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Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 22. März 1848.

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[Spaltenumbruch] lich ist. Nachholung des Versäumten, auch des Aergsten und Schlimm-
sten, Ausheilung der socialen Schäden, auch derer die am tiefsten ge-
fressen, ist noch möglich, weil die Rüstigkeit und Entschiedenheit des
öffentlichen Willens kund geworden und die Gesundheit des deutschen
Leibesorganism bei allem was im einzelnen verkümmert ward ebenso
offen zu Tage gekommen ist. Vor allem aber vertrauen wir auf die
unserm Volke noch innenwohnende Ehrenhaftigkeit, Herzensgüte und
Beharrlichkeit und auf seine Bereitwilligkeit, durch große Opfer dem
öffentlichen Wohl gebracht, den Bestand des Guten das uns geblieben
zu schirmen, die Keime des Bessern rasch zu entfalten und durch be-
sonnene Gestaltung des Gegenwärtigen und Gegebenen Sicherheit,
Ehre nnd Glück der Zukunft vorzubereiten.



Niccolo Tommaseo.

Die Nachricht daß Niccolo Tommaseo ge-
fänglich eingezogen und einem Criminalproceß unterworfen sey, hat,
man kann sagen in ganz Italien, Schmerz und Ueberraschung erregt.
Denn, wie schon einmal in diesen Blättern gesagt ward als sie seine
schönen Worte über Pius IX mittheikten, Italien verehrt in diesem
Manne, der nicht innerhalb der Gränzen Italiens geboren ward, einen
seiner ausgezeichnetsten und talentvollsten Schriftsteller, und zugleich
einen seiner eigenthümlichsten. Diese Eigenthümlichkeit aber ist es
welche in neueren Zeiten dazu beigetragen hat ihn weniger populär
werden zu lassen als man nach seinen Geistesgaben und seiner Macht
über das Wort hätte erwarten dürfen. Tommaseo verschmäht es sich
herrschenden Meinungen anzuschließen weil sie herrschende sind, und
da der Widerspruch bei ihm tief wurzelt und, weil er kein Mann halber
Gesinnung und halber Maßregeln ist, leicht herbe Formen annimmt,
so hat er seinerseits wieder heftige Gegner gefunden. Es ist nicht
manche Wochen her als die toscanischen Journale über ihn hersielen
und ihn zerrissen, und für einen Jesuiten erklärten, der es leicht habe
zu Venedig unter österreichischem Schutz zu schreiben; und dieß haupt-
sächlich weil alte Antipathie gegen Gioberti, nicht sowohl vom religiö-
sen und politischen wie vom philosophischen Standpunkt aus, ihn in
Contrast mit dessen unzähligen Bewunderern gebracht, die nicht nur
die ernsten Werke dieses merkwürdigen Mannes, sondern jeden seiner
etwas zu zahlreichen Briefe an Zeitungsredactionen, unter denen übri-
gens die letzteren namentlich sehr beherzigenswerth sind, für ein Evan-
gelium halten. Wie vielen Schimpf, welche Verdächtigungen habe ich
damals nicht gegen Tommaseo vernommen! Und es ist ebenso nicht
lange her als Giuseppe Mazzini und die Anarchie-Apostel der Giovine
Italia über ihn herfielen, weil er Incongruitäten in Ugo Foscolo an-
gedeutet hatte, den sie gerne zum Urheber ihres Evangeliums machen
möchten -- eines Evangeliums das Einheit verkündet während seine
Saat Drachenzähne sind, zu dessen Nutz und Frommen Dante und was
alles in Italiens alter und neuer Litteratur dazu gebraucht werden
kann, den unsinnigsten Wort- und Sinnverdrehungen unterliegt, welche
nur Lachen erregen würden hätte man nicht längst die Geister mit sol-
cher Perfidie bearbeitet -- eines Evangeliums vor dessen falschen Lehren
man sich im gegenwärtigen Moment mit zwiefacher Vorsicht hüten
sollte, wo der böse Feind wieder umzugehen droht, begierig das Banner
des Umsturzes aufzupflanzen und die Mäßigung der politisch socialen
Ideen und Formen zu verdrängen.

Seit vielen Jahren kenne ich Niccolo Tommaseo, und bin seinen
wissenschaftlich-litterarischen Bestrebungen aufmerksam gefolgt, angezo-
gen durch jene eigenthümliche Geistesrichtung deren ich oben gedachte.
In ihm fand die katholische Idee einen Vorkämpfer als man das Papst-
thum noch anklagte daß es, seiner Katholicität vergessend, nur im Ultra-
montanismus eine Stütze suche. In ihm lebte die Erinnerung an Ita-
liens alte Größe, und das Bewußtseyn der schlummernden Kraft, und
die Erkenntniß der Mittel zur Wiedererhebung; und er hat vor Jahren
manches ausgesprochen, manches vorhergesagt was in neueren Tagen
wiedergesagt und, mehr als das, Wahrheit geworden ist. Und wie er
das Verkehrte, Verderbliche, Verbrecherische des subversiven, den Be-
griff der Pflicht verläugnenden Liberalismus erkannt und mit einer
Schärfe bezeichnet hat die ihm Haß und Verfolgung zuzog, so hat er
den Geist und die Aufgabe Pius' IX richtiger als die meisten gewür-
digt. Einsam lebend, mit wenigen verkehrend, ja beinahe menschenscheu,
ist Tommaseo kein Mann der Menge, deren Thun und Lassen, Schieben
und Drängen auf ihn geringen Einfluß übt; er ist zu feinfühlend und
[Spaltenumbruch] sensitiv um eine Tribunenrolle zu spielen, und wenn seine Seele die
Bedürfnisse und Wünsche des Volkes mit Wärme erfaßt, so würde doch
schon sein melancholisches, leicht verletzliches Wesen ihn im allgemeinen
an der Erlangung jener Volksthümlichkeit verhindern die bisweilen
ebenso sehr durch die Form wie durch den Grund der Sympathie be-
stimmt wird, wäre nicht überdieß die in einzelnen Fällen vielleicht zu
weit getriebene Maxime des Alleinstehens, des Dante'schen Far parte
da se,
ein Hinderniß auf dem Wege zum Erlangen allgemeineren Ein-
flusses. Wie sehr und in welchem Maße Tommaseo verschiedene Zweige
der Litteratur gefördert hat, ist beinahe unnöthig hier noch anzugeben,
da seine Verdienste um dieselbe überall bekannt und gewürdigt sind.
Als philosophischer Sprachgelehrter hat er namentlich durch sein Sy-
nonymen-Wörterbuch gewirkt, in welchem seine unermeßliche Belesenheit
ebenso sehr an den Tag kommt wie seine seltene Distinctionsgabe und
Feinheit des Gefühls. Als Erklärer Dante's hat er vollständiger und
folgerichtiger als irgendeiner in Italien, vielfach übereinstimmend mit
deutschen Commentatoren, den Zusammenhang der göttlichen Komödie
mit der Bibel und den Kirchenvätern, mit Aristoteles und den Quellen
der theologisch-philosophischen Gelehrsamkeit des Mittelalters nachge-
wiesen. Der Historie hat er durch seine Bearbeitung der venezianischen
Gesandtschaftsberichte über Frankreich und durch die von trefflicher Ein-
leitung begleitete Sammlung der Briefe Paoli's, von welchen in diesen
Blättern ausführlich die Rede war, kostbares Material geboten oder
zugänglicher gemacht. Die Kenntniß der Volkspoeste, auf deren Er-
forschung in Italien noch nicht die gehörige Sorgfalt verwandt worden,
hat er durch seine reiche Sammlung toscanischer, corsischer, illyrischer,
griechischer Volkslieder unendlich verbreitet, eine Sammlung welche na-
mentlich in ihren beiden ersten Theilen, Toscana und Corsica umfas-
send, nicht bloß wegen der in denselben enthaltenen, bald anmuthigen,
bald charakteristischen, bald geschichtlich denkwürdigen Dichtungen, son-
dern auch wegen der tief eingehenden, so scharfe Beobachtungsgabe wie
warmes Gefühl verrathenden Schilderungen des Landvolkes, seiner Ge-
sinnung und Neigungen, unschätzbar zu nennen sind. Ich übergehe
seine Leistungen als Aesthetiker, Litterarhistoriker, philosophischer
Schriftsteller, in welcher letztern Beziehung seine gesammelten Aufsätze
über das Erziehungswesen, neuerdings mehrmals gedruckt, viele ge-
sunde und praktische Ansichten enthalten. Auf seinen Styl wirkt die
Eigenthümlichkeit seines ganzen Wesens: er scheint oft gekünstelt ohne
es jedesmal zu seyn; bisweilen schadet eine Gedrängtheit oder Wort-
stellung die etwas von Affectation hat dem freien Fluß; aber seine
Schreibart und Darstellung hat dann auch wieder große Feinheit und
wahren majestätischen Schwung, und den Ton der Ueberzeugung und
den Pulsschlag des fühlenden Herzens.

Es mögen irrige Ansichten, es mögen Fehler und Vorurtheile in
Tommaseo's Schriften vorkommen; bei welchem Autor finden sie sich
nicht? Aber Tommaseo hat die Würde der Litteratur nie verkannt; er
hat die Litteratur nicht als Parteiwerkzeug gebraucht: dazu ist er zu
stolz und zu unabhängig, zu ehrlich und zu sehr alleinstehend. Wie er
denkt und fühlt hat er stets offen in seinen Werken ausgesprochen, und
hat sich nie gescheut seine Meinungen zu vertreten, ohne Furcht wie
ohne auf Gunst und Ungunst zu achten, mochte es selbst die Gunst und
Ungunst seyn, wofür Schriftsteller im allgemeinen am empfänglichsten
sind, die des großen Publicums. Die Betrachtung daß er mit seinen
Ansichten schwerlich durchdringen, ja daß er vielmehr einen Sturm
gegen sein eignes Haupt heraufbeschwören werde, hat ihn nie gehindert
seiner Ueberzeugung Worte zu geben.

Vor mehr als zwölf Jahren erschien in Paris ein anonymes Werk
Tommaseo's: Dell' Italia libri cinque, auch unter dem Titel: Scritti
nuovi di Fra Girolamo Savonarola
bekannt. Es war das Werk
eines von dem Lande seiner Sehnsucht getrennt Lebenden -- ein Um-
stand der sich in manchen Theilen in zu großer Herbheit aussprach, so
daß der Verfasser selbst gegenwärtig ohne Zweifel manches zurückneh-
men würde was er damals sagte. Je weniger man nun aber alles in
diesem Buche billigen oder anerkennen kann, umsomehr muß man an-
deres bewundern, welches die neuesten Verhältnisse der Halbinsel ent-
weder geahnt und vorherverkündet hat, oder in religiösen wie in mora-
lischen und politischen Dingen die gesundesten Ansichten bringt, den
richtigsten Weg andeutet. Ein Auszug des heute noch Bedeutendsten
aus diesen beiden Bänden ist vor ein paar Wochen zu Florenz erschienen
unter dem Titel: Delle nuove Speranze d'Italia. Presentimenti da
un' opera di Niccolo Tommaseo.
Im ersten Theil wird von der

[Spaltenumbruch] lich iſt. Nachholung des Verſäumten, auch des Aergſten und Schlimm-
ſten, Ausheilung der ſocialen Schäden, auch derer die am tiefſten ge-
freſſen, iſt noch möglich, weil die Rüſtigkeit und Entſchiedenheit des
öffentlichen Willens kund geworden und die Geſundheit des deutſchen
Leibesorganism bei allem was im einzelnen verkümmert ward ebenſo
offen zu Tage gekommen iſt. Vor allem aber vertrauen wir auf die
unſerm Volke noch innenwohnende Ehrenhaftigkeit, Herzensgüte und
Beharrlichkeit und auf ſeine Bereitwilligkeit, durch große Opfer dem
öffentlichen Wohl gebracht, den Beſtand des Guten das uns geblieben
zu ſchirmen, die Keime des Beſſern raſch zu entfalten und durch be-
ſonnene Geſtaltung des Gegenwärtigen und Gegebenen Sicherheit,
Ehre nnd Glück der Zukunft vorzubereiten.



Niccolò Tommaſéo.

Die Nachricht daß Niccolò Tommaſéo ge-
fänglich eingezogen und einem Criminalproceß unterworfen ſey, hat,
man kann ſagen in ganz Italien, Schmerz und Ueberraſchung erregt.
Denn, wie ſchon einmal in dieſen Blättern geſagt ward als ſie ſeine
ſchönen Worte über Pius IX mittheikten, Italien verehrt in dieſem
Manne, der nicht innerhalb der Gränzen Italiens geboren ward, einen
ſeiner ausgezeichnetſten und talentvollſten Schriftſteller, und zugleich
einen ſeiner eigenthümlichſten. Dieſe Eigenthümlichkeit aber iſt es
welche in neueren Zeiten dazu beigetragen hat ihn weniger populär
werden zu laſſen als man nach ſeinen Geiſtesgaben und ſeiner Macht
über das Wort hätte erwarten dürfen. Tommaſéo verſchmäht es ſich
herrſchenden Meinungen anzuſchließen weil ſie herrſchende ſind, und
da der Widerſpruch bei ihm tief wurzelt und, weil er kein Mann halber
Geſinnung und halber Maßregeln iſt, leicht herbe Formen annimmt,
ſo hat er ſeinerſeits wieder heftige Gegner gefunden. Es iſt nicht
manche Wochen her als die toscaniſchen Journale über ihn herſielen
und ihn zerriſſen, und für einen Jeſuiten erklärten, der es leicht habe
zu Venedig unter öſterreichiſchem Schutz zu ſchreiben; und dieß haupt-
ſächlich weil alte Antipathie gegen Gioberti, nicht ſowohl vom religiö-
ſen und politiſchen wie vom philoſophiſchen Standpunkt aus, ihn in
Contraſt mit deſſen unzähligen Bewunderern gebracht, die nicht nur
die ernſten Werke dieſes merkwürdigen Mannes, ſondern jeden ſeiner
etwas zu zahlreichen Briefe an Zeitungsredactionen, unter denen übri-
gens die letzteren namentlich ſehr beherzigenswerth ſind, für ein Evan-
gelium halten. Wie vielen Schimpf, welche Verdächtigungen habe ich
damals nicht gegen Tommaſéo vernommen! Und es iſt ebenſo nicht
lange her als Giuſeppe Mazzini und die Anarchie-Apoſtel der Giovine
Italia über ihn herfielen, weil er Incongruitäten in Ugo Foscolo an-
gedeutet hatte, den ſie gerne zum Urheber ihres Evangeliums machen
möchten — eines Evangeliums das Einheit verkündet während ſeine
Saat Drachenzähne ſind, zu deſſen Nutz und Frommen Dante und was
alles in Italiens alter und neuer Litteratur dazu gebraucht werden
kann, den unſinnigſten Wort- und Sinnverdrehungen unterliegt, welche
nur Lachen erregen würden hätte man nicht längſt die Geiſter mit ſol-
cher Perfidie bearbeitet — eines Evangeliums vor deſſen falſchen Lehren
man ſich im gegenwärtigen Moment mit zwiefacher Vorſicht hüten
ſollte, wo der böſe Feind wieder umzugehen droht, begierig das Banner
des Umſturzes aufzupflanzen und die Mäßigung der politiſch ſocialen
Ideen und Formen zu verdrängen.

Seit vielen Jahren kenne ich Niccolò Tommaſéo, und bin ſeinen
wiſſenſchaftlich-litterariſchen Beſtrebungen aufmerkſam gefolgt, angezo-
gen durch jene eigenthümliche Geiſtesrichtung deren ich oben gedachte.
In ihm fand die katholiſche Idee einen Vorkämpfer als man das Papſt-
thum noch anklagte daß es, ſeiner Katholicität vergeſſend, nur im Ultra-
montanismus eine Stütze ſuche. In ihm lebte die Erinnerung an Ita-
liens alte Größe, und das Bewußtſeyn der ſchlummernden Kraft, und
die Erkenntniß der Mittel zur Wiedererhebung; und er hat vor Jahren
manches ausgeſprochen, manches vorhergeſagt was in neueren Tagen
wiedergeſagt und, mehr als das, Wahrheit geworden iſt. Und wie er
das Verkehrte, Verderbliche, Verbrecheriſche des ſubverſiven, den Be-
griff der Pflicht verläugnenden Liberalismus erkannt und mit einer
Schärfe bezeichnet hat die ihm Haß und Verfolgung zuzog, ſo hat er
den Geiſt und die Aufgabe Pius’ IX richtiger als die meiſten gewür-
digt. Einſam lebend, mit wenigen verkehrend, ja beinahe menſchenſcheu,
iſt Tommaſéo kein Mann der Menge, deren Thun und Laſſen, Schieben
und Drängen auf ihn geringen Einfluß übt; er iſt zu feinfühlend und
[Spaltenumbruch] ſenſitiv um eine Tribunenrolle zu ſpielen, und wenn ſeine Seele die
Bedürfniſſe und Wünſche des Volkes mit Wärme erfaßt, ſo würde doch
ſchon ſein melancholiſches, leicht verletzliches Weſen ihn im allgemeinen
an der Erlangung jener Volksthümlichkeit verhindern die bisweilen
ebenſo ſehr durch die Form wie durch den Grund der Sympathie be-
ſtimmt wird, wäre nicht überdieß die in einzelnen Fällen vielleicht zu
weit getriebene Maxime des Alleinſtehens, des Dante’ſchen Far parte
da se,
ein Hinderniß auf dem Wege zum Erlangen allgemeineren Ein-
fluſſes. Wie ſehr und in welchem Maße Tommaſéo verſchiedene Zweige
der Litteratur gefördert hat, iſt beinahe unnöthig hier noch anzugeben,
da ſeine Verdienſte um dieſelbe überall bekannt und gewürdigt ſind.
Als philoſophiſcher Sprachgelehrter hat er namentlich durch ſein Sy-
nonymen-Wörterbuch gewirkt, in welchem ſeine unermeßliche Beleſenheit
ebenſo ſehr an den Tag kommt wie ſeine ſeltene Diſtinctionsgabe und
Feinheit des Gefühls. Als Erklärer Dante’s hat er vollſtändiger und
folgerichtiger als irgendeiner in Italien, vielfach übereinſtimmend mit
deutſchen Commentatoren, den Zuſammenhang der göttlichen Komödie
mit der Bibel und den Kirchenvätern, mit Ariſtoteles und den Quellen
der theologiſch-philoſophiſchen Gelehrſamkeit des Mittelalters nachge-
wieſen. Der Hiſtorie hat er durch ſeine Bearbeitung der venezianiſchen
Geſandtſchaftsberichte über Frankreich und durch die von trefflicher Ein-
leitung begleitete Sammlung der Briefe Paoli’s, von welchen in dieſen
Blättern ausführlich die Rede war, koſtbares Material geboten oder
zugänglicher gemacht. Die Kenntniß der Volkspoeſte, auf deren Er-
forſchung in Italien noch nicht die gehörige Sorgfalt verwandt worden,
hat er durch ſeine reiche Sammlung toscaniſcher, corſiſcher, illyriſcher,
griechiſcher Volkslieder unendlich verbreitet, eine Sammlung welche na-
mentlich in ihren beiden erſten Theilen, Toscana und Corſica umfaſ-
ſend, nicht bloß wegen der in denſelben enthaltenen, bald anmuthigen,
bald charakteriſtiſchen, bald geſchichtlich denkwürdigen Dichtungen, ſon-
dern auch wegen der tief eingehenden, ſo ſcharfe Beobachtungsgabe wie
warmes Gefühl verrathenden Schilderungen des Landvolkes, ſeiner Ge-
ſinnung und Neigungen, unſchätzbar zu nennen ſind. Ich übergehe
ſeine Leiſtungen als Aeſthetiker, Litterarhiſtoriker, philoſophiſcher
Schriftſteller, in welcher letztern Beziehung ſeine geſammelten Aufſätze
über das Erziehungsweſen, neuerdings mehrmals gedruckt, viele ge-
ſunde und praktiſche Anſichten enthalten. Auf ſeinen Styl wirkt die
Eigenthümlichkeit ſeines ganzen Weſens: er ſcheint oft gekünſtelt ohne
es jedesmal zu ſeyn; bisweilen ſchadet eine Gedrängtheit oder Wort-
ſtellung die etwas von Affectation hat dem freien Fluß; aber ſeine
Schreibart und Darſtellung hat dann auch wieder große Feinheit und
wahren majeſtätiſchen Schwung, und den Ton der Ueberzeugung und
den Pulsſchlag des fühlenden Herzens.

Es mögen irrige Anſichten, es mögen Fehler und Vorurtheile in
Tommaſéo’s Schriften vorkommen; bei welchem Autor finden ſie ſich
nicht? Aber Tommaſéo hat die Würde der Litteratur nie verkannt; er
hat die Litteratur nicht als Parteiwerkzeug gebraucht: dazu iſt er zu
ſtolz und zu unabhängig, zu ehrlich und zu ſehr alleinſtehend. Wie er
denkt und fühlt hat er ſtets offen in ſeinen Werken ausgeſprochen, und
hat ſich nie geſcheut ſeine Meinungen zu vertreten, ohne Furcht wie
ohne auf Gunſt und Ungunſt zu achten, mochte es ſelbſt die Gunſt und
Ungunſt ſeyn, wofür Schriftſteller im allgemeinen am empfänglichſten
ſind, die des großen Publicums. Die Betrachtung daß er mit ſeinen
Anſichten ſchwerlich durchdringen, ja daß er vielmehr einen Sturm
gegen ſein eignes Haupt heraufbeſchwören werde, hat ihn nie gehindert
ſeiner Ueberzeugung Worte zu geben.

Vor mehr als zwölf Jahren erſchien in Paris ein anonymes Werk
Tommaſéo’s: Dell’ Italia libri cinque, auch unter dem Titel: Scritti
nuovi di Fra Girolamo Savonarola
bekannt. Es war das Werk
eines von dem Lande ſeiner Sehnſucht getrennt Lebenden — ein Um-
ſtand der ſich in manchen Theilen in zu großer Herbheit ausſprach, ſo
daß der Verfaſſer ſelbſt gegenwärtig ohne Zweifel manches zurückneh-
men würde was er damals ſagte. Je weniger man nun aber alles in
dieſem Buche billigen oder anerkennen kann, umſomehr muß man an-
deres bewundern, welches die neueſten Verhältniſſe der Halbinſel ent-
weder geahnt und vorherverkündet hat, oder in religiöſen wie in mora-
liſchen und politiſchen Dingen die geſundeſten Anſichten bringt, den
richtigſten Weg andeutet. Ein Auszug des heute noch Bedeutendſten
aus dieſen beiden Bänden iſt vor ein paar Wochen zu Florenz erſchienen
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un’ opera di Niccolò Tommaséo.
Im erſten Theil wird von der

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[0011] lich iſt. Nachholung des Verſäumten, auch des Aergſten und Schlimm- ſten, Ausheilung der ſocialen Schäden, auch derer die am tiefſten ge- freſſen, iſt noch möglich, weil die Rüſtigkeit und Entſchiedenheit des öffentlichen Willens kund geworden und die Geſundheit des deutſchen Leibesorganism bei allem was im einzelnen verkümmert ward ebenſo offen zu Tage gekommen iſt. Vor allem aber vertrauen wir auf die unſerm Volke noch innenwohnende Ehrenhaftigkeit, Herzensgüte und Beharrlichkeit und auf ſeine Bereitwilligkeit, durch große Opfer dem öffentlichen Wohl gebracht, den Beſtand des Guten das uns geblieben zu ſchirmen, die Keime des Beſſern raſch zu entfalten und durch be- ſonnene Geſtaltung des Gegenwärtigen und Gegebenen Sicherheit, Ehre nnd Glück der Zukunft vorzubereiten. Niccolò Tommaſéo. Rt. Rom, 19 März.Die Nachricht daß Niccolò Tommaſéo ge- fänglich eingezogen und einem Criminalproceß unterworfen ſey, hat, man kann ſagen in ganz Italien, Schmerz und Ueberraſchung erregt. Denn, wie ſchon einmal in dieſen Blättern geſagt ward als ſie ſeine ſchönen Worte über Pius IX mittheikten, Italien verehrt in dieſem Manne, der nicht innerhalb der Gränzen Italiens geboren ward, einen ſeiner ausgezeichnetſten und talentvollſten Schriftſteller, und zugleich einen ſeiner eigenthümlichſten. Dieſe Eigenthümlichkeit aber iſt es welche in neueren Zeiten dazu beigetragen hat ihn weniger populär werden zu laſſen als man nach ſeinen Geiſtesgaben und ſeiner Macht über das Wort hätte erwarten dürfen. Tommaſéo verſchmäht es ſich herrſchenden Meinungen anzuſchließen weil ſie herrſchende ſind, und da der Widerſpruch bei ihm tief wurzelt und, weil er kein Mann halber Geſinnung und halber Maßregeln iſt, leicht herbe Formen annimmt, ſo hat er ſeinerſeits wieder heftige Gegner gefunden. Es iſt nicht manche Wochen her als die toscaniſchen Journale über ihn herſielen und ihn zerriſſen, und für einen Jeſuiten erklärten, der es leicht habe zu Venedig unter öſterreichiſchem Schutz zu ſchreiben; und dieß haupt- ſächlich weil alte Antipathie gegen Gioberti, nicht ſowohl vom religiö- ſen und politiſchen wie vom philoſophiſchen Standpunkt aus, ihn in Contraſt mit deſſen unzähligen Bewunderern gebracht, die nicht nur die ernſten Werke dieſes merkwürdigen Mannes, ſondern jeden ſeiner etwas zu zahlreichen Briefe an Zeitungsredactionen, unter denen übri- gens die letzteren namentlich ſehr beherzigenswerth ſind, für ein Evan- gelium halten. Wie vielen Schimpf, welche Verdächtigungen habe ich damals nicht gegen Tommaſéo vernommen! Und es iſt ebenſo nicht lange her als Giuſeppe Mazzini und die Anarchie-Apoſtel der Giovine Italia über ihn herfielen, weil er Incongruitäten in Ugo Foscolo an- gedeutet hatte, den ſie gerne zum Urheber ihres Evangeliums machen möchten — eines Evangeliums das Einheit verkündet während ſeine Saat Drachenzähne ſind, zu deſſen Nutz und Frommen Dante und was alles in Italiens alter und neuer Litteratur dazu gebraucht werden kann, den unſinnigſten Wort- und Sinnverdrehungen unterliegt, welche nur Lachen erregen würden hätte man nicht längſt die Geiſter mit ſol- cher Perfidie bearbeitet — eines Evangeliums vor deſſen falſchen Lehren man ſich im gegenwärtigen Moment mit zwiefacher Vorſicht hüten ſollte, wo der böſe Feind wieder umzugehen droht, begierig das Banner des Umſturzes aufzupflanzen und die Mäßigung der politiſch ſocialen Ideen und Formen zu verdrängen. Seit vielen Jahren kenne ich Niccolò Tommaſéo, und bin ſeinen wiſſenſchaftlich-litterariſchen Beſtrebungen aufmerkſam gefolgt, angezo- gen durch jene eigenthümliche Geiſtesrichtung deren ich oben gedachte. In ihm fand die katholiſche Idee einen Vorkämpfer als man das Papſt- thum noch anklagte daß es, ſeiner Katholicität vergeſſend, nur im Ultra- montanismus eine Stütze ſuche. In ihm lebte die Erinnerung an Ita- liens alte Größe, und das Bewußtſeyn der ſchlummernden Kraft, und die Erkenntniß der Mittel zur Wiedererhebung; und er hat vor Jahren manches ausgeſprochen, manches vorhergeſagt was in neueren Tagen wiedergeſagt und, mehr als das, Wahrheit geworden iſt. Und wie er das Verkehrte, Verderbliche, Verbrecheriſche des ſubverſiven, den Be- griff der Pflicht verläugnenden Liberalismus erkannt und mit einer Schärfe bezeichnet hat die ihm Haß und Verfolgung zuzog, ſo hat er den Geiſt und die Aufgabe Pius’ IX richtiger als die meiſten gewür- digt. Einſam lebend, mit wenigen verkehrend, ja beinahe menſchenſcheu, iſt Tommaſéo kein Mann der Menge, deren Thun und Laſſen, Schieben und Drängen auf ihn geringen Einfluß übt; er iſt zu feinfühlend und ſenſitiv um eine Tribunenrolle zu ſpielen, und wenn ſeine Seele die Bedürfniſſe und Wünſche des Volkes mit Wärme erfaßt, ſo würde doch ſchon ſein melancholiſches, leicht verletzliches Weſen ihn im allgemeinen an der Erlangung jener Volksthümlichkeit verhindern die bisweilen ebenſo ſehr durch die Form wie durch den Grund der Sympathie be- ſtimmt wird, wäre nicht überdieß die in einzelnen Fällen vielleicht zu weit getriebene Maxime des Alleinſtehens, des Dante’ſchen Far parte da se, ein Hinderniß auf dem Wege zum Erlangen allgemeineren Ein- fluſſes. Wie ſehr und in welchem Maße Tommaſéo verſchiedene Zweige der Litteratur gefördert hat, iſt beinahe unnöthig hier noch anzugeben, da ſeine Verdienſte um dieſelbe überall bekannt und gewürdigt ſind. Als philoſophiſcher Sprachgelehrter hat er namentlich durch ſein Sy- nonymen-Wörterbuch gewirkt, in welchem ſeine unermeßliche Beleſenheit ebenſo ſehr an den Tag kommt wie ſeine ſeltene Diſtinctionsgabe und Feinheit des Gefühls. Als Erklärer Dante’s hat er vollſtändiger und folgerichtiger als irgendeiner in Italien, vielfach übereinſtimmend mit deutſchen Commentatoren, den Zuſammenhang der göttlichen Komödie mit der Bibel und den Kirchenvätern, mit Ariſtoteles und den Quellen der theologiſch-philoſophiſchen Gelehrſamkeit des Mittelalters nachge- wieſen. Der Hiſtorie hat er durch ſeine Bearbeitung der venezianiſchen Geſandtſchaftsberichte über Frankreich und durch die von trefflicher Ein- leitung begleitete Sammlung der Briefe Paoli’s, von welchen in dieſen Blättern ausführlich die Rede war, koſtbares Material geboten oder zugänglicher gemacht. Die Kenntniß der Volkspoeſte, auf deren Er- forſchung in Italien noch nicht die gehörige Sorgfalt verwandt worden, hat er durch ſeine reiche Sammlung toscaniſcher, corſiſcher, illyriſcher, griechiſcher Volkslieder unendlich verbreitet, eine Sammlung welche na- mentlich in ihren beiden erſten Theilen, Toscana und Corſica umfaſ- ſend, nicht bloß wegen der in denſelben enthaltenen, bald anmuthigen, bald charakteriſtiſchen, bald geſchichtlich denkwürdigen Dichtungen, ſon- dern auch wegen der tief eingehenden, ſo ſcharfe Beobachtungsgabe wie warmes Gefühl verrathenden Schilderungen des Landvolkes, ſeiner Ge- ſinnung und Neigungen, unſchätzbar zu nennen ſind. Ich übergehe ſeine Leiſtungen als Aeſthetiker, Litterarhiſtoriker, philoſophiſcher Schriftſteller, in welcher letztern Beziehung ſeine geſammelten Aufſätze über das Erziehungsweſen, neuerdings mehrmals gedruckt, viele ge- ſunde und praktiſche Anſichten enthalten. Auf ſeinen Styl wirkt die Eigenthümlichkeit ſeines ganzen Weſens: er ſcheint oft gekünſtelt ohne es jedesmal zu ſeyn; bisweilen ſchadet eine Gedrängtheit oder Wort- ſtellung die etwas von Affectation hat dem freien Fluß; aber ſeine Schreibart und Darſtellung hat dann auch wieder große Feinheit und wahren majeſtätiſchen Schwung, und den Ton der Ueberzeugung und den Pulsſchlag des fühlenden Herzens. Es mögen irrige Anſichten, es mögen Fehler und Vorurtheile in Tommaſéo’s Schriften vorkommen; bei welchem Autor finden ſie ſich nicht? Aber Tommaſéo hat die Würde der Litteratur nie verkannt; er hat die Litteratur nicht als Parteiwerkzeug gebraucht: dazu iſt er zu ſtolz und zu unabhängig, zu ehrlich und zu ſehr alleinſtehend. Wie er denkt und fühlt hat er ſtets offen in ſeinen Werken ausgeſprochen, und hat ſich nie geſcheut ſeine Meinungen zu vertreten, ohne Furcht wie ohne auf Gunſt und Ungunſt zu achten, mochte es ſelbſt die Gunſt und Ungunſt ſeyn, wofür Schriftſteller im allgemeinen am empfänglichſten ſind, die des großen Publicums. Die Betrachtung daß er mit ſeinen Anſichten ſchwerlich durchdringen, ja daß er vielmehr einen Sturm gegen ſein eignes Haupt heraufbeſchwören werde, hat ihn nie gehindert ſeiner Ueberzeugung Worte zu geben. Vor mehr als zwölf Jahren erſchien in Paris ein anonymes Werk Tommaſéo’s: Dell’ Italia libri cinque, auch unter dem Titel: Scritti nuovi di Fra Girolamo Savonarola bekannt. Es war das Werk eines von dem Lande ſeiner Sehnſucht getrennt Lebenden — ein Um- ſtand der ſich in manchen Theilen in zu großer Herbheit ausſprach, ſo daß der Verfaſſer ſelbſt gegenwärtig ohne Zweifel manches zurückneh- men würde was er damals ſagte. Je weniger man nun aber alles in dieſem Buche billigen oder anerkennen kann, umſomehr muß man an- deres bewundern, welches die neueſten Verhältniſſe der Halbinſel ent- weder geahnt und vorherverkündet hat, oder in religiöſen wie in mora- liſchen und politiſchen Dingen die geſundeſten Anſichten bringt, den richtigſten Weg andeutet. Ein Auszug des heute noch Bedeutendſten aus dieſen beiden Bänden iſt vor ein paar Wochen zu Florenz erſchienen unter dem Titel: Delle nuove Speranze d’Italia. Presentimenti da un’ opera di Niccolò Tommaséo. Im erſten Theil wird von der

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 22. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine82_1848/11>, abgerufen am 23.11.2024.