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Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848.

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[Spaltenumbruch] Ostende gelandet sind, beabsichtigen von der Herzogin v. Orleans in
Deutschland Abschied zu nehmen bevor sie die Reise nach Madrid, wo
die Herzogin v. Montpenster ihre Niederkunft halten wird, antreten
sollen. Der Herzog v. Montpenster wendet sich daher an die Großmuth
der französtschen Nation mit der Bitte man möchte seiner Gattin wenig-
stens soviel Wäsche und Garderobe herausgeben, damit sie anständig in
Deutschland und Spanien auftreten könne. Dem Vernehmen nach hat
sich die provisorische Regierung beeilt eine zu dem früheren Hofstaat der
Herzog v. Montpenfier gehörende Dame mit der Garderobe der Prin-
zessin nach Brüssel abzusenden. Die Herzogin v. Orleans soll vorlän-
sig die Stadt Ems zu ihrem Aufenthalt gewählt haben.

Die Legitimisten rühren sich in der Bre-
tagne, in Rennes hat man die republicanischen Proclamationen mit
legitimistischen überklebt, die beweisen wollen daß die Royalisten die wah-
ren Republicaner sind; um recht frei zu seyn hat man auch Arbeiter
hinzugezogen die mit ihren Brodherren das Wahlcomite bilden. Man
besorgt hier nichts von dieser Bewegung, der mindest gefährlichen von
allen. Es herrscht hier in der Masse der Bevölkerung ein tiefer Haß
gegen alles was an die Bourbone erinnert, und dieser Haß hat sich
schon mehrmals sehr thätlich ausgesprochen. Einem Trupp der die
weiße Fahne trug, hat das Volk ergriffen, die Thäter ihrer Hosen ent-
kleidet und auf eine Weise gezüchtigt die uns zu den unerfreulichsten
Erinnerungen aus unsern Ammenjahren zurückführt. Ich selbst hörte
wie ein junger Mann neben mir in der Straße seine Begegnung mit
einem vornehmen Herrn erzählte, der ihn zum Trinken in einer Wein-
schenke einlud und auf die Gesundheit Heinrichs des Fünften anstoßen
wollte: die Antwort war ein Faustschlag an die Schläfe, der den einla-
denden Gast hinstreckte. -- Die Nachrichten die wir heute aus England
erhalten, sprechen von abermaligen Unruhen. -- Wir haben in diesem
Augenblick eine dramatische Darstellung der Marseillaise durch Fräulein
Rachel die diese Hymne halb singend halb sprechend hersagt. Sie kön-
nen sich den Eindruck denken.

Italien.

* Die römische Constitution ist verkündigt! Wir erhalten
das in 69 Artikeln abgefaßte "Statuto fondamentale pel governo
temporale degli Stati di S. Chiesa."
Es ist vom 14 März datirt,
und ward am 15 Mittags durch Maueranschlag verkündigt. Gränzenloser
Jubel erfüllte die ewige Stadt ob solcher Märzen-Idus. Wir müssen das
nähere auf morgen versparen, und führen heute nur die Hauptgrundzüge an.
Das Cardinalscollegium bleibt ein von der Person des Papstes untrennbarer
Senat. Für die Gesetzgebung werden zwei Rathsversammlungen mit
deliberativer Stimmenkraft eingesetzt. Die eine Kammer heißt der hohe
Rath, die andere der Deputirtenrath. Der Papst beruft, vertagt und schließt
beide. Die Sitzungen dauern jährlich nicht über drei Monate. Drei Monate
nach erfolgter Auflösung wird der Deputirtenrath aufs neue durch Wahl
berufen. Behufs einer gültigen Sitzung muß die Hälfte der Mitglieder
anwesend seyn. Stimmenmehrheit entscheidet. Die Sitzungen sind öf-
fentlich und die Verhandlungen werden gedruckt. Die Mitglieder des
hohen Raths werden auf Lebenszeit ernannt; hohe Staatsämter, wis-
senschaftliche Verdienste und 4000 Scudi Einkommen befähigen dazu.
Die Deputirtenkammer wird gewählt, so daß auf je 30,000 Seelen ein
Deputirter trifft. Wähler sind außer den Ortsobern und Gemeindevor-
ständen alle mit 12 Scudi jährlich Besteuerten. Wählbar sind die Be-
sitzer eines Capitals von 3000 Scudi oder solche die 100 Scudi Steuer
zahlen, dann Collegienmitglieder, Universitätsprofessoren u. s. w. Die
Wähler müssen 25, die Wählbaren 30 Jahre alt seyn. Die Deputir-
tenkammer wählt ihren Präsidenten und Vicepräfidenten selbst. Die
Mitglieder beider Kammern dienen unentgeltlich. Alle Gesetze und
Auflagen müssen von beiden Kammern discutirt und votirt wer-
den. Kraft erhalten sie durch die Sanction des Souveräns. Die
Gesetzvorschläge gehen vom Ministerium oder von einer der Kam-
mern auf Verlangen von 10 Mitgliedern aus. Kirchliche Ange-
legenheiten gehören nicht zum Bereiche der Kammern; ebenso nicht
die diplomatischen kirchlichen Angelegenheiten des heil. Stuhls. Fi-
nanzsachen und Handelsverträge müssen den Kammern vorgelegt wer-
den. Directe Auflagen werden für ein Jahr, indirecte für mehrere
Jahre zugestanden. Vorschläge, die in der einen oder andern Kammer
verworfen worden, dürfen in derselben Session nicht mehr vorgebracht
werden. Nur die Deputirtenversammlung hat das Recht die Minister
in Anklagestand zu versetzen. Jeder majorenne Bürger hat das Peti-
tionsrecht. Die päpstliche Civilliste ist auf 600,000 Scudi gestellt.
[Spaltenumbruch] Die Justiz ist für unabhängig erklärt; die persönliche Freiheit verbürgt;
alles Eigenthum ohne Ausnahme hilft die Staatslasten tragen; die
Bürgergarde ist Staatsinstitut. Die Censur in politischen Dingen
hört auf; die kirchliche besteht fort, und ebenso bleiben die Theater der
Censur unterstellt. -- Die Jesuiten waren zum Abzug bereit; aber das
gemeine Volk, welchem sie sich vormals, besonders zur Cholerazeit, sehr
wohlthätig gezeigt, wurde schwierig, und so dürfen sie bleiben -- Die
Zeitung von Neapel enthält jetzt das k. Decret über Errichtung der
Guardia Civica. Eine Lazzaronibewegung ward niedergeschlagen.

Der dießjährige Fasching, der sonst so
berühmte Carnevale di Venezia, ist zu Grabe gegangen. Friede seiner
Asche! Sein Leben war heuer ein erbarmungswürdiges Siechthum, so
daß man ihm nichts besseres wünschen konnte als einen baldigen Tod.
Vielleicht wird die Fastenzeit uns für ihn entschädigen. Die letzten
Athemzüge des Leidenden waren der Faschingsdienstag mit der sonst so
glänzenden Cavalchina, der großen Redoute im Fenice-Theater auf der
sonst 4 bis 5000 Personen sich drängten und bis zum Morgen müde
taumelten. Heuer gab man in allem 140 Karten aus, und zwei Stun-
den nach Mitternacht war alles zu Ende. -- Johann Kreuz, der berühmte
Illustrator der Markuskirche, hat die vom Kaiser von Rußland bestellte
Aufgabe, eine Abbildung von sechs venezianischen Palästen, eben vollen-
det, und alles strömt in das Atelier des bescheidenen Künstlers um die
herrliche Arbeit zu bewundern, die in der That auch das vollendetste ist
was die Zeichenkunst aufzuweisen hat. -- Auch das zweite Dampfschiff
des österreichischen Lloyd, Venezia, das gemeinsam mit dem Trieste die
Fahrten zwischen den beiden Städten die ihre Namen führen, machen soll,
ist vor einigen Tagen hier angekommen, und legte den Weg (75 engli-
sche Meilen) in 41/2 Stunden zurück. Der Bau des Schiffes sowohl als
seine glänzende Einrichtung übertreffen alles bisher geleistete.

Die gestern hier unter den verschiedensten
Lesearten verbreiteten Nachrichten aus Wien über ausgebrochene Unru-
hen weckten hier den früheren Geist wieder, der seit einiger Zeit zu
schlummern schien. Das Theater der Fenice, das bis jetzt immer un-
besucht blieb, wurde wieder zum Schauplatz von Demonstrationen ge-
wählt. Schon gegen Mittag waren alle Logen und Sperrsitze vergrif-
fen. Da erschien kurz vor der Theaterstunde ein Anschlagzettel der die
Vorstellung aufhob. Schon am Vormittag hatte auf der Promenade
des Markusplatzes ein Volksauftritt stattgefunden, in Folge dessen die
Gemahlin des Gouverneurs sich gezwungen sah sich eiligst in ihre Woh-
nung zurückzuziehen. -- Vorgestern starb hier Italiens größter Geo-
graph, Adriano Balbi, an einem Erkältungsfieber, das er sich auf ei-
ner Reise von Wien hieher zugezogen hatte. Er war 64 Jahre alt,
hatte sich vor kurzem zum zweitenmale vermählt, und hinterläßt aus sei-
ner ersten Ehe einen Sohn, der seinem Vater in die wissenschaftlichen
Fußstapfen folgt.

Heute Morgens gegen 11 Uhr langte hier
das Dampfboot "Triest" an und brachte die kaiserlichen Entschließungen
über die freie Presse und die Zusammenberufung der Stände für den
3 Jul. Das sind die einzigen Nachrichten die amtlich durch die Zeitung
mitgetheilt wurden. Kaum aber hatte das Dampfboot die Anker gewor-
fen als eine Unzahl von Barken jubelnd es umdrängten und die Consti-
tution hochleben ließen; wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht
durch die Stadt; schon in einer Stunde waren alle Läden geschlossen und
das Volk zog jubelnd und fingend unter dem Rufe "es lebe die Constitu-
tion" nach dem Marcusplatze. Dort umarmte sich alles, die Officiere
denen man begegnete wurden geküßt, aufgehoben und im Triumph sin-
gend und schreiend herumgetragen. Unter den Fenstern des Gouverneurs
donnerten die Lebehoch bis er persönlich am Fenster erschien. Nun for-
derte die Masse Manin und Tommaseo. Der Gouverneur erklärte
daß diesen Wunsch zu erfüllen nicht in seiner Macht stände. Das Ge-
schrei aber dauerte fort, bis er sich, um jeder Gewaltthätigkeit zuvorzu-
kommen, entschloß die Freilassung der beiden Volksmänner zu gestatten.
Nun stürmte alles nach den Gefängnissen im Dogenpalaste. Tommaseo
und Manin wurden auf Stühlen unter donnernden Vivatrufen über den
Marcusplatz nach ihren Wohnungen getragen; hierauf eilte alles nach
den Polizei-Gefängnissen in S. Severo. Hier wollte man ebenfalls die
politischen Verhafteten Stefani und Meneghini frei gelassen haben. Die
Wachposten widersetzten sich und es gab blutige Auftritte bis die Menge
endlich eindrang, die beiden Gefangenen herausholte und unter dem fort-
währenden Rufe "viva la costituzione" eine Menge Papiere und Acten
zu den Fenstern hinaus in den Canal warf. Auch dieser Sturm dauerte

[Spaltenumbruch] Oſtende gelandet ſind, beabſichtigen von der Herzogin v. Orleans in
Deutſchland Abſchied zu nehmen bevor ſie die Reiſe nach Madrid, wo
die Herzogin v. Montpenſter ihre Niederkunft halten wird, antreten
ſollen. Der Herzog v. Montpenſter wendet ſich daher an die Großmuth
der franzöſtſchen Nation mit der Bitte man möchte ſeiner Gattin wenig-
ſtens ſoviel Wäſche und Garderobe herausgeben, damit ſie anſtändig in
Deutſchland und Spanien auftreten könne. Dem Vernehmen nach hat
ſich die proviſoriſche Regierung beeilt eine zu dem früheren Hofſtaat der
Herzog v. Montpenfier gehörende Dame mit der Garderobe der Prin-
zeſſin nach Brüſſel abzuſenden. Die Herzogin v. Orleans ſoll vorlän-
ſig die Stadt Ems zu ihrem Aufenthalt gewählt haben.

Die Legitimiſten rühren ſich in der Bre-
tagne, in Rennes hat man die republicaniſchen Proclamationen mit
legitimiſtiſchen überklebt, die beweiſen wollen daß die Royaliſten die wah-
ren Republicaner ſind; um recht frei zu ſeyn hat man auch Arbeiter
hinzugezogen die mit ihren Brodherren das Wahlcomité bilden. Man
beſorgt hier nichts von dieſer Bewegung, der mindeſt gefährlichen von
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gegen alles was an die Bourbone erinnert, und dieſer Haß hat ſich
ſchon mehrmals ſehr thätlich ausgeſprochen. Einem Trupp der die
weiße Fahne trug, hat das Volk ergriffen, die Thäter ihrer Hoſen ent-
kleidet und auf eine Weiſe gezüchtigt die uns zu den unerfreulichſten
Erinnerungen aus unſern Ammenjahren zurückführt. Ich ſelbſt hörte
wie ein junger Mann neben mir in der Straße ſeine Begegnung mit
einem vornehmen Herrn erzählte, der ihn zum Trinken in einer Wein-
ſchenke einlud und auf die Geſundheit Heinrichs des Fünften anſtoßen
wollte: die Antwort war ein Fauſtſchlag an die Schläfe, der den einla-
denden Gaſt hinſtreckte. — Die Nachrichten die wir heute aus England
erhalten, ſprechen von abermaligen Unruhen. — Wir haben in dieſem
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Rachel die dieſe Hymne halb ſingend halb ſprechend herſagt. Sie kön-
nen ſich den Eindruck denken.

Italien.

* Die römiſche Conſtitution iſt verkündigt! Wir erhalten
das in 69 Artikeln abgefaßte „Statuto fondamentale pel governo
temporale degli Stati di S. Chiesa.“
Es iſt vom 14 März datirt,
und ward am 15 Mittags durch Maueranſchlag verkündigt. Gränzenloſer
Jubel erfüllte die ewige Stadt ob ſolcher Märzen-Idus. Wir müſſen das
nähere auf morgen verſparen, und führen heute nur die Hauptgrundzüge an.
Das Cardinalscollegium bleibt ein von der Perſon des Papſtes untrennbarer
Senat. Für die Geſetzgebung werden zwei Rathsverſammlungen mit
deliberativer Stimmenkraft eingeſetzt. Die eine Kammer heißt der hohe
Rath, die andere der Deputirtenrath. Der Papſt beruft, vertagt und ſchließt
beide. Die Sitzungen dauern jährlich nicht über drei Monate. Drei Monate
nach erfolgter Auflöſung wird der Deputirtenrath aufs neue durch Wahl
berufen. Behufs einer gültigen Sitzung muß die Hälfte der Mitglieder
anweſend ſeyn. Stimmenmehrheit entſcheidet. Die Sitzungen ſind öf-
fentlich und die Verhandlungen werden gedruckt. Die Mitglieder des
hohen Raths werden auf Lebenszeit ernannt; hohe Staatsämter, wiſ-
ſenſchaftliche Verdienſte und 4000 Scudi Einkommen befähigen dazu.
Die Deputirtenkammer wird gewählt, ſo daß auf je 30,000 Seelen ein
Deputirter trifft. Wähler ſind außer den Ortsobern und Gemeindevor-
ſtänden alle mit 12 Scudi jährlich Beſteuerten. Wählbar ſind die Be-
ſitzer eines Capitals von 3000 Scudi oder ſolche die 100 Scudi Steuer
zahlen, dann Collegienmitglieder, Univerſitätsprofeſſoren u. ſ. w. Die
Wähler müſſen 25, die Wählbaren 30 Jahre alt ſeyn. Die Deputir-
tenkammer wählt ihren Präſidenten und Vicepräfidenten ſelbſt. Die
Mitglieder beider Kammern dienen unentgeltlich. Alle Geſetze und
Auflagen müſſen von beiden Kammern discutirt und votirt wer-
den. Kraft erhalten ſie durch die Sanction des Souveräns. Die
Geſetzvorſchläge gehen vom Miniſterium oder von einer der Kam-
mern auf Verlangen von 10 Mitgliedern aus. Kirchliche Ange-
legenheiten gehören nicht zum Bereiche der Kammern; ebenſo nicht
die diplomatiſchen kirchlichen Angelegenheiten des heil. Stuhls. Fi-
nanzſachen und Handelsverträge müſſen den Kammern vorgelegt wer-
den. Directe Auflagen werden für ein Jahr, indirecte für mehrere
Jahre zugeſtanden. Vorſchläge, die in der einen oder andern Kammer
verworfen worden, dürfen in derſelben Seſſion nicht mehr vorgebracht
werden. Nur die Deputirtenverſammlung hat das Recht die Miniſter
in Anklageſtand zu verſetzen. Jeder majorenne Bürger hat das Peti-
tionsrecht. Die päpſtliche Civilliſte iſt auf 600,000 Scudi geſtellt.
[Spaltenumbruch] Die Juſtiz iſt für unabhängig erklärt; die perſönliche Freiheit verbürgt;
alles Eigenthum ohne Ausnahme hilft die Staatslaſten tragen; die
Bürgergarde iſt Staatsinſtitut. Die Cenſur in politiſchen Dingen
hört auf; die kirchliche beſteht fort, und ebenſo bleiben die Theater der
Cenſur unterſtellt. — Die Jeſuiten waren zum Abzug bereit; aber das
gemeine Volk, welchem ſie ſich vormals, beſonders zur Cholerazeit, ſehr
wohlthätig gezeigt, wurde ſchwierig, und ſo dürfen ſie bleiben — Die
Zeitung von Neapel enthält jetzt das k. Decret über Errichtung der
Guardia Civica. Eine Lazzaronibewegung ward niedergeſchlagen.

Der dießjährige Faſching, der ſonſt ſo
berühmte Carnevale di Venezia, iſt zu Grabe gegangen. Friede ſeiner
Aſche! Sein Leben war heuer ein erbarmungswürdiges Siechthum, ſo
daß man ihm nichts beſſeres wünſchen konnte als einen baldigen Tod.
Vielleicht wird die Faſtenzeit uns für ihn entſchädigen. Die letzten
Athemzüge des Leidenden waren der Faſchingsdienſtag mit der ſonſt ſo
glänzenden Cavalchina, der großen Redoute im Fenice-Theater auf der
ſonſt 4 bis 5000 Perſonen ſich drängten und bis zum Morgen müde
taumelten. Heuer gab man in allem 140 Karten aus, und zwei Stun-
den nach Mitternacht war alles zu Ende. — Johann Kreuz, der berühmte
Illuſtrator der Markuskirche, hat die vom Kaiſer von Rußland beſtellte
Aufgabe, eine Abbildung von ſechs venezianiſchen Paläſten, eben vollen-
det, und alles ſtrömt in das Atelier des beſcheidenen Künſtlers um die
herrliche Arbeit zu bewundern, die in der That auch das vollendetſte iſt
was die Zeichenkunſt aufzuweiſen hat. — Auch das zweite Dampfſchiff
des öſterreichiſchen Lloyd, Venezia, das gemeinſam mit dem Trieſte die
Fahrten zwiſchen den beiden Städten die ihre Namen führen, machen ſoll,
iſt vor einigen Tagen hier angekommen, und legte den Weg (75 engli-
ſche Meilen) in 4½ Stunden zurück. Der Bau des Schiffes ſowohl als
ſeine glänzende Einrichtung übertreffen alles bisher geleiſtete.

Die geſtern hier unter den verſchiedenſten
Leſearten verbreiteten Nachrichten aus Wien über ausgebrochene Unru-
hen weckten hier den früheren Geiſt wieder, der ſeit einiger Zeit zu
ſchlummern ſchien. Das Theater der Fenice, das bis jetzt immer un-
beſucht blieb, wurde wieder zum Schauplatz von Demonſtrationen ge-
wählt. Schon gegen Mittag waren alle Logen und Sperrſitze vergrif-
fen. Da erſchien kurz vor der Theaterſtunde ein Anſchlagzettel der die
Vorſtellung aufhob. Schon am Vormittag hatte auf der Promenade
des Markusplatzes ein Volksauftritt ſtattgefunden, in Folge deſſen die
Gemahlin des Gouverneurs ſich gezwungen ſah ſich eiligſt in ihre Woh-
nung zurückzuziehen. — Vorgeſtern ſtarb hier Italiens größter Geo-
graph, Adriano Balbi, an einem Erkältungsfieber, das er ſich auf ei-
ner Reiſe von Wien hieher zugezogen hatte. Er war 64 Jahre alt,
hatte ſich vor kurzem zum zweitenmale vermählt, und hinterläßt aus ſei-
ner erſten Ehe einen Sohn, der ſeinem Vater in die wiſſenſchaftlichen
Fußſtapfen folgt.

Heute Morgens gegen 11 Uhr langte hier
das Dampfboot „Trieſt“ an und brachte die kaiſerlichen Entſchließungen
über die freie Preſſe und die Zuſammenberufung der Stände für den
3 Jul. Das ſind die einzigen Nachrichten die amtlich durch die Zeitung
mitgetheilt wurden. Kaum aber hatte das Dampfboot die Anker gewor-
fen als eine Unzahl von Barken jubelnd es umdrängten und die Conſti-
tution hochleben ließen; wie ein Lauffeuer verbreitete ſich die Nachricht
durch die Stadt; ſchon in einer Stunde waren alle Läden geſchloſſen und
das Volk zog jubelnd und fingend unter dem Rufe „es lebe die Conſtitu-
tion“ nach dem Marcusplatze. Dort umarmte ſich alles, die Officiere
denen man begegnete wurden geküßt, aufgehoben und im Triumph ſin-
gend und ſchreiend herumgetragen. Unter den Fenſtern des Gouverneurs
donnerten die Lebehoch bis er perſönlich am Fenſter erſchien. Nun for-
derte die Maſſe Manin und Tommaſeo. Der Gouverneur erklärte
daß dieſen Wunſch zu erfüllen nicht in ſeiner Macht ſtände. Das Ge-
ſchrei aber dauerte fort, bis er ſich, um jeder Gewaltthätigkeit zuvorzu-
kommen, entſchloß die Freilaſſung der beiden Volksmänner zu geſtatten.
Nun ſtürmte alles nach den Gefängniſſen im Dogenpalaſte. Tommaſeo
und Manin wurden auf Stühlen unter donnernden Vivatrufen über den
Marcusplatz nach ihren Wohnungen getragen; hierauf eilte alles nach
den Polizei-Gefängniſſen in S. Severo. Hier wollte man ebenfalls die
politiſchen Verhafteten Stefani und Meneghini frei gelaſſen haben. Die
Wachpoſten widerſetzten ſich und es gab blutige Auftritte bis die Menge
endlich eindrang, die beiden Gefangenen herausholte und unter dem fort-
währenden Rufe „viva la costituzione“ eine Menge Papiere und Acten
zu den Fenſtern hinaus in den Canal warf. Auch dieſer Sturm dauerte

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[0019] Oſtende gelandet ſind, beabſichtigen von der Herzogin v. Orleans in Deutſchland Abſchied zu nehmen bevor ſie die Reiſe nach Madrid, wo die Herzogin v. Montpenſter ihre Niederkunft halten wird, antreten ſollen. Der Herzog v. Montpenſter wendet ſich daher an die Großmuth der franzöſtſchen Nation mit der Bitte man möchte ſeiner Gattin wenig- ſtens ſoviel Wäſche und Garderobe herausgeben, damit ſie anſtändig in Deutſchland und Spanien auftreten könne. Dem Vernehmen nach hat ſich die proviſoriſche Regierung beeilt eine zu dem früheren Hofſtaat der Herzog v. Montpenfier gehörende Dame mit der Garderobe der Prin- zeſſin nach Brüſſel abzuſenden. Die Herzogin v. Orleans ſoll vorlän- ſig die Stadt Ems zu ihrem Aufenthalt gewählt haben. = Paris, 19 März.Die Legitimiſten rühren ſich in der Bre- tagne, in Rennes hat man die republicaniſchen Proclamationen mit legitimiſtiſchen überklebt, die beweiſen wollen daß die Royaliſten die wah- ren Republicaner ſind; um recht frei zu ſeyn hat man auch Arbeiter hinzugezogen die mit ihren Brodherren das Wahlcomité bilden. Man beſorgt hier nichts von dieſer Bewegung, der mindeſt gefährlichen von allen. Es herrſcht hier in der Maſſe der Bevölkerung ein tiefer Haß gegen alles was an die Bourbone erinnert, und dieſer Haß hat ſich ſchon mehrmals ſehr thätlich ausgeſprochen. Einem Trupp der die weiße Fahne trug, hat das Volk ergriffen, die Thäter ihrer Hoſen ent- kleidet und auf eine Weiſe gezüchtigt die uns zu den unerfreulichſten Erinnerungen aus unſern Ammenjahren zurückführt. Ich ſelbſt hörte wie ein junger Mann neben mir in der Straße ſeine Begegnung mit einem vornehmen Herrn erzählte, der ihn zum Trinken in einer Wein- ſchenke einlud und auf die Geſundheit Heinrichs des Fünften anſtoßen wollte: die Antwort war ein Fauſtſchlag an die Schläfe, der den einla- denden Gaſt hinſtreckte. — Die Nachrichten die wir heute aus England erhalten, ſprechen von abermaligen Unruhen. — Wir haben in dieſem Augenblick eine dramatiſche Darſtellung der Marſeillaiſe durch Fräulein Rachel die dieſe Hymne halb ſingend halb ſprechend herſagt. Sie kön- nen ſich den Eindruck denken. Italien. * Die römiſche Conſtitution iſt verkündigt! Wir erhalten das in 69 Artikeln abgefaßte „Statuto fondamentale pel governo temporale degli Stati di S. Chiesa.“ Es iſt vom 14 März datirt, und ward am 15 Mittags durch Maueranſchlag verkündigt. Gränzenloſer Jubel erfüllte die ewige Stadt ob ſolcher Märzen-Idus. Wir müſſen das nähere auf morgen verſparen, und führen heute nur die Hauptgrundzüge an. Das Cardinalscollegium bleibt ein von der Perſon des Papſtes untrennbarer Senat. Für die Geſetzgebung werden zwei Rathsverſammlungen mit deliberativer Stimmenkraft eingeſetzt. Die eine Kammer heißt der hohe Rath, die andere der Deputirtenrath. Der Papſt beruft, vertagt und ſchließt beide. Die Sitzungen dauern jährlich nicht über drei Monate. Drei Monate nach erfolgter Auflöſung wird der Deputirtenrath aufs neue durch Wahl berufen. Behufs einer gültigen Sitzung muß die Hälfte der Mitglieder anweſend ſeyn. Stimmenmehrheit entſcheidet. Die Sitzungen ſind öf- fentlich und die Verhandlungen werden gedruckt. Die Mitglieder des hohen Raths werden auf Lebenszeit ernannt; hohe Staatsämter, wiſ- ſenſchaftliche Verdienſte und 4000 Scudi Einkommen befähigen dazu. Die Deputirtenkammer wird gewählt, ſo daß auf je 30,000 Seelen ein Deputirter trifft. Wähler ſind außer den Ortsobern und Gemeindevor- ſtänden alle mit 12 Scudi jährlich Beſteuerten. Wählbar ſind die Be- ſitzer eines Capitals von 3000 Scudi oder ſolche die 100 Scudi Steuer zahlen, dann Collegienmitglieder, Univerſitätsprofeſſoren u. ſ. w. Die Wähler müſſen 25, die Wählbaren 30 Jahre alt ſeyn. Die Deputir- tenkammer wählt ihren Präſidenten und Vicepräfidenten ſelbſt. Die Mitglieder beider Kammern dienen unentgeltlich. Alle Geſetze und Auflagen müſſen von beiden Kammern discutirt und votirt wer- den. Kraft erhalten ſie durch die Sanction des Souveräns. Die Geſetzvorſchläge gehen vom Miniſterium oder von einer der Kam- mern auf Verlangen von 10 Mitgliedern aus. Kirchliche Ange- legenheiten gehören nicht zum Bereiche der Kammern; ebenſo nicht die diplomatiſchen kirchlichen Angelegenheiten des heil. Stuhls. Fi- nanzſachen und Handelsverträge müſſen den Kammern vorgelegt wer- den. Directe Auflagen werden für ein Jahr, indirecte für mehrere Jahre zugeſtanden. Vorſchläge, die in der einen oder andern Kammer verworfen worden, dürfen in derſelben Seſſion nicht mehr vorgebracht werden. Nur die Deputirtenverſammlung hat das Recht die Miniſter in Anklageſtand zu verſetzen. Jeder majorenne Bürger hat das Peti- tionsrecht. Die päpſtliche Civilliſte iſt auf 600,000 Scudi geſtellt. Die Juſtiz iſt für unabhängig erklärt; die perſönliche Freiheit verbürgt; alles Eigenthum ohne Ausnahme hilft die Staatslaſten tragen; die Bürgergarde iſt Staatsinſtitut. Die Cenſur in politiſchen Dingen hört auf; die kirchliche beſteht fort, und ebenſo bleiben die Theater der Cenſur unterſtellt. — Die Jeſuiten waren zum Abzug bereit; aber das gemeine Volk, welchem ſie ſich vormals, beſonders zur Cholerazeit, ſehr wohlthätig gezeigt, wurde ſchwierig, und ſo dürfen ſie bleiben — Die Zeitung von Neapel enthält jetzt das k. Decret über Errichtung der Guardia Civica. Eine Lazzaronibewegung ward niedergeſchlagen. * Venedig, 12 März.Der dießjährige Faſching, der ſonſt ſo berühmte Carnevale di Venezia, iſt zu Grabe gegangen. Friede ſeiner Aſche! Sein Leben war heuer ein erbarmungswürdiges Siechthum, ſo daß man ihm nichts beſſeres wünſchen konnte als einen baldigen Tod. Vielleicht wird die Faſtenzeit uns für ihn entſchädigen. Die letzten Athemzüge des Leidenden waren der Faſchingsdienſtag mit der ſonſt ſo glänzenden Cavalchina, der großen Redoute im Fenice-Theater auf der ſonſt 4 bis 5000 Perſonen ſich drängten und bis zum Morgen müde taumelten. Heuer gab man in allem 140 Karten aus, und zwei Stun- den nach Mitternacht war alles zu Ende. — Johann Kreuz, der berühmte Illuſtrator der Markuskirche, hat die vom Kaiſer von Rußland beſtellte Aufgabe, eine Abbildung von ſechs venezianiſchen Paläſten, eben vollen- det, und alles ſtrömt in das Atelier des beſcheidenen Künſtlers um die herrliche Arbeit zu bewundern, die in der That auch das vollendetſte iſt was die Zeichenkunſt aufzuweiſen hat. — Auch das zweite Dampfſchiff des öſterreichiſchen Lloyd, Venezia, das gemeinſam mit dem Trieſte die Fahrten zwiſchen den beiden Städten die ihre Namen führen, machen ſoll, iſt vor einigen Tagen hier angekommen, und legte den Weg (75 engli- ſche Meilen) in 4½ Stunden zurück. Der Bau des Schiffes ſowohl als ſeine glänzende Einrichtung übertreffen alles bisher geleiſtete. * Venedig, 16 März.Die geſtern hier unter den verſchiedenſten Leſearten verbreiteten Nachrichten aus Wien über ausgebrochene Unru- hen weckten hier den früheren Geiſt wieder, der ſeit einiger Zeit zu ſchlummern ſchien. Das Theater der Fenice, das bis jetzt immer un- beſucht blieb, wurde wieder zum Schauplatz von Demonſtrationen ge- wählt. Schon gegen Mittag waren alle Logen und Sperrſitze vergrif- fen. Da erſchien kurz vor der Theaterſtunde ein Anſchlagzettel der die Vorſtellung aufhob. Schon am Vormittag hatte auf der Promenade des Markusplatzes ein Volksauftritt ſtattgefunden, in Folge deſſen die Gemahlin des Gouverneurs ſich gezwungen ſah ſich eiligſt in ihre Woh- nung zurückzuziehen. — Vorgeſtern ſtarb hier Italiens größter Geo- graph, Adriano Balbi, an einem Erkältungsfieber, das er ſich auf ei- ner Reiſe von Wien hieher zugezogen hatte. Er war 64 Jahre alt, hatte ſich vor kurzem zum zweitenmale vermählt, und hinterläßt aus ſei- ner erſten Ehe einen Sohn, der ſeinem Vater in die wiſſenſchaftlichen Fußſtapfen folgt. * Venedig, 17 März.Heute Morgens gegen 11 Uhr langte hier das Dampfboot „Trieſt“ an und brachte die kaiſerlichen Entſchließungen über die freie Preſſe und die Zuſammenberufung der Stände für den 3 Jul. Das ſind die einzigen Nachrichten die amtlich durch die Zeitung mitgetheilt wurden. Kaum aber hatte das Dampfboot die Anker gewor- fen als eine Unzahl von Barken jubelnd es umdrängten und die Conſti- tution hochleben ließen; wie ein Lauffeuer verbreitete ſich die Nachricht durch die Stadt; ſchon in einer Stunde waren alle Läden geſchloſſen und das Volk zog jubelnd und fingend unter dem Rufe „es lebe die Conſtitu- tion“ nach dem Marcusplatze. Dort umarmte ſich alles, die Officiere denen man begegnete wurden geküßt, aufgehoben und im Triumph ſin- gend und ſchreiend herumgetragen. Unter den Fenſtern des Gouverneurs donnerten die Lebehoch bis er perſönlich am Fenſter erſchien. Nun for- derte die Maſſe Manin und Tommaſeo. Der Gouverneur erklärte daß dieſen Wunſch zu erfüllen nicht in ſeiner Macht ſtände. Das Ge- ſchrei aber dauerte fort, bis er ſich, um jeder Gewaltthätigkeit zuvorzu- kommen, entſchloß die Freilaſſung der beiden Volksmänner zu geſtatten. Nun ſtürmte alles nach den Gefängniſſen im Dogenpalaſte. Tommaſeo und Manin wurden auf Stühlen unter donnernden Vivatrufen über den Marcusplatz nach ihren Wohnungen getragen; hierauf eilte alles nach den Polizei-Gefängniſſen in S. Severo. Hier wollte man ebenfalls die politiſchen Verhafteten Stefani und Meneghini frei gelaſſen haben. Die Wachpoſten widerſetzten ſich und es gab blutige Auftritte bis die Menge endlich eindrang, die beiden Gefangenen herausholte und unter dem fort- währenden Rufe „viva la costituzione“ eine Menge Papiere und Acten zu den Fenſtern hinaus in den Canal warf. Auch dieſer Sturm dauerte

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine83_1848/19>, abgerufen am 03.12.2024.