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Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848.

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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 23 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Deutschland.
Oesterreich.

Auch in Ober-Oesterreich
spricht sich der freudige Jubel über die neueste Wendung der Dinge, über
die Concessionen und Verheißungen der Krone nicht minder kräftig und
einstimmig aus wie an der untern Donau. Wer sich darüber ärgert
verbirgt das im stillen, und heftet doch die weiße Cocarde an die Brust.
Ich möchte keinem rathen seinen Unmuth über die Ereignisse öffentlich
zu äußern. Nicht die Polizei, aber eine enthusiastische Jugend, der es
wohl thut daß sie endlich auch einmal patriotisch begeistert seyn darf,
würde sich handgreiflich dagegen verwahren. Von der bayerischen
Gränze bis hieher sah ich das plötzlich erwachte politische Leben sich
allenthalben kundgeben bis in die Hütte des armen Bauern, der auch
eine bessere Zeit hoffend den Sonntagshut mit weißem Bande geschmückt.
In Städten und Dörfern geputzte Häuser und flatternde Fahnen mit der
Inschrift: Preßfreiheit, Reform, Constitution! Diese begeisterte Bewe-
gung rührte mich unter einem Volk das man seines Phlegma, seiner
Geduld, seines Zurückbleibens wegen immer zu einem Gegenstand des
Spott es machen wollte, und das die Freiheit sich am Ende doch schneller
errungen als das stolze, hochgebildete Preußen, welches sich immer viel
darauf zu gut gethan in Deutschland an der Spitze der Intelligenz zu
stehen, und nun fast das letzte deutsche Land ist wo die Freiheit des
Wortes proclamirt wird.

Es wird wohl noch einige Zeit wäh-
ren bis sich die Dinge hier wirklich deutsch gestalten. Bis jetzt ist
man noch zu eng österreichisch, und in allen Klängen, Liedern, Hau-
chen und Reden hat nicht eines den vollen deutschen Ton angestimmt,
der dem großen, einigen Gesammtvaterlande galt. Ich mag dieses den
wackern Wienern nicht verübeln, jeder denkt natürlich zuerst an sich, und
die Zeit ist nicht mehr fern daß der Oesterreicher seinen Stolz darein setzen
wird nun mit ganzer Seele dem freien einigen Deutschland anzugehö-
ren. Jetzt wirkt es mehr komisch als schmerzlich den verhaßten Staats-
kanzler in einem wohlgemeinten fliegenden Blatte als Ausländer charak-
terisirt zu finden und hierin einen Grund seiner treulosen Politik zu
suchen. Fürst Metternich war bekanntlich am Rhein und nicht an der
Donau geboren. Würde er als Emporkömmling oder Abenteurer hier
eine kurze Rolle gespielt haben, so könnte man bei einiger Unkenntniß
des offenen Charakters der Rheinländer jener Behauptung allenfalls bei-
pflichten; da jedoch der geborene Koblenzer vierzig Jahre von Oesterreich
aus die Politik der Staaten lenkte und hier im Lande seine Werkzeuge,
Anhänger, Lobredner und Schmeichler unter allen Ständen fand, so
bleibt der Vorwurf der fremden Landsmannschaft hinter den Ansichten
zurück die man gegenwärtig bei Gebildeten vorauszusetzen berechtigt
wäre. Ueber die Besetzung der wichtigen Stelle eines Staatskanzlers ist
noch nichts bestimmtes bekannt geworden. Der Kaiser zeigt sich täglich
dem Volke; gestern zum erstenmale an der Seite der Kaiserin. Das er-
freute Volk spannte die Pferde aus und zog den Wagen. Der Kaiser
war sichtlich sehr angegriffen und unweit von der Burg befiel ihn ein
Unwohlseyn welches den endlosen Jubel unterbrach. -- Heute am Jo-
sephstage wird die Stadt wieder beleuchtet werden und auf dem Josephs-
platze bereitet sich eine Feier für den Abend. Die nächste Woche wird
nun wohl den gewohnten Geschäftsgang wieder eintreten sehen. Gestern
schon erließ die Universität eine Bekanntmachung daß die Professoren
ihre Vorlesungen beginnen und von den Studirenden der Rückkehr zur
alten Ordnung und des fleißigen Besuchs der Hörsäle gewärtig sind.
Eine Manifestation der Schriftsteller Wiens, von einigen wenigen der-
selben unterzeichnet und in den ersten Stunden nach der Aufhebung der
Censur in das Publicum gebracht, sollte wohl nur dazu dienen die Ge-
müther über die wirkliche Verleihung der Preßfreiheit außer Zweifel zu
setzen. Gestern kam uns die Ankündigung einer neuen Zeitung zu Ge-
sicht, welche den Titel "die Constitution" führen und demnächst er-
scheinen soll. Die Constitution aber ist noch nicht da, und man weiß
nicht wie das Preßgesetz beschaffen seyn wird und welche materiellen und
intellectuellen Garantien gefordert werden um neue politische Organe
begründen zu können. Abgesehen von allem dem regt sich hier in allen
Kreisen ein neues Leben; man spricht Politik, man spricht laut ohne
Furcht vor der berüchtigten Menschenclasse, die man "Naderer" oder
"Spitzel" benannte und die nunmehr mit den Censoren wie durch einen
[Spaltenumbruch] Zauberschlag aus der Welt verschwunden sind. Die große Einwirkung
der jetzigen Bewegung wird erst nach und nach zur Bedeutung erwachsen
und der Physiognomie der alten lieben Kaiserstadt ein neues Gepräge
aufdrücken. Meine kurzen Berichte werden sich noch eine Zeitlang bloß
auf die täglichen Neuigkeiten beziehen um Ihre Leser auf dem laufenden
zu erhalten. Dann wenn das Interesse für diese Begebnisse des Tages
für auswärtige Leser nicht mehr auf solcher Höhe sich erhält, gestatten
Sie mir wohl einige Rückblicke, die nunmehr ein rein geschichtliches In-
teresse haben werden.

Was hier in Wien geschieht, ist geeignet
das gesammte deutsche Vaterland in Staunen zu setzen, nicht bloß we-
gen der so lang angesprochenen und so schnell erkämpften Errungenschaf-
ten, sondern auch besonders wegen des herrlichen patriotischen Sinnes,
des Adels des Herzens und der unerwarteten Reife des Geistes und der
Ansichten, die sich überall in allen Classen der Bevölkerung in größter
Fruchtbarkeit entwickeln. Die Presse übernimmt den ehrenvollsten
Antheil dabei und alle hiesigen Zeitungen bringen ununterbrochen Arti-
kel voll Kraft und Würde, voll Volkstreue, voll Treue für den Thron
und die Dynastie, indem sie die Lehren der Freiheit siegen machen, aber
der Frechheit und Gesetzlosigkeit überall den Stab brechen. Kaum eine
Ausnahme ist zu finden daß ein hiesiger Schriftsteller von Werth seine
Feder zu irgendeiner Gehässigkeit erniedrigt hätte. Das Unglück wurde
geehrt, der Irrthum wurde verdammt, aber ein edles Gefühl der Scham
sagte einem jeden der zum Volke sprach daß die freie Presse eine strengere
Umsicht beweisen müsse als die gefesselte und censirte. Eine große Auf-
gabe ist noch ihre durch Belehrung zu lösen! Sie wesentlich muß die un-
gemessenen materiellen Erwartungen der Gegenwart, die Ansprüche auf
eine Zeit des Ueberflusses in ihr rechtes Maß zurückweisen. Sogenannte
gute Zeiten werden wir vorderhand noch nicht haben, aber sie werden
unausbleiblich nachfolgen, sobald die Zeiten erst ruhig geworden sind.
Auch den Personen wird man nach und nach gerechter werden und be-
greifen lernen, welches Opfer ein Mann bringt der im gegenwärtigen
Augenblicke ein hohes Amt annimmt. Die neuen Minister, die genannt
werden, sind sämmtlich Männer mit dem offensten und unbefangensten
Blick in die Bedürfnisse der Gegenwart; nicht ein einziger der nicht in
vollster Ueberzeugung den Weg geht den sie alle schon längst als den un-
umgänglich nöthigen erkannt haben ohne ihren Ansichten Geltung ver-
schaffen zu können. Man hüte sich die Männer der jetzigen Zeit nach
den Eindrücken zu beurtheilen die Vorurtheil oder Verleumdung immer
bereit sind zu verbreiten, man beurtheile sie einzig nach ihren öffentlichen
Handlungen. Das Kaiserhaus hat sich ohne Rückhalt für die Constitution
ausgesprochen, und das ist genug daß die ganze Monarchie es mit ihm thue.

Heute verlautet zum erstenmale etwas
von dem was im im Fürsten- und Ministerrathe beschlossen wurde
um die neue Gestaltung der Dinge zu leiten. Ich theile Ihnen nur
die Namen vorläufig mit, wie mir solche von einem wohlunterrichte-
ten Mann-genannt sind, und behalte mir vor eine kurze Charakteristik
derjenigen die von Ihren Lesern minder gekannt sind, später folgen
zu lassen. Zwei(?) Ministerpräsidenten sind ohne Portefeuilles ernannt:
Graf Kolowrat und Graf Hartig; zum Minister des Innern: Frhr.
v. Pillersdorff; der Justiz: Graf Taaffe (andere nennen Pilgram);
Minister der Finanzen: Frhr. v. Kübek; Minister des Krieges: Graf
Fiquelmont; Kammerpräsident: Graf Franz Stadion, der bekannt-
lich zu den freisinnigsten Staatsmännern des Kaiserstaats gehört; Poli-
zeipräsident: Graf Moriz Deym. -- Die Stadt kehrt in ihre werktägige
Begränzung zurück. Mit dem feierlichen Hochamte welches gestern ab-
gehalten wurde, scheinen die Jubeltage beschlossen. Das Fest auf dem
Josephsplatz fand nicht statt. Alle Stunde kommen neue Flugblätter
zum Vorschein; man druckt eben alles was gebracht wird. Unwill-
kürlich fallen einem Schillers Werke ein: "Laßt uns der neuen Frei-
heit genießen!" Interessant sind die Ankündigungen bisher verbote-
ner Bücher; die Grenzboten sieht man jetzt in den Kaffeehäusern; in
einem auch den Struve'schen Zuschauer. Aus den Reihen der Na-
tionalgarde sind die aristokratischen Titel ausgemerzt: Commandant
Hoyos, Hauptmann Colloredo (ohne Graf und Fürst), so liest
man's in den Tagsbefehlen. Das ist junges erwachendes Leben, Früh-
lingswehen nach langem Winterschlafe! Bis auf das Burgtheater ge-

Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 23 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Deutſchland.
Oeſterreich.

Auch in Ober-Oeſterreich
ſpricht ſich der freudige Jubel über die neueſte Wendung der Dinge, über
die Conceſſionen und Verheißungen der Krone nicht minder kräftig und
einſtimmig aus wie an der untern Donau. Wer ſich darüber ärgert
verbirgt das im ſtillen, und heftet doch die weiße Cocarde an die Bruſt.
Ich möchte keinem rathen ſeinen Unmuth über die Ereigniſſe öffentlich
zu äußern. Nicht die Polizei, aber eine enthuſiaſtiſche Jugend, der es
wohl thut daß ſie endlich auch einmal patriotiſch begeiſtert ſeyn darf,
würde ſich handgreiflich dagegen verwahren. Von der bayeriſchen
Gränze bis hieher ſah ich das plötzlich erwachte politiſche Leben ſich
allenthalben kundgeben bis in die Hütte des armen Bauern, der auch
eine beſſere Zeit hoffend den Sonntagshut mit weißem Bande geſchmückt.
In Städten und Dörfern geputzte Häuſer und flatternde Fahnen mit der
Inſchrift: Preßfreiheit, Reform, Conſtitution! Dieſe begeiſterte Bewe-
gung rührte mich unter einem Volk das man ſeines Phlegma, ſeiner
Geduld, ſeines Zurückbleibens wegen immer zu einem Gegenſtand des
Spott es machen wollte, und das die Freiheit ſich am Ende doch ſchneller
errungen als das ſtolze, hochgebildete Preußen, welches ſich immer viel
darauf zu gut gethan in Deutſchland an der Spitze der Intelligenz zu
ſtehen, und nun faſt das letzte deutſche Land iſt wo die Freiheit des
Wortes proclamirt wird.

Es wird wohl noch einige Zeit wäh-
ren bis ſich die Dinge hier wirklich deutſch geſtalten. Bis jetzt iſt
man noch zu eng öſterreichiſch, und in allen Klängen, Liedern, Hau-
chen und Reden hat nicht eines den vollen deutſchen Ton angeſtimmt,
der dem großen, einigen Geſammtvaterlande galt. Ich mag dieſes den
wackern Wienern nicht verübeln, jeder denkt natürlich zuerſt an ſich, und
die Zeit iſt nicht mehr fern daß der Oeſterreicher ſeinen Stolz darein ſetzen
wird nun mit ganzer Seele dem freien einigen Deutſchland anzugehö-
ren. Jetzt wirkt es mehr komiſch als ſchmerzlich den verhaßten Staats-
kanzler in einem wohlgemeinten fliegenden Blatte als Ausländer charak-
teriſirt zu finden und hierin einen Grund ſeiner treuloſen Politik zu
ſuchen. Fürſt Metternich war bekanntlich am Rhein und nicht an der
Donau geboren. Würde er als Emporkömmling oder Abenteurer hier
eine kurze Rolle geſpielt haben, ſo könnte man bei einiger Unkenntniß
des offenen Charakters der Rheinländer jener Behauptung allenfalls bei-
pflichten; da jedoch der geborene Koblenzer vierzig Jahre von Oeſterreich
aus die Politik der Staaten lenkte und hier im Lande ſeine Werkzeuge,
Anhänger, Lobredner und Schmeichler unter allen Ständen fand, ſo
bleibt der Vorwurf der fremden Landsmannſchaft hinter den Anſichten
zurück die man gegenwärtig bei Gebildeten vorauszuſetzen berechtigt
wäre. Ueber die Beſetzung der wichtigen Stelle eines Staatskanzlers iſt
noch nichts beſtimmtes bekannt geworden. Der Kaiſer zeigt ſich täglich
dem Volke; geſtern zum erſtenmale an der Seite der Kaiſerin. Das er-
freute Volk ſpannte die Pferde aus und zog den Wagen. Der Kaiſer
war ſichtlich ſehr angegriffen und unweit von der Burg befiel ihn ein
Unwohlſeyn welches den endloſen Jubel unterbrach. — Heute am Jo-
ſephstage wird die Stadt wieder beleuchtet werden und auf dem Joſephs-
platze bereitet ſich eine Feier für den Abend. Die nächſte Woche wird
nun wohl den gewohnten Geſchäftsgang wieder eintreten ſehen. Geſtern
ſchon erließ die Univerſität eine Bekanntmachung daß die Profeſſoren
ihre Vorleſungen beginnen und von den Studirenden der Rückkehr zur
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Eine Manifeſtation der Schriftſteller Wiens, von einigen wenigen der-
ſelben unterzeichnet und in den erſten Stunden nach der Aufhebung der
Cenſur in das Publicum gebracht, ſollte wohl nur dazu dienen die Ge-
müther über die wirkliche Verleihung der Preßfreiheit außer Zweifel zu
ſetzen. Geſtern kam uns die Ankündigung einer neuen Zeitung zu Ge-
ſicht, welche den Titel „die Conſtitution“ führen und demnächſt er-
ſcheinen ſoll. Die Conſtitution aber iſt noch nicht da, und man weiß
nicht wie das Preßgeſetz beſchaffen ſeyn wird und welche materiellen und
intellectuellen Garantien gefordert werden um neue politiſche Organe
begründen zu können. Abgeſehen von allem dem regt ſich hier in allen
Kreiſen ein neues Leben; man ſpricht Politik, man ſpricht laut ohne
Furcht vor der berüchtigten Menſchenclaſſe, die man „Naderer“ oder
„Spitzel“ benannte und die nunmehr mit den Cenſoren wie durch einen
[Spaltenumbruch] Zauberſchlag aus der Welt verſchwunden ſind. Die große Einwirkung
der jetzigen Bewegung wird erſt nach und nach zur Bedeutung erwachſen
und der Phyſiognomie der alten lieben Kaiſerſtadt ein neues Gepräge
aufdrücken. Meine kurzen Berichte werden ſich noch eine Zeitlang bloß
auf die täglichen Neuigkeiten beziehen um Ihre Leſer auf dem laufenden
zu erhalten. Dann wenn das Intereſſe für dieſe Begebniſſe des Tages
für auswärtige Leſer nicht mehr auf ſolcher Höhe ſich erhält, geſtatten
Sie mir wohl einige Rückblicke, die nunmehr ein rein geſchichtliches In-
tereſſe haben werden.

Was hier in Wien geſchieht, iſt geeignet
das geſammte deutſche Vaterland in Staunen zu ſetzen, nicht bloß we-
gen der ſo lang angeſprochenen und ſo ſchnell erkämpften Errungenſchaf-
ten, ſondern auch beſonders wegen des herrlichen patriotiſchen Sinnes,
des Adels des Herzens und der unerwarteten Reife des Geiſtes und der
Anſichten, die ſich überall in allen Claſſen der Bevölkerung in größter
Fruchtbarkeit entwickeln. Die Preſſe übernimmt den ehrenvollſten
Antheil dabei und alle hieſigen Zeitungen bringen ununterbrochen Arti-
kel voll Kraft und Würde, voll Volkstreue, voll Treue für den Thron
und die Dynaſtie, indem ſie die Lehren der Freiheit ſiegen machen, aber
der Frechheit und Geſetzloſigkeit überall den Stab brechen. Kaum eine
Ausnahme iſt zu finden daß ein hieſiger Schriftſteller von Werth ſeine
Feder zu irgendeiner Gehäſſigkeit erniedrigt hätte. Das Unglück wurde
geehrt, der Irrthum wurde verdammt, aber ein edles Gefühl der Scham
ſagte einem jeden der zum Volke ſprach daß die freie Preſſe eine ſtrengere
Umſicht beweiſen müſſe als die gefeſſelte und cenſirte. Eine große Auf-
gabe iſt noch ihre durch Belehrung zu löſen! Sie weſentlich muß die un-
gemeſſenen materiellen Erwartungen der Gegenwart, die Anſprüche auf
eine Zeit des Ueberfluſſes in ihr rechtes Maß zurückweiſen. Sogenannte
gute Zeiten werden wir vorderhand noch nicht haben, aber ſie werden
unausbleiblich nachfolgen, ſobald die Zeiten erſt ruhig geworden ſind.
Auch den Perſonen wird man nach und nach gerechter werden und be-
greifen lernen, welches Opfer ein Mann bringt der im gegenwärtigen
Augenblicke ein hohes Amt annimmt. Die neuen Miniſter, die genannt
werden, ſind ſämmtlich Männer mit dem offenſten und unbefangenſten
Blick in die Bedürfniſſe der Gegenwart; nicht ein einziger der nicht in
vollſter Ueberzeugung den Weg geht den ſie alle ſchon längſt als den un-
umgänglich nöthigen erkannt haben ohne ihren Anſichten Geltung ver-
ſchaffen zu können. Man hüte ſich die Männer der jetzigen Zeit nach
den Eindrücken zu beurtheilen die Vorurtheil oder Verleumdung immer
bereit ſind zu verbreiten, man beurtheile ſie einzig nach ihren öffentlichen
Handlungen. Das Kaiſerhaus hat ſich ohne Rückhalt für die Conſtitution
ausgeſprochen, und das iſt genug daß die ganze Monarchie es mit ihm thue.

Heute verlautet zum erſtenmale etwas
von dem was im im Fürſten- und Miniſterrathe beſchloſſen wurde
um die neue Geſtaltung der Dinge zu leiten. Ich theile Ihnen nur
die Namen vorläufig mit, wie mir ſolche von einem wohlunterrichte-
ten Mann-genannt ſind, und behalte mir vor eine kurze Charakteriſtik
derjenigen die von Ihren Leſern minder gekannt ſind, ſpäter folgen
zu laſſen. Zwei(?) Miniſterpräſidenten ſind ohne Portefeuilles ernannt:
Graf Kolowrat und Graf Hartig; zum Miniſter des Innern: Frhr.
v. Pillersdorff; der Juſtiz: Graf Taaffe (andere nennen Pilgram);
Miniſter der Finanzen: Frhr. v. Kübek; Miniſter des Krieges: Graf
Fiquelmont; Kammerpräſident: Graf Franz Stadion, der bekannt-
lich zu den freiſinnigſten Staatsmännern des Kaiſerſtaats gehört; Poli-
zeipräſident: Graf Moriz Deym. — Die Stadt kehrt in ihre werktägige
Begränzung zurück. Mit dem feierlichen Hochamte welches geſtern ab-
gehalten wurde, ſcheinen die Jubeltage beſchloſſen. Das Feſt auf dem
Joſephsplatz fand nicht ſtatt. Alle Stunde kommen neue Flugblätter
zum Vorſchein; man druckt eben alles was gebracht wird. Unwill-
kürlich fallen einem Schillers Werke ein: „Laßt uns der neuen Frei-
heit genießen!“ Intereſſant ſind die Ankündigungen bisher verbote-
ner Bücher; die Grenzboten ſieht man jetzt in den Kaffeehäuſern; in
einem auch den Struve’ſchen Zuſchauer. Aus den Reihen der Na-
tionalgarde ſind die ariſtokratiſchen Titel ausgemerzt: Commandant
Hoyos, Hauptmann Colloredo (ohne Graf und Fürſt), ſo liest
man’s in den Tagsbefehlen. Das iſt junges erwachendes Leben, Früh-
lingswehen nach langem Winterſchlafe! Bis auf das Burgtheater ge-

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[0017] Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 23 März 1848. Deutſchland. Oeſterreich. ⸩ Linz, 19 März.Auch in Ober-Oeſterreich ſpricht ſich der freudige Jubel über die neueſte Wendung der Dinge, über die Conceſſionen und Verheißungen der Krone nicht minder kräftig und einſtimmig aus wie an der untern Donau. Wer ſich darüber ärgert verbirgt das im ſtillen, und heftet doch die weiße Cocarde an die Bruſt. Ich möchte keinem rathen ſeinen Unmuth über die Ereigniſſe öffentlich zu äußern. Nicht die Polizei, aber eine enthuſiaſtiſche Jugend, der es wohl thut daß ſie endlich auch einmal patriotiſch begeiſtert ſeyn darf, würde ſich handgreiflich dagegen verwahren. Von der bayeriſchen Gränze bis hieher ſah ich das plötzlich erwachte politiſche Leben ſich allenthalben kundgeben bis in die Hütte des armen Bauern, der auch eine beſſere Zeit hoffend den Sonntagshut mit weißem Bande geſchmückt. In Städten und Dörfern geputzte Häuſer und flatternde Fahnen mit der Inſchrift: Preßfreiheit, Reform, Conſtitution! Dieſe begeiſterte Bewe- gung rührte mich unter einem Volk das man ſeines Phlegma, ſeiner Geduld, ſeines Zurückbleibens wegen immer zu einem Gegenſtand des Spott es machen wollte, und das die Freiheit ſich am Ende doch ſchneller errungen als das ſtolze, hochgebildete Preußen, welches ſich immer viel darauf zu gut gethan in Deutſchland an der Spitze der Intelligenz zu ſtehen, und nun faſt das letzte deutſche Land iſt wo die Freiheit des Wortes proclamirt wird. भ Wien, 19 März.Es wird wohl noch einige Zeit wäh- ren bis ſich die Dinge hier wirklich deutſch geſtalten. Bis jetzt iſt man noch zu eng öſterreichiſch, und in allen Klängen, Liedern, Hau- chen und Reden hat nicht eines den vollen deutſchen Ton angeſtimmt, der dem großen, einigen Geſammtvaterlande galt. Ich mag dieſes den wackern Wienern nicht verübeln, jeder denkt natürlich zuerſt an ſich, und die Zeit iſt nicht mehr fern daß der Oeſterreicher ſeinen Stolz darein ſetzen wird nun mit ganzer Seele dem freien einigen Deutſchland anzugehö- ren. Jetzt wirkt es mehr komiſch als ſchmerzlich den verhaßten Staats- kanzler in einem wohlgemeinten fliegenden Blatte als Ausländer charak- teriſirt zu finden und hierin einen Grund ſeiner treuloſen Politik zu ſuchen. Fürſt Metternich war bekanntlich am Rhein und nicht an der Donau geboren. Würde er als Emporkömmling oder Abenteurer hier eine kurze Rolle geſpielt haben, ſo könnte man bei einiger Unkenntniß des offenen Charakters der Rheinländer jener Behauptung allenfalls bei- pflichten; da jedoch der geborene Koblenzer vierzig Jahre von Oeſterreich aus die Politik der Staaten lenkte und hier im Lande ſeine Werkzeuge, Anhänger, Lobredner und Schmeichler unter allen Ständen fand, ſo bleibt der Vorwurf der fremden Landsmannſchaft hinter den Anſichten zurück die man gegenwärtig bei Gebildeten vorauszuſetzen berechtigt wäre. Ueber die Beſetzung der wichtigen Stelle eines Staatskanzlers iſt noch nichts beſtimmtes bekannt geworden. Der Kaiſer zeigt ſich täglich dem Volke; geſtern zum erſtenmale an der Seite der Kaiſerin. Das er- freute Volk ſpannte die Pferde aus und zog den Wagen. Der Kaiſer war ſichtlich ſehr angegriffen und unweit von der Burg befiel ihn ein Unwohlſeyn welches den endloſen Jubel unterbrach. — Heute am Jo- ſephstage wird die Stadt wieder beleuchtet werden und auf dem Joſephs- platze bereitet ſich eine Feier für den Abend. Die nächſte Woche wird nun wohl den gewohnten Geſchäftsgang wieder eintreten ſehen. Geſtern ſchon erließ die Univerſität eine Bekanntmachung daß die Profeſſoren ihre Vorleſungen beginnen und von den Studirenden der Rückkehr zur alten Ordnung und des fleißigen Beſuchs der Hörſäle gewärtig ſind. Eine Manifeſtation der Schriftſteller Wiens, von einigen wenigen der- ſelben unterzeichnet und in den erſten Stunden nach der Aufhebung der Cenſur in das Publicum gebracht, ſollte wohl nur dazu dienen die Ge- müther über die wirkliche Verleihung der Preßfreiheit außer Zweifel zu ſetzen. Geſtern kam uns die Ankündigung einer neuen Zeitung zu Ge- ſicht, welche den Titel „die Conſtitution“ führen und demnächſt er- ſcheinen ſoll. Die Conſtitution aber iſt noch nicht da, und man weiß nicht wie das Preßgeſetz beſchaffen ſeyn wird und welche materiellen und intellectuellen Garantien gefordert werden um neue politiſche Organe begründen zu können. Abgeſehen von allem dem regt ſich hier in allen Kreiſen ein neues Leben; man ſpricht Politik, man ſpricht laut ohne Furcht vor der berüchtigten Menſchenclaſſe, die man „Naderer“ oder „Spitzel“ benannte und die nunmehr mit den Cenſoren wie durch einen Zauberſchlag aus der Welt verſchwunden ſind. Die große Einwirkung der jetzigen Bewegung wird erſt nach und nach zur Bedeutung erwachſen und der Phyſiognomie der alten lieben Kaiſerſtadt ein neues Gepräge aufdrücken. Meine kurzen Berichte werden ſich noch eine Zeitlang bloß auf die täglichen Neuigkeiten beziehen um Ihre Leſer auf dem laufenden zu erhalten. Dann wenn das Intereſſe für dieſe Begebniſſe des Tages für auswärtige Leſer nicht mehr auf ſolcher Höhe ſich erhält, geſtatten Sie mir wohl einige Rückblicke, die nunmehr ein rein geſchichtliches In- tereſſe haben werden. = Wien, 19 März.Was hier in Wien geſchieht, iſt geeignet das geſammte deutſche Vaterland in Staunen zu ſetzen, nicht bloß we- gen der ſo lang angeſprochenen und ſo ſchnell erkämpften Errungenſchaf- ten, ſondern auch beſonders wegen des herrlichen patriotiſchen Sinnes, des Adels des Herzens und der unerwarteten Reife des Geiſtes und der Anſichten, die ſich überall in allen Claſſen der Bevölkerung in größter Fruchtbarkeit entwickeln. Die Preſſe übernimmt den ehrenvollſten Antheil dabei und alle hieſigen Zeitungen bringen ununterbrochen Arti- kel voll Kraft und Würde, voll Volkstreue, voll Treue für den Thron und die Dynaſtie, indem ſie die Lehren der Freiheit ſiegen machen, aber der Frechheit und Geſetzloſigkeit überall den Stab brechen. Kaum eine Ausnahme iſt zu finden daß ein hieſiger Schriftſteller von Werth ſeine Feder zu irgendeiner Gehäſſigkeit erniedrigt hätte. Das Unglück wurde geehrt, der Irrthum wurde verdammt, aber ein edles Gefühl der Scham ſagte einem jeden der zum Volke ſprach daß die freie Preſſe eine ſtrengere Umſicht beweiſen müſſe als die gefeſſelte und cenſirte. Eine große Auf- gabe iſt noch ihre durch Belehrung zu löſen! Sie weſentlich muß die un- gemeſſenen materiellen Erwartungen der Gegenwart, die Anſprüche auf eine Zeit des Ueberfluſſes in ihr rechtes Maß zurückweiſen. Sogenannte gute Zeiten werden wir vorderhand noch nicht haben, aber ſie werden unausbleiblich nachfolgen, ſobald die Zeiten erſt ruhig geworden ſind. Auch den Perſonen wird man nach und nach gerechter werden und be- greifen lernen, welches Opfer ein Mann bringt der im gegenwärtigen Augenblicke ein hohes Amt annimmt. Die neuen Miniſter, die genannt werden, ſind ſämmtlich Männer mit dem offenſten und unbefangenſten Blick in die Bedürfniſſe der Gegenwart; nicht ein einziger der nicht in vollſter Ueberzeugung den Weg geht den ſie alle ſchon längſt als den un- umgänglich nöthigen erkannt haben ohne ihren Anſichten Geltung ver- ſchaffen zu können. Man hüte ſich die Männer der jetzigen Zeit nach den Eindrücken zu beurtheilen die Vorurtheil oder Verleumdung immer bereit ſind zu verbreiten, man beurtheile ſie einzig nach ihren öffentlichen Handlungen. Das Kaiſerhaus hat ſich ohne Rückhalt für die Conſtitution ausgeſprochen, und das iſt genug daß die ganze Monarchie es mit ihm thue. भ Wien, 20 März.Heute verlautet zum erſtenmale etwas von dem was im im Fürſten- und Miniſterrathe beſchloſſen wurde um die neue Geſtaltung der Dinge zu leiten. Ich theile Ihnen nur die Namen vorläufig mit, wie mir ſolche von einem wohlunterrichte- ten Mann-genannt ſind, und behalte mir vor eine kurze Charakteriſtik derjenigen die von Ihren Leſern minder gekannt ſind, ſpäter folgen zu laſſen. Zwei(?) Miniſterpräſidenten ſind ohne Portefeuilles ernannt: Graf Kolowrat und Graf Hartig; zum Miniſter des Innern: Frhr. v. Pillersdorff; der Juſtiz: Graf Taaffe (andere nennen Pilgram); Miniſter der Finanzen: Frhr. v. Kübek; Miniſter des Krieges: Graf Fiquelmont; Kammerpräſident: Graf Franz Stadion, der bekannt- lich zu den freiſinnigſten Staatsmännern des Kaiſerſtaats gehört; Poli- zeipräſident: Graf Moriz Deym. — Die Stadt kehrt in ihre werktägige Begränzung zurück. Mit dem feierlichen Hochamte welches geſtern ab- gehalten wurde, ſcheinen die Jubeltage beſchloſſen. Das Feſt auf dem Joſephsplatz fand nicht ſtatt. Alle Stunde kommen neue Flugblätter zum Vorſchein; man druckt eben alles was gebracht wird. Unwill- kürlich fallen einem Schillers Werke ein: „Laßt uns der neuen Frei- heit genießen!“ Intereſſant ſind die Ankündigungen bisher verbote- ner Bücher; die Grenzboten ſieht man jetzt in den Kaffeehäuſern; in einem auch den Struve’ſchen Zuſchauer. Aus den Reihen der Na- tionalgarde ſind die ariſtokratiſchen Titel ausgemerzt: Commandant Hoyos, Hauptmann Colloredo (ohne Graf und Fürſt), ſo liest man’s in den Tagsbefehlen. Das iſt junges erwachendes Leben, Früh- lingswehen nach langem Winterſchlafe! Bis auf das Burgtheater ge-

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine83_1848/17>, abgerufen am 21.11.2024.