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Allgemeine Zeitung, Nr. 84, 27. März 1900.

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München, Dienstag Allgemeine Zeitung 27. März 1900. Nr. 84.
[Spaltenumbruch]

sitzen, nur dringend gerathen werden, sich für das Sommer-
halbjahr zum Besuch einer Vorklasse zu melden.

Der Berliner Goethe-Bund.

In einer Versammlung von
etwa tausend Vertretern der Kunst, Wissenschaft und Literatur
ist am Sonntag Mittag im Festsaal des Berliner Rathhauses
unter dem Vorsitze des Schriftstellers Hermann Sudermann
ein "Kunstschutzverein", genannt "Goethe-Bund" nach dem
Vorgehen der Münchener Künstlerschaft begründet worden.
Zugleich erfuhr die sogenannte lex Heinze wieder die heftigsten
Proteste. Die Stadt Berlin war durch Stadtsyndikus Men-
brink
und durch die Stadtverordneten Privatdozent Dr. Preuß
und Fabrikanten Rosenow vertreten. Während der Vor-
träge erschien Adolf v. Menzel und wurde durch stürmische
Hochrufe, Händeklatschen u. s. w. begrüßt, ebenso Professor
Mommsen. Aus der Musikwelt sah man den kgl. Kapell-
meister Dr. Muck, den Professor Gernsheim; aus der
Theaterwelt: Direktor Raphael Löwenfeld, Otto
Sommerstorff, Direktor Brahm, Direktor Barnay,
L'Arronge;
von Schrifstellern bemerkte man: Ludwig
Pietsch, Otto E. Hartleben, Julius Wolff, Julius
Lohmeier, Max Kretzer, Hans v. Hopfen, Heinz
Tovote, Albert Träger, Julius Stettenheim, Baldnin
Möllhausen; von Malern: Marinemaler Salzmann,
F. Skarbina,
Ludwig Knaus; die Bildhauer: Begas,
Herter, Eberlein
. Ferner sah man die Abgeordneten
Schrader und Dr. Max Hirsch, sowie die Professoren
Dr. Erich Schmidt, Dr. Hans Delbrück u. A.

Im ganzen wurden sieben Reden gegen die lex
Heinze gehalten. Als Vertreter der Presse sprach zuerst
Hr. Dernburg. Der Redner erklärte, der in das Gesetz
neu eingeführte Begriff der verletzten Schamhaftigkeit sei ein
so fremder, daß man sich schwer in ihn werde hineinfinden
können. Der Mann empfinde vor dem Unsittlichen Abscheu
und Ekel, verletztes Schamgefühl werde man nur bei zarten
Mägdelein finden, das aber seien nicht die Elemente, die
man als Richter in der Literatur zulassen könne. Gustav
Eberlein führte aus: Was man auch zur Beschwichtigung
gesagt hat, wir sind nicht überzeugt worden, daß der Kunst-
paragraph die Kunst nicht treffen werde. Wolle man wirklich
durch gesetzliche Maßnahmen eine Gesundung der Sitten er-
wirken, so muß man es auf einem ganz anderen Gebiete,
auf dem medizinischen, thun. Namens des Buchhändler-
standes erhob Hr. Engelhorn, Stuttgart, Protest gegen
die "Kautschukparagraphen" der lex Heinze, die das schöne
und vornehme Gewerbe mit ernster Gefahr bedrohen,
Namens der Bühnenvertreter sprach Direktor Brahm. Vom
juristischen Standpunkt trat Prof. Kohler dem Gesetz ent-
gegen. Der Begriff des verletzten Schamgefühls sei ein sehr
unsicherer. Das Schamgefühl im gewöhnlichen bürgerlichen
Leben, das Schamgefühl des Naturmenschen sei ein ganz
anderes als das des ästhetisch Gebildeten, und solange man
nicht sage, welches Schamgefühl getroffen werden solle, werde
das Gesetz immer Anlaß zu Mißverständnissen geben. Der
Redner verwies ferner auf das Bedenkliche der Ausdrücke
"zu geschäftlichen Zwecken" und "an Orten, die dem öffent-
lichen Verkehr dienen" und erinnerte daran, daß, analog der
Anwendung des § 183, unter schamverletzenden Handlungen
auch Reden verstanden werden können. Man verweise nun
zwar auf die Interpretationen im Reichstag, an derartige
Interpretationen aber sei kein Richter gebunden, und die
ganze neuere Jurisprudenz gehe dahin, die Gesetze aus sich
selbst heraus zu deuten. Nachdem dann noch kurz Geh.
Rath Prof. Suphan, Weimar, auf Goethe und Schiller
als lebendige Proteste gegen diese lex hingewiesen, nahm als
Letzter der Redner Hermann Sudermann das Wort, um
zu betonen, daß, wenn man auch die abschwächende Wirkung
der Kompromißanträge anerkenne, man doch immer noch fern
davon sei, zuzugeben, daß die Gefahr beseitigt sei. Kunst,
Wissenschaft und Literatur seien bisher viel zu lasch und
träge in der Wahrung ihrer Interessen gewesen. "Wir waren
bisher zur Machtlosigkeit verdammt, weil wir den Weg zu
einander nicht finden konnten; diesen Weg haben uns unsre
Feinde jetzt gewiesen. Ich bin beauftragt, Ihnen Mittheilung
zu machen von der vollzogenen Gründung des Goethe-Bundes,
der die intellektuellen und künstlerischen Kräfte der Reichs-
[Spaltenumbruch] hauptstadt zu Schutzmaßnahmen gegen alle sich etwa zeigen-
den, die Freiheit der Kunst und Wissenschaft bedrohenden Er-
scheinungen zusammenfassen will und an dessen Spitze Geh.
Rath Ende, Prof. Mommsen (minutenlanger Beifall) und
Friedrich Spielhagen getreten sind, und fordere Sie auf,
diesem Bunde (dessen Jahresbeitrag 3 M. beträgt) beizutreten."
Mit der einmüthigen Zustimmung aller Anwesenden, deren
abgegebene Eintrittskarten als Beitrittserklärungen gelien sollen,
schloß die Versammlung.

Dauer und Höhe der Unterstützung der Mitglieder der Kranken-
versicherung.

* Ueber die Höhe der von den Krankenkassen erhobenen
Beiträge, sowie über die Höhe und den Umfang ihrer Leistungen
hatte in früheren Jahren eine statistische Feststellung nur in-
sofern stattgefunden, als die Zahl der Kassen in jeder der
verschiedenen Stufen des Beitrags und der Mindest- und
Mehrleistung ermittelt wurde. Im 1. Vierteljahrsheft der
"Statistik des Deutschen Reichs für 1900" ist nun zum ersten-
mal, und zwar für das Jahr 1897, festgestellt worden, wie
stark der Mitglieder bestand an den verschiedenen Sätzen der
Beiträge und der statutarischen Kassengegenleistungen betheiligt
war. Hinsichtlich der Unterstützungsdauer ergibt sich, daß
von 8,300,000 Versicherten nahezu 5 Millionen einen statuten-
mäßigen Anspruch auf 13 Wochen, über 2 Millionen einen
solchen auf 13 bis 26 Wochen und rund 1.3 Millionen einen
darüber noch hinausgehenden hatten. Die genaue Berechnung
des Durchschnitts der statutarischen Unterstützungsdauer stellt
sich für je ein Mitglied auf 21.3 Wochen. Hinsichtlich der
Höhe der Unterstützung ergab sich, daß, abgesehen von
den beiden Hülfskassenarten, bei denen das Krankengeld nicht
nach Prozenten des Lohns, wie bei den übrigen Kassen, ge-
regelt ist, über 6.4 Millionen Mitglieder nur die Hälfte des
Lohns als Krankengeldsatz zu beanspruchen haben und letzterer
sich im Durchschnitt für das Mitglied auf nur 52.2 v. H. des
Lohns berechnet. An Beiträgen (Arbeitgeber und Arbeit-
nehmer zusammen) waren -- wieder abgesehen von den Hülfs-
kassen -- für 2,650,000 Versicherte 21/2 bis 3 v. H. des Lohns,
für 1,850,000 = 11/2 bis 2 v. H. und für 1,500,000 = 2 bis
21/2 v. H. des Lohns zu zahlen; der durchschnittliche Beitrag
berechnete sich für das Mitglied auf 2.6 v. H. des Lohus.

Ein Erlaß zur Besserung der Theaterverhältnisse.

* Der preußische Minister des Innern hat am 5. Dez.
vorigen Jahres einen Erlaß über die Theaterverhält-
nisse
ergehen lassen, von dem seinerzeit im Reichstag die
Rede war; jetzt wird darüber Ausführlicheres mitgetheilt. Es
heißt darin:

"Zunächst läßt sich nicht verkennen, daß in manchen Fällen
die Behörden von ihren Befugnissen nicht in wünschenswerthem
Umfange Gebrauch gemacht haben, weil sie den Vorgängen im
Theaterwesen nicht die gehörige Aufmerksamkeit widmeten oder
aber die Personen und die Darbietungen nicht richtig beurtheilten.
Namentlich haben manche von den Behörden zugelassene Theater-
vorstellungen vom sittlichen Standpunkte erheblichen Anstoß geben
müssen, während anderen Bühnenstücken ungerech| tfertigte
Schwierigkeiten
gemacht worden sind. Im Hinblick auf den
doppelten Zweck der Bühne, eine Erholungsstätte und eine Stätte
der Bildung und Erhebung für weite Schichten der Bevölkerung zu
sein, darf die Zensur nur solchen Beamten anvertraut werden, die
nach ihren Kenntnissen, ihren Erfahrungen und ihrem sittlich ge-
reiften Urtheil genügende Gewähr vor Mißgriffen bieten. Theatralische
Vorstellungen, Singspiele, Gesangs- und deklamatorische Vorträge,
Schaustellungen von Personen und ähnliche Aufführungen, die das
Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich verletzen, sind unter keinen
Umständen zu dulden. Geben die zur Zensur eingereichten Texte
und Beschreibungen zu Bedenken Anlaß, so empsiehlt sich meistens
der Weg der mündlichen Verhandlung mit dem Verfasser oder dem
Unternehmer, der das Werk zur Aufführung eingereicht hat, und
erst wenn dieser Weg nicht zum Ziele führt, ein auf das Roth-
wendige zu beschränkendes Verbot. Von großem Nutzen kann die
vorherige Befragung von geeigneten literarischen Sach-
verständigen
sein, namentlich dann, wenn die Grundtendenz
des Stückes bedenklich oder sein Kunstwerth zweifelhaft erscheinen.
Zu beachten bleibt aber in allen Fällen, daß Verzögerungen der
Entscheidung im allseitigen Interesse nach Möglichkeit vermieden
werden müssen. ... Nicht selten ist Gelegenheit geboten, durch
zweckmäßige Regelung der bestehenden Theaterverhältnisse das
künstlerische Niveau der Bühnen zu heben und zugleich den finan-
ziellen Bestand der Unternehmungen zu sichern. Namentlich er-
scheint in dieser Hinsicht geeignet die Vereinigung mehrerer Ge-
[Spaltenumbruch] meinden (z. B. einer großen Stadt mit zwei oder drei kleinen,
oder einer Mehrzahl von kleinen Städten in einer Provinz) zu
einem Theaterbezirk, innerhalb dessen berselbe Theaterunternehmer
abwechselnd an verschiedenen Orten Vorstellungen gibt. ... Die
Zuziehung des Deutschen Bühnen-Vereins und der
Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger bei der
Konzessionirung der Schauspielunternehmer hat sich bestens be-
währt. Der Minister glaubt annehmen zu dürfen, daß auch in
anderen Theaterfragen die genannten Vereinigungen gern bereit
sein werden, den Behörden jeden möglichen Beistand zu ge-
währen."

Namentlich das Bestreben, Sachverständige der Literatur
und der Bühne bei Lösung der auflanchenden Schwierigkeiten
heranzuziehen, wird in den betheiligten Kreisen mit Genug-
thnung begrüßt werden.

Die gemaßregelten preußischen Landräthe.

* Nachdem der Landrath z. D. Dr. Schilling aus Liegnitz
als Hülfsarbeiter in das landwirthschaftliche Ministerium berufen
worden ist, haben, wie eine Zusammenstellung in der "Kreuzztg."
ergibt, von den 18 im vorigen Jahre zur Disposition gestellten
Landräthen sechs wieder einen neuen Wirkungskreis gefunden.
Die Landräthe Kreth, Gumbinnen, und v. Dallwitz, Lüben,
sind als Regierungsräthe im Staatsdienst wieder angestellt worden.
Dr. Schilling hat durch seine Einberufung als Hülfsarbeiter
die Anwartschaft auf die Anstellung als vortragender Rath er-
halten, Dr. Kersten aus Schlochau ist erster Bürgermeister in
Thorn geworden. Landrath v. Brockhausen aus Dramburg
wurde kurz nach der Maßregelung zum Direktor des Verbandes
pommer'scher landwirthschaftlicher Genossenschaften gewählt und
hat seinen Wohnsitz in Stettin genommen, und Landrath Winckler
aus Zeitz ist zum Generaldirektor der Land-Feuersozietät für das
Herzogthum Sachsen gewählt worden. Die erstgenannten drei
Herren haben ihre Mandate niedergelegt und auf eine Wiederwahl
verzichtet. Die Absicht konservativer Wähler des Wahlbezirks
Gumbinnen-Insterburg, Hrn. Kreth wieder zu wählen, ist durch
die Erklärung Kreths, daß er eine Wiederwahl nicht annehmen
werde, vereitelt worden. Dr. Kersten hat auf sein Mandat zum
Abgeordnetenhause verzichtet, weil er von der Stadt Thorn als
Vertreter im Herrenhause präsentirt worden ist. Die Herren
v. Brockhausen und Winckler haben, wie die übrigen zur Dis-
position gestellten zwölf Landräthe und die beiden von derselben
Maßregel betroffenen Regierungspräsidenten, ihre Mandate be-
halten.

Württemberg: Frhr. v. Mittnacht. -- R.

Der Ministerpräsident Frhr.
v. Mittnacht, der erst kürzlich seinen 75. Geburtstag feiern
durfte, ist in einer bei seinem Alter nicht unbedenklichen Weise
an Influenza erkrankt; am gleichen Uebel liegt seine Ge-
mahlin darnieder. Ueber das Befinden des Ministers werden
Bulletins ausgegeben; die letzten berichteten von unruhigen
Nächten und mäßigem Allgemeinbefinden. Hoffentlich gelingt
es der bis dahin ungebeugten Kraft des verehrten Mannes,
die Krankheit bald zu überwinden. -- In Ehingen a. D.
ist dieser Tage Oberlandesgerichtsrath Dr. Kiene, der bis-
herige Vizepräsident der Kammer und Führer des Centrums,
der sich wegen Beförderung im Amt einer Renwahl unter-
ziehen mußte, mit 3678 von 3692 abgegebenen Stimmen
wiedergewählt worden. Ueber den Ausfall der Wahl herrschte
von vornherein kein Zweifel, bemerkenswerth ist die verhält-
nißmäßig starke Abstimmung ohne Wahlkampf (zirka 64 Proz.)
und der Umstand, daß Dr. Kiene diesmal, entgegen früheren
Wahlen, auch in den protestantischen Orten eine beträchtliche
Stimmenzahl erhalten hat. Wenn aber das Centrumsorgan,
das "Deutsche Volksblatt", aus dieser Wahl ein "politisches
Ereigniß ersten (!) Ranges" macht und aus ihr den dauernden
Verzicht aller anderen Parteien ableiten will, dem Centrum
je wieder die Mandate im württembergischen Oberland streitig
zu machen, so geht das natürlich zu weit. -- Eine weitere
Nachwahl ist im Bezirk Ulm-Land durch den Tod des
Abg. Haug nöthig geworden. Der Verstorbene war 45 Jahre
lang Stadtschultheiß von Langenau und seit 1876 Mitglied
des Landtags, wo er bis 1895 der deutschen Partei ange-
hörte, während er sich im letzten Landtag keinem Fraktions-
verband mehr anschloß. Haug war ein äußerst tüchtiger Orts-
vorsteher; er hat sich lange vor Gründung des Bundes der
Landwirthe als ein Agrarier in gutem Sinne des Wortes
bethätigt und sich z. B. um die Gründung von Darlehens-
kassen und die Einführung eines brauchbaren Bauernpferdes
viele Verdienste erworben. Im Landtag war seine Erfahrung



[Spaltenumbruch]

oder Paris eine Heimath für Kunst und Künstler sind und
dem ganzen geistigen Leben eine ausgeprägte Physiognomie
verleihen. Dafür besitzt es zu sehr die differenzirten Nerven
eines Industriezentrums. Aber aus den Wechselwirkungen
von Kunst und Industrie ergibt sich als Folge ein vielseitig
entwickelter Kunstmarkt, der eifersüchtig alle Abzugskanäle
nach der Reichshauptstadt verstopft hält. Die Kunst weiß
sich in Düsseldorf mit dem Golde der heimathlichen Erz- und
Kohlenerde bezahlt zu machen und eher unterschätzt sie dabei
den Geschmack des Publikums als das Interesse und die
Kaufkraft der industriellen Mäcene. Eine große Zahl der
einheimischen Künstler, vielleicht die Mehrzahl, ist fortwährend
von privaten Aufträgen in Anspruch genommen, malt nach
den Wünschen der Besteller und hüllt sich gegen jede Zug-
luft von außen in den weichen warmen Mantel ihrer nahr-
haften und gangbaren Kunst. Für diese Richtung der Düssel-
dorfer Malerei -- sie hat ihre Ausstellung in der Kunst-
halle
-- bedeutet auch eine künftige lex Heinze keine Gefahr,
weil sie sich niemals an Problemen des Nackten in der Kunst
versucht hat. Sie malt lieber hohe Herren mit dicken Uhr-
ketten als nackte Frauen, und besonders liebt sie Offiziere in
großer Uniform. Sie mag von sich sagen: lex mihi Mars,
wo Andere sagen: lex mihi ars. Die Verhältnisse liegen aber
nun einmal so, daß wer am öffentlichen Kunstleben theil-
nimmt, sich auch mit dem hinaufgeschraubten Maßstab der
Zeit messen lassen muß und es ist nicht gut, wenn die Mittel-
mäßigkeit einer gesättigten Kunst den Charakter einer Aus-
stellung so sehr depraviren kann, daß man von einem Nieder-
gang geistigen Strebens, einem bequemen Einrosten in Zweck-
mäßigkeitsrücksichten reden muß. Es sei fern, nicht das viele
Gute anzuerkennen, das von der alten Kerntruppe der
"Düsseldorfer Künstler" geleistet wird -- leider erhalten wir
heuer keine Rechenschaft darüber. Die alten Meister, ein Andreas
Achenbach, Arthur Kampf, Ed. v. Gebhardt u. A. haben sich
zurückgezogen und so ist unter dem Rest nichts, was für
die Stellung einer. Schule oder einer Künstlerpersönlichkeit
zum Gesammtkunstleben einen Maßstab abgäbe, kein Werk,
das uns durch eine eigenartige Lebensauffassung oder Phantasie
nachdenklich machte, kurz -- kein einziges aus voller Persön-
lichkeit geschöpftes Werk. Die in die Augen springende Ver-
legenheitswahl der Künstler sowohl wie der Jury, die schon
im letzten Jahre eine weitherzige Kollegialität zeigte, legt die
Frage nahe, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn die
[Spaltenumbruch] Jahresausstellung in der Kunsthalle überhaupt nicht eröffnet
worden wäre. Der Vermuthung, daß die leidige Rücksicht-
nahme auf den Allerweltsgeschmack des Marktes der Düssel-
dorfer Kunst jeden Zusammenhang mit den großen Zeit-
strömungen zu rauben drohe, wäre dann wenigstens der
Boden entzogen gewesen. -- Wenige Tage nach der
"Künstlerschaft" eröffnete die "Freie Vereinigung"
ihre Ausstellung im Lichthofe des Zeutral-Gewerbemuseums.
Ein Doppeltes fällt uns hier sofort auf: einmal das Hervor-
treten der seit Jahren vernachlässigten Figurenmalerei, die
ja im freien Finden und Erfinden immer den Höhepunkt
künstlerischen Schaffens bedeutet, dann aber das Große und
Bedeutende, das die Düsseldorfer hier in der Landschaft leisten.
Sie erscheint freilich auf ein weit persönlicheres Gebiet zurück-
gedrängt und das ist gut so, denn noch vor wenig Jahren
konnte man sich vor allen diesen korrekten Düsseldorfer Land-
schaften gar nicht retten und von ihnen zumeist hat die
rheinische Kunst das Schulmeistergeschmäckchen bekommen,
das man draußen im Reich so wenig goutiren mochte. Der
bedeutendste unter diesen jüngeren Landschaftern ist zweifellos
Olaf Jernberg, der eine wundervolle Herbstlandschaft in
Morgenbeleuchtung ausstellt, an der die Klarheit und Leucht-
kraft des Tones ebenso erfreut wie die schlichte, fast herbe
Ehrlichkeit seiner Naturbeobachtung. Verwandtes Empfinden
in Ton- und Stimmungsgefühl drückt sich in den flandrischen
und niederrheinischen Dorflandschaften des jüngeren Engen
Kampf aus. Die Kunst lebendig wahrer Zeichnung und kraft-
voller plastischer Modellirung mittelst der aufs Haar ge-
troffenen Farbe besitzt A. Lins in hervorragendem Maße.
Seine sonnig warmen Landschaften mit den prachtvollen,
nicht als Staffage benutzten Kühen und Ochsen sind unüber-
trefflich. Ein bedeutender Marinemaler, obzwar noch jung,
ist A. Dirks, dessen in großem Stile ausgeführte "Landungs-
brücke" ein Hauptwerk der Ausstellung ist. Als größtes
Figurenwerk tritt uns Otto Hercherts "Veteranenversamm-
lung" entgegen, das sich als eine Charakterstudie großen
Stils mit mancherlei Lichteffekten darstellt. Sehr hübsch
ist die Plastik vertreten durch Werke von Clemens Buscher,
K. H. Müller und A. Frische. -- Macht uns die Ausstellung
der "Freien Vereinigung" in immerhin erfreulicher Weise mit
dem jüngeren Nachwuchs der Düsseldorfer Kunst bekannt,
aus dem sich die treibenden Kräfte der Zukunft entwickeln,
so begegnen wir in der neu gegründeten "Künstlerver-
[Spaltenumbruch] einigung
1899", einer Gruppe von Professoren und Malern,
die, ohne eine bestimmte Richtung oder Tendenz zu verfolgen,
ein konsequentes Ausstellungsprinzip durchführen win. Sie
ist bestrebt, uns die Kunst in ihrem eigenen Berufe vorzu-
führen und ihr gleichzeitig den höchsten Komfort zum Hinter-
grunde zu geben. Inmitten eines intimen, durch allerlei
altes und schönes Möbelwerk, durch reiche Decken, prächtige
Teppiche und kostbare Bronzen zum geschmackvoll und be-
haglichen Saale gewandelten Raumes -- das Atelier des
Malers H. E. Pohle -- nimmt der Beschauer die Wirkung
jedes einzelnen, wenn auch in noch so kleinem Formate auf-
tretenden Bildes in sich auf. Sein Auge, gefesselt von der
eleganten Harmonie dieser intimen Art der Kunstdarbietung,
hat stets einen willkommenen Nuhepunkt, auf dem es mit
Muse verweilen kann. Jedem Aussteller ist es dadurch zu-
gleich möglich gemacht, ohne lärmende Wirkung zum Be-
schauer zu sprechen, da kein Bild von der größeren Schlag-
kraft des daneben hängenden erdrückt wird. Selten wird man
eine zugleich so inhaltreiche und so ehrlich und tadellos durch-
geführte Ausstellung gesehen haben. Der Eindruck ist der
einer überraschenden Einheitlichkeit und vollendeten inneren und
äußeren Harmonie. Wohl nur ganz unbeabsichtigt tritt diese
sogar in der Stoffwahl einer ganzen Gruppe von Aus-
stellungswerken hervor. Es ist der Stoffkreis der griechischen
Mythologie, auf den Willy v. Beckerath, H. E. Pohle, Ludw.
Keller u. A. zurückgegriffen haben. Professor Bergmann, dessen
Berufung von Karlsruhe an die Düsseldorfer Akademie ein
außerordentlich glücklicher Griff war bringt einen mit großer
Kraft und verhaltener Farbengluth gemalten Sonnenunter-
gang mit prachtvollen Thierstücken. Landschaft und Marine
sind in dieser eleganten, sehr bedeutenden Ausstellung nicht
zurückgeblieben, nur die Plastik ist nicht vertreten.

Der Fall Klimt. -- Ein
Seitenstück zum Fall Lieber-Stuck. Bleibt abzuwarten, ob
das Klimt'sche Deckenbild "Die Philosophie" von der Aula
der Wiener Universität ausgeschlossen wird, wie seinerzeit der
Stuck'sche Fries vom Berliner Reichstagsgebäude. Gustav
Klimt, ohne Zweifel eines unsrer feinstfühlenden Malertalente,
in hohem Grade sensitiv organisirt, hat seine Wandlung zur
Sezession vielleicht am gründlichsten von Allen vollzogen.
Heute steht er im Mittelpunkt des Kampfes und wird, wenn
"Die Philosophie" auf der Pariser Weltausstellung erscheint,
ein berühmter Mann werden. Denn seit Makarts "Sieben

München, Dienſtag Allgemeine Zeitung 27. März 1900. Nr. 84.
[Spaltenumbruch]

ſitzen, nur dringend gerathen werden, ſich für das Sommer-
halbjahr zum Beſuch einer Vorklaſſe zu melden.

Der Berliner Goethe-Bund.

In einer Verſammlung von
etwa tauſend Vertretern der Kunſt, Wiſſenſchaft und Literatur
iſt am Sonntag Mittag im Feſtſaal des Berliner Rathhauſes
unter dem Vorſitze des Schriftſtellers Hermann Sudermann
ein „Kunſtſchutzverein“, genannt „Goethe-Bund“ nach dem
Vorgehen der Münchener Künſtlerſchaft begründet worden.
Zugleich erfuhr die ſogenannte lex Heinze wieder die heftigſten
Proteſte. Die Stadt Berlin war durch Stadtſyndikus Men-
brink
und durch die Stadtverordneten Privatdozent Dr. Preuß
und Fabrikanten Roſenow vertreten. Während der Vor-
träge erſchien Adolf v. Menzel und wurde durch ſtürmiſche
Hochrufe, Händeklatſchen u. ſ. w. begrüßt, ebenſo Profeſſor
Mommſen. Aus der Muſikwelt ſah man den kgl. Kapell-
meiſter Dr. Muck, den Profeſſor Gernsheim; aus der
Theaterwelt: Direktor Raphael Löwenfeld, Otto
Sommerſtorff, Direktor Brahm, Direktor Barnay,
L’Arronge;
von Schrifſtellern bemerkte man: Ludwig
Pietſch, Otto E. Hartleben, Julius Wolff, Julius
Lohmeier, Max Kretzer, Hans v. Hopfen, Heinz
Tovote, Albert Träger, Julius Stettenheim, Baldnin
Möllhauſen; von Malern: Marinemaler Salzmann,
F. Skarbina,
Ludwig Knaus; die Bildhauer: Begas,
Herter, Eberlein
. Ferner ſah man die Abgeordneten
Schrader und Dr. Max Hirſch, ſowie die Profeſſoren
Dr. Erich Schmidt, Dr. Hans Delbrück u. A.

Im ganzen wurden ſieben Reden gegen die lex
Heinze gehalten. Als Vertreter der Preſſe ſprach zuerſt
Hr. Dernburg. Der Redner erklärte, der in das Geſetz
neu eingeführte Begriff der verletzten Schamhaftigkeit ſei ein
ſo fremder, daß man ſich ſchwer in ihn werde hineinfinden
können. Der Mann empfinde vor dem Unſittlichen Abſcheu
und Ekel, verletztes Schamgefühl werde man nur bei zarten
Mägdelein finden, das aber ſeien nicht die Elemente, die
man als Richter in der Literatur zulaſſen könne. Guſtav
Eberlein führte aus: Was man auch zur Beſchwichtigung
geſagt hat, wir ſind nicht überzeugt worden, daß der Kunſt-
paragraph die Kunſt nicht treffen werde. Wolle man wirklich
durch geſetzliche Maßnahmen eine Geſundung der Sitten er-
wirken, ſo muß man es auf einem ganz anderen Gebiete,
auf dem mediziniſchen, thun. Namens des Buchhändler-
ſtandes erhob Hr. Engelhorn, Stuttgart, Proteſt gegen
die „Kautſchukparagraphen“ der lex Heinze, die das ſchöne
und vornehme Gewerbe mit ernſter Gefahr bedrohen,
Namens der Bühnenvertreter ſprach Direktor Brahm. Vom
juriſtiſchen Standpunkt trat Prof. Kohler dem Geſetz ent-
gegen. Der Begriff des verletzten Schamgefühls ſei ein ſehr
unſicherer. Das Schamgefühl im gewöhnlichen bürgerlichen
Leben, das Schamgefühl des Naturmenſchen ſei ein ganz
anderes als das des äſthetiſch Gebildeten, und ſolange man
nicht ſage, welches Schamgefühl getroffen werden ſolle, werde
das Geſetz immer Anlaß zu Mißverſtändniſſen geben. Der
Redner verwies ferner auf das Bedenkliche der Ausdrücke
„zu geſchäftlichen Zwecken“ und „an Orten, die dem öffent-
lichen Verkehr dienen“ und erinnerte daran, daß, analog der
Anwendung des § 183, unter ſchamverletzenden Handlungen
auch Reden verſtanden werden können. Man verweiſe nun
zwar auf die Interpretationen im Reichstag, an derartige
Interpretationen aber ſei kein Richter gebunden, und die
ganze neuere Jurisprudenz gehe dahin, die Geſetze aus ſich
ſelbſt heraus zu deuten. Nachdem dann noch kurz Geh.
Rath Prof. Suphan, Weimar, auf Goethe und Schiller
als lebendige Proteſte gegen dieſe lex hingewieſen, nahm als
Letzter der Redner Hermann Sudermann das Wort, um
zu betonen, daß, wenn man auch die abſchwächende Wirkung
der Kompromißanträge anerkenne, man doch immer noch fern
davon ſei, zuzugeben, daß die Gefahr beſeitigt ſei. Kunſt,
Wiſſenſchaft und Literatur ſeien bisher viel zu laſch und
träge in der Wahrung ihrer Intereſſen geweſen. „Wir waren
bisher zur Machtloſigkeit verdammt, weil wir den Weg zu
einander nicht finden konnten; dieſen Weg haben uns unſre
Feinde jetzt gewieſen. Ich bin beauftragt, Ihnen Mittheilung
zu machen von der vollzogenen Gründung des Goethe-Bundes,
der die intellektuellen und künſtleriſchen Kräfte der Reichs-
[Spaltenumbruch] hauptſtadt zu Schutzmaßnahmen gegen alle ſich etwa zeigen-
den, die Freiheit der Kunſt und Wiſſenſchaft bedrohenden Er-
ſcheinungen zuſammenfaſſen will und an deſſen Spitze Geh.
Rath Ende, Prof. Mommſen (minutenlanger Beifall) und
Friedrich Spielhagen getreten ſind, und fordere Sie auf,
dieſem Bunde (deſſen Jahresbeitrag 3 M. beträgt) beizutreten.“
Mit der einmüthigen Zuſtimmung aller Anweſenden, deren
abgegebene Eintrittskarten als Beitrittserklärungen gelien ſollen,
ſchloß die Verſammlung.

Dauer und Höhe der Unterſtützung der Mitglieder der Kranken-
verſicherung.

* Ueber die Höhe der von den Krankenkaſſen erhobenen
Beiträge, ſowie über die Höhe und den Umfang ihrer Leiſtungen
hatte in früheren Jahren eine ſtatiſtiſche Feſtſtellung nur in-
ſofern ſtattgefunden, als die Zahl der Kaſſen in jeder der
verſchiedenen Stufen des Beitrags und der Mindeſt- und
Mehrleiſtung ermittelt wurde. Im 1. Vierteljahrsheft der
„Statiſtik des Deutſchen Reichs für 1900“ iſt nun zum erſten-
mal, und zwar für das Jahr 1897, feſtgeſtellt worden, wie
ſtark der Mitglieder beſtand an den verſchiedenen Sätzen der
Beiträge und der ſtatutariſchen Kaſſengegenleiſtungen betheiligt
war. Hinſichtlich der Unterſtützungsdauer ergibt ſich, daß
von 8,300,000 Verſicherten nahezu 5 Millionen einen ſtatuten-
mäßigen Anſpruch auf 13 Wochen, über 2 Millionen einen
ſolchen auf 13 bis 26 Wochen und rund 1.3 Millionen einen
darüber noch hinausgehenden hatten. Die genaue Berechnung
des Durchſchnitts der ſtatutariſchen Unterſtützungsdauer ſtellt
ſich für je ein Mitglied auf 21.3 Wochen. Hinſichtlich der
Höhe der Unterſtützung ergab ſich, daß, abgeſehen von
den beiden Hülfskaſſenarten, bei denen das Krankengeld nicht
nach Prozenten des Lohns, wie bei den übrigen Kaſſen, ge-
regelt iſt, über 6.4 Millionen Mitglieder nur die Hälfte des
Lohns als Krankengeldſatz zu beanſpruchen haben und letzterer
ſich im Durchſchnitt für das Mitglied auf nur 52.2 v. H. des
Lohns berechnet. An Beiträgen (Arbeitgeber und Arbeit-
nehmer zuſammen) waren — wieder abgeſehen von den Hülfs-
kaſſen — für 2,650,000 Verſicherte 2½ bis 3 v. H. des Lohns,
für 1,850,000 = 1½ bis 2 v. H. und für 1,500,000 = 2 bis
2½ v. H. des Lohns zu zahlen; der durchſchnittliche Beitrag
berechnete ſich für das Mitglied auf 2.6 v. H. des Lohus.

Ein Erlaß zur Beſſerung der Theaterverhältniſſe.

* Der preußiſche Miniſter des Innern hat am 5. Dez.
vorigen Jahres einen Erlaß über die Theaterverhält-
niſſe
ergehen laſſen, von dem ſeinerzeit im Reichstag die
Rede war; jetzt wird darüber Ausführlicheres mitgetheilt. Es
heißt darin:

„Zunächſt läßt ſich nicht verkennen, daß in manchen Fällen
die Behörden von ihren Befugniſſen nicht in wünſchenswerthem
Umfange Gebrauch gemacht haben, weil ſie den Vorgängen im
Theaterweſen nicht die gehörige Aufmerkſamkeit widmeten oder
aber die Perſonen und die Darbietungen nicht richtig beurtheilten.
Namentlich haben manche von den Behörden zugelaſſene Theater-
vorſtellungen vom ſittlichen Standpunkte erheblichen Anſtoß geben
müſſen, während anderen Bühnenſtücken ungerech| tfertigte
Schwierigkeiten
gemacht worden ſind. Im Hinblick auf den
doppelten Zweck der Bühne, eine Erholungsſtätte und eine Stätte
der Bildung und Erhebung für weite Schichten der Bevölkerung zu
ſein, darf die Zenſur nur ſolchen Beamten anvertraut werden, die
nach ihren Kenntniſſen, ihren Erfahrungen und ihrem ſittlich ge-
reiften Urtheil genügende Gewähr vor Mißgriffen bieten. Theatraliſche
Vorſtellungen, Singſpiele, Geſangs- und deklamatoriſche Vorträge,
Schauſtellungen von Perſonen und ähnliche Aufführungen, die das
Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich verletzen, ſind unter keinen
Umſtänden zu dulden. Geben die zur Zenſur eingereichten Texte
und Beſchreibungen zu Bedenken Anlaß, ſo empſiehlt ſich meiſtens
der Weg der mündlichen Verhandlung mit dem Verfaſſer oder dem
Unternehmer, der das Werk zur Aufführung eingereicht hat, und
erſt wenn dieſer Weg nicht zum Ziele führt, ein auf das Roth-
wendige zu beſchränkendes Verbot. Von großem Nutzen kann die
vorherige Befragung von geeigneten literariſchen Sach-
verſtändigen
ſein, namentlich dann, wenn die Grundtendenz
des Stückes bedenklich oder ſein Kunſtwerth zweifelhaft erſcheinen.
Zu beachten bleibt aber in allen Fällen, daß Verzögerungen der
Entſcheidung im allſeitigen Intereſſe nach Möglichkeit vermieden
werden müſſen. ... Nicht ſelten iſt Gelegenheit geboten, durch
zweckmäßige Regelung der beſtehenden Theaterverhältniſſe das
künſtleriſche Niveau der Bühnen zu heben und zugleich den finan-
ziellen Beſtand der Unternehmungen zu ſichern. Namentlich er-
ſcheint in dieſer Hinſicht geeignet die Vereinigung mehrerer Ge-
[Spaltenumbruch] meinden (z. B. einer großen Stadt mit zwei oder drei kleinen,
oder einer Mehrzahl von kleinen Städten in einer Provinz) zu
einem Theaterbezirk, innerhalb deſſen berſelbe Theaterunternehmer
abwechſelnd an verſchiedenen Orten Vorſtellungen gibt. ... Die
Zuziehung des Deutſchen Bühnen-Vereins und der
Genoſſenſchaft deutſcher Bühnen-Angehöriger bei der
Konzeſſionirung der Schauſpielunternehmer hat ſich beſtens be-
währt. Der Miniſter glaubt annehmen zu dürfen, daß auch in
anderen Theaterfragen die genannten Vereinigungen gern bereit
ſein werden, den Behörden jeden möglichen Beiſtand zu ge-
währen.“

Namentlich das Beſtreben, Sachverſtändige der Literatur
und der Bühne bei Löſung der auflanchenden Schwierigkeiten
heranzuziehen, wird in den betheiligten Kreiſen mit Genug-
thnung begrüßt werden.

Die gemaßregelten preußiſchen Landräthe.

* Nachdem der Landrath z. D. Dr. Schilling aus Liegnitz
als Hülfsarbeiter in das landwirthſchaftliche Miniſterium berufen
worden iſt, haben, wie eine Zuſammenſtellung in der „Kreuzztg.“
ergibt, von den 18 im vorigen Jahre zur Dispoſition geſtellten
Landräthen ſechs wieder einen neuen Wirkungskreis gefunden.
Die Landräthe Kreth, Gumbinnen, und v. Dallwitz, Lüben,
ſind als Regierungsräthe im Staatsdienſt wieder angeſtellt worden.
Dr. Schilling hat durch ſeine Einberufung als Hülfsarbeiter
die Anwartſchaft auf die Anſtellung als vortragender Rath er-
halten, Dr. Kerſten aus Schlochau iſt erſter Bürgermeiſter in
Thorn geworden. Landrath v. Brockhauſen aus Dramburg
wurde kurz nach der Maßregelung zum Direktor des Verbandes
pommer’ſcher landwirthſchaftlicher Genoſſenſchaften gewählt und
hat ſeinen Wohnſitz in Stettin genommen, und Landrath Winckler
aus Zeitz iſt zum Generaldirektor der Land-Feuerſozietät für das
Herzogthum Sachſen gewählt worden. Die erſtgenannten drei
Herren haben ihre Mandate niedergelegt und auf eine Wiederwahl
verzichtet. Die Abſicht konſervativer Wähler des Wahlbezirks
Gumbinnen-Inſterburg, Hrn. Kreth wieder zu wählen, iſt durch
die Erklärung Kreths, daß er eine Wiederwahl nicht annehmen
werde, vereitelt worden. Dr. Kerſten hat auf ſein Mandat zum
Abgeordnetenhauſe verzichtet, weil er von der Stadt Thorn als
Vertreter im Herrenhauſe präſentirt worden iſt. Die Herren
v. Brockhauſen und Winckler haben, wie die übrigen zur Dis-
poſition geſtellten zwölf Landräthe und die beiden von derſelben
Maßregel betroffenen Regierungspräſidenten, ihre Mandate be-
halten.

Württemberg: Frhr. v. Mittnacht. — R.

Der Miniſterpräſident Frhr.
v. Mittnacht, der erſt kürzlich ſeinen 75. Geburtstag feiern
durfte, iſt in einer bei ſeinem Alter nicht unbedenklichen Weiſe
an Influenza erkrankt; am gleichen Uebel liegt ſeine Ge-
mahlin darnieder. Ueber das Befinden des Miniſters werden
Bulletins ausgegeben; die letzten berichteten von unruhigen
Nächten und mäßigem Allgemeinbefinden. Hoffentlich gelingt
es der bis dahin ungebeugten Kraft des verehrten Mannes,
die Krankheit bald zu überwinden. — In Ehingen a. D.
iſt dieſer Tage Oberlandesgerichtsrath Dr. Kiene, der bis-
herige Vizepräſident der Kammer und Führer des Centrums,
der ſich wegen Beförderung im Amt einer Renwahl unter-
ziehen mußte, mit 3678 von 3692 abgegebenen Stimmen
wiedergewählt worden. Ueber den Ausfall der Wahl herrſchte
von vornherein kein Zweifel, bemerkenswerth iſt die verhält-
nißmäßig ſtarke Abſtimmung ohne Wahlkampf (zirka 64 Proz.)
und der Umſtand, daß Dr. Kiene diesmal, entgegen früheren
Wahlen, auch in den proteſtantiſchen Orten eine beträchtliche
Stimmenzahl erhalten hat. Wenn aber das Centrumsorgan,
das „Deutſche Volksblatt“, aus dieſer Wahl ein „politiſches
Ereigniß erſten (!) Ranges“ macht und aus ihr den dauernden
Verzicht aller anderen Parteien ableiten will, dem Centrum
je wieder die Mandate im württembergiſchen Oberland ſtreitig
zu machen, ſo geht das natürlich zu weit. — Eine weitere
Nachwahl iſt im Bezirk Ulm-Land durch den Tod des
Abg. Haug nöthig geworden. Der Verſtorbene war 45 Jahre
lang Stadtſchultheiß von Langenau und ſeit 1876 Mitglied
des Landtags, wo er bis 1895 der deutſchen Partei ange-
hörte, während er ſich im letzten Landtag keinem Fraktions-
verband mehr anſchloß. Haug war ein äußerſt tüchtiger Orts-
vorſteher; er hat ſich lange vor Gründung des Bundes der
Landwirthe als ein Agrarier in gutem Sinne des Wortes
bethätigt und ſich z. B. um die Gründung von Darlehens-
kaſſen und die Einführung eines brauchbaren Bauernpferdes
viele Verdienſte erworben. Im Landtag war ſeine Erfahrung



[Spaltenumbruch]

oder Paris eine Heimath für Kunſt und Künſtler ſind und
dem ganzen geiſtigen Leben eine ausgeprägte Phyſiognomie
verleihen. Dafür beſitzt es zu ſehr die differenzirten Nerven
eines Induſtriezentrums. Aber aus den Wechſelwirkungen
von Kunſt und Induſtrie ergibt ſich als Folge ein vielſeitig
entwickelter Kunſtmarkt, der eiferſüchtig alle Abzugskanäle
nach der Reichshauptſtadt verſtopft hält. Die Kunſt weiß
ſich in Düſſeldorf mit dem Golde der heimathlichen Erz- und
Kohlenerde bezahlt zu machen und eher unterſchätzt ſie dabei
den Geſchmack des Publikums als das Intereſſe und die
Kaufkraft der induſtriellen Mäcene. Eine große Zahl der
einheimiſchen Künſtler, vielleicht die Mehrzahl, iſt fortwährend
von privaten Aufträgen in Anſpruch genommen, malt nach
den Wünſchen der Beſteller und hüllt ſich gegen jede Zug-
luft von außen in den weichen warmen Mantel ihrer nahr-
haften und gangbaren Kunſt. Für dieſe Richtung der Düſſel-
dorfer Malerei — ſie hat ihre Ausſtellung in der Kunſt-
halle
— bedeutet auch eine künftige lex Heinze keine Gefahr,
weil ſie ſich niemals an Problemen des Nackten in der Kunſt
verſucht hat. Sie malt lieber hohe Herren mit dicken Uhr-
ketten als nackte Frauen, und beſonders liebt ſie Offiziere in
großer Uniform. Sie mag von ſich ſagen: lex mihi Mars,
wo Andere ſagen: lex mihi ars. Die Verhältniſſe liegen aber
nun einmal ſo, daß wer am öffentlichen Kunſtleben theil-
nimmt, ſich auch mit dem hinaufgeſchraubten Maßſtab der
Zeit meſſen laſſen muß und es iſt nicht gut, wenn die Mittel-
mäßigkeit einer geſättigten Kunſt den Charakter einer Aus-
ſtellung ſo ſehr depraviren kann, daß man von einem Nieder-
gang geiſtigen Strebens, einem bequemen Einroſten in Zweck-
mäßigkeitsrückſichten reden muß. Es ſei fern, nicht das viele
Gute anzuerkennen, das von der alten Kerntruppe der
„Düſſeldorfer Künſtler“ geleiſtet wird — leider erhalten wir
heuer keine Rechenſchaft darüber. Die alten Meiſter, ein Andreas
Achenbach, Arthur Kampf, Ed. v. Gebhardt u. A. haben ſich
zurückgezogen und ſo iſt unter dem Reſt nichts, was für
die Stellung einer. Schule oder einer Künſtlerperſönlichkeit
zum Geſammtkunſtleben einen Maßſtab abgäbe, kein Werk,
das uns durch eine eigenartige Lebensauffaſſung oder Phantaſie
nachdenklich machte, kurz — kein einziges aus voller Perſön-
lichkeit geſchöpftes Werk. Die in die Augen ſpringende Ver-
legenheitswahl der Künſtler ſowohl wie der Jury, die ſchon
im letzten Jahre eine weitherzige Kollegialität zeigte, legt die
Frage nahe, ob es nicht beſſer geweſen wäre, wenn die
[Spaltenumbruch] Jahresausſtellung in der Kunſthalle überhaupt nicht eröffnet
worden wäre. Der Vermuthung, daß die leidige Rückſicht-
nahme auf den Allerweltsgeſchmack des Marktes der Düſſel-
dorfer Kunſt jeden Zuſammenhang mit den großen Zeit-
ſtrömungen zu rauben drohe, wäre dann wenigſtens der
Boden entzogen geweſen. — Wenige Tage nach der
„Künſtlerſchaft“ eröffnete die „Freie Vereinigung
ihre Ausſtellung im Lichthofe des Zeutral-Gewerbemuſeums.
Ein Doppeltes fällt uns hier ſofort auf: einmal das Hervor-
treten der ſeit Jahren vernachläſſigten Figurenmalerei, die
ja im freien Finden und Erfinden immer den Höhepunkt
künſtleriſchen Schaffens bedeutet, dann aber das Große und
Bedeutende, das die Düſſeldorfer hier in der Landſchaft leiſten.
Sie erſcheint freilich auf ein weit perſönlicheres Gebiet zurück-
gedrängt und das iſt gut ſo, denn noch vor wenig Jahren
konnte man ſich vor allen dieſen korrekten Düſſeldorfer Land-
ſchaften gar nicht retten und von ihnen zumeiſt hat die
rheiniſche Kunſt das Schulmeiſtergeſchmäckchen bekommen,
das man draußen im Reich ſo wenig goutiren mochte. Der
bedeutendſte unter dieſen jüngeren Landſchaftern iſt zweifellos
Olaf Jernberg, der eine wundervolle Herbſtlandſchaft in
Morgenbeleuchtung ausſtellt, an der die Klarheit und Leucht-
kraft des Tones ebenſo erfreut wie die ſchlichte, faſt herbe
Ehrlichkeit ſeiner Naturbeobachtung. Verwandtes Empfinden
in Ton- und Stimmungsgefühl drückt ſich in den flandriſchen
und niederrheiniſchen Dorflandſchaften des jüngeren Engen
Kampf aus. Die Kunſt lebendig wahrer Zeichnung und kraft-
voller plaſtiſcher Modellirung mittelſt der aufs Haar ge-
troffenen Farbe beſitzt A. Lins in hervorragendem Maße.
Seine ſonnig warmen Landſchaften mit den prachtvollen,
nicht als Staffage benutzten Kühen und Ochſen ſind unüber-
trefflich. Ein bedeutender Marinemaler, obzwar noch jung,
iſt A. Dirks, deſſen in großem Stile ausgeführte „Landungs-
brücke“ ein Hauptwerk der Ausſtellung iſt. Als größtes
Figurenwerk tritt uns Otto Hercherts „Veteranenverſamm-
lung“ entgegen, das ſich als eine Charakterſtudie großen
Stils mit mancherlei Lichteffekten darſtellt. Sehr hübſch
iſt die Plaſtik vertreten durch Werke von Clemens Buſcher,
K. H. Müller und A. Friſche. — Macht uns die Ausſtellung
der „Freien Vereinigung“ in immerhin erfreulicher Weiſe mit
dem jüngeren Nachwuchs der Düſſeldorfer Kunſt bekannt,
aus dem ſich die treibenden Kräfte der Zukunft entwickeln,
ſo begegnen wir in der neu gegründeten „Künſtlerver-
[Spaltenumbruch] einigung
1899“, einer Gruppe von Profeſſoren und Malern,
die, ohne eine beſtimmte Richtung oder Tendenz zu verfolgen,
ein konſequentes Ausſtellungsprinzip durchführen win. Sie
iſt beſtrebt, uns die Kunſt in ihrem eigenen Berufe vorzu-
führen und ihr gleichzeitig den höchſten Komfort zum Hinter-
grunde zu geben. Inmitten eines intimen, durch allerlei
altes und ſchönes Möbelwerk, durch reiche Decken, prächtige
Teppiche und koſtbare Bronzen zum geſchmackvoll und be-
haglichen Saale gewandelten Raumes — das Atelier des
Malers H. E. Pohle — nimmt der Beſchauer die Wirkung
jedes einzelnen, wenn auch in noch ſo kleinem Formate auf-
tretenden Bildes in ſich auf. Sein Auge, gefeſſelt von der
eleganten Harmonie dieſer intimen Art der Kunſtdarbietung,
hat ſtets einen willkommenen Nuhepunkt, auf dem es mit
Muſe verweilen kann. Jedem Ausſteller iſt es dadurch zu-
gleich möglich gemacht, ohne lärmende Wirkung zum Be-
ſchauer zu ſprechen, da kein Bild von der größeren Schlag-
kraft des daneben hängenden erdrückt wird. Selten wird man
eine zugleich ſo inhaltreiche und ſo ehrlich und tadellos durch-
geführte Ausſtellung geſehen haben. Der Eindruck iſt der
einer überraſchenden Einheitlichkeit und vollendeten inneren und
äußeren Harmonie. Wohl nur ganz unbeabſichtigt tritt dieſe
ſogar in der Stoffwahl einer ganzen Gruppe von Aus-
ſtellungswerken hervor. Es iſt der Stoffkreis der griechiſchen
Mythologie, auf den Willy v. Beckerath, H. E. Pohle, Ludw.
Keller u. A. zurückgegriffen haben. Profeſſor Bergmann, deſſen
Berufung von Karlsruhe an die Düſſeldorfer Akademie ein
außerordentlich glücklicher Griff war bringt einen mit großer
Kraft und verhaltener Farbengluth gemalten Sonnenunter-
gang mit prachtvollen Thierſtücken. Landſchaft und Marine
ſind in dieſer eleganten, ſehr bedeutenden Ausſtellung nicht
zurückgeblieben, nur die Plaſtik iſt nicht vertreten.

Der Fall Klimt. — Ein
Seitenſtück zum Fall Lieber-Stuck. Bleibt abzuwarten, ob
das Klimt’ſche Deckenbild „Die Philoſophie“ von der Aula
der Wiener Univerſität ausgeſchloſſen wird, wie ſeinerzeit der
Stuck’ſche Fries vom Berliner Reichstagsgebäude. Guſtav
Klimt, ohne Zweifel eines unſrer feinſtfühlenden Malertalente,
in hohem Grade ſenſitiv organiſirt, hat ſeine Wandlung zur
Sezeſſion vielleicht am gründlichſten von Allen vollzogen.
Heute ſteht er im Mittelpunkt des Kampfes und wird, wenn
Die Philoſophie“ auf der Pariſer Weltausſtellung erſcheint,
ein berühmter Mann werden. Denn ſeit Makarts „Sieben

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Theaterwe&#x017F;en nicht die gehörige Aufmerk&#x017F;amkeit widmeten oder<lb/>
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Namentlich haben manche von den Behörden zugela&#x017F;&#x017F;ene Theater-<lb/>
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Schau&#x017F;tellungen von Per&#x017F;onen und ähnliche Aufführungen, die das<lb/>
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Herzogthum Sach&#x017F;en gewählt worden. Die er&#x017F;tgenannten drei<lb/>
Herren haben ihre Mandate niedergelegt und auf eine Wiederwahl<lb/>
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[2/0002] München, Dienſtag Allgemeine Zeitung 27. März 1900. Nr. 84. ſitzen, nur dringend gerathen werden, ſich für das Sommer- halbjahr zum Beſuch einer Vorklaſſe zu melden. Der Berliner Goethe-Bund. N. Berlin, 26. März. In einer Verſammlung von etwa tauſend Vertretern der Kunſt, Wiſſenſchaft und Literatur iſt am Sonntag Mittag im Feſtſaal des Berliner Rathhauſes unter dem Vorſitze des Schriftſtellers Hermann Sudermann ein „Kunſtſchutzverein“, genannt „Goethe-Bund“ nach dem Vorgehen der Münchener Künſtlerſchaft begründet worden. Zugleich erfuhr die ſogenannte lex Heinze wieder die heftigſten Proteſte. Die Stadt Berlin war durch Stadtſyndikus Men- brink und durch die Stadtverordneten Privatdozent Dr. Preuß und Fabrikanten Roſenow vertreten. Während der Vor- träge erſchien Adolf v. Menzel und wurde durch ſtürmiſche Hochrufe, Händeklatſchen u. ſ. w. begrüßt, ebenſo Profeſſor Mommſen. Aus der Muſikwelt ſah man den kgl. Kapell- meiſter Dr. Muck, den Profeſſor Gernsheim; aus der Theaterwelt: Direktor Raphael Löwenfeld, Otto Sommerſtorff, Direktor Brahm, Direktor Barnay, L’Arronge; von Schrifſtellern bemerkte man: Ludwig Pietſch, Otto E. Hartleben, Julius Wolff, Julius Lohmeier, Max Kretzer, Hans v. Hopfen, Heinz Tovote, Albert Träger, Julius Stettenheim, Baldnin Möllhauſen; von Malern: Marinemaler Salzmann, F. Skarbina, Ludwig Knaus; die Bildhauer: Begas, Herter, Eberlein. Ferner ſah man die Abgeordneten Schrader und Dr. Max Hirſch, ſowie die Profeſſoren Dr. Erich Schmidt, Dr. Hans Delbrück u. A. Im ganzen wurden ſieben Reden gegen die lex Heinze gehalten. Als Vertreter der Preſſe ſprach zuerſt Hr. Dernburg. Der Redner erklärte, der in das Geſetz neu eingeführte Begriff der verletzten Schamhaftigkeit ſei ein ſo fremder, daß man ſich ſchwer in ihn werde hineinfinden können. Der Mann empfinde vor dem Unſittlichen Abſcheu und Ekel, verletztes Schamgefühl werde man nur bei zarten Mägdelein finden, das aber ſeien nicht die Elemente, die man als Richter in der Literatur zulaſſen könne. Guſtav Eberlein führte aus: Was man auch zur Beſchwichtigung geſagt hat, wir ſind nicht überzeugt worden, daß der Kunſt- paragraph die Kunſt nicht treffen werde. Wolle man wirklich durch geſetzliche Maßnahmen eine Geſundung der Sitten er- wirken, ſo muß man es auf einem ganz anderen Gebiete, auf dem mediziniſchen, thun. Namens des Buchhändler- ſtandes erhob Hr. Engelhorn, Stuttgart, Proteſt gegen die „Kautſchukparagraphen“ der lex Heinze, die das ſchöne und vornehme Gewerbe mit ernſter Gefahr bedrohen, Namens der Bühnenvertreter ſprach Direktor Brahm. Vom juriſtiſchen Standpunkt trat Prof. Kohler dem Geſetz ent- gegen. Der Begriff des verletzten Schamgefühls ſei ein ſehr unſicherer. Das Schamgefühl im gewöhnlichen bürgerlichen Leben, das Schamgefühl des Naturmenſchen ſei ein ganz anderes als das des äſthetiſch Gebildeten, und ſolange man nicht ſage, welches Schamgefühl getroffen werden ſolle, werde das Geſetz immer Anlaß zu Mißverſtändniſſen geben. Der Redner verwies ferner auf das Bedenkliche der Ausdrücke „zu geſchäftlichen Zwecken“ und „an Orten, die dem öffent- lichen Verkehr dienen“ und erinnerte daran, daß, analog der Anwendung des § 183, unter ſchamverletzenden Handlungen auch Reden verſtanden werden können. Man verweiſe nun zwar auf die Interpretationen im Reichstag, an derartige Interpretationen aber ſei kein Richter gebunden, und die ganze neuere Jurisprudenz gehe dahin, die Geſetze aus ſich ſelbſt heraus zu deuten. Nachdem dann noch kurz Geh. Rath Prof. Suphan, Weimar, auf Goethe und Schiller als lebendige Proteſte gegen dieſe lex hingewieſen, nahm als Letzter der Redner Hermann Sudermann das Wort, um zu betonen, daß, wenn man auch die abſchwächende Wirkung der Kompromißanträge anerkenne, man doch immer noch fern davon ſei, zuzugeben, daß die Gefahr beſeitigt ſei. Kunſt, Wiſſenſchaft und Literatur ſeien bisher viel zu laſch und träge in der Wahrung ihrer Intereſſen geweſen. „Wir waren bisher zur Machtloſigkeit verdammt, weil wir den Weg zu einander nicht finden konnten; dieſen Weg haben uns unſre Feinde jetzt gewieſen. Ich bin beauftragt, Ihnen Mittheilung zu machen von der vollzogenen Gründung des Goethe-Bundes, der die intellektuellen und künſtleriſchen Kräfte der Reichs- hauptſtadt zu Schutzmaßnahmen gegen alle ſich etwa zeigen- den, die Freiheit der Kunſt und Wiſſenſchaft bedrohenden Er- ſcheinungen zuſammenfaſſen will und an deſſen Spitze Geh. Rath Ende, Prof. Mommſen (minutenlanger Beifall) und Friedrich Spielhagen getreten ſind, und fordere Sie auf, dieſem Bunde (deſſen Jahresbeitrag 3 M. beträgt) beizutreten.“ Mit der einmüthigen Zuſtimmung aller Anweſenden, deren abgegebene Eintrittskarten als Beitrittserklärungen gelien ſollen, ſchloß die Verſammlung. Dauer und Höhe der Unterſtützung der Mitglieder der Kranken- verſicherung. * Ueber die Höhe der von den Krankenkaſſen erhobenen Beiträge, ſowie über die Höhe und den Umfang ihrer Leiſtungen hatte in früheren Jahren eine ſtatiſtiſche Feſtſtellung nur in- ſofern ſtattgefunden, als die Zahl der Kaſſen in jeder der verſchiedenen Stufen des Beitrags und der Mindeſt- und Mehrleiſtung ermittelt wurde. Im 1. Vierteljahrsheft der „Statiſtik des Deutſchen Reichs für 1900“ iſt nun zum erſten- mal, und zwar für das Jahr 1897, feſtgeſtellt worden, wie ſtark der Mitglieder beſtand an den verſchiedenen Sätzen der Beiträge und der ſtatutariſchen Kaſſengegenleiſtungen betheiligt war. Hinſichtlich der Unterſtützungsdauer ergibt ſich, daß von 8,300,000 Verſicherten nahezu 5 Millionen einen ſtatuten- mäßigen Anſpruch auf 13 Wochen, über 2 Millionen einen ſolchen auf 13 bis 26 Wochen und rund 1.3 Millionen einen darüber noch hinausgehenden hatten. Die genaue Berechnung des Durchſchnitts der ſtatutariſchen Unterſtützungsdauer ſtellt ſich für je ein Mitglied auf 21.3 Wochen. Hinſichtlich der Höhe der Unterſtützung ergab ſich, daß, abgeſehen von den beiden Hülfskaſſenarten, bei denen das Krankengeld nicht nach Prozenten des Lohns, wie bei den übrigen Kaſſen, ge- regelt iſt, über 6.4 Millionen Mitglieder nur die Hälfte des Lohns als Krankengeldſatz zu beanſpruchen haben und letzterer ſich im Durchſchnitt für das Mitglied auf nur 52.2 v. H. des Lohns berechnet. An Beiträgen (Arbeitgeber und Arbeit- nehmer zuſammen) waren — wieder abgeſehen von den Hülfs- kaſſen — für 2,650,000 Verſicherte 2½ bis 3 v. H. des Lohns, für 1,850,000 = 1½ bis 2 v. H. und für 1,500,000 = 2 bis 2½ v. H. des Lohns zu zahlen; der durchſchnittliche Beitrag berechnete ſich für das Mitglied auf 2.6 v. H. des Lohus. Ein Erlaß zur Beſſerung der Theaterverhältniſſe. * Der preußiſche Miniſter des Innern hat am 5. Dez. vorigen Jahres einen Erlaß über die Theaterverhält- niſſe ergehen laſſen, von dem ſeinerzeit im Reichstag die Rede war; jetzt wird darüber Ausführlicheres mitgetheilt. Es heißt darin: „Zunächſt läßt ſich nicht verkennen, daß in manchen Fällen die Behörden von ihren Befugniſſen nicht in wünſchenswerthem Umfange Gebrauch gemacht haben, weil ſie den Vorgängen im Theaterweſen nicht die gehörige Aufmerkſamkeit widmeten oder aber die Perſonen und die Darbietungen nicht richtig beurtheilten. Namentlich haben manche von den Behörden zugelaſſene Theater- vorſtellungen vom ſittlichen Standpunkte erheblichen Anſtoß geben müſſen, während anderen Bühnenſtücken ungerech| tfertigte Schwierigkeiten gemacht worden ſind. Im Hinblick auf den doppelten Zweck der Bühne, eine Erholungsſtätte und eine Stätte der Bildung und Erhebung für weite Schichten der Bevölkerung zu ſein, darf die Zenſur nur ſolchen Beamten anvertraut werden, die nach ihren Kenntniſſen, ihren Erfahrungen und ihrem ſittlich ge- reiften Urtheil genügende Gewähr vor Mißgriffen bieten. Theatraliſche Vorſtellungen, Singſpiele, Geſangs- und deklamatoriſche Vorträge, Schauſtellungen von Perſonen und ähnliche Aufführungen, die das Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich verletzen, ſind unter keinen Umſtänden zu dulden. Geben die zur Zenſur eingereichten Texte und Beſchreibungen zu Bedenken Anlaß, ſo empſiehlt ſich meiſtens der Weg der mündlichen Verhandlung mit dem Verfaſſer oder dem Unternehmer, der das Werk zur Aufführung eingereicht hat, und erſt wenn dieſer Weg nicht zum Ziele führt, ein auf das Roth- wendige zu beſchränkendes Verbot. Von großem Nutzen kann die vorherige Befragung von geeigneten literariſchen Sach- verſtändigen ſein, namentlich dann, wenn die Grundtendenz des Stückes bedenklich oder ſein Kunſtwerth zweifelhaft erſcheinen. Zu beachten bleibt aber in allen Fällen, daß Verzögerungen der Entſcheidung im allſeitigen Intereſſe nach Möglichkeit vermieden werden müſſen. ... Nicht ſelten iſt Gelegenheit geboten, durch zweckmäßige Regelung der beſtehenden Theaterverhältniſſe das künſtleriſche Niveau der Bühnen zu heben und zugleich den finan- ziellen Beſtand der Unternehmungen zu ſichern. Namentlich er- ſcheint in dieſer Hinſicht geeignet die Vereinigung mehrerer Ge- meinden (z. B. einer großen Stadt mit zwei oder drei kleinen, oder einer Mehrzahl von kleinen Städten in einer Provinz) zu einem Theaterbezirk, innerhalb deſſen berſelbe Theaterunternehmer abwechſelnd an verſchiedenen Orten Vorſtellungen gibt. ... Die Zuziehung des Deutſchen Bühnen-Vereins und der Genoſſenſchaft deutſcher Bühnen-Angehöriger bei der Konzeſſionirung der Schauſpielunternehmer hat ſich beſtens be- währt. Der Miniſter glaubt annehmen zu dürfen, daß auch in anderen Theaterfragen die genannten Vereinigungen gern bereit ſein werden, den Behörden jeden möglichen Beiſtand zu ge- währen.“ Namentlich das Beſtreben, Sachverſtändige der Literatur und der Bühne bei Löſung der auflanchenden Schwierigkeiten heranzuziehen, wird in den betheiligten Kreiſen mit Genug- thnung begrüßt werden. Die gemaßregelten preußiſchen Landräthe. * Nachdem der Landrath z. D. Dr. Schilling aus Liegnitz als Hülfsarbeiter in das landwirthſchaftliche Miniſterium berufen worden iſt, haben, wie eine Zuſammenſtellung in der „Kreuzztg.“ ergibt, von den 18 im vorigen Jahre zur Dispoſition geſtellten Landräthen ſechs wieder einen neuen Wirkungskreis gefunden. Die Landräthe Kreth, Gumbinnen, und v. Dallwitz, Lüben, ſind als Regierungsräthe im Staatsdienſt wieder angeſtellt worden. Dr. Schilling hat durch ſeine Einberufung als Hülfsarbeiter die Anwartſchaft auf die Anſtellung als vortragender Rath er- halten, Dr. Kerſten aus Schlochau iſt erſter Bürgermeiſter in Thorn geworden. Landrath v. Brockhauſen aus Dramburg wurde kurz nach der Maßregelung zum Direktor des Verbandes pommer’ſcher landwirthſchaftlicher Genoſſenſchaften gewählt und hat ſeinen Wohnſitz in Stettin genommen, und Landrath Winckler aus Zeitz iſt zum Generaldirektor der Land-Feuerſozietät für das Herzogthum Sachſen gewählt worden. Die erſtgenannten drei Herren haben ihre Mandate niedergelegt und auf eine Wiederwahl verzichtet. Die Abſicht konſervativer Wähler des Wahlbezirks Gumbinnen-Inſterburg, Hrn. Kreth wieder zu wählen, iſt durch die Erklärung Kreths, daß er eine Wiederwahl nicht annehmen werde, vereitelt worden. Dr. Kerſten hat auf ſein Mandat zum Abgeordnetenhauſe verzichtet, weil er von der Stadt Thorn als Vertreter im Herrenhauſe präſentirt worden iſt. Die Herren v. Brockhauſen und Winckler haben, wie die übrigen zur Dis- poſition geſtellten zwölf Landräthe und die beiden von derſelben Maßregel betroffenen Regierungspräſidenten, ihre Mandate be- halten. Württemberg: Frhr. v. Mittnacht. — R. # Stuttgart, 26. März. Der Miniſterpräſident Frhr. v. Mittnacht, der erſt kürzlich ſeinen 75. Geburtstag feiern durfte, iſt in einer bei ſeinem Alter nicht unbedenklichen Weiſe an Influenza erkrankt; am gleichen Uebel liegt ſeine Ge- mahlin darnieder. Ueber das Befinden des Miniſters werden Bulletins ausgegeben; die letzten berichteten von unruhigen Nächten und mäßigem Allgemeinbefinden. Hoffentlich gelingt es der bis dahin ungebeugten Kraft des verehrten Mannes, die Krankheit bald zu überwinden. — In Ehingen a. D. iſt dieſer Tage Oberlandesgerichtsrath Dr. Kiene, der bis- herige Vizepräſident der Kammer und Führer des Centrums, der ſich wegen Beförderung im Amt einer Renwahl unter- ziehen mußte, mit 3678 von 3692 abgegebenen Stimmen wiedergewählt worden. Ueber den Ausfall der Wahl herrſchte von vornherein kein Zweifel, bemerkenswerth iſt die verhält- nißmäßig ſtarke Abſtimmung ohne Wahlkampf (zirka 64 Proz.) und der Umſtand, daß Dr. Kiene diesmal, entgegen früheren Wahlen, auch in den proteſtantiſchen Orten eine beträchtliche Stimmenzahl erhalten hat. Wenn aber das Centrumsorgan, das „Deutſche Volksblatt“, aus dieſer Wahl ein „politiſches Ereigniß erſten (!) Ranges“ macht und aus ihr den dauernden Verzicht aller anderen Parteien ableiten will, dem Centrum je wieder die Mandate im württembergiſchen Oberland ſtreitig zu machen, ſo geht das natürlich zu weit. — Eine weitere Nachwahl iſt im Bezirk Ulm-Land durch den Tod des Abg. Haug nöthig geworden. Der Verſtorbene war 45 Jahre lang Stadtſchultheiß von Langenau und ſeit 1876 Mitglied des Landtags, wo er bis 1895 der deutſchen Partei ange- hörte, während er ſich im letzten Landtag keinem Fraktions- verband mehr anſchloß. Haug war ein äußerſt tüchtiger Orts- vorſteher; er hat ſich lange vor Gründung des Bundes der Landwirthe als ein Agrarier in gutem Sinne des Wortes bethätigt und ſich z. B. um die Gründung von Darlehens- kaſſen und die Einführung eines brauchbaren Bauernpferdes viele Verdienſte erworben. Im Landtag war ſeine Erfahrung oder Paris eine Heimath für Kunſt und Künſtler ſind und dem ganzen geiſtigen Leben eine ausgeprägte Phyſiognomie verleihen. Dafür beſitzt es zu ſehr die differenzirten Nerven eines Induſtriezentrums. Aber aus den Wechſelwirkungen von Kunſt und Induſtrie ergibt ſich als Folge ein vielſeitig entwickelter Kunſtmarkt, der eiferſüchtig alle Abzugskanäle nach der Reichshauptſtadt verſtopft hält. Die Kunſt weiß ſich in Düſſeldorf mit dem Golde der heimathlichen Erz- und Kohlenerde bezahlt zu machen und eher unterſchätzt ſie dabei den Geſchmack des Publikums als das Intereſſe und die Kaufkraft der induſtriellen Mäcene. Eine große Zahl der einheimiſchen Künſtler, vielleicht die Mehrzahl, iſt fortwährend von privaten Aufträgen in Anſpruch genommen, malt nach den Wünſchen der Beſteller und hüllt ſich gegen jede Zug- luft von außen in den weichen warmen Mantel ihrer nahr- haften und gangbaren Kunſt. Für dieſe Richtung der Düſſel- dorfer Malerei — ſie hat ihre Ausſtellung in der Kunſt- halle — bedeutet auch eine künftige lex Heinze keine Gefahr, weil ſie ſich niemals an Problemen des Nackten in der Kunſt verſucht hat. Sie malt lieber hohe Herren mit dicken Uhr- ketten als nackte Frauen, und beſonders liebt ſie Offiziere in großer Uniform. Sie mag von ſich ſagen: lex mihi Mars, wo Andere ſagen: lex mihi ars. Die Verhältniſſe liegen aber nun einmal ſo, daß wer am öffentlichen Kunſtleben theil- nimmt, ſich auch mit dem hinaufgeſchraubten Maßſtab der Zeit meſſen laſſen muß und es iſt nicht gut, wenn die Mittel- mäßigkeit einer geſättigten Kunſt den Charakter einer Aus- ſtellung ſo ſehr depraviren kann, daß man von einem Nieder- gang geiſtigen Strebens, einem bequemen Einroſten in Zweck- mäßigkeitsrückſichten reden muß. Es ſei fern, nicht das viele Gute anzuerkennen, das von der alten Kerntruppe der „Düſſeldorfer Künſtler“ geleiſtet wird — leider erhalten wir heuer keine Rechenſchaft darüber. Die alten Meiſter, ein Andreas Achenbach, Arthur Kampf, Ed. v. Gebhardt u. A. haben ſich zurückgezogen und ſo iſt unter dem Reſt nichts, was für die Stellung einer. Schule oder einer Künſtlerperſönlichkeit zum Geſammtkunſtleben einen Maßſtab abgäbe, kein Werk, das uns durch eine eigenartige Lebensauffaſſung oder Phantaſie nachdenklich machte, kurz — kein einziges aus voller Perſön- lichkeit geſchöpftes Werk. Die in die Augen ſpringende Ver- legenheitswahl der Künſtler ſowohl wie der Jury, die ſchon im letzten Jahre eine weitherzige Kollegialität zeigte, legt die Frage nahe, ob es nicht beſſer geweſen wäre, wenn die Jahresausſtellung in der Kunſthalle überhaupt nicht eröffnet worden wäre. Der Vermuthung, daß die leidige Rückſicht- nahme auf den Allerweltsgeſchmack des Marktes der Düſſel- dorfer Kunſt jeden Zuſammenhang mit den großen Zeit- ſtrömungen zu rauben drohe, wäre dann wenigſtens der Boden entzogen geweſen. — Wenige Tage nach der „Künſtlerſchaft“ eröffnete die „Freie Vereinigung“ ihre Ausſtellung im Lichthofe des Zeutral-Gewerbemuſeums. Ein Doppeltes fällt uns hier ſofort auf: einmal das Hervor- treten der ſeit Jahren vernachläſſigten Figurenmalerei, die ja im freien Finden und Erfinden immer den Höhepunkt künſtleriſchen Schaffens bedeutet, dann aber das Große und Bedeutende, das die Düſſeldorfer hier in der Landſchaft leiſten. Sie erſcheint freilich auf ein weit perſönlicheres Gebiet zurück- gedrängt und das iſt gut ſo, denn noch vor wenig Jahren konnte man ſich vor allen dieſen korrekten Düſſeldorfer Land- ſchaften gar nicht retten und von ihnen zumeiſt hat die rheiniſche Kunſt das Schulmeiſtergeſchmäckchen bekommen, das man draußen im Reich ſo wenig goutiren mochte. Der bedeutendſte unter dieſen jüngeren Landſchaftern iſt zweifellos Olaf Jernberg, der eine wundervolle Herbſtlandſchaft in Morgenbeleuchtung ausſtellt, an der die Klarheit und Leucht- kraft des Tones ebenſo erfreut wie die ſchlichte, faſt herbe Ehrlichkeit ſeiner Naturbeobachtung. Verwandtes Empfinden in Ton- und Stimmungsgefühl drückt ſich in den flandriſchen und niederrheiniſchen Dorflandſchaften des jüngeren Engen Kampf aus. Die Kunſt lebendig wahrer Zeichnung und kraft- voller plaſtiſcher Modellirung mittelſt der aufs Haar ge- troffenen Farbe beſitzt A. Lins in hervorragendem Maße. Seine ſonnig warmen Landſchaften mit den prachtvollen, nicht als Staffage benutzten Kühen und Ochſen ſind unüber- trefflich. Ein bedeutender Marinemaler, obzwar noch jung, iſt A. Dirks, deſſen in großem Stile ausgeführte „Landungs- brücke“ ein Hauptwerk der Ausſtellung iſt. Als größtes Figurenwerk tritt uns Otto Hercherts „Veteranenverſamm- lung“ entgegen, das ſich als eine Charakterſtudie großen Stils mit mancherlei Lichteffekten darſtellt. Sehr hübſch iſt die Plaſtik vertreten durch Werke von Clemens Buſcher, K. H. Müller und A. Friſche. — Macht uns die Ausſtellung der „Freien Vereinigung“ in immerhin erfreulicher Weiſe mit dem jüngeren Nachwuchs der Düſſeldorfer Kunſt bekannt, aus dem ſich die treibenden Kräfte der Zukunft entwickeln, ſo begegnen wir in der neu gegründeten „Künſtlerver- einigung 1899“, einer Gruppe von Profeſſoren und Malern, die, ohne eine beſtimmte Richtung oder Tendenz zu verfolgen, ein konſequentes Ausſtellungsprinzip durchführen win. Sie iſt beſtrebt, uns die Kunſt in ihrem eigenen Berufe vorzu- führen und ihr gleichzeitig den höchſten Komfort zum Hinter- grunde zu geben. Inmitten eines intimen, durch allerlei altes und ſchönes Möbelwerk, durch reiche Decken, prächtige Teppiche und koſtbare Bronzen zum geſchmackvoll und be- haglichen Saale gewandelten Raumes — das Atelier des Malers H. E. Pohle — nimmt der Beſchauer die Wirkung jedes einzelnen, wenn auch in noch ſo kleinem Formate auf- tretenden Bildes in ſich auf. Sein Auge, gefeſſelt von der eleganten Harmonie dieſer intimen Art der Kunſtdarbietung, hat ſtets einen willkommenen Nuhepunkt, auf dem es mit Muſe verweilen kann. Jedem Ausſteller iſt es dadurch zu- gleich möglich gemacht, ohne lärmende Wirkung zum Be- ſchauer zu ſprechen, da kein Bild von der größeren Schlag- kraft des daneben hängenden erdrückt wird. Selten wird man eine zugleich ſo inhaltreiche und ſo ehrlich und tadellos durch- geführte Ausſtellung geſehen haben. Der Eindruck iſt der einer überraſchenden Einheitlichkeit und vollendeten inneren und äußeren Harmonie. Wohl nur ganz unbeabſichtigt tritt dieſe ſogar in der Stoffwahl einer ganzen Gruppe von Aus- ſtellungswerken hervor. Es iſt der Stoffkreis der griechiſchen Mythologie, auf den Willy v. Beckerath, H. E. Pohle, Ludw. Keller u. A. zurückgegriffen haben. Profeſſor Bergmann, deſſen Berufung von Karlsruhe an die Düſſeldorfer Akademie ein außerordentlich glücklicher Griff war bringt einen mit großer Kraft und verhaltener Farbengluth gemalten Sonnenunter- gang mit prachtvollen Thierſtücken. Landſchaft und Marine ſind in dieſer eleganten, ſehr bedeutenden Ausſtellung nicht zurückgeblieben, nur die Plaſtik iſt nicht vertreten. v. V. Wien, 26. März. Der Fall Klimt. — Ein Seitenſtück zum Fall Lieber-Stuck. Bleibt abzuwarten, ob das Klimt’ſche Deckenbild „Die Philoſophie“ von der Aula der Wiener Univerſität ausgeſchloſſen wird, wie ſeinerzeit der Stuck’ſche Fries vom Berliner Reichstagsgebäude. Guſtav Klimt, ohne Zweifel eines unſrer feinſtfühlenden Malertalente, in hohem Grade ſenſitiv organiſirt, hat ſeine Wandlung zur Sezeſſion vielleicht am gründlichſten von Allen vollzogen. Heute ſteht er im Mittelpunkt des Kampfes und wird, wenn „Die Philoſophie“ auf der Pariſer Weltausſtellung erſcheint, ein berühmter Mann werden. Denn ſeit Makarts „Sieben

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 84, 27. März 1900, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine84_1900/2>, abgerufen am 21.11.2024.