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Allgemeine Zeitung, Nr. 74, 14. März 1848.

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Nr. 74.
[Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
[Spaltenumbruch] 14 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Die neue Zeit in Deutschland.
II.

* Die Ereignisse überstürzen sich fast, und es thut noth den Kopf
aufrecht zu erhalten, um nicht im Wirrwarr die Besinnung zu verlieren.
Wir haben im ersten Artikel angedeutet auf welche Weise am schnellsten
eine wahre Bundesgewalt geschaffen werden könne, aber wir müssen
dießmal zuerst einen Blick auf das Innere der Staaten werfen. Fast
allenthalben ist eine gänzliche Ministerveränderung vorgegangen oder
im Werk, und Männer meist aus der entschiedensten Opposition sind
ins Ministerium eingetreten. Was werden, was können diese thun?
Sie sollen die nöthigen Rüstungen betreiben, um allenfallsige fremde
Angriffe abzuwehren, sie sollen in den drückendsten Steuern Erleichte-
rung eintreten lassen und andere Einnahmequellen erhöhen, sie solleu
die Verwaltung umgestalten und populärer machen; sie sollen Oeffent-
lichkeit und Mündlichkeit des Gerichts aus dem Stegreif einführen, und
alles dieß in möglichster Uebereinstimmung mit den andern Staaten,
was ohne mühselige Unterhandlungen nicht möglich ist. Wahrlich es
gehört kein geringer Muth dazu eine solche Aufgabe zu übernehmen.
Noch mehr: sie sollen die Volksbewaffnung ins Werk setzen, damit diese
als starker Nachhalt für das im Felde stehende Heer diene; sie sollen,
aller hergebrachten Form entgegen, eine Bundesgewalt schaffen, und
diese mit Geld versorgen, das ihnen selbst abgeht. Allerdings würden
sie auch der Kosten des im Felde stehenden Heeres enthoben, aber dieser
felddienstfähige Heerbestand war vorher sozusagen gar nicht vorhanden,
da man, die Specialwaffen ausgenommen, fast nur Cadres hatte. Mit
einem Wort, die neuen Ministerien sollen von ihren gewohnten Ein-
nahmen abgeben und neue Mittel schaffen unter Umständen welche eine
Erleichterung in jeder Weise nothwendig machen. Um ihre Stellung
darf also die neuen Gewalthaber niemand beneiden.

Alle diese Schwierigkeiten finken aber fast in nichts zurück vor
einer neuen, welche immer drohender heranwächst, einem Bauernkrieg.
Schon hat sich an vielen Orten die Unbotmäßigkeit des Landvolks
bemächtigt, und welche Mittel stehen den Regierungen zu Gebot um
diesen Sturm zu beschwören, wenn er in weiterem Umkreis zum Aus-
bruch kommt? Fromme Wünsche und schöne Worte, wie man solche be-
reits vernommen, helfen hier nichts; Gewalt ist bei weiterem Umsich-
greifen unmöglich, also muß man sich mit dem Landvolk bestmöglich
vertragen, man muß es auf sein eigenes Interesse aufmerksam machen,
unter seiner eigenen Zustimmung und Beihülfe die Verwaltung her-
stellen. Wie viele unserer bureaukratisch gebildeten Beamten sind aber
dazu gemacht? Wir benützen die neugewährte Preßfreiheit um diese mit
jedem Tage dringender werdenden Fragen bei Zeiten zur Sprache brin-
gen; die Sache wird durch das Besprechen nicht schlimmer als sie ist,
denn sie läßt sich in keiner Art mehr von sich weisen, und es hilft durch-
aus nichts den Vogel Strauß zu spielen und den Kopf in die Ecke zu
stecken, sondern man muß der Gefahr offen ins Angesicht blicken. Man
hat bis jetzt vom Bureau und mit der Feder regiert, die Zeit kommt
aber mit raschen Schritten heran wo man mit freier Rede die Menschen
leiten und die unheilbar Verirrten mit dem Schwert zwingen muß.
Wir wollen Frevel wie sie in Niederstetten und den neuesten Nach-
richten zufolge noch in manchen andern Orten begangen wurden, weder
entschuldigen noch beschönigen, wer aber ein menschliches Herz im Busen
trägt, der werfe, wenn er es über sich vermag, den ersten Stein auf
die Verirrten! Wie oft hat man ihre demüthigsten Bitten unbeachtet
gelassen, wie oft hat man sie gehudelt, wie oft das sauer erworbene
Geld in unmäßigen Steuern ihnen abgepreßt! Bis jetzt hat man kaum
etwas anderes verstanden als den Leuten zu befehlen, und wenn sie end-
lich sich widerspenstig zeigten, ihnen Polizei oder gar Militär auf den
Hals zu schicken. Die Zeit ist aber nicht mehr ferne wo man letzteres
nicht mehr kann und ersteres nicht mehr achtet. Hier ist ein Keim von
Zerrüttung, welcher am schwersten auszurotten seyn möchte. Die
Städte können sich am Ende selbst helfen, Ordnung in ihrem Innern
herstellen, aber schwächer sind die Elemente der Ordnung auf dem Lande,
wenn die Bande der Autorität hier mehr und mehr sich lösen sollten,
was leider sehr zu befürchten ist. Denn man vergesse nicht daß seit
der französischen Revolution und der Ausrufung der Republik erst 14
[Spaltenumbruch] Tage verflossen sind, und daß was in diesen 14 Tagen geschehen, un-
schwer einen Schluß auf die nächsten Monate machen läßt.

Die vorsichtige Schweigsamkeit ist jetzt am unrechten Ort; wer es
mit dem Vaterlande redlich meint, muß ohne Leidenschaft, aber auch ohne
Umschweife seine Meinung sagen. Die Grundsätze welche man seit den
Karlsbader Beschlüssen in sämmtlichen deutschen Ländern hier mit mehr,
dort mit weniger Strenge verfolgt hat, gingen alle darauf hinaus den
Geist politischer Freiheit nicht zur Entwicklung gelangen zu lassen;
nur vergaß man dabei daß durch die Unterdrückung der Presse auch die
Regierungen selbst mehr und mehr in Unwissenheit über den wahren
Stand der Sache geblieben sind, und je leichter es war den offenen
Widerspruch in Rede und Schrift niederzuhalten, desto mehr überließ
man sich einer gemächlichen Regiererei, welche in dem Actenwust auf-
ging. Das hätte ohne nachtheiligen Folgen, wenn auch nicht für die
Regierten, doch für die Regierenden bleiben mögen, denn das ganze
System beruhte auf der gegenseitigen Hülfe welche im Fall von Un-
ruhen ein Bundesstaat dem andern zu leisten hätte; diese Grundlage
ist aber durch die neuesten Ereignisse, vorerst wenigstens, gänzlich ver-
schwunden, und dadurch den Regierungen der Boden unter den Füßen
weggezogen. Kein Bundesstaat kann dem andern unter den gegenwär-
tigen Umständen aushelfen, denn alle befinden sich so ziemlich in der-
selben Lage, und jetzt ist was vorher den Völkern und ihren Freiheits-
bestrebungen nachtheilig war, die Zersplitterung und der schwache Zu-
sammenhang Deutschlands, auf einmal den Regierungen nachtheilig
geworden, denn die Völker sind jetzt in Uebereinstimmung, und nicht
nur finden ganz directe Besprechungen statt, welche man im Angesicht
der äußern Gefahr nicht mehr zu hindern wagt, sondern die Völker
geben sich auch durch das tausendfältige Echo der Zeitungen Kunde von
ihrem Thun, und das Beispiel des einen wirkt auf das andere mit rei-
ßender Gewalt.

Wohl wissen wir daß in diesen Worten sehr bittere, unangenehme
Wahrheiten liegen, allein nur die Wahrheit und die gesunde Erkennt-
niß kann uns jetzt noch retten vor der drohenden Anarchie. Man muß
mit dem Verstand und der Einsicht, sonach auch mit der Zustimmung
der gebildeten Classen regieren, und mit Hülfe derselben die Wunden
welche der großen Masse geschlagen worden sind und sie zum Aufstand
reif gemacht haben, zu heilen suchen. Dieß ist eine unvermeidliche
Nothwendigkeit geworden, gegen welche man umsonst die Augen schließt.
Das Volk steht nicht aus Muthwillen auf, sondern nur wenn eine lange
Reihe von Fehlern seinen Zustand mehr oder minder unerträglich ge-
macht hat. Die Massen jedoch bequemen sich, wenn sie von Seite der
Regierungsgewalt wahrhaft guten Willen sehen den vorhandenen Uebeln
zu steuern, sehr bald wieder, zumal in Deutschland, aber man hüte sich vor
zweideutigen Schritten, sie wecken nur ein unbezähmbares Mißtrauen,
und dann ist die Wiederherstellung der Ruhe nur noch durch ganz neue
Menschen möglich.

Bei dieser Drachensaat von Zerwürfnissen im Innern der Staaten
ist eine Bundesgewalt von höchster Nothwendigkeit; wer kann den 38
Regierungen Deutschlands zumuthen daß sie alle in ihrem Kreis mit
gleicher Aufmerksamkeit auf die auswärtigen Verhältnisse Bedacht neh-
men, wer kann erwarten daß sie alle nach Einem Sinn und Geist han-
deln? Das liegt nicht in der menschlichen Natur. Schwer genug haben
die Handelsinteressen Deutschlands seit 30 Jahren den Mangel einer
gemeinsamen Leitung empfunden, aber schwerer würde ihn noch das
ganze Volk empfinden, wenn wir in unserer jetzigen Lage dem äußern
Feind gegenübertreten sollten. Was der erste Ruf Einzelner gleich nach
dem Empfang der ersten Nachrichten über die französische Revolution
war: Einheit nach außen, Stärkung des Bundes durch gemeinsame
Vertretung am Bundestag, das wird bald von den Alpen bis zum Belt
wiederhallen und das Feldgeschrei Deutschlands bilden. Der Uebergang
zu größerer Einheit ist unvermeidlich, und auf je friedlicherem Wege
derselbe herbeigeführt werden kann, desto besser für alle. E. W.



Bundesreform.

Bei Winter in Heidelberg
erscheint in den nächsten Tagen eine eben jetzt hier gedruckte Schrift des
Professors des Staatsrechtes an der Universität Heidelberg, Hofraths

Nr. 74.
[Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
[Spaltenumbruch] 14 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Die neue Zeit in Deutſchland.
II.

* Die Ereigniſſe überſtürzen ſich faſt, und es thut noth den Kopf
aufrecht zu erhalten, um nicht im Wirrwarr die Beſinnung zu verlieren.
Wir haben im erſten Artikel angedeutet auf welche Weiſe am ſchnellſten
eine wahre Bundesgewalt geſchaffen werden könne, aber wir müſſen
dießmal zuerſt einen Blick auf das Innere der Staaten werfen. Faſt
allenthalben iſt eine gänzliche Miniſterveränderung vorgegangen oder
im Werk, und Männer meiſt aus der entſchiedenſten Oppoſition ſind
ins Miniſterium eingetreten. Was werden, was können dieſe thun?
Sie ſollen die nöthigen Rüſtungen betreiben, um allenfallſige fremde
Angriffe abzuwehren, ſie ſollen in den drückendſten Steuern Erleichte-
rung eintreten laſſen und andere Einnahmequellen erhöhen, ſie ſolleu
die Verwaltung umgeſtalten und populärer machen; ſie ſollen Oeffent-
lichkeit und Mündlichkeit des Gerichts aus dem Stegreif einführen, und
alles dieß in möglichſter Uebereinſtimmung mit den andern Staaten,
was ohne mühſelige Unterhandlungen nicht möglich iſt. Wahrlich es
gehört kein geringer Muth dazu eine ſolche Aufgabe zu übernehmen.
Noch mehr: ſie ſollen die Volksbewaffnung ins Werk ſetzen, damit dieſe
als ſtarker Nachhalt für das im Felde ſtehende Heer diene; ſie ſollen,
aller hergebrachten Form entgegen, eine Bundesgewalt ſchaffen, und
dieſe mit Geld verſorgen, das ihnen ſelbſt abgeht. Allerdings würden
ſie auch der Koſten des im Felde ſtehenden Heeres enthoben, aber dieſer
felddienſtfähige Heerbeſtand war vorher ſozuſagen gar nicht vorhanden,
da man, die Specialwaffen ausgenommen, faſt nur Cadres hatte. Mit
einem Wort, die neuen Miniſterien ſollen von ihren gewohnten Ein-
nahmen abgeben und neue Mittel ſchaffen unter Umſtänden welche eine
Erleichterung in jeder Weiſe nothwendig machen. Um ihre Stellung
darf alſo die neuen Gewalthaber niemand beneiden.

Alle dieſe Schwierigkeiten finken aber faſt in nichts zurück vor
einer neuen, welche immer drohender heranwächst, einem Bauernkrieg.
Schon hat ſich an vielen Orten die Unbotmäßigkeit des Landvolks
bemächtigt, und welche Mittel ſtehen den Regierungen zu Gebot um
dieſen Sturm zu beſchwören, wenn er in weiterem Umkreis zum Aus-
bruch kommt? Fromme Wünſche und ſchöne Worte, wie man ſolche be-
reits vernommen, helfen hier nichts; Gewalt iſt bei weiterem Umſich-
greifen unmöglich, alſo muß man ſich mit dem Landvolk beſtmöglich
vertragen, man muß es auf ſein eigenes Intereſſe aufmerkſam machen,
unter ſeiner eigenen Zuſtimmung und Beihülfe die Verwaltung her-
ſtellen. Wie viele unſerer bureaukratiſch gebildeten Beamten ſind aber
dazu gemacht? Wir benützen die neugewährte Preßfreiheit um dieſe mit
jedem Tage dringender werdenden Fragen bei Zeiten zur Sprache brin-
gen; die Sache wird durch das Beſprechen nicht ſchlimmer als ſie iſt,
denn ſie läßt ſich in keiner Art mehr von ſich weiſen, und es hilft durch-
aus nichts den Vogel Strauß zu ſpielen und den Kopf in die Ecke zu
ſtecken, ſondern man muß der Gefahr offen ins Angeſicht blicken. Man
hat bis jetzt vom Bureau und mit der Feder regiert, die Zeit kommt
aber mit raſchen Schritten heran wo man mit freier Rede die Menſchen
leiten und die unheilbar Verirrten mit dem Schwert zwingen muß.
Wir wollen Frevel wie ſie in Niederſtetten und den neueſten Nach-
richten zufolge noch in manchen andern Orten begangen wurden, weder
entſchuldigen noch beſchönigen, wer aber ein menſchliches Herz im Buſen
trägt, der werfe, wenn er es über ſich vermag, den erſten Stein auf
die Verirrten! Wie oft hat man ihre demüthigſten Bitten unbeachtet
gelaſſen, wie oft hat man ſie gehudelt, wie oft das ſauer erworbene
Geld in unmäßigen Steuern ihnen abgepreßt! Bis jetzt hat man kaum
etwas anderes verſtanden als den Leuten zu befehlen, und wenn ſie end-
lich ſich widerſpenſtig zeigten, ihnen Polizei oder gar Militär auf den
Hals zu ſchicken. Die Zeit iſt aber nicht mehr ferne wo man letzteres
nicht mehr kann und erſteres nicht mehr achtet. Hier iſt ein Keim von
Zerrüttung, welcher am ſchwerſten auszurotten ſeyn möchte. Die
Städte können ſich am Ende ſelbſt helfen, Ordnung in ihrem Innern
herſtellen, aber ſchwächer ſind die Elemente der Ordnung auf dem Lande,
wenn die Bande der Autorität hier mehr und mehr ſich löſen ſollten,
was leider ſehr zu befürchten iſt. Denn man vergeſſe nicht daß ſeit
der franzöſiſchen Revolution und der Ausrufung der Republik erſt 14
[Spaltenumbruch] Tage verfloſſen ſind, und daß was in dieſen 14 Tagen geſchehen, un-
ſchwer einen Schluß auf die nächſten Monate machen läßt.

Die vorſichtige Schweigſamkeit iſt jetzt am unrechten Ort; wer es
mit dem Vaterlande redlich meint, muß ohne Leidenſchaft, aber auch ohne
Umſchweife ſeine Meinung ſagen. Die Grundſätze welche man ſeit den
Karlsbader Beſchlüſſen in ſämmtlichen deutſchen Ländern hier mit mehr,
dort mit weniger Strenge verfolgt hat, gingen alle darauf hinaus den
Geiſt politiſcher Freiheit nicht zur Entwicklung gelangen zu laſſen;
nur vergaß man dabei daß durch die Unterdrückung der Preſſe auch die
Regierungen ſelbſt mehr und mehr in Unwiſſenheit über den wahren
Stand der Sache geblieben ſind, und je leichter es war den offenen
Widerſpruch in Rede und Schrift niederzuhalten, deſto mehr überließ
man ſich einer gemächlichen Regiererei, welche in dem Actenwuſt auf-
ging. Das hätte ohne nachtheiligen Folgen, wenn auch nicht für die
Regierten, doch für die Regierenden bleiben mögen, denn das ganze
Syſtem beruhte auf der gegenſeitigen Hülfe welche im Fall von Un-
ruhen ein Bundesſtaat dem andern zu leiſten hätte; dieſe Grundlage
iſt aber durch die neueſten Ereigniſſe, vorerſt wenigſtens, gänzlich ver-
ſchwunden, und dadurch den Regierungen der Boden unter den Füßen
weggezogen. Kein Bundesſtaat kann dem andern unter den gegenwär-
tigen Umſtänden aushelfen, denn alle befinden ſich ſo ziemlich in der-
ſelben Lage, und jetzt iſt was vorher den Völkern und ihren Freiheits-
beſtrebungen nachtheilig war, die Zerſplitterung und der ſchwache Zu-
ſammenhang Deutſchlands, auf einmal den Regierungen nachtheilig
geworden, denn die Völker ſind jetzt in Uebereinſtimmung, und nicht
nur finden ganz directe Beſprechungen ſtatt, welche man im Angeſicht
der äußern Gefahr nicht mehr zu hindern wagt, ſondern die Völker
geben ſich auch durch das tauſendfältige Echo der Zeitungen Kunde von
ihrem Thun, und das Beiſpiel des einen wirkt auf das andere mit rei-
ßender Gewalt.

Wohl wiſſen wir daß in dieſen Worten ſehr bittere, unangenehme
Wahrheiten liegen, allein nur die Wahrheit und die geſunde Erkennt-
niß kann uns jetzt noch retten vor der drohenden Anarchie. Man muß
mit dem Verſtand und der Einſicht, ſonach auch mit der Zuſtimmung
der gebildeten Claſſen regieren, und mit Hülfe derſelben die Wunden
welche der großen Maſſe geſchlagen worden ſind und ſie zum Aufſtand
reif gemacht haben, zu heilen ſuchen. Dieß iſt eine unvermeidliche
Nothwendigkeit geworden, gegen welche man umſonſt die Augen ſchließt.
Das Volk ſteht nicht aus Muthwillen auf, ſondern nur wenn eine lange
Reihe von Fehlern ſeinen Zuſtand mehr oder minder unerträglich ge-
macht hat. Die Maſſen jedoch bequemen ſich, wenn ſie von Seite der
Regierungsgewalt wahrhaft guten Willen ſehen den vorhandenen Uebeln
zu ſteuern, ſehr bald wieder, zumal in Deutſchland, aber man hüte ſich vor
zweideutigen Schritten, ſie wecken nur ein unbezähmbares Mißtrauen,
und dann iſt die Wiederherſtellung der Ruhe nur noch durch ganz neue
Menſchen möglich.

Bei dieſer Drachenſaat von Zerwürfniſſen im Innern der Staaten
iſt eine Bundesgewalt von höchſter Nothwendigkeit; wer kann den 38
Regierungen Deutſchlands zumuthen daß ſie alle in ihrem Kreis mit
gleicher Aufmerkſamkeit auf die auswärtigen Verhältniſſe Bedacht neh-
men, wer kann erwarten daß ſie alle nach Einem Sinn und Geiſt han-
deln? Das liegt nicht in der menſchlichen Natur. Schwer genug haben
die Handelsintereſſen Deutſchlands ſeit 30 Jahren den Mangel einer
gemeinſamen Leitung empfunden, aber ſchwerer würde ihn noch das
ganze Volk empfinden, wenn wir in unſerer jetzigen Lage dem äußern
Feind gegenübertreten ſollten. Was der erſte Ruf Einzelner gleich nach
dem Empfang der erſten Nachrichten über die franzöſiſche Revolution
war: Einheit nach außen, Stärkung des Bundes durch gemeinſame
Vertretung am Bundestag, das wird bald von den Alpen bis zum Belt
wiederhallen und das Feldgeſchrei Deutſchlands bilden. Der Uebergang
zu größerer Einheit iſt unvermeidlich, und auf je friedlicherem Wege
derſelbe herbeigeführt werden kann, deſto beſſer für alle. E. W.



Bundesreform.

Bei Winter in Heidelberg
erſcheint in den nächſten Tagen eine eben jetzt hier gedruckte Schrift des
Profeſſors des Staatsrechtes an der Univerſität Heidelberg, Hofraths

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[0009] Nr. 74. Beilage zur Allgemeinen Zeitung. 14 März 1848. Die neue Zeit in Deutſchland. II. * Die Ereigniſſe überſtürzen ſich faſt, und es thut noth den Kopf aufrecht zu erhalten, um nicht im Wirrwarr die Beſinnung zu verlieren. Wir haben im erſten Artikel angedeutet auf welche Weiſe am ſchnellſten eine wahre Bundesgewalt geſchaffen werden könne, aber wir müſſen dießmal zuerſt einen Blick auf das Innere der Staaten werfen. Faſt allenthalben iſt eine gänzliche Miniſterveränderung vorgegangen oder im Werk, und Männer meiſt aus der entſchiedenſten Oppoſition ſind ins Miniſterium eingetreten. Was werden, was können dieſe thun? Sie ſollen die nöthigen Rüſtungen betreiben, um allenfallſige fremde Angriffe abzuwehren, ſie ſollen in den drückendſten Steuern Erleichte- rung eintreten laſſen und andere Einnahmequellen erhöhen, ſie ſolleu die Verwaltung umgeſtalten und populärer machen; ſie ſollen Oeffent- lichkeit und Mündlichkeit des Gerichts aus dem Stegreif einführen, und alles dieß in möglichſter Uebereinſtimmung mit den andern Staaten, was ohne mühſelige Unterhandlungen nicht möglich iſt. Wahrlich es gehört kein geringer Muth dazu eine ſolche Aufgabe zu übernehmen. Noch mehr: ſie ſollen die Volksbewaffnung ins Werk ſetzen, damit dieſe als ſtarker Nachhalt für das im Felde ſtehende Heer diene; ſie ſollen, aller hergebrachten Form entgegen, eine Bundesgewalt ſchaffen, und dieſe mit Geld verſorgen, das ihnen ſelbſt abgeht. Allerdings würden ſie auch der Koſten des im Felde ſtehenden Heeres enthoben, aber dieſer felddienſtfähige Heerbeſtand war vorher ſozuſagen gar nicht vorhanden, da man, die Specialwaffen ausgenommen, faſt nur Cadres hatte. Mit einem Wort, die neuen Miniſterien ſollen von ihren gewohnten Ein- nahmen abgeben und neue Mittel ſchaffen unter Umſtänden welche eine Erleichterung in jeder Weiſe nothwendig machen. Um ihre Stellung darf alſo die neuen Gewalthaber niemand beneiden. Alle dieſe Schwierigkeiten finken aber faſt in nichts zurück vor einer neuen, welche immer drohender heranwächst, einem Bauernkrieg. Schon hat ſich an vielen Orten die Unbotmäßigkeit des Landvolks bemächtigt, und welche Mittel ſtehen den Regierungen zu Gebot um dieſen Sturm zu beſchwören, wenn er in weiterem Umkreis zum Aus- bruch kommt? Fromme Wünſche und ſchöne Worte, wie man ſolche be- reits vernommen, helfen hier nichts; Gewalt iſt bei weiterem Umſich- greifen unmöglich, alſo muß man ſich mit dem Landvolk beſtmöglich vertragen, man muß es auf ſein eigenes Intereſſe aufmerkſam machen, unter ſeiner eigenen Zuſtimmung und Beihülfe die Verwaltung her- ſtellen. Wie viele unſerer bureaukratiſch gebildeten Beamten ſind aber dazu gemacht? Wir benützen die neugewährte Preßfreiheit um dieſe mit jedem Tage dringender werdenden Fragen bei Zeiten zur Sprache brin- gen; die Sache wird durch das Beſprechen nicht ſchlimmer als ſie iſt, denn ſie läßt ſich in keiner Art mehr von ſich weiſen, und es hilft durch- aus nichts den Vogel Strauß zu ſpielen und den Kopf in die Ecke zu ſtecken, ſondern man muß der Gefahr offen ins Angeſicht blicken. Man hat bis jetzt vom Bureau und mit der Feder regiert, die Zeit kommt aber mit raſchen Schritten heran wo man mit freier Rede die Menſchen leiten und die unheilbar Verirrten mit dem Schwert zwingen muß. Wir wollen Frevel wie ſie in Niederſtetten und den neueſten Nach- richten zufolge noch in manchen andern Orten begangen wurden, weder entſchuldigen noch beſchönigen, wer aber ein menſchliches Herz im Buſen trägt, der werfe, wenn er es über ſich vermag, den erſten Stein auf die Verirrten! Wie oft hat man ihre demüthigſten Bitten unbeachtet gelaſſen, wie oft hat man ſie gehudelt, wie oft das ſauer erworbene Geld in unmäßigen Steuern ihnen abgepreßt! Bis jetzt hat man kaum etwas anderes verſtanden als den Leuten zu befehlen, und wenn ſie end- lich ſich widerſpenſtig zeigten, ihnen Polizei oder gar Militär auf den Hals zu ſchicken. Die Zeit iſt aber nicht mehr ferne wo man letzteres nicht mehr kann und erſteres nicht mehr achtet. Hier iſt ein Keim von Zerrüttung, welcher am ſchwerſten auszurotten ſeyn möchte. Die Städte können ſich am Ende ſelbſt helfen, Ordnung in ihrem Innern herſtellen, aber ſchwächer ſind die Elemente der Ordnung auf dem Lande, wenn die Bande der Autorität hier mehr und mehr ſich löſen ſollten, was leider ſehr zu befürchten iſt. Denn man vergeſſe nicht daß ſeit der franzöſiſchen Revolution und der Ausrufung der Republik erſt 14 Tage verfloſſen ſind, und daß was in dieſen 14 Tagen geſchehen, un- ſchwer einen Schluß auf die nächſten Monate machen läßt. Die vorſichtige Schweigſamkeit iſt jetzt am unrechten Ort; wer es mit dem Vaterlande redlich meint, muß ohne Leidenſchaft, aber auch ohne Umſchweife ſeine Meinung ſagen. Die Grundſätze welche man ſeit den Karlsbader Beſchlüſſen in ſämmtlichen deutſchen Ländern hier mit mehr, dort mit weniger Strenge verfolgt hat, gingen alle darauf hinaus den Geiſt politiſcher Freiheit nicht zur Entwicklung gelangen zu laſſen; nur vergaß man dabei daß durch die Unterdrückung der Preſſe auch die Regierungen ſelbſt mehr und mehr in Unwiſſenheit über den wahren Stand der Sache geblieben ſind, und je leichter es war den offenen Widerſpruch in Rede und Schrift niederzuhalten, deſto mehr überließ man ſich einer gemächlichen Regiererei, welche in dem Actenwuſt auf- ging. Das hätte ohne nachtheiligen Folgen, wenn auch nicht für die Regierten, doch für die Regierenden bleiben mögen, denn das ganze Syſtem beruhte auf der gegenſeitigen Hülfe welche im Fall von Un- ruhen ein Bundesſtaat dem andern zu leiſten hätte; dieſe Grundlage iſt aber durch die neueſten Ereigniſſe, vorerſt wenigſtens, gänzlich ver- ſchwunden, und dadurch den Regierungen der Boden unter den Füßen weggezogen. Kein Bundesſtaat kann dem andern unter den gegenwär- tigen Umſtänden aushelfen, denn alle befinden ſich ſo ziemlich in der- ſelben Lage, und jetzt iſt was vorher den Völkern und ihren Freiheits- beſtrebungen nachtheilig war, die Zerſplitterung und der ſchwache Zu- ſammenhang Deutſchlands, auf einmal den Regierungen nachtheilig geworden, denn die Völker ſind jetzt in Uebereinſtimmung, und nicht nur finden ganz directe Beſprechungen ſtatt, welche man im Angeſicht der äußern Gefahr nicht mehr zu hindern wagt, ſondern die Völker geben ſich auch durch das tauſendfältige Echo der Zeitungen Kunde von ihrem Thun, und das Beiſpiel des einen wirkt auf das andere mit rei- ßender Gewalt. Wohl wiſſen wir daß in dieſen Worten ſehr bittere, unangenehme Wahrheiten liegen, allein nur die Wahrheit und die geſunde Erkennt- niß kann uns jetzt noch retten vor der drohenden Anarchie. Man muß mit dem Verſtand und der Einſicht, ſonach auch mit der Zuſtimmung der gebildeten Claſſen regieren, und mit Hülfe derſelben die Wunden welche der großen Maſſe geſchlagen worden ſind und ſie zum Aufſtand reif gemacht haben, zu heilen ſuchen. Dieß iſt eine unvermeidliche Nothwendigkeit geworden, gegen welche man umſonſt die Augen ſchließt. Das Volk ſteht nicht aus Muthwillen auf, ſondern nur wenn eine lange Reihe von Fehlern ſeinen Zuſtand mehr oder minder unerträglich ge- macht hat. Die Maſſen jedoch bequemen ſich, wenn ſie von Seite der Regierungsgewalt wahrhaft guten Willen ſehen den vorhandenen Uebeln zu ſteuern, ſehr bald wieder, zumal in Deutſchland, aber man hüte ſich vor zweideutigen Schritten, ſie wecken nur ein unbezähmbares Mißtrauen, und dann iſt die Wiederherſtellung der Ruhe nur noch durch ganz neue Menſchen möglich. Bei dieſer Drachenſaat von Zerwürfniſſen im Innern der Staaten iſt eine Bundesgewalt von höchſter Nothwendigkeit; wer kann den 38 Regierungen Deutſchlands zumuthen daß ſie alle in ihrem Kreis mit gleicher Aufmerkſamkeit auf die auswärtigen Verhältniſſe Bedacht neh- men, wer kann erwarten daß ſie alle nach Einem Sinn und Geiſt han- deln? Das liegt nicht in der menſchlichen Natur. Schwer genug haben die Handelsintereſſen Deutſchlands ſeit 30 Jahren den Mangel einer gemeinſamen Leitung empfunden, aber ſchwerer würde ihn noch das ganze Volk empfinden, wenn wir in unſerer jetzigen Lage dem äußern Feind gegenübertreten ſollten. Was der erſte Ruf Einzelner gleich nach dem Empfang der erſten Nachrichten über die franzöſiſche Revolution war: Einheit nach außen, Stärkung des Bundes durch gemeinſame Vertretung am Bundestag, das wird bald von den Alpen bis zum Belt wiederhallen und das Feldgeſchrei Deutſchlands bilden. Der Uebergang zu größerer Einheit iſt unvermeidlich, und auf je friedlicherem Wege derſelbe herbeigeführt werden kann, deſto beſſer für alle. E. W. Bundesreform. *** Frankfurt a. M., 10 März.Bei Winter in Heidelberg erſcheint in den nächſten Tagen eine eben jetzt hier gedruckte Schrift des Profeſſors des Staatsrechtes an der Univerſität Heidelberg, Hofraths

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-03-29T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 74, 14. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine74_1848/9>, abgerufen am 03.12.2024.