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Allgemeine Zeitung, Nr. 75, 15. März 1848.

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[Spaltenumbruch] darunter die große Mehrzahl der angesehensten Bürger und Ein-
wohner der Stadt, in seiner regelmäßigen Wochenversammlung in
Berathung gezogen ob und welche Maßregeln im gedachten Sinn
unter den obwaltenden Zeitumständen anzunehmen seyen, und ein-
stimmig hat man sich dahin entschieden ein Comite niederzusetzen
zum Entwurf einer Eingabe an den König. Als Postulate wurden
aufgestellt: sofortige Einberufung eines vereinigten schleßwig-holstei-
nischen Landtags, eine gemeinschaftliche schleßwig-holsteinische Ver-
fassung mit verantwortlichen Ministern für die Herzogthümer, all-
gemeine Volksbewaffnung, unbedingte Preßfreiheit, unbeschränkte
Associationsfreiheit, Geschwornengerichte, Volksvertretung beim deut-
schen Bund, Beitritt Schleßwigs zum Bunde. Das Comite besteht
aus mehrern unserer Ständeabgeordneten, einigen Kaufleuten, An-
wälten, Aerzten und sonstigen Bürgern der Stadt; schon am heuti-
gen Abend hält dasselbe seine erste Sitzung, und in den nächsten
Tagen wird es zur Berathung und Genehmigung der von ihm ent-
worfenen "Forderungen" eine allgemeine Bürgerversammlung zu-
sammenberufen.



Aus Paris.

Die Götter und die Pariser haben wieder
einmal eine Revolution gewollt, fügen wir uns darein, weil wir's doch
nicht ändern könnten, und sehen wir was etwa dabei herauskommen
mag. An solchen die den politischen Horizont Europa's zum Gegen-
stande tiefsinniger Beobachtungen machen werden, an diplomatischen
Meteorologen, an erfinderischen mit der Lösung der socialistischen Pro-
bleme, die gewaltsam auf die Tagesordnung gesetzt worden sind, be-
schäftigten Weltweisen, an staatsmännischen Geistern die zur Heilung
der Gebrechen in den Einrichtungen des Gemeinwesens ihre probaten
Hausmittel in Bereitschaft halten, wird es ohnehin nicht fehlen; auch
ist das, Gott sey Dank, meine Sphäre nicht, ich enthalte mich daher
jeder Stimme über diese hochwichtigen Dinge, erlaube mir dagegen
einen flüchtigen Blick auf das Verhältniß des letzten Umschwungs zu
Kunst und Litteratur. Kaum waren die letzten Schüffe verhallt und
durch die schnelle Wiederherstellung der äußerlichen Ruhe einige Keime
des Vertrauens und der Hoffnung in den Gemüthern rege geworden,
als auch ungesäumt auf dem Gebiet des ästhetischen Wirkens, wie in
allen übrigen Provinzen der menschlichen Geschäftigkeit, die mannich-
fachsten Vorschläge und Forderungen sich erhoben, unbekannte Größen
von allen Seiten hervorwimmelten und die Mittelmäßigkeit allenthalben
das Wort begehrte oder nahm. Jn einer Republik ist dieß nicht an-
ders als billig und natürlich; da gebührt der Mittelmäßigkeit eine
wichtige Rolle; sie ist ja mit der Gleichheit so nah verwandt; die Frei-
heit sich für ein Genie zu halten, die ohnehin so alt ist wie das Men-
schengeschlecht, kann ein jeder jetzt üben nach Herzenslust, und die An-
stalten zur Spendung gegenseitigen Lobes, wann konnten sie besser ge-
deihen als in dieser Zeit der allgemeinen Verbrüderung?

Dieser Austausch von Complimenten und Süßigkeiten wurde zu-
erst zwischen den Mitgliedern der provisorischen Regierung und den
Sprechern der verschiedenen Kunstgenossenschaften eingeleitet, und hierbei
natürlich laut verkündet daß endlich die Aera der unsterblichen Schö-
pfungen angebrochen sey, daß bisher sämmtliche Musen in den Fesseln
einer alles hemmenden und lähmenden Tyrannei gelegen hätten, und
durch die Begründung der Republik die neuen Zeuris und Polyklet,
die Meister der Poesie und die Herven der Architektur unausbleiblich,
wie die nothwendige Schlußfolge eines gegebenen Vordersatzes, erschei-
nen müßten. Aber nicht bloß öffentlich, nicht bloß durch festliche Reden
und Zeitungsmanifeste, auch in dem Privatverkehr der Künstler wird dieses
Thema verfochten und entwickelt. Schon seit vielen Jahren ist es in
Paris eine weitverbreitete und für viele Geister zum Axiom gewordene
Meinung daß die Blüthe der schönen Künste, wie der Fortschritt der
Wissenschaften und mechanischen Fertigkeiten durch die äußeren Um-
stände und die geschickte Anwendung geeigneter Maßregeln von Seiten
des Staates und der Gesellschaft vorzugsweise bedingt sey.

Das gegenwärtig beliebteste unter den Mitteln die, um die gute
Sache zu fördern, in Vorschlag gebracht werden, ist die Bildung von
Vereinen, Gilden, Jnnungen, die aus ihrer Mitte nebst den nöthigen
Vorständen auch die Vertreter ihrer Angelegenheiten bei den vollziehen-
den Gewalten der Republik erwählen würden. Es hat sich zu diesem
Ende schon ein Club gebildet, in dem es bis jetzt zwar unendlich demo-
[Spaltenumbruch] kratisch, mit andern Worten höchst stürmisch und höchst anarchisch her-
ging, in dem aber bis jetzt weder etwas Ausführbares beantragt noch
irgendetwas beschlossen wurde. Der Grundzug der Versammlung, zu
der jeder eine Autorenfeder, einen Griffel, einen Pinsel, einen Meißel,
eine Geige oder sonst ein mit genannten Jnstrumenten verwandtes
Werkzeug Führende zugelassen wird, ist eine babylonische Jdeenverwirrung,
in der die buntesten Ansichten rechthaberisch durcheinandersausen, keine Jdee
zu augenblicklicher Geltung, geschweige zur Herrschaft gelangt, niemand
seinen Nachbar versteht, und die meisten selber nicht recht wissen was sie
wollen. Es ist ein Orchester wo jeder Mitspielende als Virtuose mit
seinen eigenen Melodien über die gemeinsame Melodie auftritt, und
nirgendwo wüthet die Unordnung, die durch die Februarereignisse
nicht geschaffen ward, wohl aber an den Tag kam, schrankenloser als
in dem Kreise derjenigen denen die ruhmvolle Pflicht die Stifter der
Harmonie unter den Menschen zu seyn obliegt.



Die Hauptgefahr und auch die Hauptursache
eines gewissen Mißtrauens in die endlichen Ergebnisse der letzten Revo-
lution liegt in der Art wie die Regierung sich selbst die Frage der Arbeit-
organisation
gestellt hat. Die verschiedenen Systeme die über diese
Frage zu Tage gefördert wurden, sind alle ganz vorzüglich, vorausgesetzt
daß man die Menschen wie Bienenschwärme oder Ameisenhaufen organi-
siren und ihnen neben den Männchen und Weibchen auch Schaaren
geschlechtloser Arbeiter beigesellen könnte. Wenn die Natur die Menschen
für solche "Systeme" geschaffen hätte, so würde sie ihnen auch wie den
Thieren die zu dergleichen berufen sind, den nöthigen Jnstinet dazu gegeben
haben. Aber sie schuf den Menschen frei und zur Freiheit. Deßwegen
glauben wir aber nicht daß die armen Leute, daß die Arbeiter schutzlos
ihrem Geschick preisgegeben, rücksichtslos vom Capital und der Maschine
ausgebeutet werden dürfen. Jm Gegentheil ist es nothwendig daß im
Staate selbst der Grundsatz eines Schutzes gegen Unrecht, einer Hülfe
in der Noth überall an die Spitze der Jnstitutionen gestellt und durch-
greifend und thatsächlich verwirklicht werde. Aber wir fürchten die
Frage ist in Frankreich verkehrt gestellt und in die unrechten Hände
gefallen. Sie ist verkehrt gestellt, denn eine Organisation der
Arbeit zernichtet die Freiheit, schneidet die Bäume nach dem Nor-
malzoll eben und rechts und links ab. Was noththut, ist nicht
Zwang, sondern Freiheit. Und zwar nicht eine todte Freiheit des laisser
faire, laisser aller,
sondern die Freiheit die dem Baume sein eigen-
thümliches Wachsthum läßt, aber zugleich für ein durchgreifendes Be-
wässerungssystem sorgt, und hier und dort nachhilft wo der wilde Baum-
schlag die Waldung selbst zu zerstören droht. Ein democratisches bis in
alle Theile der Gesellschaft hinabreichendes Creditsystem, mit Verstand
gehegt und gepflegt, macht die Organisation der Arbeit nicht nur über-
flüssig, sondern fördert nur gesunde, rüstige und naturgemäße Arbeit,
während die Organisation der Arbeit alles über einen Leisten schlägt und
der Faulheit so viel gibt wie der rüstigen Arbeit. Fast noch schlimmer
aber ist daß diese Frage in die Hände der Schule gefallen ist, welche die
Theorie des Kampfes der Jnteressen zwischen Volk und Mittelständen in
der neuesten Zeit wieder aufgegriffen hat. Dieser Widerspruch ist nir-
gends in der Natur der Verhältnisse begründet, und die rüstigern Ar-
beiter selbst wissen sehr gut daß sie ebenso gut wie ihre Meister zum Mit-
telstande gehören, während alle Bürger Volk sind und seyn müssen.
Die französischen Arbeiter haben sich während und nach dem Kampfe
stets den Jnteressen des Mittelstandes angeschlossen, und die Mittel-
stände ihrerseits sich zu vielen Opfern bereit gezeigt. Ein Theil der
letztern aber fürchtet dennoch das Volk vor wie nach. Das ist das Ergebniß
der schönen Theorie die man lange feilgeboten hat. Und in Folge dieser
Furcht kann ein ziemlicher Theil der Mittelstände nicht recht zum Ver-
trauen gelangen. Das muß denn natürlich Beschränkung von Ausgaben,
Einstellung von Bestellungen etc. etc. hervorrufen, und die bestehende Krisis
nur befördern. Wir hoffen daß in Deutschland diese Theorie weniger
Wurzel gefaßt hat als in Frankreich. Sie ist vom Bösen wo sie sich geltend
macht; sie wirft den Funken des Hasses, der Zwietracht und des Miß-
trauens zwischen die Glieder eines und desselben Leibes. Wo diese
Ansicht thatsächlich auftritt, da ist es jedes tüchtigen Mannes, jedes
braven Bürgers Pflicht sie mit Macht niederzuhalten. Einheit
Deutschlands
ist heute in jedermanns Mund, aber Einheit des
deutschen Volkes
ist nicht möglich mit einer Theorie die das Volk
in seine Theile zu zersplittern sucht. Frankreich ist lebensgefährlich
krank -- an dieser Theorie die das Volk und den Mittelstand sich
feindlich gegenüberdrängt. Ohne diese Gefahr wäre alles gerettet in
Frankreich.



[Spaltenumbruch] darunter die große Mehrzahl der angeſehenſten Bürger und Ein-
wohner der Stadt, in ſeiner regelmäßigen Wochenverſammlung in
Berathung gezogen ob und welche Maßregeln im gedachten Sinn
unter den obwaltenden Zeitumſtänden anzunehmen ſeyen, und ein-
ſtimmig hat man ſich dahin entſchieden ein Comite niederzuſetzen
zum Entwurf einer Eingabe an den König. Als Poſtulate wurden
aufgeſtellt: ſofortige Einberufung eines vereinigten ſchleßwig-holſtei-
niſchen Landtags, eine gemeinſchaftliche ſchleßwig-holſteiniſche Ver-
faſſung mit verantwortlichen Miniſtern für die Herzogthümer, all-
gemeine Volksbewaffnung, unbedingte Preßfreiheit, unbeſchränkte
Aſſociationsfreiheit, Geſchwornengerichte, Volksvertretung beim deut-
ſchen Bund, Beitritt Schleßwigs zum Bunde. Das Comité beſteht
aus mehrern unſerer Ständeabgeordneten, einigen Kaufleuten, An-
wälten, Aerzten und ſonſtigen Bürgern der Stadt; ſchon am heuti-
gen Abend hält dasſelbe ſeine erſte Sitzung, und in den nächſten
Tagen wird es zur Berathung und Genehmigung der von ihm ent-
worfenen „Forderungen“ eine allgemeine Bürgerverſammlung zu-
ſammenberufen.



Aus Paris.

Die Götter und die Pariſer haben wieder
einmal eine Revolution gewollt, fügen wir uns darein, weil wir’s doch
nicht ändern könnten, und ſehen wir was etwa dabei herauskommen
mag. An ſolchen die den politiſchen Horizont Europa’s zum Gegen-
ſtande tiefſinniger Beobachtungen machen werden, an diplomatiſchen
Meteorologen, an erfinderiſchen mit der Löſung der ſocialiſtiſchen Pro-
bleme, die gewaltſam auf die Tagesordnung geſetzt worden ſind, be-
ſchäftigten Weltweiſen, an ſtaatsmänniſchen Geiſtern die zur Heilung
der Gebrechen in den Einrichtungen des Gemeinweſens ihre probaten
Hausmittel in Bereitſchaft halten, wird es ohnehin nicht fehlen; auch
iſt das, Gott ſey Dank, meine Sphäre nicht, ich enthalte mich daher
jeder Stimme über dieſe hochwichtigen Dinge, erlaube mir dagegen
einen flüchtigen Blick auf das Verhältniß des letzten Umſchwungs zu
Kunſt und Litteratur. Kaum waren die letzten Schüffe verhallt und
durch die ſchnelle Wiederherſtellung der äußerlichen Ruhe einige Keime
des Vertrauens und der Hoffnung in den Gemüthern rege geworden,
als auch ungeſäumt auf dem Gebiet des äſthetiſchen Wirkens, wie in
allen übrigen Provinzen der menſchlichen Geſchäftigkeit, die mannich-
fachſten Vorſchläge und Forderungen ſich erhoben, unbekannte Größen
von allen Seiten hervorwimmelten und die Mittelmäßigkeit allenthalben
das Wort begehrte oder nahm. Jn einer Republik iſt dieß nicht an-
ders als billig und natürlich; da gebührt der Mittelmäßigkeit eine
wichtige Rolle; ſie iſt ja mit der Gleichheit ſo nah verwandt; die Frei-
heit ſich für ein Genie zu halten, die ohnehin ſo alt iſt wie das Men-
ſchengeſchlecht, kann ein jeder jetzt üben nach Herzensluſt, und die An-
ſtalten zur Spendung gegenſeitigen Lobes, wann konnten ſie beſſer ge-
deihen als in dieſer Zeit der allgemeinen Verbrüderung?

Dieſer Austauſch von Complimenten und Süßigkeiten wurde zu-
erſt zwiſchen den Mitgliedern der proviſoriſchen Regierung und den
Sprechern der verſchiedenen Kunſtgenoſſenſchaften eingeleitet, und hierbei
natürlich laut verkündet daß endlich die Aera der unſterblichen Schö-
pfungen angebrochen ſey, daß bisher ſämmtliche Muſen in den Feſſeln
einer alles hemmenden und lähmenden Tyrannei gelegen hätten, und
durch die Begründung der Republik die neuen Zeuris und Polyklet,
die Meiſter der Poeſie und die Herven der Architektur unausbleiblich,
wie die nothwendige Schlußfolge eines gegebenen Vorderſatzes, erſchei-
nen müßten. Aber nicht bloß öffentlich, nicht bloß durch feſtliche Reden
und Zeitungsmanifeſte, auch in dem Privatverkehr der Künſtler wird dieſes
Thema verfochten und entwickelt. Schon ſeit vielen Jahren iſt es in
Paris eine weitverbreitete und für viele Geiſter zum Axiom gewordene
Meinung daß die Blüthe der ſchönen Künſte, wie der Fortſchritt der
Wiſſenſchaften und mechaniſchen Fertigkeiten durch die äußeren Um-
ſtände und die geſchickte Anwendung geeigneter Maßregeln von Seiten
des Staates und der Geſellſchaft vorzugsweiſe bedingt ſey.

Das gegenwärtig beliebteſte unter den Mitteln die, um die gute
Sache zu fördern, in Vorſchlag gebracht werden, iſt die Bildung von
Vereinen, Gilden, Jnnungen, die aus ihrer Mitte nebſt den nöthigen
Vorſtänden auch die Vertreter ihrer Angelegenheiten bei den vollziehen-
den Gewalten der Republik erwählen würden. Es hat ſich zu dieſem
Ende ſchon ein Club gebildet, in dem es bis jetzt zwar unendlich demo-
[Spaltenumbruch] kratiſch, mit andern Worten höchſt ſtürmiſch und höchſt anarchiſch her-
ging, in dem aber bis jetzt weder etwas Ausführbares beantragt noch
irgendetwas beſchloſſen wurde. Der Grundzug der Verſammlung, zu
der jeder eine Autorenfeder, einen Griffel, einen Pinſel, einen Meißel,
eine Geige oder ſonſt ein mit genannten Jnſtrumenten verwandtes
Werkzeug Führende zugelaſſen wird, iſt eine babyloniſche Jdeenverwirrung,
in der die bunteſten Anſichten rechthaberiſch durcheinanderſauſen, keine Jdee
zu augenblicklicher Geltung, geſchweige zur Herrſchaft gelangt, niemand
ſeinen Nachbar verſteht, und die meiſten ſelber nicht recht wiſſen was ſie
wollen. Es iſt ein Orcheſter wo jeder Mitſpielende als Virtuoſe mit
ſeinen eigenen Melodien über die gemeinſame Melodie auftritt, und
nirgendwo wüthet die Unordnung, die durch die Februarereigniſſe
nicht geſchaffen ward, wohl aber an den Tag kam, ſchrankenloſer als
in dem Kreiſe derjenigen denen die ruhmvolle Pflicht die Stifter der
Harmonie unter den Menſchen zu ſeyn obliegt.



Die Hauptgefahr und auch die Haupturſache
eines gewiſſen Mißtrauens in die endlichen Ergebniſſe der letzten Revo-
lution liegt in der Art wie die Regierung ſich ſelbſt die Frage der Arbeit-
organiſation
geſtellt hat. Die verſchiedenen Syſteme die über dieſe
Frage zu Tage gefördert wurden, ſind alle ganz vorzüglich, vorausgeſetzt
daß man die Menſchen wie Bienenſchwärme oder Ameiſenhaufen organi-
ſiren und ihnen neben den Männchen und Weibchen auch Schaaren
geſchlechtloſer Arbeiter beigeſellen könnte. Wenn die Natur die Menſchen
für ſolche „Syſteme“ geſchaffen hätte, ſo würde ſie ihnen auch wie den
Thieren die zu dergleichen berufen ſind, den nöthigen Jnſtinet dazu gegeben
haben. Aber ſie ſchuf den Menſchen frei und zur Freiheit. Deßwegen
glauben wir aber nicht daß die armen Leute, daß die Arbeiter ſchutzlos
ihrem Geſchick preisgegeben, rückſichtslos vom Capital und der Maſchine
ausgebeutet werden dürfen. Jm Gegentheil iſt es nothwendig daß im
Staate ſelbſt der Grundſatz eines Schutzes gegen Unrecht, einer Hülfe
in der Noth überall an die Spitze der Jnſtitutionen geſtellt und durch-
greifend und thatſächlich verwirklicht werde. Aber wir fürchten die
Frage iſt in Frankreich verkehrt geſtellt und in die unrechten Hände
gefallen. Sie iſt verkehrt geſtellt, denn eine Organiſation der
Arbeit zernichtet die Freiheit, ſchneidet die Bäume nach dem Nor-
malzoll eben und rechts und links ab. Was noththut, iſt nicht
Zwang, ſondern Freiheit. Und zwar nicht eine todte Freiheit des laisser
faire, laisser aller,
ſondern die Freiheit die dem Baume ſein eigen-
thümliches Wachsthum läßt, aber zugleich für ein durchgreifendes Be-
wäſſerungsſyſtem ſorgt, und hier und dort nachhilft wo der wilde Baum-
ſchlag die Waldung ſelbſt zu zerſtören droht. Ein democratiſches bis in
alle Theile der Geſellſchaft hinabreichendes Creditſyſtem, mit Verſtand
gehegt und gepflegt, macht die Organiſation der Arbeit nicht nur über-
flüſſig, ſondern fördert nur geſunde, rüſtige und naturgemäße Arbeit,
während die Organiſation der Arbeit alles über einen Leiſten ſchlägt und
der Faulheit ſo viel gibt wie der rüſtigen Arbeit. Faſt noch ſchlimmer
aber iſt daß dieſe Frage in die Hände der Schule gefallen iſt, welche die
Theorie des Kampfes der Jntereſſen zwiſchen Volk und Mittelſtänden in
der neueſten Zeit wieder aufgegriffen hat. Dieſer Widerſpruch iſt nir-
gends in der Natur der Verhältniſſe begründet, und die rüſtigern Ar-
beiter ſelbſt wiſſen ſehr gut daß ſie ebenſo gut wie ihre Meiſter zum Mit-
telſtande gehören, während alle Bürger Volk ſind und ſeyn müſſen.
Die franzöſiſchen Arbeiter haben ſich während und nach dem Kampfe
ſtets den Jntereſſen des Mittelſtandes angeſchloſſen, und die Mittel-
ſtände ihrerſeits ſich zu vielen Opfern bereit gezeigt. Ein Theil der
letztern aber fürchtet dennoch das Volk vor wie nach. Das iſt das Ergebniß
der ſchönen Theorie die man lange feilgeboten hat. Und in Folge dieſer
Furcht kann ein ziemlicher Theil der Mittelſtände nicht recht zum Ver-
trauen gelangen. Das muß denn natürlich Beſchränkung von Ausgaben,
Einſtellung von Beſtellungen ꝛc. ꝛc. hervorrufen, und die beſtehende Kriſis
nur befördern. Wir hoffen daß in Deutſchland dieſe Theorie weniger
Wurzel gefaßt hat als in Frankreich. Sie iſt vom Böſen wo ſie ſich geltend
macht; ſie wirft den Funken des Haſſes, der Zwietracht und des Miß-
trauens zwiſchen die Glieder eines und desſelben Leibes. Wo dieſe
Anſicht thatſächlich auftritt, da iſt es jedes tüchtigen Mannes, jedes
braven Bürgers Pflicht ſie mit Macht niederzuhalten. Einheit
Deutſchlands
iſt heute in jedermanns Mund, aber Einheit des
deutſchen Volkes
iſt nicht möglich mit einer Theorie die das Volk
in ſeine Theile zu zerſplittern ſucht. Frankreich iſt lebensgefährlich
krank — an dieſer Theorie die das Volk und den Mittelſtand ſich
feindlich gegenüberdrängt. Ohne dieſe Gefahr wäre alles gerettet in
Frankreich.



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[1198/0014] darunter die große Mehrzahl der angeſehenſten Bürger und Ein- wohner der Stadt, in ſeiner regelmäßigen Wochenverſammlung in Berathung gezogen ob und welche Maßregeln im gedachten Sinn unter den obwaltenden Zeitumſtänden anzunehmen ſeyen, und ein- ſtimmig hat man ſich dahin entſchieden ein Comite niederzuſetzen zum Entwurf einer Eingabe an den König. Als Poſtulate wurden aufgeſtellt: ſofortige Einberufung eines vereinigten ſchleßwig-holſtei- niſchen Landtags, eine gemeinſchaftliche ſchleßwig-holſteiniſche Ver- faſſung mit verantwortlichen Miniſtern für die Herzogthümer, all- gemeine Volksbewaffnung, unbedingte Preßfreiheit, unbeſchränkte Aſſociationsfreiheit, Geſchwornengerichte, Volksvertretung beim deut- ſchen Bund, Beitritt Schleßwigs zum Bunde. Das Comité beſteht aus mehrern unſerer Ständeabgeordneten, einigen Kaufleuten, An- wälten, Aerzten und ſonſtigen Bürgern der Stadt; ſchon am heuti- gen Abend hält dasſelbe ſeine erſte Sitzung, und in den nächſten Tagen wird es zur Berathung und Genehmigung der von ihm ent- worfenen „Forderungen“ eine allgemeine Bürgerverſammlung zu- ſammenberufen. Aus Paris. ♂ Paris, im März. Die Götter und die Pariſer haben wieder einmal eine Revolution gewollt, fügen wir uns darein, weil wir’s doch nicht ändern könnten, und ſehen wir was etwa dabei herauskommen mag. An ſolchen die den politiſchen Horizont Europa’s zum Gegen- ſtande tiefſinniger Beobachtungen machen werden, an diplomatiſchen Meteorologen, an erfinderiſchen mit der Löſung der ſocialiſtiſchen Pro- bleme, die gewaltſam auf die Tagesordnung geſetzt worden ſind, be- ſchäftigten Weltweiſen, an ſtaatsmänniſchen Geiſtern die zur Heilung der Gebrechen in den Einrichtungen des Gemeinweſens ihre probaten Hausmittel in Bereitſchaft halten, wird es ohnehin nicht fehlen; auch iſt das, Gott ſey Dank, meine Sphäre nicht, ich enthalte mich daher jeder Stimme über dieſe hochwichtigen Dinge, erlaube mir dagegen einen flüchtigen Blick auf das Verhältniß des letzten Umſchwungs zu Kunſt und Litteratur. Kaum waren die letzten Schüffe verhallt und durch die ſchnelle Wiederherſtellung der äußerlichen Ruhe einige Keime des Vertrauens und der Hoffnung in den Gemüthern rege geworden, als auch ungeſäumt auf dem Gebiet des äſthetiſchen Wirkens, wie in allen übrigen Provinzen der menſchlichen Geſchäftigkeit, die mannich- fachſten Vorſchläge und Forderungen ſich erhoben, unbekannte Größen von allen Seiten hervorwimmelten und die Mittelmäßigkeit allenthalben das Wort begehrte oder nahm. Jn einer Republik iſt dieß nicht an- ders als billig und natürlich; da gebührt der Mittelmäßigkeit eine wichtige Rolle; ſie iſt ja mit der Gleichheit ſo nah verwandt; die Frei- heit ſich für ein Genie zu halten, die ohnehin ſo alt iſt wie das Men- ſchengeſchlecht, kann ein jeder jetzt üben nach Herzensluſt, und die An- ſtalten zur Spendung gegenſeitigen Lobes, wann konnten ſie beſſer ge- deihen als in dieſer Zeit der allgemeinen Verbrüderung? Dieſer Austauſch von Complimenten und Süßigkeiten wurde zu- erſt zwiſchen den Mitgliedern der proviſoriſchen Regierung und den Sprechern der verſchiedenen Kunſtgenoſſenſchaften eingeleitet, und hierbei natürlich laut verkündet daß endlich die Aera der unſterblichen Schö- pfungen angebrochen ſey, daß bisher ſämmtliche Muſen in den Feſſeln einer alles hemmenden und lähmenden Tyrannei gelegen hätten, und durch die Begründung der Republik die neuen Zeuris und Polyklet, die Meiſter der Poeſie und die Herven der Architektur unausbleiblich, wie die nothwendige Schlußfolge eines gegebenen Vorderſatzes, erſchei- nen müßten. Aber nicht bloß öffentlich, nicht bloß durch feſtliche Reden und Zeitungsmanifeſte, auch in dem Privatverkehr der Künſtler wird dieſes Thema verfochten und entwickelt. Schon ſeit vielen Jahren iſt es in Paris eine weitverbreitete und für viele Geiſter zum Axiom gewordene Meinung daß die Blüthe der ſchönen Künſte, wie der Fortſchritt der Wiſſenſchaften und mechaniſchen Fertigkeiten durch die äußeren Um- ſtände und die geſchickte Anwendung geeigneter Maßregeln von Seiten des Staates und der Geſellſchaft vorzugsweiſe bedingt ſey. Das gegenwärtig beliebteſte unter den Mitteln die, um die gute Sache zu fördern, in Vorſchlag gebracht werden, iſt die Bildung von Vereinen, Gilden, Jnnungen, die aus ihrer Mitte nebſt den nöthigen Vorſtänden auch die Vertreter ihrer Angelegenheiten bei den vollziehen- den Gewalten der Republik erwählen würden. Es hat ſich zu dieſem Ende ſchon ein Club gebildet, in dem es bis jetzt zwar unendlich demo- kratiſch, mit andern Worten höchſt ſtürmiſch und höchſt anarchiſch her- ging, in dem aber bis jetzt weder etwas Ausführbares beantragt noch irgendetwas beſchloſſen wurde. Der Grundzug der Verſammlung, zu der jeder eine Autorenfeder, einen Griffel, einen Pinſel, einen Meißel, eine Geige oder ſonſt ein mit genannten Jnſtrumenten verwandtes Werkzeug Führende zugelaſſen wird, iſt eine babyloniſche Jdeenverwirrung, in der die bunteſten Anſichten rechthaberiſch durcheinanderſauſen, keine Jdee zu augenblicklicher Geltung, geſchweige zur Herrſchaft gelangt, niemand ſeinen Nachbar verſteht, und die meiſten ſelber nicht recht wiſſen was ſie wollen. Es iſt ein Orcheſter wo jeder Mitſpielende als Virtuoſe mit ſeinen eigenen Melodien über die gemeinſame Melodie auftritt, und nirgendwo wüthet die Unordnung, die durch die Februarereigniſſe nicht geſchaffen ward, wohl aber an den Tag kam, ſchrankenloſer als in dem Kreiſe derjenigen denen die ruhmvolle Pflicht die Stifter der Harmonie unter den Menſchen zu ſeyn obliegt. △ Paris, 9 März. Die Hauptgefahr und auch die Haupturſache eines gewiſſen Mißtrauens in die endlichen Ergebniſſe der letzten Revo- lution liegt in der Art wie die Regierung ſich ſelbſt die Frage der Arbeit- organiſation geſtellt hat. Die verſchiedenen Syſteme die über dieſe Frage zu Tage gefördert wurden, ſind alle ganz vorzüglich, vorausgeſetzt daß man die Menſchen wie Bienenſchwärme oder Ameiſenhaufen organi- ſiren und ihnen neben den Männchen und Weibchen auch Schaaren geſchlechtloſer Arbeiter beigeſellen könnte. Wenn die Natur die Menſchen für ſolche „Syſteme“ geſchaffen hätte, ſo würde ſie ihnen auch wie den Thieren die zu dergleichen berufen ſind, den nöthigen Jnſtinet dazu gegeben haben. Aber ſie ſchuf den Menſchen frei und zur Freiheit. Deßwegen glauben wir aber nicht daß die armen Leute, daß die Arbeiter ſchutzlos ihrem Geſchick preisgegeben, rückſichtslos vom Capital und der Maſchine ausgebeutet werden dürfen. Jm Gegentheil iſt es nothwendig daß im Staate ſelbſt der Grundſatz eines Schutzes gegen Unrecht, einer Hülfe in der Noth überall an die Spitze der Jnſtitutionen geſtellt und durch- greifend und thatſächlich verwirklicht werde. Aber wir fürchten die Frage iſt in Frankreich verkehrt geſtellt und in die unrechten Hände gefallen. Sie iſt verkehrt geſtellt, denn eine Organiſation der Arbeit zernichtet die Freiheit, ſchneidet die Bäume nach dem Nor- malzoll eben und rechts und links ab. Was noththut, iſt nicht Zwang, ſondern Freiheit. Und zwar nicht eine todte Freiheit des laisser faire, laisser aller, ſondern die Freiheit die dem Baume ſein eigen- thümliches Wachsthum läßt, aber zugleich für ein durchgreifendes Be- wäſſerungsſyſtem ſorgt, und hier und dort nachhilft wo der wilde Baum- ſchlag die Waldung ſelbſt zu zerſtören droht. Ein democratiſches bis in alle Theile der Geſellſchaft hinabreichendes Creditſyſtem, mit Verſtand gehegt und gepflegt, macht die Organiſation der Arbeit nicht nur über- flüſſig, ſondern fördert nur geſunde, rüſtige und naturgemäße Arbeit, während die Organiſation der Arbeit alles über einen Leiſten ſchlägt und der Faulheit ſo viel gibt wie der rüſtigen Arbeit. Faſt noch ſchlimmer aber iſt daß dieſe Frage in die Hände der Schule gefallen iſt, welche die Theorie des Kampfes der Jntereſſen zwiſchen Volk und Mittelſtänden in der neueſten Zeit wieder aufgegriffen hat. Dieſer Widerſpruch iſt nir- gends in der Natur der Verhältniſſe begründet, und die rüſtigern Ar- beiter ſelbſt wiſſen ſehr gut daß ſie ebenſo gut wie ihre Meiſter zum Mit- telſtande gehören, während alle Bürger Volk ſind und ſeyn müſſen. Die franzöſiſchen Arbeiter haben ſich während und nach dem Kampfe ſtets den Jntereſſen des Mittelſtandes angeſchloſſen, und die Mittel- ſtände ihrerſeits ſich zu vielen Opfern bereit gezeigt. Ein Theil der letztern aber fürchtet dennoch das Volk vor wie nach. Das iſt das Ergebniß der ſchönen Theorie die man lange feilgeboten hat. Und in Folge dieſer Furcht kann ein ziemlicher Theil der Mittelſtände nicht recht zum Ver- trauen gelangen. Das muß denn natürlich Beſchränkung von Ausgaben, Einſtellung von Beſtellungen ꝛc. ꝛc. hervorrufen, und die beſtehende Kriſis nur befördern. Wir hoffen daß in Deutſchland dieſe Theorie weniger Wurzel gefaßt hat als in Frankreich. Sie iſt vom Böſen wo ſie ſich geltend macht; ſie wirft den Funken des Haſſes, der Zwietracht und des Miß- trauens zwiſchen die Glieder eines und desſelben Leibes. Wo dieſe Anſicht thatſächlich auftritt, da iſt es jedes tüchtigen Mannes, jedes braven Bürgers Pflicht ſie mit Macht niederzuhalten. Einheit Deutſchlands iſt heute in jedermanns Mund, aber Einheit des deutſchen Volkes iſt nicht möglich mit einer Theorie die das Volk in ſeine Theile zu zerſplittern ſucht. Frankreich iſt lebensgefährlich krank — an dieſer Theorie die das Volk und den Mittelſtand ſich feindlich gegenüberdrängt. Ohne dieſe Gefahr wäre alles gerettet in Frankreich.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 75, 15. März 1848, S. 1198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine75_1848/14>, abgerufen am 21.11.2024.