Allgemeine Zeitung, Nr. 80, 20. März 1848.[Spaltenumbruch]
auch in allen Einzelnheiten durchgängige Gleichheit in der Wahl der Daß bei der Bestellung des vorzugsweisen Organs der vollziehen- Indem wir für jetzt auf diese Bemerkungen über die zunächst vor- Die Erhebung von Wien. B Vom Lech.Frankreich eine Republik, Oldenburg ein con- Der Wiener Aufstand entsprang nicht aus Localverhältnissen Die Nationalvertretung im Bund. III. . . Mit dem Sturz des Fürsten v. Metternich ist das Deutschland [Spaltenumbruch]
auch in allen Einzelnheiten durchgängige Gleichheit in der Wahl der Daß bei der Beſtellung des vorzugsweiſen Organs der vollziehen- Indem wir für jetzt auf dieſe Bemerkungen über die zunächſt vor- Die Erhebung von Wien. B Vom Lech.Frankreich eine Republik, Oldenburg ein con- Der Wiener Aufſtand entſprang nicht aus Localverhältniſſen Die Nationalvertretung im Bund. III. . . Mit dem Sturz des Fürſten v. Metternich iſt das Deutſchland <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0010"/><cb/> auch in allen Einzelnheiten durchgängige Gleichheit in der Wahl der<lb/> Unterhausmitglieder. Auch bei der Zugrundlegung des Verhältniſſes<lb/> der Bevölkerung, die wir für das richtige halten, könnte es z. B. ange-<lb/> meſſen erſcheinen in größern Staaten auf ein Mehrfaches der in kleinern<lb/> Staaten angenommenen Bevölkerung ein Wahlcollegium zu bilden das<lb/> ſodann auch die mehrfache Zahl von Abgeordneten zu wählen hätte.</p><lb/> <p>Daß bei der Beſtellung des vorzugsweiſen Organs der vollziehen-<lb/> den Gewalt die Analogie der amerikaniſchen Bundesverfaſſung verlaſſen<lb/> werden muß, dieß leuchtet ebenſowohl ein als die Nothwendigkeit ein<lb/> ſolches Organ für einen Bundesſtaat zu beſtellen der in ſeine Regierung<lb/> zwei große berathende Körper aufnehmen ſoll, und der daher doppelte<lb/> Urſache hat die Umſtändlichkeit und Vielſeitigkeit der Berathung durch<lb/> die Concentration und Raſchheit der Vollziehung auszugleichen. Doch<lb/> wird auch hier noch die Frage eine Erörterung verdienen, ob das eben-<lb/> ſowohl in unſerer eigenen Geſchichte als in der Verfaſſung von Nord-<lb/> amerika begründete Princip der Wahl ganz verlaſſen, ob nicht etwa,<lb/> wenn es als gerathen erſchiene, eine Wahl zwiſchen den zwei deutſchen<lb/> Großmächten dadurch zu umgehen daß die Vollziehungsgewalt einem<lb/> aus dieſen beiden und einer dritten Macht zuſammengeſetzten, nach<lb/> Stimmenmehrheit ſich entſcheidenden Collegium übertragen würde,<lb/> wenigſtens die Beſtimmung dieſer dritten Macht einer periodiſch zu er-<lb/> neuernden Wahl, auf welche beiden Häuſern ein gleicher Einfluß zuzuge-<lb/> ſtehen wäre, vorbehalten werden könnte.</p><lb/> <p>Indem wir für jetzt auf dieſe Bemerkungen über die zunächſt vor-<lb/> liegenden Fragen uns beſchränken, behalten wir den weitern reichlichen<lb/> Stoff, welchen die Analogie der amerikaniſchen Verfaſſung darbietet,<lb/> ſpätern Erörterungen vor.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Die Erhebung von Wien.</hi> </head><lb/> <dateline> <hi rendition="#aq">B</hi> <hi rendition="#b">Vom Lech.</hi> </dateline><lb/> <p>Frankreich eine Republik, Oldenburg ein con-<lb/> ſtitutioneller Staat, Welcker Bundestagsgeſandter, Römer Miniſter, in<lb/> Wien Volksaufſtand, Metternich abgedankt, in der Kaiſerſtadt Wien Preß-<lb/> freiheit und Nationalgarde — die Wunder fallen vom politiſchen Himmel<lb/> ſo dicht und zahlreich wie vom natürlichen die Sternſchnuppen in einer<lb/> kalten Novembernacht. Metternichs Fall beweist daß ſein Syſtem<lb/> ungenügender war als ſeine Vertheidiger oder Ankläger es ahnten,<lb/> und daß die Oeſterreicher politiſch weiter ſind als irgend jemand<lb/> es wußte. Das iſt indeß mehr die wiſſenſchaftliche Seite der<lb/> Begebenheit: ihre politiſche liegt in der Zukunft, in den Folgen die ſie<lb/> haben wird, beſonders für die freiheitliche und die vaterländiſche Sache<lb/> in Deutſchland. Darüber ſchon jetzt ein umfaſſendes und unumſtößliches<lb/> Urtheil haben zu wollen, wäre ein Vorurtheil im ſchlimmſten Sinne des<lb/> Worts; aber gedankenlos ein ſolches Ereigniß in ſich aufnehmen, iſt<lb/> geradezu unmöglich.</p><lb/> <p>Der Wiener Aufſtand entſprang nicht aus Localverhältniſſen<lb/> und war nicht bloß gegen eine Perſon gerichtet, es gingen ihm<lb/> Adreſſen vorher, die auf Preßfreiheit und Reformen weiteſter Art an-<lb/> trugen. Darum iſt das bisherige politiſche Syſtem des Landes in<lb/> ſeinem Grundpfeiler geſtürzt, und in die Politik des Staats eine neue<lb/> Macht eingeführt: das Volk Oeſterreichs. Da dieſes, bis jetzt eine faſt<lb/> unberechenbare Größe, wie es ſich auch für die Zukunft im Einzelnen beneh-<lb/> men möge, im Ganzen thatkräftig auf Seite der Reformbewegung ſteht, ſo<lb/> muß letztere nun wie eine Springfluth die von ihr noch unerreichten<lb/> Theile unſeres Vaterlandes überſchäumen. Preußen muß ein conſti-<lb/> tutioneller Staat werden, in Hannover die Charte eine Wahrheit, in<lb/> Sachſen iſt die militäriſche Umzingelung Leipzigs nur noch ein gemalter<lb/> Schrecken. Die Reaction, welche noch vor wenigen Tagen wie eine<lb/> dunkle Woge ſich gefahrbringend gegen das ſüdweſtliche Deutſchland<lb/> heranzuwälzen drohte, iſt für letzteres, das wollen wir zu Gott hoffen,<lb/> jetzt nur noch ein lächerlicher Begriff. Für die Fürſten der Reform-<lb/> ſtaaten iſt dieſer Umſtand eine Wohlthat, die, wenn ſie nicht leichtſinnig<lb/> die Gunſt des Glücks verſcherzen, zu großem Heil für ſie ausſchlagen<lb/> kann, denn dem Argwohn der Unterthanen gegen ſie iſt ein mächtiger<lb/> Stachel genommen, für die Reformminiſter iſt die Vernichtung der Reac-<lb/> tion eine der größten Erleichterungen, für die Völker der Reformſtaaten<lb/> iſt ſie eine Probe ihrer politiſchen Reife. Ihren Ueberzeugungen, ihren<lb/> etwaigen Gelüſten iſt der Zügel der Furcht abgenommen; nur von ihnen<lb/> hängt es ab, ob die gegenwärtige Bewegung auf der ſchmalen ſichern<lb/> Linie der Reform dahergehen oder in die breiten gefahrvollen Felder der<lb/> Revolution hinausſchweifen ſoll. Zum Segen für ſie wird der Um-<lb/><cb/> ſchwung der Dinge in der fröhlichen Kaiſerſtadt nur wenn ſie ſtark ge-<lb/> nug ſind das Glück zu tragen. Bauen wir auf die innere Kraft, das<lb/> innere Maß unſerer Völker: ſie haben ſich während der letzten Tage<lb/> in ſchwierigen Kriſen auf merkwürdige Weiſe bewährt, und werden un s<lb/> darum wohl auch jetzt nicht verlaſſen, wo alle ſechs Augen des Würfels<lb/> obenauf für uns liegen. Durch unſere ganze bisherige Geſchichte zieht<lb/> ſich wie ein dunkles Verhängniß daß nie eine politiſche, religiöſe oder<lb/> litterariſche Umwälzung alle Theile des Vaterlandes gleichzeitig erfaßte,<lb/> und daß daher der politiſche, religiöſe oder litterariſche Fortſchritt irgend-<lb/> eines unſerer Stämmeregelmäßig zwiſchen ihm und den übrigen den geiſti-<lb/> gen Zwiſchenraum erweiterte, das Gefühl der gemeinſamen Nationalität<lb/> lockerte. Das Gleiche drohte auch dießmal einzutreten. Während ſich bereits<lb/> in der zweiten Woche des März zeigte daß die Conſtituirung eines einigen<lb/> Deutſchlands binnen längſtens zwei Monaten geſchehen ſeyn müſſe, wenn<lb/> ſie überhaupt zu Stande kommen ſolle, griff die Reformbewegung in<lb/> Norddeutſchland nur zögernd, unſicher um ſich, ſchien ſie in Oeſterreich<lb/> auf Jahrzehnte vertagt bleiben zu müſſen. Diejenigen unter uns welche<lb/> überzeugt waren daß uns in Deutſchland Einheit zu allen Dingen min-<lb/> deſtens ebenſo nöthig ſey als Freiheit, fürchteten die nationale Einheits-<lb/> bewegung werde an dem ungleichmäßigen Fortſchreiten der Reform<lb/> ſcheitern; die Maſſe des Volks war entſchieden gegen Oeſterreich und<lb/> Preußen geſtimmt, ſo lange nicht beide Staaten im neuen Geleiſe daher-<lb/> fuhren. Bei der Nachricht daß Oeſterreicher als Beſatzung nach Ulm<lb/> kommen würden, ging durch Süddeutſchland eine Aufregung als rückten<lb/> Franzoſen oder Ruſſen ins Land. Das deutſche Parlament, nur mög-<lb/> lich bei gleicher politiſcher Conſtituirung unſerer Einzelſtaaten, und die<lb/> Grundlage, der Kitt unſeres Vaterlandes, ſchien nicht ohne Ausſchlie-<lb/> ßung Oeſterreichs zu Stande kommen zu dürfen. Alles das iſt jetzt —<lb/> anders geworden: das wäre vielleicht zu ſanguiniſch — aber man ſteht:<lb/> es kann, es wird ohne Zweifel anders werden. Unſere deutſchen Stämme<lb/> werden wahrſcheinlich binnen kurzem auf politiſch nicht allzuſehr ver-<lb/> ſchiedenen Grundlagen conſtituirt ſeyn, Oeſterreich wird das deutſche<lb/> Parlament beſchicken können. Freudig dürfen wir alsdann ſingen: das<lb/><hi rendition="#g">ganze</hi> Deutſchland nenne dein, wir haben die Einheit, die Bedingung<lb/> unſerer innern Freiheit, das Fußgeſtell unſerer Bedeutung nach außen<lb/> gerettet, eine unabſehbare Zukunft liegt vor uns; dem Weltfrieden iſt<lb/> durch die einfache Thatſache unſerer Einheit eine nicht unbedeutende Ga-<lb/> rantie gegeben, und die Ausſicht hierauf möge uns jetzt tröſten wo wir<lb/> noch ängſtlich und ungewiß fragen: wird der Aufſtand in Wien der<lb/> einzige in der Monarchie bleiben? Werden die italieniſchen, böhmiſchen<lb/> und ungariſchen Fragen ſich auf eine für uns Deutſche befriedigende<lb/> Art löſen? Wir hoffen es, denn wir ſehen die Söhne aller Nationen<lb/> des Kaiſerſtaats in Wien ſich brüderlich die Hände bieten.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Die Nationalvertretung im Bund.</hi><lb/> <hi rendition="#aq">III.</hi> </head><lb/> <p>. . Mit dem Sturz des Fürſten v. Metternich iſt das Deutſchland<lb/> des Wiener Congreſſes in einem ſeiner Schöpfer und ſeiner mächtigſten<lb/> Stützen zuſammengebrochen. Er iſt gefallen, wie Guizot vor einem<lb/> Straßenkampf, vor dem Widerſpruch mit ſeiner Zeit, ein Doctrinär<lb/> noch hartnäckiger und gläubiger als der franzöſiſche Staatsmann. Sein<lb/> Fall war nicht ſo plötzlich, aber er iſt noch tiefer, welthiſtoriſcher, denn<lb/> er reißt die ganze ariſtokratiſche Diplomatie, die Dictatur der Fürſten-<lb/> congreſſe und Conferenzen mit ſich. Der ſtolze Staatskanzler, der ſich<lb/> einſt rühmen konnte der Sieger über den Sieger der Revolution zu ſeyn,<lb/> der ein Menſchenalter über ein großes Reich geherrſcht, Deutſchland und<lb/> Italien an ſeine Verträge gekettet, der Vertraute der alten Höfe und<lb/> der Rathgeber junger Dynaſtien, er iſt dem Irrthum unterlegen daß er<lb/> die Cabinette für die Völker und die Beredſamkeit der Depeſchen für die<lb/> öffentliche Meinung, wie Guizot die ihm ergebene Kammer für Frank-<lb/> reich nahm. Seit Wochen ſchon ging durch die engliſche und die fran-<lb/> zöſiſche Preſſe die Sage der Fürſt v. Metternich habe abgedankt. Dort<lb/> wo es Regel iſt daß Miniſter deren Politik unglücklich ausſchlägt ihr<lb/> Portefeuille niederlegen, hatte man keinen Begriff davon wie ſich der,<lb/> wenn auch noch ſo geſchickte und geiſtreiche Repräſentant eines Syſtems,<lb/> das ſeit den galiziſchen Geſchichten in Italien, in der Schweiz, im eige-<lb/> nen Lande, beſonders Ungarn, in immer unauflöslichere, gefährlichere,<lb/> koſtſpieligere Verwicklungen gerathen war, dennoch am Ruder behaup-<lb/> ten konnte. Furchtbare Nemeſis! Dieſer mächtige Wille, der ſich ver-<lb/> meſſen dem Jahrhundert ſein Veto zuzurufen, ſollte die Gewalt noch in<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
auch in allen Einzelnheiten durchgängige Gleichheit in der Wahl der
Unterhausmitglieder. Auch bei der Zugrundlegung des Verhältniſſes
der Bevölkerung, die wir für das richtige halten, könnte es z. B. ange-
meſſen erſcheinen in größern Staaten auf ein Mehrfaches der in kleinern
Staaten angenommenen Bevölkerung ein Wahlcollegium zu bilden das
ſodann auch die mehrfache Zahl von Abgeordneten zu wählen hätte.
Daß bei der Beſtellung des vorzugsweiſen Organs der vollziehen-
den Gewalt die Analogie der amerikaniſchen Bundesverfaſſung verlaſſen
werden muß, dieß leuchtet ebenſowohl ein als die Nothwendigkeit ein
ſolches Organ für einen Bundesſtaat zu beſtellen der in ſeine Regierung
zwei große berathende Körper aufnehmen ſoll, und der daher doppelte
Urſache hat die Umſtändlichkeit und Vielſeitigkeit der Berathung durch
die Concentration und Raſchheit der Vollziehung auszugleichen. Doch
wird auch hier noch die Frage eine Erörterung verdienen, ob das eben-
ſowohl in unſerer eigenen Geſchichte als in der Verfaſſung von Nord-
amerika begründete Princip der Wahl ganz verlaſſen, ob nicht etwa,
wenn es als gerathen erſchiene, eine Wahl zwiſchen den zwei deutſchen
Großmächten dadurch zu umgehen daß die Vollziehungsgewalt einem
aus dieſen beiden und einer dritten Macht zuſammengeſetzten, nach
Stimmenmehrheit ſich entſcheidenden Collegium übertragen würde,
wenigſtens die Beſtimmung dieſer dritten Macht einer periodiſch zu er-
neuernden Wahl, auf welche beiden Häuſern ein gleicher Einfluß zuzuge-
ſtehen wäre, vorbehalten werden könnte.
Indem wir für jetzt auf dieſe Bemerkungen über die zunächſt vor-
liegenden Fragen uns beſchränken, behalten wir den weitern reichlichen
Stoff, welchen die Analogie der amerikaniſchen Verfaſſung darbietet,
ſpätern Erörterungen vor.
Die Erhebung von Wien.
B Vom Lech.
Frankreich eine Republik, Oldenburg ein con-
ſtitutioneller Staat, Welcker Bundestagsgeſandter, Römer Miniſter, in
Wien Volksaufſtand, Metternich abgedankt, in der Kaiſerſtadt Wien Preß-
freiheit und Nationalgarde — die Wunder fallen vom politiſchen Himmel
ſo dicht und zahlreich wie vom natürlichen die Sternſchnuppen in einer
kalten Novembernacht. Metternichs Fall beweist daß ſein Syſtem
ungenügender war als ſeine Vertheidiger oder Ankläger es ahnten,
und daß die Oeſterreicher politiſch weiter ſind als irgend jemand
es wußte. Das iſt indeß mehr die wiſſenſchaftliche Seite der
Begebenheit: ihre politiſche liegt in der Zukunft, in den Folgen die ſie
haben wird, beſonders für die freiheitliche und die vaterländiſche Sache
in Deutſchland. Darüber ſchon jetzt ein umfaſſendes und unumſtößliches
Urtheil haben zu wollen, wäre ein Vorurtheil im ſchlimmſten Sinne des
Worts; aber gedankenlos ein ſolches Ereigniß in ſich aufnehmen, iſt
geradezu unmöglich.
Der Wiener Aufſtand entſprang nicht aus Localverhältniſſen
und war nicht bloß gegen eine Perſon gerichtet, es gingen ihm
Adreſſen vorher, die auf Preßfreiheit und Reformen weiteſter Art an-
trugen. Darum iſt das bisherige politiſche Syſtem des Landes in
ſeinem Grundpfeiler geſtürzt, und in die Politik des Staats eine neue
Macht eingeführt: das Volk Oeſterreichs. Da dieſes, bis jetzt eine faſt
unberechenbare Größe, wie es ſich auch für die Zukunft im Einzelnen beneh-
men möge, im Ganzen thatkräftig auf Seite der Reformbewegung ſteht, ſo
muß letztere nun wie eine Springfluth die von ihr noch unerreichten
Theile unſeres Vaterlandes überſchäumen. Preußen muß ein conſti-
tutioneller Staat werden, in Hannover die Charte eine Wahrheit, in
Sachſen iſt die militäriſche Umzingelung Leipzigs nur noch ein gemalter
Schrecken. Die Reaction, welche noch vor wenigen Tagen wie eine
dunkle Woge ſich gefahrbringend gegen das ſüdweſtliche Deutſchland
heranzuwälzen drohte, iſt für letzteres, das wollen wir zu Gott hoffen,
jetzt nur noch ein lächerlicher Begriff. Für die Fürſten der Reform-
ſtaaten iſt dieſer Umſtand eine Wohlthat, die, wenn ſie nicht leichtſinnig
die Gunſt des Glücks verſcherzen, zu großem Heil für ſie ausſchlagen
kann, denn dem Argwohn der Unterthanen gegen ſie iſt ein mächtiger
Stachel genommen, für die Reformminiſter iſt die Vernichtung der Reac-
tion eine der größten Erleichterungen, für die Völker der Reformſtaaten
iſt ſie eine Probe ihrer politiſchen Reife. Ihren Ueberzeugungen, ihren
etwaigen Gelüſten iſt der Zügel der Furcht abgenommen; nur von ihnen
hängt es ab, ob die gegenwärtige Bewegung auf der ſchmalen ſichern
Linie der Reform dahergehen oder in die breiten gefahrvollen Felder der
Revolution hinausſchweifen ſoll. Zum Segen für ſie wird der Um-
ſchwung der Dinge in der fröhlichen Kaiſerſtadt nur wenn ſie ſtark ge-
nug ſind das Glück zu tragen. Bauen wir auf die innere Kraft, das
innere Maß unſerer Völker: ſie haben ſich während der letzten Tage
in ſchwierigen Kriſen auf merkwürdige Weiſe bewährt, und werden un s
darum wohl auch jetzt nicht verlaſſen, wo alle ſechs Augen des Würfels
obenauf für uns liegen. Durch unſere ganze bisherige Geſchichte zieht
ſich wie ein dunkles Verhängniß daß nie eine politiſche, religiöſe oder
litterariſche Umwälzung alle Theile des Vaterlandes gleichzeitig erfaßte,
und daß daher der politiſche, religiöſe oder litterariſche Fortſchritt irgend-
eines unſerer Stämmeregelmäßig zwiſchen ihm und den übrigen den geiſti-
gen Zwiſchenraum erweiterte, das Gefühl der gemeinſamen Nationalität
lockerte. Das Gleiche drohte auch dießmal einzutreten. Während ſich bereits
in der zweiten Woche des März zeigte daß die Conſtituirung eines einigen
Deutſchlands binnen längſtens zwei Monaten geſchehen ſeyn müſſe, wenn
ſie überhaupt zu Stande kommen ſolle, griff die Reformbewegung in
Norddeutſchland nur zögernd, unſicher um ſich, ſchien ſie in Oeſterreich
auf Jahrzehnte vertagt bleiben zu müſſen. Diejenigen unter uns welche
überzeugt waren daß uns in Deutſchland Einheit zu allen Dingen min-
deſtens ebenſo nöthig ſey als Freiheit, fürchteten die nationale Einheits-
bewegung werde an dem ungleichmäßigen Fortſchreiten der Reform
ſcheitern; die Maſſe des Volks war entſchieden gegen Oeſterreich und
Preußen geſtimmt, ſo lange nicht beide Staaten im neuen Geleiſe daher-
fuhren. Bei der Nachricht daß Oeſterreicher als Beſatzung nach Ulm
kommen würden, ging durch Süddeutſchland eine Aufregung als rückten
Franzoſen oder Ruſſen ins Land. Das deutſche Parlament, nur mög-
lich bei gleicher politiſcher Conſtituirung unſerer Einzelſtaaten, und die
Grundlage, der Kitt unſeres Vaterlandes, ſchien nicht ohne Ausſchlie-
ßung Oeſterreichs zu Stande kommen zu dürfen. Alles das iſt jetzt —
anders geworden: das wäre vielleicht zu ſanguiniſch — aber man ſteht:
es kann, es wird ohne Zweifel anders werden. Unſere deutſchen Stämme
werden wahrſcheinlich binnen kurzem auf politiſch nicht allzuſehr ver-
ſchiedenen Grundlagen conſtituirt ſeyn, Oeſterreich wird das deutſche
Parlament beſchicken können. Freudig dürfen wir alsdann ſingen: das
ganze Deutſchland nenne dein, wir haben die Einheit, die Bedingung
unſerer innern Freiheit, das Fußgeſtell unſerer Bedeutung nach außen
gerettet, eine unabſehbare Zukunft liegt vor uns; dem Weltfrieden iſt
durch die einfache Thatſache unſerer Einheit eine nicht unbedeutende Ga-
rantie gegeben, und die Ausſicht hierauf möge uns jetzt tröſten wo wir
noch ängſtlich und ungewiß fragen: wird der Aufſtand in Wien der
einzige in der Monarchie bleiben? Werden die italieniſchen, böhmiſchen
und ungariſchen Fragen ſich auf eine für uns Deutſche befriedigende
Art löſen? Wir hoffen es, denn wir ſehen die Söhne aller Nationen
des Kaiſerſtaats in Wien ſich brüderlich die Hände bieten.
Die Nationalvertretung im Bund.
III.
. . Mit dem Sturz des Fürſten v. Metternich iſt das Deutſchland
des Wiener Congreſſes in einem ſeiner Schöpfer und ſeiner mächtigſten
Stützen zuſammengebrochen. Er iſt gefallen, wie Guizot vor einem
Straßenkampf, vor dem Widerſpruch mit ſeiner Zeit, ein Doctrinär
noch hartnäckiger und gläubiger als der franzöſiſche Staatsmann. Sein
Fall war nicht ſo plötzlich, aber er iſt noch tiefer, welthiſtoriſcher, denn
er reißt die ganze ariſtokratiſche Diplomatie, die Dictatur der Fürſten-
congreſſe und Conferenzen mit ſich. Der ſtolze Staatskanzler, der ſich
einſt rühmen konnte der Sieger über den Sieger der Revolution zu ſeyn,
der ein Menſchenalter über ein großes Reich geherrſcht, Deutſchland und
Italien an ſeine Verträge gekettet, der Vertraute der alten Höfe und
der Rathgeber junger Dynaſtien, er iſt dem Irrthum unterlegen daß er
die Cabinette für die Völker und die Beredſamkeit der Depeſchen für die
öffentliche Meinung, wie Guizot die ihm ergebene Kammer für Frank-
reich nahm. Seit Wochen ſchon ging durch die engliſche und die fran-
zöſiſche Preſſe die Sage der Fürſt v. Metternich habe abgedankt. Dort
wo es Regel iſt daß Miniſter deren Politik unglücklich ausſchlägt ihr
Portefeuille niederlegen, hatte man keinen Begriff davon wie ſich der,
wenn auch noch ſo geſchickte und geiſtreiche Repräſentant eines Syſtems,
das ſeit den galiziſchen Geſchichten in Italien, in der Schweiz, im eige-
nen Lande, beſonders Ungarn, in immer unauflöslichere, gefährlichere,
koſtſpieligere Verwicklungen gerathen war, dennoch am Ruder behaup-
ten konnte. Furchtbare Nemeſis! Dieſer mächtige Wille, der ſich ver-
meſſen dem Jahrhundert ſein Veto zuzurufen, ſollte die Gewalt noch in
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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