Allgemeine Zeitung, Nr. 75, 15. März 1848.Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung [Spaltenumbruch]
Großbritannien. London, 8 März. Die französische Staatsumwälzung, der Frankreich. Der Bericht des Hrn. Garnier Pages über die Finanzlage der Re- Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung [Spaltenumbruch]
Großbritannien. ⸫ London, 8 März. Die franzöſiſche Staatsumwälzung, der Frankreich. Der Bericht des Hrn. Garnier Pagès über die Finanzlage der Re- <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0017"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung</hi> </titlePart> </docTitle> </titlePage> <docImprint> <docDate>vom 15 März 1848.</docDate> </docImprint> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <body> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Großbritannien.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline>⸫ <hi rendition="#b">London,</hi> 8 März.</dateline><lb/> <p>Die franzöſiſche Staatsumwälzung, der<lb/> Sturz Ludwig Philipps und die Maßnahmen der proviſoriſchen Regie-<lb/> rung von Frankreich werden vom engliſchen Volk ohne Enthuſtasmus,<lb/> aber auch ohne Mißgunſt betrachtet. Das Benehmen des geſtürzten<lb/> Monarchen und ſeiner Miniſter in den ſpaniſchen Heirathsfragen hatte<lb/> die Achtung und das Vertrauen, die ſie früher in England genoſſen,<lb/> gänzlich vernichtet; ſo erhob ſich denn keine Stimme um ihren Fall zu<lb/> beklagen, ausgenommen vielleicht im Privatkreis des Grafen Aberdeen,<lb/> wovon ein leiſer Wiederhall im Standard tönte. Die Tories im allge-<lb/> meinen ſind, gleich den franzöſiſchen Legitimiſten, der Anſicht daß eine<lb/> Krone die durch einen Volkstumult gewonnen worden, billigerweiſe im<lb/> nämlichen Spiele verloren gehen darf. Die Whigs haßten das „Sy-<lb/> ſtem“ der Tuilerien als hinterliſtig und reactionär. Die Radicalen<lb/> ſind geneigt über alles zu frohlocken was volklichen Sympathien einen<lb/> Anſporn geben kann. Ueberdieß, um aufrichtig zu ſprechen, die Regie-<lb/> rung Ludwig Philipps und Hrn. Guizots hatte Frankreich auf den höch-<lb/> ſten Gipfel der Macht erhoben den es jemals in einer Friedensperiode<lb/> ſeit 150 Jahren erklommen. Die Lage des Königreichs ließ ſich nur<lb/> vergleichen mit jener Ludwigs <hi rendition="#aq">XIV</hi> im J. 1698 unmittelbar nach dem<lb/> Ryswyker Frieden. Gleich dem „Grand Monarque“ hatte Ludwig Phi-<lb/> lipp ſich zum vollſtändigen Meiſter gemacht nicht nur in Frankreich, ſon-<lb/> dern auch in Spanien; er hatte England aus Griechenland verdrängt,<lb/> hielt der engliſchen Politik in jedem Theile der Welt das Gegengewicht<lb/> oder durchkreuzte ſie, und dieſes Syſtem wurde mit einer ſolchen Thätig-<lb/> keit verfolgt, daß es offenbar in naher Zeit zu einem Bruch und Krieg<lb/> zwiſchen den beiden Nationen geführt haben würde. Der Aufſtand des<lb/> franzöſiſchen Volks hat all dieſen Zettelungen und Einflüſſen ſumma-<lb/> riſch ein Ende gemacht. Alle die regelloſe Heftigkeit der republicani-<lb/> ſchen Propaganda muß unendlich zurückbleiben hinter den Hülfsquellen<lb/> und Auskunftsmitteln einer ſolchen Monarchie wie es die Ludwig Phi-<lb/> lipps unter einem Miniſter wie Guizot war. Jn ſeiner neuen Stellung<lb/> kann Frankreich vergleichsweiſe nur wenig die Eiferſucht Englands er-<lb/> regen. Frankreichs Credit iſt nothwendig bis in ſeine Grundfeſten<lb/> erſchüttert, ſeine politiſche Lage iſt unterminirt, ſeine künftigen<lb/> Führer ſind unbekannt, und wiewohl im erſten Augenblick der Verdutzung<lb/> und Furcht alle Franzoſen der Republik haſtig beigetreten ſind, ſo wal-<lb/> tet doch kein ächter republicaniſcher Enthuſtasmus in den Mittelclaſſen,<lb/> Elemente zu Spaltungen ſind offenbar vorhanden, und ganz ſicher wird<lb/> es lange währen bis ſich in Frankreich eine Regierung wieder hinläng-<lb/> lich befeſtigt um mit Plan und Abſicht auf ein Syſtem politiſchen Ein-<lb/> fluſſes hinarbeiten zu können. Kurz, das Daſeyn einer ſtarken nationalen<lb/> Nebenbuhlerſchaft zwiſchen Frankreich und England zugegeben, haben doch<lb/> die Februarereigniſſe Frankreich in der Wagſchale der Nationen ſo nie-<lb/> dergedrückt und geſchwächt, daß Englands Eiferſucht, die es in der letz-<lb/> ten Regierungsperiode Ludwig Philipps gegen den Nachbarſtaat hegte,<lb/> ſehr vermindert worden iſt. Uebrigens hat Frankreich ſich mit eigenem<lb/> freien Entſchluß in die Anarchie geſtürzt, und es iſt jetzt beſtrebt ſeine<lb/> Jdeen von politiſcher Freiheit und ſocialiſtiſcher Glückſeligkeit zu ver-<lb/> wirklichen. Sind die Franzoſen ſelbſt mit den Reſultaten ihrer Be-<lb/> ſtrebniſſe zufrieden, ſo hat niemand anderer das Recht ſich darüber zu<lb/> beklagen oder daran zu mäkeln. — Die Ruheſtörungen die hier in Lon-<lb/> don auf Trafalgar-Square und Charing-Croß vorgefallen, waren eine<lb/> Caricatur der Pariſer Revolution. Ein paar tauſend Gaſſenjungen<lb/> und Taſchendiebe liefen zuſammen; 40 Polizeidiener waren anfänglich<lb/> alles was die Regierung dem „Mob“ entgegenſetzte. Eine gute Anzahl<lb/> Gaslaternen und Budenfenſter ward eingeſchlagen oder eingeworfen.<lb/> Jn der Nacht ſammelte ſich die Polizei ungefähr 1100 Mann ſtark, kein<lb/> Militär wurde beigezogen, und mit einigen blutigen Köpfen war die<lb/> Schlacht vorüber. Ernſterer Art waren die Unruhen in Glasgow, wegen<lb/> des wilden Charakters des gemeinen ſchottiſchen und iriſchen Volks in<lb/> jener Stadt. Eigenthum ward in ſehr beträchtlichem Maße zerſtört.<lb/> Jn Jrland nähern ſich die Dinge raſch einer Kriſis.</p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"><lb/> <p>Der Bericht des Hrn. 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Die Erhaltung des Tilgungsfonds<lb/> wird als eine Verpflichtung des Staates gegen die Gläubiger anerkannt.<lb/> Da die vorige Regierung über die Reſerven des Tilgungsfonds voraus<lb/> verfügt hatte, ſo befand man ſich, nachdem die Rente unter Pari gefallen<lb/> war, in der Alternative entweder die Bewegung der Tilgung eintreten<lb/> zu laſſen und die Arbeiten einzuſtellen, oder dieſe fortzuſetzen, dann aber<lb/> Schatzſcheine auszugeben ſtatt baaren Geldes in der Tilgungscaſſe.<lb/> Dieſe letztere Wahl bot den doppelten Vortheil daß ſie denen Brod ſicherte<lb/> die keines hatten und das baare Geld in den Caſſen des Schatzes ließ,<lb/> über ½ Mill. täglich. Daher wurde beſchloſſen daß die Tilgungscaſſe<lb/> fortfahren ſollte Schatzſcheine zu empfangen ſtatt Geld, was die 5pro-<lb/> centigen und die 4½procentigen Renten betrifft. <hi rendition="#g">Schatzſcheine</hi>.<lb/> Sie beliefen ſich am 24 Febr. 1848 auf 329,886,000 Fr., zum Theil<lb/> mit kurzer Verfallzeit, im allgemeinen auf die verſchiedenen Monate von<lb/> 1848 u. 1849 vertheilt. Die Steuererhebung geht mit größter Leichtigkeit<lb/> vor ſich, der Dienſt der Schatzſcheine iſt geſichert, und es wird nur darin<lb/> eine Aenderung getroffen daß der Zins ohne Rückſicht auf die Ver-<lb/> fallszeit künftig 5 Proc. ausmachen ſoll. <hi rendition="#g">Sparcaſſen</hi>. Das Eigen-<lb/> thum der Einleger war am 7 März, dem Tag wo Hr. Garnier Pagès<lb/> die Finanzleitung übernahm, alſo vertheilt: Jm Schatz auf laufende<lb/> Rechnung zu 4 Proc. 65,703,620 Fr. 40 C.; 5proc. Renten koſtend<lb/> 34,106,135 Fr. 25 C.; 4proc. Renten 202,316,175 Fr.; 3proc. 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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 15 März 1848.
Großbritannien.
⸫ London, 8 März.
Die franzöſiſche Staatsumwälzung, der
Sturz Ludwig Philipps und die Maßnahmen der proviſoriſchen Regie-
rung von Frankreich werden vom engliſchen Volk ohne Enthuſtasmus,
aber auch ohne Mißgunſt betrachtet. Das Benehmen des geſtürzten
Monarchen und ſeiner Miniſter in den ſpaniſchen Heirathsfragen hatte
die Achtung und das Vertrauen, die ſie früher in England genoſſen,
gänzlich vernichtet; ſo erhob ſich denn keine Stimme um ihren Fall zu
beklagen, ausgenommen vielleicht im Privatkreis des Grafen Aberdeen,
wovon ein leiſer Wiederhall im Standard tönte. Die Tories im allge-
meinen ſind, gleich den franzöſiſchen Legitimiſten, der Anſicht daß eine
Krone die durch einen Volkstumult gewonnen worden, billigerweiſe im
nämlichen Spiele verloren gehen darf. Die Whigs haßten das „Sy-
ſtem“ der Tuilerien als hinterliſtig und reactionär. Die Radicalen
ſind geneigt über alles zu frohlocken was volklichen Sympathien einen
Anſporn geben kann. Ueberdieß, um aufrichtig zu ſprechen, die Regie-
rung Ludwig Philipps und Hrn. Guizots hatte Frankreich auf den höch-
ſten Gipfel der Macht erhoben den es jemals in einer Friedensperiode
ſeit 150 Jahren erklommen. Die Lage des Königreichs ließ ſich nur
vergleichen mit jener Ludwigs XIV im J. 1698 unmittelbar nach dem
Ryswyker Frieden. Gleich dem „Grand Monarque“ hatte Ludwig Phi-
lipp ſich zum vollſtändigen Meiſter gemacht nicht nur in Frankreich, ſon-
dern auch in Spanien; er hatte England aus Griechenland verdrängt,
hielt der engliſchen Politik in jedem Theile der Welt das Gegengewicht
oder durchkreuzte ſie, und dieſes Syſtem wurde mit einer ſolchen Thätig-
keit verfolgt, daß es offenbar in naher Zeit zu einem Bruch und Krieg
zwiſchen den beiden Nationen geführt haben würde. Der Aufſtand des
franzöſiſchen Volks hat all dieſen Zettelungen und Einflüſſen ſumma-
riſch ein Ende gemacht. Alle die regelloſe Heftigkeit der republicani-
ſchen Propaganda muß unendlich zurückbleiben hinter den Hülfsquellen
und Auskunftsmitteln einer ſolchen Monarchie wie es die Ludwig Phi-
lipps unter einem Miniſter wie Guizot war. Jn ſeiner neuen Stellung
kann Frankreich vergleichsweiſe nur wenig die Eiferſucht Englands er-
regen. Frankreichs Credit iſt nothwendig bis in ſeine Grundfeſten
erſchüttert, ſeine politiſche Lage iſt unterminirt, ſeine künftigen
Führer ſind unbekannt, und wiewohl im erſten Augenblick der Verdutzung
und Furcht alle Franzoſen der Republik haſtig beigetreten ſind, ſo wal-
tet doch kein ächter republicaniſcher Enthuſtasmus in den Mittelclaſſen,
Elemente zu Spaltungen ſind offenbar vorhanden, und ganz ſicher wird
es lange währen bis ſich in Frankreich eine Regierung wieder hinläng-
lich befeſtigt um mit Plan und Abſicht auf ein Syſtem politiſchen Ein-
fluſſes hinarbeiten zu können. Kurz, das Daſeyn einer ſtarken nationalen
Nebenbuhlerſchaft zwiſchen Frankreich und England zugegeben, haben doch
die Februarereigniſſe Frankreich in der Wagſchale der Nationen ſo nie-
dergedrückt und geſchwächt, daß Englands Eiferſucht, die es in der letz-
ten Regierungsperiode Ludwig Philipps gegen den Nachbarſtaat hegte,
ſehr vermindert worden iſt. Uebrigens hat Frankreich ſich mit eigenem
freien Entſchluß in die Anarchie geſtürzt, und es iſt jetzt beſtrebt ſeine
Jdeen von politiſcher Freiheit und ſocialiſtiſcher Glückſeligkeit zu ver-
wirklichen. Sind die Franzoſen ſelbſt mit den Reſultaten ihrer Be-
ſtrebniſſe zufrieden, ſo hat niemand anderer das Recht ſich darüber zu
beklagen oder daran zu mäkeln. — Die Ruheſtörungen die hier in Lon-
don auf Trafalgar-Square und Charing-Croß vorgefallen, waren eine
Caricatur der Pariſer Revolution. Ein paar tauſend Gaſſenjungen
und Taſchendiebe liefen zuſammen; 40 Polizeidiener waren anfänglich
alles was die Regierung dem „Mob“ entgegenſetzte. Eine gute Anzahl
Gaslaternen und Budenfenſter ward eingeſchlagen oder eingeworfen.
Jn der Nacht ſammelte ſich die Polizei ungefähr 1100 Mann ſtark, kein
Militär wurde beigezogen, und mit einigen blutigen Köpfen war die
Schlacht vorüber. Ernſterer Art waren die Unruhen in Glasgow, wegen
des wilden Charakters des gemeinen ſchottiſchen und iriſchen Volks in
jener Stadt. Eigenthum ward in ſehr beträchtlichem Maße zerſtört.
Jn Jrland nähern ſich die Dinge raſch einer Kriſis.
Frankreich.
Der Bericht des Hrn. Garnier Pagès über die Finanzlage der Re-
publik geht davon aus daß das Land die Wahrheit hierüber erfahren
wolle und daß die Regierung das Bedürfniß habe ſie zu ſagen, daß das
ihre Pflicht, ihr Jntereſſe, ihr Recht ſey. Er verſpricht es ohne Haß,
ohne Furcht, aber auch ohne Schonung zu thun. Demnach ſtellen ſich
folgende Thatſachen heraus. Oeffentliche Schuld. Am 1 Jan.
1841, nach Abzug der dem Tilgungsfonds zugehörigen Renten,
4,267,315,402 Fr. Am 1 Jan. 1848 5,179,644,730 Fr. — alſo in den
ſieben Jahren der letzten Verwaltung, inmitten des Friedens, ein Mehr
von 912,329,328 Fr. Budgets. Von 1829/30 = 1,014,914,000
Fr. Von 1847, alle der Regierung zur Verfügung geſtellten Sum-
men gerechnet = 1,712,979,639 Fr. 62 C. Trotz der ſich ſteigernden
Einnahmen jedes Jahr ein beträchtliches Deficit. Von 1840 bis 1847
einſchließlich ein Ueberſchreiten der Einnahmen um 604,525,000 Fr.
Das vorgeſehene Deficit von 1848 = 48,000,000 Fr., ohne das Capi-
tel der Nachforderungen und Ergänzungscredite, welches das Geſammt-
deficit in den Budgets der letzten Verwaltung auf 652,525,000 Fr. er-
hebt. Oeffentliche Arbeiten. Die maßlos auf allen Punkten des
Landes zum Behuf der Wahlbeſtechung gleichzeitig unternommenen
Staatsbauten = 1,081,000,000 Fr. Davon die von den Compagnien
zurückbezahlten Summen im Betrag von 160 Mill. und das letzte An-
lehen mit 82 Mill., alſo zuſammen 242 Mill. abgezogen, bleiben 839
Mill., wovon 435 Mill. aus den Hülfsquellen der ſchwebenden Schuld
verausgabt wurden, und 404 Mill. zur Vollendung der Arbeiten noch
zu beſtreiten ſind. Schwebende Schuld. Nicht minder beträcht-
liche Zunahme. Zu Anfang des Jahrs 1831 = 250 Mill., am letzten
26 Febr. über 670 Mill., dazu die Renten der Spareaſſe mit 202 Mill.,
alſo im ganzen 872 Mill. Jn den letzten 268 Tagen ihrer Exiſtenz hat
die geſtürzte Regierung über ihre ordentlichen Hülfsquellen ausgegeben
294,800,000 Fr., täglich 1,100,000 Fr. Dieſer Aufwand wurde aus
drei Quellen geſchöpft: königliche Scheine, Anlehen, Sparcaſſen. Vom
12 April 1847 bis 26 Febr. 1848 iſt die Ziffer der Schatzſcheine von
86 auf 325 Mill. hinaufgegangen. Die Einzahlungen des Anlehens
vom 10 Nov. 1847 belaufen ſich auf 82 Mill. „Jſt der Reſt des Anle-
hens realiſtrbar? ſagt der Finanzminiſter. Niemand weiß es. Bloß
ſoviel iſt gewiß daß die Schatzſcheine bezahlt werden müſſen. Die kläg-
liche Geſchichte der Sparcaſſe kennt Jedermann. Von den 355 Mill.
die zu Händen der vorigen Verwaltung eingezahlt wurden, habe ich nur
60 Mill. baar vorgefunden, das übrige war immobiliſirt in Renten und
Actien. Daraus folgt daß die geſtürzte Regierung ſich in die abſolute
Unmöglichkeit geſetzt hatte die Heimzahlungen die verlangt werden konn-
ten, zu leiſten. Dieß iſt die wahre Finanzlage, Bürger, welche die
Monarchie der Republik vermacht hat. Die Republik nimmt ſie an.“
Die Hülfe ſoll nun in den bereits mitgetheilten Decreten geſucht wer-
den, wozu auch eine Verminderung der Stellen in Ausſicht geſtellt iſt.
Keine Sinecuren, wenige aber gut bezahlte Staatsdiener — iſt Princip und
Regel der Republik. Tilgungscaſſe. Die Erhaltung des Tilgungsfonds
wird als eine Verpflichtung des Staates gegen die Gläubiger anerkannt.
Da die vorige Regierung über die Reſerven des Tilgungsfonds voraus
verfügt hatte, ſo befand man ſich, nachdem die Rente unter Pari gefallen
war, in der Alternative entweder die Bewegung der Tilgung eintreten
zu laſſen und die Arbeiten einzuſtellen, oder dieſe fortzuſetzen, dann aber
Schatzſcheine auszugeben ſtatt baaren Geldes in der Tilgungscaſſe.
Dieſe letztere Wahl bot den doppelten Vortheil daß ſie denen Brod ſicherte
die keines hatten und das baare Geld in den Caſſen des Schatzes ließ,
über ½ Mill. täglich. Daher wurde beſchloſſen daß die Tilgungscaſſe
fortfahren ſollte Schatzſcheine zu empfangen ſtatt Geld, was die 5pro-
centigen und die 4½procentigen Renten betrifft. Schatzſcheine.
Sie beliefen ſich am 24 Febr. 1848 auf 329,886,000 Fr., zum Theil
mit kurzer Verfallzeit, im allgemeinen auf die verſchiedenen Monate von
1848 u. 1849 vertheilt. Die Steuererhebung geht mit größter Leichtigkeit
vor ſich, der Dienſt der Schatzſcheine iſt geſichert, und es wird nur darin
eine Aenderung getroffen daß der Zins ohne Rückſicht auf die Ver-
fallszeit künftig 5 Proc. ausmachen ſoll. Sparcaſſen. Das Eigen-
thum der Einleger war am 7 März, dem Tag wo Hr. Garnier Pagès
die Finanzleitung übernahm, alſo vertheilt: Jm Schatz auf laufende
Rechnung zu 4 Proc. 65,703,620 Fr. 40 C.; 5proc. Renten koſtend
34,106,135 Fr. 25 C.; 4proc. Renten 202,316,175 Fr.; 3proc. Ren-
ten 34,048,447 Fr. 92 C.; Actien der vier Canäle 14,059,120 Fr.;
Actien der drei Canäle 4,818,218 Fr. 75 C.; zuſammen 355,087,717
Fr. 32 C.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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