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Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 13. März 1848.

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[Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
[Spaltenumbruch] 13 März 1848.


Die Nationalvertretung im Bunde.

. . Seit dem Ereigniß vom 24 Febr. ist Deutschland zur Erkennt-
niß einer großen Nothwendigkeit gelangt. Frankreich fordert die Re-
vision der Verträge von 1815, Deutschland antwortet mit einer Revi-
sion seiner Bundesacte. Deutsche Nationaleinheit, deutsches Parlament
-- das sind jetzt Fragen die im Princip entschieden sind. Sie sind nicht
mehr Theorie, Wünsche oder Vorschläge einer progressiven Partei, sie
sind lebendige Thatsachen im Bewußtseyn des deutschen Volks, sie haben
schon die Zustimmung mehrerer Regierungen, ja der Bundesversamm-
lung selbst, die erklärt hat daß Deutschland berufen sey endlich den
Rang einzunehmen unter den Nationen der ihm gebührt. Deutsch-
land tritt in eine neue Wendung seiner Geschichte. Die Rhein-
bundperiode und der Staatenbund von 1815, selbst die letzten Jahrhun-
derte des verfallenen Kaiserthums erscheinen uns wie ein großes Inter-
regnum, und die Blicke wenden sich zurück -- zu der Zeit da unsere
Nation an Macht und Größe das erste der abendländischen Reiche war.
Die Hoffnung, das Verlangen, die Einsicht das wieder zu werden ist
erwacht, und es handelt sich um Constituirung, und zwar um schleunige
Constituirung. Wenn in wenigen Wochen die Nationalversammlung
der französischen Republik zusammentritt, um vielleicht das Loos zu
werfen über die europäische Welt, da sollte auch Deutschland (mit La-
martine's Manifest zu reden) die friedliche Ausstrahlung seiner Ver-
nunft auf den Völkerhorizont leuchten lassen. Was vermöchte die alte
Schule der Diplomaten gegen die siegreiche Demokratie; nur die Stimme
eines deutschen Parlaments wird sich den ungestümen neunhundert Re-
präsentanten einer neuen Gesellschaft vernehmbar machen, nur wenn
sie wirklich der Ausdruck ist einer in ihrem Rechtsgefühl befriedigten Na-
tion, wird sie mächtig genug seyn um, ohne die ungewissen Würfel des
Kriegs, dem Geist der Mäßigung und Erhaltung, welchen sich vor allen
die Deutschen bewahrt haben, Eingang zu verschaffen. Dieses große
Werk zu unterstützen hat die Presse eine heilige Pflicht. Sie kann es
nicht sowohl dadurch daß sie Verfassungsplane entwirft, als daß sie den
Verfassungsgedanken pflegt, zur Ausführung treibt. Die Deutsche Zei-
tung hat recht wenn sie vor Zersplitterung der Meinungen warnt.
Ohne Zweifel wird am Bundestag selbst, der sich die Initiative er-
halten muß, ein Plan ausgearbeitet werden, ein gleiches wird
selbständig in den einzelnen Ständeversammlungen geschehen, oder
es wird dort wohl der in einer Versammlung deutscher Männer, wie
die in Heidelberg war, besprochene Plan die gemeinschaftliche Grund-
lage bilden. Darüber hat dann die Presse ihr Votum abzugeben.
Einstweilen scheint es ganz unverfänglich wenn sie sich über die
Grundsätze des Wahlverfahrens äußert. Hier möchte nun von der
directen Berufung an das Volk schon darum abgesehen werden, weil
die Zeit zu sehr drängt als daß man lange noch Wahlgesetze verab-
schieden könnte, und weil auch die Frage welches die geeigneten Männer
zu einem deutschen Parlament seyen, eher vor einer Ständeversamm-
lung eine competente Entscheidung finden dürfte als vor populären
Wahlcollegien. Nur müßten die Stände nicht nothwendig aus ihrer
Mitte wählen, sondern den freiesten Spielraum haben, um dem öffent-
lichen Geist eine nicht bloß provinzielle Vertretung zu geben. Wenn
die Deutsche Zeitung die Parlamentswahl auf ständische Abgeordnete
beschränkt, dann aber will daß denselben gestattet seyn solle zur Hälfte
ihrer eignen Zahl andere gute und kundige Männer als sitz- und stimm-
berechtigte Mitglieder einzuführen, so wäre dieß eine Formlosigkeit die
wohl kaum anderswo in der Welt bei einer constituirten Staatsgewalt
zulässig erachtet werden dürfte. Ebensowenig empfiehlt sich ein anderer
Vorschlag von praktischer Seite: die Stände in beiden Kammern ver-
einigt wählen zu lassen. Eine solche Wahl gäbe kein reines Facit, sie
würde niemand befriedigen. Auf diese Art werden z. B. in Württem-
berg die ständischen Ausschüsse gewählt, und die Folge ist daß, weil die
Majorität der ersten Kammer zusammen schon mit einer kleinen Mi-
norität der zweiten Kammer den Ausschlag in Händen hat, selten ein
volksthümlicher Name durchdringt. Soll das deutsche Parlament seiner
Ausgabe entsprechen, so muß es aus Männern bestehen die ihre Stel-
lung nicht einer künstlichen Fiction, sondern dem allgemeinen Vertrauen
verdanken. Wenn es weiter der Rath der Deutschen Zeitung ist über-
all kurzweg ein Zehntel der Stände als die Mitgliederzahl des Parla-
[Spaltenumbruch] ments festzusetzen, so ist dagegen zu erinnern daß das numerische Ver-
hältniß der verschiedenen Stände zu ihrer Landesbevölkerung ein sehr
ungleiches ist, daß man so zu keiner gleichmäßigen Vertretung kommen
könnte. Auf je 100,000 Einwohner ein Mitglied, wie man sonst vor-
geschlagen hat, ist daher ein besserer Maßstab, und die Zahl von 300
bis 400 Mitgliedern eines deutschen Parlaments würde auch gegenüber
der franzöfischen Nationalversammlung nicht zu kleinlich erscheinen.
Die beiden Kammern aber, wenn man nicht anders den Standesherren
ihren Platz im Fürstenrath anweisen will, worauf sie wegen der ver-
sprochenen Curiatstimmen einigen Anspruch haben, sollten jede ihr
Contingent für sich wählen. Möge die Aristokratie dabei nicht ver-
gessen daß wenn Deutschland dem Adel, den historischen Geschlechtern
gerne eine hohe politische Stellung gönnt, es von ihnen erwartet daß
sie keine Sonderinteressen verfolgen, welche die Zeit nicht mehr erträgt,
daß sie, um mächtig und geachtet zu seyn, mit der Nation gehen müssen
in den Kämpfen der Ehre, der Freiheit und des Rechtes, im Feld und
im Senat, wie die englische Geschichte ausweist, auf deren Beispiel
von einem ihrer Standesgenossen jüngst selbst hingewiesen worden
ist. Endlich da es von höchstem Interesse ist daß alle deutschen
Stämme vertreten seyen, obgleich die durch den Drang der
Umstände gegebene Frist kaum allen erlauben dürfte sich fertig zu
machen, so müßte eben den Verzögerten oder Verspäteten, nicht bloß
den jetzigen Bundesstaaten, sondern allen Gliedern des alten germani-
schen National- und Reichskörpers, der Anschluß offen gehalten werden.
Wäre das deutsche Parlament auch anfangs nicht vollzählig constituirt,
so dürfte man sich durch einige Dissidenten nicht irremachen lassen, seine
bloße Erscheinung wird einen Zauber ausüben der auch längst entfrem-
dete Brüderstämme mächtig anziehen muß.



Monarchie oder Republik.

(Aus der Deutschen Zeitung.)

Aus der Schweiz, dem Lande der Republiken, ruft man uns zu:
nur keine Republikchen am Rhein! In Italien hat die blutjunge Politik
der freiesten Blätter in Turin, in dem französischen Gränzlande, den
Tact zu Eintracht zwischen Fürst und Volk, zur Ausbildung der begon-
nenen constitutionellen Verfassungen zu mahnen! In Belgien, scheint
es, wird die große Probe der ächten constitutionellen Monarchie in einem
kleinen von Parteien, Stämmen und Religionsstreitigkeiten getheilten
Lande, das heißt auf dem anscheinend ungünstigsten Boden, bestanden.
Dort ist diese Monarchie was sie seyn soll, während in Frankreich die
Dynastie sie zu allem gemacht hatte was sie nicht seyn soll. Würde sie
die Probe in Belgien auch nicht bestehen, so wäre es vielleicht unbillig
aus diesem Fall auf den Werth oder Unwerth der ächten constitutionellen
Monarchie zu schließen, weil der Staat zu jung, seine Lage zu ausge-
setzt, seine Größe und Selbständigkeit zu gering, die Dynastie einge-
wandert, zu fremd und neu ist. Wird sie aber, allen Versuchungen und
Reizen der französischen Nachbarin Republik zum Trotz, wirklich auf
diesem ungünstigen Boden sogar, und auf die Dauer bestanden, dann
wollen wir doch sehen wie uns angesichts dieser Erfahrung die preußi-
schen Doctrinäre die größere Haltbarkeit und Macht der Absolutie und
der halben Verfassungen länger demonstriren werden, nachdem diese
überlebten und zwitterhaften Staatsformen überall in der Grundveste
erschüttert sind, und nur die Staaten wo die constitutionelle Monarchie
eine Wahrheit ist, England und Belgien, den Sturm ruhig überstanden
haben werden. Doch, nicht an die Absolutisten wollen wir uns dießmal
mit der Hindeutung auf diese Erfahrung des Tages richten, sondern an
unsere deutschen Republicaner, die sich unter der alten deutschen Erb-
sünde der Nachahmungssucht hingerissen fühlen die auf ganz verschiede-
nen Zuständen wurzelnde französische Republik bei uns aus dem Steg-
reif nachzubilden. Wir wenden uns mit den folgenden Worten vorzugs-
weise an die Jugend, der es natürlich ist und selbst wohlansteht sich in
Ideen und Idealen für die Republik zu begeistern, die wir aber nicht
dringend genug auffordern können das Ideal mit den möglichen Dingen
nicht zu verwechseln, und ihre Ideen nicht vorzeitig bei dieser gunstig
scheinenden Zeit in die Wirklichkeit übertragen zu wollen, ehe sie sich,
reifer an Jahren, an der harten Praxis erst selbst geprüft und versucht
haben.

Nr. 73.
[Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
[Spaltenumbruch] 13 März 1848.


Die Nationalvertretung im Bunde.

. . Seit dem Ereigniß vom 24 Febr. iſt Deutſchland zur Erkennt-
niß einer großen Nothwendigkeit gelangt. Frankreich fordert die Re-
viſion der Verträge von 1815, Deutſchland antwortet mit einer Revi-
ſion ſeiner Bundesacte. Deutſche Nationaleinheit, deutſches Parlament
— das ſind jetzt Fragen die im Princip entſchieden ſind. Sie ſind nicht
mehr Theorie, Wünſche oder Vorſchläge einer progreſſiven Partei, ſie
ſind lebendige Thatſachen im Bewußtſeyn des deutſchen Volks, ſie haben
ſchon die Zuſtimmung mehrerer Regierungen, ja der Bundesverſamm-
lung ſelbſt, die erklärt hat daß Deutſchland berufen ſey endlich den
Rang einzunehmen unter den Nationen der ihm gebührt. Deutſch-
land tritt in eine neue Wendung ſeiner Geſchichte. Die Rhein-
bundperiode und der Staatenbund von 1815, ſelbſt die letzten Jahrhun-
derte des verfallenen Kaiſerthums erſcheinen uns wie ein großes Inter-
regnum, und die Blicke wenden ſich zurück — zu der Zeit da unſere
Nation an Macht und Größe das erſte der abendländiſchen Reiche war.
Die Hoffnung, das Verlangen, die Einſicht das wieder zu werden iſt
erwacht, und es handelt ſich um Conſtituirung, und zwar um ſchleunige
Conſtituirung. Wenn in wenigen Wochen die Nationalverſammlung
der franzöſiſchen Republik zuſammentritt, um vielleicht das Loos zu
werfen über die europäiſche Welt, da ſollte auch Deutſchland (mit La-
martine’s Manifeſt zu reden) die friedliche Ausſtrahlung ſeiner Ver-
nunft auf den Völkerhorizont leuchten laſſen. Was vermöchte die alte
Schule der Diplomaten gegen die ſiegreiche Demokratie; nur die Stimme
eines deutſchen Parlaments wird ſich den ungeſtümen neunhundert Re-
präſentanten einer neuen Geſellſchaft vernehmbar machen, nur wenn
ſie wirklich der Ausdruck iſt einer in ihrem Rechtsgefühl befriedigten Na-
tion, wird ſie mächtig genug ſeyn um, ohne die ungewiſſen Würfel des
Kriegs, dem Geiſt der Mäßigung und Erhaltung, welchen ſich vor allen
die Deutſchen bewahrt haben, Eingang zu verſchaffen. Dieſes große
Werk zu unterſtützen hat die Preſſe eine heilige Pflicht. Sie kann es
nicht ſowohl dadurch daß ſie Verfaſſungsplane entwirft, als daß ſie den
Verfaſſungsgedanken pflegt, zur Ausführung treibt. Die Deutſche Zei-
tung hat recht wenn ſie vor Zerſplitterung der Meinungen warnt.
Ohne Zweifel wird am Bundestag ſelbſt, der ſich die Initiative er-
halten muß, ein Plan ausgearbeitet werden, ein gleiches wird
ſelbſtändig in den einzelnen Ständeverſammlungen geſchehen, oder
es wird dort wohl der in einer Verſammlung deutſcher Männer, wie
die in Heidelberg war, beſprochene Plan die gemeinſchaftliche Grund-
lage bilden. Darüber hat dann die Preſſe ihr Votum abzugeben.
Einſtweilen ſcheint es ganz unverfänglich wenn ſie ſich über die
Grundſätze des Wahlverfahrens äußert. Hier möchte nun von der
directen Berufung an das Volk ſchon darum abgeſehen werden, weil
die Zeit zu ſehr drängt als daß man lange noch Wahlgeſetze verab-
ſchieden könnte, und weil auch die Frage welches die geeigneten Männer
zu einem deutſchen Parlament ſeyen, eher vor einer Ständeverſamm-
lung eine competente Entſcheidung finden dürfte als vor populären
Wahlcollegien. Nur müßten die Stände nicht nothwendig aus ihrer
Mitte wählen, ſondern den freieſten Spielraum haben, um dem öffent-
lichen Geiſt eine nicht bloß provinzielle Vertretung zu geben. Wenn
die Deutſche Zeitung die Parlamentswahl auf ſtändiſche Abgeordnete
beſchränkt, dann aber will daß denſelben geſtattet ſeyn ſolle zur Hälfte
ihrer eignen Zahl andere gute und kundige Männer als ſitz- und ſtimm-
berechtigte Mitglieder einzuführen, ſo wäre dieß eine Formloſigkeit die
wohl kaum anderswo in der Welt bei einer conſtituirten Staatsgewalt
zuläſſig erachtet werden dürfte. Ebenſowenig empfiehlt ſich ein anderer
Vorſchlag von praktiſcher Seite: die Stände in beiden Kammern ver-
einigt wählen zu laſſen. Eine ſolche Wahl gäbe kein reines Facit, ſie
würde niemand befriedigen. Auf dieſe Art werden z. B. in Württem-
berg die ſtändiſchen Ausſchüſſe gewählt, und die Folge iſt daß, weil die
Majorität der erſten Kammer zuſammen ſchon mit einer kleinen Mi-
norität der zweiten Kammer den Ausſchlag in Händen hat, ſelten ein
volksthümlicher Name durchdringt. Soll das deutſche Parlament ſeiner
Auſgabe entſprechen, ſo muß es aus Männern beſtehen die ihre Stel-
lung nicht einer künſtlichen Fiction, ſondern dem allgemeinen Vertrauen
verdanken. Wenn es weiter der Rath der Deutſchen Zeitung iſt über-
all kurzweg ein Zehntel der Stände als die Mitgliederzahl des Parla-
[Spaltenumbruch] ments feſtzuſetzen, ſo iſt dagegen zu erinnern daß das numeriſche Ver-
hältniß der verſchiedenen Stände zu ihrer Landesbevölkerung ein ſehr
ungleiches iſt, daß man ſo zu keiner gleichmäßigen Vertretung kommen
könnte. Auf je 100,000 Einwohner ein Mitglied, wie man ſonſt vor-
geſchlagen hat, iſt daher ein beſſerer Maßſtab, und die Zahl von 300
bis 400 Mitgliedern eines deutſchen Parlaments würde auch gegenüber
der franzöfiſchen Nationalverſammlung nicht zu kleinlich erſcheinen.
Die beiden Kammern aber, wenn man nicht anders den Standesherren
ihren Platz im Fürſtenrath anweiſen will, worauf ſie wegen der ver-
ſprochenen Curiatſtimmen einigen Anſpruch haben, ſollten jede ihr
Contingent für ſich wählen. Möge die Ariſtokratie dabei nicht ver-
geſſen daß wenn Deutſchland dem Adel, den hiſtoriſchen Geſchlechtern
gerne eine hohe politiſche Stellung gönnt, es von ihnen erwartet daß
ſie keine Sonderintereſſen verfolgen, welche die Zeit nicht mehr erträgt,
daß ſie, um mächtig und geachtet zu ſeyn, mit der Nation gehen müſſen
in den Kämpfen der Ehre, der Freiheit und des Rechtes, im Feld und
im Senat, wie die engliſche Geſchichte ausweist, auf deren Beiſpiel
von einem ihrer Standesgenoſſen jüngſt ſelbſt hingewieſen worden
iſt. Endlich da es von höchſtem Intereſſe iſt daß alle deutſchen
Stämme vertreten ſeyen, obgleich die durch den Drang der
Umſtände gegebene Friſt kaum allen erlauben dürfte ſich fertig zu
machen, ſo müßte eben den Verzögerten oder Verſpäteten, nicht bloß
den jetzigen Bundesſtaaten, ſondern allen Gliedern des alten germani-
ſchen National- und Reichskörpers, der Anſchluß offen gehalten werden.
Wäre das deutſche Parlament auch anfangs nicht vollzählig conſtituirt,
ſo dürfte man ſich durch einige Diſſidenten nicht irremachen laſſen, ſeine
bloße Erſcheinung wird einen Zauber ausüben der auch längſt entfrem-
dete Brüderſtämme mächtig anziehen muß.



Monarchie oder Republik.

(Aus der Deutſchen Zeitung.)

Aus der Schweiz, dem Lande der Republiken, ruft man uns zu:
nur keine Republikchen am Rhein! In Italien hat die blutjunge Politik
der freieſten Blätter in Turin, in dem franzöſiſchen Gränzlande, den
Tact zu Eintracht zwiſchen Fürſt und Volk, zur Ausbildung der begon-
nenen conſtitutionellen Verfaſſungen zu mahnen! In Belgien, ſcheint
es, wird die große Probe der ächten conſtitutionellen Monarchie in einem
kleinen von Parteien, Stämmen und Religionsſtreitigkeiten getheilten
Lande, das heißt auf dem anſcheinend ungünſtigſten Boden, beſtanden.
Dort iſt dieſe Monarchie was ſie ſeyn ſoll, während in Frankreich die
Dynaſtie ſie zu allem gemacht hatte was ſie nicht ſeyn ſoll. Würde ſie
die Probe in Belgien auch nicht beſtehen, ſo wäre es vielleicht unbillig
aus dieſem Fall auf den Werth oder Unwerth der ächten conſtitutionellen
Monarchie zu ſchließen, weil der Staat zu jung, ſeine Lage zu ausge-
ſetzt, ſeine Größe und Selbſtändigkeit zu gering, die Dynaſtie einge-
wandert, zu fremd und neu iſt. Wird ſie aber, allen Verſuchungen und
Reizen der franzöſiſchen Nachbarin Republik zum Trotz, wirklich auf
dieſem ungünſtigen Boden ſogar, und auf die Dauer beſtanden, dann
wollen wir doch ſehen wie uns angeſichts dieſer Erfahrung die preußi-
ſchen Doctrinäre die größere Haltbarkeit und Macht der Abſolutie und
der halben Verfaſſungen länger demonſtriren werden, nachdem dieſe
überlebten und zwitterhaften Staatsformen überall in der Grundveſte
erſchüttert ſind, und nur die Staaten wo die conſtitutionelle Monarchie
eine Wahrheit iſt, England und Belgien, den Sturm ruhig überſtanden
haben werden. Doch, nicht an die Abſolutiſten wollen wir uns dießmal
mit der Hindeutung auf dieſe Erfahrung des Tages richten, ſondern an
unſere deutſchen Republicaner, die ſich unter der alten deutſchen Erb-
ſünde der Nachahmungsſucht hingeriſſen fühlen die auf ganz verſchiede-
nen Zuſtänden wurzelnde franzöſiſche Republik bei uns aus dem Steg-
reif nachzubilden. Wir wenden uns mit den folgenden Worten vorzugs-
weiſe an die Jugend, der es natürlich iſt und ſelbſt wohlanſteht ſich in
Ideen und Idealen für die Republik zu begeiſtern, die wir aber nicht
dringend genug auffordern können das Ideal mit den möglichen Dingen
nicht zu verwechſeln, und ihre Ideen nicht vorzeitig bei dieſer gunſtig
ſcheinenden Zeit in die Wirklichkeit übertragen zu wollen, ehe ſie ſich,
reifer an Jahren, an der harten Praxis erſt ſelbſt geprüft und verſucht
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[0009] Nr. 73. Beilage zur Allgemeinen Zeitung. 13 März 1848. Die Nationalvertretung im Bunde. . . Seit dem Ereigniß vom 24 Febr. iſt Deutſchland zur Erkennt- niß einer großen Nothwendigkeit gelangt. Frankreich fordert die Re- viſion der Verträge von 1815, Deutſchland antwortet mit einer Revi- ſion ſeiner Bundesacte. Deutſche Nationaleinheit, deutſches Parlament — das ſind jetzt Fragen die im Princip entſchieden ſind. Sie ſind nicht mehr Theorie, Wünſche oder Vorſchläge einer progreſſiven Partei, ſie ſind lebendige Thatſachen im Bewußtſeyn des deutſchen Volks, ſie haben ſchon die Zuſtimmung mehrerer Regierungen, ja der Bundesverſamm- lung ſelbſt, die erklärt hat daß Deutſchland berufen ſey endlich den Rang einzunehmen unter den Nationen der ihm gebührt. Deutſch- land tritt in eine neue Wendung ſeiner Geſchichte. Die Rhein- bundperiode und der Staatenbund von 1815, ſelbſt die letzten Jahrhun- derte des verfallenen Kaiſerthums erſcheinen uns wie ein großes Inter- regnum, und die Blicke wenden ſich zurück — zu der Zeit da unſere Nation an Macht und Größe das erſte der abendländiſchen Reiche war. Die Hoffnung, das Verlangen, die Einſicht das wieder zu werden iſt erwacht, und es handelt ſich um Conſtituirung, und zwar um ſchleunige Conſtituirung. Wenn in wenigen Wochen die Nationalverſammlung der franzöſiſchen Republik zuſammentritt, um vielleicht das Loos zu werfen über die europäiſche Welt, da ſollte auch Deutſchland (mit La- martine’s Manifeſt zu reden) die friedliche Ausſtrahlung ſeiner Ver- nunft auf den Völkerhorizont leuchten laſſen. Was vermöchte die alte Schule der Diplomaten gegen die ſiegreiche Demokratie; nur die Stimme eines deutſchen Parlaments wird ſich den ungeſtümen neunhundert Re- präſentanten einer neuen Geſellſchaft vernehmbar machen, nur wenn ſie wirklich der Ausdruck iſt einer in ihrem Rechtsgefühl befriedigten Na- tion, wird ſie mächtig genug ſeyn um, ohne die ungewiſſen Würfel des Kriegs, dem Geiſt der Mäßigung und Erhaltung, welchen ſich vor allen die Deutſchen bewahrt haben, Eingang zu verſchaffen. Dieſes große Werk zu unterſtützen hat die Preſſe eine heilige Pflicht. Sie kann es nicht ſowohl dadurch daß ſie Verfaſſungsplane entwirft, als daß ſie den Verfaſſungsgedanken pflegt, zur Ausführung treibt. Die Deutſche Zei- tung hat recht wenn ſie vor Zerſplitterung der Meinungen warnt. Ohne Zweifel wird am Bundestag ſelbſt, der ſich die Initiative er- halten muß, ein Plan ausgearbeitet werden, ein gleiches wird ſelbſtändig in den einzelnen Ständeverſammlungen geſchehen, oder es wird dort wohl der in einer Verſammlung deutſcher Männer, wie die in Heidelberg war, beſprochene Plan die gemeinſchaftliche Grund- lage bilden. Darüber hat dann die Preſſe ihr Votum abzugeben. Einſtweilen ſcheint es ganz unverfänglich wenn ſie ſich über die Grundſätze des Wahlverfahrens äußert. Hier möchte nun von der directen Berufung an das Volk ſchon darum abgeſehen werden, weil die Zeit zu ſehr drängt als daß man lange noch Wahlgeſetze verab- ſchieden könnte, und weil auch die Frage welches die geeigneten Männer zu einem deutſchen Parlament ſeyen, eher vor einer Ständeverſamm- lung eine competente Entſcheidung finden dürfte als vor populären Wahlcollegien. Nur müßten die Stände nicht nothwendig aus ihrer Mitte wählen, ſondern den freieſten Spielraum haben, um dem öffent- lichen Geiſt eine nicht bloß provinzielle Vertretung zu geben. Wenn die Deutſche Zeitung die Parlamentswahl auf ſtändiſche Abgeordnete beſchränkt, dann aber will daß denſelben geſtattet ſeyn ſolle zur Hälfte ihrer eignen Zahl andere gute und kundige Männer als ſitz- und ſtimm- berechtigte Mitglieder einzuführen, ſo wäre dieß eine Formloſigkeit die wohl kaum anderswo in der Welt bei einer conſtituirten Staatsgewalt zuläſſig erachtet werden dürfte. Ebenſowenig empfiehlt ſich ein anderer Vorſchlag von praktiſcher Seite: die Stände in beiden Kammern ver- einigt wählen zu laſſen. Eine ſolche Wahl gäbe kein reines Facit, ſie würde niemand befriedigen. Auf dieſe Art werden z. B. in Württem- berg die ſtändiſchen Ausſchüſſe gewählt, und die Folge iſt daß, weil die Majorität der erſten Kammer zuſammen ſchon mit einer kleinen Mi- norität der zweiten Kammer den Ausſchlag in Händen hat, ſelten ein volksthümlicher Name durchdringt. Soll das deutſche Parlament ſeiner Auſgabe entſprechen, ſo muß es aus Männern beſtehen die ihre Stel- lung nicht einer künſtlichen Fiction, ſondern dem allgemeinen Vertrauen verdanken. Wenn es weiter der Rath der Deutſchen Zeitung iſt über- all kurzweg ein Zehntel der Stände als die Mitgliederzahl des Parla- ments feſtzuſetzen, ſo iſt dagegen zu erinnern daß das numeriſche Ver- hältniß der verſchiedenen Stände zu ihrer Landesbevölkerung ein ſehr ungleiches iſt, daß man ſo zu keiner gleichmäßigen Vertretung kommen könnte. Auf je 100,000 Einwohner ein Mitglied, wie man ſonſt vor- geſchlagen hat, iſt daher ein beſſerer Maßſtab, und die Zahl von 300 bis 400 Mitgliedern eines deutſchen Parlaments würde auch gegenüber der franzöfiſchen Nationalverſammlung nicht zu kleinlich erſcheinen. Die beiden Kammern aber, wenn man nicht anders den Standesherren ihren Platz im Fürſtenrath anweiſen will, worauf ſie wegen der ver- ſprochenen Curiatſtimmen einigen Anſpruch haben, ſollten jede ihr Contingent für ſich wählen. Möge die Ariſtokratie dabei nicht ver- geſſen daß wenn Deutſchland dem Adel, den hiſtoriſchen Geſchlechtern gerne eine hohe politiſche Stellung gönnt, es von ihnen erwartet daß ſie keine Sonderintereſſen verfolgen, welche die Zeit nicht mehr erträgt, daß ſie, um mächtig und geachtet zu ſeyn, mit der Nation gehen müſſen in den Kämpfen der Ehre, der Freiheit und des Rechtes, im Feld und im Senat, wie die engliſche Geſchichte ausweist, auf deren Beiſpiel von einem ihrer Standesgenoſſen jüngſt ſelbſt hingewieſen worden iſt. Endlich da es von höchſtem Intereſſe iſt daß alle deutſchen Stämme vertreten ſeyen, obgleich die durch den Drang der Umſtände gegebene Friſt kaum allen erlauben dürfte ſich fertig zu machen, ſo müßte eben den Verzögerten oder Verſpäteten, nicht bloß den jetzigen Bundesſtaaten, ſondern allen Gliedern des alten germani- ſchen National- und Reichskörpers, der Anſchluß offen gehalten werden. Wäre das deutſche Parlament auch anfangs nicht vollzählig conſtituirt, ſo dürfte man ſich durch einige Diſſidenten nicht irremachen laſſen, ſeine bloße Erſcheinung wird einen Zauber ausüben der auch längſt entfrem- dete Brüderſtämme mächtig anziehen muß. Monarchie oder Republik. (Aus der Deutſchen Zeitung.) Aus der Schweiz, dem Lande der Republiken, ruft man uns zu: nur keine Republikchen am Rhein! In Italien hat die blutjunge Politik der freieſten Blätter in Turin, in dem franzöſiſchen Gränzlande, den Tact zu Eintracht zwiſchen Fürſt und Volk, zur Ausbildung der begon- nenen conſtitutionellen Verfaſſungen zu mahnen! In Belgien, ſcheint es, wird die große Probe der ächten conſtitutionellen Monarchie in einem kleinen von Parteien, Stämmen und Religionsſtreitigkeiten getheilten Lande, das heißt auf dem anſcheinend ungünſtigſten Boden, beſtanden. Dort iſt dieſe Monarchie was ſie ſeyn ſoll, während in Frankreich die Dynaſtie ſie zu allem gemacht hatte was ſie nicht ſeyn ſoll. Würde ſie die Probe in Belgien auch nicht beſtehen, ſo wäre es vielleicht unbillig aus dieſem Fall auf den Werth oder Unwerth der ächten conſtitutionellen Monarchie zu ſchließen, weil der Staat zu jung, ſeine Lage zu ausge- ſetzt, ſeine Größe und Selbſtändigkeit zu gering, die Dynaſtie einge- wandert, zu fremd und neu iſt. Wird ſie aber, allen Verſuchungen und Reizen der franzöſiſchen Nachbarin Republik zum Trotz, wirklich auf dieſem ungünſtigen Boden ſogar, und auf die Dauer beſtanden, dann wollen wir doch ſehen wie uns angeſichts dieſer Erfahrung die preußi- ſchen Doctrinäre die größere Haltbarkeit und Macht der Abſolutie und der halben Verfaſſungen länger demonſtriren werden, nachdem dieſe überlebten und zwitterhaften Staatsformen überall in der Grundveſte erſchüttert ſind, und nur die Staaten wo die conſtitutionelle Monarchie eine Wahrheit iſt, England und Belgien, den Sturm ruhig überſtanden haben werden. Doch, nicht an die Abſolutiſten wollen wir uns dießmal mit der Hindeutung auf dieſe Erfahrung des Tages richten, ſondern an unſere deutſchen Republicaner, die ſich unter der alten deutſchen Erb- ſünde der Nachahmungsſucht hingeriſſen fühlen die auf ganz verſchiede- nen Zuſtänden wurzelnde franzöſiſche Republik bei uns aus dem Steg- reif nachzubilden. Wir wenden uns mit den folgenden Worten vorzugs- weiſe an die Jugend, der es natürlich iſt und ſelbſt wohlanſteht ſich in Ideen und Idealen für die Republik zu begeiſtern, die wir aber nicht dringend genug auffordern können das Ideal mit den möglichen Dingen nicht zu verwechſeln, und ihre Ideen nicht vorzeitig bei dieſer gunſtig ſcheinenden Zeit in die Wirklichkeit übertragen zu wollen, ehe ſie ſich, reifer an Jahren, an der harten Praxis erſt ſelbſt geprüft und verſucht haben.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 13. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine73_1848/9>, abgerufen am 13.06.2024.