Allgemeine Zeitung, Nr. 46, 15. Februar 1871.[Spaltenumbruch]
unter französischen Unterofficieren, und sowohl im Einzelnen als Ganzen * Hr. v. Wickede schildert in der "Köln. Ztg." herzzerreißende Scenen "Mit dem Der Commandant von Langres hat bekanntlich Einspruch gegen Die Capitulationsconvention der Festung Longwy ist bisher in der "Der unterzeichnete Befehlshaber [Spaltenumbruch]
unter franzöſiſchen Unterofficieren, und ſowohl im Einzelnen als Ganzen * Hr. v. Wickede ſchildert in der „Köln. Ztg.“ herzzerreißende Scenen „Mit dem Der Commandant von Langres hat bekanntlich Einſpruch gegen Die Capitulationsconvention der Feſtung Longwy iſt bisher in der „Der unterzeichnete Befehlshaber <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0019" n="779"/><cb/> unter franzöſiſchen Unterofficieren, und ſowohl im Einzelnen als Ganzen<lb/> unter eidgenöſſiſchen Befehl geſtellt; die Officiere ohne Zuſammenhang<lb/> mit der Mannſchaft, jene auf Ehrenwort, dieſe überwacht; alle wohl ge-<lb/> nährt, erträglich beſoldet, neu beſchuht, mit Leibwäſche verſehen, mit<lb/> Ober- und Unterkleidern für die Winterszeit ausgerüſtet; mehr als 6000<lb/> Verwundete und Kranke in guten und reinlichen Betten unter der Pflege<lb/> der ſchweizeriſchen Aerzte. — Woher die Verſchiedenheit jener Zahl gegen<lb/> die ſechzigtauſend und einige Hunderte welche ich Ihnen nach den amtlichen<lb/> Aufnahmen meldete? Weil viele Tauſende aus der Umgegend militäriſche<lb/> Abzeichen nahmen und ſich dem franzöſiſchen Heer anſchloſſen, um dem<lb/> Hungertode zu entgehen. Dieſe flüchteten dann mit den Gaben an Geld,<lb/> Schuhen und Lebensmitteln wieder nach Hauſe, und zeigten auch andern<lb/> ihrer Volksgenoſſen die Heimwege nach Frankreich. Das Wachtdienſtper-<lb/> ſonal genügte z. B. bei Balaigues nicht, wo ein Bataillon Schweizer fünf-<lb/> undzwanzigtauſend Mann entwaffnen mußte. — Die Klagen über zwei<lb/> Drittheile der Officiere und die Mehrzahl der franzöſiſchen Aerzte ertönen<lb/> noch immer fort: haben Sie einen Begriff davon daß, während die männ-<lb/> liche und weibliche Bevölkerung der Schweiz bis in die tiefe Nacht arbeitet,<lb/> kocht und Lager hereitet für die Kranken und Verwundeten, dieſe franzöſi-<lb/> ſchen Aerzte Mühewaltung und Praxis ablehnen, mit der Ausrede: „Wir<lb/> haben ſeit der Internirung keinen Dienſt mehr.“ Wenn der Gerechte ſich<lb/> des Viehs, ſeines Viehs wenigſtens erbarmt, ſo mußten den franzöſiſchen<lb/> Pferden andere, d. h. die Schweizer helfen; denn die Bourbakiner trugen<lb/> den verhungernden Thieren das Heu und den Hafer nicht eine Strecke von<lb/> zwanzig Minuten weit! Daneben liegt uns die Ernährung der Nachbarn<lb/> ob; ſeit eben dem Verhandlungstag zwiſchen Sieber und Clinchant (Kaiſer<lb/> Karlstag) 28 Jan., wo unſere erſten ſechs zweiſpännigen Wagen nach Mont-<lb/> b<hi rendition="#aq">é</hi>liard abgiengen, ſenden wir in ſteigemdem Grade für die unglückſelige Be-<lb/> völkerung täglich Brod, Neis, Fleiſch und Branntwein; wir empfehlen dieſe<lb/> Aermſten dem Mitleiden Deutſchlands, welches ſich in den wackern<lb/> Wieſenthalern hülfreich erwies.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>* Hr. v. Wickede ſchildert in der „Köln. Ztg.“ herzzerreißende Scenen<lb/> aus der Umgegend von <hi rendition="#b">Montb<hi rendition="#aq">é</hi>ltard,</hi> die er etwa eine Woche nach dem<lb/> Rückzuge Bourbaki’s beſuchte. Wir entnehmen dieſem Berichte:</p> <cit> <quote>„Mit dem<lb/> äußerſten Muthe der Verzweiflung haben die franzöſiſchen Soldaten gegen<lb/> unſere Batterien angeſtürmt, und die Hälfte von ihnen iſt ſtets gefallen<lb/> geweſen, bevor die andern ſich zum Rückzug entſchloſſen. Wir haben in<lb/> allen dieſen Kämpfen hier, bei denen unſere Artillerie ſtets den Haupt-<lb/> ausſchlag gab, verhältnißmäßig nur ſehr geringe Verluſte gehabt; die<lb/> franzöſiſchen Todten und Verwundeten zählen aber nach vielen Tauſenden.<lb/> Und nun denke man ſich das Schickſal dieſer armen Opfer des Krieges, die<lb/> ohne Aerzte, Hoſpitaleinrichtungen, Verpflegung, hülflos in eiſig kalter<lb/> Winterzeit dort liegen bleiben mußten wo ſie gerade gefallen waren. Die<lb/> deutſchen Aerzte und Krankenpfleger haben jetzt gethan was in ihren<lb/> Kräften ſtand um ſich auch der Franzoſen anzunehmen, allein es gieng<lb/> nicht, deren Zahl war zu groß, ihre Hülfe aber war wie ein Tropfen<lb/> Waſſer auf einen heißen Stein. Unſere eigenen nachrückenden Truppen<lb/> litten in dieſen vollſtändig verheerten Gegenden ſelbſt ſchon Mangel, und<lb/> man hat zuletzt abſichtlich keine franzöſiſchen Gefangenen mehr gemacht,<lb/> weil man keine Möglichkeit mehr ſah ſolche auch nur halbwegs zu ernähren.<lb/> Da ſind viele Hunderte von franzöſiſchen Verwundeten und Marodeurs<lb/> elend aus Kälte und Hunger und Mangel an jeglicher Hülfe zu Grunde<lb/> gegangen, und ſelbſt bei dem Rückzug aus Rußland kann es nicht grauſiger<lb/> geweſen ſein als es jetzt hier iſt. Unbegrabene bereits in Fäulniß über-<lb/> gegangene Leichen liegen in den Gebüſchen noch zahllos umher, und mir<lb/> wurde zuletzt faſt übel, ſo wirkte dieſe Atmoſphäre der Verweſung und<lb/> Fäulniß, die ich unaufhörlich einathmete, auf mich ein. Was die menſch-<lb/> liche Natur aber auszuhalten vermag, davon erlebte ich hier ein rechtes<lb/> Beiſpiel. Unweit Montb<hi rendition="#aq">é</hi>liard fanden mein Begleiter, ein badiſcher Arzt,<lb/> und ich in einem total zuſammengeſchoſſenen Häuschen 7 bis 8 todte<lb/> Franzoſen liegen, die alle ſchon in die größte Verweſung übergegangen<lb/> waren. Und mitten zwiſchen ihnen lag ein noch lebender Verwundeter,<lb/> der mit ſchwacher Stimme um Hülfe wimmerte. Wir zogen den Unglück-<lb/> lichen mit Mühe zwiſchen allen dieſen Leichen hervor und trugen ihn in<lb/> das Freie. Es war ein blutjunges Bürſchlein von kaum 17 Jahren, ein<lb/> Student aus Avignon, wie er uns mit ſchwacher Stimme erzählte. Eine<lb/> preußiſche Granate hatte ihm beide Füße unterhalb des Kniees arg zer-<lb/> riſſen. In dieſer Lage hatte er ſieben, ſage ſieben volle Tage, ohne verbunden<lb/> zu ſein, ohne Speiſe und Trank, gänzlich hülflos und verlaſſen zwiſchen<lb/> allen dieſen Leichen hier in dieſem Häuschen gelegen. Er hatte ſich ſeine<lb/> Wunden ſelbſt mit Fetzen von Uniformſtücken verbunden, und die Kälte<lb/> hatte das Verbluten verhindert. Auf dem Bauche rutſchend, war er müh-<lb/> ſam in der Kammer umhergekrochen und hatte in den Taſchen der Leichen<lb/> noch einige harte Zwiebackkrumen gefunden, die ihm als Nahrung dienten,<lb/> während er ſeinen brennenden Durſt mit dem Schnee ſtillte, der durch die<lb/> zertrümmerten Fenſter reichlich fiel. So hatte er eine volle Woche, wie<lb/> er uns mit kaum vernehmbarer Stimme mittheilte, zugebracht. Man hat<lb/> den Unglücklichen jetzt in die Schweiz transportirt, und der Arzt meint: es<lb/> ſei möglich daß er noch gerettet werden könne. — Das Fleiſch gefallener<lb/> Pferde bildet jetzt die beſte Nahrung der Einwohner in allen dieſen Ge-<lb/><cb/> genden, ſo viel überhaupt noch davon vorhanden ſind, und ich ſah ſelbſt<lb/> daß ein Haufe halbverhungerter Frauen wie ein Rudel gieriger Wölfe<lb/> über ein am Wege liegendes todtes Pferd, das bei dem plötzlich eingetre-<lb/> tenen Thauwetter ſchon zu riechen anfieng, herſtürzte, das Fleiſch mit<lb/> allen möglichen ſcharfen Inſtrumenten auseinander riß, und es nun ſo, wie<lb/> es war, heißhungrig verſchlang. Man hat mir erzählt, doch will ich<lb/> dieß nicht verbürgen, daß die Leute ſchon aus Hunger Menſchenfleiſch ge-<lb/> geſſen haben. Es iſt alles ſo grauſig und gräßlich hier, daß jede Beſchrei-<lb/> bung doch nicht das erreicht was man ſtündlich ſehen muß. Es iſt dieß<lb/> der achte Feldzug dem ich beiwohne, aber weder in Algerien noch im Orient,<lb/> in Italien oder Böhmen, noch gar in Schleswig-Holſtein ſah ich jemals<lb/> die Hälfte von dem Elend das meine Augen in den letzten 24 Stunden<lb/> faſt unausgeſetzt ſehen mußten. Wer dieſe Scenen alle mit durchgemacht<lb/> hat und den Krieg nicht verflucht, und für ſich den Schwur thut alles und<lb/> jegliches Mittel, das nur immerhin in ſeinen Kräften ſteht, anzuwenden<lb/> daß die Kriege fernerhin zu den Unmöglichkeiten gehören, der trägt ſtatt<lb/> des menſchlich fühlenden Herzens bloß einen Fleiſchklumpen in ſeiner Bruſt,<lb/> und wenn er ſich einen Chriſten zu nennen wagt, ſo ſchändet er dieſen<lb/> hohen Namen.“</quote> </cit> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Der Commandant von <hi rendition="#b">Langres</hi> hat bekanntlich Einſpruch gegen<lb/> den Waffenſtillſtand erhoben, und Beſtätigung der ihm von deutſcher Seite<lb/> gemachten Anzeige durch eine chiffrirte Depeſche der Pariſer Regierung<lb/> verlangt. Es wird der „National-Zeitung“ darüber folgendes nähere ge-<lb/> ſchrieben: <hi rendition="#g">Chaumont,</hi> 2 Febr. Seit zwei Tagen glaubten wir uns der<lb/> Waffenruhe erfreuen zu können. Aber heut’ iſt uns durch einen von hier<lb/> abgeſandten Parlamentär die Anzeige des Commandanten von Langres<lb/> geworden daß er ſich in den Waffenſtillſtand nicht einbegriffen erachte, da<lb/> er über bedeutende Truppenmaſſen verfüge. Und zwar ſoll er die Zahl<lb/> auf etwa 20,000 Mann angegeben haben, was kaum übertrieben ſein<lb/> mag; denn es iſt Thatſache daß die Stellung der verheiratheten Leute bis<lb/> zu 40 Jahren in Folge der letzten „Lev<hi rendition="#aq">é</hi>e“ in Langres äußerſt umfangreich<lb/> geweſen iſt. Es ſtehen franzöſiſcherſeits von Langres her allein an 2000<lb/> Mann gegen Chaumont auf Vorpoſten. Danach würde im Departement<lb/> der Haute Marne der Krieg vorläufig ſeinen Lauf nehmen. In Langres<lb/> commandirt ſeit Arbelots Rücktritt der General Mey<hi rendition="#aq">è</hi>re, ein fanatiſcher<lb/> Republicaner, deſſen unausgeſetzte Wirkſamkeit im ganzen Departement,<lb/> ſelbſt in den von uns beſetzten Theilen, nicht zu verkennen iſt. Feldge-<lb/> ſchütze ſind bei Langres nur wenige. Von dem zahlreichen Feſtungsge-<lb/> ſchütz ſoll aber keines über 800 Meter weit tragen. — Am 28 Jan.<lb/> haben Huſaren des 4. Reſerveregiments die Feldpoſt von Langres nach St.<lb/> Diziers, Ave, Chaumont ꝛc. abgefangen. Briefe von größerer Wichtigkeit<lb/> waren allerdings nicht darunter; aber es geht aus ihnen hervor daß ſich<lb/> nahe an 3000 Garibaldiner in Langres befinden, deren Aufgabe es ſein<lb/> ſoll gegen Chaumont zu operiren. Außerdem erzählen dieſe Briefe daß<lb/> die Straßen der Feſtung vom Jammer der Frauen erfüllt ſeien die ihren<lb/> in großer Zahl einberufenen Männern folgten. Ferner wird erzählt daß<lb/> bis zum 1 Jan. 1600 Mann der Beſatzung an den Pocken geſtorben ſeien.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Die Capitulationsconvention der Feſtung <hi rendition="#b">Longwy</hi> iſt bisher in der<lb/> deutſchen Preſſe nicht vollſtändig zur Oeffentlichkeit gelangt. So möge<lb/> ſie noch nachträglich hier Platz finden:</p> <floatingText> <body> <div n="1"> <p>„Der unterzeichnete Befehlshaber<lb/> des Belagerungscorps vor Longwy, Oberſt v. Krenski, ſchließt mit dem<lb/> unterzeichneten Commandanten, Oberſtlieutenant Maſſaroli, in Folge der<lb/> ihm von demſelben gemachten Eröffnung und angeſichts der tapfern mit<lb/> großer Energie geleiteten Vertheidigung der Feſtungsbeſatzung gegen eine<lb/> überlegene Macht nachſtehende Capitulation ab: Art. 1. Am 25 Jan.<lb/> 1871 um 12 Uhr Mittags verläßt die Garniſon von Longwy die Feſtung<lb/> und ſämmtliche dazu gehörige Werke ohne Waffen, und marſchiert durch die<lb/> Porte de France nach dem Glacis vor der Baſtion <hi rendition="#aq">VI.</hi> Gleichzeitig wird<lb/> von den preußiſchen Truppen die Porte de France und die Porte de Bour-<lb/> gogne beſetzt. Die mit Beaufſichtigung der Zeughäuſer und Magazine jeder<lb/> Art beauftragten franzöſiſchen Officiere und Beamten verbleiben in der<lb/> Feſtung zur unmittelbaren Uebergabe der Beſtände an die betreffenden<lb/> preußiſchen Officiere und Beamten. Art. 2. Die geſammte Garniſon mit<lb/> alleiniger Ausnahme der aus Einwohnern der Stadt Longwy beſtehenden<lb/> Nationalgarde und der Pompiers iſt kriegsgefangen, und wird ſofort nach<lb/> Deutſchland abmarſchieren. Den Officieren iſt, unter der Bedingung daß ſie<lb/> ſich auf Ehrenwort verpflichten Longwy nicht zu verlaſſen, geſtattet vom<lb/> Glacis der Baſtion <hi rendition="#aq">VI</hi> zur Regelung ihrer Privatverhältniſſe nochmals<lb/> nach der Feſtung zurückzukehren. Art. 3. Der unterzeichnete Feſtungs-<lb/> commandant verpflichtet ſich jeden Entweichungsverſuch von Officieren<lb/> und Mannſchaften bis zum Ausmarſch der Garniſon zu verhindern. Die<lb/> bei derartigen Verſuchen Betroffenen ſind von der Capitulation ausge-<lb/> ſchloſſen. Die Militärärzte und das geſammte Hoſpitalperſonal werden der<lb/> Genfer Convention gemäß behandelt. Art. 4. Die Mannſchaften behal-<lb/> ten ihr Gepäck, die Officiere ihr Privateigenthum jeder Art, ſowie ihre<lb/> Diener. Das zurückbleibende Privateigenthum der Officiere wird ſicher<lb/> geſtellt. Art. 5. Der unterzeichnete Feſtungscommandant verpflichtet ſich<lb/> ausdrücklich die Fortificationen, ſämmtliches Kriegsmaterial, Pferde,<lb/> Fahnen und Vorräthe aller Art, ſowie ſämmtliche Staatscaſſen genau in<lb/> demſelben Zuſtand übergeben zu laſſen in welchem ſie ſich gegenwärtig<lb/> befinden. Die während der Belagerung den preußiſchen Truppen abge-<lb/> nommenen Pferde ſind <hi rendition="#aq">in natura</hi> zurückzugeben oder mit <hi rendition="#aq">à</hi> 1000 Fr. zu<lb/> vergüten. 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unter franzöſiſchen Unterofficieren, und ſowohl im Einzelnen als Ganzen
unter eidgenöſſiſchen Befehl geſtellt; die Officiere ohne Zuſammenhang
mit der Mannſchaft, jene auf Ehrenwort, dieſe überwacht; alle wohl ge-
nährt, erträglich beſoldet, neu beſchuht, mit Leibwäſche verſehen, mit
Ober- und Unterkleidern für die Winterszeit ausgerüſtet; mehr als 6000
Verwundete und Kranke in guten und reinlichen Betten unter der Pflege
der ſchweizeriſchen Aerzte. — Woher die Verſchiedenheit jener Zahl gegen
die ſechzigtauſend und einige Hunderte welche ich Ihnen nach den amtlichen
Aufnahmen meldete? Weil viele Tauſende aus der Umgegend militäriſche
Abzeichen nahmen und ſich dem franzöſiſchen Heer anſchloſſen, um dem
Hungertode zu entgehen. Dieſe flüchteten dann mit den Gaben an Geld,
Schuhen und Lebensmitteln wieder nach Hauſe, und zeigten auch andern
ihrer Volksgenoſſen die Heimwege nach Frankreich. Das Wachtdienſtper-
ſonal genügte z. B. bei Balaigues nicht, wo ein Bataillon Schweizer fünf-
undzwanzigtauſend Mann entwaffnen mußte. — Die Klagen über zwei
Drittheile der Officiere und die Mehrzahl der franzöſiſchen Aerzte ertönen
noch immer fort: haben Sie einen Begriff davon daß, während die männ-
liche und weibliche Bevölkerung der Schweiz bis in die tiefe Nacht arbeitet,
kocht und Lager hereitet für die Kranken und Verwundeten, dieſe franzöſi-
ſchen Aerzte Mühewaltung und Praxis ablehnen, mit der Ausrede: „Wir
haben ſeit der Internirung keinen Dienſt mehr.“ Wenn der Gerechte ſich
des Viehs, ſeines Viehs wenigſtens erbarmt, ſo mußten den franzöſiſchen
Pferden andere, d. h. die Schweizer helfen; denn die Bourbakiner trugen
den verhungernden Thieren das Heu und den Hafer nicht eine Strecke von
zwanzig Minuten weit! Daneben liegt uns die Ernährung der Nachbarn
ob; ſeit eben dem Verhandlungstag zwiſchen Sieber und Clinchant (Kaiſer
Karlstag) 28 Jan., wo unſere erſten ſechs zweiſpännigen Wagen nach Mont-
béliard abgiengen, ſenden wir in ſteigemdem Grade für die unglückſelige Be-
völkerung täglich Brod, Neis, Fleiſch und Branntwein; wir empfehlen dieſe
Aermſten dem Mitleiden Deutſchlands, welches ſich in den wackern
Wieſenthalern hülfreich erwies.
* Hr. v. Wickede ſchildert in der „Köln. Ztg.“ herzzerreißende Scenen
aus der Umgegend von Montbéltard, die er etwa eine Woche nach dem
Rückzuge Bourbaki’s beſuchte. Wir entnehmen dieſem Berichte:
„Mit dem
äußerſten Muthe der Verzweiflung haben die franzöſiſchen Soldaten gegen
unſere Batterien angeſtürmt, und die Hälfte von ihnen iſt ſtets gefallen
geweſen, bevor die andern ſich zum Rückzug entſchloſſen. Wir haben in
allen dieſen Kämpfen hier, bei denen unſere Artillerie ſtets den Haupt-
ausſchlag gab, verhältnißmäßig nur ſehr geringe Verluſte gehabt; die
franzöſiſchen Todten und Verwundeten zählen aber nach vielen Tauſenden.
Und nun denke man ſich das Schickſal dieſer armen Opfer des Krieges, die
ohne Aerzte, Hoſpitaleinrichtungen, Verpflegung, hülflos in eiſig kalter
Winterzeit dort liegen bleiben mußten wo ſie gerade gefallen waren. Die
deutſchen Aerzte und Krankenpfleger haben jetzt gethan was in ihren
Kräften ſtand um ſich auch der Franzoſen anzunehmen, allein es gieng
nicht, deren Zahl war zu groß, ihre Hülfe aber war wie ein Tropfen
Waſſer auf einen heißen Stein. Unſere eigenen nachrückenden Truppen
litten in dieſen vollſtändig verheerten Gegenden ſelbſt ſchon Mangel, und
man hat zuletzt abſichtlich keine franzöſiſchen Gefangenen mehr gemacht,
weil man keine Möglichkeit mehr ſah ſolche auch nur halbwegs zu ernähren.
Da ſind viele Hunderte von franzöſiſchen Verwundeten und Marodeurs
elend aus Kälte und Hunger und Mangel an jeglicher Hülfe zu Grunde
gegangen, und ſelbſt bei dem Rückzug aus Rußland kann es nicht grauſiger
geweſen ſein als es jetzt hier iſt. Unbegrabene bereits in Fäulniß über-
gegangene Leichen liegen in den Gebüſchen noch zahllos umher, und mir
wurde zuletzt faſt übel, ſo wirkte dieſe Atmoſphäre der Verweſung und
Fäulniß, die ich unaufhörlich einathmete, auf mich ein. Was die menſch-
liche Natur aber auszuhalten vermag, davon erlebte ich hier ein rechtes
Beiſpiel. Unweit Montbéliard fanden mein Begleiter, ein badiſcher Arzt,
und ich in einem total zuſammengeſchoſſenen Häuschen 7 bis 8 todte
Franzoſen liegen, die alle ſchon in die größte Verweſung übergegangen
waren. Und mitten zwiſchen ihnen lag ein noch lebender Verwundeter,
der mit ſchwacher Stimme um Hülfe wimmerte. Wir zogen den Unglück-
lichen mit Mühe zwiſchen allen dieſen Leichen hervor und trugen ihn in
das Freie. Es war ein blutjunges Bürſchlein von kaum 17 Jahren, ein
Student aus Avignon, wie er uns mit ſchwacher Stimme erzählte. Eine
preußiſche Granate hatte ihm beide Füße unterhalb des Kniees arg zer-
riſſen. In dieſer Lage hatte er ſieben, ſage ſieben volle Tage, ohne verbunden
zu ſein, ohne Speiſe und Trank, gänzlich hülflos und verlaſſen zwiſchen
allen dieſen Leichen hier in dieſem Häuschen gelegen. Er hatte ſich ſeine
Wunden ſelbſt mit Fetzen von Uniformſtücken verbunden, und die Kälte
hatte das Verbluten verhindert. Auf dem Bauche rutſchend, war er müh-
ſam in der Kammer umhergekrochen und hatte in den Taſchen der Leichen
noch einige harte Zwiebackkrumen gefunden, die ihm als Nahrung dienten,
während er ſeinen brennenden Durſt mit dem Schnee ſtillte, der durch die
zertrümmerten Fenſter reichlich fiel. So hatte er eine volle Woche, wie
er uns mit kaum vernehmbarer Stimme mittheilte, zugebracht. Man hat
den Unglücklichen jetzt in die Schweiz transportirt, und der Arzt meint: es
ſei möglich daß er noch gerettet werden könne. — Das Fleiſch gefallener
Pferde bildet jetzt die beſte Nahrung der Einwohner in allen dieſen Ge-
genden, ſo viel überhaupt noch davon vorhanden ſind, und ich ſah ſelbſt
daß ein Haufe halbverhungerter Frauen wie ein Rudel gieriger Wölfe
über ein am Wege liegendes todtes Pferd, das bei dem plötzlich eingetre-
tenen Thauwetter ſchon zu riechen anfieng, herſtürzte, das Fleiſch mit
allen möglichen ſcharfen Inſtrumenten auseinander riß, und es nun ſo, wie
es war, heißhungrig verſchlang. Man hat mir erzählt, doch will ich
dieß nicht verbürgen, daß die Leute ſchon aus Hunger Menſchenfleiſch ge-
geſſen haben. Es iſt alles ſo grauſig und gräßlich hier, daß jede Beſchrei-
bung doch nicht das erreicht was man ſtündlich ſehen muß. Es iſt dieß
der achte Feldzug dem ich beiwohne, aber weder in Algerien noch im Orient,
in Italien oder Böhmen, noch gar in Schleswig-Holſtein ſah ich jemals
die Hälfte von dem Elend das meine Augen in den letzten 24 Stunden
faſt unausgeſetzt ſehen mußten. Wer dieſe Scenen alle mit durchgemacht
hat und den Krieg nicht verflucht, und für ſich den Schwur thut alles und
jegliches Mittel, das nur immerhin in ſeinen Kräften ſteht, anzuwenden
daß die Kriege fernerhin zu den Unmöglichkeiten gehören, der trägt ſtatt
des menſchlich fühlenden Herzens bloß einen Fleiſchklumpen in ſeiner Bruſt,
und wenn er ſich einen Chriſten zu nennen wagt, ſo ſchändet er dieſen
hohen Namen.“
Der Commandant von Langres hat bekanntlich Einſpruch gegen
den Waffenſtillſtand erhoben, und Beſtätigung der ihm von deutſcher Seite
gemachten Anzeige durch eine chiffrirte Depeſche der Pariſer Regierung
verlangt. Es wird der „National-Zeitung“ darüber folgendes nähere ge-
ſchrieben: Chaumont, 2 Febr. Seit zwei Tagen glaubten wir uns der
Waffenruhe erfreuen zu können. Aber heut’ iſt uns durch einen von hier
abgeſandten Parlamentär die Anzeige des Commandanten von Langres
geworden daß er ſich in den Waffenſtillſtand nicht einbegriffen erachte, da
er über bedeutende Truppenmaſſen verfüge. Und zwar ſoll er die Zahl
auf etwa 20,000 Mann angegeben haben, was kaum übertrieben ſein
mag; denn es iſt Thatſache daß die Stellung der verheiratheten Leute bis
zu 40 Jahren in Folge der letzten „Levée“ in Langres äußerſt umfangreich
geweſen iſt. Es ſtehen franzöſiſcherſeits von Langres her allein an 2000
Mann gegen Chaumont auf Vorpoſten. Danach würde im Departement
der Haute Marne der Krieg vorläufig ſeinen Lauf nehmen. In Langres
commandirt ſeit Arbelots Rücktritt der General Meyère, ein fanatiſcher
Republicaner, deſſen unausgeſetzte Wirkſamkeit im ganzen Departement,
ſelbſt in den von uns beſetzten Theilen, nicht zu verkennen iſt. Feldge-
ſchütze ſind bei Langres nur wenige. Von dem zahlreichen Feſtungsge-
ſchütz ſoll aber keines über 800 Meter weit tragen. — Am 28 Jan.
haben Huſaren des 4. Reſerveregiments die Feldpoſt von Langres nach St.
Diziers, Ave, Chaumont ꝛc. abgefangen. Briefe von größerer Wichtigkeit
waren allerdings nicht darunter; aber es geht aus ihnen hervor daß ſich
nahe an 3000 Garibaldiner in Langres befinden, deren Aufgabe es ſein
ſoll gegen Chaumont zu operiren. Außerdem erzählen dieſe Briefe daß
die Straßen der Feſtung vom Jammer der Frauen erfüllt ſeien die ihren
in großer Zahl einberufenen Männern folgten. Ferner wird erzählt daß
bis zum 1 Jan. 1600 Mann der Beſatzung an den Pocken geſtorben ſeien.
Die Capitulationsconvention der Feſtung Longwy iſt bisher in der
deutſchen Preſſe nicht vollſtändig zur Oeffentlichkeit gelangt. So möge
ſie noch nachträglich hier Platz finden:
„Der unterzeichnete Befehlshaber
des Belagerungscorps vor Longwy, Oberſt v. Krenski, ſchließt mit dem
unterzeichneten Commandanten, Oberſtlieutenant Maſſaroli, in Folge der
ihm von demſelben gemachten Eröffnung und angeſichts der tapfern mit
großer Energie geleiteten Vertheidigung der Feſtungsbeſatzung gegen eine
überlegene Macht nachſtehende Capitulation ab: Art. 1. Am 25 Jan.
1871 um 12 Uhr Mittags verläßt die Garniſon von Longwy die Feſtung
und ſämmtliche dazu gehörige Werke ohne Waffen, und marſchiert durch die
Porte de France nach dem Glacis vor der Baſtion VI. Gleichzeitig wird
von den preußiſchen Truppen die Porte de France und die Porte de Bour-
gogne beſetzt. Die mit Beaufſichtigung der Zeughäuſer und Magazine jeder
Art beauftragten franzöſiſchen Officiere und Beamten verbleiben in der
Feſtung zur unmittelbaren Uebergabe der Beſtände an die betreffenden
preußiſchen Officiere und Beamten. Art. 2. Die geſammte Garniſon mit
alleiniger Ausnahme der aus Einwohnern der Stadt Longwy beſtehenden
Nationalgarde und der Pompiers iſt kriegsgefangen, und wird ſofort nach
Deutſchland abmarſchieren. Den Officieren iſt, unter der Bedingung daß ſie
ſich auf Ehrenwort verpflichten Longwy nicht zu verlaſſen, geſtattet vom
Glacis der Baſtion VI zur Regelung ihrer Privatverhältniſſe nochmals
nach der Feſtung zurückzukehren. Art. 3. Der unterzeichnete Feſtungs-
commandant verpflichtet ſich jeden Entweichungsverſuch von Officieren
und Mannſchaften bis zum Ausmarſch der Garniſon zu verhindern. Die
bei derartigen Verſuchen Betroffenen ſind von der Capitulation ausge-
ſchloſſen. Die Militärärzte und das geſammte Hoſpitalperſonal werden der
Genfer Convention gemäß behandelt. Art. 4. Die Mannſchaften behal-
ten ihr Gepäck, die Officiere ihr Privateigenthum jeder Art, ſowie ihre
Diener. Das zurückbleibende Privateigenthum der Officiere wird ſicher
geſtellt. Art. 5. Der unterzeichnete Feſtungscommandant verpflichtet ſich
ausdrücklich die Fortificationen, ſämmtliches Kriegsmaterial, Pferde,
Fahnen und Vorräthe aller Art, ſowie ſämmtliche Staatscaſſen genau in
demſelben Zuſtand übergeben zu laſſen in welchem ſie ſich gegenwärtig
befinden. Die während der Belagerung den preußiſchen Truppen abge-
nommenen Pferde ſind in natura zurückzugeben oder mit à 1000 Fr. zu
vergüten. Ein Officier der Beſatzung wird dem unterzeichneten Oberſt am
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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