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Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 17. März 1848.

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[Spaltenumbruch] stehenden vernehmen können. Petitionen aller Art, eine mit mehr als
9000 Unterschriften ehrenhafter Bürger aller Stände versehen, find den
Ständen übergeben worden, die darin ausgesprochenen Begehren, die in
nichts von den allgemein bekannten abweichen, geltend zu machen. Auch
die Studenten trachten sich in erste Reihe zu stellen, und so haben Sie
ein Bild der hiefigen Zustände, das Sie sich mit den seit vierzehn
Tagen in ganz Deutschland stattgefundenen Vorgängen ergänzen können.
Da aber unsere Stände eine wahrhaft patriotische Versammlung aus-
machen, der Landmarschall Graf Montecuculi ein die höchste Achtung mit
größtem Rechte genießender Mann ist, und viele der ständischen Depu-
tirten an Talent hervorr-gen, so hoffen wir, wird sich die Wogen ebnen
und nicht aus ihrem Ufer treten. -- 12 Uhr. Der Lärm nimmt zu; die
Studenten tragen eben einen aus ihrer Mitte auf den Schultern, der
das Volk haranguirt, und die Schaar die ihn begleitet ruft lauten Bei-
fall. Man steht weder Militär noch Polizei in den Straßen. 1 Uhr.
Grenadier-Abtheilungen durchziehen die Stadt, ohne zu behelligen noch
behelligt zu werden. Ihre Patrouillen wurden bereits nöthig, da
man im Ständehaus schon die Fensterscheiben auf der Straße klirren hörte.
Was in den andern Stadttheilen geschieht weiß ich nicht; denke aber daß es
dort ruhiger zugeht, weil in der Herrngasse und den zunächst gelegenen
Plätzen sich der Zusammenfluß der Menschen am meisten concentrirt, und das
Ständehaus heute das ganze Interesse in Bewegung setzt. -- 2 Uhr. Seit
einer halben Stunde ist in der Nachbarschaft mehr Ruhe eingetreten, aber
von Zeit zu Zeit hört man immer noch heftiges Geschrei. Eben erhebt
sich der Lärm wieder von neuem. Meist ist es ein furchtbares Beifall-
rufen für die Volksredner die jetzt die Straßen durchziehen und allgemein
erregende Aufrufe machen. -- 21/2 Uhr. Blut ist geflossen. Als der Tumult
vor meinen Fenstern seine Höhe erreicht hatte, kam der commandirende
General Erzherzog Albrecht zu Pferd an der Spitze von einer Com-
pagnie Pioniere und sprach den Leuten zu. Aber kaum eine halbe Minute,
und ein Hagel von allem was die Masse zum Werfen aufrassen konnte flog
nach seinem Kopf. Man feuerte, das Volk setzte sich zur Wehr, und ich sehe
sieben Leichen auf der Straße liegen. Jetzt ist es hier ruhig, eine Grabesstille
folgte dem Toben; auch in den übrigen Stadttheilen scheint es ruhig zu
seyn. Militärabtheilungen halten alle Straßeneingänge besetzt, und die
Thore in die Vorstädte find geschlossen. Auf den Glacis find Kanonen auf-
geführt, und das Innere der Stadt ist von den Vorstädten abgeschlossen.
Der Aufftand hat bereits eine solche Höhe erlangt daß die Sicherheit
der Stadt in der größten Gefahr schwebt. Um 6 Uhr. Seit zwei
Stunden ist die Stadt in meiner Gegend ruhig, und das Militär be-
setzt mit den Bürgern zugleich die Straßen. Soviel ich erfahren
konnte, sind 9 Personen geblieben, 5 in der Herrengasse, 2 am ho-
hen Markt, und 2 auf der Freyung. Wie hoch sich die Zahl der Bles-
strten beläuft, weiß ich nicht, und ich konnte bis jetzt nichts bestimm-
tes darüber hören. Wie immer bei solchen unglücklichen Vorfällen,
sollen mehrere ganz unbetheiligte Leute darunter seyn, was nur er-
klärlich ist, wenn man sieht wie die Neugierde selbst Frauenzim-
mer unter die Menge treibt. Um 8 Uhr. Noch keine Ruhe in der Stadt,
trotzdem daß überall Truppen sind und selbst Artillerie aufgefahren wurde.
Die Volkshaufen greifen zwar nicht an, setzen aber ihre Drohungen fort.
10 Uhr. Noch immer ist die Gährung nicht gehoben, obgleich keine blu-
tigen Auftritte mehr stattfinden. Wie es in den Vorstädten aussieht,
weiß ich nicht; die Fenster müssen beleuchtet werden, warum, weiß ich
nicht; ich beleuchte eben weil alle andern es thun, und damit sie mir
nicht eingeworfen werden. Nie hätte man in Wien solche Scenen mög-
lich geglaubt, aber die Aufregung in letzter Zeit war maßlos.


Der gestrige Tag war ein sehr stürmischer
und in den Annalen der sonst so ruhigen und vergnüglichen Kaiserstadt
wohl beispielloser. Eine begeisterte Jugend führte das große Wort und
riß eine anfänglich ruhig zuschauende Bevölkerung, welche man für die
Bedeutung der hohen geistigen Jnteressen von einer gewissen Seite
unempfänglich hielt, zu Aeußerungen des Muthes und der Thatkraft,
welche von vielen noch lächelnd in Zweifel gezogen wurden als
sich schon ihre bedrohlichen Symptome sehr deutlich zu erkennen
gaben. Leider wurde Blut vergossen, um so beklagenswerther als es zu
vermeiden gewesen wäre und nun vorausfichtlich die Gemüther so lange
erbittert bis eine vollständige Genugthuung sie versöhnt haben wird.
Die Unzufriedenheit mit den allgemeinen Zuständen, der Jmpuls der durch
die Ereignisse außerhalb Oesterreichs gegeben wurde, hatte alle Classen der
Bevölkerung in eine gährende Bewegung versetzt, welche Petitionen hervor-
[Spaltenumbruch] rief die sie die Bewilligung von Zugeständnissen verlangten wie sie von den
Anforderungen der Zeit unzertrennlich erscheinen. Diese Petitionen
wurden für die Zusammentretung der niederösterreichischen Landstände
vorbereitet, welche gestern stattfand. Man versah sich zu ihnen daß sie
die Bitten des Volkes dem Kaiser vortragen würden, und dieß um so
mehr als die Stände selbst eine in energischer Sprache abgefaßte Petition
zu ähnlichem Zweck entworfen hatten. Von den hundert Landstän-
den, die man erwartete, waren etwa 58 in diesem Sinne thätig gewe-
sen, während man von den andern noch nicht der gleichen Ueberzeu-
gung gewiß seyn konnte. Die Gewerbtreibenden, der Handelsstand, die
Schriftsleller, die Studirenden hatten ihre Petitionen entworfen und
mit mehreren tausend Unterschriften bedeckt. Man hatte sich versammelt
um sich über das reiflich zu berathen was man wollte. Die Versamm-
lung der Studenten war besonders stürmisch, und niemand konnte wohl
über den Geist der diese jungen Mäner beseelte, in Zweifel seyn.
Am Morgen des gestrigen Tages strömten Tausende in die enge Herren gaffe,
in welcher das Ständehaus gelegen ist. Jn dem Hofe des Gebäudes wurden
Reden gehalten, von denen einige mit tumultuarischem Beifall aufge-
nommen wurden. Man trug die Redner im Triumph umher und stei-
gerte so den Enthustasmus. Draußen verhielt sich alles ruhig. Man
ging und kam zuschauend, neugierig. Auf den meisten Gesichtern spie-
gelte sich eine kalte Theilnahme, wie für ein Schauspiel gewöhnlicher
Art. Der Verstand abgelebter oder verweichlichter Genußmenschen,
ächter Lebensroutiniers, die den Aufschwung der Zeit nicht begreifen
konnten, täuschte sich vollständig über die Absichten dieser Bewegung,
die von den gewöhnlichen Mitteln der Gewalt nicht mehr niedergehal-
ten zu werden vermochte. Der Marschall des Landtags, Graf Montecu-
culi, suchte durch Ansprache und oberflächliche Verheißungen den wachsen-
den Sturm zu beschwichtigen; allein er vermochte es nicht. Man wollte
Zugeständnisse des Staatsoberhauptes, und gab zu erkennen daß man sie mit
Bestimmtheit und Ausdauer erwarten würde. Eine höhnische Aeuße-
rung rief eine drohende Demonstration hervor. Alles blieb jedoch noch
in den Gränzen einer unter diesen Umständen besonnenen Mäßigung.
Da soll ein Schritt geschehen seyn der mit einemmale die Scene umge-
staltete. Man sagt, die Petition der Studirenden sey zerrissen und ih-
rer Deputation vor die Füße geworfen und einer aus ihrer Mitte ver-
haftet worden. Die Studirenden öffneten die Fenster des landständi-
schen Saales und riefen die andern herbei. Jm Augenblick bot dieser
Saal das Bild der Verwüstung, und Schüsse die durch das Fenster
fielen, tödteten mehrere. Jetzt stieg die Wuth auf das äußerste. Die Haufen
vertheilten sich auf die Plätze der Stadt; man wollte Waffen aus dem bür-
gerlichen Zeughaus holen; die Truppen feuerten und hieben ein auf die
waffenlose Menge. Viele den Vorgängen fremde Personen wurden
getödtet oder verwundet. Die Massen hatten sich mit Latten, Aexten,
Stangen, Knüppeln versehen, und suchten Widerstand zu leisten. So
wogten Lärm und Kampf fort bis zu hereinbrechender Dunkelheit.
Die Thore waren schon Mittags geschlossen worden, und nur einzelne
Fußgänger durften aus den Vorstädten in die Stadt; alle Läden wa-
ren im Augenblick geschlossen und die Fiaker waren beordert nach
Hause zu fahren. Diese Stille in den sonst so belebten Gassen bildete
einen schneidenden Contrast mit dem Gewühl an einzelnen Punkten und
dem wüthenden Geschrei und den Schüssen die man von hier und dort
vernahm. Die italienischen Cuirasstere hieben unbarmherzig ein. Ein
Piket Artillerie, aus Wienern bestehend, wurde mit Jubel begrußt als es
die Bajonnette von den Gewehren nahm. An den Thoren waren Kar-
tätschen aufgepflanzt, um das Volk aus den Proletariervorstädten abzu-
halten in die Stadt zu kommen. Der ganze Aufstand war von wohl-
gekleideten Leuten begonnen und ausgeführt; kein eigentliches Gefindel
war zu sehen und kein Eigenthum wurde verletzt. Man sah einer un-
ruhigen, blutigen Nacht entgegen. Auch in den Vorstädten, namentlich
in Mariahilf, sind viele Menschen getödtet worden. Hier wurden aus
den kaiserlichen Stallungen auf das Volk gefeuert. Nur das Leopold-
städter Theater gab seine Vorstellung vor leeren Bänken; diese Vorstadt
war ruhig geblieben. Plötzlich fieht man wie durch Zauberschlag die
hohen Häuser der Stadt sich beleuchten; nach und nach macht man es in
den Vorstädten nach. Man weiß nicht aus welchem Grunde und muth-
maßt daß die Gasbeleuchtung zertrümmert sey und deßhalb die Häuser
beleuchtet werden. Wer nicht schnell Licht vor die Fenster stellt, muß
seine Saumseligkeit mit zerbrochenen Scheiben bezahlen. Da reitet ein
Bürgerofsicier vorüber und spricht: Meine Herren, der Fürst Met-
ternich hat abgedankt
. Bravo erschallt. Die Ruhe ist hergestellt.

[Spaltenumbruch] ſtehenden vernehmen können. Petitionen aller Art, eine mit mehr als
9000 Unterſchriften ehrenhafter Bürger aller Stände verſehen, find den
Ständen übergeben worden, die darin ausgeſprochenen Begehren, die in
nichts von den allgemein bekannten abweichen, geltend zu machen. Auch
die Studenten trachten ſich in erſte Reihe zu ſtellen, und ſo haben Sie
ein Bild der hiefigen Zuſtände, das Sie ſich mit den ſeit vierzehn
Tagen in ganz Deutſchland ſtattgefundenen Vorgängen ergänzen können.
Da aber unſere Stände eine wahrhaft patriotiſche Verſammlung aus-
machen, der Landmarſchall Graf Montecuculi ein die höchſte Achtung mit
größtem Rechte genießender Mann iſt, und viele der ſtändiſchen Depu-
tirten an Talent hervorr-gen, ſo hoffen wir, wird ſich die Wogen ebnen
und nicht aus ihrem Ufer treten. — 12 Uhr. Der Lärm nimmt zu; die
Studenten tragen eben einen aus ihrer Mitte auf den Schultern, der
das Volk haranguirt, und die Schaar die ihn begleitet ruft lauten Bei-
fall. Man ſteht weder Militär noch Polizei in den Straßen. 1 Uhr.
Grenadier-Abtheilungen durchziehen die Stadt, ohne zu behelligen noch
behelligt zu werden. Ihre Patrouillen wurden bereits nöthig, da
man im Ständehaus ſchon die Fenſterſcheiben auf der Straße klirren hörte.
Was in den andern Stadttheilen geſchieht weiß ich nicht; denke aber daß es
dort ruhiger zugeht, weil in der Herrngaſſe und den zunächſt gelegenen
Plätzen ſich der Zuſammenfluß der Menſchen am meiſten concentrirt, und das
Ständehaus heute das ganze Intereſſe in Bewegung ſetzt. — 2 Uhr. Seit
einer halben Stunde iſt in der Nachbarſchaft mehr Ruhe eingetreten, aber
von Zeit zu Zeit hört man immer noch heftiges Geſchrei. Eben erhebt
ſich der Lärm wieder von neuem. Meiſt iſt es ein furchtbares Beifall-
rufen für die Volksredner die jetzt die Straßen durchziehen und allgemein
erregende Aufrufe machen. — 2½ Uhr. Blut iſt gefloſſen. Als der Tumult
vor meinen Fenſtern ſeine Höhe erreicht hatte, kam der commandirende
General Erzherzog Albrecht zu Pferd an der Spitze von einer Com-
pagnie Pioniere und ſprach den Leuten zu. Aber kaum eine halbe Minute,
und ein Hagel von allem was die Maſſe zum Werfen aufraſſen konnte flog
nach ſeinem Kopf. Man feuerte, das Volk ſetzte ſich zur Wehr, und ich ſehe
ſieben Leichen auf der Straße liegen. Jetzt iſt es hier ruhig, eine Grabesſtille
folgte dem Toben; auch in den übrigen Stadttheilen ſcheint es ruhig zu
ſeyn. Militärabtheilungen halten alle Straßeneingänge beſetzt, und die
Thore in die Vorſtädte find geſchloſſen. Auf den Glacis find Kanonen auf-
geführt, und das Innere der Stadt iſt von den Vorſtädten abgeſchloſſen.
Der Aufftand hat bereits eine ſolche Höhe erlangt daß die Sicherheit
der Stadt in der größten Gefahr ſchwebt. Um 6 Uhr. Seit zwei
Stunden iſt die Stadt in meiner Gegend ruhig, und das Militär be-
ſetzt mit den Bürgern zugleich die Straßen. Soviel ich erfahren
konnte, ſind 9 Perſonen geblieben, 5 in der Herrengaſſe, 2 am ho-
hen Markt, und 2 auf der Freyung. Wie hoch ſich die Zahl der Bleſ-
ſtrten beläuft, weiß ich nicht, und ich konnte bis jetzt nichts beſtimm-
tes darüber hören. Wie immer bei ſolchen unglücklichen Vorfällen,
ſollen mehrere ganz unbetheiligte Leute darunter ſeyn, was nur er-
klärlich iſt, wenn man ſieht wie die Neugierde ſelbſt Frauenzim-
mer unter die Menge treibt. Um 8 Uhr. Noch keine Ruhe in der Stadt,
trotzdem daß überall Truppen ſind und ſelbſt Artillerie aufgefahren wurde.
Die Volkshaufen greifen zwar nicht an, ſetzen aber ihre Drohungen fort.
10 Uhr. Noch immer iſt die Gährung nicht gehoben, obgleich keine blu-
tigen Auftritte mehr ſtattfinden. Wie es in den Vorſtädten ausſieht,
weiß ich nicht; die Fenſter müſſen beleuchtet werden, warum, weiß ich
nicht; ich beleuchte eben weil alle andern es thun, und damit ſie mir
nicht eingeworfen werden. Nie hätte man in Wien ſolche Scenen mög-
lich geglaubt, aber die Aufregung in letzter Zeit war maßlos.


Der geſtrige Tag war ein ſehr ſtürmiſcher
und in den Annalen der ſonſt ſo ruhigen und vergnüglichen Kaiſerſtadt
wohl beiſpielloſer. Eine begeiſterte Jugend führte das große Wort und
riß eine anfänglich ruhig zuſchauende Bevölkerung, welche man für die
Bedeutung der hohen geiſtigen Jntereſſen von einer gewiſſen Seite
unempfänglich hielt, zu Aeußerungen des Muthes und der Thatkraft,
welche von vielen noch lächelnd in Zweifel gezogen wurden als
ſich ſchon ihre bedrohlichen Symptome ſehr deutlich zu erkennen
gaben. Leider wurde Blut vergoſſen, um ſo beklagenswerther als es zu
vermeiden geweſen wäre und nun vorausfichtlich die Gemüther ſo lange
erbittert bis eine vollſtändige Genugthuung ſie verſöhnt haben wird.
Die Unzufriedenheit mit den allgemeinen Zuſtänden, der Jmpuls der durch
die Ereigniſſe außerhalb Oeſterreichs gegeben wurde, hatte alle Claſſen der
Bevölkerung in eine gährende Bewegung verſetzt, welche Petitionen hervor-
[Spaltenumbruch] rief die ſie die Bewilligung von Zugeſtändniſſen verlangten wie ſie von den
Anforderungen der Zeit unzertrennlich erſcheinen. Dieſe Petitionen
wurden für die Zuſammentretung der niederöſterreichiſchen Landſtände
vorbereitet, welche geſtern ſtattfand. Man verſah ſich zu ihnen daß ſie
die Bitten des Volkes dem Kaiſer vortragen würden, und dieß um ſo
mehr als die Stände ſelbſt eine in energiſcher Sprache abgefaßte Petition
zu ähnlichem Zweck entworfen hatten. Von den hundert Landſtän-
den, die man erwartete, waren etwa 58 in dieſem Sinne thätig gewe-
ſen, während man von den andern noch nicht der gleichen Ueberzeu-
gung gewiß ſeyn konnte. Die Gewerbtreibenden, der Handelsſtand, die
Schriftſleller, die Studirenden hatten ihre Petitionen entworfen und
mit mehreren tauſend Unterſchriften bedeckt. Man hatte ſich verſammelt
um ſich über das reiflich zu berathen was man wollte. Die Verſamm-
lung der Studenten war beſonders ſtürmiſch, und niemand konnte wohl
über den Geiſt der dieſe jungen Mäner beſeelte, in Zweifel ſeyn.
Am Morgen des geſtrigen Tages ſtrömten Tauſende in die enge Herren gaffe,
in welcher das Ständehaus gelegen iſt. Jn dem Hofe des Gebäudes wurden
Reden gehalten, von denen einige mit tumultuariſchem Beifall aufge-
nommen wurden. Man trug die Redner im Triumph umher und ſtei-
gerte ſo den Enthuſtasmus. Draußen verhielt ſich alles ruhig. Man
ging und kam zuſchauend, neugierig. Auf den meiſten Geſichtern ſpie-
gelte ſich eine kalte Theilnahme, wie für ein Schauſpiel gewöhnlicher
Art. Der Verſtand abgelebter oder verweichlichter Genußmenſchen,
ächter Lebensroutiniers, die den Aufſchwung der Zeit nicht begreifen
konnten, täuſchte ſich vollſtändig über die Abſichten dieſer Bewegung,
die von den gewöhnlichen Mitteln der Gewalt nicht mehr niedergehal-
ten zu werden vermochte. Der Marſchall des Landtags, Graf Montecu-
culi, ſuchte durch Anſprache und oberflächliche Verheißungen den wachſen-
den Sturm zu beſchwichtigen; allein er vermochte es nicht. Man wollte
Zugeſtändniſſe des Staatsoberhauptes, und gab zu erkennen daß man ſie mit
Beſtimmtheit und Ausdauer erwarten würde. Eine höhniſche Aeuße-
rung rief eine drohende Demonſtration hervor. Alles blieb jedoch noch
in den Gränzen einer unter dieſen Umſtänden beſonnenen Mäßigung.
Da ſoll ein Schritt geſchehen ſeyn der mit einemmale die Scene umge-
ſtaltete. Man ſagt, die Petition der Studirenden ſey zerriſſen und ih-
rer Deputation vor die Füße geworfen und einer aus ihrer Mitte ver-
haftet worden. Die Studirenden öffneten die Fenſter des landſtändi-
ſchen Saales und riefen die andern herbei. Jm Augenblick bot dieſer
Saal das Bild der Verwüſtung, und Schüſſe die durch das Fenſter
fielen, tödteten mehrere. Jetzt ſtieg die Wuth auf das äußerſte. Die Haufen
vertheilten ſich auf die Plätze der Stadt; man wollte Waffen aus dem bür-
gerlichen Zeughaus holen; die Truppen feuerten und hieben ein auf die
waffenloſe Menge. Viele den Vorgängen fremde Perſonen wurden
getödtet oder verwundet. Die Maſſen hatten ſich mit Latten, Aexten,
Stangen, Knüppeln verſehen, und ſuchten Widerſtand zu leiſten. So
wogten Lärm und Kampf fort bis zu hereinbrechender Dunkelheit.
Die Thore waren ſchon Mittags geſchloſſen worden, und nur einzelne
Fußgänger durften aus den Vorſtädten in die Stadt; alle Läden wa-
ren im Augenblick geſchloſſen und die Fiaker waren beordert nach
Hauſe zu fahren. Dieſe Stille in den ſonſt ſo belebten Gaſſen bildete
einen ſchneidenden Contraſt mit dem Gewühl an einzelnen Punkten und
dem wüthenden Geſchrei und den Schüſſen die man von hier und dort
vernahm. Die italieniſchen Cuiraſſtere hieben unbarmherzig ein. Ein
Piket Artillerie, aus Wienern beſtehend, wurde mit Jubel begrußt als es
die Bajonnette von den Gewehren nahm. An den Thoren waren Kar-
tätſchen aufgepflanzt, um das Volk aus den Proletariervorſtädten abzu-
halten in die Stadt zu kommen. Der ganze Aufſtand war von wohl-
gekleideten Leuten begonnen und ausgeführt; kein eigentliches Gefindel
war zu ſehen und kein Eigenthum wurde verletzt. Man ſah einer un-
ruhigen, blutigen Nacht entgegen. Auch in den Vorſtädten, namentlich
in Mariahilf, ſind viele Menſchen getödtet worden. Hier wurden aus
den kaiſerlichen Stallungen auf das Volk gefeuert. Nur das Leopold-
ſtädter Theater gab ſeine Vorſtellung vor leeren Bänken; dieſe Vorſtadt
war ruhig geblieben. Plötzlich fieht man wie durch Zauberſchlag die
hohen Häuſer der Stadt ſich beleuchten; nach und nach macht man es in
den Vorſtädten nach. Man weiß nicht aus welchem Grunde und muth-
maßt daß die Gasbeleuchtung zertrümmert ſey und deßhalb die Häuſer
beleuchtet werden. Wer nicht ſchnell Licht vor die Fenſter ſtellt, muß
ſeine Saumſeligkeit mit zerbrochenen Scheiben bezahlen. Da reitet ein
Bürgerofſicier vorüber und ſpricht: Meine Herren, der Fürſt Met-
ternich hat abgedankt
. Bravo erſchallt. Die Ruhe iſt hergeſtellt.

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[1222/0006] ſtehenden vernehmen können. Petitionen aller Art, eine mit mehr als 9000 Unterſchriften ehrenhafter Bürger aller Stände verſehen, find den Ständen übergeben worden, die darin ausgeſprochenen Begehren, die in nichts von den allgemein bekannten abweichen, geltend zu machen. Auch die Studenten trachten ſich in erſte Reihe zu ſtellen, und ſo haben Sie ein Bild der hiefigen Zuſtände, das Sie ſich mit den ſeit vierzehn Tagen in ganz Deutſchland ſtattgefundenen Vorgängen ergänzen können. Da aber unſere Stände eine wahrhaft patriotiſche Verſammlung aus- machen, der Landmarſchall Graf Montecuculi ein die höchſte Achtung mit größtem Rechte genießender Mann iſt, und viele der ſtändiſchen Depu- tirten an Talent hervorr-gen, ſo hoffen wir, wird ſich die Wogen ebnen und nicht aus ihrem Ufer treten. — 12 Uhr. Der Lärm nimmt zu; die Studenten tragen eben einen aus ihrer Mitte auf den Schultern, der das Volk haranguirt, und die Schaar die ihn begleitet ruft lauten Bei- fall. Man ſteht weder Militär noch Polizei in den Straßen. 1 Uhr. Grenadier-Abtheilungen durchziehen die Stadt, ohne zu behelligen noch behelligt zu werden. Ihre Patrouillen wurden bereits nöthig, da man im Ständehaus ſchon die Fenſterſcheiben auf der Straße klirren hörte. Was in den andern Stadttheilen geſchieht weiß ich nicht; denke aber daß es dort ruhiger zugeht, weil in der Herrngaſſe und den zunächſt gelegenen Plätzen ſich der Zuſammenfluß der Menſchen am meiſten concentrirt, und das Ständehaus heute das ganze Intereſſe in Bewegung ſetzt. — 2 Uhr. Seit einer halben Stunde iſt in der Nachbarſchaft mehr Ruhe eingetreten, aber von Zeit zu Zeit hört man immer noch heftiges Geſchrei. Eben erhebt ſich der Lärm wieder von neuem. Meiſt iſt es ein furchtbares Beifall- rufen für die Volksredner die jetzt die Straßen durchziehen und allgemein erregende Aufrufe machen. — 2½ Uhr. Blut iſt gefloſſen. Als der Tumult vor meinen Fenſtern ſeine Höhe erreicht hatte, kam der commandirende General Erzherzog Albrecht zu Pferd an der Spitze von einer Com- pagnie Pioniere und ſprach den Leuten zu. Aber kaum eine halbe Minute, und ein Hagel von allem was die Maſſe zum Werfen aufraſſen konnte flog nach ſeinem Kopf. Man feuerte, das Volk ſetzte ſich zur Wehr, und ich ſehe ſieben Leichen auf der Straße liegen. Jetzt iſt es hier ruhig, eine Grabesſtille folgte dem Toben; auch in den übrigen Stadttheilen ſcheint es ruhig zu ſeyn. Militärabtheilungen halten alle Straßeneingänge beſetzt, und die Thore in die Vorſtädte find geſchloſſen. Auf den Glacis find Kanonen auf- geführt, und das Innere der Stadt iſt von den Vorſtädten abgeſchloſſen. Der Aufftand hat bereits eine ſolche Höhe erlangt daß die Sicherheit der Stadt in der größten Gefahr ſchwebt. Um 6 Uhr. Seit zwei Stunden iſt die Stadt in meiner Gegend ruhig, und das Militär be- ſetzt mit den Bürgern zugleich die Straßen. Soviel ich erfahren konnte, ſind 9 Perſonen geblieben, 5 in der Herrengaſſe, 2 am ho- hen Markt, und 2 auf der Freyung. Wie hoch ſich die Zahl der Bleſ- ſtrten beläuft, weiß ich nicht, und ich konnte bis jetzt nichts beſtimm- tes darüber hören. Wie immer bei ſolchen unglücklichen Vorfällen, ſollen mehrere ganz unbetheiligte Leute darunter ſeyn, was nur er- klärlich iſt, wenn man ſieht wie die Neugierde ſelbſt Frauenzim- mer unter die Menge treibt. Um 8 Uhr. Noch keine Ruhe in der Stadt, trotzdem daß überall Truppen ſind und ſelbſt Artillerie aufgefahren wurde. Die Volkshaufen greifen zwar nicht an, ſetzen aber ihre Drohungen fort. 10 Uhr. Noch immer iſt die Gährung nicht gehoben, obgleich keine blu- tigen Auftritte mehr ſtattfinden. Wie es in den Vorſtädten ausſieht, weiß ich nicht; die Fenſter müſſen beleuchtet werden, warum, weiß ich nicht; ich beleuchte eben weil alle andern es thun, und damit ſie mir nicht eingeworfen werden. Nie hätte man in Wien ſolche Scenen mög- lich geglaubt, aber die Aufregung in letzter Zeit war maßlos. ♃ Wien, 14 März. Der geſtrige Tag war ein ſehr ſtürmiſcher und in den Annalen der ſonſt ſo ruhigen und vergnüglichen Kaiſerſtadt wohl beiſpielloſer. Eine begeiſterte Jugend führte das große Wort und riß eine anfänglich ruhig zuſchauende Bevölkerung, welche man für die Bedeutung der hohen geiſtigen Jntereſſen von einer gewiſſen Seite unempfänglich hielt, zu Aeußerungen des Muthes und der Thatkraft, welche von vielen noch lächelnd in Zweifel gezogen wurden als ſich ſchon ihre bedrohlichen Symptome ſehr deutlich zu erkennen gaben. Leider wurde Blut vergoſſen, um ſo beklagenswerther als es zu vermeiden geweſen wäre und nun vorausfichtlich die Gemüther ſo lange erbittert bis eine vollſtändige Genugthuung ſie verſöhnt haben wird. Die Unzufriedenheit mit den allgemeinen Zuſtänden, der Jmpuls der durch die Ereigniſſe außerhalb Oeſterreichs gegeben wurde, hatte alle Claſſen der Bevölkerung in eine gährende Bewegung verſetzt, welche Petitionen hervor- rief die ſie die Bewilligung von Zugeſtändniſſen verlangten wie ſie von den Anforderungen der Zeit unzertrennlich erſcheinen. Dieſe Petitionen wurden für die Zuſammentretung der niederöſterreichiſchen Landſtände vorbereitet, welche geſtern ſtattfand. Man verſah ſich zu ihnen daß ſie die Bitten des Volkes dem Kaiſer vortragen würden, und dieß um ſo mehr als die Stände ſelbſt eine in energiſcher Sprache abgefaßte Petition zu ähnlichem Zweck entworfen hatten. Von den hundert Landſtän- den, die man erwartete, waren etwa 58 in dieſem Sinne thätig gewe- ſen, während man von den andern noch nicht der gleichen Ueberzeu- gung gewiß ſeyn konnte. Die Gewerbtreibenden, der Handelsſtand, die Schriftſleller, die Studirenden hatten ihre Petitionen entworfen und mit mehreren tauſend Unterſchriften bedeckt. Man hatte ſich verſammelt um ſich über das reiflich zu berathen was man wollte. Die Verſamm- lung der Studenten war beſonders ſtürmiſch, und niemand konnte wohl über den Geiſt der dieſe jungen Mäner beſeelte, in Zweifel ſeyn. Am Morgen des geſtrigen Tages ſtrömten Tauſende in die enge Herren gaffe, in welcher das Ständehaus gelegen iſt. Jn dem Hofe des Gebäudes wurden Reden gehalten, von denen einige mit tumultuariſchem Beifall aufge- nommen wurden. Man trug die Redner im Triumph umher und ſtei- gerte ſo den Enthuſtasmus. Draußen verhielt ſich alles ruhig. Man ging und kam zuſchauend, neugierig. Auf den meiſten Geſichtern ſpie- gelte ſich eine kalte Theilnahme, wie für ein Schauſpiel gewöhnlicher Art. Der Verſtand abgelebter oder verweichlichter Genußmenſchen, ächter Lebensroutiniers, die den Aufſchwung der Zeit nicht begreifen konnten, täuſchte ſich vollſtändig über die Abſichten dieſer Bewegung, die von den gewöhnlichen Mitteln der Gewalt nicht mehr niedergehal- ten zu werden vermochte. Der Marſchall des Landtags, Graf Montecu- culi, ſuchte durch Anſprache und oberflächliche Verheißungen den wachſen- den Sturm zu beſchwichtigen; allein er vermochte es nicht. Man wollte Zugeſtändniſſe des Staatsoberhauptes, und gab zu erkennen daß man ſie mit Beſtimmtheit und Ausdauer erwarten würde. Eine höhniſche Aeuße- rung rief eine drohende Demonſtration hervor. Alles blieb jedoch noch in den Gränzen einer unter dieſen Umſtänden beſonnenen Mäßigung. Da ſoll ein Schritt geſchehen ſeyn der mit einemmale die Scene umge- ſtaltete. Man ſagt, die Petition der Studirenden ſey zerriſſen und ih- rer Deputation vor die Füße geworfen und einer aus ihrer Mitte ver- haftet worden. Die Studirenden öffneten die Fenſter des landſtändi- ſchen Saales und riefen die andern herbei. Jm Augenblick bot dieſer Saal das Bild der Verwüſtung, und Schüſſe die durch das Fenſter fielen, tödteten mehrere. Jetzt ſtieg die Wuth auf das äußerſte. Die Haufen vertheilten ſich auf die Plätze der Stadt; man wollte Waffen aus dem bür- gerlichen Zeughaus holen; die Truppen feuerten und hieben ein auf die waffenloſe Menge. Viele den Vorgängen fremde Perſonen wurden getödtet oder verwundet. Die Maſſen hatten ſich mit Latten, Aexten, Stangen, Knüppeln verſehen, und ſuchten Widerſtand zu leiſten. So wogten Lärm und Kampf fort bis zu hereinbrechender Dunkelheit. Die Thore waren ſchon Mittags geſchloſſen worden, und nur einzelne Fußgänger durften aus den Vorſtädten in die Stadt; alle Läden wa- ren im Augenblick geſchloſſen und die Fiaker waren beordert nach Hauſe zu fahren. Dieſe Stille in den ſonſt ſo belebten Gaſſen bildete einen ſchneidenden Contraſt mit dem Gewühl an einzelnen Punkten und dem wüthenden Geſchrei und den Schüſſen die man von hier und dort vernahm. Die italieniſchen Cuiraſſtere hieben unbarmherzig ein. Ein Piket Artillerie, aus Wienern beſtehend, wurde mit Jubel begrußt als es die Bajonnette von den Gewehren nahm. An den Thoren waren Kar- tätſchen aufgepflanzt, um das Volk aus den Proletariervorſtädten abzu- halten in die Stadt zu kommen. Der ganze Aufſtand war von wohl- gekleideten Leuten begonnen und ausgeführt; kein eigentliches Gefindel war zu ſehen und kein Eigenthum wurde verletzt. Man ſah einer un- ruhigen, blutigen Nacht entgegen. Auch in den Vorſtädten, namentlich in Mariahilf, ſind viele Menſchen getödtet worden. Hier wurden aus den kaiſerlichen Stallungen auf das Volk gefeuert. Nur das Leopold- ſtädter Theater gab ſeine Vorſtellung vor leeren Bänken; dieſe Vorſtadt war ruhig geblieben. Plötzlich fieht man wie durch Zauberſchlag die hohen Häuſer der Stadt ſich beleuchten; nach und nach macht man es in den Vorſtädten nach. Man weiß nicht aus welchem Grunde und muth- maßt daß die Gasbeleuchtung zertrümmert ſey und deßhalb die Häuſer beleuchtet werden. Wer nicht ſchnell Licht vor die Fenſter ſtellt, muß ſeine Saumſeligkeit mit zerbrochenen Scheiben bezahlen. Da reitet ein Bürgerofſicier vorüber und ſpricht: Meine Herren, der Fürſt Met- ternich hat abgedankt. Bravo erſchallt. Die Ruhe iſt hergeſtellt.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 17. März 1848, S. 1222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine77_1848/6>, abgerufen am 23.11.2024.