Allgemeine Zeitung, Nr. 78, 18. März 1848.[Spaltenumbruch]
sämmtliche Posten von der Bürgergarde und den Studenten besetzt Frankreich. § Paris, 12 März. Die officielle Darlegung des Zustandes der - Paris, 13 März. Die Nachrichten aus Lyon bessern sich = Paris, 14 März. Die Unterhandlungen der provisorischer [Spaltenumbruch]
ſämmtliche Poſten von der Bürgergarde und den Studenten beſetzt Frankreich. § Paris, 12 März. Die officielle Darlegung des Zuſtandes der ═ Paris, 13 März. Die Nachrichten aus Lyon beſſern ſich = Paris, 14 März. Die Unterhandlungen der proviſoriſcher <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0019"/><cb/> ſämmtliche Poſten von der Bürgergarde und den Studenten beſetzt<lb/> werden ſollen. 11 <hi rendition="#g">Uhr.</hi> Die bewaffneten Studenten mit den Bürger-<lb/> garden und anderen bewaffneten Bürgern ziehen in die k. k. Hofburg.<lb/> Das Militär welches die Zugänge beſetzt hält, öffnet ihnen die Reihen<lb/> um ſie paſſiren zu laſſen. Das Volk jubelt ihnen entgegen. 12 <hi rendition="#g">Uhr.</hi><lb/> Von allen Seiten ſchmücken ſich die Studenten mit weißen Bändern und<lb/> überall wo ſie vorbeiziehen wirft man ihnen aus den Fenſtern Bänder<lb/> und Schleifen zu. Der Enthuſiasmus iſt unbeſchreiblich. 1½ <hi rendition="#g">Uhr<lb/> Nachmittag.</hi> Aus dem Munde eines ſtändiſchen Deputirten erfuhr<lb/> ich ſoeben daß der Kaiſer die Errichtung einer Nationalgarde unter dem<lb/> Commando des ſtändiſchen Deputirten Grafen Hoyos (Vater) bewilligt<lb/> hat, daß der Erzherzog Albrecht als General- und Stadtcommandant<lb/> von Wien durch den Fürſten Windiſchgrätz erſetzt und daß der Oberſt-<lb/> landmarſchall Graf Montecuculi an die Stelle des Fürſten Metternich<lb/> treten ſoll. Andere bezeichnen den wenig beliebten Grafen Fiquelmont,<lb/> wieder andere den Grafen Colloredo als den Nachfolger für das Mini-<lb/> ſterium des Auswärtigen. Der ſreiſinnige Vicekanzler Baron Pillers-<lb/> dorf wird als Nachfolger des Grafen Sedlnitzky und Hr. v. Arthaber,<lb/> ein allgemein geachteter Bürger und Kaufmann, an die Stelle des Bür-<lb/> germeiſters Czapka, gegen welchen ſich in der letzten Zeit die öffentliche<lb/> Meinung beſonders ſtark ausſprach, genannt. 3 <hi rendition="#g">Uhr Nachmittags.</hi><lb/> Es heißt daß auch die Bewilligung der Preßfreiheit und noch andere<lb/> Conceſſionen im Zuge ſind. Soeben|durchziehen die bewaffneten Studenten<lb/> mit Fahnen auf welchen „Preßfreiheit“ zu leſen iſt die Straßen unter<lb/> dem jubelnden Zuruf der ſie begleitenden Bevölkerung. Jn den Vor-<lb/> ſtädten ſoll es noch immer heiß hergehen. Der Pöbel zündet und plün-<lb/> dert. Leider muß die bewaffnete Macht hier energiſcher eintreten und<lb/> es ſoll bereits viel Blut gefloſſen ſeyn. An der Taborlinie wie an<lb/> der Favoritenlinie und Mariahilferlinie wurden die Zollhäuſer zer-<lb/> ſtört, mehrere Fabrikgebäude theils eingeäſchert, theils geplün-<lb/> dert. Aus der Umgegend Wiens ſollen mehrere Regimenter eiligſt herbei-<lb/> gezogen werden und zum Theil auch ſchon im Anzuge ſeyn. An den Bahn-<lb/> höfen der Nord- und Südbahn ſoll Geſchütz aufgeſtellt ſeyn um einen et-<lb/> waigen gewaltſamen Verſuch die Comunication abzuſchneiden zu verhin-<lb/> dern. <hi rendition="#g">Halb 4 Uhr.</hi> So eben wird eine gedruckte Kundmachung zur<lb/> Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe und der Qrdnung auf den Stra-<lb/> ßen verleſen. Das Volk benimmt ſich im Innern der Stadt ruhig, allein<lb/> die Ruhe ſcheint doch noch nicht hergeſtellt. Von der Straße tönt der<lb/> Ruf nach Preßfreiheit herauf — die Studenten ziehen unter dem Wir-<lb/> beln der Trommeln und den Vivats der Bevölkerung von einem Punkte<lb/> der Stadt zum andern, überall zur Ruhe mahnend. <hi rendition="#g">Vier Uhr.</hi> Der<lb/> Erzherzog Albrecht hat die Stadt verlaſſen. Man bezeichnet ihn als die<lb/> erſte unglückſelige Veranlaſſung zum geſtrigen Feuern auf das Volk da<lb/> er unvermuthet ins Gedränge kam, und, wie man ſagt, den Befehl zum<lb/> Schießen gab. Aber vorzüglich groß iſt die Erbitterung gegen jene<lb/> Polizeiſoldaten welche geſtern Abends aus den Fenſtern der Polizeidirec-<lb/> tion auf das Volk ſchoſſen, wobei drei Perſonen getödtet und einige<lb/> verwundet wurden. So eben erſchallt es jubelnd von der Straße herauf<lb/> daß der Kaiſer auch Preßfreiheit bewilligt habe. Ich kann Ihnen das<lb/> Nähere darüber für heute nicht mehr mittheilen da der Abgang der<lb/> Poſt drängt. Jedenfalls werden dadurch die Wünſche eines treuen bie-<lb/> deren Volkes erfüllt, und es iſt nicht zu zweifeln daß nunmehr die Ruhe<lb/> nicht weiter geſtört werden wird. Eine Volksmenge von etwa 20,000<lb/> Menſchen, die Bürgergarden, die bewaffneten Studenten jubeln in die-<lb/> ſem Augenblick auf dem Platze vor der Hofburg. So feiert denn die<lb/> Bevölkerung Wiens einen Sieg, der es um ſo inniger an ſeinen ange-<lb/> ſtammten Herrſcher feſſelt. Die Stände, die Studenten und die wackern<lb/> Bürger Wiens haben ein großes Werk vollbracht.</p> </div> </div> </div><lb/> <div type="jFinancialNews" n="2"> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">§ Paris,</hi> 12 März.</dateline><lb/> <p>Die officielle Darlegung des Zuſtandes der<lb/> Finanzen und die Maßregeln welche darauf begründet ſind, haben nicht<lb/> zur Wiederherſtellung des Vertrauens geführt, obgleich der Miniſter<lb/> nichts gethan hat als was in der Natur der Sache lag. Das Unterbre-<lb/> chen des Tilgungsfonds war unvermeidlich, und es war nichts als ein<lb/> finanzieller Hocuspocus daß die letzte Regierung ihn beibehielt, während<lb/> ſie alle Jahre neue Schulden machte; das engliſche Syſtem nur abzulö-<lb/> ſen wenn das finanzielle Jahr einen Ueberſchuß läßt iſt einfacher, ehr-<lb/> licher und wohlfeiler, daher hat auch die Unterbrechung hier kein Be-<lb/> dauern erregt, um ſo mehr als die Nothwendigkeit der Maßregel voll-<lb/> kommen begründer war, wenn man nicht alle öffentlichen Arbeiten ein-<lb/> ſtellen wollte. Die Schwierigkeiten die man der Bezahlung der Summen<lb/><cb/> in den Sparcaſſen entgegenſetzt, ſind eine viel bedauernswerthere Maß-<lb/> regel, indem ſie nothwendig jede Einzahlung künftig hindern werden;<lb/> allein das wußte jedermann daß bei einem paniſchen Schrecken wie<lb/> gegenwärtig, dem Staat, wie auch ſeine Verfaſſung ſeyn mochte, im-<lb/> mer unmöglich ſeyn mußte, plötzlich 3 bis 400 Mill. Fr. zu bezahlen.<lb/> Es liegt in der Natur der Sache daß er dieſes Geld nicht daliegen laſſen<lb/> durfte wenn er Zinſen daraus bezahlen ſollte, und daß er auf einmal,<lb/> beſonders in der Mitte einer ſolchen Erſchütterung aller Verhältniſſe,<lb/> die Capitalien, auf welche Art er ſie auch angelegt oder verwendet haben<lb/> mochte, nicht plötzlich realiſiren konnte. Wie groß die Unruhe hier iſt<lb/> kann man leicht daraus abnehmen daß 1000 Fr. Gold noch heute<lb/> 65 Fr. Agio bezahlten, während gewöhnlich das Gold auf 9 bis 11 Fr.<lb/> ſteht. Dieß kommt einzig von dem paniſchen Schrecken her welcher ver-<lb/> urſacht daß viele um jeden Preis Gold haben wollen, um auf äußerſte<lb/> Fälle bereit zu ſeyn, nicht weil man die Guillotine und den Terrorismus<lb/> der erſten Republik fürchtet, zu denen die Zeiten nicht mehr find, ſondern<lb/> weil man vor dem ganz Unbekannten ſteht. Aber dieſe Furcht bringt<lb/> durch ihre eigenen Wirkungen hervor was ohne ſie nicht exiſtiren würde,<lb/> und was ihr Grund ſchien iſt eigentlich ihre Folge. Sie lähmt alles,<lb/> und hat die Suspenſion von Gouin, Laffitte, Baudon und andern Dis-<lb/> contirhäuſern hervorgebracht, welche ihrerſeits den ganzen Handel und die<lb/> Fabrication von Paris plötzlich unmöglich macht, und die Finanzſchwie-<lb/> rigkeiten der Regierung aufs äußerſte vermehrt. Man ſagt, der Plan<lb/> des Finanzminiſters ſey die Beſoldungen temporär herabzuſetzen, wie im<lb/> Jahr 1816 in Form einer Kriegsſteuer geſchehen iſt. Dieſem wird ſich<lb/> jedermann ohne Schwierigkeit unterwerfen, aber die Maßregel kann<lb/> nicht definitiv ſeyn, indem die Stellen hier im allgemeinen eher zu ſchlecht<lb/> bezahlt ſind als zu gut, und dieß hat der Finanzminiſter ſelbſt anerkannt,<lb/> indem er erklärt daß die Republik wenigere aber verhältnißmäßig be-<lb/> zahlte Beamte wolle. Es war der große Fehler der letzten Regierung<lb/> daß ſie die Zahl der Stellen ins unendliche vermehrte, und auf dieſe Art<lb/> jährlich den Ueberſchuß der Steuern verſplitterte, den ſie zu Herabſetzung<lb/> drückender Laſten hätte verwenden ſollen. Man will die Unterpräfec-<lb/> turen abſchaffen, und die Zahl der Schreiber aller Claſſen in den Bureaux<lb/> aller Miniſterien beträchtlich vermindern; aber es gibt doch nur zwei<lb/> Maßregeln welche eine ſehr beträchtliche Erſparniß im Budget geben<lb/> könnten: die Verminderung der Armee und die Ausbreitung municipa-<lb/> ler Jnſtitutionen. Die erſte könnte ohne Schwierigkeit geſchehen, indem<lb/> niemand daran denken kann Frankreich anzugreifen, und die zweite iſt<lb/> durchaus nothwendig wenn die Republik dauern ſoll, indem ſie offenbar<lb/> nicht auf einer adminiſtrativen Centraliſation beruhen kann, wie ſie das<lb/> Kaiſerthum eingeführt und die zwei königlichen Dynaſtien ſeitdem bei-<lb/> behalten und ausgedehnt haben. Aber bis jetzt ſieht man kein Zeichen<lb/> das darauf hindeutet daß man an das eine oder das andere denkt, ob-<lb/> gleich es jetzt, wo die politiſchen Schwierigkeiten noch nicht begonnen<lb/> haben, leicht und vortheilhaft geweſen wäre beides wenigſtens im Prin-<lb/> cip anzukündigen und die Ausführung vorzubereiten. Wird von der Na-<lb/> tionalverſammlung ein ordnender Geiſt ausfließen der im Stande wäre<lb/> den unklaren Jdeen der Nation eine Richtung zu geben? Denn es muß<lb/> viel, ſchnell und mit einer ſichern Hand geſchehen.</p> </div> </div> </div><lb/> <div type="jVarious" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>═ <hi rendition="#b">Paris,</hi> 13 März.</dateline><lb/> <p>Die Nachrichten aus Lyon beſſern ſich<lb/> einſtweilen hat die Regierung einen ihrer bewährteſten Anhänger, Tré-<lb/> lat, Arzt an dem Hoſpital La Salpétriére, dahin geſchickt. Der Miniſter<lb/> des Innern, Ledru-Rollin, läßt für alle Gemeinden der Republik eine<lb/> Zeitung drucken die in Form eines Maueranſchlags erſcheint und in gro-<lb/> ßer Zahl unentgeltlich vertheilt wird. Heute wird die erſte Nummer<lb/> verſandt, die einen kurzen Rückblick auf die Regierung Ludwig Philipps<lb/> und eine Belehrung über das Weſen der Republik enthält. Unter der<lb/> Caricaturen begegneten wir heute auf dem Kai einer die den Schlußvers<lb/> des ſchönen Gedichts von Béranger „Noſtradamus“ verſinnlicht. Noſtra-<lb/> damus, ein ſchlechter Rechen meiſter wie ſich jetzt zeigt, verkündigt daß<lb/> im Jahr 2000 der letzte König von Frankreich um öffentliche Almoſer<lb/> flehen, und die Republik ihn, wenn er ſich gut aufführt, zum Maire von<lb/> St. Cloud ernennen wird. Auf der Caricatur, von der ich ſpreche, ſitz<lb/> Ludwig Philipp mit ziemlich langen Ohren, den Hut zwiſchen den Knier<lb/> haltend, und unten liest man: <hi rendition="#aq">Faites l’aumône au dernier de vos<lb/> rois!</hi> Damit die Anwendung und der Sinn des Bildes vollſtändig ſeyen<lb/> ſteht Guizot, auf einer Geige ſpielend, neben dem <hi rendition="#g">blinden</hi> König und<lb/> dieſer ruht auf einem Haufen gefüllter Geldſäcke.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>= <hi rendition="#b">Paris,</hi> 14 März.</dateline><lb/> <p>Die Unterhandlungen der proviſoriſcher<lb/> Regierung mit dem General Lamoricière um denſelben für die Ueber-<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
ſämmtliche Poſten von der Bürgergarde und den Studenten beſetzt
werden ſollen. 11 Uhr. Die bewaffneten Studenten mit den Bürger-
garden und anderen bewaffneten Bürgern ziehen in die k. k. Hofburg.
Das Militär welches die Zugänge beſetzt hält, öffnet ihnen die Reihen
um ſie paſſiren zu laſſen. Das Volk jubelt ihnen entgegen. 12 Uhr.
Von allen Seiten ſchmücken ſich die Studenten mit weißen Bändern und
überall wo ſie vorbeiziehen wirft man ihnen aus den Fenſtern Bänder
und Schleifen zu. Der Enthuſiasmus iſt unbeſchreiblich. 1½ Uhr
Nachmittag. Aus dem Munde eines ſtändiſchen Deputirten erfuhr
ich ſoeben daß der Kaiſer die Errichtung einer Nationalgarde unter dem
Commando des ſtändiſchen Deputirten Grafen Hoyos (Vater) bewilligt
hat, daß der Erzherzog Albrecht als General- und Stadtcommandant
von Wien durch den Fürſten Windiſchgrätz erſetzt und daß der Oberſt-
landmarſchall Graf Montecuculi an die Stelle des Fürſten Metternich
treten ſoll. Andere bezeichnen den wenig beliebten Grafen Fiquelmont,
wieder andere den Grafen Colloredo als den Nachfolger für das Mini-
ſterium des Auswärtigen. Der ſreiſinnige Vicekanzler Baron Pillers-
dorf wird als Nachfolger des Grafen Sedlnitzky und Hr. v. Arthaber,
ein allgemein geachteter Bürger und Kaufmann, an die Stelle des Bür-
germeiſters Czapka, gegen welchen ſich in der letzten Zeit die öffentliche
Meinung beſonders ſtark ausſprach, genannt. 3 Uhr Nachmittags.
Es heißt daß auch die Bewilligung der Preßfreiheit und noch andere
Conceſſionen im Zuge ſind. Soeben|durchziehen die bewaffneten Studenten
mit Fahnen auf welchen „Preßfreiheit“ zu leſen iſt die Straßen unter
dem jubelnden Zuruf der ſie begleitenden Bevölkerung. Jn den Vor-
ſtädten ſoll es noch immer heiß hergehen. Der Pöbel zündet und plün-
dert. Leider muß die bewaffnete Macht hier energiſcher eintreten und
es ſoll bereits viel Blut gefloſſen ſeyn. An der Taborlinie wie an
der Favoritenlinie und Mariahilferlinie wurden die Zollhäuſer zer-
ſtört, mehrere Fabrikgebäude theils eingeäſchert, theils geplün-
dert. Aus der Umgegend Wiens ſollen mehrere Regimenter eiligſt herbei-
gezogen werden und zum Theil auch ſchon im Anzuge ſeyn. An den Bahn-
höfen der Nord- und Südbahn ſoll Geſchütz aufgeſtellt ſeyn um einen et-
waigen gewaltſamen Verſuch die Comunication abzuſchneiden zu verhin-
dern. Halb 4 Uhr. So eben wird eine gedruckte Kundmachung zur
Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe und der Qrdnung auf den Stra-
ßen verleſen. Das Volk benimmt ſich im Innern der Stadt ruhig, allein
die Ruhe ſcheint doch noch nicht hergeſtellt. Von der Straße tönt der
Ruf nach Preßfreiheit herauf — die Studenten ziehen unter dem Wir-
beln der Trommeln und den Vivats der Bevölkerung von einem Punkte
der Stadt zum andern, überall zur Ruhe mahnend. Vier Uhr. Der
Erzherzog Albrecht hat die Stadt verlaſſen. Man bezeichnet ihn als die
erſte unglückſelige Veranlaſſung zum geſtrigen Feuern auf das Volk da
er unvermuthet ins Gedränge kam, und, wie man ſagt, den Befehl zum
Schießen gab. Aber vorzüglich groß iſt die Erbitterung gegen jene
Polizeiſoldaten welche geſtern Abends aus den Fenſtern der Polizeidirec-
tion auf das Volk ſchoſſen, wobei drei Perſonen getödtet und einige
verwundet wurden. So eben erſchallt es jubelnd von der Straße herauf
daß der Kaiſer auch Preßfreiheit bewilligt habe. Ich kann Ihnen das
Nähere darüber für heute nicht mehr mittheilen da der Abgang der
Poſt drängt. Jedenfalls werden dadurch die Wünſche eines treuen bie-
deren Volkes erfüllt, und es iſt nicht zu zweifeln daß nunmehr die Ruhe
nicht weiter geſtört werden wird. Eine Volksmenge von etwa 20,000
Menſchen, die Bürgergarden, die bewaffneten Studenten jubeln in die-
ſem Augenblick auf dem Platze vor der Hofburg. So feiert denn die
Bevölkerung Wiens einen Sieg, der es um ſo inniger an ſeinen ange-
ſtammten Herrſcher feſſelt. Die Stände, die Studenten und die wackern
Bürger Wiens haben ein großes Werk vollbracht.
Frankreich.
§ Paris, 12 März.
Die officielle Darlegung des Zuſtandes der
Finanzen und die Maßregeln welche darauf begründet ſind, haben nicht
zur Wiederherſtellung des Vertrauens geführt, obgleich der Miniſter
nichts gethan hat als was in der Natur der Sache lag. Das Unterbre-
chen des Tilgungsfonds war unvermeidlich, und es war nichts als ein
finanzieller Hocuspocus daß die letzte Regierung ihn beibehielt, während
ſie alle Jahre neue Schulden machte; das engliſche Syſtem nur abzulö-
ſen wenn das finanzielle Jahr einen Ueberſchuß läßt iſt einfacher, ehr-
licher und wohlfeiler, daher hat auch die Unterbrechung hier kein Be-
dauern erregt, um ſo mehr als die Nothwendigkeit der Maßregel voll-
kommen begründer war, wenn man nicht alle öffentlichen Arbeiten ein-
ſtellen wollte. Die Schwierigkeiten die man der Bezahlung der Summen
in den Sparcaſſen entgegenſetzt, ſind eine viel bedauernswerthere Maß-
regel, indem ſie nothwendig jede Einzahlung künftig hindern werden;
allein das wußte jedermann daß bei einem paniſchen Schrecken wie
gegenwärtig, dem Staat, wie auch ſeine Verfaſſung ſeyn mochte, im-
mer unmöglich ſeyn mußte, plötzlich 3 bis 400 Mill. Fr. zu bezahlen.
Es liegt in der Natur der Sache daß er dieſes Geld nicht daliegen laſſen
durfte wenn er Zinſen daraus bezahlen ſollte, und daß er auf einmal,
beſonders in der Mitte einer ſolchen Erſchütterung aller Verhältniſſe,
die Capitalien, auf welche Art er ſie auch angelegt oder verwendet haben
mochte, nicht plötzlich realiſiren konnte. Wie groß die Unruhe hier iſt
kann man leicht daraus abnehmen daß 1000 Fr. Gold noch heute
65 Fr. Agio bezahlten, während gewöhnlich das Gold auf 9 bis 11 Fr.
ſteht. Dieß kommt einzig von dem paniſchen Schrecken her welcher ver-
urſacht daß viele um jeden Preis Gold haben wollen, um auf äußerſte
Fälle bereit zu ſeyn, nicht weil man die Guillotine und den Terrorismus
der erſten Republik fürchtet, zu denen die Zeiten nicht mehr find, ſondern
weil man vor dem ganz Unbekannten ſteht. Aber dieſe Furcht bringt
durch ihre eigenen Wirkungen hervor was ohne ſie nicht exiſtiren würde,
und was ihr Grund ſchien iſt eigentlich ihre Folge. Sie lähmt alles,
und hat die Suspenſion von Gouin, Laffitte, Baudon und andern Dis-
contirhäuſern hervorgebracht, welche ihrerſeits den ganzen Handel und die
Fabrication von Paris plötzlich unmöglich macht, und die Finanzſchwie-
rigkeiten der Regierung aufs äußerſte vermehrt. Man ſagt, der Plan
des Finanzminiſters ſey die Beſoldungen temporär herabzuſetzen, wie im
Jahr 1816 in Form einer Kriegsſteuer geſchehen iſt. Dieſem wird ſich
jedermann ohne Schwierigkeit unterwerfen, aber die Maßregel kann
nicht definitiv ſeyn, indem die Stellen hier im allgemeinen eher zu ſchlecht
bezahlt ſind als zu gut, und dieß hat der Finanzminiſter ſelbſt anerkannt,
indem er erklärt daß die Republik wenigere aber verhältnißmäßig be-
zahlte Beamte wolle. Es war der große Fehler der letzten Regierung
daß ſie die Zahl der Stellen ins unendliche vermehrte, und auf dieſe Art
jährlich den Ueberſchuß der Steuern verſplitterte, den ſie zu Herabſetzung
drückender Laſten hätte verwenden ſollen. Man will die Unterpräfec-
turen abſchaffen, und die Zahl der Schreiber aller Claſſen in den Bureaux
aller Miniſterien beträchtlich vermindern; aber es gibt doch nur zwei
Maßregeln welche eine ſehr beträchtliche Erſparniß im Budget geben
könnten: die Verminderung der Armee und die Ausbreitung municipa-
ler Jnſtitutionen. Die erſte könnte ohne Schwierigkeit geſchehen, indem
niemand daran denken kann Frankreich anzugreifen, und die zweite iſt
durchaus nothwendig wenn die Republik dauern ſoll, indem ſie offenbar
nicht auf einer adminiſtrativen Centraliſation beruhen kann, wie ſie das
Kaiſerthum eingeführt und die zwei königlichen Dynaſtien ſeitdem bei-
behalten und ausgedehnt haben. Aber bis jetzt ſieht man kein Zeichen
das darauf hindeutet daß man an das eine oder das andere denkt, ob-
gleich es jetzt, wo die politiſchen Schwierigkeiten noch nicht begonnen
haben, leicht und vortheilhaft geweſen wäre beides wenigſtens im Prin-
cip anzukündigen und die Ausführung vorzubereiten. Wird von der Na-
tionalverſammlung ein ordnender Geiſt ausfließen der im Stande wäre
den unklaren Jdeen der Nation eine Richtung zu geben? Denn es muß
viel, ſchnell und mit einer ſichern Hand geſchehen.
═ Paris, 13 März.
Die Nachrichten aus Lyon beſſern ſich
einſtweilen hat die Regierung einen ihrer bewährteſten Anhänger, Tré-
lat, Arzt an dem Hoſpital La Salpétriére, dahin geſchickt. Der Miniſter
des Innern, Ledru-Rollin, läßt für alle Gemeinden der Republik eine
Zeitung drucken die in Form eines Maueranſchlags erſcheint und in gro-
ßer Zahl unentgeltlich vertheilt wird. Heute wird die erſte Nummer
verſandt, die einen kurzen Rückblick auf die Regierung Ludwig Philipps
und eine Belehrung über das Weſen der Republik enthält. Unter der
Caricaturen begegneten wir heute auf dem Kai einer die den Schlußvers
des ſchönen Gedichts von Béranger „Noſtradamus“ verſinnlicht. Noſtra-
damus, ein ſchlechter Rechen meiſter wie ſich jetzt zeigt, verkündigt daß
im Jahr 2000 der letzte König von Frankreich um öffentliche Almoſer
flehen, und die Republik ihn, wenn er ſich gut aufführt, zum Maire von
St. Cloud ernennen wird. Auf der Caricatur, von der ich ſpreche, ſitz
Ludwig Philipp mit ziemlich langen Ohren, den Hut zwiſchen den Knier
haltend, und unten liest man: Faites l’aumône au dernier de vos
rois! Damit die Anwendung und der Sinn des Bildes vollſtändig ſeyen
ſteht Guizot, auf einer Geige ſpielend, neben dem blinden König und
dieſer ruht auf einem Haufen gefüllter Geldſäcke.
= Paris, 14 März.
Die Unterhandlungen der proviſoriſcher
Regierung mit dem General Lamoricière um denſelben für die Ueber-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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