Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848.[Spaltenumbruch]
sich noch je zuweilen die Brille auf der Nase von einem Auge zum andern, Italienische Reisefragmente. Rom, 5 März.XV. Mitten in das Toben des Carnevals stürzte Diesen Franzosen der Gegenwart gegenüber, diesen abstracten Die Deutschen in Rom gehören sehr verschiedenen Parteien an. 6 März. Die Nachrichten wurden bedenklicher, die Aufregung [Spaltenumbruch]
ſich noch je zuweilen die Brille auf der Naſe von einem Auge zum andern, Italieniſche Reiſefragmente. ∸ Rom, 5 März.XV. Mitten in das Toben des Carnevals ſtürzte Dieſen Franzoſen der Gegenwart gegenüber, dieſen abſtracten Die Deutſchen in Rom gehören ſehr verſchiedenen Parteien an. 6 März. Die Nachrichten wurden bedenklicher, die Aufregung <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div type="jComment" n="4"> <p><pb facs="#f0013" n="1325"/><cb/> ſich noch je zuweilen die Brille auf der Naſe von einem Auge zum andern,<lb/> um genau zuzuſehen ob, was geſchehen iſt, wirklich geſchehen iſt. Während<lb/> der Revolution ſelber erſchienen kaum zweihundert eigentliche National-<lb/> gardiſten zwiſchen der Armee und dem Volk; aber <hi rendition="#g">falſche</hi> National-<lb/> gardiſten erſchienen in Menge, Leute aus dem Volk denen die Häupter<lb/> des ſocialiſtiſchen Republicanismus aufgekaufte Uniformen der National-<lb/> garden angethan hatten. Die Bürgerſchaft alſo hatte ſich gar nicht er-<lb/> klärt. Nach der Revolution eilte alles zu den Waffen, ließ ſich alles in<lb/> Maſſe in die Nationalgarde einſchreiben, ſie ward voll und übervoll.<lb/> Neben den geſtürzten Anhängern der orleaniſtiſchen Partei erſchienen<lb/> die Legitimiſten, aber beſonders drängten Odilon-Barrot und Thiers,<lb/> die geſtürzte Oppoſition, um die Nationalgarde ſo viel wie möglich zu<lb/> vermehren aus dem ganzen geſchloſſenen Bürgerſtande, in Reih und<lb/> Glieder. Dieſe Lage der Dinge wollen die Clubs durch Hülfe der<lb/> Handwerkerclaſſe ſprengen, die Compagnien der beſtehenden National-<lb/> garde vollkommen desorganiſiren, fremde und Volkselemente in Maſſe<lb/> in dieſelbe einführen. Der Miniſter des Innern, welcher ſeinen Com-<lb/> miſſarien in den Departements die bekannten unbegränzten Gewalten<lb/> gegeben, hat ebenfalls unternommen die gänzliche Reviſion und Um-<lb/> änderung der Nationalgarde durch das Volk ins Mittel zu bringen.<lb/> Das iſt die jetzige Kriſe in Paris, wo der Handwerkerſtand und die<lb/> Bürgerclaſſe momentan in verwirrenden Verhältniſſen ſich verſtrickt<lb/> finden. Dieſe Lage iſt ſchwierig, ihre Entwickelung noch nicht am Ende.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Italieniſche Reiſefragmente.</hi><lb/> <hi rendition="#aq">XV.</hi> </hi> </head><lb/> <dateline>∸ <hi rendition="#b">Rom,</hi> 5 März.</dateline> <p>Mitten in das Toben des Carnevals ſtürzte<lb/> die Nachricht von der Revolution in Frankreich. Im erſten Augenblick<lb/> war man geneigt ſie für einen ungeſchickten Satyrſpaß zu halten. Ein<lb/> Franzoſe, dem ich ſie mittheilte, ward blaß und zitterte; als ich ihm das<lb/> Extrablatt der Genueſer Zeitung vorhielt durch welches die Marſeiller<lb/> telegraphiſchen Nachrichten hier zuerſt bekannt wurden, röthete ſich<lb/> plötzlich wieder ſein Geſicht, er lachte: „Mein Herr, das iſt italieniſch!“<lb/> In dieſem Geruch ſtehen hier die italieniſchen Zeitungsnachrichten. Die<lb/> Wahrheit brach nur zu bald durch. Alles iſt Wahrheit?! rief und fragte<lb/> man ſich zu; das ganze volle Maß des Unbegreiflichen? Ich ſchreibe<lb/> Ihnen nicht aus Rom über die franzöſiſche Revolution in Paris; aber<lb/> der Reflex einer Flamme die ein Weltbrand werden könnte, iſt auch in<lb/> andern Nationen zu beobachten in gewiſſen kritiſchen Momenten von Werth.<lb/> Wir blicken bang auf jeden Courier, alles drängt ſich nach den Geſandt-<lb/> ſchaften, in den Kaffeehäuſern demonſtrirende, divinirende Gruppen,<lb/> auf den Straßen Kopf an Kopf mit den Extrablättern der Zeitungen,<lb/> welche, eine von der andern, die Bruchſtücke der großen Tragödie ab-<lb/> ſchreiben. Iſt dieſer Prinz wirklich todt? — Lebt jener noch? — Und —<lb/> der Carneval geht ununterbrochen ſeinen Gang! Während noch viel-<lb/> leicht — Gott verhüte es — in den Gaſſen von Paris das Blut fließt,<lb/> das Musketenfeuer knallt, wirft man ſich mit Blumenſträußen und<lb/> Confetti, und die Masken tanzen und ſpringen. Während Palermo<lb/> noch bombardirt wurde und die Parteien in Meſſina ſich beſchoſſen,<lb/> forderten ſie in Neapel Bälle, Hoffeſte! Es ging ſo fein und zart dort<lb/> her, wie hier ſchalkhaft, luſtig, toll. Es iſt Menſchenart. Nicht die Ita-<lb/> liener allein; warum kamen denn ſo viele Fremde nach Rom, als des<lb/> Carnevals wegen! Soll eine Pariſer Revolution ſie um ihren Reiſe-<lb/> zweck betrügen? Doch, glücklicherweiſe, es gibt verſchiedene Menſchen-<lb/> arten. Die Franzoſen, auf welche ich traf, beißen die Lippen, rollen<lb/> die Stirn, ſie kneifen die Finger. Ihre Republicaner ſcheinen hier nicht<lb/> vertreten. Seit der Erklärung zur Republik hatte Graf Roſſt, ſo ver-<lb/> lautete es, ſein H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel ſchließen laſſen. Die Franzoſen verlangen von<lb/> ihren Geſandten im Auslande mehr als die Deutſchen von den ihrigen.<lb/> In einem litterariſchen Cabinet bildete ſich ſofort ein Club Franzoſen,<lb/> die von ihrem Geſandten Nachricht über alles Eingehende verlangen.<lb/> Sie beſchicken das H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel, ſie ſtellen Wachen auf, die, ſelbſtändig ſich<lb/> ablöſend, den andern die eingehende Kunde hinterbringen müſſen. Re-<lb/> publicaniſche Neigungen, wie geſagt, ſind unter den hieſigen Franzoſen<lb/> nicht zu finden; doch erſchrickt unſer deutſcher Sinn über die eiſige,<lb/> berechnende Kälte mit denen ſie die herzzerreißende Tragödie betrachten.<lb/> Was iſt ihnen Hekuba? Das trifft hier umgekehrt zu. Sie überhäufen<lb/> Lamartine, Arago, Lamennais, Ledru-Rollin u. a. mit allen Schmach-<lb/> worten der Entrüſtung; ſie ſind Anhänger des Monarchismus, aber<lb/> was iſt ihnen Ludwig Philipp, die Königin, die Prinzen? — Figuren<lb/><cb/> die einen Raum füllen; ſind ſie zerſchlagen, ſtellt andere hin! Von<lb/> perſönlicher Theilnahme, von Mitgefühl für ein ſo herbes Geſchick,<lb/> einen ſo unerwarteten tragiſchen Umſchlag keine Spur. „Ob ein König<lb/> ein guter Menſch, ein guter Gatte, ein guter Familienvater, davon<lb/> hat das Volk nichts. Wenn er ein guter König <hi rendition="#g">ihm</hi> iſt, mag er in<lb/> ſeinem Haus und Herzen ſo ſchlecht ſeyn wie er will, das Volk kümmert<lb/> es nicht.“ — Aber die Königin iſt — „gut, wie es Ihnen beliebt, ſehr<lb/> fromm daneben; was geht es uns an. Weil ſie ſo fromm iſt, wird ſie<lb/> ſich für die verlorne Krone mit der Religion tröſten.“ Dieß nicht eines<lb/> Stimme, die von zehn, zwanzig. Was ſind ihnen Lamartine, Arago?<lb/> u. ſ. w. Doch Männer, vielleicht von vorgefaßten, einſeitigen, falſchen<lb/> Meinungen, aber von Ueberzeugung? „Nichts da; alle Männer die<lb/> nichts haben, und durch den Umſturz etwas zu gewinnen hoffen.“ —<lb/> „Vielleicht ſchleicht in der allgemeinen Hülfsloſtgkeit und Verwirrung<lb/> Heinrich <hi rendition="#aq">V</hi> denn doch noch unvermerkt auf den Thron“, ſo ungefähr<lb/> läßt ſich die krächzende Stimme eines verkommenden Legitimiſten ver-<lb/> nehmen. Denken Sie darum nicht an Liebe, Phantaſte, Begeiſterung,<lb/> es war nur die eine Weiſe auf welche die Spieluhr geſtellt iſt. In allen<lb/> Zeiten — in Sturm und Zephyrwehen kann ſie nur dieſe eine ſpielen.<lb/> Wenn alles human-ſittliche Lebenselement eine Nation flieht, wenn ſie<lb/> in den Menſchen nur noch Ziffern ſteht, iſt da überhaupt noch Fun-<lb/> dament für das Königthum? frage ich mich unwillkürlich, während mir<lb/> doch eine Republik in Frankreich noch als Unmöglichkeit erſcheint.</p><lb/> <p>Dieſen Franzoſen der Gegenwart gegenüber, dieſen abſtracten<lb/> Rechenmenſchen, wie unendlich liebenswürdig erſcheinen die Italiener<lb/> mit allen ihren Kindereien, ihren Spielereien, die bis zur Tollheit<lb/> gehen! Wie ſie haſſen, können ſie auch lieben. „Es iſt ein Schlag, ruft<lb/> einer, der zur Todeswunde für das auferſtehende Italien werden kann.“<lb/> Die verſtändigen Italiener hofften nie etwas von Frankreich; ſie haben<lb/> ſeine Worte und Verſprechungen unter allen Regierungsformen ſchätzen<lb/> gelernt. Sie wiſſen was eine franzöſiſche Hülfe koſtet — die Eigen-<lb/> thümlichkeit. Wenn die andern bei dem neuen Worte Republik auf-<lb/> jauchzen, was iſt’s als eben ein neuer ſchöner Klang für das Ohr, der<lb/> den Sinn berauſcht. Was man ihm ſchön vorſingt und ſpricht, ruft er<lb/> nach. Ich traf auf eine Geſellſchaft Belgier. Auch Belgien ſoll ſchon<lb/> Republik ſeyn. Finſtere Geſichter ſahen ſich an. Sie dankten für das<lb/> Glück einer Freiheit nach der ihr Land nicht trachte, lautete ihre<lb/> Antwort.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Die Deutſchen in Rom gehören ſehr verſchiedenen Parteien an.<lb/> Unter allen doch nur eine Stimme: „Getraut Frankreich ſich wirklich<lb/> als Republik im europäiſchen Völkerleben zu beſtehen, dann kein Grund<lb/> ſich in ſeine innern Angelegenheiten zu miſchen, ſolange es ſeinen Arm<lb/> nicht nach den unſern ausſtreckt. Kann es als Republik aber nur mit<lb/> ſeinem Gelüſte nach dem Rheinufer beſtehen, dann darf und wird unſer<lb/> Vaterland nur eine Meinung haben, es wird, jeder, welcher Partei es<lb/> ſey, wie ein Mann aufſtehen. Dann aber iſt das Loſungswort nicht<lb/> mehr das linke Rheinufer, ſondern wie ein Donnerruf muß das Loſungs-<lb/> wort erſchallen: das Elſaß! Das Elſaß nicht dem alten, ſondern dem<lb/> neuen Deutſchland wieder gewonnen! Denn aus einem ſolchen Conflict<lb/> muß, wird, kann nur ein neues Deutſchland auferſtehen.“ Und in einem<lb/> Carneval die Ausſicht auf einem ſolchen Völkerkrieg; trotzige Mienen,<lb/> gehobene Bruſt, geſchüttelte Hände unter Deutſchen in Rom gegen<lb/> mögliche franzöſiſche Anmaßungen! Wenigſtens iſt das erquickender als<lb/> die finſtere Verzweiflung auf den Geſichtern der Franzoſen. Wenn wir<lb/> froh ausſehen, tritt wohl einer an uns und ſpricht: „Sie können lachen!<lb/> Wiſſen Sie nicht daß die Republik in Frankreich, wenn ſie ſich halten<lb/><hi rendition="#g">will,</hi> den Rhein fordern muß!“ Fordern und gewähren ſind zwei<lb/> Dinge; wir brauchen das doch nicht zu antworten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>6 März.</dateline> <p>Die Nachrichten wurden bedenklicher, die Aufregung<lb/> größer. Geſtern Abend ein Corteggio durch die Stadt, mit Fackeln,<lb/> Fahnen: <hi rendition="#aq">Viva l’Independenza d’Italia, Pio IX, la Francia — la<lb/> Repubblica Francese!</hi> aber dazwiſchen zwei merkwürdige Worte, die<lb/> noch nicht vernommen ſind: <hi rendition="#aq">Evviva Carlo Alberto di <hi rendition="#g">Milano!</hi></hi> und<lb/><hi rendition="#aq">Evvivano i Liberali di tutti i paesi!</hi> Der Zug kam von der Akademie<lb/> der Franzoſen, die ſpaniſche Treppe herab. Man hatte ihn ſeitens der<lb/> Franzoſen nicht empfangen. Er verlor ſich in der Stadt ohne, wie es<lb/> ſcheint, großen Anklang in der Bevölkerung gefunden zu haben. Auch<lb/> heute Mittag wiederholte ſich der Zug, dießmal ohne Fackeln, aber mit<lb/> Muſik; er war größer, die Zuzügler des Carnevals ſchloſſen ſich an.<lb/> Auch er blieb etwas Gemachtes. Aber man mußte dieſe freundlichen,<lb/> behaglichen Geſichter ſehen, und ſie im Gedanken mit denen der Pariſer<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1325/0013]
ſich noch je zuweilen die Brille auf der Naſe von einem Auge zum andern,
um genau zuzuſehen ob, was geſchehen iſt, wirklich geſchehen iſt. Während
der Revolution ſelber erſchienen kaum zweihundert eigentliche National-
gardiſten zwiſchen der Armee und dem Volk; aber falſche National-
gardiſten erſchienen in Menge, Leute aus dem Volk denen die Häupter
des ſocialiſtiſchen Republicanismus aufgekaufte Uniformen der National-
garden angethan hatten. Die Bürgerſchaft alſo hatte ſich gar nicht er-
klärt. Nach der Revolution eilte alles zu den Waffen, ließ ſich alles in
Maſſe in die Nationalgarde einſchreiben, ſie ward voll und übervoll.
Neben den geſtürzten Anhängern der orleaniſtiſchen Partei erſchienen
die Legitimiſten, aber beſonders drängten Odilon-Barrot und Thiers,
die geſtürzte Oppoſition, um die Nationalgarde ſo viel wie möglich zu
vermehren aus dem ganzen geſchloſſenen Bürgerſtande, in Reih und
Glieder. Dieſe Lage der Dinge wollen die Clubs durch Hülfe der
Handwerkerclaſſe ſprengen, die Compagnien der beſtehenden National-
garde vollkommen desorganiſiren, fremde und Volkselemente in Maſſe
in dieſelbe einführen. Der Miniſter des Innern, welcher ſeinen Com-
miſſarien in den Departements die bekannten unbegränzten Gewalten
gegeben, hat ebenfalls unternommen die gänzliche Reviſion und Um-
änderung der Nationalgarde durch das Volk ins Mittel zu bringen.
Das iſt die jetzige Kriſe in Paris, wo der Handwerkerſtand und die
Bürgerclaſſe momentan in verwirrenden Verhältniſſen ſich verſtrickt
finden. Dieſe Lage iſt ſchwierig, ihre Entwickelung noch nicht am Ende.
Italieniſche Reiſefragmente.
XV.
∸ Rom, 5 März.Mitten in das Toben des Carnevals ſtürzte
die Nachricht von der Revolution in Frankreich. Im erſten Augenblick
war man geneigt ſie für einen ungeſchickten Satyrſpaß zu halten. Ein
Franzoſe, dem ich ſie mittheilte, ward blaß und zitterte; als ich ihm das
Extrablatt der Genueſer Zeitung vorhielt durch welches die Marſeiller
telegraphiſchen Nachrichten hier zuerſt bekannt wurden, röthete ſich
plötzlich wieder ſein Geſicht, er lachte: „Mein Herr, das iſt italieniſch!“
In dieſem Geruch ſtehen hier die italieniſchen Zeitungsnachrichten. Die
Wahrheit brach nur zu bald durch. Alles iſt Wahrheit?! rief und fragte
man ſich zu; das ganze volle Maß des Unbegreiflichen? Ich ſchreibe
Ihnen nicht aus Rom über die franzöſiſche Revolution in Paris; aber
der Reflex einer Flamme die ein Weltbrand werden könnte, iſt auch in
andern Nationen zu beobachten in gewiſſen kritiſchen Momenten von Werth.
Wir blicken bang auf jeden Courier, alles drängt ſich nach den Geſandt-
ſchaften, in den Kaffeehäuſern demonſtrirende, divinirende Gruppen,
auf den Straßen Kopf an Kopf mit den Extrablättern der Zeitungen,
welche, eine von der andern, die Bruchſtücke der großen Tragödie ab-
ſchreiben. Iſt dieſer Prinz wirklich todt? — Lebt jener noch? — Und —
der Carneval geht ununterbrochen ſeinen Gang! Während noch viel-
leicht — Gott verhüte es — in den Gaſſen von Paris das Blut fließt,
das Musketenfeuer knallt, wirft man ſich mit Blumenſträußen und
Confetti, und die Masken tanzen und ſpringen. Während Palermo
noch bombardirt wurde und die Parteien in Meſſina ſich beſchoſſen,
forderten ſie in Neapel Bälle, Hoffeſte! Es ging ſo fein und zart dort
her, wie hier ſchalkhaft, luſtig, toll. Es iſt Menſchenart. Nicht die Ita-
liener allein; warum kamen denn ſo viele Fremde nach Rom, als des
Carnevals wegen! Soll eine Pariſer Revolution ſie um ihren Reiſe-
zweck betrügen? Doch, glücklicherweiſe, es gibt verſchiedene Menſchen-
arten. Die Franzoſen, auf welche ich traf, beißen die Lippen, rollen
die Stirn, ſie kneifen die Finger. Ihre Republicaner ſcheinen hier nicht
vertreten. Seit der Erklärung zur Republik hatte Graf Roſſt, ſo ver-
lautete es, ſein Hôtel ſchließen laſſen. Die Franzoſen verlangen von
ihren Geſandten im Auslande mehr als die Deutſchen von den ihrigen.
In einem litterariſchen Cabinet bildete ſich ſofort ein Club Franzoſen,
die von ihrem Geſandten Nachricht über alles Eingehende verlangen.
Sie beſchicken das Hôtel, ſie ſtellen Wachen auf, die, ſelbſtändig ſich
ablöſend, den andern die eingehende Kunde hinterbringen müſſen. Re-
publicaniſche Neigungen, wie geſagt, ſind unter den hieſigen Franzoſen
nicht zu finden; doch erſchrickt unſer deutſcher Sinn über die eiſige,
berechnende Kälte mit denen ſie die herzzerreißende Tragödie betrachten.
Was iſt ihnen Hekuba? Das trifft hier umgekehrt zu. Sie überhäufen
Lamartine, Arago, Lamennais, Ledru-Rollin u. a. mit allen Schmach-
worten der Entrüſtung; ſie ſind Anhänger des Monarchismus, aber
was iſt ihnen Ludwig Philipp, die Königin, die Prinzen? — Figuren
die einen Raum füllen; ſind ſie zerſchlagen, ſtellt andere hin! Von
perſönlicher Theilnahme, von Mitgefühl für ein ſo herbes Geſchick,
einen ſo unerwarteten tragiſchen Umſchlag keine Spur. „Ob ein König
ein guter Menſch, ein guter Gatte, ein guter Familienvater, davon
hat das Volk nichts. Wenn er ein guter König ihm iſt, mag er in
ſeinem Haus und Herzen ſo ſchlecht ſeyn wie er will, das Volk kümmert
es nicht.“ — Aber die Königin iſt — „gut, wie es Ihnen beliebt, ſehr
fromm daneben; was geht es uns an. Weil ſie ſo fromm iſt, wird ſie
ſich für die verlorne Krone mit der Religion tröſten.“ Dieß nicht eines
Stimme, die von zehn, zwanzig. Was ſind ihnen Lamartine, Arago?
u. ſ. w. Doch Männer, vielleicht von vorgefaßten, einſeitigen, falſchen
Meinungen, aber von Ueberzeugung? „Nichts da; alle Männer die
nichts haben, und durch den Umſturz etwas zu gewinnen hoffen.“ —
„Vielleicht ſchleicht in der allgemeinen Hülfsloſtgkeit und Verwirrung
Heinrich V denn doch noch unvermerkt auf den Thron“, ſo ungefähr
läßt ſich die krächzende Stimme eines verkommenden Legitimiſten ver-
nehmen. Denken Sie darum nicht an Liebe, Phantaſte, Begeiſterung,
es war nur die eine Weiſe auf welche die Spieluhr geſtellt iſt. In allen
Zeiten — in Sturm und Zephyrwehen kann ſie nur dieſe eine ſpielen.
Wenn alles human-ſittliche Lebenselement eine Nation flieht, wenn ſie
in den Menſchen nur noch Ziffern ſteht, iſt da überhaupt noch Fun-
dament für das Königthum? frage ich mich unwillkürlich, während mir
doch eine Republik in Frankreich noch als Unmöglichkeit erſcheint.
Dieſen Franzoſen der Gegenwart gegenüber, dieſen abſtracten
Rechenmenſchen, wie unendlich liebenswürdig erſcheinen die Italiener
mit allen ihren Kindereien, ihren Spielereien, die bis zur Tollheit
gehen! Wie ſie haſſen, können ſie auch lieben. „Es iſt ein Schlag, ruft
einer, der zur Todeswunde für das auferſtehende Italien werden kann.“
Die verſtändigen Italiener hofften nie etwas von Frankreich; ſie haben
ſeine Worte und Verſprechungen unter allen Regierungsformen ſchätzen
gelernt. Sie wiſſen was eine franzöſiſche Hülfe koſtet — die Eigen-
thümlichkeit. Wenn die andern bei dem neuen Worte Republik auf-
jauchzen, was iſt’s als eben ein neuer ſchöner Klang für das Ohr, der
den Sinn berauſcht. Was man ihm ſchön vorſingt und ſpricht, ruft er
nach. Ich traf auf eine Geſellſchaft Belgier. Auch Belgien ſoll ſchon
Republik ſeyn. Finſtere Geſichter ſahen ſich an. Sie dankten für das
Glück einer Freiheit nach der ihr Land nicht trachte, lautete ihre
Antwort.
Die Deutſchen in Rom gehören ſehr verſchiedenen Parteien an.
Unter allen doch nur eine Stimme: „Getraut Frankreich ſich wirklich
als Republik im europäiſchen Völkerleben zu beſtehen, dann kein Grund
ſich in ſeine innern Angelegenheiten zu miſchen, ſolange es ſeinen Arm
nicht nach den unſern ausſtreckt. Kann es als Republik aber nur mit
ſeinem Gelüſte nach dem Rheinufer beſtehen, dann darf und wird unſer
Vaterland nur eine Meinung haben, es wird, jeder, welcher Partei es
ſey, wie ein Mann aufſtehen. Dann aber iſt das Loſungswort nicht
mehr das linke Rheinufer, ſondern wie ein Donnerruf muß das Loſungs-
wort erſchallen: das Elſaß! Das Elſaß nicht dem alten, ſondern dem
neuen Deutſchland wieder gewonnen! Denn aus einem ſolchen Conflict
muß, wird, kann nur ein neues Deutſchland auferſtehen.“ Und in einem
Carneval die Ausſicht auf einem ſolchen Völkerkrieg; trotzige Mienen,
gehobene Bruſt, geſchüttelte Hände unter Deutſchen in Rom gegen
mögliche franzöſiſche Anmaßungen! Wenigſtens iſt das erquickender als
die finſtere Verzweiflung auf den Geſichtern der Franzoſen. Wenn wir
froh ausſehen, tritt wohl einer an uns und ſpricht: „Sie können lachen!
Wiſſen Sie nicht daß die Republik in Frankreich, wenn ſie ſich halten
will, den Rhein fordern muß!“ Fordern und gewähren ſind zwei
Dinge; wir brauchen das doch nicht zu antworten.
6 März.Die Nachrichten wurden bedenklicher, die Aufregung
größer. Geſtern Abend ein Corteggio durch die Stadt, mit Fackeln,
Fahnen: Viva l’Independenza d’Italia, Pio IX, la Francia — la
Repubblica Francese! aber dazwiſchen zwei merkwürdige Worte, die
noch nicht vernommen ſind: Evviva Carlo Alberto di Milano! und
Evvivano i Liberali di tutti i paesi! Der Zug kam von der Akademie
der Franzoſen, die ſpaniſche Treppe herab. Man hatte ihn ſeitens der
Franzoſen nicht empfangen. Er verlor ſich in der Stadt ohne, wie es
ſcheint, großen Anklang in der Bevölkerung gefunden zu haben. Auch
heute Mittag wiederholte ſich der Zug, dießmal ohne Fackeln, aber mit
Muſik; er war größer, die Zuzügler des Carnevals ſchloſſen ſich an.
Auch er blieb etwas Gemachtes. Aber man mußte dieſe freundlichen,
behaglichen Geſichter ſehen, und ſie im Gedanken mit denen der Pariſer
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |