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Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 13. März 1848.

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[Spaltenumbruch] man denn auf geistigem Wege diese wunderlichen, unfolgerichtigen Be-
strebungen aus; bilde man sich die Idee der Gesetzherrschaft, den wah-
ren Begriff einer Republik, den wahren Begriff eines Bürgers aus;
pflege man den Sinn in dem Einzelnen, der dem Ganzen des Staats bereit-
willig Opfer bringt, der eine menschliche Besorglichkeit der bürgerlichen
Pflicht unterordnet: und man wird, im einen Falle der Republik im an-
tiken Sinne des Worts, wo der basileus eine untergeordnete Rolle svielte,
und im andern Falle der republicanischen, constitutionellen Monarchie,
wo der König den sichtbaren Mittelpunkt des Staates bildet, einen gleich
großen Dienst geleistet haben.

Wir wollen unsern Gedanken zum Schlusse noch einmal in den
Worten eines Engländers aus der Zeit der großen Staatsleute des vori-
gen Jahrhunderts sagen, jenes berühmten Unbekannten, über dessen
Staatseinsicht bis auf Lord Brougham nur eine Stimme war: "Ich
kann, sagen die Briefe von Junius, bereitwilliger den freien Geist und
die Redlichkeit als das Urtheil desjenigen bewundern der die republi-
canische Verfassung in diesem (englischen) oder einem Reiche von ähn-
licher Ausdehnung der beschränkt monarchischen vorzieht, wie sie in Eng-
land ist. Ich bin überzeugt daß es weder in Theorie das weiseste System
der Regierung, noch auch praktisch in solch einem Lande ausführbar ist.
Indeß, obgleich ich hoffe die englische Verfassung werde für immer ihre
ursprüngliche monarchische Form behalten, so wünschte ich doch die Sitte
des Volkes rein und streng republicanisch. Ich meine nicht den frechen
Geist der Anarchie und des Aufruhrs. Ich meine eine allgemeine An-
hänglichkeit an das Gemeinwohl, getrennt von jeder partiellen Anhäng-
lichkeit an Personen oder Familien, eine unbedingte Unterwerfung nur
unter die Gesetze und eine Liebe zu der Obrigkeit, je nach der Unbeschol-
tenheit und Weisheit mit der sie dem Volke Gerechtigkeit zutheilt und
ihre Geschäfte verwaltet."



Ein Rath aus der Schweiz.

Im Osten: nur keine Russen!
Am deutschen Rhein im Westen: nur keine unzeitigen Versuche zur
Improvisation deutscher Republiketten; nur kein vorwitziges Fraternisi-
ren und Schönthun mit den benachbarten Republicanern Frankreichs.
Das ist der lebhafte Wunsch aller Besonnenen in der republicani-
schen Schweiz, der vorherrschende Gedanke auch jener "harten Köpfe
in den Alpen,"
die seit Jahrhunderten schon an der Freiheit festge-
halten, die sich vor wenigen Monaten von neuem überzeugt haben
daß Zwietracht und Unordnung ohne ihre rascheste Bewältigung das
Grab der Freiheit geworden wären. Wer möchte jetzt noch im Hin-
blick auf jene französische Umwälzung, da in der Glut eines zufällig
wieder entbrannten Kampfes eine Nation von 35 Millionen mit kaum
noch überwiegend monarchischen Ansichten und Gesinnungen, binnen
wenigen Stunden zu Republicanern umgeschmolzen wurde -- wer
möchte da noch mit doctrinärem Hochmuthe sich vermessen diese oder
jene Form der Verfassung als unabänderlich nothwendig für alle Zu-
kunft zu bezeichnen? Die eine Verfassungsform wird möglich, wenn
die andere unmöglich geworden ist, und unsere kurzsichtige Weisheit
kann so wenig die Todesstunde der Verfassungen als der einzelnen
vorhersagen. Darum weg jetzt mit allen theoretischen Liebhabereien
für Republiken, constitutionelle und andere Monarchien! Freue man
sich immerhin jener ersten Acte der Mäßigung in Frankreich, des
Decrets über Abschaffung der Todesstrafe bei politischen Verbrechen
und dergl. Aber hüte man sich vor Täuschungen, glaube man nicht
nach den ersten Schritten den weitern Verlauf der Ereignisse bemessen
zu können. Auch Robespierre war ein theoretischer Anhänger der Ab-
schaffung der Todesstrafe. Auch die Sicilianer zeigten sich gemäßigt
in den ersten Wochen ihrer Revolution: jetzt haben sie bereits ange-
fangen zu morden und zu plündern. Es ist wahr die Franzosen ste-
hen auf höherer Bildungsstufe als diese Insulaner: wie sie tapfer
sind, so sind sie bis zu einem gewissen Grad auch gutmüthig und groß-
müthig. Aber lange gezähmte Leidenschaften, ein lange verhaltener
bitterer Groll wird dort nicht weniger aufgähren. Schon hat in
Brandstiftung und Plünderung außerhalb der Ringmauer von Paris der
kleine, aber gefährliche Krieg gegen das Eigenthum begonnen; schon ha-
ben wir in der Schweiz eine neue Species politischer Flüchtlinge, ganze
Schaaren elsässischer Juden. Diese Juden im Elsasse sind die Wucherer des
platten Landes. Die neurepublikanischen Bauern scheinen aber die Repub-
lik damit angefangen zu haben daß sie ihre Gläubiger mit Prügeln bezahl-
[Spaltenumbruch] ten; daß sie ihre politisch und bürgerlich schon lange gleichgestellten
Mitbürger hebräischer Confession zum Lande hinausjagten, obwohl
diese in der Angst ihres Herzens das "Vive le republique!" gewiß
aus vollem Halse geschrieen haben. Zulange hat in Frankreich die
Corruption in engeren und weitern Kreisen umsichgefressen; zu tief
haben antisociale Lehren bis zu jener bekannten Rechtfertigung des
Diebstahls die Köpfe verwirrt, als daß noch die Wiedergeburt einer
neuen gesellschaftlichen Ordnung ohne die furchtbarsten Wehen von
Statten gehen könnte. Darum gibt es jetzt nur noch zwei Haupt-
parteien: absichtliche oder thörichte Anhänger und Begünstiger der An-
archie, der politischen und socialen Revolution; oder Feinde der An-
archie, besonnene und begeisterte Freunde der durchgreifenden politi-
schen und socialen Reform. In diesem Sinne, aber nicht mehr zur
Erhaltung der einen oder andern Verfassungsform, sind nun alle Män-
ner von Kopf und Herz Conservative geworden. Was indessen ge-
schehe, das ist vor allem zu wünschen daß die deutschen Völker sich
selbst ihre Zukunft schaffen, daß sie Meister ihres Schicksals bleiben,
daß sich ihre Geschicke gemeinschaftlich erfüllen vom Rhein bis zur
Gränze des Ungarlandes, vom adritaischen Meere bis zur Ostsee und
Nordsee. Darum ist es vom Uebel für Deutschland wie für Frank-
reich jetzt schon Verbindungen mit Franzosen anzuknüpfen, ehe noch
der Volksbund der Deutschen selbst abgeschlossen ist. Deutschland wird
in Stücke zerrissen, wenn es in seinen westlichen Provinzen dem Nach-
bar im Westen die Hand bietet. Die neue französische Republik hat
die "Bruderliebe" zum Wahlspruch genommen. So mögen denn die
Deutschen darin den Franzosen nachahmen daß zunächst die deutschen
Völker unter sich zum neuen Bunde die Bruderhand sich reichen.
Darum vor allem, außer der allgemeinen Volksbewaffnung, eine frei-
willige Versammlung der deutschen Männer des Volkvertrauens zu
einem deutschen Parlamente, damit die gemeinsame Reformbewegung
sofort einen gemeinsamen Mittelpunkt und Ausgangspunkt habe.
Könnte noch den Deutschen in kürzester Frist diese Einigung gelin-
gen, dann wäre wohl möglich daß die Franzosen den Baum der Frei-
heit geschüttelt hätten, daß aber der beste Theil seiner Früchte den
Völkern deutschen Stammes zufiele.



Aus Paris.

Man fängt jetzt allgemach an ein Einsehen
zu bekommen über den wahren Zusammenhang mancher Dinge die
früher wie ein Räthsel erschienen. Weßhalb Ludwig Philipp unter-
terlegen ist, mag seine tiefere Begründung haben in der gesellschaft-
lichen Lage Frankreichs und in der Art und Weise wie er sich die
Aufgabe gestellt hatte zur Lösung seiner Politik. Aber abgesehen da-
von gibt es eine momentane Geschichte seines Sturzes, die lediglich
ihre Erklärungen findet in seiner rein persönlichen Rathlosigkeit
in den entscheidendsten Momenten. Das ist ein moralisches Moment
in seiner Person auf welches man sich nicht gefaßt gemacht hatte. Ludwig
Philipp hatte rein den Kopf verloren, und mit dem Kopf den Muth.
Vor den Augen vieler Deputirten, Zuschauer der innern Kämpfe in
der Familie, hatte er sich schon selber aufgegeben als das ganze un-
geheure Fatum über ihn zusammenstürzte. Mit Recht oder Unrecht
(das kann hiebei gleichgültig seyn) hatte Ludwig Philipp bei seinem
Ministerium verharrt, ihm aber anfangs nicht den Marschall Bugeaud
als Commandanten von Paris zugestehen wollen, sondern an dem Ge-
neral Sebastiani festgehalten, einem wenig geschickten Officier, in
dessen Tüchtigkeit man kein Zutrauen setzte. Indessen war er zur
Einsicht des Fehlers gekommen, das Commando war dem Marschall
Bugeaud eben übergeben worden, als sein jüngster Sohn, der Herzog
von Montpensier, weinend und flehend zu seinem Vater kam, ihn be-
schwor sein Ministerium in der Krise zu entsetzen und das Ministerium
Mole zu ernennen. Ludwig Philipp gab nach. Alsbald merkte das
Ministerium Guizot daß ihm alle Kraft im Angesichte des Aufstandes
entzogen sey, und daß die Ernennung des Marschalls Bugeaud zu spät
komme, trotz der positiven Zusage desselben er mache sich auf seine
Soldatenehre anheischig Herr der Stadt zu werden. Die Königin allein
zeigte Mannskraft, empört über die Schwäche ihres Sohns und ihres
Gatten hielt sie zu verschiedenenmalen seine Hand zurück, während der
verschiedenen von ihm unterzeichneten Acte, gekrönt durch den seiner
Abdankung; als trotz dessen der König nicht abstand, prophezeite sie
ihm alsbald seinen schmählichen Untergang. Mole lehnte aus guten

[Spaltenumbruch] man denn auf geiſtigem Wege dieſe wunderlichen, unfolgerichtigen Be-
ſtrebungen aus; bilde man ſich die Idee der Geſetzherrſchaft, den wah-
ren Begriff einer Republik, den wahren Begriff eines Bürgers aus;
pflege man den Sinn in dem Einzelnen, der dem Ganzen des Staats bereit-
willig Opfer bringt, der eine menſchliche Beſorglichkeit der bürgerlichen
Pflicht unterordnet: und man wird, im einen Falle der Republik im an-
tiken Sinne des Worts, wo der βασιλεύς eine untergeordnete Rolle ſvielte,
und im andern Falle der republicaniſchen, conſtitutionellen Monarchie,
wo der König den ſichtbaren Mittelpunkt des Staates bildet, einen gleich
großen Dienſt geleiſtet haben.

Wir wollen unſern Gedanken zum Schluſſe noch einmal in den
Worten eines Engländers aus der Zeit der großen Staatsleute des vori-
gen Jahrhunderts ſagen, jenes berühmten Unbekannten, über deſſen
Staatseinſicht bis auf Lord Brougham nur eine Stimme war: „Ich
kann, ſagen die Briefe von Junius, bereitwilliger den freien Geiſt und
die Redlichkeit als das Urtheil desjenigen bewundern der die republi-
caniſche Verfaſſung in dieſem (engliſchen) oder einem Reiche von ähn-
licher Ausdehnung der beſchränkt monarchiſchen vorzieht, wie ſie in Eng-
land iſt. Ich bin überzeugt daß es weder in Theorie das weiſeſte Syſtem
der Regierung, noch auch praktiſch in ſolch einem Lande ausführbar iſt.
Indeß, obgleich ich hoffe die engliſche Verfaſſung werde für immer ihre
urſprüngliche monarchiſche Form behalten, ſo wünſchte ich doch die Sitte
des Volkes rein und ſtreng republicaniſch. Ich meine nicht den frechen
Geiſt der Anarchie und des Aufruhrs. Ich meine eine allgemeine An-
hänglichkeit an das Gemeinwohl, getrennt von jeder partiellen Anhäng-
lichkeit an Perſonen oder Familien, eine unbedingte Unterwerfung nur
unter die Geſetze und eine Liebe zu der Obrigkeit, je nach der Unbeſchol-
tenheit und Weisheit mit der ſie dem Volke Gerechtigkeit zutheilt und
ihre Geſchäfte verwaltet.“



Ein Rath aus der Schweiz.

Im Oſten: nur keine Ruſſen!
Am deutſchen Rhein im Weſten: nur keine unzeitigen Verſuche zur
Improviſation deutſcher Republiketten; nur kein vorwitziges Fraterniſi-
ren und Schönthun mit den benachbarten Republicanern Frankreichs.
Das iſt der lebhafte Wunſch aller Beſonnenen in der republicani-
ſchen Schweiz, der vorherrſchende Gedanke auch jener „harten Köpfe
in den Alpen,“
die ſeit Jahrhunderten ſchon an der Freiheit feſtge-
halten, die ſich vor wenigen Monaten von neuem überzeugt haben
daß Zwietracht und Unordnung ohne ihre raſcheſte Bewältigung das
Grab der Freiheit geworden wären. Wer möchte jetzt noch im Hin-
blick auf jene franzöſiſche Umwälzung, da in der Glut eines zufällig
wieder entbrannten Kampfes eine Nation von 35 Millionen mit kaum
noch überwiegend monarchiſchen Anſichten und Geſinnungen, binnen
wenigen Stunden zu Republicanern umgeſchmolzen wurde — wer
möchte da noch mit doctrinärem Hochmuthe ſich vermeſſen dieſe oder
jene Form der Verfaſſung als unabänderlich nothwendig für alle Zu-
kunft zu bezeichnen? Die eine Verfaſſungsform wird möglich, wenn
die andere unmöglich geworden iſt, und unſere kurzſichtige Weisheit
kann ſo wenig die Todesſtunde der Verfaſſungen als der einzelnen
vorherſagen. Darum weg jetzt mit allen theoretiſchen Liebhabereien
für Republiken, conſtitutionelle und andere Monarchien! Freue man
ſich immerhin jener erſten Acte der Mäßigung in Frankreich, des
Decrets über Abſchaffung der Todesſtrafe bei politiſchen Verbrechen
und dergl. Aber hüte man ſich vor Täuſchungen, glaube man nicht
nach den erſten Schritten den weitern Verlauf der Ereigniſſe bemeſſen
zu können. Auch Robespierre war ein theoretiſcher Anhänger der Ab-
ſchaffung der Todesſtrafe. Auch die Sicilianer zeigten ſich gemäßigt
in den erſten Wochen ihrer Revolution: jetzt haben ſie bereits ange-
fangen zu morden und zu plündern. Es iſt wahr die Franzoſen ſte-
hen auf höherer Bildungsſtufe als dieſe Inſulaner: wie ſie tapfer
ſind, ſo ſind ſie bis zu einem gewiſſen Grad auch gutmüthig und groß-
müthig. Aber lange gezähmte Leidenſchaften, ein lange verhaltener
bitterer Groll wird dort nicht weniger aufgähren. Schon hat in
Brandſtiftung und Plünderung außerhalb der Ringmauer von Paris der
kleine, aber gefährliche Krieg gegen das Eigenthum begonnen; ſchon ha-
ben wir in der Schweiz eine neue Species politiſcher Flüchtlinge, ganze
Schaaren elſäſſiſcher Juden. Dieſe Juden im Elſaſſe ſind die Wucherer des
platten Landes. Die neurepublikaniſchen Bauern ſcheinen aber die Repub-
lik damit angefangen zu haben daß ſie ihre Gläubiger mit Prügeln bezahl-
[Spaltenumbruch] ten; daß ſie ihre politiſch und bürgerlich ſchon lange gleichgeſtellten
Mitbürger hebräiſcher Confeſſion zum Lande hinausjagten, obwohl
dieſe in der Angſt ihres Herzens das „Vive le république!“ gewiß
aus vollem Halſe geſchrieen haben. Zulange hat in Frankreich die
Corruption in engeren und weitern Kreiſen umſichgefreſſen; zu tief
haben antiſociale Lehren bis zu jener bekannten Rechtfertigung des
Diebſtahls die Köpfe verwirrt, als daß noch die Wiedergeburt einer
neuen geſellſchaftlichen Ordnung ohne die furchtbarſten Wehen von
Statten gehen könnte. Darum gibt es jetzt nur noch zwei Haupt-
parteien: abſichtliche oder thörichte Anhänger und Begünſtiger der An-
archie, der politiſchen und ſocialen Revolution; oder Feinde der An-
archie, beſonnene und begeiſterte Freunde der durchgreifenden politi-
ſchen und ſocialen Reform. In dieſem Sinne, aber nicht mehr zur
Erhaltung der einen oder andern Verfaſſungsform, ſind nun alle Män-
ner von Kopf und Herz Conſervative geworden. Was indeſſen ge-
ſchehe, das iſt vor allem zu wünſchen daß die deutſchen Völker ſich
ſelbſt ihre Zukunft ſchaffen, daß ſie Meiſter ihres Schickſals bleiben,
daß ſich ihre Geſchicke gemeinſchaftlich erfüllen vom Rhein bis zur
Gränze des Ungarlandes, vom adritaiſchen Meere bis zur Oſtſee und
Nordſee. Darum iſt es vom Uebel für Deutſchland wie für Frank-
reich jetzt ſchon Verbindungen mit Franzoſen anzuknüpfen, ehe noch
der Volksbund der Deutſchen ſelbſt abgeſchloſſen iſt. Deutſchland wird
in Stücke zerriſſen, wenn es in ſeinen weſtlichen Provinzen dem Nach-
bar im Weſten die Hand bietet. Die neue franzöſiſche Republik hat
die „Bruderliebe“ zum Wahlſpruch genommen. So mögen denn die
Deutſchen darin den Franzoſen nachahmen daß zunächſt die deutſchen
Völker unter ſich zum neuen Bunde die Bruderhand ſich reichen.
Darum vor allem, außer der allgemeinen Volksbewaffnung, eine frei-
willige Verſammlung der deutſchen Männer des Volkvertrauens zu
einem deutſchen Parlamente, damit die gemeinſame Reformbewegung
ſofort einen gemeinſamen Mittelpunkt und Ausgangspunkt habe.
Könnte noch den Deutſchen in kürzeſter Friſt dieſe Einigung gelin-
gen, dann wäre wohl möglich daß die Franzoſen den Baum der Frei-
heit geſchüttelt hätten, daß aber der beſte Theil ſeiner Früchte den
Völkern deutſchen Stammes zufiele.



Aus Paris.

Man fängt jetzt allgemach an ein Einſehen
zu bekommen über den wahren Zuſammenhang mancher Dinge die
früher wie ein Räthſel erſchienen. Weßhalb Ludwig Philipp unter-
terlegen iſt, mag ſeine tiefere Begründung haben in der geſellſchaft-
lichen Lage Frankreichs und in der Art und Weiſe wie er ſich die
Aufgabe geſtellt hatte zur Löſung ſeiner Politik. Aber abgeſehen da-
von gibt es eine momentane Geſchichte ſeines Sturzes, die lediglich
ihre Erklärungen findet in ſeiner rein perſönlichen Rathloſigkeit
in den entſcheidendſten Momenten. Das iſt ein moraliſches Moment
in ſeiner Perſon auf welches man ſich nicht gefaßt gemacht hatte. Ludwig
Philipp hatte rein den Kopf verloren, und mit dem Kopf den Muth.
Vor den Augen vieler Deputirten, Zuſchauer der innern Kämpfe in
der Familie, hatte er ſich ſchon ſelber aufgegeben als das ganze un-
geheure Fatum über ihn zuſammenſtürzte. Mit Recht oder Unrecht
(das kann hiebei gleichgültig ſeyn) hatte Ludwig Philipp bei ſeinem
Miniſterium verharrt, ihm aber anfangs nicht den Marſchall Bugeaud
als Commandanten von Paris zugeſtehen wollen, ſondern an dem Ge-
neral Sebaſtiani feſtgehalten, einem wenig geſchickten Officier, in
deſſen Tüchtigkeit man kein Zutrauen ſetzte. Indeſſen war er zur
Einſicht des Fehlers gekommen, das Commando war dem Marſchall
Bugeaud eben übergeben worden, als ſein jüngſter Sohn, der Herzog
von Montpenſier, weinend und flehend zu ſeinem Vater kam, ihn be-
ſchwor ſein Miniſterium in der Kriſe zu entſetzen und das Miniſterium
Molé zu ernennen. Ludwig Philipp gab nach. Alsbald merkte das
Miniſterium Guizot daß ihm alle Kraft im Angeſichte des Aufſtandes
entzogen ſey, und daß die Ernennung des Marſchalls Bugeaud zu ſpät
komme, trotz der poſitiven Zuſage desſelben er mache ſich auf ſeine
Soldatenehre anheiſchig Herr der Stadt zu werden. Die Königin allein
zeigte Mannskraft, empört über die Schwäche ihres Sohns und ihres
Gatten hielt ſie zu verſchiedenenmalen ſeine Hand zurück, während der
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Abdankung; als trotz deſſen der König nicht abſtand, prophezeite ſie
ihm alsbald ſeinen ſchmählichen Untergang. Molé lehnte aus guten

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[1163/0011] man denn auf geiſtigem Wege dieſe wunderlichen, unfolgerichtigen Be- ſtrebungen aus; bilde man ſich die Idee der Geſetzherrſchaft, den wah- ren Begriff einer Republik, den wahren Begriff eines Bürgers aus; pflege man den Sinn in dem Einzelnen, der dem Ganzen des Staats bereit- willig Opfer bringt, der eine menſchliche Beſorglichkeit der bürgerlichen Pflicht unterordnet: und man wird, im einen Falle der Republik im an- tiken Sinne des Worts, wo der βασιλεύς eine untergeordnete Rolle ſvielte, und im andern Falle der republicaniſchen, conſtitutionellen Monarchie, wo der König den ſichtbaren Mittelpunkt des Staates bildet, einen gleich großen Dienſt geleiſtet haben. Wir wollen unſern Gedanken zum Schluſſe noch einmal in den Worten eines Engländers aus der Zeit der großen Staatsleute des vori- gen Jahrhunderts ſagen, jenes berühmten Unbekannten, über deſſen Staatseinſicht bis auf Lord Brougham nur eine Stimme war: „Ich kann, ſagen die Briefe von Junius, bereitwilliger den freien Geiſt und die Redlichkeit als das Urtheil desjenigen bewundern der die republi- caniſche Verfaſſung in dieſem (engliſchen) oder einem Reiche von ähn- licher Ausdehnung der beſchränkt monarchiſchen vorzieht, wie ſie in Eng- land iſt. Ich bin überzeugt daß es weder in Theorie das weiſeſte Syſtem der Regierung, noch auch praktiſch in ſolch einem Lande ausführbar iſt. Indeß, obgleich ich hoffe die engliſche Verfaſſung werde für immer ihre urſprüngliche monarchiſche Form behalten, ſo wünſchte ich doch die Sitte des Volkes rein und ſtreng republicaniſch. Ich meine nicht den frechen Geiſt der Anarchie und des Aufruhrs. Ich meine eine allgemeine An- hänglichkeit an das Gemeinwohl, getrennt von jeder partiellen Anhäng- lichkeit an Perſonen oder Familien, eine unbedingte Unterwerfung nur unter die Geſetze und eine Liebe zu der Obrigkeit, je nach der Unbeſchol- tenheit und Weisheit mit der ſie dem Volke Gerechtigkeit zutheilt und ihre Geſchäfte verwaltet.“ Ein Rath aus der Schweiz. Aus der Schweiz, 3 März.Im Oſten: nur keine Ruſſen! Am deutſchen Rhein im Weſten: nur keine unzeitigen Verſuche zur Improviſation deutſcher Republiketten; nur kein vorwitziges Fraterniſi- ren und Schönthun mit den benachbarten Republicanern Frankreichs. Das iſt der lebhafte Wunſch aller Beſonnenen in der republicani- ſchen Schweiz, der vorherrſchende Gedanke auch jener „harten Köpfe in den Alpen,“ die ſeit Jahrhunderten ſchon an der Freiheit feſtge- halten, die ſich vor wenigen Monaten von neuem überzeugt haben daß Zwietracht und Unordnung ohne ihre raſcheſte Bewältigung das Grab der Freiheit geworden wären. Wer möchte jetzt noch im Hin- blick auf jene franzöſiſche Umwälzung, da in der Glut eines zufällig wieder entbrannten Kampfes eine Nation von 35 Millionen mit kaum noch überwiegend monarchiſchen Anſichten und Geſinnungen, binnen wenigen Stunden zu Republicanern umgeſchmolzen wurde — wer möchte da noch mit doctrinärem Hochmuthe ſich vermeſſen dieſe oder jene Form der Verfaſſung als unabänderlich nothwendig für alle Zu- kunft zu bezeichnen? Die eine Verfaſſungsform wird möglich, wenn die andere unmöglich geworden iſt, und unſere kurzſichtige Weisheit kann ſo wenig die Todesſtunde der Verfaſſungen als der einzelnen vorherſagen. Darum weg jetzt mit allen theoretiſchen Liebhabereien für Republiken, conſtitutionelle und andere Monarchien! Freue man ſich immerhin jener erſten Acte der Mäßigung in Frankreich, des Decrets über Abſchaffung der Todesſtrafe bei politiſchen Verbrechen und dergl. Aber hüte man ſich vor Täuſchungen, glaube man nicht nach den erſten Schritten den weitern Verlauf der Ereigniſſe bemeſſen zu können. Auch Robespierre war ein theoretiſcher Anhänger der Ab- ſchaffung der Todesſtrafe. Auch die Sicilianer zeigten ſich gemäßigt in den erſten Wochen ihrer Revolution: jetzt haben ſie bereits ange- fangen zu morden und zu plündern. Es iſt wahr die Franzoſen ſte- hen auf höherer Bildungsſtufe als dieſe Inſulaner: wie ſie tapfer ſind, ſo ſind ſie bis zu einem gewiſſen Grad auch gutmüthig und groß- müthig. Aber lange gezähmte Leidenſchaften, ein lange verhaltener bitterer Groll wird dort nicht weniger aufgähren. Schon hat in Brandſtiftung und Plünderung außerhalb der Ringmauer von Paris der kleine, aber gefährliche Krieg gegen das Eigenthum begonnen; ſchon ha- ben wir in der Schweiz eine neue Species politiſcher Flüchtlinge, ganze Schaaren elſäſſiſcher Juden. Dieſe Juden im Elſaſſe ſind die Wucherer des platten Landes. Die neurepublikaniſchen Bauern ſcheinen aber die Repub- lik damit angefangen zu haben daß ſie ihre Gläubiger mit Prügeln bezahl- ten; daß ſie ihre politiſch und bürgerlich ſchon lange gleichgeſtellten Mitbürger hebräiſcher Confeſſion zum Lande hinausjagten, obwohl dieſe in der Angſt ihres Herzens das „Vive le république!“ gewiß aus vollem Halſe geſchrieen haben. Zulange hat in Frankreich die Corruption in engeren und weitern Kreiſen umſichgefreſſen; zu tief haben antiſociale Lehren bis zu jener bekannten Rechtfertigung des Diebſtahls die Köpfe verwirrt, als daß noch die Wiedergeburt einer neuen geſellſchaftlichen Ordnung ohne die furchtbarſten Wehen von Statten gehen könnte. Darum gibt es jetzt nur noch zwei Haupt- parteien: abſichtliche oder thörichte Anhänger und Begünſtiger der An- archie, der politiſchen und ſocialen Revolution; oder Feinde der An- archie, beſonnene und begeiſterte Freunde der durchgreifenden politi- ſchen und ſocialen Reform. In dieſem Sinne, aber nicht mehr zur Erhaltung der einen oder andern Verfaſſungsform, ſind nun alle Män- ner von Kopf und Herz Conſervative geworden. Was indeſſen ge- ſchehe, das iſt vor allem zu wünſchen daß die deutſchen Völker ſich ſelbſt ihre Zukunft ſchaffen, daß ſie Meiſter ihres Schickſals bleiben, daß ſich ihre Geſchicke gemeinſchaftlich erfüllen vom Rhein bis zur Gränze des Ungarlandes, vom adritaiſchen Meere bis zur Oſtſee und Nordſee. Darum iſt es vom Uebel für Deutſchland wie für Frank- reich jetzt ſchon Verbindungen mit Franzoſen anzuknüpfen, ehe noch der Volksbund der Deutſchen ſelbſt abgeſchloſſen iſt. Deutſchland wird in Stücke zerriſſen, wenn es in ſeinen weſtlichen Provinzen dem Nach- bar im Weſten die Hand bietet. Die neue franzöſiſche Republik hat die „Bruderliebe“ zum Wahlſpruch genommen. So mögen denn die Deutſchen darin den Franzoſen nachahmen daß zunächſt die deutſchen Völker unter ſich zum neuen Bunde die Bruderhand ſich reichen. Darum vor allem, außer der allgemeinen Volksbewaffnung, eine frei- willige Verſammlung der deutſchen Männer des Volkvertrauens zu einem deutſchen Parlamente, damit die gemeinſame Reformbewegung ſofort einen gemeinſamen Mittelpunkt und Ausgangspunkt habe. Könnte noch den Deutſchen in kürzeſter Friſt dieſe Einigung gelin- gen, dann wäre wohl möglich daß die Franzoſen den Baum der Frei- heit geſchüttelt hätten, daß aber der beſte Theil ſeiner Früchte den Völkern deutſchen Stammes zufiele. (D. Z.) Aus Paris. ♀ Paris, 7 März.Man fängt jetzt allgemach an ein Einſehen zu bekommen über den wahren Zuſammenhang mancher Dinge die früher wie ein Räthſel erſchienen. Weßhalb Ludwig Philipp unter- terlegen iſt, mag ſeine tiefere Begründung haben in der geſellſchaft- lichen Lage Frankreichs und in der Art und Weiſe wie er ſich die Aufgabe geſtellt hatte zur Löſung ſeiner Politik. Aber abgeſehen da- von gibt es eine momentane Geſchichte ſeines Sturzes, die lediglich ihre Erklärungen findet in ſeiner rein perſönlichen Rathloſigkeit in den entſcheidendſten Momenten. Das iſt ein moraliſches Moment in ſeiner Perſon auf welches man ſich nicht gefaßt gemacht hatte. Ludwig Philipp hatte rein den Kopf verloren, und mit dem Kopf den Muth. Vor den Augen vieler Deputirten, Zuſchauer der innern Kämpfe in der Familie, hatte er ſich ſchon ſelber aufgegeben als das ganze un- geheure Fatum über ihn zuſammenſtürzte. Mit Recht oder Unrecht (das kann hiebei gleichgültig ſeyn) hatte Ludwig Philipp bei ſeinem Miniſterium verharrt, ihm aber anfangs nicht den Marſchall Bugeaud als Commandanten von Paris zugeſtehen wollen, ſondern an dem Ge- neral Sebaſtiani feſtgehalten, einem wenig geſchickten Officier, in deſſen Tüchtigkeit man kein Zutrauen ſetzte. Indeſſen war er zur Einſicht des Fehlers gekommen, das Commando war dem Marſchall Bugeaud eben übergeben worden, als ſein jüngſter Sohn, der Herzog von Montpenſier, weinend und flehend zu ſeinem Vater kam, ihn be- ſchwor ſein Miniſterium in der Kriſe zu entſetzen und das Miniſterium Molé zu ernennen. Ludwig Philipp gab nach. Alsbald merkte das Miniſterium Guizot daß ihm alle Kraft im Angeſichte des Aufſtandes entzogen ſey, und daß die Ernennung des Marſchalls Bugeaud zu ſpät komme, trotz der poſitiven Zuſage desſelben er mache ſich auf ſeine Soldatenehre anheiſchig Herr der Stadt zu werden. Die Königin allein zeigte Mannskraft, empört über die Schwäche ihres Sohns und ihres Gatten hielt ſie zu verſchiedenenmalen ſeine Hand zurück, während der verſchiedenen von ihm unterzeichneten Acte, gekrönt durch den ſeiner Abdankung; als trotz deſſen der König nicht abſtand, prophezeite ſie ihm alsbald ſeinen ſchmählichen Untergang. Molé lehnte aus guten

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-08-16T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 13. März 1848, S. 1163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine73_1848/11>, abgerufen am 03.12.2024.