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Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 22. März 1848.

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[Spaltenumbruch] Pflicht als Grundlage der Freiheit gehandelt; der zweite Theil enthält
die Anwendung der Theorien, insofern Erziehung, Municipalwesen,
Regierung und die Religion als Befördererin der Civilisation dabei in
Betracht kommen. Die Lecütre dieses Büchleins kann, wenn man auch
nicht alle Meinungen theilen sollte, nur Verehrung und Liebe für den
Verfasser wecken, denn nur ein guter und ein rechtlicher Mensch kann
so schreiben.

"Laßt uns, sagt er, das hinter uns liegende Unglück zur Besserung
benützen. Wenn wir über die Ursachen nachdenken welche den vergan-
genen. Revolutionen so elenden Ausgang bereiteten, so werden wir sehen
daß sie irreligiös waren, in sich unsicher, dem Volke mißtrauend; daß
sie den Namen, nicht das Wesen der Dinge zu ändern sich bestrebten;
daß sie sich nicht auf die Vergangenheit stützten, vielmehr in offnen
Kampf mit ihr sich einlassen wollten. Das waren schwere, mit Recht
bestrafte Verirrungen. Die Erfahrung lehrt uns daß ein Stärkerer
als wir nach uns kommen muß -- ein Stärkerer, welcher mit einem
Fuß auf der Vergangenheit, mit dem andern nach der noch nicht
festgestalteten Zukunft hinüberzuschreiten in Begriff steht. Wir sahen
alle die welche in neuen Religionen neue Freiheit suchten inmitten der
Mißachtung fallen, weil sie mit beiden Füßen auf einmal in die Zu-
kunft sprangen; wir sahen die blinden Anhänger der französischen und
spanischen Constitutionen wie der Republik ihr Ziel verfehlen, weil
sklavische Nachahmer und weil sie Wirkung mit Ursache verwechselten.
Hätte das Unglück uns sonst nichts gefruchtet und nichts gebracht als
diese zugleich glückliche und schreckliche Nothwendigkeit zum höchsten
Ursprung der menschlichen Dinge zurückzugehen um die Fragen des
praktischen Lebens zu lösen, so wäre dieß schon bedeutender Gewinn.
Jeder Tag mildert die Herbheit der ersehnten Frucht. Mächtig und
gewaltsam bewegen sich die Meinungen, und die Berührung erzeugt
Licht und Wärme. Aus der festeren Gestaltung schwankender Meinun-
gen, aus dem Klarwerden der verworrenen wird eine neue aufsteigen,
zu welcher vorerst die Verständigeren der streitenden Parteien sich be-
kennen werden, die Massen sodann, froh eine bestimmte Idee gefunden
zu haben, endlich alle. Von selbst werden dann die verpönten Gemein-
schaften sich auflösen, nachdem auch sie in gewisser Art die Sache der
Gerechtigkeit gefördert haben: von selbst wird die wahre Gemein-
schaft, das ist die Nation, sich bilden.
Auf zufällige Erfah-
rungen ganz sich verlassen nützt zu nichts; aber unerwartete Erfah-
rungen, d. h. die Lehren der Vorsehung, kann man weder vermeiden
noch verkennen. Und sehet, während die Menschen unthätig liegen,
schreiten die Dinge vorwärts; unter dieser drohenden Ruhe gährt eine
wunderbare, unüberwindliche Bewegung. Wir wagen der Wahrheit
nicht entgegenzutreten, aber die Wahrheit kommt zu uns, erhellt uns
mit ihrem Licht, gewöhnt uns an die ernste Lust ihrer edlen Liebe.
Wandernd oder fortgerissen oder getragen haben wir weiten Weg zu-
rückgelegt.

"Wüthen, Verschwörungen, Träume von Verschwörungen verän-
dern den Zustand der Völker nicht. Das Ziel derer welche wahre Frei-
heit suchen, sey erst ein moralisches, dann ein politisches. Zugleich
moralischer und politischer Zweck sey es in den Seelen der Italiener
das Bewußtseyn der eignen Würde wieder aufleben zu machen. Dieser
Zweck wird nicht erreicht, indem man einige vom Alfteri oder Napoleon,
oder aus französischen Zeitungen gelernte Phrasen wiederholt, sondern
sich und andere erzieht Scham und Mitleid mit gemeinsamem Elend zu
empfinden. Viele welche für Freiheit glühen denken nicht an die Na-
tion; nach sich, nach den Freunden, nach fremden Büchern, nach ab-
stracten Sätzen schließen sie auf den Zustand der Völker und den Aus-
gang der Unternehmungen. Jede Freiheit verlangt Garantien, und
die Garantien verlangen bestimmte Formen: es kommt darauf an zu
erkennen ob die Formen Grund oder Wirkung der Freiheit sind. Frei-
heit und Tyrannei werden beide von den streitenden Parteien Recht
genannt. Es ist aber nöthig einen richtigen Begriff vom Recht zu
haben, ohne welchen Freiheit und Souveränetät und Constitution bloße
Namen voll Dunkel und Gefahren sind. Die Idee des Rechts gründet
sich lediglich auf die Idee der Pflicht. Je mehr die Civilisation vor-
wärts schreitet, umsomehr verbindet sich die Pflicht mit dem Recht,
mit der Liebe, mit dem Genuß; sie erweitert sich statt zu sterben.

"Ein posttives Princip, sey es religiöser oder politischer Natur, ist
es auch mit Irrthum behaftet, wird flets ein negatives Princip besiegen.
Negative Freiheit, wie sie jetzt in den Köpfen der meisten steckt, wird im-
mer wieder dem Absolutismus verfallen. Die große Masse der Refor-
[Spaltenumbruch] matoren glaubt zu erneuern indem sie zerstört und verneint, und die
Pflichten verfälscht und erleichtert. Alle mächtigen Ordner hingegen
neuer Gesellschaften, Religionen, Wissenschaften erbauten, stützten, er-
höhten auf schon Vorhandenem, und um unbequeme Last zu erleichtern,
wahrten sie die Heiligkeit der Pflicht ans der sie neue Folgerungen zogen."
Und von der Religion allein kann die wahre Wiederbelebung Italiens
ausgehen; das Schicksal Italiens ist in der Hand des Priesters; nur der
katholische Glaube kann den heiligen Bund der Völker kräftigen und
thätig machen.

Diese sind einige wenige von den allgemeinen Grundsätzen welche
Tommaseo ausspricht. Blicken wir nun auf andere mehr specielle Theile,
auf jenen z. B. welcher von den politischen Auwendungen des Rechts
handelt.

"Sieht man doch, sagt er, in der Souveränetät ein bloßes
Recht oder wieder eine bloße Pflicht, so ist sie weder in dem Regierenden
noch in den Regierten. Der Regierende hat seine Rechte als oberster
Verwalter des Volkes: das Volk hat seine Rechte in Folge eigener wie
anderer Pflichten. Die streitigen Rechte schreiben sich lediglich von dem
Nichterkennen der Gegenseitigkeit der Pflichten her. Die wahre Souve-
ränetät besteht in der Macht das Gute zu thun, das Böse zu hindern.
Diese Macht kann von der materiellen Gewalt ganz getrennt werden. Das
Volk kann nicht verwalten. Nun aber gibt sich heutzutage die Souverä-
netät mehr im Verwalten kund als in anderm: Beweis genug daß wir
Neueren von der Souveränetät falsche Begriffe haben und Volkssouverä-
netät in unsern Tagen ein lächerlicher Titel ist. Ist das Volk souverän in
der materiellen und despotischen Bedeutung des Wortes, so muß ein Theil
des Volkes weniger als Volk seyn. So waren es einst die Knechte und Skla-
ven, so waren es während der französischen Revolution die Königlichen, die
Gemäßigten oder der Mäßigung Beargwohnten. Das Volk hat keinen
Anspruch nach seinem Willen sondern gemäß der Gerechtigkeit regiert
zu werden. Die wahre Souveränität des Volkes besteht darin dem Re-
gierenden nichts der Pflicht entgegenlaufendes zu gestalten: ein Volk
ist dann souverän wenn es seine eignen Pflichten recht begreift; Herr-
scher ist der sich selber beherrscht, und des Regierenden höhere Rechte
schreiben sich von den höheren Pflichten her. Wer die Regierung in
Händen hat, soll so wenig selbst handeln als möglich, so viel nur
als hinreicht um zum Handeln zu veranlassen.

"Regierungsformen schaffen keine Nation: es kann nur das Um-
gekehrte stattfinden. Eine Form, ist sie nicht gewissermaßen durch die
Natur der Dinge geschaffen, kann außer ihren eignen Mängeln noch die
der entgegengesetzten Form haben: die Republik kann Tyrannei, die
Monarchie Anarchie seyn. Wer für die eine oder die andere Consti-
tution streitet ohne das Volk zur Freiheit, das heißt zur Erfüllung der
eigenen Pflichten zu erziehen, streitet um des Esels Schatten. Die
Normen jeder guten Verfassung sind durch die Geschichte selbst der
Nation gegeben, sie sind in ihr mehr denn Frucht im Keim. Jeder
gewaltsame Schritt ist Rückschritt. Die Politik ist Erfahrungswissen-
schaft und hat bisher stets nach dem Zufall, nach Leidenschaften, nach
luftigen Theorien gehandelt."

Und nun eine Bezeichnung der Aufgabe der Regierungen, ein
Rath dessen Befolgung, wenn sie in solcher Zeit möglich, die italie-
nischen Staaten vor mancher Verlegenheit und Unruhe bewahrt
haben würde:

"Eine Hauptbedingung guter Regierung ist die Raschheit
des Handelns. Langsame Gerechtigkeit ist wie Ungerechtigkeit. Gott
allein kann aufschieben, weil er nur für unsere Kurzsichtigkeit aufschiebt
und jeder Moment zugleich Urtheil und unwiderrufliche Ausführung
des Urtheils ist. Langsame Gerechtigkeit ist Zeichen der Schwäche
mehr noch als der Böswilligkeit. Eine andere nothwendige Bedingung
ist die Sicherheit. In politischen Dingen schadet sicheres Uebel oft
weniger als unsicheres Gut. Denn letzteres veranlaßt Hoffnungen und
die Hoffnungen nähren Illusionen und die Illusionen bringen Ent-
täuschungen, welche in nicht ganz edlen Seelen Haß und Rache schüren.
Die gefährlichsten Mißvergnügten sind die Getäuschten und Enttäuschten.
Den das Befreiungswerk versuchenden Fürsten und Völkern sollte es
also heiliger Grundsatz seyn: Lasset der Hoffnung nicht zu weiten
Spielraum. Bestimmt wohin ihr zu gelangen, wohin ihr
andere gelangen zu lassen vorhabt.
Dann weiß jeder was er
wirken und lassen, denken und wollen soll."

Eine große politische Umgestaltung, soll sie zu wünschenswerthem
Ziel führen, muß sich auf die Massen stützen, auf das Landvolk nament-
lich, bei welchem der Begriff und das Wesen der Familie, ohne welche
keine ächte Regeneration möglich ist, sich besser erhalten hat als in den

[Spaltenumbruch] Pflicht als Grundlage der Freiheit gehandelt; der zweite Theil enthält
die Anwendung der Theorien, inſofern Erziehung, Municipalweſen,
Regierung und die Religion als Befördererin der Civiliſation dabei in
Betracht kommen. Die Lecütre dieſes Büchleins kann, wenn man auch
nicht alle Meinungen theilen ſollte, nur Verehrung und Liebe für den
Verfaſſer wecken, denn nur ein guter und ein rechtlicher Menſch kann
ſo ſchreiben.

„Laßt uns, ſagt er, das hinter uns liegende Unglück zur Beſſerung
benützen. Wenn wir über die Urſachen nachdenken welche den vergan-
genen. Revolutionen ſo elenden Ausgang bereiteten, ſo werden wir ſehen
daß ſie irreligiös waren, in ſich unſicher, dem Volke mißtrauend; daß
ſie den Namen, nicht das Weſen der Dinge zu ändern ſich beſtrebten;
daß ſie ſich nicht auf die Vergangenheit ſtützten, vielmehr in offnen
Kampf mit ihr ſich einlaſſen wollten. Das waren ſchwere, mit Recht
beſtrafte Verirrungen. Die Erfahrung lehrt uns daß ein Stärkerer
als wir nach uns kommen muß — ein Stärkerer, welcher mit einem
Fuß auf der Vergangenheit, mit dem andern nach der noch nicht
feſtgeſtalteten Zukunft hinüberzuſchreiten in Begriff ſteht. Wir ſahen
alle die welche in neuen Religionen neue Freiheit ſuchten inmitten der
Mißachtung fallen, weil ſie mit beiden Füßen auf einmal in die Zu-
kunft ſprangen; wir ſahen die blinden Anhänger der franzöſiſchen und
ſpaniſchen Conſtitutionen wie der Republik ihr Ziel verfehlen, weil
ſklaviſche Nachahmer und weil ſie Wirkung mit Urſache verwechſelten.
Hätte das Unglück uns ſonſt nichts gefruchtet und nichts gebracht als
dieſe zugleich glückliche und ſchreckliche Nothwendigkeit zum höchſten
Urſprung der menſchlichen Dinge zurückzugehen um die Fragen des
praktiſchen Lebens zu löſen, ſo wäre dieß ſchon bedeutender Gewinn.
Jeder Tag mildert die Herbheit der erſehnten Frucht. Mächtig und
gewaltſam bewegen ſich die Meinungen, und die Berührung erzeugt
Licht und Wärme. Aus der feſteren Geſtaltung ſchwankender Meinun-
gen, aus dem Klarwerden der verworrenen wird eine neue aufſteigen,
zu welcher vorerſt die Verſtändigeren der ſtreitenden Parteien ſich be-
kennen werden, die Maſſen ſodann, froh eine beſtimmte Idee gefunden
zu haben, endlich alle. Von ſelbſt werden dann die verpönten Gemein-
ſchaften ſich auflöſen, nachdem auch ſie in gewiſſer Art die Sache der
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ſchaft, das iſt die Nation, ſich bilden.
Auf zufällige Erfah-
rungen ganz ſich verlaſſen nützt zu nichts; aber unerwartete Erfah-
rungen, d. h. die Lehren der Vorſehung, kann man weder vermeiden
noch verkennen. Und ſehet, während die Menſchen unthätig liegen,
ſchreiten die Dinge vorwärts; unter dieſer drohenden Ruhe gährt eine
wunderbare, unüberwindliche Bewegung. Wir wagen der Wahrheit
nicht entgegenzutreten, aber die Wahrheit kommt zu uns, erhellt uns
mit ihrem Licht, gewöhnt uns an die ernſte Luſt ihrer edlen Liebe.
Wandernd oder fortgeriſſen oder getragen haben wir weiten Weg zu-
rückgelegt.

„Wüthen, Verſchwörungen, Träume von Verſchwörungen verän-
dern den Zuſtand der Völker nicht. Das Ziel derer welche wahre Frei-
heit ſuchen, ſey erſt ein moraliſches, dann ein politiſches. Zugleich
moraliſcher und politiſcher Zweck ſey es in den Seelen der Italiener
das Bewußtſeyn der eignen Würde wieder aufleben zu machen. Dieſer
Zweck wird nicht erreicht, indem man einige vom Alfteri oder Napoleon,
oder aus franzöſiſchen Zeitungen gelernte Phraſen wiederholt, ſondern
ſich und andere erzieht Scham und Mitleid mit gemeinſamem Elend zu
empfinden. Viele welche für Freiheit glühen denken nicht an die Na-
tion; nach ſich, nach den Freunden, nach fremden Büchern, nach ab-
ſtracten Sätzen ſchließen ſie auf den Zuſtand der Völker und den Aus-
gang der Unternehmungen. Jede Freiheit verlangt Garantien, und
die Garantien verlangen beſtimmte Formen: es kommt darauf an zu
erkennen ob die Formen Grund oder Wirkung der Freiheit ſind. Frei-
heit und Tyrannei werden beide von den ſtreitenden Parteien Recht
genannt. Es iſt aber nöthig einen richtigen Begriff vom Recht zu
haben, ohne welchen Freiheit und Souveränetät und Conſtitution bloße
Namen voll Dunkel und Gefahren ſind. Die Idee des Rechts gründet
ſich lediglich auf die Idee der Pflicht. Je mehr die Civiliſation vor-
wärts ſchreitet, umſomehr verbindet ſich die Pflicht mit dem Recht,
mit der Liebe, mit dem Genuß; ſie erweitert ſich ſtatt zu ſterben.

„Ein poſttives Princip, ſey es religiöſer oder politiſcher Natur, iſt
es auch mit Irrthum behaftet, wird flets ein negatives Princip beſiegen.
Negative Freiheit, wie ſie jetzt in den Köpfen der meiſten ſteckt, wird im-
mer wieder dem Abſolutismus verfallen. Die große Maſſe der Refor-
[Spaltenumbruch] matoren glaubt zu erneuern indem ſie zerſtört und verneint, und die
Pflichten verfälſcht und erleichtert. Alle mächtigen Ordner hingegen
neuer Geſellſchaften, Religionen, Wiſſenſchaften erbauten, ſtützten, er-
höhten auf ſchon Vorhandenem, und um unbequeme Laſt zu erleichtern,
wahrten ſie die Heiligkeit der Pflicht ans der ſie neue Folgerungen zogen.“
Und von der Religion allein kann die wahre Wiederbelebung Italiens
ausgehen; das Schickſal Italiens iſt in der Hand des Prieſters; nur der
katholiſche Glaube kann den heiligen Bund der Völker kräftigen und
thätig machen.

Dieſe ſind einige wenige von den allgemeinen Grundſätzen welche
Tommaſeo ausſpricht. Blicken wir nun auf andere mehr ſpecielle Theile,
auf jenen z. B. welcher von den politiſchen Auwendungen des Rechts
handelt.

„Sieht man doch, ſagt er, in der Souveränetät ein bloßes
Recht oder wieder eine bloße Pflicht, ſo iſt ſie weder in dem Regierenden
noch in den Regierten. Der Regierende hat ſeine Rechte als oberſter
Verwalter des Volkes: das Volk hat ſeine Rechte in Folge eigener wie
anderer Pflichten. Die ſtreitigen Rechte ſchreiben ſich lediglich von dem
Nichterkennen der Gegenſeitigkeit der Pflichten her. Die wahre Souve-
ränetät beſteht in der Macht das Gute zu thun, das Böſe zu hindern.
Dieſe Macht kann von der materiellen Gewalt ganz getrennt werden. Das
Volk kann nicht verwalten. Nun aber gibt ſich heutzutage die Souverä-
netät mehr im Verwalten kund als in anderm: Beweis genug daß wir
Neueren von der Souveränetät falſche Begriffe haben und Volksſouverä-
netät in unſern Tagen ein lächerlicher Titel iſt. Iſt das Volk ſouverän in
der materiellen und deſpotiſchen Bedeutung des Wortes, ſo muß ein Theil
des Volkes weniger als Volk ſeyn. So waren es einſt die Knechte und Skla-
ven, ſo waren es während der franzöſiſchen Revolution die Königlichen, die
Gemäßigten oder der Mäßigung Beargwohnten. Das Volk hat keinen
Anſpruch nach ſeinem Willen ſondern gemäß der Gerechtigkeit regiert
zu werden. Die wahre Souveränität des Volkes beſteht darin dem Re-
gierenden nichts der Pflicht entgegenlaufendes zu geſtalten: ein Volk
iſt dann ſouverän wenn es ſeine eignen Pflichten recht begreift; Herr-
ſcher iſt der ſich ſelber beherrſcht, und des Regierenden höhere Rechte
ſchreiben ſich von den höheren Pflichten her. Wer die Regierung in
Händen hat, ſoll ſo wenig ſelbſt handeln als möglich, ſo viel nur
als hinreicht um zum Handeln zu veranlaſſen.

„Regierungsformen ſchaffen keine Nation: es kann nur das Um-
gekehrte ſtattfinden. Eine Form, iſt ſie nicht gewiſſermaßen durch die
Natur der Dinge geſchaffen, kann außer ihren eignen Mängeln noch die
der entgegengeſetzten Form haben: die Republik kann Tyrannei, die
Monarchie Anarchie ſeyn. Wer für die eine oder die andere Conſti-
tution ſtreitet ohne das Volk zur Freiheit, das heißt zur Erfüllung der
eigenen Pflichten zu erziehen, ſtreitet um des Eſels Schatten. Die
Normen jeder guten Verfaſſung ſind durch die Geſchichte ſelbſt der
Nation gegeben, ſie ſind in ihr mehr denn Frucht im Keim. Jeder
gewaltſame Schritt iſt Rückſchritt. Die Politik iſt Erfahrungswiſſen-
ſchaft und hat bisher ſtets nach dem Zufall, nach Leidenſchaften, nach
luftigen Theorien gehandelt.“

Und nun eine Bezeichnung der Aufgabe der Regierungen, ein
Rath deſſen Befolgung, wenn ſie in ſolcher Zeit möglich, die italie-
niſchen Staaten vor mancher Verlegenheit und Unruhe bewahrt
haben würde:

„Eine Hauptbedingung guter Regierung iſt die Raſchheit
des Handelns. Langſame Gerechtigkeit iſt wie Ungerechtigkeit. Gott
allein kann aufſchieben, weil er nur für unſere Kurzſichtigkeit aufſchiebt
und jeder Moment zugleich Urtheil und unwiderrufliche Ausführung
des Urtheils iſt. Langſame Gerechtigkeit iſt Zeichen der Schwäche
mehr noch als der Böswilligkeit. Eine andere nothwendige Bedingung
iſt die Sicherheit. In politiſchen Dingen ſchadet ſicheres Uebel oft
weniger als unſicheres Gut. Denn letzteres veranlaßt Hoffnungen und
die Hoffnungen nähren Illuſionen und die Illuſionen bringen Ent-
täuſchungen, welche in nicht ganz edlen Seelen Haß und Rache ſchüren.
Die gefährlichſten Mißvergnügten ſind die Getäuſchten und Enttäuſchten.
Den das Befreiungswerk verſuchenden Fürſten und Völkern ſollte es
alſo heiliger Grundſatz ſeyn: Laſſet der Hoffnung nicht zu weiten
Spielraum. Beſtimmt wohin ihr zu gelangen, wohin ihr
andere gelangen zu laſſen vorhabt.
Dann weiß jeder was er
wirken und laſſen, denken und wollen ſoll.“

Eine große politiſche Umgeſtaltung, ſoll ſie zu wünſchenswerthem
Ziel führen, muß ſich auf die Maſſen ſtützen, auf das Landvolk nament-
lich, bei welchem der Begriff und das Weſen der Familie, ohne welche
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[0012] Pflicht als Grundlage der Freiheit gehandelt; der zweite Theil enthält die Anwendung der Theorien, inſofern Erziehung, Municipalweſen, Regierung und die Religion als Befördererin der Civiliſation dabei in Betracht kommen. Die Lecütre dieſes Büchleins kann, wenn man auch nicht alle Meinungen theilen ſollte, nur Verehrung und Liebe für den Verfaſſer wecken, denn nur ein guter und ein rechtlicher Menſch kann ſo ſchreiben. „Laßt uns, ſagt er, das hinter uns liegende Unglück zur Beſſerung benützen. Wenn wir über die Urſachen nachdenken welche den vergan- genen. Revolutionen ſo elenden Ausgang bereiteten, ſo werden wir ſehen daß ſie irreligiös waren, in ſich unſicher, dem Volke mißtrauend; daß ſie den Namen, nicht das Weſen der Dinge zu ändern ſich beſtrebten; daß ſie ſich nicht auf die Vergangenheit ſtützten, vielmehr in offnen Kampf mit ihr ſich einlaſſen wollten. Das waren ſchwere, mit Recht beſtrafte Verirrungen. Die Erfahrung lehrt uns daß ein Stärkerer als wir nach uns kommen muß — ein Stärkerer, welcher mit einem Fuß auf der Vergangenheit, mit dem andern nach der noch nicht feſtgeſtalteten Zukunft hinüberzuſchreiten in Begriff ſteht. Wir ſahen alle die welche in neuen Religionen neue Freiheit ſuchten inmitten der Mißachtung fallen, weil ſie mit beiden Füßen auf einmal in die Zu- kunft ſprangen; wir ſahen die blinden Anhänger der franzöſiſchen und ſpaniſchen Conſtitutionen wie der Republik ihr Ziel verfehlen, weil ſklaviſche Nachahmer und weil ſie Wirkung mit Urſache verwechſelten. Hätte das Unglück uns ſonſt nichts gefruchtet und nichts gebracht als dieſe zugleich glückliche und ſchreckliche Nothwendigkeit zum höchſten Urſprung der menſchlichen Dinge zurückzugehen um die Fragen des praktiſchen Lebens zu löſen, ſo wäre dieß ſchon bedeutender Gewinn. Jeder Tag mildert die Herbheit der erſehnten Frucht. Mächtig und gewaltſam bewegen ſich die Meinungen, und die Berührung erzeugt Licht und Wärme. Aus der feſteren Geſtaltung ſchwankender Meinun- gen, aus dem Klarwerden der verworrenen wird eine neue aufſteigen, zu welcher vorerſt die Verſtändigeren der ſtreitenden Parteien ſich be- kennen werden, die Maſſen ſodann, froh eine beſtimmte Idee gefunden zu haben, endlich alle. Von ſelbſt werden dann die verpönten Gemein- ſchaften ſich auflöſen, nachdem auch ſie in gewiſſer Art die Sache der Gerechtigkeit gefördert haben: von ſelbſt wird die wahre Gemein- ſchaft, das iſt die Nation, ſich bilden. Auf zufällige Erfah- rungen ganz ſich verlaſſen nützt zu nichts; aber unerwartete Erfah- rungen, d. h. die Lehren der Vorſehung, kann man weder vermeiden noch verkennen. Und ſehet, während die Menſchen unthätig liegen, ſchreiten die Dinge vorwärts; unter dieſer drohenden Ruhe gährt eine wunderbare, unüberwindliche Bewegung. Wir wagen der Wahrheit nicht entgegenzutreten, aber die Wahrheit kommt zu uns, erhellt uns mit ihrem Licht, gewöhnt uns an die ernſte Luſt ihrer edlen Liebe. Wandernd oder fortgeriſſen oder getragen haben wir weiten Weg zu- rückgelegt. „Wüthen, Verſchwörungen, Träume von Verſchwörungen verän- dern den Zuſtand der Völker nicht. Das Ziel derer welche wahre Frei- heit ſuchen, ſey erſt ein moraliſches, dann ein politiſches. Zugleich moraliſcher und politiſcher Zweck ſey es in den Seelen der Italiener das Bewußtſeyn der eignen Würde wieder aufleben zu machen. Dieſer Zweck wird nicht erreicht, indem man einige vom Alfteri oder Napoleon, oder aus franzöſiſchen Zeitungen gelernte Phraſen wiederholt, ſondern ſich und andere erzieht Scham und Mitleid mit gemeinſamem Elend zu empfinden. Viele welche für Freiheit glühen denken nicht an die Na- tion; nach ſich, nach den Freunden, nach fremden Büchern, nach ab- ſtracten Sätzen ſchließen ſie auf den Zuſtand der Völker und den Aus- gang der Unternehmungen. Jede Freiheit verlangt Garantien, und die Garantien verlangen beſtimmte Formen: es kommt darauf an zu erkennen ob die Formen Grund oder Wirkung der Freiheit ſind. Frei- heit und Tyrannei werden beide von den ſtreitenden Parteien Recht genannt. Es iſt aber nöthig einen richtigen Begriff vom Recht zu haben, ohne welchen Freiheit und Souveränetät und Conſtitution bloße Namen voll Dunkel und Gefahren ſind. Die Idee des Rechts gründet ſich lediglich auf die Idee der Pflicht. Je mehr die Civiliſation vor- wärts ſchreitet, umſomehr verbindet ſich die Pflicht mit dem Recht, mit der Liebe, mit dem Genuß; ſie erweitert ſich ſtatt zu ſterben. „Ein poſttives Princip, ſey es religiöſer oder politiſcher Natur, iſt es auch mit Irrthum behaftet, wird flets ein negatives Princip beſiegen. Negative Freiheit, wie ſie jetzt in den Köpfen der meiſten ſteckt, wird im- mer wieder dem Abſolutismus verfallen. Die große Maſſe der Refor- matoren glaubt zu erneuern indem ſie zerſtört und verneint, und die Pflichten verfälſcht und erleichtert. Alle mächtigen Ordner hingegen neuer Geſellſchaften, Religionen, Wiſſenſchaften erbauten, ſtützten, er- höhten auf ſchon Vorhandenem, und um unbequeme Laſt zu erleichtern, wahrten ſie die Heiligkeit der Pflicht ans der ſie neue Folgerungen zogen.“ Und von der Religion allein kann die wahre Wiederbelebung Italiens ausgehen; das Schickſal Italiens iſt in der Hand des Prieſters; nur der katholiſche Glaube kann den heiligen Bund der Völker kräftigen und thätig machen. Dieſe ſind einige wenige von den allgemeinen Grundſätzen welche Tommaſeo ausſpricht. Blicken wir nun auf andere mehr ſpecielle Theile, auf jenen z. B. welcher von den politiſchen Auwendungen des Rechts handelt. „Sieht man doch, ſagt er, in der Souveränetät ein bloßes Recht oder wieder eine bloße Pflicht, ſo iſt ſie weder in dem Regierenden noch in den Regierten. Der Regierende hat ſeine Rechte als oberſter Verwalter des Volkes: das Volk hat ſeine Rechte in Folge eigener wie anderer Pflichten. Die ſtreitigen Rechte ſchreiben ſich lediglich von dem Nichterkennen der Gegenſeitigkeit der Pflichten her. Die wahre Souve- ränetät beſteht in der Macht das Gute zu thun, das Böſe zu hindern. Dieſe Macht kann von der materiellen Gewalt ganz getrennt werden. Das Volk kann nicht verwalten. Nun aber gibt ſich heutzutage die Souverä- netät mehr im Verwalten kund als in anderm: Beweis genug daß wir Neueren von der Souveränetät falſche Begriffe haben und Volksſouverä- netät in unſern Tagen ein lächerlicher Titel iſt. Iſt das Volk ſouverän in der materiellen und deſpotiſchen Bedeutung des Wortes, ſo muß ein Theil des Volkes weniger als Volk ſeyn. So waren es einſt die Knechte und Skla- ven, ſo waren es während der franzöſiſchen Revolution die Königlichen, die Gemäßigten oder der Mäßigung Beargwohnten. Das Volk hat keinen Anſpruch nach ſeinem Willen ſondern gemäß der Gerechtigkeit regiert zu werden. Die wahre Souveränität des Volkes beſteht darin dem Re- gierenden nichts der Pflicht entgegenlaufendes zu geſtalten: ein Volk iſt dann ſouverän wenn es ſeine eignen Pflichten recht begreift; Herr- ſcher iſt der ſich ſelber beherrſcht, und des Regierenden höhere Rechte ſchreiben ſich von den höheren Pflichten her. Wer die Regierung in Händen hat, ſoll ſo wenig ſelbſt handeln als möglich, ſo viel nur als hinreicht um zum Handeln zu veranlaſſen. „Regierungsformen ſchaffen keine Nation: es kann nur das Um- gekehrte ſtattfinden. Eine Form, iſt ſie nicht gewiſſermaßen durch die Natur der Dinge geſchaffen, kann außer ihren eignen Mängeln noch die der entgegengeſetzten Form haben: die Republik kann Tyrannei, die Monarchie Anarchie ſeyn. Wer für die eine oder die andere Conſti- tution ſtreitet ohne das Volk zur Freiheit, das heißt zur Erfüllung der eigenen Pflichten zu erziehen, ſtreitet um des Eſels Schatten. Die Normen jeder guten Verfaſſung ſind durch die Geſchichte ſelbſt der Nation gegeben, ſie ſind in ihr mehr denn Frucht im Keim. Jeder gewaltſame Schritt iſt Rückſchritt. Die Politik iſt Erfahrungswiſſen- ſchaft und hat bisher ſtets nach dem Zufall, nach Leidenſchaften, nach luftigen Theorien gehandelt.“ Und nun eine Bezeichnung der Aufgabe der Regierungen, ein Rath deſſen Befolgung, wenn ſie in ſolcher Zeit möglich, die italie- niſchen Staaten vor mancher Verlegenheit und Unruhe bewahrt haben würde: „Eine Hauptbedingung guter Regierung iſt die Raſchheit des Handelns. Langſame Gerechtigkeit iſt wie Ungerechtigkeit. Gott allein kann aufſchieben, weil er nur für unſere Kurzſichtigkeit aufſchiebt und jeder Moment zugleich Urtheil und unwiderrufliche Ausführung des Urtheils iſt. Langſame Gerechtigkeit iſt Zeichen der Schwäche mehr noch als der Böswilligkeit. Eine andere nothwendige Bedingung iſt die Sicherheit. In politiſchen Dingen ſchadet ſicheres Uebel oft weniger als unſicheres Gut. Denn letzteres veranlaßt Hoffnungen und die Hoffnungen nähren Illuſionen und die Illuſionen bringen Ent- täuſchungen, welche in nicht ganz edlen Seelen Haß und Rache ſchüren. Die gefährlichſten Mißvergnügten ſind die Getäuſchten und Enttäuſchten. Den das Befreiungswerk verſuchenden Fürſten und Völkern ſollte es alſo heiliger Grundſatz ſeyn: Laſſet der Hoffnung nicht zu weiten Spielraum. Beſtimmt wohin ihr zu gelangen, wohin ihr andere gelangen zu laſſen vorhabt. Dann weiß jeder was er wirken und laſſen, denken und wollen ſoll.“ Eine große politiſche Umgeſtaltung, ſoll ſie zu wünſchenswerthem Ziel führen, muß ſich auf die Maſſen ſtützen, auf das Landvolk nament- lich, bei welchem der Begriff und das Weſen der Familie, ohne welche keine ächte Regeneration möglich iſt, ſich beſſer erhalten hat als in den

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 22. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine82_1848/12>, abgerufen am 03.12.2024.