Allgemeine Zeitung, Nr. 81, 21. März 1848.[Spaltenumbruch]
Opfer bringen zu sehen -- ist es zu viel verlangt daß auch von den Wenn der Fürstentag in Dresden zusammentritt um solche Ent- Die Constitution des österreichischen Kaiserstaats. = Wien, 16 März.Ein großes Weltereigniß hat stattge- Aus Paris. ^ Paris, 15 März. Die Commission der Arbeit hat eine [Spaltenumbruch]
Opfer bringen zu ſehen — iſt es zu viel verlangt daß auch von den Wenn der Fürſtentag in Dresden zuſammentritt um ſolche Ent- Die Conſtitution des öſterreichiſchen Kaiſerſtaats. = Wien, 16 März.Ein großes Weltereigniß hat ſtattge- Aus Paris. △ Paris, 15 März. Die Commiſſion der Arbeit hat eine <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0010"/><cb/> Opfer bringen zu ſehen — iſt es zu viel verlangt daß auch von den<lb/> Fürſten einmal dasſelbe geſchehe? Daß zweiunddreißig Fürſten unter<lb/> Einem deutſchen König oder Kaiſer fortan auf dem Reichstag in einer<lb/> Art Oberhaus ſitzen, Hand in Hand mit der Nation an dem Wieder-<lb/> aufbau Deutſchlands arbeiten?</p><lb/> <p>Wenn der Fürſtentag in Dresden zuſammentritt um ſolche Ent-<lb/> würfe auszuführen: dann Heil und Segen über ihn! Wenn er aber<lb/> vorhaben ſollte im entgegengeſetzten Sinne zu berathen und zu handeln,<lb/> ſo wird er das Vaterland in heilloſe Verwirrung ſtürzen, und was wird<lb/> er damit für ſich ſelbſt gewonnen haben?</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Die Conſtitution des öſterreichiſchen Kaiſerſtaats.</hi> </head><lb/> <dateline>= <hi rendition="#b">Wien</hi>, 16 März.</dateline><lb/> <p>Ein großes Weltereigniß hat ſtattge-<lb/> funden. Die alte abſolute Monarchie iſt nicht mehr; der Stein des<lb/> Anſtoßes für das conſtitutionelle Europa iſt hinweggeräumt, und<lb/> Oeſterreich iſt hinfort ein conſtitutioneller Staat. Möge die Conſtitu-<lb/> tion mit Weisheit aber mit vollſtändiger Beachtung aller der neuen<lb/> Regierungsform inwohnenden Bedingungen, mit Rückſicht was allge-<lb/> mein gültig, und was die Zuſammenſetzung der öſterreichiſchen Mon-<lb/> archie ſpeciellerheiſcht, entworfen werden, und zu einem Baum emporwach-<lb/> ſen in deſſen Schatten die Enkel friedlich wohnen! Sie iſt lange vorenthalten<lb/> worden — zu lange. Früher gegeben würden ihre Geburtswehen<lb/> minder erſchütternd geweſen ſeyn; eine ruhige Zeit hätte ſie lang-<lb/> ſam gereift und erſtarken gemacht, ehe die Tage des Sturms einge-<lb/> treten. Nicht nur die ungeduldigen Naturen haben ſie mit optimiſti-<lb/> ſcher Leidenſchaftlichkeit gefordert, auch ſolche Männer deren Jahre ju-<lb/> gendliches Auflodern nicht beſorgen laſſen, haben ſie ſehnſüchtig herbei-<lb/> gewünſcht, in voller unerſchütterlicher, und durch den Erfolg gerecht-<lb/> fertigter Ueberzeugung daß der gänzliche Umſchwung der Ideen, den<lb/> die Geiſter in den letzten 30 Jahren genommen haben, an dieſem Ziele<lb/> ankommen <hi rendition="#g">mußte</hi>, und daß alles daran gelegen ſey daß dieſe Um-<lb/> geſtaltung eine beſonnene, vorbedachte ſey. Dieſe Ueberzeugung, zu allen<lb/> Zeiten ausgeſprochen, hat wenig Anklang, und noch weniger Beach-<lb/> tung unter den Staatsmännern der alten Schule gefunden, denen die<lb/> Erfolge eines halben Jahrhunderts eine andere Praxis räthlich mach-<lb/> ten. Man hätte großes Unrecht die Thatſachen die Anſichten<lb/> dieſer Männer zu verurtheilen, ihre Intentionen zu verdächtigen.<lb/> Sie wollten gewiß das Beſte des Vaterlandes, aber auf dem Wege<lb/> den ſie für den einzig möglichen hielten, auf dem ſicheren, gefahrloſen<lb/> der alten Landſtraße; auf dieſem aber wollte die heutige Zeit nicht<lb/> mehr reiſen, die ſich lieber der Gefahr der Locomotive ausſetzt als<lb/> langſam wenig Weg macht! Wir fragen uns mit Verwunderung,<lb/> wie man die materielle Nothwendigkeit richtig erkannte und ſo gänzlich<lb/> blind für die unabweisliche Richtung der Geiſter geblieben iſt. Wäre<lb/> dieſe beſſer erkannt und richtiger in Oeſterreich geſehen worden als<lb/> durch die blöde Augen officieller Rapporte, man würde zwar nicht die<lb/> Löſung der Frage haben umgehen können, aber die gewaltſame Weiſe<lb/> in der ſie ſtattfand, hätte man uns erſparen können. Nun der Ru-<lb/> bikon überſchritten, iſt die Aufgabe jedes wahren Patrioten zuerſt die<lb/> Gemüther zu beruhigen und die Agitationen zu beſchwichtigen, da-<lb/> mit der junge Baum der Freiheit geſchützt werde und gedeihen<lb/> könne. Die Preſſe aber hat, nun ſie frei, die beſondere Verpflich-<lb/> tung die Regierung auf alle mögliche Weiſe zu unterſtützen, und<lb/> ihr die ungeheure Arbeit einer völligen Umgeſtaltung ihres Syſtems, wie<lb/> der Conſtitutionelle ſie bedarf, zu erleichtern. Wie wir die öſterreichiſchen<lb/> Schriftſteller kennen, wird ſich keiner dieſer Aufgabe entziehen; jeder wird<lb/> in ſeiner Bruſt den patriotiſchen Drang fühlen zu nützen, nicht zu blen-<lb/> den und irrezuleiten, und überall wird das Talent mit höherer Weihe<lb/> und heiligem Ernſt an dieſe Arbeit ſchreiten. Man zeige vor allem<lb/> Vertrauen; kein blindes, aber ein offenes, redliches. War die <hi rendition="#g">Auf-<lb/> regung</hi> bis heute nöthig, ſo iſt es jetzt die <hi rendition="#g">Eintracht</hi>, die Eintracht<lb/> zwiſchen Krone und Volk, die Eintracht zwiſchen allen verſchiedenen<lb/> Ländern des öſterreichiſchen Mutterſtaates. Von der Weichſel bis zum<lb/> Po möge man ſich die Hand reichen, nicht <hi rendition="#g">eine</hi> Nation, wohl aber<lb/><hi rendition="#g">einen</hi> Staat bildend, in deſſen gemeinſchaftlichem zu Schutz und Trutz<lb/> geſchloſſenem Verbande jede dieſer Nationen ſich nach ihrer Eigenthüm-<lb/> lichkeit bewege. Die deutſche Sache aber iſt das große Loſungswort für<lb/> alle dieſe Theile, denn mit ihr ſteht und fällt Oeſterreich, und mit dem<lb/> alten Mutterſtaat jedes der verbundenen Reiche. Einmal der Conſtitu-<lb/> tion das Wort verpfändet, wird, wir wiſſen es, die Dynaſtie es redlich<lb/> und ohne Rückhalt einlöſen. An dieſem Worte mäkeln zu wollen wird<lb/><cb/> ſich auch der entſchiedenſte Freund des alten Syſtems nicht beikommen<lb/> laſſen. Heil zu finden iſt nur in der Wahrheit und Redlichkeit mit der<lb/> man der Krone auf dem <hi rendition="#g">neuen</hi> Wege zu Hülfe kommt. Aber laßt den<lb/> Menſchen und den Dingen Zeit ſich zuſammenzufaſſen, und überſtürzt<lb/> die Entſcheide nicht die alle in nothwendiger Folge kommen müſſen, und<lb/> in kurzem werden wir feſt und ſicher im Schutze neuer Inſtitutionen<lb/> wandeln. Das Erdbeben das uns erſchütterte, hat viel entwurzelt und<lb/> verſchüttet, und wir werden lange zu thun haben um den Schutt wegzu-<lb/> räumen und die neue Saat zu beſtellen.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Aus Paris.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline>△ <hi rendition="#b">Paris,</hi> 15 März.</dateline><lb/> <p>Die Commiſſion der Arbeit hat eine<lb/> zweite Geſammtſitzung gehalten. Hr. Louis Blanc war in dieſer zweiten<lb/> Sitzung viel klarer und praktiſcher als in der erſten. Er ſagte: „Die<lb/> Commiſſion muß nach zwei verſchiedenen Richtungen hin thätig ſeyn;<lb/> ſie muß vorerſt alle allgemeinen Fragen die ſich auf die Organiſa-<lb/> tion der Arbeit beziehen, <hi rendition="#g">ſtudiren</hi>, um ſie als Geſetzvorſchläge zu<lb/> formuliren und der Nationalverſammlung vorzulegen; ſie muß dann,<lb/><hi rendition="#g">neben dieſen Studien, Maßregeln der unmittelbaren<lb/> Verbeſſerung</hi>, geeignet der rechtmäßigen Ungeduld des Augenblicks zu<lb/> entſprechen, durchführen.“ Der Gegenſatz tritt hier ſehr klar hervor,<lb/> die „Theorie,“ die „Syſteme“ der Organiſation der Arbeit ſollen<lb/> ſtudirt, unterdeß aber zugleich der Zuſtand der Arbeiter praktiſch ſo<lb/> viel als möglich verbeſſert werden. Die Natur der Dinge lenkt die<lb/> Commiſſion in dieſe letzte Bahn hinein, und wir freuen uns deſſen<lb/> von Herzen, denn wir hoffen faſt mehr von dieſen praktiſchen Ver-<lb/> beſſerungen als von den theoretiſchen Studien der Commiſſion. Die<lb/> erſte thatſächliche Verbeſſerung aber ſollen „vier Etabliſſements ſeyn,<lb/> jedes dazu beſtimmt ungefähr 400 Arbeiterhaushaltungen in beſon-<lb/> dern Familienwohnungen aufzunehmen.“ Hr. Louis Blanc ſetzt<lb/> hinzu: „Es iſt gut zu bemerken daß ähnliche Etabliſſements ſchon<lb/> ſeit langer Zeit in mehrern Ländern beſtehen,“ deßwegen freut es<lb/> um ſo mehr wenn nun auch welche in Frankreich errichtet werden.<lb/> Eine Bedingung zur Aufnahme in dieſe Arbeiterwohnung iſt daß<lb/> der Arbeiter verheirathet iſt, und zwar legitimer Weiſe. Wir ſind<lb/> ein wenig erſtaunt über dieſe Bedingung, aber wir freuen uns aber-<lb/> mals daß die Arbeitercommiſſion ſie geſtellt hat. Sie ſtößt eben-<lb/> falls gegen viele ſchöne „Theorien“ und „Syſteme“ an; aber es<lb/> wird nicht das letztemal ſeyn daß die Theorie in ſich ſelbſt zerfällt<lb/> wenn ſie zur Anwendung gebracht werden ſoll. Die legitime Ehe iſt<lb/> etwas das mit dem Eigenthum Schritt hält, und wir haben ſtets<lb/> die Ueberzeugung gehegt daß ohne eins und anderes keine Geſell-<lb/> ſchaft und kein Fortſchritt möglich ſind. Aber es iſt gut daß die<lb/> franzöſiſchen Socialiſten und Quaſiſocialiſten gleich bei dem erſten<lb/> Schritte, den ſie zur Bethätigung ihrer Grundſätze und Anſichten<lb/> machen, gezwungen ſind wieder auf ſo alte Wahrheiten zurückzu-<lb/> kommen. Ihre deutſchen Nachbeter mögen daraus etwas lernen. Die<lb/> ganze Richtung der Arbeitercommiſſion iſt überhaupt ſchon heute<lb/> eine ziemlich naturgemäße. Die Theorie bleibt vorerſt im Stadium<lb/> der Vorſtudien, die That ſchließt ſich an alte, anerkannte, und wie<lb/> Hr. Louis Blanc ſelbſt ſagt, in England und in Deutſchland ſeit<lb/> langer Zeit verſuchte und durchgeführte Verbeſſerungen an. Wir<lb/> hoffen mit ihm daß dieſelben gegenwärtig in Frankreich häuſiger<lb/> werden ſollen, als ſie bis jetzt in Deutſchland und England waren,<lb/> was aber nicht verhindern wird daß wenigſtens Deutſchland ſich auch<lb/> auf dieſem Felde den Rang nicht ablaufen laſſen wird. Das Glück<lb/> der neuen Errungenſchaften beſteht nicht in den Theorien einzelner<lb/> Leute, ſondern in der allgemeinen Anerkennung des Grundſatzes wel-<lb/> cher der Geſellſchaft die Pflicht auflegt zu verhindern daß die Arbeit<lb/> ausgeſaugt werde und am Ende kümmerlich in Noth und Elend un-<lb/> tergehe. Der geſunde Menſchenverſtand wird die Verwirklichung die-<lb/> ſes Grundſatzes ſchon finden, und daß die „Theoretiker“ in Paris<lb/> ſelbſt auf dieſe Bahn gelenkt wurden, iſt für uns eine ganz andere<lb/> Bürgſchaft für die thatſächliche Verbeſſerung der Lage der armen<lb/> Leute in Frankreich als alle Theorien die uns bis jetzt zu Geſicht<lb/> kamen. Ja dieſe Theorien haben uns mehr geſchreckt als uns Hoff-<lb/> nungen gegeben, und erſt ſeit wir die Theoretiker im Luxembourg<lb/> ſelbſt gezwungen ſehen bei den alten Erfahrungen zu borgen und<lb/> dieſe zu vervielfachen, ſchrecken uns die hohle Theorie und ihre Ver-<lb/> treter weniger als anfangs, wo wir ſie halbwegs bereit ſahen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
Opfer bringen zu ſehen — iſt es zu viel verlangt daß auch von den
Fürſten einmal dasſelbe geſchehe? Daß zweiunddreißig Fürſten unter
Einem deutſchen König oder Kaiſer fortan auf dem Reichstag in einer
Art Oberhaus ſitzen, Hand in Hand mit der Nation an dem Wieder-
aufbau Deutſchlands arbeiten?
Wenn der Fürſtentag in Dresden zuſammentritt um ſolche Ent-
würfe auszuführen: dann Heil und Segen über ihn! Wenn er aber
vorhaben ſollte im entgegengeſetzten Sinne zu berathen und zu handeln,
ſo wird er das Vaterland in heilloſe Verwirrung ſtürzen, und was wird
er damit für ſich ſelbſt gewonnen haben?
Die Conſtitution des öſterreichiſchen Kaiſerſtaats.
= Wien, 16 März.
Ein großes Weltereigniß hat ſtattge-
funden. Die alte abſolute Monarchie iſt nicht mehr; der Stein des
Anſtoßes für das conſtitutionelle Europa iſt hinweggeräumt, und
Oeſterreich iſt hinfort ein conſtitutioneller Staat. Möge die Conſtitu-
tion mit Weisheit aber mit vollſtändiger Beachtung aller der neuen
Regierungsform inwohnenden Bedingungen, mit Rückſicht was allge-
mein gültig, und was die Zuſammenſetzung der öſterreichiſchen Mon-
archie ſpeciellerheiſcht, entworfen werden, und zu einem Baum emporwach-
ſen in deſſen Schatten die Enkel friedlich wohnen! Sie iſt lange vorenthalten
worden — zu lange. Früher gegeben würden ihre Geburtswehen
minder erſchütternd geweſen ſeyn; eine ruhige Zeit hätte ſie lang-
ſam gereift und erſtarken gemacht, ehe die Tage des Sturms einge-
treten. Nicht nur die ungeduldigen Naturen haben ſie mit optimiſti-
ſcher Leidenſchaftlichkeit gefordert, auch ſolche Männer deren Jahre ju-
gendliches Auflodern nicht beſorgen laſſen, haben ſie ſehnſüchtig herbei-
gewünſcht, in voller unerſchütterlicher, und durch den Erfolg gerecht-
fertigter Ueberzeugung daß der gänzliche Umſchwung der Ideen, den
die Geiſter in den letzten 30 Jahren genommen haben, an dieſem Ziele
ankommen mußte, und daß alles daran gelegen ſey daß dieſe Um-
geſtaltung eine beſonnene, vorbedachte ſey. Dieſe Ueberzeugung, zu allen
Zeiten ausgeſprochen, hat wenig Anklang, und noch weniger Beach-
tung unter den Staatsmännern der alten Schule gefunden, denen die
Erfolge eines halben Jahrhunderts eine andere Praxis räthlich mach-
ten. Man hätte großes Unrecht die Thatſachen die Anſichten
dieſer Männer zu verurtheilen, ihre Intentionen zu verdächtigen.
Sie wollten gewiß das Beſte des Vaterlandes, aber auf dem Wege
den ſie für den einzig möglichen hielten, auf dem ſicheren, gefahrloſen
der alten Landſtraße; auf dieſem aber wollte die heutige Zeit nicht
mehr reiſen, die ſich lieber der Gefahr der Locomotive ausſetzt als
langſam wenig Weg macht! Wir fragen uns mit Verwunderung,
wie man die materielle Nothwendigkeit richtig erkannte und ſo gänzlich
blind für die unabweisliche Richtung der Geiſter geblieben iſt. Wäre
dieſe beſſer erkannt und richtiger in Oeſterreich geſehen worden als
durch die blöde Augen officieller Rapporte, man würde zwar nicht die
Löſung der Frage haben umgehen können, aber die gewaltſame Weiſe
in der ſie ſtattfand, hätte man uns erſparen können. Nun der Ru-
bikon überſchritten, iſt die Aufgabe jedes wahren Patrioten zuerſt die
Gemüther zu beruhigen und die Agitationen zu beſchwichtigen, da-
mit der junge Baum der Freiheit geſchützt werde und gedeihen
könne. Die Preſſe aber hat, nun ſie frei, die beſondere Verpflich-
tung die Regierung auf alle mögliche Weiſe zu unterſtützen, und
ihr die ungeheure Arbeit einer völligen Umgeſtaltung ihres Syſtems, wie
der Conſtitutionelle ſie bedarf, zu erleichtern. Wie wir die öſterreichiſchen
Schriftſteller kennen, wird ſich keiner dieſer Aufgabe entziehen; jeder wird
in ſeiner Bruſt den patriotiſchen Drang fühlen zu nützen, nicht zu blen-
den und irrezuleiten, und überall wird das Talent mit höherer Weihe
und heiligem Ernſt an dieſe Arbeit ſchreiten. Man zeige vor allem
Vertrauen; kein blindes, aber ein offenes, redliches. War die Auf-
regung bis heute nöthig, ſo iſt es jetzt die Eintracht, die Eintracht
zwiſchen Krone und Volk, die Eintracht zwiſchen allen verſchiedenen
Ländern des öſterreichiſchen Mutterſtaates. Von der Weichſel bis zum
Po möge man ſich die Hand reichen, nicht eine Nation, wohl aber
einen Staat bildend, in deſſen gemeinſchaftlichem zu Schutz und Trutz
geſchloſſenem Verbande jede dieſer Nationen ſich nach ihrer Eigenthüm-
lichkeit bewege. Die deutſche Sache aber iſt das große Loſungswort für
alle dieſe Theile, denn mit ihr ſteht und fällt Oeſterreich, und mit dem
alten Mutterſtaat jedes der verbundenen Reiche. Einmal der Conſtitu-
tion das Wort verpfändet, wird, wir wiſſen es, die Dynaſtie es redlich
und ohne Rückhalt einlöſen. An dieſem Worte mäkeln zu wollen wird
ſich auch der entſchiedenſte Freund des alten Syſtems nicht beikommen
laſſen. Heil zu finden iſt nur in der Wahrheit und Redlichkeit mit der
man der Krone auf dem neuen Wege zu Hülfe kommt. Aber laßt den
Menſchen und den Dingen Zeit ſich zuſammenzufaſſen, und überſtürzt
die Entſcheide nicht die alle in nothwendiger Folge kommen müſſen, und
in kurzem werden wir feſt und ſicher im Schutze neuer Inſtitutionen
wandeln. Das Erdbeben das uns erſchütterte, hat viel entwurzelt und
verſchüttet, und wir werden lange zu thun haben um den Schutt wegzu-
räumen und die neue Saat zu beſtellen.
Aus Paris.
△ Paris, 15 März.
Die Commiſſion der Arbeit hat eine
zweite Geſammtſitzung gehalten. Hr. Louis Blanc war in dieſer zweiten
Sitzung viel klarer und praktiſcher als in der erſten. Er ſagte: „Die
Commiſſion muß nach zwei verſchiedenen Richtungen hin thätig ſeyn;
ſie muß vorerſt alle allgemeinen Fragen die ſich auf die Organiſa-
tion der Arbeit beziehen, ſtudiren, um ſie als Geſetzvorſchläge zu
formuliren und der Nationalverſammlung vorzulegen; ſie muß dann,
neben dieſen Studien, Maßregeln der unmittelbaren
Verbeſſerung, geeignet der rechtmäßigen Ungeduld des Augenblicks zu
entſprechen, durchführen.“ Der Gegenſatz tritt hier ſehr klar hervor,
die „Theorie,“ die „Syſteme“ der Organiſation der Arbeit ſollen
ſtudirt, unterdeß aber zugleich der Zuſtand der Arbeiter praktiſch ſo
viel als möglich verbeſſert werden. Die Natur der Dinge lenkt die
Commiſſion in dieſe letzte Bahn hinein, und wir freuen uns deſſen
von Herzen, denn wir hoffen faſt mehr von dieſen praktiſchen Ver-
beſſerungen als von den theoretiſchen Studien der Commiſſion. Die
erſte thatſächliche Verbeſſerung aber ſollen „vier Etabliſſements ſeyn,
jedes dazu beſtimmt ungefähr 400 Arbeiterhaushaltungen in beſon-
dern Familienwohnungen aufzunehmen.“ Hr. Louis Blanc ſetzt
hinzu: „Es iſt gut zu bemerken daß ähnliche Etabliſſements ſchon
ſeit langer Zeit in mehrern Ländern beſtehen,“ deßwegen freut es
um ſo mehr wenn nun auch welche in Frankreich errichtet werden.
Eine Bedingung zur Aufnahme in dieſe Arbeiterwohnung iſt daß
der Arbeiter verheirathet iſt, und zwar legitimer Weiſe. Wir ſind
ein wenig erſtaunt über dieſe Bedingung, aber wir freuen uns aber-
mals daß die Arbeitercommiſſion ſie geſtellt hat. Sie ſtößt eben-
falls gegen viele ſchöne „Theorien“ und „Syſteme“ an; aber es
wird nicht das letztemal ſeyn daß die Theorie in ſich ſelbſt zerfällt
wenn ſie zur Anwendung gebracht werden ſoll. Die legitime Ehe iſt
etwas das mit dem Eigenthum Schritt hält, und wir haben ſtets
die Ueberzeugung gehegt daß ohne eins und anderes keine Geſell-
ſchaft und kein Fortſchritt möglich ſind. Aber es iſt gut daß die
franzöſiſchen Socialiſten und Quaſiſocialiſten gleich bei dem erſten
Schritte, den ſie zur Bethätigung ihrer Grundſätze und Anſichten
machen, gezwungen ſind wieder auf ſo alte Wahrheiten zurückzu-
kommen. Ihre deutſchen Nachbeter mögen daraus etwas lernen. Die
ganze Richtung der Arbeitercommiſſion iſt überhaupt ſchon heute
eine ziemlich naturgemäße. Die Theorie bleibt vorerſt im Stadium
der Vorſtudien, die That ſchließt ſich an alte, anerkannte, und wie
Hr. Louis Blanc ſelbſt ſagt, in England und in Deutſchland ſeit
langer Zeit verſuchte und durchgeführte Verbeſſerungen an. Wir
hoffen mit ihm daß dieſelben gegenwärtig in Frankreich häuſiger
werden ſollen, als ſie bis jetzt in Deutſchland und England waren,
was aber nicht verhindern wird daß wenigſtens Deutſchland ſich auch
auf dieſem Felde den Rang nicht ablaufen laſſen wird. Das Glück
der neuen Errungenſchaften beſteht nicht in den Theorien einzelner
Leute, ſondern in der allgemeinen Anerkennung des Grundſatzes wel-
cher der Geſellſchaft die Pflicht auflegt zu verhindern daß die Arbeit
ausgeſaugt werde und am Ende kümmerlich in Noth und Elend un-
tergehe. Der geſunde Menſchenverſtand wird die Verwirklichung die-
ſes Grundſatzes ſchon finden, und daß die „Theoretiker“ in Paris
ſelbſt auf dieſe Bahn gelenkt wurden, iſt für uns eine ganz andere
Bürgſchaft für die thatſächliche Verbeſſerung der Lage der armen
Leute in Frankreich als alle Theorien die uns bis jetzt zu Geſicht
kamen. Ja dieſe Theorien haben uns mehr geſchreckt als uns Hoff-
nungen gegeben, und erſt ſeit wir die Theoretiker im Luxembourg
ſelbſt gezwungen ſehen bei den alten Erfahrungen zu borgen und
dieſe zu vervielfachen, ſchrecken uns die hohle Theorie und ihre Ver-
treter weniger als anfangs, wo wir ſie halbwegs bereit ſahen
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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