Allgemeine Zeitung, Nr. 75, 15. März 1848.[Spaltenumbruch]
darunter die große Mehrzahl der angesehensten Bürger und Ein- Aus Paris. Paris, im März. Die Götter und die Pariser haben wieder Dieser Austausch von Complimenten und Süßigkeiten wurde zu- Das gegenwärtig beliebteste unter den Mitteln die, um die gute ^ Paris, 9 März. Die Hauptgefahr und auch die Hauptursache [Spaltenumbruch]
darunter die große Mehrzahl der angeſehenſten Bürger und Ein- Aus Paris. ♂ Paris, im März. Die Götter und die Pariſer haben wieder Dieſer Austauſch von Complimenten und Süßigkeiten wurde zu- Das gegenwärtig beliebteſte unter den Mitteln die, um die gute △ Paris, 9 März. Die Hauptgefahr und auch die Haupturſache <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0014" n="1198"/><cb/> darunter die große Mehrzahl der angeſehenſten Bürger und Ein-<lb/> wohner der Stadt, in ſeiner regelmäßigen Wochenverſammlung in<lb/> Berathung gezogen ob und welche Maßregeln im gedachten Sinn<lb/> unter den obwaltenden Zeitumſtänden anzunehmen ſeyen, und ein-<lb/> ſtimmig hat man ſich dahin entſchieden ein Comite niederzuſetzen<lb/> zum Entwurf einer Eingabe an den König. Als Poſtulate wurden<lb/> aufgeſtellt: ſofortige Einberufung eines vereinigten ſchleßwig-holſtei-<lb/> niſchen Landtags, eine gemeinſchaftliche ſchleßwig-holſteiniſche Ver-<lb/> faſſung mit verantwortlichen Miniſtern für die Herzogthümer, all-<lb/> gemeine Volksbewaffnung, unbedingte Preßfreiheit, unbeſchränkte<lb/> Aſſociationsfreiheit, Geſchwornengerichte, Volksvertretung beim deut-<lb/> ſchen Bund, Beitritt Schleßwigs zum Bunde. Das Comité beſteht<lb/> aus mehrern unſerer Ständeabgeordneten, einigen Kaufleuten, An-<lb/> wälten, Aerzten und ſonſtigen Bürgern der Stadt; ſchon am heuti-<lb/> gen Abend hält dasſelbe ſeine erſte Sitzung, und in den nächſten<lb/> Tagen wird es zur Berathung und Genehmigung der von ihm ent-<lb/> worfenen „Forderungen“ eine allgemeine Bürgerverſammlung zu-<lb/> ſammenberufen.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Aus Paris.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline>♂ <hi rendition="#b">Paris</hi>, im März.</dateline><lb/> <p>Die Götter und die Pariſer haben wieder<lb/> einmal eine Revolution gewollt, fügen wir uns darein, weil wir’s doch<lb/> nicht ändern könnten, und ſehen wir was etwa dabei herauskommen<lb/> mag. An ſolchen die den politiſchen Horizont Europa’s zum Gegen-<lb/> ſtande tiefſinniger Beobachtungen machen werden, an diplomatiſchen<lb/> Meteorologen, an erfinderiſchen mit der Löſung der ſocialiſtiſchen Pro-<lb/> bleme, die gewaltſam auf die Tagesordnung geſetzt worden ſind, be-<lb/> ſchäftigten Weltweiſen, an ſtaatsmänniſchen Geiſtern die zur Heilung<lb/> der Gebrechen in den Einrichtungen des Gemeinweſens ihre probaten<lb/> Hausmittel in Bereitſchaft halten, wird es ohnehin nicht fehlen; auch<lb/> iſt das, Gott ſey Dank, meine Sphäre nicht, ich enthalte mich daher<lb/> jeder Stimme über dieſe hochwichtigen Dinge, erlaube mir dagegen<lb/> einen flüchtigen Blick auf das Verhältniß des letzten Umſchwungs zu<lb/> Kunſt und Litteratur. Kaum waren die letzten Schüffe verhallt und<lb/> durch die ſchnelle Wiederherſtellung der äußerlichen Ruhe einige Keime<lb/> des Vertrauens und der Hoffnung in den Gemüthern rege geworden,<lb/> als auch ungeſäumt auf dem Gebiet des äſthetiſchen Wirkens, wie in<lb/> allen übrigen Provinzen der menſchlichen Geſchäftigkeit, die mannich-<lb/> fachſten Vorſchläge und Forderungen ſich erhoben, unbekannte Größen<lb/> von allen Seiten hervorwimmelten und die Mittelmäßigkeit allenthalben<lb/> das Wort begehrte oder nahm. Jn einer Republik iſt dieß nicht an-<lb/> ders als billig und natürlich; da gebührt der Mittelmäßigkeit eine<lb/> wichtige Rolle; ſie iſt ja mit der Gleichheit ſo nah verwandt; die Frei-<lb/> heit ſich für ein Genie zu halten, die ohnehin ſo alt iſt wie das Men-<lb/> ſchengeſchlecht, kann ein jeder jetzt üben nach Herzensluſt, und die An-<lb/> ſtalten zur Spendung gegenſeitigen Lobes, wann konnten ſie beſſer ge-<lb/> deihen als in dieſer Zeit der allgemeinen Verbrüderung?</p><lb/> <p>Dieſer Austauſch von Complimenten und Süßigkeiten wurde zu-<lb/> erſt zwiſchen den Mitgliedern der proviſoriſchen Regierung und den<lb/> Sprechern der verſchiedenen Kunſtgenoſſenſchaften eingeleitet, und hierbei<lb/> natürlich laut verkündet daß endlich die Aera der unſterblichen Schö-<lb/> pfungen angebrochen ſey, daß bisher ſämmtliche Muſen in den Feſſeln<lb/> einer alles hemmenden und lähmenden Tyrannei gelegen hätten, und<lb/> durch die Begründung der Republik die neuen Zeuris und Polyklet,<lb/> die Meiſter der Poeſie und die Herven der Architektur unausbleiblich,<lb/> wie die nothwendige Schlußfolge eines gegebenen Vorderſatzes, erſchei-<lb/> nen müßten. Aber nicht bloß öffentlich, nicht bloß durch feſtliche Reden<lb/> und Zeitungsmanifeſte, auch in dem Privatverkehr der Künſtler wird dieſes<lb/> Thema verfochten und entwickelt. Schon ſeit vielen Jahren iſt es in<lb/> Paris eine weitverbreitete und für viele Geiſter zum Axiom gewordene<lb/> Meinung daß die Blüthe der ſchönen Künſte, wie der Fortſchritt der<lb/> Wiſſenſchaften und mechaniſchen Fertigkeiten durch die äußeren Um-<lb/> ſtände und die geſchickte Anwendung geeigneter Maßregeln von Seiten<lb/> des Staates und der Geſellſchaft vorzugsweiſe bedingt ſey.</p><lb/> <p>Das gegenwärtig beliebteſte unter den Mitteln die, um die gute<lb/> Sache zu fördern, in Vorſchlag gebracht werden, iſt die Bildung von<lb/> Vereinen, Gilden, Jnnungen, die aus ihrer Mitte nebſt den nöthigen<lb/> Vorſtänden auch die Vertreter ihrer Angelegenheiten bei den vollziehen-<lb/> den Gewalten der Republik erwählen würden. Es hat ſich zu dieſem<lb/> Ende ſchon ein Club gebildet, in dem es bis jetzt zwar unendlich demo-<lb/><cb/> kratiſch, mit andern Worten höchſt ſtürmiſch und höchſt anarchiſch her-<lb/> ging, in dem aber bis jetzt weder etwas Ausführbares beantragt noch<lb/> irgendetwas beſchloſſen wurde. Der Grundzug der Verſammlung, zu<lb/> der jeder eine Autorenfeder, einen Griffel, einen Pinſel, einen Meißel,<lb/> eine Geige oder ſonſt ein mit genannten Jnſtrumenten verwandtes<lb/> Werkzeug Führende zugelaſſen wird, iſt eine babyloniſche Jdeenverwirrung,<lb/> in der die bunteſten Anſichten rechthaberiſch durcheinanderſauſen, keine Jdee<lb/> zu augenblicklicher Geltung, geſchweige zur Herrſchaft gelangt, niemand<lb/> ſeinen Nachbar verſteht, und die meiſten ſelber nicht recht wiſſen was ſie<lb/> wollen. Es iſt ein Orcheſter wo jeder Mitſpielende als Virtuoſe mit<lb/> ſeinen eigenen Melodien über die gemeinſame Melodie auftritt, und<lb/> nirgendwo wüthet die Unordnung, die durch die Februarereigniſſe<lb/> nicht geſchaffen ward, wohl aber an den Tag kam, ſchrankenloſer als<lb/> in dem Kreiſe derjenigen denen die ruhmvolle Pflicht die Stifter der<lb/> Harmonie unter den Menſchen zu ſeyn obliegt.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="4"><lb/> <dateline>△ <hi rendition="#b">Paris,</hi> 9 März.</dateline><lb/> <p>Die Hauptgefahr und auch die Haupturſache<lb/> eines gewiſſen Mißtrauens in die endlichen Ergebniſſe der letzten Revo-<lb/> lution liegt in der Art wie die Regierung ſich ſelbſt die Frage der <hi rendition="#g">Arbeit-<lb/> organiſation</hi> geſtellt hat. Die verſchiedenen <hi rendition="#g">Syſteme</hi> die über dieſe<lb/> Frage zu Tage gefördert wurden, ſind alle ganz vorzüglich, vorausgeſetzt<lb/> daß man die Menſchen wie Bienenſchwärme oder Ameiſenhaufen organi-<lb/> ſiren und ihnen neben den Männchen und Weibchen auch Schaaren<lb/> geſchlechtloſer Arbeiter beigeſellen könnte. Wenn die Natur die Menſchen<lb/> für ſolche „Syſteme“ geſchaffen hätte, ſo würde ſie ihnen auch wie den<lb/> Thieren die zu dergleichen berufen ſind, den nöthigen Jnſtinet dazu gegeben<lb/> haben. Aber ſie ſchuf den Menſchen frei und zur Freiheit. Deßwegen<lb/> glauben wir aber nicht daß die armen Leute, daß die Arbeiter ſchutzlos<lb/> ihrem Geſchick preisgegeben, rückſichtslos vom Capital und der Maſchine<lb/> ausgebeutet werden dürfen. Jm Gegentheil iſt es nothwendig daß im<lb/> Staate ſelbſt der Grundſatz eines Schutzes gegen Unrecht, einer Hülfe<lb/> in der Noth überall an die Spitze der Jnſtitutionen geſtellt und durch-<lb/> greifend und thatſächlich verwirklicht werde. Aber wir fürchten die<lb/> Frage iſt in Frankreich verkehrt geſtellt und in die unrechten Hände<lb/> gefallen. Sie iſt verkehrt geſtellt, denn eine Organiſation der<lb/> Arbeit zernichtet die Freiheit, ſchneidet die Bäume nach dem Nor-<lb/> malzoll eben und rechts und links ab. Was noththut, iſt nicht<lb/> Zwang, ſondern Freiheit. Und zwar nicht eine todte Freiheit des <hi rendition="#aq">laisser<lb/> faire, laisser aller,</hi> ſondern die Freiheit die dem Baume ſein eigen-<lb/> thümliches Wachsthum läßt, aber zugleich für ein durchgreifendes Be-<lb/> wäſſerungsſyſtem ſorgt, und hier und dort nachhilft wo der wilde Baum-<lb/> ſchlag die Waldung ſelbſt zu zerſtören droht. Ein democratiſches bis in<lb/> alle Theile der Geſellſchaft hinabreichendes Creditſyſtem, mit Verſtand<lb/> gehegt und gepflegt, macht die Organiſation der Arbeit nicht nur über-<lb/> flüſſig, ſondern fördert nur geſunde, rüſtige und naturgemäße Arbeit,<lb/> während die Organiſation der Arbeit alles über einen Leiſten ſchlägt und<lb/> der Faulheit ſo viel gibt wie der rüſtigen Arbeit. Faſt noch ſchlimmer<lb/> aber iſt daß dieſe Frage in die Hände der Schule gefallen iſt, welche die<lb/> Theorie des Kampfes der Jntereſſen zwiſchen Volk und Mittelſtänden in<lb/> der neueſten Zeit wieder aufgegriffen hat. Dieſer Widerſpruch iſt nir-<lb/> gends in der Natur der Verhältniſſe begründet, und die rüſtigern Ar-<lb/> beiter ſelbſt wiſſen ſehr gut daß ſie ebenſo gut wie ihre Meiſter zum Mit-<lb/> telſtande gehören, während alle Bürger Volk ſind und ſeyn müſſen.<lb/> Die franzöſiſchen Arbeiter haben ſich während und nach dem Kampfe<lb/> ſtets den Jntereſſen des Mittelſtandes angeſchloſſen, und die Mittel-<lb/> ſtände ihrerſeits ſich zu vielen Opfern bereit gezeigt. Ein Theil der<lb/> letztern aber fürchtet dennoch das Volk vor wie nach. Das iſt das Ergebniß<lb/> der ſchönen Theorie die man lange feilgeboten hat. Und in Folge dieſer<lb/> Furcht kann ein ziemlicher Theil der Mittelſtände nicht recht zum Ver-<lb/> trauen gelangen. Das muß denn natürlich Beſchränkung von Ausgaben,<lb/> Einſtellung von Beſtellungen ꝛc. ꝛc. hervorrufen, und die beſtehende Kriſis<lb/> nur befördern. Wir hoffen daß in Deutſchland dieſe Theorie weniger<lb/> Wurzel gefaßt hat als in Frankreich. Sie iſt vom Böſen wo ſie ſich geltend<lb/> macht; ſie wirft den Funken des Haſſes, der Zwietracht und des Miß-<lb/> trauens zwiſchen die Glieder eines und desſelben Leibes. Wo dieſe<lb/> Anſicht thatſächlich auftritt, da iſt es jedes tüchtigen Mannes, jedes<lb/> braven Bürgers Pflicht ſie mit Macht niederzuhalten. <hi rendition="#g">Einheit<lb/> Deutſchlands</hi> iſt heute in jedermanns Mund, aber <hi rendition="#g">Einheit des<lb/> deutſchen Volkes</hi> iſt nicht möglich mit einer Theorie die das Volk<lb/> in ſeine Theile zu zerſplittern ſucht. Frankreich iſt lebensgefährlich<lb/> krank — an dieſer Theorie die das <hi rendition="#g">Volk</hi> und den <hi rendition="#g">Mittelſtand</hi> ſich<lb/> feindlich gegenüberdrängt. Ohne dieſe Gefahr wäre alles gerettet in<lb/> Frankreich.</p> </div> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1198/0014]
darunter die große Mehrzahl der angeſehenſten Bürger und Ein-
wohner der Stadt, in ſeiner regelmäßigen Wochenverſammlung in
Berathung gezogen ob und welche Maßregeln im gedachten Sinn
unter den obwaltenden Zeitumſtänden anzunehmen ſeyen, und ein-
ſtimmig hat man ſich dahin entſchieden ein Comite niederzuſetzen
zum Entwurf einer Eingabe an den König. Als Poſtulate wurden
aufgeſtellt: ſofortige Einberufung eines vereinigten ſchleßwig-holſtei-
niſchen Landtags, eine gemeinſchaftliche ſchleßwig-holſteiniſche Ver-
faſſung mit verantwortlichen Miniſtern für die Herzogthümer, all-
gemeine Volksbewaffnung, unbedingte Preßfreiheit, unbeſchränkte
Aſſociationsfreiheit, Geſchwornengerichte, Volksvertretung beim deut-
ſchen Bund, Beitritt Schleßwigs zum Bunde. Das Comité beſteht
aus mehrern unſerer Ständeabgeordneten, einigen Kaufleuten, An-
wälten, Aerzten und ſonſtigen Bürgern der Stadt; ſchon am heuti-
gen Abend hält dasſelbe ſeine erſte Sitzung, und in den nächſten
Tagen wird es zur Berathung und Genehmigung der von ihm ent-
worfenen „Forderungen“ eine allgemeine Bürgerverſammlung zu-
ſammenberufen.
Aus Paris.
♂ Paris, im März.
Die Götter und die Pariſer haben wieder
einmal eine Revolution gewollt, fügen wir uns darein, weil wir’s doch
nicht ändern könnten, und ſehen wir was etwa dabei herauskommen
mag. An ſolchen die den politiſchen Horizont Europa’s zum Gegen-
ſtande tiefſinniger Beobachtungen machen werden, an diplomatiſchen
Meteorologen, an erfinderiſchen mit der Löſung der ſocialiſtiſchen Pro-
bleme, die gewaltſam auf die Tagesordnung geſetzt worden ſind, be-
ſchäftigten Weltweiſen, an ſtaatsmänniſchen Geiſtern die zur Heilung
der Gebrechen in den Einrichtungen des Gemeinweſens ihre probaten
Hausmittel in Bereitſchaft halten, wird es ohnehin nicht fehlen; auch
iſt das, Gott ſey Dank, meine Sphäre nicht, ich enthalte mich daher
jeder Stimme über dieſe hochwichtigen Dinge, erlaube mir dagegen
einen flüchtigen Blick auf das Verhältniß des letzten Umſchwungs zu
Kunſt und Litteratur. Kaum waren die letzten Schüffe verhallt und
durch die ſchnelle Wiederherſtellung der äußerlichen Ruhe einige Keime
des Vertrauens und der Hoffnung in den Gemüthern rege geworden,
als auch ungeſäumt auf dem Gebiet des äſthetiſchen Wirkens, wie in
allen übrigen Provinzen der menſchlichen Geſchäftigkeit, die mannich-
fachſten Vorſchläge und Forderungen ſich erhoben, unbekannte Größen
von allen Seiten hervorwimmelten und die Mittelmäßigkeit allenthalben
das Wort begehrte oder nahm. Jn einer Republik iſt dieß nicht an-
ders als billig und natürlich; da gebührt der Mittelmäßigkeit eine
wichtige Rolle; ſie iſt ja mit der Gleichheit ſo nah verwandt; die Frei-
heit ſich für ein Genie zu halten, die ohnehin ſo alt iſt wie das Men-
ſchengeſchlecht, kann ein jeder jetzt üben nach Herzensluſt, und die An-
ſtalten zur Spendung gegenſeitigen Lobes, wann konnten ſie beſſer ge-
deihen als in dieſer Zeit der allgemeinen Verbrüderung?
Dieſer Austauſch von Complimenten und Süßigkeiten wurde zu-
erſt zwiſchen den Mitgliedern der proviſoriſchen Regierung und den
Sprechern der verſchiedenen Kunſtgenoſſenſchaften eingeleitet, und hierbei
natürlich laut verkündet daß endlich die Aera der unſterblichen Schö-
pfungen angebrochen ſey, daß bisher ſämmtliche Muſen in den Feſſeln
einer alles hemmenden und lähmenden Tyrannei gelegen hätten, und
durch die Begründung der Republik die neuen Zeuris und Polyklet,
die Meiſter der Poeſie und die Herven der Architektur unausbleiblich,
wie die nothwendige Schlußfolge eines gegebenen Vorderſatzes, erſchei-
nen müßten. Aber nicht bloß öffentlich, nicht bloß durch feſtliche Reden
und Zeitungsmanifeſte, auch in dem Privatverkehr der Künſtler wird dieſes
Thema verfochten und entwickelt. Schon ſeit vielen Jahren iſt es in
Paris eine weitverbreitete und für viele Geiſter zum Axiom gewordene
Meinung daß die Blüthe der ſchönen Künſte, wie der Fortſchritt der
Wiſſenſchaften und mechaniſchen Fertigkeiten durch die äußeren Um-
ſtände und die geſchickte Anwendung geeigneter Maßregeln von Seiten
des Staates und der Geſellſchaft vorzugsweiſe bedingt ſey.
Das gegenwärtig beliebteſte unter den Mitteln die, um die gute
Sache zu fördern, in Vorſchlag gebracht werden, iſt die Bildung von
Vereinen, Gilden, Jnnungen, die aus ihrer Mitte nebſt den nöthigen
Vorſtänden auch die Vertreter ihrer Angelegenheiten bei den vollziehen-
den Gewalten der Republik erwählen würden. Es hat ſich zu dieſem
Ende ſchon ein Club gebildet, in dem es bis jetzt zwar unendlich demo-
kratiſch, mit andern Worten höchſt ſtürmiſch und höchſt anarchiſch her-
ging, in dem aber bis jetzt weder etwas Ausführbares beantragt noch
irgendetwas beſchloſſen wurde. Der Grundzug der Verſammlung, zu
der jeder eine Autorenfeder, einen Griffel, einen Pinſel, einen Meißel,
eine Geige oder ſonſt ein mit genannten Jnſtrumenten verwandtes
Werkzeug Führende zugelaſſen wird, iſt eine babyloniſche Jdeenverwirrung,
in der die bunteſten Anſichten rechthaberiſch durcheinanderſauſen, keine Jdee
zu augenblicklicher Geltung, geſchweige zur Herrſchaft gelangt, niemand
ſeinen Nachbar verſteht, und die meiſten ſelber nicht recht wiſſen was ſie
wollen. Es iſt ein Orcheſter wo jeder Mitſpielende als Virtuoſe mit
ſeinen eigenen Melodien über die gemeinſame Melodie auftritt, und
nirgendwo wüthet die Unordnung, die durch die Februarereigniſſe
nicht geſchaffen ward, wohl aber an den Tag kam, ſchrankenloſer als
in dem Kreiſe derjenigen denen die ruhmvolle Pflicht die Stifter der
Harmonie unter den Menſchen zu ſeyn obliegt.
△ Paris, 9 März.
Die Hauptgefahr und auch die Haupturſache
eines gewiſſen Mißtrauens in die endlichen Ergebniſſe der letzten Revo-
lution liegt in der Art wie die Regierung ſich ſelbſt die Frage der Arbeit-
organiſation geſtellt hat. Die verſchiedenen Syſteme die über dieſe
Frage zu Tage gefördert wurden, ſind alle ganz vorzüglich, vorausgeſetzt
daß man die Menſchen wie Bienenſchwärme oder Ameiſenhaufen organi-
ſiren und ihnen neben den Männchen und Weibchen auch Schaaren
geſchlechtloſer Arbeiter beigeſellen könnte. Wenn die Natur die Menſchen
für ſolche „Syſteme“ geſchaffen hätte, ſo würde ſie ihnen auch wie den
Thieren die zu dergleichen berufen ſind, den nöthigen Jnſtinet dazu gegeben
haben. Aber ſie ſchuf den Menſchen frei und zur Freiheit. Deßwegen
glauben wir aber nicht daß die armen Leute, daß die Arbeiter ſchutzlos
ihrem Geſchick preisgegeben, rückſichtslos vom Capital und der Maſchine
ausgebeutet werden dürfen. Jm Gegentheil iſt es nothwendig daß im
Staate ſelbſt der Grundſatz eines Schutzes gegen Unrecht, einer Hülfe
in der Noth überall an die Spitze der Jnſtitutionen geſtellt und durch-
greifend und thatſächlich verwirklicht werde. Aber wir fürchten die
Frage iſt in Frankreich verkehrt geſtellt und in die unrechten Hände
gefallen. Sie iſt verkehrt geſtellt, denn eine Organiſation der
Arbeit zernichtet die Freiheit, ſchneidet die Bäume nach dem Nor-
malzoll eben und rechts und links ab. Was noththut, iſt nicht
Zwang, ſondern Freiheit. Und zwar nicht eine todte Freiheit des laisser
faire, laisser aller, ſondern die Freiheit die dem Baume ſein eigen-
thümliches Wachsthum läßt, aber zugleich für ein durchgreifendes Be-
wäſſerungsſyſtem ſorgt, und hier und dort nachhilft wo der wilde Baum-
ſchlag die Waldung ſelbſt zu zerſtören droht. Ein democratiſches bis in
alle Theile der Geſellſchaft hinabreichendes Creditſyſtem, mit Verſtand
gehegt und gepflegt, macht die Organiſation der Arbeit nicht nur über-
flüſſig, ſondern fördert nur geſunde, rüſtige und naturgemäße Arbeit,
während die Organiſation der Arbeit alles über einen Leiſten ſchlägt und
der Faulheit ſo viel gibt wie der rüſtigen Arbeit. Faſt noch ſchlimmer
aber iſt daß dieſe Frage in die Hände der Schule gefallen iſt, welche die
Theorie des Kampfes der Jntereſſen zwiſchen Volk und Mittelſtänden in
der neueſten Zeit wieder aufgegriffen hat. Dieſer Widerſpruch iſt nir-
gends in der Natur der Verhältniſſe begründet, und die rüſtigern Ar-
beiter ſelbſt wiſſen ſehr gut daß ſie ebenſo gut wie ihre Meiſter zum Mit-
telſtande gehören, während alle Bürger Volk ſind und ſeyn müſſen.
Die franzöſiſchen Arbeiter haben ſich während und nach dem Kampfe
ſtets den Jntereſſen des Mittelſtandes angeſchloſſen, und die Mittel-
ſtände ihrerſeits ſich zu vielen Opfern bereit gezeigt. Ein Theil der
letztern aber fürchtet dennoch das Volk vor wie nach. Das iſt das Ergebniß
der ſchönen Theorie die man lange feilgeboten hat. Und in Folge dieſer
Furcht kann ein ziemlicher Theil der Mittelſtände nicht recht zum Ver-
trauen gelangen. Das muß denn natürlich Beſchränkung von Ausgaben,
Einſtellung von Beſtellungen ꝛc. ꝛc. hervorrufen, und die beſtehende Kriſis
nur befördern. Wir hoffen daß in Deutſchland dieſe Theorie weniger
Wurzel gefaßt hat als in Frankreich. Sie iſt vom Böſen wo ſie ſich geltend
macht; ſie wirft den Funken des Haſſes, der Zwietracht und des Miß-
trauens zwiſchen die Glieder eines und desſelben Leibes. Wo dieſe
Anſicht thatſächlich auftritt, da iſt es jedes tüchtigen Mannes, jedes
braven Bürgers Pflicht ſie mit Macht niederzuhalten. Einheit
Deutſchlands iſt heute in jedermanns Mund, aber Einheit des
deutſchen Volkes iſt nicht möglich mit einer Theorie die das Volk
in ſeine Theile zu zerſplittern ſucht. Frankreich iſt lebensgefährlich
krank — an dieſer Theorie die das Volk und den Mittelſtand ſich
feindlich gegenüberdrängt. Ohne dieſe Gefahr wäre alles gerettet in
Frankreich.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |