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Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848.

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[Spaltenumbruch] ben die andern Theater schon wieder Vorstellungen. Aufsallend ist
es daß in diesem Bereiche noch die Censur aufrechterhalten werden
soll. Das wäre ja wieder eine Beeinträchtigung der Dichter und eine
Bevormundung des Geistes. Ich glaube daß die Sache auf einem
Mißverständniß beruhe, da das kaiserliche Manifest die Aufhebung
der Censur ohne Rückhalt enthält. Der treffliche Bauernfeld, der
in den Tagen da es noch mit Gefahr verknüpft war ein freieres
Wort zu äußern, dieß mit Muth und Kraft that und den Sieg in den
letzten Tagen mit erringen half, ist in Folge der Anstrengung und
der innern Aufregung bedeutend erkrankt. Er liegt an einer Hirn-
entzündung darnieder. Die Entfernung des Fürsten v. Windischgrätz,
der Wien in Belagerungsstand erklärte, beruhte auf einem Irrthum.
Derselbe ist noch immer Commandirender. Fürst Karl Liechtenstein
hatte den Posten eines Stadtcommandanten von Wien abgelehnt, da
er an den Augen leidet. Erst gestern wurde durch einen Tagsbefehl
des Chefs der Nationalgarde bekannt gemacht daß Graf Sardagna
Stadtcommandant sey. Die Bürger wollen darum bitten daß der Fürst
v. Windischgrätz nicht länger die Macht behalte sie unter das Martial-
gesetz zu stellen.

Soeben komme ich von der Piazza grande,
wo der Altgraf Salm im Beiseyn einer unzähligen Menge vom Balcon
des Rathhauses die Constitution verkündete. Erlassen Sie mir eine
Beschreibung des Jubels mit welchem sie aufgenommen wurde; Worte
können diesen doch nicht schildern. Die Nationalgarde ist seit gestern
in Wirksamkeit. Der gestrige Tag, an welchem den niedern Schichten
der Bevölkerung ganz freies Spiel gelassen wurde, ist glücklich vorüber-
gegangen; nicht die geringste Störung kam vor, obgleich unsere Facchini,
Matrosen u. s. w. sich recht gütlich thaten und den Wein nicht sparen.
Heute früh las man allenthalben oggi si lavora, und alles kehrte zu
seiner Arbeit zurück; jetzt liest man aber wieder domani e festa, und
der Jubel von gestern wird aufs neue losgehen. Gestern im Theater
erschienen alle mit den Nationalfarben festlich geschmückt. Nach der
mit dem größten Enthustasmus applaudirten Nationalhymne wurde ein
stürmisches Lebehoch dem Kaiser, dem Erzherzog Johann, dem Vater-
land, der Constitution, der Nationalgarde, den Wienern, Deutschland,
Italien, dem lombardisch-venetianischen Königreich, Pius IX u. s. w.
gebracht. Die stürmisch verlangte Inno Pio wurde gesungen. Wer
hätte dieß vor acht Tagen sich träumen lassen? Ich schließe, denn in die-
sem Augenblick werde ich abgerufen um meine Waffe in Empfang zu
nehmen.

Frankreich.

Die Dinge nehmen hier eine düstere, un-
heilverkündende Gestalt an. Die finanzielle und commercielle Krise
schreitet mit gewaltigen Schritten vorwärts. Das Volk und die Bour-
geoiste stehen in abgesonderten feindlichen Lagern; die Regierung wird
bald in der Lage eines gehorsamen Dieners einer Ochlokratie seyn.
Nachdem die Massen gestern ihren souveränen Willen der Regierung
beinahe aufgedrungen hatten, durchzogen sie Abends unter Absingung
alter und neuer revolutionärer Lieder die ganze Stadt und zwangen
die Einwohner die Fenster zu beleuchten. In der That war um 10 Uhr
ganz Paris glänzend beleuchtet und bot einen reizenden Anblick dar.
Am Tage zogen sie unter dem Rufe: "Nieder mit den Geldaristokraten!"
"Nieder mit den Carlisten!" "Hoch Ledru-Rollin!" Als der Zug auf
dem Kai beim Pont du Change angekommen war, schrie ein alter wohl-
gekleideter Mann -- der nach der Personalbeschreibung Hr. v. Couy,
der unzertrennliche Begleiter der Herzogin v. Berry auf ihren Irrfahrten
nach der Juliusrevolution gewesen zu seyn scheint -- "es lebe Heinrich V!"
Sofort stürzten mehrere Blousenmänner über ihn her und wollten ihn
dem allgemeinen Rufe: "ins Wasser mit ihm!" entsprechend nach der
Seine schleppen, als einige besonnenere Handwerker gegen dieses sum-
marische Verfahren Einsprache erhoben und der wüthenden Menge be-
greiflich machten man müsse "den Verräther" auf die Präfectur führen
damit die Behörden erfahren ob er Mitverschworene habe. Dieser Rath
fand Gehör, man holte einen Fiaker herbei und brachte den wahnsinni-
gen Carlisten auf die Polizeipräfectur. Sie wissen wahrscheinlich schon
daß man vorgestern nach Mitternacht an der Porte St. Martin drei
weiße Fahnen aufgepflanzt fand, welche die patrouillirende National-
garde herunternahm. Tags vorher wurden mehrere Arbeiter verhaftet
die im Quartier St. Denis "es lebe Heinrich V!" geschrien hatten.
Dieselben sollen in ihrem Verhör ausgesagt haben daß sie 2 Fr. des
Tags für längere Zeit zugesichert und überdieß das Versprechen einer
[Spaltenumbruch] höheren Belohnung erhielten, wenn sie eine beträchtliche Anzahl ihrer
Cameraden zu diesem Rufe bewegen könnten. Zwischen dem Finanz-
minister und dem Minister des Innern soll es zu einem sehr heftigen
und bittern Wortwechsel gekommen seyn über einen Gegenstand sehr zar-
ter Natur. Letzterer, heißt es, wäre in Verlegenheit gewesen über die
für sein Departement zur Verfügung gestellten Summen genaue Rechen-
schaft zu geben. Ich theile Ihnen dieses ziemlich stadtkundige Ge-
rücht mit, ohne die Verantwortlichkeit dafür zu übernehmen. Leicht
möglich daß es das Werk der Verleumdung ist, da Ledru-Rollin seit der
letzten Zeit des allgemeinen Hasses der höhern und mittlern Classen sich
erfreut. Als Beitrag zur neuesten Revolutionsgeschichte und ihrer Justiz
kann ich Ihnen Nachstehendes aus authentischer Quelle berichten.
Zu den unbedingtesten Anhängern der republicanischen Partei gehörte
ein Journalist Namens de la Haude, Mitarbeiter an der "Reforme," für
die er sowohl politische als litterarische Aufsätze schrieb. Er war in alle
Geheimnisse der Partei eingeweiht, und nichts fand man natürlicher als
daß er nach dem Siege an den Tisch des Herrn sich setzte und seinen An-
theil verlangte. Bereits war man im Begriff ihn für seine Verdienste
zu belohnen, als Hr. Caussidiere (der jetzt definitiv zum Polizeiprä-
fecten ernannt ist) auf der Polizeipräfectur Documente mit der Unter-
schrift seines Freundes de la Haude vorfand, aus welchen hervor-
ging daß derselbe ein Spion der gefallenen Regierung war. Man
ließ nun den guten Mann kommen, übergab ihm eine geladene Pistole
und ersuchte ihn in einem Briefe die Gründe seines Selbstmordes der
Welt anzuvertrauen. De la Haude fand wenig Geschmack an diesem
Rath und weigerte sich von der gut geladenen Pistole Gebrauch zu ma-
chen. Man sperrte ihn nun in ein finsteres Zimmer der Präfectur ein,
wo er mit Brod und Wasser seit drei Tagen reichlich versehen und im-
mer in Gesellschaft der besagten Pistole sitzt. Wie lange er hier sitzen
wird weiß ich nicht. (Nach andern Berichten ist er durch ein Fenster
entflohen.)

Die gestrige Entfaltung der Volksmeinung
hat einen riesenmäßigen Charakter angenommen. Am 24 Febr. ward
die Republik ausgerufen, am Tag der Leichenfeier geweiht, gestern aber
ward sie eingefleischt in Mark und Blut. Nichts gleicht dem Enthustas-
mus, der zusammenwirkenden Kraft mit welcher die Bevölkerung die
vor dem Stadthause versammelt war, durch ihren Ruf: "es lebe die
Republik!" "Es lebe die provisorische Regierung!" "Es lebe Ledru-Rol-
lin!" die Luft erschütterte. Nachdem der Zug, dessen Vorüberwande-
rung zwei Stunden dauerte, sich nach dem Bastillenplatz begeben, wälzte
er sich über die Boulevards herab, stets in der nämlichen Ordnung und
mit militärischer Disciplin auftretend. Bei der Börse angelangt um-
zogen sie das Gebäude, brachten der Republik, dem Minister des In-
nern Ledru-Rollin ein Lebehoch, und den Börsenmännern die sie als
die Ruhestörer von vorgestern und als Verleumder bezeichneten, einige
weniger angenehm tönende Zurufe ihrer Gesinnung. Ihre letzten Aeu-
ßerungen und Verwahrungen richteten sie in drei verschiedenen Haufen
und in ausdrucksvollen Worten an den Minister des Innern in seiner
Wohnung, der ihnen antwortete. Der Charakter dieses Tages ist nun
dieser: Ein Theil der Nationalgarde hatte die Maßregeln der provisori-
schen Regierung und des Ministers des Innern in einer Vorstellung an-
gegriffen; das Volk, vereint mit andern Theilen der Nationalgarde, in
einer Gesammtzahl die an 1 bis 200,000 Mann geschätzt wird, wollte
der provisorischen Regierung im allgemeinen und dem Minister des In-
nern insbesondere seine Anhänglichkeit und das innige Band der Ein-
tracht und Ergebenheit zwischen ihnen bewähren. Der Beweis war
schlagend, und wird dem widerstrebenden Theil der Nationalgarde im Ge-
dächtniß bleiben. Nächstens wird ein Fest zur Feier der Verbrüderung
des Volkes, der Nationalgarde und der Armee veranstaltet, wahrschein-
lich in größtem Umfange. Paris war gestern Abend glänzend erleuch-
tet, das Volk hatte es so gewünscht; die Boulevards sahen aus wie am
25 Febr., nur die Flinten und die Barricaden fehlten.

Während die englische Presse allerlei
Vermuthungen über die Ursache der plötzlichen Abreise des Herzogs und
der Herzogin v. Montpenster aus London anstellt, langte gestern bei
der provisorischen Regierung ein Gesuch des Herzogs v. Montpenster an
um die Rückgabe der in den Tuilerien vorgefundenen Garderobe seiner
Gemahlin zu erwirken. Die Eile mit welcher die königliche Familie am
24 Febr. Paris verließ, erlaubte der Herzogin v. Montpensier keine an-
dere Wäsche und Kleider mitzunehmen als was sie am Leibe hatte. Der
Herzog und die Herzogin v. Montpenster, welche vor ein paar Tagen in

[Spaltenumbruch] ben die andern Theater ſchon wieder Vorſtellungen. Aufſallend iſt
es daß in dieſem Bereiche noch die Cenſur aufrechterhalten werden
ſoll. Das wäre ja wieder eine Beeinträchtigung der Dichter und eine
Bevormundung des Geiſtes. Ich glaube daß die Sache auf einem
Mißverſtändniß beruhe, da das kaiſerliche Manifeſt die Aufhebung
der Cenſur ohne Rückhalt enthält. Der treffliche Bauernfeld, der
in den Tagen da es noch mit Gefahr verknüpft war ein freieres
Wort zu äußern, dieß mit Muth und Kraft that und den Sieg in den
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der innern Aufregung bedeutend erkrankt. Er liegt an einer Hirn-
entzündung darnieder. Die Entfernung des Fürſten v. Windiſchgrätz,
der Wien in Belagerungsſtand erklärte, beruhte auf einem Irrthum.
Derſelbe iſt noch immer Commandirender. Fürſt Karl Liechtenſtein
hatte den Poſten eines Stadtcommandanten von Wien abgelehnt, da
er an den Augen leidet. Erſt geſtern wurde durch einen Tagsbefehl
des Chefs der Nationalgarde bekannt gemacht daß Graf Sardagna
Stadtcommandant ſey. Die Bürger wollen darum bitten daß der Fürſt
v. Windiſchgrätz nicht länger die Macht behalte ſie unter das Martial-
geſetz zu ſtellen.

Soeben komme ich von der Piazza grande,
wo der Altgraf Salm im Beiſeyn einer unzähligen Menge vom Balcon
des Rathhauſes die Conſtitution verkündete. Erlaſſen Sie mir eine
Beſchreibung des Jubels mit welchem ſie aufgenommen wurde; Worte
können dieſen doch nicht ſchildern. Die Nationalgarde iſt ſeit geſtern
in Wirkſamkeit. Der geſtrige Tag, an welchem den niedern Schichten
der Bevölkerung ganz freies Spiel gelaſſen wurde, iſt glücklich vorüber-
gegangen; nicht die geringſte Störung kam vor, obgleich unſere Facchini,
Matroſen u. ſ. w. ſich recht gütlich thaten und den Wein nicht ſparen.
Heute früh las man allenthalben oggi si lavora, und alles kehrte zu
ſeiner Arbeit zurück; jetzt liest man aber wieder domani è festa, und
der Jubel von geſtern wird aufs neue losgehen. Geſtern im Theater
erſchienen alle mit den Nationalfarben feſtlich geſchmückt. Nach der
mit dem größten Enthuſtasmus applaudirten Nationalhymne wurde ein
ſtürmiſches Lebehoch dem Kaiſer, dem Erzherzog Johann, dem Vater-
land, der Conſtitution, der Nationalgarde, den Wienern, Deutſchland,
Italien, dem lombardiſch-venetianiſchen Königreich, Pius IX u. ſ. w.
gebracht. Die ſtürmiſch verlangte Inno Pio wurde geſungen. Wer
hätte dieß vor acht Tagen ſich träumen laſſen? Ich ſchließe, denn in die-
ſem Augenblick werde ich abgerufen um meine Waffe in Empfang zu
nehmen.

Frankreich.

Die Dinge nehmen hier eine düſtere, un-
heilverkündende Geſtalt an. Die finanzielle und commercielle Kriſe
ſchreitet mit gewaltigen Schritten vorwärts. Das Volk und die Bour-
geoiſte ſtehen in abgeſonderten feindlichen Lagern; die Regierung wird
bald in der Lage eines gehorſamen Dieners einer Ochlokratie ſeyn.
Nachdem die Maſſen geſtern ihren ſouveränen Willen der Regierung
beinahe aufgedrungen hatten, durchzogen ſie Abends unter Abſingung
alter und neuer revolutionärer Lieder die ganze Stadt und zwangen
die Einwohner die Fenſter zu beleuchten. In der That war um 10 Uhr
ganz Paris glänzend beleuchtet und bot einen reizenden Anblick dar.
Am Tage zogen ſie unter dem Rufe: „Nieder mit den Geldariſtokraten!“
„Nieder mit den Carliſten!“ „Hoch Ledru-Rollin!“ Als der Zug auf
dem Kai beim Pont du Change angekommen war, ſchrie ein alter wohl-
gekleideter Mann — der nach der Perſonalbeſchreibung Hr. v. Couy,
der unzertrennliche Begleiter der Herzogin v. Berry auf ihren Irrfahrten
nach der Juliusrevolution geweſen zu ſeyn ſcheint — „es lebe Heinrich V!“
Sofort ſtürzten mehrere Blouſenmänner über ihn her und wollten ihn
dem allgemeinen Rufe: „ins Waſſer mit ihm!“ entſprechend nach der
Seine ſchleppen, als einige beſonnenere Handwerker gegen dieſes ſum-
mariſche Verfahren Einſprache erhoben und der wüthenden Menge be-
greiflich machten man müſſe „den Verräther“ auf die Präfectur führen
damit die Behörden erfahren ob er Mitverſchworene habe. Dieſer Rath
fand Gehör, man holte einen Fiaker herbei und brachte den wahnſinni-
gen Carliſten auf die Polizeipräfectur. Sie wiſſen wahrſcheinlich ſchon
daß man vorgeſtern nach Mitternacht an der Porte St. Martin drei
weiße Fahnen aufgepflanzt fand, welche die patrouillirende National-
garde herunternahm. Tags vorher wurden mehrere Arbeiter verhaftet
die im Quartier St. Denis „es lebe Heinrich V!“ geſchrien hatten.
Dieſelben ſollen in ihrem Verhör ausgeſagt haben daß ſie 2 Fr. des
Tags für längere Zeit zugeſichert und überdieß das Verſprechen einer
[Spaltenumbruch] höheren Belohnung erhielten, wenn ſie eine beträchtliche Anzahl ihrer
Cameraden zu dieſem Rufe bewegen könnten. Zwiſchen dem Finanz-
miniſter und dem Miniſter des Innern ſoll es zu einem ſehr heftigen
und bittern Wortwechſel gekommen ſeyn über einen Gegenſtand ſehr zar-
ter Natur. Letzterer, heißt es, wäre in Verlegenheit geweſen über die
für ſein Departement zur Verfügung geſtellten Summen genaue Rechen-
ſchaft zu geben. Ich theile Ihnen dieſes ziemlich ſtadtkundige Ge-
rücht mit, ohne die Verantwortlichkeit dafür zu übernehmen. Leicht
möglich daß es das Werk der Verleumdung iſt, da Ledru-Rollin ſeit der
letzten Zeit des allgemeinen Haſſes der höhern und mittlern Claſſen ſich
erfreut. Als Beitrag zur neueſten Revolutionsgeſchichte und ihrer Juſtiz
kann ich Ihnen Nachſtehendes aus authentiſcher Quelle berichten.
Zu den unbedingteſten Anhängern der republicaniſchen Partei gehörte
ein Journaliſt Namens de la Haude, Mitarbeiter an der „Réforme,“ für
die er ſowohl politiſche als litterariſche Aufſätze ſchrieb. Er war in alle
Geheimniſſe der Partei eingeweiht, und nichts fand man natürlicher als
daß er nach dem Siege an den Tiſch des Herrn ſich ſetzte und ſeinen An-
theil verlangte. Bereits war man im Begriff ihn für ſeine Verdienſte
zu belohnen, als Hr. Cauſſidière (der jetzt definitiv zum Polizeiprä-
fecten ernannt iſt) auf der Polizeipräfectur Documente mit der Unter-
ſchrift ſeines Freundes de la Haude vorfand, aus welchen hervor-
ging daß derſelbe ein Spion der gefallenen Regierung war. Man
ließ nun den guten Mann kommen, übergab ihm eine geladene Piſtole
und erſuchte ihn in einem Briefe die Gründe ſeines Selbſtmordes der
Welt anzuvertrauen. De la Haude fand wenig Geſchmack an dieſem
Rath und weigerte ſich von der gut geladenen Piſtole Gebrauch zu ma-
chen. Man ſperrte ihn nun in ein finſteres Zimmer der Präfectur ein,
wo er mit Brod und Waſſer ſeit drei Tagen reichlich verſehen und im-
mer in Geſellſchaft der beſagten Piſtole ſitzt. Wie lange er hier ſitzen
wird weiß ich nicht. (Nach andern Berichten iſt er durch ein Fenſter
entflohen.)

Die geſtrige Entfaltung der Volksmeinung
hat einen rieſenmäßigen Charakter angenommen. Am 24 Febr. ward
die Republik ausgerufen, am Tag der Leichenfeier geweiht, geſtern aber
ward ſie eingefleiſcht in Mark und Blut. Nichts gleicht dem Enthuſtas-
mus, der zuſammenwirkenden Kraft mit welcher die Bevölkerung die
vor dem Stadthauſe verſammelt war, durch ihren Ruf: „es lebe die
Republik!“ „Es lebe die proviſoriſche Regierung!“ „Es lebe Ledru-Rol-
lin!“ die Luft erſchütterte. Nachdem der Zug, deſſen Vorüberwande-
rung zwei Stunden dauerte, ſich nach dem Baſtillenplatz begeben, wälzte
er ſich über die Boulevards herab, ſtets in der nämlichen Ordnung und
mit militäriſcher Disciplin auftretend. Bei der Börſe angelangt um-
zogen ſie das Gebäude, brachten der Republik, dem Miniſter des In-
nern Ledru-Rollin ein Lebehoch, und den Börſenmännern die ſie als
die Ruheſtörer von vorgeſtern und als Verleumder bezeichneten, einige
weniger angenehm tönende Zurufe ihrer Geſinnung. Ihre letzten Aeu-
ßerungen und Verwahrungen richteten ſie in drei verſchiedenen Haufen
und in ausdrucksvollen Worten an den Miniſter des Innern in ſeiner
Wohnung, der ihnen antwortete. Der Charakter dieſes Tages iſt nun
dieſer: Ein Theil der Nationalgarde hatte die Maßregeln der proviſori-
ſchen Regierung und des Miniſters des Innern in einer Vorſtellung an-
gegriffen; das Volk, vereint mit andern Theilen der Nationalgarde, in
einer Geſammtzahl die an 1 bis 200,000 Mann geſchätzt wird, wollte
der proviſoriſchen Regierung im allgemeinen und dem Miniſter des In-
nern insbeſondere ſeine Anhänglichkeit und das innige Band der Ein-
tracht und Ergebenheit zwiſchen ihnen bewähren. Der Beweis war
ſchlagend, und wird dem widerſtrebenden Theil der Nationalgarde im Ge-
dächtniß bleiben. Nächſtens wird ein Feſt zur Feier der Verbrüderung
des Volkes, der Nationalgarde und der Armee veranſtaltet, wahrſchein-
lich in größtem Umfange. Paris war geſtern Abend glänzend erleuch-
tet, das Volk hatte es ſo gewünſcht; die Boulevards ſahen aus wie am
25 Febr., nur die Flinten und die Barricaden fehlten.

Während die engliſche Preſſe allerlei
Vermuthungen über die Urſache der plötzlichen Abreiſe des Herzogs und
der Herzogin v. Montpenſter aus London anſtellt, langte geſtern bei
der proviſoriſchen Regierung ein Geſuch des Herzogs v. Montpenſter an
um die Rückgabe der in den Tuilerien vorgefundenen Garderobe ſeiner
Gemahlin zu erwirken. Die Eile mit welcher die königliche Familie am
24 Febr. Paris verließ, erlaubte der Herzogin v. Montpenſier keine an-
dere Wäſche und Kleider mitzunehmen als was ſie am Leibe hatte. Der
Herzog und die Herzogin v. Montpenſter, welche vor ein paar Tagen in

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[0018] ben die andern Theater ſchon wieder Vorſtellungen. Aufſallend iſt es daß in dieſem Bereiche noch die Cenſur aufrechterhalten werden ſoll. Das wäre ja wieder eine Beeinträchtigung der Dichter und eine Bevormundung des Geiſtes. Ich glaube daß die Sache auf einem Mißverſtändniß beruhe, da das kaiſerliche Manifeſt die Aufhebung der Cenſur ohne Rückhalt enthält. Der treffliche Bauernfeld, der in den Tagen da es noch mit Gefahr verknüpft war ein freieres Wort zu äußern, dieß mit Muth und Kraft that und den Sieg in den letzten Tagen mit erringen half, iſt in Folge der Anſtrengung und der innern Aufregung bedeutend erkrankt. Er liegt an einer Hirn- entzündung darnieder. Die Entfernung des Fürſten v. Windiſchgrätz, der Wien in Belagerungsſtand erklärte, beruhte auf einem Irrthum. Derſelbe iſt noch immer Commandirender. Fürſt Karl Liechtenſtein hatte den Poſten eines Stadtcommandanten von Wien abgelehnt, da er an den Augen leidet. Erſt geſtern wurde durch einen Tagsbefehl des Chefs der Nationalgarde bekannt gemacht daß Graf Sardagna Stadtcommandant ſey. Die Bürger wollen darum bitten daß der Fürſt v. Windiſchgrätz nicht länger die Macht behalte ſie unter das Martial- geſetz zu ſtellen. * Trieſt,, 18 März.Soeben komme ich von der Piazza grande, wo der Altgraf Salm im Beiſeyn einer unzähligen Menge vom Balcon des Rathhauſes die Conſtitution verkündete. Erlaſſen Sie mir eine Beſchreibung des Jubels mit welchem ſie aufgenommen wurde; Worte können dieſen doch nicht ſchildern. Die Nationalgarde iſt ſeit geſtern in Wirkſamkeit. Der geſtrige Tag, an welchem den niedern Schichten der Bevölkerung ganz freies Spiel gelaſſen wurde, iſt glücklich vorüber- gegangen; nicht die geringſte Störung kam vor, obgleich unſere Facchini, Matroſen u. ſ. w. ſich recht gütlich thaten und den Wein nicht ſparen. Heute früh las man allenthalben oggi si lavora, und alles kehrte zu ſeiner Arbeit zurück; jetzt liest man aber wieder domani è festa, und der Jubel von geſtern wird aufs neue losgehen. Geſtern im Theater erſchienen alle mit den Nationalfarben feſtlich geſchmückt. Nach der mit dem größten Enthuſtasmus applaudirten Nationalhymne wurde ein ſtürmiſches Lebehoch dem Kaiſer, dem Erzherzog Johann, dem Vater- land, der Conſtitution, der Nationalgarde, den Wienern, Deutſchland, Italien, dem lombardiſch-venetianiſchen Königreich, Pius IX u. ſ. w. gebracht. Die ſtürmiſch verlangte Inno Pio wurde geſungen. Wer hätte dieß vor acht Tagen ſich träumen laſſen? Ich ſchließe, denn in die- ſem Augenblick werde ich abgerufen um meine Waffe in Empfang zu nehmen. Frankreich. # Paris, 18 März.Die Dinge nehmen hier eine düſtere, un- heilverkündende Geſtalt an. Die finanzielle und commercielle Kriſe ſchreitet mit gewaltigen Schritten vorwärts. Das Volk und die Bour- geoiſte ſtehen in abgeſonderten feindlichen Lagern; die Regierung wird bald in der Lage eines gehorſamen Dieners einer Ochlokratie ſeyn. Nachdem die Maſſen geſtern ihren ſouveränen Willen der Regierung beinahe aufgedrungen hatten, durchzogen ſie Abends unter Abſingung alter und neuer revolutionärer Lieder die ganze Stadt und zwangen die Einwohner die Fenſter zu beleuchten. In der That war um 10 Uhr ganz Paris glänzend beleuchtet und bot einen reizenden Anblick dar. Am Tage zogen ſie unter dem Rufe: „Nieder mit den Geldariſtokraten!“ „Nieder mit den Carliſten!“ „Hoch Ledru-Rollin!“ Als der Zug auf dem Kai beim Pont du Change angekommen war, ſchrie ein alter wohl- gekleideter Mann — der nach der Perſonalbeſchreibung Hr. v. Couy, der unzertrennliche Begleiter der Herzogin v. Berry auf ihren Irrfahrten nach der Juliusrevolution geweſen zu ſeyn ſcheint — „es lebe Heinrich V!“ Sofort ſtürzten mehrere Blouſenmänner über ihn her und wollten ihn dem allgemeinen Rufe: „ins Waſſer mit ihm!“ entſprechend nach der Seine ſchleppen, als einige beſonnenere Handwerker gegen dieſes ſum- mariſche Verfahren Einſprache erhoben und der wüthenden Menge be- greiflich machten man müſſe „den Verräther“ auf die Präfectur führen damit die Behörden erfahren ob er Mitverſchworene habe. Dieſer Rath fand Gehör, man holte einen Fiaker herbei und brachte den wahnſinni- gen Carliſten auf die Polizeipräfectur. Sie wiſſen wahrſcheinlich ſchon daß man vorgeſtern nach Mitternacht an der Porte St. Martin drei weiße Fahnen aufgepflanzt fand, welche die patrouillirende National- garde herunternahm. Tags vorher wurden mehrere Arbeiter verhaftet die im Quartier St. Denis „es lebe Heinrich V!“ geſchrien hatten. Dieſelben ſollen in ihrem Verhör ausgeſagt haben daß ſie 2 Fr. des Tags für längere Zeit zugeſichert und überdieß das Verſprechen einer höheren Belohnung erhielten, wenn ſie eine beträchtliche Anzahl ihrer Cameraden zu dieſem Rufe bewegen könnten. Zwiſchen dem Finanz- miniſter und dem Miniſter des Innern ſoll es zu einem ſehr heftigen und bittern Wortwechſel gekommen ſeyn über einen Gegenſtand ſehr zar- ter Natur. Letzterer, heißt es, wäre in Verlegenheit geweſen über die für ſein Departement zur Verfügung geſtellten Summen genaue Rechen- ſchaft zu geben. Ich theile Ihnen dieſes ziemlich ſtadtkundige Ge- rücht mit, ohne die Verantwortlichkeit dafür zu übernehmen. Leicht möglich daß es das Werk der Verleumdung iſt, da Ledru-Rollin ſeit der letzten Zeit des allgemeinen Haſſes der höhern und mittlern Claſſen ſich erfreut. Als Beitrag zur neueſten Revolutionsgeſchichte und ihrer Juſtiz kann ich Ihnen Nachſtehendes aus authentiſcher Quelle berichten. Zu den unbedingteſten Anhängern der republicaniſchen Partei gehörte ein Journaliſt Namens de la Haude, Mitarbeiter an der „Réforme,“ für die er ſowohl politiſche als litterariſche Aufſätze ſchrieb. Er war in alle Geheimniſſe der Partei eingeweiht, und nichts fand man natürlicher als daß er nach dem Siege an den Tiſch des Herrn ſich ſetzte und ſeinen An- theil verlangte. Bereits war man im Begriff ihn für ſeine Verdienſte zu belohnen, als Hr. Cauſſidière (der jetzt definitiv zum Polizeiprä- fecten ernannt iſt) auf der Polizeipräfectur Documente mit der Unter- ſchrift ſeines Freundes de la Haude vorfand, aus welchen hervor- ging daß derſelbe ein Spion der gefallenen Regierung war. Man ließ nun den guten Mann kommen, übergab ihm eine geladene Piſtole und erſuchte ihn in einem Briefe die Gründe ſeines Selbſtmordes der Welt anzuvertrauen. De la Haude fand wenig Geſchmack an dieſem Rath und weigerte ſich von der gut geladenen Piſtole Gebrauch zu ma- chen. Man ſperrte ihn nun in ein finſteres Zimmer der Präfectur ein, wo er mit Brod und Waſſer ſeit drei Tagen reichlich verſehen und im- mer in Geſellſchaft der beſagten Piſtole ſitzt. Wie lange er hier ſitzen wird weiß ich nicht. (Nach andern Berichten iſt er durch ein Fenſter entflohen.) = Paris, 18 März.Die geſtrige Entfaltung der Volksmeinung hat einen rieſenmäßigen Charakter angenommen. Am 24 Febr. ward die Republik ausgerufen, am Tag der Leichenfeier geweiht, geſtern aber ward ſie eingefleiſcht in Mark und Blut. Nichts gleicht dem Enthuſtas- mus, der zuſammenwirkenden Kraft mit welcher die Bevölkerung die vor dem Stadthauſe verſammelt war, durch ihren Ruf: „es lebe die Republik!“ „Es lebe die proviſoriſche Regierung!“ „Es lebe Ledru-Rol- lin!“ die Luft erſchütterte. Nachdem der Zug, deſſen Vorüberwande- rung zwei Stunden dauerte, ſich nach dem Baſtillenplatz begeben, wälzte er ſich über die Boulevards herab, ſtets in der nämlichen Ordnung und mit militäriſcher Disciplin auftretend. Bei der Börſe angelangt um- zogen ſie das Gebäude, brachten der Republik, dem Miniſter des In- nern Ledru-Rollin ein Lebehoch, und den Börſenmännern die ſie als die Ruheſtörer von vorgeſtern und als Verleumder bezeichneten, einige weniger angenehm tönende Zurufe ihrer Geſinnung. Ihre letzten Aeu- ßerungen und Verwahrungen richteten ſie in drei verſchiedenen Haufen und in ausdrucksvollen Worten an den Miniſter des Innern in ſeiner Wohnung, der ihnen antwortete. Der Charakter dieſes Tages iſt nun dieſer: Ein Theil der Nationalgarde hatte die Maßregeln der proviſori- ſchen Regierung und des Miniſters des Innern in einer Vorſtellung an- gegriffen; das Volk, vereint mit andern Theilen der Nationalgarde, in einer Geſammtzahl die an 1 bis 200,000 Mann geſchätzt wird, wollte der proviſoriſchen Regierung im allgemeinen und dem Miniſter des In- nern insbeſondere ſeine Anhänglichkeit und das innige Band der Ein- tracht und Ergebenheit zwiſchen ihnen bewähren. Der Beweis war ſchlagend, und wird dem widerſtrebenden Theil der Nationalgarde im Ge- dächtniß bleiben. Nächſtens wird ein Feſt zur Feier der Verbrüderung des Volkes, der Nationalgarde und der Armee veranſtaltet, wahrſchein- lich in größtem Umfange. Paris war geſtern Abend glänzend erleuch- tet, das Volk hatte es ſo gewünſcht; die Boulevards ſahen aus wie am 25 Febr., nur die Flinten und die Barricaden fehlten. ** Paris, 18 März.Während die engliſche Preſſe allerlei Vermuthungen über die Urſache der plötzlichen Abreiſe des Herzogs und der Herzogin v. Montpenſter aus London anſtellt, langte geſtern bei der proviſoriſchen Regierung ein Geſuch des Herzogs v. Montpenſter an um die Rückgabe der in den Tuilerien vorgefundenen Garderobe ſeiner Gemahlin zu erwirken. Die Eile mit welcher die königliche Familie am 24 Febr. Paris verließ, erlaubte der Herzogin v. Montpenſier keine an- dere Wäſche und Kleider mitzunehmen als was ſie am Leibe hatte. Der Herzog und die Herzogin v. 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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine83_1848/18>, abgerufen am 23.11.2024.