Allgemeine Zeitung, Nr. 85, 25. März 1848.[Spaltenumbruch]
wurden) meist nur in Civilkleidern aus ihren Casernen wagen, die * Berlin, 20 März. Mit jedem Augenblick erweitert sich der Ge- * Berlin, 20 März. Unsere Revolution ist vollbracht! Die Er- [Spaltenumbruch]
wurden) meiſt nur in Civilkleidern aus ihren Caſernen wagen, die * Berlin, 20 März. Mit jedem Augenblick erweitert ſich der Ge- * Berlin, 20 März. Unſere Revolution iſt vollbracht! Die Er- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0004" n="1348"/><cb/> wurden) meiſt nur in Civilkleidern aus ihren Caſernen wagen, die<lb/> Soldaten dagegen die keine Civilkleider haben ſind in den Caſernen<lb/> wahre Gefangene. In der geſtrigen Mittagſtunde holte das Volk die<lb/> nun ſämmtlich begnadigten Polen aus ihrem Gefängniß außerhalb der<lb/> Stadt, man trug die meiſten auf den Armen, ſetzte ſie dann in Wagen,<lb/> ſpannte aber die Pferde vor dem Wagen Mieroſlavski’s bald aus, und<lb/> zog ihn im Triumphe durch die Linden nach dem Schloſſe, wo Mie-<lb/> roſlavski, die deutſche Nationalfahne in der Hand, eine Rede hielt. Auf<lb/> dieſem Zuge der ein unbeſchreibliches Schauſpiel bot flaggten von allen<lb/> Fenſtern tricolore (ſchwarz-roth-gelb) Fahnen und weiße Tücher. Den<lb/> Studirenden machte Graf Schwerin in der großen Aula einen Beſuch,<lb/> kündigte ihnen ihre ſofortige Bewaffnung an, und gab die Nachricht<lb/> daß Bornemann das Juſtizminiſterium und Camphauſen die Finanzen<lb/> übernimmt. Die Studirenden und die Bürgerſchützen ſind die Helden<lb/> des Tages; es waren ungefähr ſoviele an Zahl wie die Spartaner bei<lb/> den Thermopylen, aber jeder war nicht bloß Spartaner, ſondern Leonidas.<lb/> Ein Student ſteht auch an der Spitze einer Strafcommiſſion, die be-<lb/> kannte Verrräther zur Verantwortung zieht. Dieſe Volksgerechtigkeits-<lb/> pflege wird folgendermaßen geübt: Der Student mit einem langen natio-<lb/> nalfarbigen Bande auf der Bruſt tritt zu dem Schuldigen ins Haus und<lb/> ſagt ihm: „Mein Herr, Sie haben zu der und der Stunde den und<lb/> den, oder die und die dem Schlachtmeſſer der Soldaten denuncirt. Be-<lb/> lieben Sie zu wählen zwiſchen der Zerſtörung ihres Beſitzthums, oder dem<lb/> Loskauf durch Geld, das für die Verwundeten und die Wittwen und<lb/> Waiſen der Gefallenen beſtimmt iſt.“ Der Geängſtigte wählt natürlich<lb/> das letztere, denn draußen ſteht ſchon ein Heer von Rächern zum Zer-<lb/> ſtörungswerke gerüſtet, und nun muß er nach Verhältniß ſeiner Schuld<lb/> bezahlen. Unter andern ſoll der Beſitzer des Gaſthofs „zum Rheiniſchen<lb/> Hof“ tauſend Thaler bezahlt haben. Alle Schilder die den Namen des<lb/> Prinzen von Preußen tragen ſind abgenommen, und zwar auf Befehl jener<lb/> Strafcommiſſion, dagegen ſchreibt der Student auf die Schilder ande-<lb/> rer Hoflieferanten, wie des Königs, der Königin ꝛc. das einfache Wort:<lb/> „Bleibt!“ und ſie werden unverletzlich reſpectirt. Geſtern Abend gegen 10<lb/> Uhr verbreitete ſich das leere Gerücht, der Prinz von Preußen rücke mit einer<lb/> großen Armee gegen die Stadt, ſogleich erhoben ſich Barricaden, alle<lb/> Bürger griffen zu den Waffen, und die Sturmglocke ertönte. Erſt nach<lb/> erwieſener Falſchheit des Gerüchtes rieß man lachend die Barricaden ein.<lb/> Der Prinz von Preußen denkt viel mehr an einen Rückzug als an ein<lb/> Vorrücken, und er thut ſehr recht daran. Wenn der zehnte Theil deſſen<lb/> wahr iſt was man ſich von ſeinen grauſamen Befehlen erzählt, ſo wäre<lb/> ſeine Emigration bis zur Zeit wo die Gemüther ruhiger geworden ſind<lb/> ſühnend und weiſe. Und faßt er einen ſolchen klugen Entſchluß, ſo<lb/> wäre ihm ein zahlreiches Gefolge anderer Kriegsoberſten zu wünſchen<lb/> die „nichts gelernt und nichts vergeſſen haben.“ Das Volk hat vieles<lb/> gelernt und — es wird vieles vergeſſen! Ein Beiſpiel von Lähmung<lb/> der miniſteriellen Maſchine liegt in dem Umſtande daß der am 18 un-<lb/> brauchbar gemachte Telegraph noch heute nicht wieder in Ordnung ge-<lb/> bracht iſt, obgleich nichts als das Fernrohr fehlt, und obgleich es drin-<lb/> gend rathſam geweſen wäre den Rheinlanden und Frankreich auf dieſem<lb/> Wege die Wiederkehr des Friedens zu verkünden. Oft ſehe ich aus<lb/> meinem Fenſter auf dieſen Telegraph der ſeit Sonnabend aus Mangel<lb/> an Fernrohr die Flügel hängen läßt, ein treues Bild der Regierung<lb/> die ebenfalls aus Mangel an Fernſicht die Schwungkraft verloren hatte!</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">* Berlin,</hi> 20 März.</dateline> <p>Mit jedem Augenblick erweitert ſich der Ge-<lb/> ſichtskreis über die großartigen Ereigniſſe der Nacht vom 19, und alles<lb/> was ihr gefolgt. In meinen beiden erſten Schreiben, die in äußerſter<lb/> Flüchtigkeit abgefaßt waren, konnte ich Ihnen nur eine Skizze aus den<lb/> örtlich allernächſten Beziehungen geben, da die Verbindungen der Stadt-<lb/> theile noch ſo wenig hergeſtellt waren daß man gar nicht wußte wo und<lb/> wie alles geſchehen. Jetzt durch Zeitungen, Extrablätter, mündliche<lb/> Nachrichten aller Freunde und Bekannten, ſtellt ſich erſt das gigantiſche<lb/> Bild dieſes Kampfes dar. Erſt jetzt überſteht man in welchem ganz all-<lb/> gemeinen Bürger- und Heldengeiſt er geführt worden. Der Gedanke der<lb/> Freiheit lebt und webt in jeder That. Ein Heldenmuth iſt entwickelt wor-<lb/> den von Kindern, Frauen, Jünglingen und Männern, der Erhebung,<lb/> Stolz und Rührung in jeder menſchlichen Bruſt erzeugt. Der Soldat,<lb/> obwohl (mit Ausnahme weniger älterer Officiere) noch nie im Feuer ge-<lb/> weſen, ſchlug ſich gleichfalls mit ſtandhafteſtem Muth, und gab dadurch<lb/> erſt dem Volke die Gelegenheit ſeine Heldenhaftigkeit zu entfalten. Hätte<lb/> man es mit einem ſchwachen, verzagten Gegner zu thun gehabt, der Sieg<lb/> wäre nicht halb ſo ruhmvoll geweſen. Aber die Truppen waren ſtark, an<lb/><cb/> Zahl und an Tapferkeit, und die Kanonen wurden überall mit Macht<lb/> angewendet. Solche Gegner zu befiegen forderte Helden! Zehn Infan-<lb/> terieregimenter und 36 Kanonen, mit 150 Schuß jede, dazu die geſammte<lb/> Cavallerie der Garde waren im Gefecht — und das <hi rendition="#g">Volk hat geſiegt!</hi><lb/> Das Schlachtfeld war ſo groß wie die Stadt, denn von den äußerſten<lb/> Thoren an bis ins Herz derſelben wurde gekämpft. Zwölf Stunden lang,<lb/> und darüber! Man ſchätzt die Zahl der Todten auf beiden Seiten auf<lb/> elfhundert, was bei weitem die der Juliustage überſteigt. Ich will Sie<lb/> nicht mit den Einzelfällen der Tapferkeit, der Entſagung, der Großmuth,<lb/> deren unzählige ſind, überſchütten. Die Zeitungsblätter, denen darüber<lb/> Notizen von allen Seiten zuſtrömen, werden Ihnen den reichſten Stoff<lb/> liefern. Dieſe Eine Nacht iſt ein Capitel der Weltgeſchichte, das ſchwe-<lb/> rer wiegen dürfte als manches Jahrzehnt! So viel iſt ſicher, und dieß<lb/> ſtolze Bewußtſeyn iſt uns geworden, daß wenn Heer und Volk ſo <hi rendition="#g">ver-<lb/> einigt</hi> handeln wie ſie jetzt <hi rendition="#g">gegen</hi> einander im Kampf ſtanden, ſo dürfen<lb/> wir eine Welt in Waffen nicht ſcheuen. Unſere erſten Empfindungen<lb/> waren die des düſtern Grams und Grauens über das Blutvergießen je-<lb/> ner Nacht, jetzt aber, da wir geſehen welch’ ein erhabener Geiſt in dem<lb/> Ganzen gewaltet, jetzt wollen wir unſere Todten betrauern, aber das<lb/> Herz ſchlägt, wie nach jeder Siegesſchlacht, ſtolz gehoben. Zumal aber<lb/> nach dem was der heutige Tag uns gebracht. Geſtern Abend, bei den<lb/> flimmernden Lampen, ſah man nur friedensfreudige Menſchenſtröme<lb/> durch die Straßen wallen, heute aber ſah man ſtegesſtolze, des großen<lb/> mächtigen Schritts vorwärts bewußte. Denn ſchon ſind Früchte des Ta-<lb/> ges gereift. Die Bürgerbewaffnung iſt mit ſchnellſter Entwicklung vor-<lb/> gegangen. Die Ordnung überall erhalten und hergeſtellt. Das<lb/> Volk übte einige Acte der Gerechtigkeit, doch nur an ſolchen die<lb/> ſich ſchwer verrätheriſch vergangen, oder ſeit langer Zeit den Haß<lb/> auf ſich geladen. Und dennoch waltete überall Mäßigung, Beſon-<lb/> nenheit. Man verbrannte die Möbel mehrerer Einwohner, die ſchwerer<lb/> Thaten bezichtigt ſind. Aber man ſchonte der Perſonen. Den Palaſt<lb/> des Prinzen von Preußen (den man geflüchtet ſagt) wollten einige zer-<lb/> ſtören. Doch ſie gaben ſogleich der Stimme der Vernunft Gehör, und<lb/> er wurde zum Nationaleigenthum erklärt. Der König der die Luft der<lb/> Freiheit einathmet, und dem nun endlich die Wahrheit ringsher (freilich<lb/> nach furchtbar ſchweren Irrthümern) entgegenklingt, geht die neue Bahn<lb/> mit Entſchiedenheit. Nicht nur daß ſofort alle Gefangenen jener Nacht<lb/> freigegeben wurden, ſondern auch alle Polen ſind in Freiheit geſetzt, und<lb/> geſtern zogen ſie im Triumph durch die Straßen. Abermals gaben dieſe<lb/> den Beweis daß in heutiger Zeit nie ein Volk ein Volk unterjochen will;<lb/> das polniſche Banner wird nun in Eintracht neben dem deutſchen wehen,<lb/> ſagte Mieroslawski in feuriger Rede. Die Freiheit duldet einmal kei-<lb/> nen Act der Gewaltthat, ſie iſt der innerſten Natur derſelben zuwider.<lb/> Von unſerm neuen Miniſterium haben wir noch keinen Act geſehen. In<lb/> dieſer Zeit des Sturmflugs hätte man irgendetwas erwartet, wenn auch<lb/> erſt die verſammelten Landſtände die Handlungen ſanctioniren können.<lb/> Der Name des Grafen Arnim iſt nicht ganz gern gehört, obwohl man<lb/> anerkennt daß er im Landtage des verwichenen Jahres eine würdige<lb/> Stellung behauptet hat. Allein man vergibt ihm die Ausweiſung<lb/> Heckers und Itzſteins und die Unterſuchung gegen Schlöffel ſchwerlich;<lb/> er müßte denn ganz in andere Bahnen umwenden. Graf Schwerin ge-<lb/> nießt Vertrauen; ſein gemäßigter Liberalismus wird ſich jetzt gewiß zu<lb/> einem entſchiedenen entwickeln, da jetzt nur mit dieſem gehandelt werden<lb/> kann, während unter den früheren Verhältniſſen allerdings durch Mäßi-<lb/> gung mehr zu erreichen war. Hr. v. Auerswald iſt gleichfalls ein Mann<lb/> des unbedingteſten Zutrauens. So blüht uns denn eine ſchöne Zukunft.<lb/> Die Ordnung iſt ſeit heute völlig hergeſtellt. Jetzt wird der Bür-<lb/> ger auch wieder an ſeine Thätigkeit gehen können und müſſen. In der<lb/> erſten halb Schmerzens- halb Freudenaufregung war es unmöglich.<lb/> Morgen erfolgt die Beſtattung der Todten. Wie, weiß man noch nicht.<lb/> Die ſämmtlichen Truppen die bis jetzt in die Caſernen zurückgezogen wa-<lb/> ren, haben heute die Stadt verlaſſen. Ohne Garniſon kann Berlin<lb/> nicht ſeyn. Der Bürger wäre zu belaſtet vom Dienſt. Welche Verein-<lb/> barungen jetzt getroffen werden, muß man erwarten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">* Berlin,</hi> 20 März.</dateline> <p>Unſere Revolution iſt vollbracht! Die Er-<lb/> eigniſſe haben ſich in furchtbarem Kampf unter gewaltſamen Schwan-<lb/> kungen raſch entwickelt, und es gilt jetzt nur die <hi rendition="#g">unwiderrufliche</hi><lb/> Wendung <hi rendition="#g">ſicher feſtzuhalten</hi> und in geordnetem Gange <hi rendition="#g">fortzu-<lb/> führen.</hi> Der König hatte wirklich aus großmüthigem Herzen und<lb/> raſch gewonnener Einſicht alle Volkswünſche ſchon gewährt, als ein ver-<lb/> hängnißvoller Mißverſtand, deſſen Urſache noch im Dunkeln liegt und<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1348/0004]
wurden) meiſt nur in Civilkleidern aus ihren Caſernen wagen, die
Soldaten dagegen die keine Civilkleider haben ſind in den Caſernen
wahre Gefangene. In der geſtrigen Mittagſtunde holte das Volk die
nun ſämmtlich begnadigten Polen aus ihrem Gefängniß außerhalb der
Stadt, man trug die meiſten auf den Armen, ſetzte ſie dann in Wagen,
ſpannte aber die Pferde vor dem Wagen Mieroſlavski’s bald aus, und
zog ihn im Triumphe durch die Linden nach dem Schloſſe, wo Mie-
roſlavski, die deutſche Nationalfahne in der Hand, eine Rede hielt. Auf
dieſem Zuge der ein unbeſchreibliches Schauſpiel bot flaggten von allen
Fenſtern tricolore (ſchwarz-roth-gelb) Fahnen und weiße Tücher. Den
Studirenden machte Graf Schwerin in der großen Aula einen Beſuch,
kündigte ihnen ihre ſofortige Bewaffnung an, und gab die Nachricht
daß Bornemann das Juſtizminiſterium und Camphauſen die Finanzen
übernimmt. Die Studirenden und die Bürgerſchützen ſind die Helden
des Tages; es waren ungefähr ſoviele an Zahl wie die Spartaner bei
den Thermopylen, aber jeder war nicht bloß Spartaner, ſondern Leonidas.
Ein Student ſteht auch an der Spitze einer Strafcommiſſion, die be-
kannte Verrräther zur Verantwortung zieht. Dieſe Volksgerechtigkeits-
pflege wird folgendermaßen geübt: Der Student mit einem langen natio-
nalfarbigen Bande auf der Bruſt tritt zu dem Schuldigen ins Haus und
ſagt ihm: „Mein Herr, Sie haben zu der und der Stunde den und
den, oder die und die dem Schlachtmeſſer der Soldaten denuncirt. Be-
lieben Sie zu wählen zwiſchen der Zerſtörung ihres Beſitzthums, oder dem
Loskauf durch Geld, das für die Verwundeten und die Wittwen und
Waiſen der Gefallenen beſtimmt iſt.“ Der Geängſtigte wählt natürlich
das letztere, denn draußen ſteht ſchon ein Heer von Rächern zum Zer-
ſtörungswerke gerüſtet, und nun muß er nach Verhältniß ſeiner Schuld
bezahlen. Unter andern ſoll der Beſitzer des Gaſthofs „zum Rheiniſchen
Hof“ tauſend Thaler bezahlt haben. Alle Schilder die den Namen des
Prinzen von Preußen tragen ſind abgenommen, und zwar auf Befehl jener
Strafcommiſſion, dagegen ſchreibt der Student auf die Schilder ande-
rer Hoflieferanten, wie des Königs, der Königin ꝛc. das einfache Wort:
„Bleibt!“ und ſie werden unverletzlich reſpectirt. Geſtern Abend gegen 10
Uhr verbreitete ſich das leere Gerücht, der Prinz von Preußen rücke mit einer
großen Armee gegen die Stadt, ſogleich erhoben ſich Barricaden, alle
Bürger griffen zu den Waffen, und die Sturmglocke ertönte. Erſt nach
erwieſener Falſchheit des Gerüchtes rieß man lachend die Barricaden ein.
Der Prinz von Preußen denkt viel mehr an einen Rückzug als an ein
Vorrücken, und er thut ſehr recht daran. Wenn der zehnte Theil deſſen
wahr iſt was man ſich von ſeinen grauſamen Befehlen erzählt, ſo wäre
ſeine Emigration bis zur Zeit wo die Gemüther ruhiger geworden ſind
ſühnend und weiſe. Und faßt er einen ſolchen klugen Entſchluß, ſo
wäre ihm ein zahlreiches Gefolge anderer Kriegsoberſten zu wünſchen
die „nichts gelernt und nichts vergeſſen haben.“ Das Volk hat vieles
gelernt und — es wird vieles vergeſſen! Ein Beiſpiel von Lähmung
der miniſteriellen Maſchine liegt in dem Umſtande daß der am 18 un-
brauchbar gemachte Telegraph noch heute nicht wieder in Ordnung ge-
bracht iſt, obgleich nichts als das Fernrohr fehlt, und obgleich es drin-
gend rathſam geweſen wäre den Rheinlanden und Frankreich auf dieſem
Wege die Wiederkehr des Friedens zu verkünden. Oft ſehe ich aus
meinem Fenſter auf dieſen Telegraph der ſeit Sonnabend aus Mangel
an Fernrohr die Flügel hängen läßt, ein treues Bild der Regierung
die ebenfalls aus Mangel an Fernſicht die Schwungkraft verloren hatte!
* Berlin, 20 März.Mit jedem Augenblick erweitert ſich der Ge-
ſichtskreis über die großartigen Ereigniſſe der Nacht vom 19, und alles
was ihr gefolgt. In meinen beiden erſten Schreiben, die in äußerſter
Flüchtigkeit abgefaßt waren, konnte ich Ihnen nur eine Skizze aus den
örtlich allernächſten Beziehungen geben, da die Verbindungen der Stadt-
theile noch ſo wenig hergeſtellt waren daß man gar nicht wußte wo und
wie alles geſchehen. Jetzt durch Zeitungen, Extrablätter, mündliche
Nachrichten aller Freunde und Bekannten, ſtellt ſich erſt das gigantiſche
Bild dieſes Kampfes dar. Erſt jetzt überſteht man in welchem ganz all-
gemeinen Bürger- und Heldengeiſt er geführt worden. Der Gedanke der
Freiheit lebt und webt in jeder That. Ein Heldenmuth iſt entwickelt wor-
den von Kindern, Frauen, Jünglingen und Männern, der Erhebung,
Stolz und Rührung in jeder menſchlichen Bruſt erzeugt. Der Soldat,
obwohl (mit Ausnahme weniger älterer Officiere) noch nie im Feuer ge-
weſen, ſchlug ſich gleichfalls mit ſtandhafteſtem Muth, und gab dadurch
erſt dem Volke die Gelegenheit ſeine Heldenhaftigkeit zu entfalten. Hätte
man es mit einem ſchwachen, verzagten Gegner zu thun gehabt, der Sieg
wäre nicht halb ſo ruhmvoll geweſen. Aber die Truppen waren ſtark, an
Zahl und an Tapferkeit, und die Kanonen wurden überall mit Macht
angewendet. Solche Gegner zu befiegen forderte Helden! Zehn Infan-
terieregimenter und 36 Kanonen, mit 150 Schuß jede, dazu die geſammte
Cavallerie der Garde waren im Gefecht — und das Volk hat geſiegt!
Das Schlachtfeld war ſo groß wie die Stadt, denn von den äußerſten
Thoren an bis ins Herz derſelben wurde gekämpft. Zwölf Stunden lang,
und darüber! Man ſchätzt die Zahl der Todten auf beiden Seiten auf
elfhundert, was bei weitem die der Juliustage überſteigt. Ich will Sie
nicht mit den Einzelfällen der Tapferkeit, der Entſagung, der Großmuth,
deren unzählige ſind, überſchütten. Die Zeitungsblätter, denen darüber
Notizen von allen Seiten zuſtrömen, werden Ihnen den reichſten Stoff
liefern. Dieſe Eine Nacht iſt ein Capitel der Weltgeſchichte, das ſchwe-
rer wiegen dürfte als manches Jahrzehnt! So viel iſt ſicher, und dieß
ſtolze Bewußtſeyn iſt uns geworden, daß wenn Heer und Volk ſo ver-
einigt handeln wie ſie jetzt gegen einander im Kampf ſtanden, ſo dürfen
wir eine Welt in Waffen nicht ſcheuen. Unſere erſten Empfindungen
waren die des düſtern Grams und Grauens über das Blutvergießen je-
ner Nacht, jetzt aber, da wir geſehen welch’ ein erhabener Geiſt in dem
Ganzen gewaltet, jetzt wollen wir unſere Todten betrauern, aber das
Herz ſchlägt, wie nach jeder Siegesſchlacht, ſtolz gehoben. Zumal aber
nach dem was der heutige Tag uns gebracht. Geſtern Abend, bei den
flimmernden Lampen, ſah man nur friedensfreudige Menſchenſtröme
durch die Straßen wallen, heute aber ſah man ſtegesſtolze, des großen
mächtigen Schritts vorwärts bewußte. Denn ſchon ſind Früchte des Ta-
ges gereift. Die Bürgerbewaffnung iſt mit ſchnellſter Entwicklung vor-
gegangen. Die Ordnung überall erhalten und hergeſtellt. Das
Volk übte einige Acte der Gerechtigkeit, doch nur an ſolchen die
ſich ſchwer verrätheriſch vergangen, oder ſeit langer Zeit den Haß
auf ſich geladen. Und dennoch waltete überall Mäßigung, Beſon-
nenheit. Man verbrannte die Möbel mehrerer Einwohner, die ſchwerer
Thaten bezichtigt ſind. Aber man ſchonte der Perſonen. Den Palaſt
des Prinzen von Preußen (den man geflüchtet ſagt) wollten einige zer-
ſtören. Doch ſie gaben ſogleich der Stimme der Vernunft Gehör, und
er wurde zum Nationaleigenthum erklärt. Der König der die Luft der
Freiheit einathmet, und dem nun endlich die Wahrheit ringsher (freilich
nach furchtbar ſchweren Irrthümern) entgegenklingt, geht die neue Bahn
mit Entſchiedenheit. Nicht nur daß ſofort alle Gefangenen jener Nacht
freigegeben wurden, ſondern auch alle Polen ſind in Freiheit geſetzt, und
geſtern zogen ſie im Triumph durch die Straßen. Abermals gaben dieſe
den Beweis daß in heutiger Zeit nie ein Volk ein Volk unterjochen will;
das polniſche Banner wird nun in Eintracht neben dem deutſchen wehen,
ſagte Mieroslawski in feuriger Rede. Die Freiheit duldet einmal kei-
nen Act der Gewaltthat, ſie iſt der innerſten Natur derſelben zuwider.
Von unſerm neuen Miniſterium haben wir noch keinen Act geſehen. In
dieſer Zeit des Sturmflugs hätte man irgendetwas erwartet, wenn auch
erſt die verſammelten Landſtände die Handlungen ſanctioniren können.
Der Name des Grafen Arnim iſt nicht ganz gern gehört, obwohl man
anerkennt daß er im Landtage des verwichenen Jahres eine würdige
Stellung behauptet hat. Allein man vergibt ihm die Ausweiſung
Heckers und Itzſteins und die Unterſuchung gegen Schlöffel ſchwerlich;
er müßte denn ganz in andere Bahnen umwenden. Graf Schwerin ge-
nießt Vertrauen; ſein gemäßigter Liberalismus wird ſich jetzt gewiß zu
einem entſchiedenen entwickeln, da jetzt nur mit dieſem gehandelt werden
kann, während unter den früheren Verhältniſſen allerdings durch Mäßi-
gung mehr zu erreichen war. Hr. v. Auerswald iſt gleichfalls ein Mann
des unbedingteſten Zutrauens. So blüht uns denn eine ſchöne Zukunft.
Die Ordnung iſt ſeit heute völlig hergeſtellt. Jetzt wird der Bür-
ger auch wieder an ſeine Thätigkeit gehen können und müſſen. In der
erſten halb Schmerzens- halb Freudenaufregung war es unmöglich.
Morgen erfolgt die Beſtattung der Todten. Wie, weiß man noch nicht.
Die ſämmtlichen Truppen die bis jetzt in die Caſernen zurückgezogen wa-
ren, haben heute die Stadt verlaſſen. Ohne Garniſon kann Berlin
nicht ſeyn. Der Bürger wäre zu belaſtet vom Dienſt. Welche Verein-
barungen jetzt getroffen werden, muß man erwarten.
* Berlin, 20 März.Unſere Revolution iſt vollbracht! Die Er-
eigniſſe haben ſich in furchtbarem Kampf unter gewaltſamen Schwan-
kungen raſch entwickelt, und es gilt jetzt nur die unwiderrufliche
Wendung ſicher feſtzuhalten und in geordnetem Gange fortzu-
führen. Der König hatte wirklich aus großmüthigem Herzen und
raſch gewonnener Einſicht alle Volkswünſche ſchon gewährt, als ein ver-
hängnißvoller Mißverſtand, deſſen Urſache noch im Dunkeln liegt und
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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