Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848.Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung [Spaltenumbruch]
Deutschland. Oesterreich. Linz, 19 März. Auch in Ober-Oesterreich bh Wien, 19 März. Es wird wohl noch einige Zeit wäh- = Wien, 19 März. Was hier in Wien geschieht, ist geeignet bh Wien, 20 März. Heute verlautet zum erstenmale etwas Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung [Spaltenumbruch]
Deutſchland. Oeſterreich. ⸩ Linz, 19 März. Auch in Ober-Oeſterreich भ Wien, 19 März. Es wird wohl noch einige Zeit wäh- = Wien, 19 März. Was hier in Wien geſchieht, iſt geeignet भ Wien, 20 März. Heute verlautet zum erſtenmale etwas <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0017"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung</hi> </titlePart> </docTitle> </titlePage> <docImprint> <docDate>vom 23 März 1848.</docDate> </docImprint> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <body> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Deutſchland.</hi> </head><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#g">Oeſterreich.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="5"> <dateline>⸩ <hi rendition="#b">Linz,</hi> 19 März.</dateline> <p>Auch in Ober-Oeſterreich<lb/> ſpricht ſich der freudige Jubel über die neueſte Wendung der Dinge, über<lb/> die Conceſſionen und Verheißungen der Krone nicht minder kräftig und<lb/> einſtimmig aus wie an der untern Donau. Wer ſich darüber ärgert<lb/> verbirgt das im ſtillen, und heftet doch die weiße Cocarde an die Bruſt.<lb/> Ich möchte keinem rathen ſeinen Unmuth über die Ereigniſſe öffentlich<lb/> zu äußern. Nicht die Polizei, aber eine enthuſiaſtiſche Jugend, der es<lb/> wohl thut daß ſie endlich auch einmal patriotiſch begeiſtert ſeyn darf,<lb/> würde ſich handgreiflich dagegen verwahren. Von der bayeriſchen<lb/> Gränze bis hieher ſah ich das plötzlich erwachte politiſche Leben ſich<lb/> allenthalben kundgeben bis in die Hütte des armen Bauern, der auch<lb/> eine beſſere Zeit hoffend den Sonntagshut mit weißem Bande geſchmückt.<lb/> In Städten und Dörfern geputzte Häuſer und flatternde Fahnen mit der<lb/> Inſchrift: Preßfreiheit, Reform, Conſtitution! Dieſe begeiſterte Bewe-<lb/> gung rührte mich unter einem Volk das man ſeines Phlegma, ſeiner<lb/> Geduld, ſeines Zurückbleibens wegen immer zu einem Gegenſtand des<lb/> Spott es machen wollte, und das die Freiheit ſich am Ende doch ſchneller<lb/> errungen als das ſtolze, hochgebildete Preußen, welches ſich immer viel<lb/> darauf zu gut gethan in Deutſchland an der Spitze der Intelligenz zu<lb/> ſtehen, und nun faſt das letzte deutſche Land iſt wo die Freiheit des<lb/> Wortes proclamirt wird.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="5"> <dateline><hi rendition="#b">भ Wien,</hi> 19 März.</dateline> <p>Es wird wohl noch einige Zeit wäh-<lb/> ren bis ſich die Dinge hier wirklich deutſch geſtalten. Bis jetzt iſt<lb/> man noch zu eng öſterreichiſch, und in allen Klängen, Liedern, Hau-<lb/> chen und Reden hat nicht eines den vollen deutſchen Ton angeſtimmt,<lb/> der dem großen, einigen Geſammtvaterlande galt. Ich mag dieſes den<lb/> wackern Wienern nicht verübeln, jeder denkt natürlich zuerſt an ſich, und<lb/> die Zeit iſt nicht mehr fern daß der Oeſterreicher ſeinen Stolz darein ſetzen<lb/> wird nun mit ganzer Seele dem freien einigen Deutſchland anzugehö-<lb/> ren. Jetzt wirkt es mehr komiſch als ſchmerzlich den verhaßten Staats-<lb/> kanzler in einem wohlgemeinten fliegenden Blatte als Ausländer charak-<lb/> teriſirt zu finden und hierin einen Grund ſeiner treuloſen Politik zu<lb/> ſuchen. Fürſt Metternich war bekanntlich am Rhein und nicht an der<lb/> Donau geboren. Würde er als Emporkömmling oder Abenteurer hier<lb/> eine kurze Rolle geſpielt haben, ſo könnte man bei einiger Unkenntniß<lb/> des offenen Charakters der Rheinländer jener Behauptung allenfalls bei-<lb/> pflichten; da jedoch der geborene Koblenzer vierzig Jahre von Oeſterreich<lb/> aus die Politik der Staaten lenkte und hier im Lande ſeine Werkzeuge,<lb/> Anhänger, Lobredner und Schmeichler unter allen Ständen fand, ſo<lb/> bleibt der Vorwurf der fremden Landsmannſchaft hinter den Anſichten<lb/> zurück die man gegenwärtig bei Gebildeten vorauszuſetzen berechtigt<lb/> wäre. Ueber die Beſetzung der wichtigen Stelle eines Staatskanzlers iſt<lb/> noch nichts beſtimmtes bekannt geworden. Der Kaiſer zeigt ſich täglich<lb/> dem Volke; geſtern zum erſtenmale an der Seite der Kaiſerin. Das er-<lb/> freute Volk ſpannte die Pferde aus und zog den Wagen. Der Kaiſer<lb/> war ſichtlich ſehr angegriffen und unweit von der Burg befiel ihn ein<lb/> Unwohlſeyn welches den endloſen Jubel unterbrach. — Heute am Jo-<lb/> ſephstage wird die Stadt wieder beleuchtet werden und auf dem Joſephs-<lb/> platze bereitet ſich eine Feier für den Abend. Die nächſte Woche wird<lb/> nun wohl den gewohnten Geſchäftsgang wieder eintreten ſehen. Geſtern<lb/> ſchon erließ die Univerſität eine Bekanntmachung daß die Profeſſoren<lb/> ihre Vorleſungen beginnen und von den Studirenden der Rückkehr zur<lb/> alten Ordnung und des fleißigen Beſuchs der Hörſäle gewärtig ſind.<lb/> Eine Manifeſtation der Schriftſteller Wiens, von einigen wenigen der-<lb/> ſelben unterzeichnet und in den erſten Stunden nach der Aufhebung der<lb/> Cenſur in das Publicum gebracht, ſollte wohl nur dazu dienen die Ge-<lb/> müther über die wirkliche Verleihung der Preßfreiheit außer Zweifel zu<lb/> ſetzen. Geſtern kam uns die Ankündigung einer neuen Zeitung zu Ge-<lb/> ſicht, welche den Titel „die Conſtitution“ führen und demnächſt er-<lb/> ſcheinen ſoll. Die Conſtitution aber iſt noch nicht da, und man weiß<lb/> nicht wie das Preßgeſetz beſchaffen ſeyn wird und welche materiellen und<lb/> intellectuellen Garantien gefordert werden um neue politiſche Organe<lb/> begründen zu können. Abgeſehen von allem dem regt ſich hier in allen<lb/> Kreiſen ein neues Leben; man ſpricht Politik, man ſpricht laut ohne<lb/> Furcht vor der berüchtigten Menſchenclaſſe, die man „Naderer“ oder<lb/> „Spitzel“ benannte und die nunmehr mit den Cenſoren wie durch einen<lb/><cb/> Zauberſchlag aus der Welt verſchwunden ſind. Die große Einwirkung<lb/> der jetzigen Bewegung wird erſt nach und nach zur Bedeutung erwachſen<lb/> und der Phyſiognomie der alten lieben Kaiſerſtadt ein neues Gepräge<lb/> aufdrücken. Meine kurzen Berichte werden ſich noch eine Zeitlang bloß<lb/> auf die täglichen Neuigkeiten beziehen um Ihre Leſer auf dem laufenden<lb/> zu erhalten. Dann wenn das Intereſſe für dieſe Begebniſſe des Tages<lb/> für auswärtige Leſer nicht mehr auf ſolcher Höhe ſich erhält, geſtatten<lb/> Sie mir wohl einige Rückblicke, die nunmehr ein rein geſchichtliches In-<lb/> tereſſe haben werden.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="5"> <dateline>= <hi rendition="#b">Wien,</hi> 19 März.</dateline> <p>Was hier in Wien geſchieht, iſt geeignet<lb/> das geſammte deutſche Vaterland in Staunen zu ſetzen, nicht bloß we-<lb/> gen der ſo lang angeſprochenen und ſo ſchnell erkämpften Errungenſchaf-<lb/> ten, ſondern auch beſonders wegen des herrlichen patriotiſchen Sinnes,<lb/> des Adels des Herzens und der unerwarteten Reife des Geiſtes und der<lb/> Anſichten, die ſich überall in allen Claſſen der Bevölkerung in größter<lb/> Fruchtbarkeit entwickeln. Die Preſſe übernimmt den ehrenvollſten<lb/> Antheil dabei und alle hieſigen Zeitungen bringen ununterbrochen Arti-<lb/> kel voll Kraft und Würde, voll Volkstreue, voll Treue für den Thron<lb/> und die Dynaſtie, indem ſie die Lehren der Freiheit ſiegen machen, aber<lb/> der Frechheit und Geſetzloſigkeit überall den Stab brechen. Kaum eine<lb/> Ausnahme iſt zu finden daß ein hieſiger Schriftſteller von Werth ſeine<lb/> Feder zu irgendeiner Gehäſſigkeit erniedrigt hätte. Das Unglück wurde<lb/> geehrt, der Irrthum wurde verdammt, aber ein edles Gefühl der Scham<lb/> ſagte einem jeden der zum Volke ſprach daß die freie Preſſe eine ſtrengere<lb/> Umſicht beweiſen müſſe als die gefeſſelte und cenſirte. Eine große Auf-<lb/> gabe iſt noch ihre durch Belehrung zu löſen! Sie weſentlich muß die un-<lb/> gemeſſenen materiellen Erwartungen der Gegenwart, die Anſprüche auf<lb/> eine Zeit des Ueberfluſſes in ihr rechtes Maß zurückweiſen. Sogenannte<lb/> gute Zeiten werden wir vorderhand noch nicht haben, aber ſie werden<lb/> unausbleiblich nachfolgen, ſobald die Zeiten erſt ruhig geworden ſind.<lb/> Auch den Perſonen wird man nach und nach gerechter werden und be-<lb/> greifen lernen, welches Opfer ein Mann bringt der im gegenwärtigen<lb/> Augenblicke ein hohes Amt annimmt. Die neuen Miniſter, die genannt<lb/> werden, ſind ſämmtlich Männer mit dem offenſten und unbefangenſten<lb/> Blick in die Bedürfniſſe der Gegenwart; nicht ein einziger der nicht in<lb/> vollſter Ueberzeugung den Weg geht den ſie alle ſchon längſt als den un-<lb/> umgänglich nöthigen erkannt haben ohne ihren Anſichten Geltung ver-<lb/> ſchaffen zu können. Man hüte ſich die Männer der jetzigen Zeit nach<lb/> den Eindrücken zu beurtheilen die Vorurtheil oder Verleumdung immer<lb/> bereit ſind zu verbreiten, man beurtheile ſie einzig nach ihren öffentlichen<lb/> Handlungen. Das Kaiſerhaus hat ſich ohne Rückhalt für die Conſtitution<lb/> ausgeſprochen, und das iſt genug daß die ganze Monarchie es mit ihm thue.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="5"> <dateline>भ <hi rendition="#b">Wien,</hi> 20 März.</dateline> <p>Heute verlautet zum erſtenmale etwas<lb/> von dem was im im Fürſten- und Miniſterrathe beſchloſſen wurde<lb/> um die neue Geſtaltung der Dinge zu leiten. Ich theile Ihnen nur<lb/> die Namen vorläufig mit, wie mir ſolche von einem wohlunterrichte-<lb/> ten Mann-genannt ſind, und behalte mir vor eine kurze Charakteriſtik<lb/> derjenigen die von Ihren Leſern minder gekannt ſind, ſpäter folgen<lb/> zu laſſen. Zwei(?) Miniſterpräſidenten ſind ohne Portefeuilles ernannt:<lb/> Graf Kolowrat und Graf Hartig; zum Miniſter des Innern: Frhr.<lb/> v. Pillersdorff; der Juſtiz: Graf Taaffe (andere nennen Pilgram);<lb/> Miniſter der Finanzen: Frhr. v. Kübek; Miniſter des Krieges: Graf<lb/> Fiquelmont; Kammerpräſident: <hi rendition="#g">Graf Franz Stadion,</hi> der bekannt-<lb/> lich zu den freiſinnigſten Staatsmännern des Kaiſerſtaats gehört; Poli-<lb/> zeipräſident: Graf Moriz Deym. — Die Stadt kehrt in ihre werktägige<lb/> Begränzung zurück. Mit dem feierlichen Hochamte welches geſtern ab-<lb/> gehalten wurde, ſcheinen die Jubeltage beſchloſſen. Das Feſt auf dem<lb/> Joſephsplatz fand nicht ſtatt. Alle Stunde kommen neue Flugblätter<lb/> zum Vorſchein; man druckt eben alles was gebracht wird. Unwill-<lb/> kürlich fallen einem Schillers Werke ein: „Laßt uns der neuen Frei-<lb/> heit genießen!“ Intereſſant ſind die Ankündigungen bisher verbote-<lb/> ner Bücher; die Grenzboten ſieht man jetzt in den Kaffeehäuſern; in<lb/> einem auch den Struve’ſchen Zuſchauer. 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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 23 März 1848.
Deutſchland.
Oeſterreich.
⸩ Linz, 19 März.Auch in Ober-Oeſterreich
ſpricht ſich der freudige Jubel über die neueſte Wendung der Dinge, über
die Conceſſionen und Verheißungen der Krone nicht minder kräftig und
einſtimmig aus wie an der untern Donau. Wer ſich darüber ärgert
verbirgt das im ſtillen, und heftet doch die weiße Cocarde an die Bruſt.
Ich möchte keinem rathen ſeinen Unmuth über die Ereigniſſe öffentlich
zu äußern. Nicht die Polizei, aber eine enthuſiaſtiſche Jugend, der es
wohl thut daß ſie endlich auch einmal patriotiſch begeiſtert ſeyn darf,
würde ſich handgreiflich dagegen verwahren. Von der bayeriſchen
Gränze bis hieher ſah ich das plötzlich erwachte politiſche Leben ſich
allenthalben kundgeben bis in die Hütte des armen Bauern, der auch
eine beſſere Zeit hoffend den Sonntagshut mit weißem Bande geſchmückt.
In Städten und Dörfern geputzte Häuſer und flatternde Fahnen mit der
Inſchrift: Preßfreiheit, Reform, Conſtitution! Dieſe begeiſterte Bewe-
gung rührte mich unter einem Volk das man ſeines Phlegma, ſeiner
Geduld, ſeines Zurückbleibens wegen immer zu einem Gegenſtand des
Spott es machen wollte, und das die Freiheit ſich am Ende doch ſchneller
errungen als das ſtolze, hochgebildete Preußen, welches ſich immer viel
darauf zu gut gethan in Deutſchland an der Spitze der Intelligenz zu
ſtehen, und nun faſt das letzte deutſche Land iſt wo die Freiheit des
Wortes proclamirt wird.
भ Wien, 19 März.Es wird wohl noch einige Zeit wäh-
ren bis ſich die Dinge hier wirklich deutſch geſtalten. Bis jetzt iſt
man noch zu eng öſterreichiſch, und in allen Klängen, Liedern, Hau-
chen und Reden hat nicht eines den vollen deutſchen Ton angeſtimmt,
der dem großen, einigen Geſammtvaterlande galt. Ich mag dieſes den
wackern Wienern nicht verübeln, jeder denkt natürlich zuerſt an ſich, und
die Zeit iſt nicht mehr fern daß der Oeſterreicher ſeinen Stolz darein ſetzen
wird nun mit ganzer Seele dem freien einigen Deutſchland anzugehö-
ren. Jetzt wirkt es mehr komiſch als ſchmerzlich den verhaßten Staats-
kanzler in einem wohlgemeinten fliegenden Blatte als Ausländer charak-
teriſirt zu finden und hierin einen Grund ſeiner treuloſen Politik zu
ſuchen. Fürſt Metternich war bekanntlich am Rhein und nicht an der
Donau geboren. Würde er als Emporkömmling oder Abenteurer hier
eine kurze Rolle geſpielt haben, ſo könnte man bei einiger Unkenntniß
des offenen Charakters der Rheinländer jener Behauptung allenfalls bei-
pflichten; da jedoch der geborene Koblenzer vierzig Jahre von Oeſterreich
aus die Politik der Staaten lenkte und hier im Lande ſeine Werkzeuge,
Anhänger, Lobredner und Schmeichler unter allen Ständen fand, ſo
bleibt der Vorwurf der fremden Landsmannſchaft hinter den Anſichten
zurück die man gegenwärtig bei Gebildeten vorauszuſetzen berechtigt
wäre. Ueber die Beſetzung der wichtigen Stelle eines Staatskanzlers iſt
noch nichts beſtimmtes bekannt geworden. Der Kaiſer zeigt ſich täglich
dem Volke; geſtern zum erſtenmale an der Seite der Kaiſerin. Das er-
freute Volk ſpannte die Pferde aus und zog den Wagen. Der Kaiſer
war ſichtlich ſehr angegriffen und unweit von der Burg befiel ihn ein
Unwohlſeyn welches den endloſen Jubel unterbrach. — Heute am Jo-
ſephstage wird die Stadt wieder beleuchtet werden und auf dem Joſephs-
platze bereitet ſich eine Feier für den Abend. Die nächſte Woche wird
nun wohl den gewohnten Geſchäftsgang wieder eintreten ſehen. Geſtern
ſchon erließ die Univerſität eine Bekanntmachung daß die Profeſſoren
ihre Vorleſungen beginnen und von den Studirenden der Rückkehr zur
alten Ordnung und des fleißigen Beſuchs der Hörſäle gewärtig ſind.
Eine Manifeſtation der Schriftſteller Wiens, von einigen wenigen der-
ſelben unterzeichnet und in den erſten Stunden nach der Aufhebung der
Cenſur in das Publicum gebracht, ſollte wohl nur dazu dienen die Ge-
müther über die wirkliche Verleihung der Preßfreiheit außer Zweifel zu
ſetzen. Geſtern kam uns die Ankündigung einer neuen Zeitung zu Ge-
ſicht, welche den Titel „die Conſtitution“ führen und demnächſt er-
ſcheinen ſoll. Die Conſtitution aber iſt noch nicht da, und man weiß
nicht wie das Preßgeſetz beſchaffen ſeyn wird und welche materiellen und
intellectuellen Garantien gefordert werden um neue politiſche Organe
begründen zu können. Abgeſehen von allem dem regt ſich hier in allen
Kreiſen ein neues Leben; man ſpricht Politik, man ſpricht laut ohne
Furcht vor der berüchtigten Menſchenclaſſe, die man „Naderer“ oder
„Spitzel“ benannte und die nunmehr mit den Cenſoren wie durch einen
Zauberſchlag aus der Welt verſchwunden ſind. Die große Einwirkung
der jetzigen Bewegung wird erſt nach und nach zur Bedeutung erwachſen
und der Phyſiognomie der alten lieben Kaiſerſtadt ein neues Gepräge
aufdrücken. Meine kurzen Berichte werden ſich noch eine Zeitlang bloß
auf die täglichen Neuigkeiten beziehen um Ihre Leſer auf dem laufenden
zu erhalten. Dann wenn das Intereſſe für dieſe Begebniſſe des Tages
für auswärtige Leſer nicht mehr auf ſolcher Höhe ſich erhält, geſtatten
Sie mir wohl einige Rückblicke, die nunmehr ein rein geſchichtliches In-
tereſſe haben werden.
= Wien, 19 März.Was hier in Wien geſchieht, iſt geeignet
das geſammte deutſche Vaterland in Staunen zu ſetzen, nicht bloß we-
gen der ſo lang angeſprochenen und ſo ſchnell erkämpften Errungenſchaf-
ten, ſondern auch beſonders wegen des herrlichen patriotiſchen Sinnes,
des Adels des Herzens und der unerwarteten Reife des Geiſtes und der
Anſichten, die ſich überall in allen Claſſen der Bevölkerung in größter
Fruchtbarkeit entwickeln. Die Preſſe übernimmt den ehrenvollſten
Antheil dabei und alle hieſigen Zeitungen bringen ununterbrochen Arti-
kel voll Kraft und Würde, voll Volkstreue, voll Treue für den Thron
und die Dynaſtie, indem ſie die Lehren der Freiheit ſiegen machen, aber
der Frechheit und Geſetzloſigkeit überall den Stab brechen. Kaum eine
Ausnahme iſt zu finden daß ein hieſiger Schriftſteller von Werth ſeine
Feder zu irgendeiner Gehäſſigkeit erniedrigt hätte. Das Unglück wurde
geehrt, der Irrthum wurde verdammt, aber ein edles Gefühl der Scham
ſagte einem jeden der zum Volke ſprach daß die freie Preſſe eine ſtrengere
Umſicht beweiſen müſſe als die gefeſſelte und cenſirte. Eine große Auf-
gabe iſt noch ihre durch Belehrung zu löſen! Sie weſentlich muß die un-
gemeſſenen materiellen Erwartungen der Gegenwart, die Anſprüche auf
eine Zeit des Ueberfluſſes in ihr rechtes Maß zurückweiſen. Sogenannte
gute Zeiten werden wir vorderhand noch nicht haben, aber ſie werden
unausbleiblich nachfolgen, ſobald die Zeiten erſt ruhig geworden ſind.
Auch den Perſonen wird man nach und nach gerechter werden und be-
greifen lernen, welches Opfer ein Mann bringt der im gegenwärtigen
Augenblicke ein hohes Amt annimmt. Die neuen Miniſter, die genannt
werden, ſind ſämmtlich Männer mit dem offenſten und unbefangenſten
Blick in die Bedürfniſſe der Gegenwart; nicht ein einziger der nicht in
vollſter Ueberzeugung den Weg geht den ſie alle ſchon längſt als den un-
umgänglich nöthigen erkannt haben ohne ihren Anſichten Geltung ver-
ſchaffen zu können. Man hüte ſich die Männer der jetzigen Zeit nach
den Eindrücken zu beurtheilen die Vorurtheil oder Verleumdung immer
bereit ſind zu verbreiten, man beurtheile ſie einzig nach ihren öffentlichen
Handlungen. Das Kaiſerhaus hat ſich ohne Rückhalt für die Conſtitution
ausgeſprochen, und das iſt genug daß die ganze Monarchie es mit ihm thue.
भ Wien, 20 März.Heute verlautet zum erſtenmale etwas
von dem was im im Fürſten- und Miniſterrathe beſchloſſen wurde
um die neue Geſtaltung der Dinge zu leiten. Ich theile Ihnen nur
die Namen vorläufig mit, wie mir ſolche von einem wohlunterrichte-
ten Mann-genannt ſind, und behalte mir vor eine kurze Charakteriſtik
derjenigen die von Ihren Leſern minder gekannt ſind, ſpäter folgen
zu laſſen. Zwei(?) Miniſterpräſidenten ſind ohne Portefeuilles ernannt:
Graf Kolowrat und Graf Hartig; zum Miniſter des Innern: Frhr.
v. Pillersdorff; der Juſtiz: Graf Taaffe (andere nennen Pilgram);
Miniſter der Finanzen: Frhr. v. Kübek; Miniſter des Krieges: Graf
Fiquelmont; Kammerpräſident: Graf Franz Stadion, der bekannt-
lich zu den freiſinnigſten Staatsmännern des Kaiſerſtaats gehört; Poli-
zeipräſident: Graf Moriz Deym. — Die Stadt kehrt in ihre werktägige
Begränzung zurück. Mit dem feierlichen Hochamte welches geſtern ab-
gehalten wurde, ſcheinen die Jubeltage beſchloſſen. Das Feſt auf dem
Joſephsplatz fand nicht ſtatt. Alle Stunde kommen neue Flugblätter
zum Vorſchein; man druckt eben alles was gebracht wird. Unwill-
kürlich fallen einem Schillers Werke ein: „Laßt uns der neuen Frei-
heit genießen!“ Intereſſant ſind die Ankündigungen bisher verbote-
ner Bücher; die Grenzboten ſieht man jetzt in den Kaffeehäuſern; in
einem auch den Struve’ſchen Zuſchauer. Aus den Reihen der Na-
tionalgarde ſind die ariſtokratiſchen Titel ausgemerzt: Commandant
Hoyos, Hauptmann Colloredo (ohne Graf und Fürſt), ſo liest
man’s in den Tagsbefehlen. Das iſt junges erwachendes Leben, Früh-
lingswehen nach langem Winterſchlafe! Bis auf das Burgtheater ge-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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