Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 13. März 1848.Nr. 73. [Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung. [Spaltenumbruch]
13 März 1848.Die Nationalvertretung im Bunde. . . Seit dem Ereigniß vom 24 Febr. ist Deutschland zur Erkennt- Monarchie oder Republik. (Aus der Deutschen Zeitung.) Aus der Schweiz, dem Lande der Republiken, ruft man uns zu: Nr. 73. [Spaltenumbruch]
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13 März 1848.Die Nationalvertretung im Bunde. . . Seit dem Ereigniß vom 24 Febr. iſt Deutſchland zur Erkennt- Monarchie oder Republik. (Aus der Deutſchen Zeitung.) Aus der Schweiz, dem Lande der Republiken, ruft man uns zu: <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="volume"> <hi rendition="#b">Nr. 73.</hi> </titlePart> <cb/> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zur Allgemeinen Zeitung.</hi> </titlePart> </docTitle> <cb/> <docImprint> <docDate> <hi rendition="#b">13 März 1848.</hi> </docDate> </docImprint> </titlePage> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Die Nationalvertretung im Bunde.</hi> </hi> </head><lb/> <p>. . Seit dem Ereigniß vom 24 Febr. iſt Deutſchland zur Erkennt-<lb/> niß einer großen Nothwendigkeit gelangt. 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Die Rhein-<lb/> bundperiode und der Staatenbund von 1815, ſelbſt die letzten Jahrhun-<lb/> derte des verfallenen Kaiſerthums erſcheinen uns wie ein großes Inter-<lb/> regnum, und die Blicke wenden ſich zurück — zu der Zeit da unſere<lb/> Nation an Macht und Größe das erſte der abendländiſchen Reiche war.<lb/> Die Hoffnung, das Verlangen, die Einſicht das wieder zu werden iſt<lb/> erwacht, und es handelt ſich um Conſtituirung, und zwar um ſchleunige<lb/> Conſtituirung. Wenn in wenigen Wochen die Nationalverſammlung<lb/> der franzöſiſchen Republik zuſammentritt, um vielleicht das Loos zu<lb/> werfen über die europäiſche Welt, da ſollte auch Deutſchland (mit La-<lb/> martine’s Manifeſt zu reden) die friedliche Ausſtrahlung ſeiner Ver-<lb/> nunft auf den Völkerhorizont leuchten laſſen. Was vermöchte die alte<lb/> Schule der Diplomaten gegen die ſiegreiche Demokratie; nur die Stimme<lb/> eines deutſchen Parlaments wird ſich den ungeſtümen neunhundert Re-<lb/> präſentanten einer neuen Geſellſchaft vernehmbar machen, nur wenn<lb/> ſie wirklich der Ausdruck iſt einer in ihrem Rechtsgefühl befriedigten Na-<lb/> tion, wird ſie mächtig genug ſeyn um, ohne die ungewiſſen Würfel des<lb/> Kriegs, dem Geiſt der Mäßigung und Erhaltung, welchen ſich vor allen<lb/> die Deutſchen bewahrt haben, Eingang zu verſchaffen. Dieſes große<lb/> Werk zu unterſtützen hat die Preſſe eine heilige Pflicht. Sie kann es<lb/> nicht ſowohl dadurch daß ſie Verfaſſungsplane entwirft, als daß ſie den<lb/> Verfaſſungsgedanken pflegt, zur Ausführung treibt. 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Hier möchte nun von der<lb/> directen Berufung an das Volk ſchon darum abgeſehen werden, weil<lb/> die Zeit zu ſehr drängt als daß man lange noch Wahlgeſetze verab-<lb/> ſchieden könnte, und weil auch die Frage welches die geeigneten Männer<lb/> zu einem deutſchen Parlament ſeyen, eher vor einer Ständeverſamm-<lb/> lung eine competente Entſcheidung finden dürfte als vor populären<lb/> Wahlcollegien. Nur müßten die Stände nicht nothwendig aus ihrer<lb/> Mitte wählen, ſondern den freieſten Spielraum haben, um dem öffent-<lb/> lichen Geiſt eine nicht bloß provinzielle Vertretung zu geben. Wenn<lb/> die Deutſche Zeitung die Parlamentswahl auf ſtändiſche Abgeordnete<lb/> beſchränkt, dann aber will daß denſelben geſtattet ſeyn ſolle zur Hälfte<lb/> ihrer eignen Zahl andere gute und kundige Männer als ſitz- und ſtimm-<lb/> berechtigte Mitglieder einzuführen, ſo wäre dieß eine Formloſigkeit die<lb/> wohl kaum anderswo in der Welt bei einer conſtituirten Staatsgewalt<lb/> zuläſſig erachtet werden dürfte. Ebenſowenig empfiehlt ſich ein anderer<lb/> Vorſchlag von praktiſcher Seite: die Stände in beiden Kammern ver-<lb/> einigt wählen zu laſſen. Eine ſolche Wahl gäbe kein reines Facit, ſie<lb/> würde niemand befriedigen. Auf dieſe Art werden z. B. in Württem-<lb/> berg die ſtändiſchen Ausſchüſſe gewählt, und die Folge iſt daß, weil die<lb/> Majorität der erſten Kammer zuſammen ſchon mit einer kleinen Mi-<lb/> norität der zweiten Kammer den Ausſchlag in Händen hat, ſelten ein<lb/> volksthümlicher Name durchdringt. Soll das deutſche Parlament ſeiner<lb/> Auſgabe entſprechen, ſo muß es aus Männern beſtehen die ihre Stel-<lb/> lung nicht einer künſtlichen Fiction, ſondern dem allgemeinen Vertrauen<lb/> verdanken. Wenn es weiter der Rath der Deutſchen Zeitung iſt über-<lb/> all kurzweg ein Zehntel der Stände als die Mitgliederzahl des Parla-<lb/><cb/> ments feſtzuſetzen, ſo iſt dagegen zu erinnern daß das numeriſche Ver-<lb/> hältniß der verſchiedenen Stände zu ihrer Landesbevölkerung ein ſehr<lb/> ungleiches iſt, daß man ſo zu keiner gleichmäßigen Vertretung kommen<lb/> könnte. 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Möge die Ariſtokratie dabei nicht ver-<lb/> geſſen daß wenn Deutſchland dem Adel, den hiſtoriſchen Geſchlechtern<lb/> gerne eine hohe politiſche Stellung gönnt, es von ihnen erwartet daß<lb/> ſie keine Sonderintereſſen verfolgen, welche die Zeit nicht mehr erträgt,<lb/> daß ſie, um mächtig und geachtet zu ſeyn, mit der Nation gehen müſſen<lb/> in den Kämpfen der Ehre, der Freiheit und des Rechtes, im Feld und<lb/> im Senat, wie die engliſche Geſchichte ausweist, auf deren Beiſpiel<lb/> von einem ihrer Standesgenoſſen jüngſt ſelbſt hingewieſen worden<lb/> iſt. 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Wird ſie aber, allen Verſuchungen und<lb/> Reizen der franzöſiſchen Nachbarin Republik zum Trotz, wirklich auf<lb/> dieſem ungünſtigen Boden ſogar, und auf die Dauer beſtanden, dann<lb/> wollen wir doch ſehen wie uns angeſichts dieſer Erfahrung die preußi-<lb/> ſchen Doctrinäre die größere Haltbarkeit und Macht der Abſolutie und<lb/> der halben Verfaſſungen länger demonſtriren werden, nachdem dieſe<lb/> überlebten und zwitterhaften Staatsformen überall in der Grundveſte<lb/> erſchüttert ſind, und nur die Staaten wo die conſtitutionelle Monarchie<lb/> eine Wahrheit iſt, England und Belgien, den Sturm ruhig überſtanden<lb/> haben werden. Doch, nicht an die Abſolutiſten wollen wir uns dießmal<lb/> mit der Hindeutung auf dieſe Erfahrung des Tages richten, ſondern an<lb/> unſere deutſchen Republicaner, die ſich unter der alten deutſchen Erb-<lb/> ſünde der Nachahmungsſucht hingeriſſen fühlen die auf ganz verſchiede-<lb/> nen Zuſtänden wurzelnde franzöſiſche Republik bei uns aus dem Steg-<lb/> reif nachzubilden. Wir wenden uns mit den folgenden Worten vorzugs-<lb/> weiſe an die Jugend, der es natürlich iſt und ſelbſt wohlanſteht ſich in<lb/> Ideen und Idealen für die Republik zu begeiſtern, die wir aber nicht<lb/> dringend genug auffordern können das Ideal mit den möglichen Dingen<lb/> nicht zu verwechſeln, und ihre Ideen nicht vorzeitig bei dieſer gunſtig<lb/> ſcheinenden Zeit in die Wirklichkeit übertragen zu wollen, ehe ſie ſich,<lb/> reifer an Jahren, an der harten Praxis erſt ſelbſt geprüft und verſucht<lb/> haben.</p><lb/> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Nr. 73.
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
13 März 1848.
Die Nationalvertretung im Bunde.
. . Seit dem Ereigniß vom 24 Febr. iſt Deutſchland zur Erkennt-
niß einer großen Nothwendigkeit gelangt. Frankreich fordert die Re-
viſion der Verträge von 1815, Deutſchland antwortet mit einer Revi-
ſion ſeiner Bundesacte. Deutſche Nationaleinheit, deutſches Parlament
— das ſind jetzt Fragen die im Princip entſchieden ſind. Sie ſind nicht
mehr Theorie, Wünſche oder Vorſchläge einer progreſſiven Partei, ſie
ſind lebendige Thatſachen im Bewußtſeyn des deutſchen Volks, ſie haben
ſchon die Zuſtimmung mehrerer Regierungen, ja der Bundesverſamm-
lung ſelbſt, die erklärt hat daß Deutſchland berufen ſey endlich den
Rang einzunehmen unter den Nationen der ihm gebührt. Deutſch-
land tritt in eine neue Wendung ſeiner Geſchichte. Die Rhein-
bundperiode und der Staatenbund von 1815, ſelbſt die letzten Jahrhun-
derte des verfallenen Kaiſerthums erſcheinen uns wie ein großes Inter-
regnum, und die Blicke wenden ſich zurück — zu der Zeit da unſere
Nation an Macht und Größe das erſte der abendländiſchen Reiche war.
Die Hoffnung, das Verlangen, die Einſicht das wieder zu werden iſt
erwacht, und es handelt ſich um Conſtituirung, und zwar um ſchleunige
Conſtituirung. Wenn in wenigen Wochen die Nationalverſammlung
der franzöſiſchen Republik zuſammentritt, um vielleicht das Loos zu
werfen über die europäiſche Welt, da ſollte auch Deutſchland (mit La-
martine’s Manifeſt zu reden) die friedliche Ausſtrahlung ſeiner Ver-
nunft auf den Völkerhorizont leuchten laſſen. Was vermöchte die alte
Schule der Diplomaten gegen die ſiegreiche Demokratie; nur die Stimme
eines deutſchen Parlaments wird ſich den ungeſtümen neunhundert Re-
präſentanten einer neuen Geſellſchaft vernehmbar machen, nur wenn
ſie wirklich der Ausdruck iſt einer in ihrem Rechtsgefühl befriedigten Na-
tion, wird ſie mächtig genug ſeyn um, ohne die ungewiſſen Würfel des
Kriegs, dem Geiſt der Mäßigung und Erhaltung, welchen ſich vor allen
die Deutſchen bewahrt haben, Eingang zu verſchaffen. Dieſes große
Werk zu unterſtützen hat die Preſſe eine heilige Pflicht. Sie kann es
nicht ſowohl dadurch daß ſie Verfaſſungsplane entwirft, als daß ſie den
Verfaſſungsgedanken pflegt, zur Ausführung treibt. Die Deutſche Zei-
tung hat recht wenn ſie vor Zerſplitterung der Meinungen warnt.
Ohne Zweifel wird am Bundestag ſelbſt, der ſich die Initiative er-
halten muß, ein Plan ausgearbeitet werden, ein gleiches wird
ſelbſtändig in den einzelnen Ständeverſammlungen geſchehen, oder
es wird dort wohl der in einer Verſammlung deutſcher Männer, wie
die in Heidelberg war, beſprochene Plan die gemeinſchaftliche Grund-
lage bilden. Darüber hat dann die Preſſe ihr Votum abzugeben.
Einſtweilen ſcheint es ganz unverfänglich wenn ſie ſich über die
Grundſätze des Wahlverfahrens äußert. Hier möchte nun von der
directen Berufung an das Volk ſchon darum abgeſehen werden, weil
die Zeit zu ſehr drängt als daß man lange noch Wahlgeſetze verab-
ſchieden könnte, und weil auch die Frage welches die geeigneten Männer
zu einem deutſchen Parlament ſeyen, eher vor einer Ständeverſamm-
lung eine competente Entſcheidung finden dürfte als vor populären
Wahlcollegien. Nur müßten die Stände nicht nothwendig aus ihrer
Mitte wählen, ſondern den freieſten Spielraum haben, um dem öffent-
lichen Geiſt eine nicht bloß provinzielle Vertretung zu geben. Wenn
die Deutſche Zeitung die Parlamentswahl auf ſtändiſche Abgeordnete
beſchränkt, dann aber will daß denſelben geſtattet ſeyn ſolle zur Hälfte
ihrer eignen Zahl andere gute und kundige Männer als ſitz- und ſtimm-
berechtigte Mitglieder einzuführen, ſo wäre dieß eine Formloſigkeit die
wohl kaum anderswo in der Welt bei einer conſtituirten Staatsgewalt
zuläſſig erachtet werden dürfte. Ebenſowenig empfiehlt ſich ein anderer
Vorſchlag von praktiſcher Seite: die Stände in beiden Kammern ver-
einigt wählen zu laſſen. Eine ſolche Wahl gäbe kein reines Facit, ſie
würde niemand befriedigen. Auf dieſe Art werden z. B. in Württem-
berg die ſtändiſchen Ausſchüſſe gewählt, und die Folge iſt daß, weil die
Majorität der erſten Kammer zuſammen ſchon mit einer kleinen Mi-
norität der zweiten Kammer den Ausſchlag in Händen hat, ſelten ein
volksthümlicher Name durchdringt. Soll das deutſche Parlament ſeiner
Auſgabe entſprechen, ſo muß es aus Männern beſtehen die ihre Stel-
lung nicht einer künſtlichen Fiction, ſondern dem allgemeinen Vertrauen
verdanken. Wenn es weiter der Rath der Deutſchen Zeitung iſt über-
all kurzweg ein Zehntel der Stände als die Mitgliederzahl des Parla-
ments feſtzuſetzen, ſo iſt dagegen zu erinnern daß das numeriſche Ver-
hältniß der verſchiedenen Stände zu ihrer Landesbevölkerung ein ſehr
ungleiches iſt, daß man ſo zu keiner gleichmäßigen Vertretung kommen
könnte. Auf je 100,000 Einwohner ein Mitglied, wie man ſonſt vor-
geſchlagen hat, iſt daher ein beſſerer Maßſtab, und die Zahl von 300
bis 400 Mitgliedern eines deutſchen Parlaments würde auch gegenüber
der franzöfiſchen Nationalverſammlung nicht zu kleinlich erſcheinen.
Die beiden Kammern aber, wenn man nicht anders den Standesherren
ihren Platz im Fürſtenrath anweiſen will, worauf ſie wegen der ver-
ſprochenen Curiatſtimmen einigen Anſpruch haben, ſollten jede ihr
Contingent für ſich wählen. Möge die Ariſtokratie dabei nicht ver-
geſſen daß wenn Deutſchland dem Adel, den hiſtoriſchen Geſchlechtern
gerne eine hohe politiſche Stellung gönnt, es von ihnen erwartet daß
ſie keine Sonderintereſſen verfolgen, welche die Zeit nicht mehr erträgt,
daß ſie, um mächtig und geachtet zu ſeyn, mit der Nation gehen müſſen
in den Kämpfen der Ehre, der Freiheit und des Rechtes, im Feld und
im Senat, wie die engliſche Geſchichte ausweist, auf deren Beiſpiel
von einem ihrer Standesgenoſſen jüngſt ſelbſt hingewieſen worden
iſt. Endlich da es von höchſtem Intereſſe iſt daß alle deutſchen
Stämme vertreten ſeyen, obgleich die durch den Drang der
Umſtände gegebene Friſt kaum allen erlauben dürfte ſich fertig zu
machen, ſo müßte eben den Verzögerten oder Verſpäteten, nicht bloß
den jetzigen Bundesſtaaten, ſondern allen Gliedern des alten germani-
ſchen National- und Reichskörpers, der Anſchluß offen gehalten werden.
Wäre das deutſche Parlament auch anfangs nicht vollzählig conſtituirt,
ſo dürfte man ſich durch einige Diſſidenten nicht irremachen laſſen, ſeine
bloße Erſcheinung wird einen Zauber ausüben der auch längſt entfrem-
dete Brüderſtämme mächtig anziehen muß.
Monarchie oder Republik.
(Aus der Deutſchen Zeitung.)
Aus der Schweiz, dem Lande der Republiken, ruft man uns zu:
nur keine Republikchen am Rhein! In Italien hat die blutjunge Politik
der freieſten Blätter in Turin, in dem franzöſiſchen Gränzlande, den
Tact zu Eintracht zwiſchen Fürſt und Volk, zur Ausbildung der begon-
nenen conſtitutionellen Verfaſſungen zu mahnen! In Belgien, ſcheint
es, wird die große Probe der ächten conſtitutionellen Monarchie in einem
kleinen von Parteien, Stämmen und Religionsſtreitigkeiten getheilten
Lande, das heißt auf dem anſcheinend ungünſtigſten Boden, beſtanden.
Dort iſt dieſe Monarchie was ſie ſeyn ſoll, während in Frankreich die
Dynaſtie ſie zu allem gemacht hatte was ſie nicht ſeyn ſoll. Würde ſie
die Probe in Belgien auch nicht beſtehen, ſo wäre es vielleicht unbillig
aus dieſem Fall auf den Werth oder Unwerth der ächten conſtitutionellen
Monarchie zu ſchließen, weil der Staat zu jung, ſeine Lage zu ausge-
ſetzt, ſeine Größe und Selbſtändigkeit zu gering, die Dynaſtie einge-
wandert, zu fremd und neu iſt. Wird ſie aber, allen Verſuchungen und
Reizen der franzöſiſchen Nachbarin Republik zum Trotz, wirklich auf
dieſem ungünſtigen Boden ſogar, und auf die Dauer beſtanden, dann
wollen wir doch ſehen wie uns angeſichts dieſer Erfahrung die preußi-
ſchen Doctrinäre die größere Haltbarkeit und Macht der Abſolutie und
der halben Verfaſſungen länger demonſtriren werden, nachdem dieſe
überlebten und zwitterhaften Staatsformen überall in der Grundveſte
erſchüttert ſind, und nur die Staaten wo die conſtitutionelle Monarchie
eine Wahrheit iſt, England und Belgien, den Sturm ruhig überſtanden
haben werden. Doch, nicht an die Abſolutiſten wollen wir uns dießmal
mit der Hindeutung auf dieſe Erfahrung des Tages richten, ſondern an
unſere deutſchen Republicaner, die ſich unter der alten deutſchen Erb-
ſünde der Nachahmungsſucht hingeriſſen fühlen die auf ganz verſchiede-
nen Zuſtänden wurzelnde franzöſiſche Republik bei uns aus dem Steg-
reif nachzubilden. Wir wenden uns mit den folgenden Worten vorzugs-
weiſe an die Jugend, der es natürlich iſt und ſelbſt wohlanſteht ſich in
Ideen und Idealen für die Republik zu begeiſtern, die wir aber nicht
dringend genug auffordern können das Ideal mit den möglichen Dingen
nicht zu verwechſeln, und ihre Ideen nicht vorzeitig bei dieſer gunſtig
ſcheinenden Zeit in die Wirklichkeit übertragen zu wollen, ehe ſie ſich,
reifer an Jahren, an der harten Praxis erſt ſelbſt geprüft und verſucht
haben.
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(2021-08-16T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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