nie<lb/> ertheilen wollte, da er nur ſolche Orden welche von jeher von allen politi-<lb/> ſchen Tendenzen ſich ferngehalten, in Bayern haben wollte. Selbſt Miſ-<lb/> ſionen anderer Orden ließ König Ludwig <hi rendition="#aq">I</hi>, wegen der dabei ſich heraus-<lb/> ſtellenden Mißſtände, nur ausnahmsweiſe zu. Die Miniſterialentſchlie-<lb/> ßungen von 1851 und 1852, über welche ſich der Abg. Mahr beſchwere,<lb/> ſeien aber nicht einmal ſo weit gegangen, indem ſie Jeſuitenmiſſionen nicht<lb/> abſolut ausſchließen, ſondern bedingungsweiſe erlauben, und die Praxis<lb/> ergebe daß in den letzten 19 Jahren jährlich im Durchſchnitt 7 Jeſuiten-<lb/> miſſionen abgehalten wurden, und daß die Fälle in welchen ſie nicht bewilligt<lb/> wurden die weitaus kleinere Zahl bilden. Da der Interpellant ſich über<lb/> das unbehinderte Auftreten freireligiöſer Prediger beſchwert hatte, ſo gab<lb/> der Miniſter zu daß allerdings die anerkannten Kirchen in Bayern gewiſſen<lb/> Beſchränkungen durch die Staatsgewalt unterworfen ſind, dafür aber<lb/> auch eine Reihe von weit bedeutenderen Vorrechten genießen, welche<lb/> den nicht anerkannten Religionsgeſellſchaften nicht zuſtehen, während<lb/> letztere eben im allgemeinen wie jede andere Privatgeſellſchaft be-<lb/> handelt werden. Wolle man abſolute Gleichheit in dieſer Beziehung,<lb/> dann müſſe man conſequent völlige Trennung der Kirche vom Staat<lb/> verlangen; damit werde aber der weitaus größte Theil des katholiſchen<lb/> Volkes nicht einverſtanden ſein. Der Miniſter legte dann dar daß die<lb/> vom Interpellanten angefochtenen Miniſterial-Entſchließungen nicht bloß<lb/> innerhalb der Verfaſſung ſich halten, ſondern ſogar von dem durch dieſe der<lb/> Regierung eingeräumten Rechte des Verbietens außerordentlicher Kirchen-<lb/> feierlichkeiten noch einen ſehr milden Gebrauch machten. Deßhalb beant-<lb/> worte er die ſämmtlichen vom Interpellanten geſtellten Anfragen (ob die<lb/> Regierung die bezeichneten Entſchließungen aufheben, und Miſſionen die<lb/> von den kirchlichen Obern gewünſcht werden, fortan kein Hinderniß<lb/> in den Weg legen werde) mit „Nein!“ Abg. <hi rendition="#g">Mahr</hi> hievon nicht befrie-<lb/> digt, behält ſich weiteren Antrag vor. Abg. Frhr. v. <hi rendition="#g">Stauffenberg</hi><lb/> erſtattet ſodann kurzen Vortrag über den Geſetzentwurf welcher die metri-<lb/><cb/> ſchen Maße in das dießrheiniſche Malzaufſchlagsweſen vom 1 Jan. 1872<lb/> einführen ſoll, und empfiehlt deſſen Annahme mit der von der Staatsregie-<lb/> rung nachträglich vorgeſchlagenen Modification zu Art. 1, welche dann<lb/> auch einſtimmig (142 Votanten) erfolgte. An die Reihe kam hierauf der<lb/> Entwurf eines Finanzgeſetzes für die <hi rendition="#aq">X.</hi> Finanzperiode (1870 und 1871),<lb/> worüber Abg. G. F. <hi rendition="#g">Kolb</hi> Namens des zweiten Ausſchuſſes kurz Vortrag<lb/> erſtattete. Finanzminiſter v. <hi rendition="#g">Pfretzſchner</hi> erklärte Namens der Re-<lb/> gierung, wie ſchon im Ausſchuß, daß auch beim Vollzug des gegenwärtigen<lb/> Geſetzes die Staatsregierung die bei den Ausſchußberathungen von ihr zu-<lb/> geſtandenen Ermäßigungen des Etatsgeſetzes als für ſich maßgebend er-<lb/> achte. Abg. <hi rendition="#g">Greil:</hi> Er bedauere den gegenwärtigen Zuſtand, der eine ſo ab-<lb/> norme Erledigung des Budgets nöthig mache, müſſe aber erläutern wie<lb/> es ſo gekommen ſei. Gleich beim Wiederzuſammentritt der Kammer am<lb/> 10 December habe er die Vollendung der Ausſchußberathungen über das<lb/> Budget betrieben; aus welchem Grunde darauf nicht eingegangen worden<lb/> wiſſe er nicht, wohl aber daß die Budgetberathung auch im Plenum jetzt<lb/> ſchon ganz gut beendet ſein könnte, wenn damals ſeiner Anregung ſtattge-<lb/> geben worden wäre. Abg. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Völk</hi> weist an dem ſchleppenden Gang<lb/> der dießmaligen Budgetarbeiten nach, wie nothwendig die von ihm und<lb/> ſeinen Freunden beantragte Verbeſſerung der Geſchäftsordnung ſei:<lb/> bei dieſer Geſchäftsordnung werde man ſelbſt bei angeſtrengteſter Arbeit<lb/> nie ein Budget rechtzeitig fertig bringen. Er frage daher die königliche<lb/> Staatsregierung weßhalb ſie, trotz der Anträge beider Kammern, nichts ge-<lb/> than habe der Kammer in dieſer Richtung die verlangte Vorlage zu machen?<lb/> Der Miniſter des Innern v. <hi rendition="#g">Braun</hi> erklärt daß der Entwurf bereits aus-<lb/> gearbeitet ſei und dem nächſten Landtag werde vorgelegt werden. Abg.<lb/><hi rendition="#g">Kolb:</hi> Er wiſſe zwar nicht was den früheren Vorſtand des Ausſchuſſes<lb/> bewog Greils Anregung nicht ſtatt zu geben, er glaube aber es<lb/> ſei geſchehen weil damals wichtige Ereigniſſe alles in Spannung<lb/> hielten. Hiemit iſt die allgemeine Discuſſion geſchloſſen. In der<lb/> ſpeciellen Discuſſion werden §§. 1—5 des vom Ausſchuß in Ueberein-<lb/> ſtimmung mit dem k. Staatsminiſter der Finanzen entworfenen Finanz-<lb/> geſetzes ohne Debatte angenommen. Zu §. 6 wurde ein Antrag der Abgg.<lb/> Grafen v. Fugger-Blumenthal und Ponſchab angenommen: für einen<lb/> Landgerichts-Neubau in Schrobenhauſen noch 28,000 fl. einzuſtellen.<lb/> Miniſter v. <hi rendition="#g">Lutz</hi> erklärt: daß von der für Neubauten im Reſſort des Cultus-<lb/> miniſteriums geforderten Summe ſchon 155,000 fl. ausgegeben ſind, weil<lb/> die betreffenden Ausgaben auf Grund privatrechtlicher Verbindlichkeiten<lb/> gemacht werden mußten. <hi rendition="#g">Brandenburg</hi> begnügt ſich nicht mit der all-<lb/> gemeinen Verſicherung daß unter den 762,200 fl. des Cultusminiſteriums<lb/> ſich 400,000 fl. befinden die auf Grund privatrechtlicher Verbindlichkeiten<lb/> ausgegeben werden müſſen, und macht auch verſchiedene Ausſtellungen<lb/> bezüglich der für die Münchener Thierarzneiſchule geforderten 30,000 fl.<lb/> Abg. v. <hi rendition="#g">Schenk</hi> regt die Aufbeſſerung der Lehrergehalte wenigſtens für die<lb/> nächſte Finanzperiode an. 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Jm luxemburgiſchen Weiler Biourge 1785 geboren, begann<lb/> er 1806 ſeine juriſtiſche Laufbahn als Advocat in Paris, ließ ſich aber<lb/> 1818 nach der Bildung des Königreichs der Niederlande in Lüttich nieder,<lb/> wo er 1824 in die zweite Kammer der Generalſtaaten gewählt, und 1825<lb/> zum Appellationsgerichtsrath ernannt wurde. Als Deputirter gehörte er<lb/> zur gemäßigten Oppoſition und, obgleich der ſtreng katholiſchen Richtung<lb/> angehörend, trat er den Unionsbeſtrebungen bei welche die Revolution<lb/> vorbereiteten. Nach dem Ausbruch der letzteren wurde er in die Verfaſ-<lb/> ſungscommiſſion und in den Nationalcongreß gewählt, wo er gegen die<lb/> Ausſchließung der oraniſchen Dynaſtie ſtimmte. Nach der Ernennung<lb/> Surlet de Chokier’s zum Regenten Belgiens, wurde Gerlache Präſident<lb/> des Congreſſes; in dieſer Eigenſchaft nahm er im Juli 1831 Leopold <hi rendition="#aq">I</hi> den<lb/> Eid auf die Verfaſſung ab. Sowohl im erſten Miniſterium der Regent-<lb/> ſchaft, als in dem des Königs präſidirte er ohne Portefeuille dem Miniſter-<lb/> rath. Auch bei dem erſten Landtag 1831 bis 32 hatte er den Vorſitz.<lb/> Baron de Gerlache hat ſich gleichfalls als hiſtoriſcher Schriftſteller bemerk-<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [772/0012]
wegung feſthalten und fortbilden, als bereits die Reaction durch das Mi-
niſterium Dalwigk ihren Einzug gehalten. Das verzieh dieſes nicht; die
Bureaukratie wollte ihre Macht beweiſen, und was kümmert ſie die Blüthe
der Univerſität? Was bedurfte es der Philoſophie und Literatur um ge-
fügige Beamte zu erziehen? Hillebrand ward aus ſeinem beſten Wirken
durch die Penſionirung 1850 herausgeriſſen. Bald darauf verließen Liebig,
Biſchoff, Kopp, G. Bauer, Ihering und andere die Univerſität, welche
früher in dem Zuſammenwirken ſolcher Männer ein Anziehungspunkt für
die auswärtigen Kräfte geweſen war.
Die Stadt Mainz wählte Hillebrand zum Deputirten, aber wer es
noch nicht wußte, der lernte es jetzt durch die Erfahrung: daß in der Klein-
ſtaaterei die Freiheit nicht geſichert war, daß wir vor allem ein Volk und
Staat werden mußten; ex unitate libertas! Hillebrand wollte wenig-
ſtens retten was zu retten war, er mühte in vergeblichem Kampfe ſich ab,
und zog ſich dann nach Rödelheim, nach Soden zurück, wo er ohne die An-
regung der Univerſität und der aufſtrebenden Jugend wohl allzu früh ein
bloß beſchauliches Leben führte und auch nicht mehr in die Literatur mit
ſeinem geiſtvollen Wort eingreifen mochte. Aber er bewahrte dem voran-
ſchreitenden Leben ſeine warme Theilnahme. Und ſo war es ihm vergönnt
den Sieg des deutſchen Geiſtes und der deutſchen Waffen in der Grün-
dung des nationalen Staats mitanzuſehen, und er konnte mit dem Bewußt-
ſein ſcheiden daß auch er einen guten Kampf gekämpft und dem Ideal der
Jugend die Treue bewahrt habe.
Neueſte Poſten.
⊥ München, 14 Febr. Sitzung der Kammer der Abgeord-
neten. Am Miniſtertiſche ſämmtliche Miniſter. Der den Vorſitz führende
zweite Präſident Graf Seinsheim gibt das kgl. Reſcript bekannt welches
den Landtag bis zum 15 d. M. verlängert, widmet dem inzwiſchen ver-
ſtorbenen Abgg. Nonkarz einen ehrenden Nachruf, bemerkt ferner daß an
Stelle der verſtorbenen, reſp. ausgetretenen Abg. Ronkarz, F. X. Schmid,
Wiesnet, Engelb. Weiß, v. Freyberg und Häring die Erſatzmänner ein-
berufen wurden. Von dieſen iſt Bürgermeiſter Spukner von Kemnath und
Prof. Daller anweſend, die beide beeidigt wurden. Die Kammer geneh-
migt ſodann das Austrittsgeſuch des Abg. Höchſtätter. Der Präſident
bringt zur Kenntniß der Kammer daß das Juſtizminiſterium die Reviſion
des Strafproceſſes zurückgezogen, das Handelsminiſterium zwei Geſetzent-
würfe (über Erbauung der Vicinalbahn von Holzkirchen nach Tölz und
Legung eines Doppelgeleiſes auf der Bahnlinie Unterſteinach-Neumarkt-Hof)
vorgelegt hat. Mit Bezug auf Art. 4 der Reichsverfaſſung haben die Abg.
Adler und Genoſſen ihren Antrag auf Einführung von Lagerſcheinen ꝛc. zurück-
gezogen. Hierauf erhielt das Wort der k. Staatsminiſter v. Lutz, um die
Interpellation des Abg. Mahr wegen der Jeſuitenmiſſionen zu beantworten.
Der Hr. Miniſter führte zuvörderſt im allgemeinen aus daß die beſtehenden
Vorſchriften, welche die jetzige Regierung aufrecht erhält, aus Abneigung
der damaligen Regierung gegen die Jeſuiten entſprungen ſeien. Der
Miniſter verweist auf die Regierung König Ludwigs I, insbeſondere zur
Zeit des Miniſteriums Abel, welcher, obwohl doch ganz gewiß der katyo-
liſchen Kirche ſehr gewogen, die Erlaubniß zur Gründung von Jeſuiten-
klöſtern oder zur Berufung von Jeſuiten zu ſeelſorgerlichen Zwecken nie
ertheilen wollte, da er nur ſolche Orden welche von jeher von allen politi-
ſchen Tendenzen ſich ferngehalten, in Bayern haben wollte. Selbſt Miſ-
ſionen anderer Orden ließ König Ludwig I, wegen der dabei ſich heraus-
ſtellenden Mißſtände, nur ausnahmsweiſe zu. Die Miniſterialentſchlie-
ßungen von 1851 und 1852, über welche ſich der Abg. Mahr beſchwere,
ſeien aber nicht einmal ſo weit gegangen, indem ſie Jeſuitenmiſſionen nicht
abſolut ausſchließen, ſondern bedingungsweiſe erlauben, und die Praxis
ergebe daß in den letzten 19 Jahren jährlich im Durchſchnitt 7 Jeſuiten-
miſſionen abgehalten wurden, und daß die Fälle in welchen ſie nicht bewilligt
wurden die weitaus kleinere Zahl bilden. Da der Interpellant ſich über
das unbehinderte Auftreten freireligiöſer Prediger beſchwert hatte, ſo gab
der Miniſter zu daß allerdings die anerkannten Kirchen in Bayern gewiſſen
Beſchränkungen durch die Staatsgewalt unterworfen ſind, dafür aber
auch eine Reihe von weit bedeutenderen Vorrechten genießen, welche
den nicht anerkannten Religionsgeſellſchaften nicht zuſtehen, während
letztere eben im allgemeinen wie jede andere Privatgeſellſchaft be-
handelt werden. Wolle man abſolute Gleichheit in dieſer Beziehung,
dann müſſe man conſequent völlige Trennung der Kirche vom Staat
verlangen; damit werde aber der weitaus größte Theil des katholiſchen
Volkes nicht einverſtanden ſein. Der Miniſter legte dann dar daß die
vom Interpellanten angefochtenen Miniſterial-Entſchließungen nicht bloß
innerhalb der Verfaſſung ſich halten, ſondern ſogar von dem durch dieſe der
Regierung eingeräumten Rechte des Verbietens außerordentlicher Kirchen-
feierlichkeiten noch einen ſehr milden Gebrauch machten. Deßhalb beant-
worte er die ſämmtlichen vom Interpellanten geſtellten Anfragen (ob die
Regierung die bezeichneten Entſchließungen aufheben, und Miſſionen die
von den kirchlichen Obern gewünſcht werden, fortan kein Hinderniß
in den Weg legen werde) mit „Nein!“ Abg. Mahr hievon nicht befrie-
digt, behält ſich weiteren Antrag vor. Abg. Frhr. v. Stauffenberg
erſtattet ſodann kurzen Vortrag über den Geſetzentwurf welcher die metri-
ſchen Maße in das dießrheiniſche Malzaufſchlagsweſen vom 1 Jan. 1872
einführen ſoll, und empfiehlt deſſen Annahme mit der von der Staatsregie-
rung nachträglich vorgeſchlagenen Modification zu Art. 1, welche dann
auch einſtimmig (142 Votanten) erfolgte. An die Reihe kam hierauf der
Entwurf eines Finanzgeſetzes für die X. Finanzperiode (1870 und 1871),
worüber Abg. G. F. Kolb Namens des zweiten Ausſchuſſes kurz Vortrag
erſtattete. Finanzminiſter v. Pfretzſchner erklärte Namens der Re-
gierung, wie ſchon im Ausſchuß, daß auch beim Vollzug des gegenwärtigen
Geſetzes die Staatsregierung die bei den Ausſchußberathungen von ihr zu-
geſtandenen Ermäßigungen des Etatsgeſetzes als für ſich maßgebend er-
achte. Abg. Greil: Er bedauere den gegenwärtigen Zuſtand, der eine ſo ab-
norme Erledigung des Budgets nöthig mache, müſſe aber erläutern wie
es ſo gekommen ſei. Gleich beim Wiederzuſammentritt der Kammer am
10 December habe er die Vollendung der Ausſchußberathungen über das
Budget betrieben; aus welchem Grunde darauf nicht eingegangen worden
wiſſe er nicht, wohl aber daß die Budgetberathung auch im Plenum jetzt
ſchon ganz gut beendet ſein könnte, wenn damals ſeiner Anregung ſtattge-
geben worden wäre. Abg. Dr. Völk weist an dem ſchleppenden Gang
der dießmaligen Budgetarbeiten nach, wie nothwendig die von ihm und
ſeinen Freunden beantragte Verbeſſerung der Geſchäftsordnung ſei:
bei dieſer Geſchäftsordnung werde man ſelbſt bei angeſtrengteſter Arbeit
nie ein Budget rechtzeitig fertig bringen. Er frage daher die königliche
Staatsregierung weßhalb ſie, trotz der Anträge beider Kammern, nichts ge-
than habe der Kammer in dieſer Richtung die verlangte Vorlage zu machen?
Der Miniſter des Innern v. Braun erklärt daß der Entwurf bereits aus-
gearbeitet ſei und dem nächſten Landtag werde vorgelegt werden. Abg.
Kolb: Er wiſſe zwar nicht was den früheren Vorſtand des Ausſchuſſes
bewog Greils Anregung nicht ſtatt zu geben, er glaube aber es
ſei geſchehen weil damals wichtige Ereigniſſe alles in Spannung
hielten. Hiemit iſt die allgemeine Discuſſion geſchloſſen. In der
ſpeciellen Discuſſion werden §§. 1—5 des vom Ausſchuß in Ueberein-
ſtimmung mit dem k. Staatsminiſter der Finanzen entworfenen Finanz-
geſetzes ohne Debatte angenommen. Zu §. 6 wurde ein Antrag der Abgg.
Grafen v. Fugger-Blumenthal und Ponſchab angenommen: für einen
Landgerichts-Neubau in Schrobenhauſen noch 28,000 fl. einzuſtellen.
Miniſter v. Lutz erklärt: daß von der für Neubauten im Reſſort des Cultus-
miniſteriums geforderten Summe ſchon 155,000 fl. ausgegeben ſind, weil
die betreffenden Ausgaben auf Grund privatrechtlicher Verbindlichkeiten
gemacht werden mußten. Brandenburg begnügt ſich nicht mit der all-
gemeinen Verſicherung daß unter den 762,200 fl. des Cultusminiſteriums
ſich 400,000 fl. befinden die auf Grund privatrechtlicher Verbindlichkeiten
ausgegeben werden müſſen, und macht auch verſchiedene Ausſtellungen
bezüglich der für die Münchener Thierarzneiſchule geforderten 30,000 fl.
Abg. v. Schenk regt die Aufbeſſerung der Lehrergehalte wenigſtens für die
nächſte Finanzperiode an. Miniſter v. Lutz ſagt eine entſprechende Berückſich-
tigung der Lehrer bei Aufſtellung des künftigen Budgets zu; daß in dieſer Pe-
riode nichts geſchehen konnte, bedauere er ſehr. Auf Antrag des Abg. Eckert,
die für den Bau einer Straße von der neuen Brücke in Bamberg zum Bahnhof
eingeſetzten 40,000 fl. zu ſtreichen, gieng die Kammer nach einer längeren
Debatte mit 67 gegen 67 Stimmen ein, indem bei Stimmengleichheit die
mindere Summe als genehmigt erſchien. Der Antrag bezüglich des Land-
gerichtsgebäudes in Schrobenhauſen wurde mit 71 gegen 63 Stimmen an-
genommen. Der Antrag des Abg. Brandenburg, die 30,000 fl. für die Cen-
tralthierarzneiſchule zu ſtreichen, wurde abgelehnt. Mit Ausnahme der
genannten Poſitionen wurde §. 6 unverändert angenommen. Fortſetzung
der Berathung über das Finanzgeſetz morgen.
✺ Bruffel, 12 Febr. Geſtern ſtarb dahier im 86ſten Jahr ein vor
und nach der Revolution von 1830 vielgenannter belgiſcher Staatsmann,
Baron v. Gerlache. Seine politiſche Thätigkeit endigte ſchon 1832, wo
er zum Präſidenten des Caſſationshofs ernannt wurde, welche Stellung
er bis zu ſeiner Quieſcirung im Jahre 1869 bekleidete. Nur 1839 war
er für kurze Zeit wieder auf die politiſche Schaubühne getreten, indem er
damals den Auftrag übernahm bei der Londoner Conferenz die Vorſchläge
zu einer pecuniären Ausgleichung des Territorialſtreits mit Holland zu
vertheidigen. Jm luxemburgiſchen Weiler Biourge 1785 geboren, begann
er 1806 ſeine juriſtiſche Laufbahn als Advocat in Paris, ließ ſich aber
1818 nach der Bildung des Königreichs der Niederlande in Lüttich nieder,
wo er 1824 in die zweite Kammer der Generalſtaaten gewählt, und 1825
zum Appellationsgerichtsrath ernannt wurde. Als Deputirter gehörte er
zur gemäßigten Oppoſition und, obgleich der ſtreng katholiſchen Richtung
angehörend, trat er den Unionsbeſtrebungen bei welche die Revolution
vorbereiteten. Nach dem Ausbruch der letzteren wurde er in die Verfaſ-
ſungscommiſſion und in den Nationalcongreß gewählt, wo er gegen die
Ausſchließung der oraniſchen Dynaſtie ſtimmte. Nach der Ernennung
Surlet de Chokier’s zum Regenten Belgiens, wurde Gerlache Präſident
des Congreſſes; in dieſer Eigenſchaft nahm er im Juli 1831 Leopold I den
Eid auf die Verfaſſung ab. Sowohl im erſten Miniſterium der Regent-
ſchaft, als in dem des Königs präſidirte er ohne Portefeuille dem Miniſter-
rath. Auch bei dem erſten Landtag 1831 bis 32 hatte er den Vorſitz.
Baron de Gerlache hat ſich gleichfalls als hiſtoriſcher Schriftſteller bemerk-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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