Allgemeine Zeitung, Nr. 85, 28. März 1900.München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 28. März 1900. Nr. 85. [Spaltenumbruch]
das Prädikat Gut aufzuweisen, wenn sie aber an der Uni- Staatssekretär des Reichsamts des Innern Graf Posa- Der Bundesrath hat sich inzwischen damit ein- Abg. Dr. Arendt (Reichsp.) sucht nachzuweisen, daß Abg. Rosenow (Soz.) fragt an, was aus der Re- Graf Posadowsky: Die Lösung der Wohnungsfrage Abg. Singer (Soz.): Mein Fraktionsgenosse Thiele ist Abg. Arendt: Ich durfte doch wohl annehmen, daß Abg. Dr. Paasche (nat.-lib.): Der Abg. Bebel hat bei Abg. Bebel (Soz.): Meine damaligen Mittheilungen Abg. Paasche: Das Schreiben der Firma an mich ist Abg. Bebel: An demselben Tage, wo wir hier über [Spaltenumbruch] Abg. Dr. Hahn (Bd. d. Landw.) bespricht den Antrag Graf Posadowsky: Internationale Bedenken gegen Fürst zu Inn- und Knyphausen zieht seinen Antrag zurück. Abg. Rembold legt zur Begründung seines Antrags Graf Posadowsky: Im Reichsamt des Innern hat Nach 61/4 Uhr wird die Berathung auf Mittwoch 1 Uhr Deutsches Reich. Die Diplomatie des Auslands und die kleinen deutschen Höfe. * München, 27. März. Von einem mit den Ver- Die "Times" vom 22. März bringen unter der Ueber- Wie in unzähligen anderen Fällen, die der jetzige Krieg So der nichts weniger als rücksichtslos zentralistisch vor den ersten Häusern des Dorfes angelangt war, fand es "Mutter, liebe gute Mutter!" Eine innige Umarmung "Fürs erste schon! Aber studiren heißt es im ärztlichen Ungläubig und erschrocken stottert die alte Bäuerin: Glückselig geleitet die Mutter ihren Aeltesten ins Wohlig wird es Kastl in den alten, so lang entbehrten, Kastl lacht hellauf: "Die Freude wird wohl bald zu "Wieso? Die Kinder hoffen, daß für sie was drinnen Ach du lieber Himmel! Von der Universität bringt Die Bäuerin staunt: "Einen so großen Hut hast im Kastl beeilt sich, der Mutter das Nöthige zum Ver- "Und "auf geistlich" hast wirklich nicht studirt?" "Nein ich bin Mediziner worden! Ich bin jetzt Arzt und "So, so! Wenn's nur geht!" "Es muß gehen! Den guten Willen hab' ich, und was "Ja, schon recht! Ich wünsche dir ja das Beste, Kastl! "Dem werd' ich das Wasser bald abgegraben haben. Mütterchen stannt, und fassungslos guckt sie auf den Hoch und sehnig gewachsen, knöcherig und doch elastisch "Weiß 's schon!" brummt der alte Oberhummer und Kastl tritt dem Vater entgegen und bietet Gruß und Ein rascher Blick aus den hellen Augen streift den Kastl hat eine scharfe Antwort auf der Zunge; die weg- "Als was?" fragt scharf der Alte und greift nach dem Kastl erklärt mit leicht bebender Stimme: "Ich will München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 28. März 1900. Nr. 85. [Spaltenumbruch]
das Prädikat Gut aufzuweiſen, wenn ſie aber an der Uni- Staatsſekretär des Reichsamts des Innern Graf Poſa- Der Bundesrath hat ſich inzwiſchen damit ein- Abg. Dr. Arendt (Reichsp.) ſucht nachzuweiſen, daß Abg. Roſenow (Soz.) fragt an, was aus der Re- Graf Poſadowsky: Die Löſung der Wohnungsfrage Abg. Singer (Soz.): Mein Fraktionsgenoſſe Thiele iſt Abg. Arendt: Ich durfte doch wohl annehmen, daß Abg. Dr. Paaſche (nat.-lib.): Der Abg. Bebel hat bei Abg. Bebel (Soz.): Meine damaligen Mittheilungen Abg. Paaſche: Das Schreiben der Firma an mich iſt Abg. Bebel: An demſelben Tage, wo wir hier über [Spaltenumbruch] Abg. Dr. Hahn (Bd. d. Landw.) beſpricht den Antrag Graf Poſadowsky: Internationale Bedenken gegen Fürſt zu Inn- und Knyphauſen zieht ſeinen Antrag zurück. Abg. Rembold legt zur Begründung ſeines Antrags Graf Poſadowsky: Im Reichsamt des Innern hat Nach 6¼ Uhr wird die Berathung auf Mittwoch 1 Uhr Deutſches Reich. Die Diplomatie des Auslands und die kleinen deutſchen Höfe. * München, 27. März. Von einem mit den Ver- Die „Times“ vom 22. März bringen unter der Ueber- Wie in unzähligen anderen Fällen, die der jetzige Krieg So der nichts weniger als rückſichtslos zentraliſtiſch vor den erſten Häuſern des Dorfes angelangt war, fand es „Mutter, liebe gute Mutter!“ Eine innige Umarmung „Fürs erſte ſchon! Aber ſtudiren heißt es im ärztlichen Ungläubig und erſchrocken ſtottert die alte Bäuerin: Glückſelig geleitet die Mutter ihren Aelteſten ins Wohlig wird es Kaſtl in den alten, ſo lang entbehrten, Kaſtl lacht hellauf: „Die Freude wird wohl bald zu „Wieſo? Die Kinder hoffen, daß für ſie was drinnen Ach du lieber Himmel! Von der Univerſität bringt Die Bäuerin ſtaunt: „Einen ſo großen Hut haſt im Kaſtl beeilt ſich, der Mutter das Nöthige zum Ver- „Und „auf geiſtlich“ haſt wirklich nicht ſtudirt?“ „Nein ich bin Mediziner worden! Ich bin jetzt Arzt und „So, ſo! Wenn’s nur geht!“ „Es muß gehen! Den guten Willen hab’ ich, und was „Ja, ſchon recht! Ich wünſche dir ja das Beſte, Kaſtl! „Dem werd’ ich das Waſſer bald abgegraben haben. Mütterchen ſtannt, und faſſungslos guckt ſie auf den Hoch und ſehnig gewachſen, knöcherig und doch elaſtiſch „Weiß ’s ſchon!“ brummt der alte Oberhummer und Kaſtl tritt dem Vater entgegen und bietet Gruß und Ein raſcher Blick aus den hellen Augen ſtreift den Kaſtl hat eine ſcharfe Antwort auf der Zunge; die weg- „Als was?“ fragt ſcharf der Alte und greift nach dem Kaſtl erklärt mit leicht bebender Stimme: „Ich will <TEI> <text> <body> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div xml:id="a2a" next="#a2b" type="jArticle" n="2"> <pb facs="#f0002" n="2"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">München, Mittwoch Allgemeine Zeitung</hi> 28. März 1900. Nr. 85.</fw><lb/> <cb/> </div> </div> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div xml:id="a1b" prev="#a1a" type="jArticle" n="3"> <p>das Prädikat Gut aufzuweiſen, wenn ſie aber an der Uni-<lb/> verſität zugelaſſen werden wollen, hätten ſie von Pontius zu<lb/> Pilatus zu laufen und müßten bei jedem Profeſſor die Zu-<lb/> laſſung zu ſeinen Kollegien erbitten. In Rußland ſei eine<lb/> Akademie für die ſtudirenden Frauen errichtet und mit der<lb/> größten Freigebigkeit ausgeſtattet.</p><lb/> <p>Staatsſekretär des Reichsamts des Innern Graf <hi rendition="#b">Poſa-<lb/> dowsky:</hi></p> <cit> <quote>Der Bundesrath hat ſich inzwiſchen damit ein-<lb/> verſtanden erklärt, daß Frauen, die die Abſolvirung des ärzt-<lb/> lichen Studiums und der Examina nachweiſen, auch approbirt<lb/> werden können. Zuerſt verlangten die Damen bloß die Zu-<lb/> laſſung, jetzt wollen ſie immatrikulirt werden. Ob der<lb/> preußiſche Kultusminiſter der Sache geneigt iſt, ob er eine Uni-<lb/> verſität vorzugsweiſe als Frauenuniverſität bezeichnen wird,<lb/> weiß ich nicht; ich fürchte, die Studenten werden auf dieſe<lb/> Univerſität nicht ziehen. Einſtweilen beſteht bei den Profeſſoren<lb/> noch ſtarke Abneigung, die Damen zu ihren Vorleſungen zu-<lb/> zulaſſen. In dieſem Punkte wird nur die Zeit heilen können;<lb/> erſt die Thatſache, daß ſich Damen als hervorragende<lb/> Aerztinnen bewähren, wird dieſes Vorurtheil beſiegen.</quote> </cit><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#b">Arendt</hi> (Reichsp.) ſucht nachzuweiſen, daß<lb/> Abg. Thiele früher einen Oberſteiger Roth falſch beſchuldigt<lb/> habe.</p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Roſenow</hi> (Soz.) fragt an, was aus der Re-<lb/> ſolution des Reichstags wegen Unterſuchung der beſtehenden<lb/> Wohnungsverhältniſſe geworden ſei.</p><lb/> <p> <hi rendition="#b">Graf Poſadowsky:</hi> </p> <cit> <quote>Die Löſung der Wohnungsfrage<lb/> iſt eine der tiefgehendſten ſozialen Fragen, die es überhaupt<lb/> gibt. In der kurzen Zeit, ſeit der Antrag im Hauſe an-<lb/> genommen iſt, war es bei der ſo ſtark beſetzten Seſſion den<lb/> Regierungen nicht möglich, ſchon etwas zu thun. Die Einzel-<lb/> regierungen ſind um Material erſucht worden; erſt wenn<lb/> dieſes eingegangen iſt, wird zu unterſuchen ſein, wie weit<lb/> man auf die Reſolution eingehen kann. Die verbündeten<lb/> Regierungen werden natürlich gut thun, dieſer Frage unaus-<lb/> geſetzt ihre Aufmerkſamkeit zu widmen.</quote> </cit><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Singer</hi> (Soz.):</p> <cit> <quote>Mein Fraktionsgenoſſe Thiele iſt<lb/> nicht anweſend. Ich proteſtire für heute nur gegen die be-<lb/> kannte Art, in der ja häuſig verſucht wird, aus einer an-<lb/> geblich irrigen Mittheilung eines Abgeordneten Rückſchlüſſe<lb/> auf die ſozialdemokratiſche Partei zu ziehen.</quote> </cit><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Arendt:</hi></p> <cit> <quote>Ich durfte doch wohl annehmen, daß<lb/> Hr. Thiele bei der dritten Leſung des Etats anweſend ſein<lb/> würde. Er durfte bei einer ſo wichtigen Verhandlung nicht fehlen.</quote> </cit><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#b">Paaſche</hi> (nat.-lib.):</p> <cit> <quote>Der Abg. Bebel hat bei<lb/> der Berathung der Flottenvorlage der Firma Ludwig Loewe,<lb/> die Millionen an der Flotte verdiene, vorgeworfen, daß ſie<lb/> ihre alten Beamten auf die Straße werfe, und einen Fall<lb/> angeführt, wo ein Mann, der 27 Jahre lang in dem Bureau<lb/> der Firma war, plötzlich entlaſſen wurde und ſich darauf im<lb/> Grunewald erſchoß, ſo daß die Frau und die Kinder der<lb/> Armenpflege anheimfallen mußten. Der Mann hat 4800 M.<lb/> Gehalt bezogen, hat aber ſeine Pflicht in den letzten Jahren<lb/> nicht voll gethan, ſollte aber trotzdem nicht fallen gelaſſen,<lb/> ſondern in einem anderen Reſſort beſchäftigt werden. Nach<lb/> ſeiner Selbſtentleibung hat die Firma anſtandslos über 1100<lb/> Mark für Beerdigungskoſten, darunter 237 M. zu Trauer-<lb/> kleidern für die Wittwe, gezahlt und derſelben eine jährliche<lb/> Penſion von 1200 M. in Ausſicht geſtellt. (Hört! hört! rechts.)</quote> </cit><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Bebel</hi> (Soz.):</p> <cit> <quote>Meine damaligen Mittheilungen<lb/> ſind wochenlang vorher durch zahlreiche Zeitungen gegangen,<lb/> ohne daß die Firma ſich dagegen gewehrt hat. Ich höre<lb/> jetzt, daß die Penſion erſt in Ausſicht geſtellt worden iſt,<lb/> nachdem ich dieſe Sache hier zur Sprache gebracht hatte.<lb/> Der Tuckerbrief wird mir gewohnheitsmäßig vom Abg. Arendt<lb/> vorgeworfen; daß man getäuſcht werden kann, paſſirt Jedem,<lb/> paſſirt auch Staatsanwälten und Richtern.</quote> </cit><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Paaſche:</hi></p> <cit> <quote>Das Schreiben der Firma an mich iſt<lb/> vom 13. Februar datirt; am 10. hatten wir die betreffende<lb/> Debatte und in dieſem Brief iſt die Penſion bereits erwähnt!<lb/> Der Fall beweist wieder einmal, wie leichtfertig Bebel mit<lb/> ſolchen Anſchuldigungen vorgeht. (Große Unruhe links, Zu-<lb/> ſtimmung rechts.)</quote> </cit><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Bebel:</hi></p> <cit> <quote>An demſelben Tage, wo wir hier über<lb/> den Fall bei Ludwig Loewe ſprachen, iſt Iſidor Loewe Bericht<lb/> erſtattet worden und er iſt darüber in die höchſte Aufregung<lb/> gerathen. Es lag alſo in ſeinem Intereſſe, feſtſtellen zu laſſen,<lb/> daß meine Angaben unrichtig waren.</quote> </cit><lb/> <cb/> <p>Abg. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#b">Hahn</hi> (Bd. d. Landw.) beſpricht den Antrag<lb/> Inn- und Knyphauſen. Deutſchland könne derartige Beſtim-<lb/> mungen nur treffen in Verbindung mit den für die Nordſee-<lb/> fiſcherei in Betracht kommenden Staaten. Redner fragt, wie<lb/> es mit der Ausbeutung der Bäreninſeln ſtehe.</p><lb/> <p> <hi rendition="#b">Graf Poſadowsky:</hi> </p> <cit> <quote>Internationale Bedenken gegen<lb/> die Bildung von Genoſſenſchaften zur Ausbeutung der Kohlen<lb/> und des Fiſchreichthums dort liegen nicht vor. Was die<lb/> andere Anregung betrifft, ſo hat im letzten Jahre in Stock-<lb/> holm eine Konferenz ſtattgefunden unter Theilnahme der<lb/> deutſchen Regierung in Bezug auf die Erforſchung der nörd-<lb/> lichen Meere. Eine Kommiſſion ſoll außer wiſſenſchaftlichen<lb/> Unterſuchungen auch die Lebensbedingungen der Fiſche in der<lb/> Nordſee, ihre Wohnverhältniſſe und die Frage der Schon-<lb/> reviere unterſuchen.</quote> </cit><lb/> <p>Fürſt zu Inn- und Knyphauſen <hi rendition="#g">zieht</hi> ſeinen Antrag <hi rendition="#g">zurück.</hi></p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Rembold</hi> legt zur Begründung ſeines Antrags<lb/> dar, daß die Maul- und Klauenſeuche, ebenſo aber auch die<lb/> zur Verhütung ihrer Weiterverbreitung angeordneten Sperr-<lb/> maßregeln den davon betroffenen Landesſtellen und Land-<lb/> wirthen überaus ſchwere wirthſchaftliche Schädigungen zu-<lb/> fügen.</p><lb/> <p> <hi rendition="#b">Graf Poſadowsky:</hi> </p> <cit> <quote>Im Reichsamt des Innern hat<lb/> eine Konferenz über dieſe Frage ſtattgeſunden und der<lb/> Deutſche Landwirthſchaftsrath hat eine Kommiſſion nieder-<lb/> geſetzt, die die Frage nochmals prüfen ſoll. Das Reſultat<lb/> dieſer Prüfung wird dem Reichsgeſundheitsamt unterbreitet<lb/> werden. Die Marktſperre legt ja dem Viehverkehr große<lb/> Opfer auf, aber man muß auch anerkennen, daß die Vieh-<lb/> märkte große Gefahren mit ſich bringen. Wir werden alles<lb/> thun, was ohne Schädigung berechtigter Intereſſen möglich iſt.</quote> </cit><lb/> <p>Nach 6¼ Uhr wird die Berathung auf Mittwoch 1 Uhr<lb/><hi rendition="#g">vertagt.</hi></p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Deutſches Reich.</hi> </head><lb/> <div xml:id="a3a" next="#a3b" n="3"> <head>Die Diplomatie des Auslands und die kleinen deutſchen Höfe.</head><lb/> <dateline>* <hi rendition="#b">München,</hi> 27. März.</dateline> <p>Von einem mit den Ver-<lb/> hältniſſen an den kleinen mitteldeutſchen Höfen wohl ver-<lb/> trauten, warm national empfindenden Freunde unſres<lb/> Blattes erhalten wir die nachſtehende Zuſchrift:</p><lb/> <cit> <quote>Die „<hi rendition="#g">Times</hi>“ vom 22. März bringen unter der Ueber-<lb/> ſchrift „<hi rendition="#g">Deutſche Gereiztheit</hi>“ einen Brief, der unter-<lb/> zeichnet iſt R. <hi rendition="#g">Brooks Egan,</hi> „Britiſcher Kaplan, Gotha-<lb/> Coburg“. (Was iſt „Gotha-Coburg“?) Dieſer Herr, der<lb/> vermuthlich mit der Seelſorge des regierenden Herzogs be-<lb/> traut iſt, fühlt ſich veranlaßt, zu den „<hi rendition="#g">Beleidigungen,</hi><lb/> denen <hi rendition="#g">britiſche Unterthanen in Dresden</hi> ausgeſetzt<lb/> ſeien“, zu bemerken, man ſolle ſich mit Vorſtellungen an den<lb/><hi rendition="#g">britiſchen Geſandten</hi> Sir Condie <hi rendition="#g">Stephen</hi> wenden,<lb/> deſſen Bereich ſich bis Gotha erſtrecke; der würde „verſtehen,<lb/> ſolchen Vorkommniſſen einen Riegel vorzuſchieben“. Wenn<lb/> die Vorſtellungen in Dresden wirkungslos geweſen ſeien, ſo<lb/> habe man ſich vermuthlich an die falſche Stelle gewendet. An<lb/> und für ſich ſind nun die Vorkommniſſe in Dresden — für<lb/> ſo unentſchuldbar wir ſie auch halten — ganz unbedeutend<lb/> im Vergleich zu dem, was in England von Engländern<lb/> gegen ihre eigenen friedensfreundlichen Landsleute verübt<lb/> wird, und es iſt denn auch erheiternd, aus derſelben Nummer<lb/> der „Times“ eine hübſche Beurtheilung des Kaplausbriefes<lb/> zuſammenzuſtellen. Ueber die Dresdener Beleidigungen ſchreibt<lb/> nämlich eine engliſche Dame an das Cityblatt: „In den<lb/> Spalten der „Times“ hat ein thörichter Brief geſtanden, der<lb/> beſagt, daß die Engländer hier (in Dresden) unter der<lb/> Schreckensherrſchaft lebten. Einige Ungezogenheiten, die unter<lb/> aller Verachtung ſtehen, ſind allerdings an der engliſchen<lb/> Kirche verübt worden und zu gleicher Zeit hat irgend Jemand<lb/> nachts die Laternen auf einer der Brücken ausgedreht. Da-<lb/> raus ſchließt man, daß irgend ein Strolch oder Lump, der<lb/> ſich gern amüſirt, ausgebrochen iſt; aber welch eine Idee,<lb/> aus einer derartigen Lumperei eine internationale Beſchwerde<lb/> zu machen!“ Gleichzeitig bemerkt A. V. Dicey, ein hoch-<lb/> angeſehener Oxforder Gelehrter, zu den rohen Verſuchen, das<lb/> freie Wort in England mit Gewalt niederzuhalten und ſie an<lb/> höchſter Regierungsſtelle ſo zu entſchuldigen, daß die Ent-<lb/> ſchuldigung faſt einer Ermunterung zu weiteren Gewaltthätig-<lb/> keiten gleichkommt: „Wenn wir von unfrer eigenen Lehre ab-<lb/> fallen, wenn wir geſetzmäßige Meinungsverſchiedenheit mit<lb/><cb/> ungeſetzlicher Gewalt unterdrücken, ſo werden alle unſre Be-<lb/> mühungen um Freiheit nichtig. Noch mehr: das Ausland<lb/> wird nicht glauben, daß die Lehre, die wir ſelbſt in Wirk-<lb/> lichkeit gar nicht beobachten, jemals aufrichtig von uns ge-<lb/> weſen ſei. Sittlicher Hochmuth wird doppelt abſtoßend werden,<lb/> wenn man findet, daß er nationaler Heuchelei ſehr ähnlich<lb/> ſieht. Wir brauchen zwar, wird man ſagen, ausländiſche<lb/> Meinung nicht zu berückſichtigen; was wir aber wohl be-<lb/> rückſichtigen müſſen, das iſt das Uebel, das nicht draußen,<lb/> ſondern bei uns zuhauſe durch die Duldung der Geſetzloſig-<lb/> keit erſteht.“</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Wie in unzähligen anderen Fällen, die der jetzige Krieg<lb/> nicht erſt geſchaffen, ſondern in das hellſte Licht einer großen<lb/> Oeffentlichkeit gebracht hat, thäte man alſo auch in dieſem in Eng-<lb/> land am beſten, zunächſt das eigene Haus zu beſorgen. Die<lb/> Angelegenheit hat für uns aber noch eine ernſtere Seite. Wie<lb/> lange noch werden bei uns auch kleinere und kleinſte Bundes-<lb/> ſtaaten auf der koſtenreichen Einrichtung beſtehen, <hi rendition="#g">fremde<lb/> Geſandte zu haben?</hi> Man ſollte denken, daß Vaterlands-<lb/> liebe und die Freude am Frieden im eigenen Hauſe wichtiger<lb/> ſein müßten als das Bedürfniß, bei den Hoffeſten in allen<lb/> Reſidenzen glänzend uniformirte Vertreter des Auslands zu<lb/> begrüßen, die „verſtehen würden, ſolchen Vorkommniſſen“, wie<lb/> die aufgebauſchten Dresdener Schreckniſſe es ſind, „einen<lb/> Riegel vorzuſchieben“. Die wirkliche Vertretung unſrer aus-<lb/> wärtigen Beziehungen liegt nun einmal in einheitlicher Hand<lb/> beim Reich und es iſt die Schlußfolge nicht zu umgehen, daß<lb/> die fremden Geſandtſchaften an den kleinen Höfen entweder<lb/><hi rendition="#g">keine</hi> Bedeutung mehr haben, und dann ſind ſie überflüſſig,<lb/> oder ſie <hi rendition="#g">haben</hi> eine Bedeutung, und dann werden ſie niemals<lb/> zum Frieden beitragen, wohl aber <hi rendition="#g">können</hi> ſie gefährlich<lb/> werden, namentlich als Informationszentren, an denen auf<lb/> Umwegen werthvolle Nachrichten erforſcht und zuſammen-<lb/> getragen und fremden Regierungen übermittelt werden. Nie-<lb/> mand hat dieſe Seite der Sache beſſer auszunützen verſtanden<lb/> als England und wer mit den in Rede ſtehenden Verhältniſſen<lb/> vertrauter iſt, wird unbedingt zugeben müſſen, daß es für die<lb/> kleinen deutſchen Höfe Zeit wäre, das Opfer zu bringen und<lb/> auf die fremden Geſandtſchaften zu verzichten! Jedenfalls<lb/> wird dann eine Verſtändigung mit England leichter zu erzielen<lb/> ſein, als wenn wir mit dem geiſtreichen engliſchen Kaplan<lb/> darauf warten ſollen, „bis alle die Gedanken eines Handels-<lb/> übergewichts, die dem deutſchen Volke theuer geworden ſind,<lb/> ſich als leere Träume erweiſen“.</quote> </cit><lb/> <p>So der nichts weniger als rückſichtslos zentraliſtiſch<lb/> geſinnte Verfaſſer der Zuſchrift, der allerdings vielfach<lb/> Gelegenheit gehabt hat, ſich über den Mißſtand, den er<lb/> hier berührt, auf Grund eigener Wahrnehmungen zu<lb/> unterrichten. Der Einfluß, den die verwandtſchaftlichen<lb/> Beziehungen zwiſchen den regierenden Hänſern auf den<lb/> Gang der hohen Politik üben, iſt ja vielſach überſchätzt<lb/> worden, es iſt jedoch nicht in Abrede zu ſtellen, daß die<lb/> überaus engen Familienbande, welche gewiſſe Dynaſtien<lb/> des Auslandes mit einer ganzen Anzahl deutſcher Höfe<lb/> verknüpfen, es den fremden Regierungen weſentlich er-<lb/> leichtern, ſich über das, was in den leitenden Kreiſen<lb/> Deutſchlands geplant wird, auf dem Laufenden zu er-<lb/> halten. Geſchickte diplomatiſche Agenten vermögen ſich<lb/> da ſehr bedeutende Verdienſte zu erwerben, aber freilich<lb/> nicht um das Deutſche Reich. Es dürften dabei diejenigen,<lb/> von deren Wiſſen das Ausland Nutzen zu ziehen ſucht,<lb/> ſich oft genug kaum Rechenſchaft darüber ablegen, daß<lb/> dieſe oder jene vertrauliche Aeußerung unter Umſtänden<lb/> zu undeutſchen oder gar deutſchfeindlichen Zwecken ver-<lb/> werthet werden kann. Und je kleiner der betreffende Hof<lb/> iſt, je weniger er an den hochpolitiſchen Aktionen un-<lb/> mittelbar und aktiv theilnimmt, und je weniger er mithin<lb/> auch Anlaß hat, etwaigen Ausforſchungsverſuchen gegen-<lb/> über dauernd auf dem <hi rendition="#aq">qui vive</hi> zu ſein, um ſo leichteres<lb/> Spiel werden diejenigen haben, die darauf ausgehen, die<lb/> vom rein menſchlichen Standpunkt ja ſehr begreiflich er-<lb/> ſcheinenden arglos-intimen Beziehungen ſeiner Mitglieder<lb/> zu den hohen Verwandten im Auslande und deren Ver-<lb/> trauensmännern und Vertretern zur Gewinnung wichtiger<lb/> politiſcher Informationen zu verwerthen oder zu miß-<lb/> brauchen. Einzelne Andeutungen unſres großen erſten<lb/> Kanzlers laſſen darauf ſchließen, daß er von ſolchen Vor-<lb/> kommniſſen mehr als einmal Kenntniß erlangt hat.</p><lb/> <cb/> </div> </div> </div> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div next="#a2c" xml:id="a2b" prev="#a2a" type="jArticle" n="2"> <p>vor den erſten Häuſern des Dorfes angelangt war, fand es<lb/> Kaſtl angezeigt, ſich zu entfernen. Er zeigte dem Poſt-<lb/> fräulein den Weg zum Poſtamt, das in einem Bauernhauſe<lb/> untergebracht und durch den Doppeladler gekennzeichnet<lb/> iſt, und drückte ſich dann in eine kleine Seitengaſſe, um<lb/> durch dieſe dem Heimathhauſe zuzuſtapfen. Manch neugie-<lb/> riger Blick folgt dem jungen, ſtattlichen Mann. Dann end-<lb/> lich erreicht er das Oberhummer Gütl, und beim Anblick<lb/> desſelben wird es dem Heimkehrenden weich ums Herz. Da-<lb/> heim! Still friedlich liegt das Gehöft, deſſen kleine Fenſter-<lb/> ſcheiben im Sonnenſchein glitzern. Von der Altane hängen<lb/> die Nelken in glühender Farbenpracht hernieder, ſeine<lb/> Lieblingsblumen, und Geranien, Fuchſien und Hortenſien<lb/> vor den Fenſtern geben dem Anweſen einen anheimelnden,<lb/> wohligen lebenswarmen Charakter. Ob dieſes trauten<lb/> Anblicks kann Kaſtl es leicht verſchmerzen, daß kein Will-<lb/> kommkranz über der Eingangsthür prangt; alltäglich nüch-<lb/> tern ſteht das Haus wie immer. Aus der Tenne ertönt<lb/> das aufdringliche Gegacker einer Henne, die es nicht laut<lb/> genug verkünden kann, ein Ei gelegt zu haben. Auf dem<lb/> Feld draußen ſind die Geſchwiſter beſchäftigt, Korn zu<lb/> ſchneiden und in Garben zu binden. Kaſtl blickt hinüber<lb/> und ſchmunzelt; die Geſchwiſter ſind ja doch geſcheiter als<lb/> er, ſie ſind nicht zu dumm für die Bauernarbeit. Ein<lb/> Jubelruf ertönt, lieb Mütterlein kommt aus dem Hauſe<lb/> dem Heimgekehrten liebreich entgegen.</p><lb/> <p>„Mutter, liebe gute Mutter!“ Eine innige Umarmung<lb/> folgt der herzlichen Begrüßung, und dann beſieht ſich die<lb/> weißhaarige Bäuerin den ſchmucken Sohn mit ſtolz verklär-<lb/> tem Blick. „Wie groß du geworden biſcht, Kaſtl. Und<lb/> ſo barſchtet (bebartet)! Frei (faſt) nimmer zu kennen!<lb/> Und biſcht jetzt wirklich ganz fertig mit der Studi?“</p><lb/> <p>„Fürs erſte ſchon! Aber ſtudiren heißt es im ärztlichen<lb/> Beruf immer, das ganze Leben hindurch. Ein Arzt ſtudirt<lb/> niemals aus, es gibt immer wieder neues zu lernen.“</p><lb/> <p>Ungläubig und erſchrocken ſtottert die alte Bäuerin:<lb/> „Wär’ nicht übel! Für ſo viel Geld, Mühe und Plag’ haſt<lb/> noch nicht genug ſtudirt?! Na, das wenn der Vater hört!<lb/> Sag nur ja nichts davon, es wäre weit gefehlt. Du weißt<lb/> ja, wie er iſt. Er hält ſo viel wie gar nichts auf die Dok-<lb/> terei. Aber nun komm ins Haus! Eine Schüſſel Milch,<lb/> Butter und Brot hab’ ich ſchon bereitgeſtellt. Wirſt wohl<lb/> Hunger haben vom Marſch, und Durſt!“</p><lb/> <cb/> <p>Glückſelig geleitet die Mutter ihren Aelteſten ins<lb/> Haus.</p><lb/> <p>Wohlig wird es Kaſtl in den alten, ſo lang entbehrten,<lb/> rauchgeſchwärzten Räumen, und mit Behagen löffelt er die<lb/> herrlich ſchmeckende Milch aus. Die Mutter guckt ihm dabei<lb/> zu, ſich freuend, daß ihr Liebling ſo tapfer einhaut, und<lb/> ihm geſchwätzig erzählend, daß ſeine Stube bereitge-<lb/> ſtellt ſei und auch der große Koffer bereits oben ſtehe, auf<lb/> deſſen Inhalt ſich die Geſchwiſter ſchon ſo ſehr freuen.</p><lb/> <p>Kaſtl lacht hellauf: „Die Freude wird wohl bald zu<lb/> Eſſig werden!“</p><lb/> <p>„Wieſo? Die Kinder hoffen, daß für ſie was drinnen<lb/> ſein wird!“</p><lb/> <p>Ach du lieber Himmel! Von der Univerſität bringt<lb/> einer nichts mit als das Erlernte, und ging’s gut, den<lb/> Doktorhut!“</p><lb/> <p>Die Bäuerin ſtaunt: „Einen ſo großen Hut haſt im<lb/> Koffer?!“</p><lb/> <p>Kaſtl beeilt ſich, der Mutter das Nöthige zum Ver-<lb/> ſtändniß zu erklären, doch das ſchlichte Gebirglerweib ver-<lb/> mag derlei nicht zu faſſen, und immer wieder betheuert<lb/> die Bäuerin, daß das merkwürdige Sachen ſeien.</p><lb/> <p>„Und „auf geiſtlich“ haſt wirklich nicht ſtudirt?“</p><lb/> <p>„Nein ich bin Mediziner worden! Ich bin jetzt Arzt und<lb/> will verſuchen, die Praxis in der Heimath auszuüben!“</p><lb/> <p>„So, ſo! Wenn’s nur geht!“</p><lb/> <p>„Es muß gehen! Den guten Willen hab’ ich, und was<lb/> Tüchtiges hab’ ich gelernt.“</p><lb/> <p>„Ja, ſchon recht! Ich wünſche dir ja das Beſte, Kaſtl!<lb/> Aber es wird hart gehen, mein’ ich. Weißt, der alte Dokter,<lb/> der wird keinen von ſeiner Kundſchaft ablaſſen, und krank<lb/> ſind die Leut’ heroben ſchier nie, und wenn’s was brauchen,<lb/> hilft gewöhnlich der Bader aus.“</p><lb/> <p>„Dem werd’ ich das Waſſer bald abgegraben haben.<lb/> O, ich freue mich ordentlich auf ein paar ordentliche Bein-<lb/> brüche zum Einrichten. Und ſo jung die Serumangelegen-<lb/> heit noch iſt, meine letzten Gulden hab’ ich drangewendet<lb/> und das Mittel gekauft, um es beim erſten Fall gleich zu<lb/> erproben. Wirſt es erleben, Mutter! Schier Wunder werd’<lb/> ich wirken damit!“</p><lb/> <p>Mütterchen ſtannt, und faſſungslos guckt ſie auf den<lb/> ſtudirten Sohn. Das Gepolter ſchwerer Schritte ſcheucht<lb/> die Alte auf, haſtig flüſtert ſie: „Der Vater kommt! Halt<lb/><cb/> dich gut! Du weißt, er iſcht ſo eigen!“ und eilt dem Bauer<lb/> entgegen.</p><lb/> <p>Hoch und ſehnig gewachſen, knöcherig und doch elaſtiſch<lb/> iſt die Geſtalt des alten Oberhummer, dem man das Alter<lb/> nicht anmerken würde, wenn ſein buſchiger weißer Schnurr-<lb/> bart nicht kündete, daß der Bauer die Schwelle des Greiſen-<lb/> alters überſchritten habe. Friſch und wetterbraun das Ge-<lb/> ſicht, ſchwielig von harter Arbeit die großen Hände, braun<lb/> die nackten Kniee, verwetzt und abgeſchabt die kurze, lederne<lb/> Hoſe, braun die offene Bruſt wie die Arme, ſoweit ſie nicht<lb/> das grobe Hemd bedeckt. Ein in der Farbe nicht mehr zu<lb/> beſtimmender zerzauſter Hut mit einer Gockelfeder ſitzt auf<lb/> dem grauen Kopfhaar. So ſieht der Alte ſo friſch und<lb/> kraftvoll aus, daß er es mit drei Jungen noch aufnehmen<lb/> könnte. Die viel kleinere Bäuerin ruft dem Gatten ent-<lb/> gegen: „Alter, der Kaſtl iſt glücklich angekommen!“</p><lb/> <p>„Weiß ’s ſchon!“ brummt der alte Oberhummer und<lb/> bückt ſich unter der Thür, um nicht mit dem Kopf am<lb/> Balken anzuſtoßen.</p><lb/> <p>Kaſtl tritt dem Vater entgegen und bietet Gruß und<lb/> Hand.</p><lb/> <p>Ein raſcher Blick aus den hellen Augen ſtreift den<lb/> jungen Mann, dann reicht der Bauer dem Sohn die Hand,<lb/> kühl, ohne beſondere Bewegung: „Grüß Gott, daheim!<lb/> Haſt endlich ausſtudirt? Na, hat lang genug gedauert!<lb/> Schad’ um die Zeit und das viele Geld! Was willſt nun<lb/> anfangen?“</p><lb/> <p>Kaſtl hat eine ſcharfe Antwort auf der Zunge; die weg-<lb/> werfende Bemerkung über Zeit- und Geldverluſt verletzt<lb/> ihn um ſo mehr, als er doch kümmerlich genug ſich durch<lb/> Stundengeben durchgebracht und keine nennenswerthe<lb/> Unterſtützung vom Vater erhalten hat und ſogar die Pro-<lb/> motionskoſten von einem Wohlthäter gezahlt worden<lb/> ſind. Die Mutter beeilt ſich, beſchwichtigend einzuwerfen:<lb/> „Der Kaſtl iſcht ja jetzt Dokter und will bei uns bleiben!“</p><lb/> <p>„Als was?“ fragt ſcharf der Alte und greift nach dem<lb/> Brotlaib.</p><lb/> <p>Kaſtl erklärt mit leicht bebender Stimme: „Ich will<lb/> die Praxis in der Heimath aufnehmen. Die Anmeldung<lb/> beim Bezirksarzt in der Kreisſtadt iſcht erfolgt, alles in<lb/> Ordnung. Nun handelt es ſich nur noch um die Pa-<lb/> tienten!“</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2/0002]
München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 28. März 1900. Nr. 85.
das Prädikat Gut aufzuweiſen, wenn ſie aber an der Uni-
verſität zugelaſſen werden wollen, hätten ſie von Pontius zu
Pilatus zu laufen und müßten bei jedem Profeſſor die Zu-
laſſung zu ſeinen Kollegien erbitten. In Rußland ſei eine
Akademie für die ſtudirenden Frauen errichtet und mit der
größten Freigebigkeit ausgeſtattet.
Staatsſekretär des Reichsamts des Innern Graf Poſa-
dowsky:
Der Bundesrath hat ſich inzwiſchen damit ein-
verſtanden erklärt, daß Frauen, die die Abſolvirung des ärzt-
lichen Studiums und der Examina nachweiſen, auch approbirt
werden können. Zuerſt verlangten die Damen bloß die Zu-
laſſung, jetzt wollen ſie immatrikulirt werden. Ob der
preußiſche Kultusminiſter der Sache geneigt iſt, ob er eine Uni-
verſität vorzugsweiſe als Frauenuniverſität bezeichnen wird,
weiß ich nicht; ich fürchte, die Studenten werden auf dieſe
Univerſität nicht ziehen. Einſtweilen beſteht bei den Profeſſoren
noch ſtarke Abneigung, die Damen zu ihren Vorleſungen zu-
zulaſſen. In dieſem Punkte wird nur die Zeit heilen können;
erſt die Thatſache, daß ſich Damen als hervorragende
Aerztinnen bewähren, wird dieſes Vorurtheil beſiegen.
Abg. Dr. Arendt (Reichsp.) ſucht nachzuweiſen, daß
Abg. Thiele früher einen Oberſteiger Roth falſch beſchuldigt
habe.
Abg. Roſenow (Soz.) fragt an, was aus der Re-
ſolution des Reichstags wegen Unterſuchung der beſtehenden
Wohnungsverhältniſſe geworden ſei.
Graf Poſadowsky:
Die Löſung der Wohnungsfrage
iſt eine der tiefgehendſten ſozialen Fragen, die es überhaupt
gibt. In der kurzen Zeit, ſeit der Antrag im Hauſe an-
genommen iſt, war es bei der ſo ſtark beſetzten Seſſion den
Regierungen nicht möglich, ſchon etwas zu thun. Die Einzel-
regierungen ſind um Material erſucht worden; erſt wenn
dieſes eingegangen iſt, wird zu unterſuchen ſein, wie weit
man auf die Reſolution eingehen kann. Die verbündeten
Regierungen werden natürlich gut thun, dieſer Frage unaus-
geſetzt ihre Aufmerkſamkeit zu widmen.
Abg. Singer (Soz.):
Mein Fraktionsgenoſſe Thiele iſt
nicht anweſend. Ich proteſtire für heute nur gegen die be-
kannte Art, in der ja häuſig verſucht wird, aus einer an-
geblich irrigen Mittheilung eines Abgeordneten Rückſchlüſſe
auf die ſozialdemokratiſche Partei zu ziehen.
Abg. Arendt:
Ich durfte doch wohl annehmen, daß
Hr. Thiele bei der dritten Leſung des Etats anweſend ſein
würde. Er durfte bei einer ſo wichtigen Verhandlung nicht fehlen.
Abg. Dr. Paaſche (nat.-lib.):
Der Abg. Bebel hat bei
der Berathung der Flottenvorlage der Firma Ludwig Loewe,
die Millionen an der Flotte verdiene, vorgeworfen, daß ſie
ihre alten Beamten auf die Straße werfe, und einen Fall
angeführt, wo ein Mann, der 27 Jahre lang in dem Bureau
der Firma war, plötzlich entlaſſen wurde und ſich darauf im
Grunewald erſchoß, ſo daß die Frau und die Kinder der
Armenpflege anheimfallen mußten. Der Mann hat 4800 M.
Gehalt bezogen, hat aber ſeine Pflicht in den letzten Jahren
nicht voll gethan, ſollte aber trotzdem nicht fallen gelaſſen,
ſondern in einem anderen Reſſort beſchäftigt werden. Nach
ſeiner Selbſtentleibung hat die Firma anſtandslos über 1100
Mark für Beerdigungskoſten, darunter 237 M. zu Trauer-
kleidern für die Wittwe, gezahlt und derſelben eine jährliche
Penſion von 1200 M. in Ausſicht geſtellt. (Hört! hört! rechts.)
Abg. Bebel (Soz.):
Meine damaligen Mittheilungen
ſind wochenlang vorher durch zahlreiche Zeitungen gegangen,
ohne daß die Firma ſich dagegen gewehrt hat. Ich höre
jetzt, daß die Penſion erſt in Ausſicht geſtellt worden iſt,
nachdem ich dieſe Sache hier zur Sprache gebracht hatte.
Der Tuckerbrief wird mir gewohnheitsmäßig vom Abg. Arendt
vorgeworfen; daß man getäuſcht werden kann, paſſirt Jedem,
paſſirt auch Staatsanwälten und Richtern.
Abg. Paaſche:
Das Schreiben der Firma an mich iſt
vom 13. Februar datirt; am 10. hatten wir die betreffende
Debatte und in dieſem Brief iſt die Penſion bereits erwähnt!
Der Fall beweist wieder einmal, wie leichtfertig Bebel mit
ſolchen Anſchuldigungen vorgeht. (Große Unruhe links, Zu-
ſtimmung rechts.)
Abg. Bebel:
An demſelben Tage, wo wir hier über
den Fall bei Ludwig Loewe ſprachen, iſt Iſidor Loewe Bericht
erſtattet worden und er iſt darüber in die höchſte Aufregung
gerathen. Es lag alſo in ſeinem Intereſſe, feſtſtellen zu laſſen,
daß meine Angaben unrichtig waren.
Abg. Dr. Hahn (Bd. d. Landw.) beſpricht den Antrag
Inn- und Knyphauſen. Deutſchland könne derartige Beſtim-
mungen nur treffen in Verbindung mit den für die Nordſee-
fiſcherei in Betracht kommenden Staaten. Redner fragt, wie
es mit der Ausbeutung der Bäreninſeln ſtehe.
Graf Poſadowsky:
Internationale Bedenken gegen
die Bildung von Genoſſenſchaften zur Ausbeutung der Kohlen
und des Fiſchreichthums dort liegen nicht vor. Was die
andere Anregung betrifft, ſo hat im letzten Jahre in Stock-
holm eine Konferenz ſtattgefunden unter Theilnahme der
deutſchen Regierung in Bezug auf die Erforſchung der nörd-
lichen Meere. Eine Kommiſſion ſoll außer wiſſenſchaftlichen
Unterſuchungen auch die Lebensbedingungen der Fiſche in der
Nordſee, ihre Wohnverhältniſſe und die Frage der Schon-
reviere unterſuchen.
Fürſt zu Inn- und Knyphauſen zieht ſeinen Antrag zurück.
Abg. Rembold legt zur Begründung ſeines Antrags
dar, daß die Maul- und Klauenſeuche, ebenſo aber auch die
zur Verhütung ihrer Weiterverbreitung angeordneten Sperr-
maßregeln den davon betroffenen Landesſtellen und Land-
wirthen überaus ſchwere wirthſchaftliche Schädigungen zu-
fügen.
Graf Poſadowsky:
Im Reichsamt des Innern hat
eine Konferenz über dieſe Frage ſtattgeſunden und der
Deutſche Landwirthſchaftsrath hat eine Kommiſſion nieder-
geſetzt, die die Frage nochmals prüfen ſoll. Das Reſultat
dieſer Prüfung wird dem Reichsgeſundheitsamt unterbreitet
werden. Die Marktſperre legt ja dem Viehverkehr große
Opfer auf, aber man muß auch anerkennen, daß die Vieh-
märkte große Gefahren mit ſich bringen. Wir werden alles
thun, was ohne Schädigung berechtigter Intereſſen möglich iſt.
Nach 6¼ Uhr wird die Berathung auf Mittwoch 1 Uhr
vertagt.
Deutſches Reich.
Die Diplomatie des Auslands und die kleinen deutſchen Höfe.
* München, 27. März. Von einem mit den Ver-
hältniſſen an den kleinen mitteldeutſchen Höfen wohl ver-
trauten, warm national empfindenden Freunde unſres
Blattes erhalten wir die nachſtehende Zuſchrift:
Die „Times“ vom 22. März bringen unter der Ueber-
ſchrift „Deutſche Gereiztheit“ einen Brief, der unter-
zeichnet iſt R. Brooks Egan, „Britiſcher Kaplan, Gotha-
Coburg“. (Was iſt „Gotha-Coburg“?) Dieſer Herr, der
vermuthlich mit der Seelſorge des regierenden Herzogs be-
traut iſt, fühlt ſich veranlaßt, zu den „Beleidigungen,
denen britiſche Unterthanen in Dresden ausgeſetzt
ſeien“, zu bemerken, man ſolle ſich mit Vorſtellungen an den
britiſchen Geſandten Sir Condie Stephen wenden,
deſſen Bereich ſich bis Gotha erſtrecke; der würde „verſtehen,
ſolchen Vorkommniſſen einen Riegel vorzuſchieben“. Wenn
die Vorſtellungen in Dresden wirkungslos geweſen ſeien, ſo
habe man ſich vermuthlich an die falſche Stelle gewendet. An
und für ſich ſind nun die Vorkommniſſe in Dresden — für
ſo unentſchuldbar wir ſie auch halten — ganz unbedeutend
im Vergleich zu dem, was in England von Engländern
gegen ihre eigenen friedensfreundlichen Landsleute verübt
wird, und es iſt denn auch erheiternd, aus derſelben Nummer
der „Times“ eine hübſche Beurtheilung des Kaplausbriefes
zuſammenzuſtellen. Ueber die Dresdener Beleidigungen ſchreibt
nämlich eine engliſche Dame an das Cityblatt: „In den
Spalten der „Times“ hat ein thörichter Brief geſtanden, der
beſagt, daß die Engländer hier (in Dresden) unter der
Schreckensherrſchaft lebten. Einige Ungezogenheiten, die unter
aller Verachtung ſtehen, ſind allerdings an der engliſchen
Kirche verübt worden und zu gleicher Zeit hat irgend Jemand
nachts die Laternen auf einer der Brücken ausgedreht. Da-
raus ſchließt man, daß irgend ein Strolch oder Lump, der
ſich gern amüſirt, ausgebrochen iſt; aber welch eine Idee,
aus einer derartigen Lumperei eine internationale Beſchwerde
zu machen!“ Gleichzeitig bemerkt A. V. Dicey, ein hoch-
angeſehener Oxforder Gelehrter, zu den rohen Verſuchen, das
freie Wort in England mit Gewalt niederzuhalten und ſie an
höchſter Regierungsſtelle ſo zu entſchuldigen, daß die Ent-
ſchuldigung faſt einer Ermunterung zu weiteren Gewaltthätig-
keiten gleichkommt: „Wenn wir von unfrer eigenen Lehre ab-
fallen, wenn wir geſetzmäßige Meinungsverſchiedenheit mit
ungeſetzlicher Gewalt unterdrücken, ſo werden alle unſre Be-
mühungen um Freiheit nichtig. Noch mehr: das Ausland
wird nicht glauben, daß die Lehre, die wir ſelbſt in Wirk-
lichkeit gar nicht beobachten, jemals aufrichtig von uns ge-
weſen ſei. Sittlicher Hochmuth wird doppelt abſtoßend werden,
wenn man findet, daß er nationaler Heuchelei ſehr ähnlich
ſieht. Wir brauchen zwar, wird man ſagen, ausländiſche
Meinung nicht zu berückſichtigen; was wir aber wohl be-
rückſichtigen müſſen, das iſt das Uebel, das nicht draußen,
ſondern bei uns zuhauſe durch die Duldung der Geſetzloſig-
keit erſteht.“
Wie in unzähligen anderen Fällen, die der jetzige Krieg
nicht erſt geſchaffen, ſondern in das hellſte Licht einer großen
Oeffentlichkeit gebracht hat, thäte man alſo auch in dieſem in Eng-
land am beſten, zunächſt das eigene Haus zu beſorgen. Die
Angelegenheit hat für uns aber noch eine ernſtere Seite. Wie
lange noch werden bei uns auch kleinere und kleinſte Bundes-
ſtaaten auf der koſtenreichen Einrichtung beſtehen, fremde
Geſandte zu haben? Man ſollte denken, daß Vaterlands-
liebe und die Freude am Frieden im eigenen Hauſe wichtiger
ſein müßten als das Bedürfniß, bei den Hoffeſten in allen
Reſidenzen glänzend uniformirte Vertreter des Auslands zu
begrüßen, die „verſtehen würden, ſolchen Vorkommniſſen“, wie
die aufgebauſchten Dresdener Schreckniſſe es ſind, „einen
Riegel vorzuſchieben“. Die wirkliche Vertretung unſrer aus-
wärtigen Beziehungen liegt nun einmal in einheitlicher Hand
beim Reich und es iſt die Schlußfolge nicht zu umgehen, daß
die fremden Geſandtſchaften an den kleinen Höfen entweder
keine Bedeutung mehr haben, und dann ſind ſie überflüſſig,
oder ſie haben eine Bedeutung, und dann werden ſie niemals
zum Frieden beitragen, wohl aber können ſie gefährlich
werden, namentlich als Informationszentren, an denen auf
Umwegen werthvolle Nachrichten erforſcht und zuſammen-
getragen und fremden Regierungen übermittelt werden. Nie-
mand hat dieſe Seite der Sache beſſer auszunützen verſtanden
als England und wer mit den in Rede ſtehenden Verhältniſſen
vertrauter iſt, wird unbedingt zugeben müſſen, daß es für die
kleinen deutſchen Höfe Zeit wäre, das Opfer zu bringen und
auf die fremden Geſandtſchaften zu verzichten! Jedenfalls
wird dann eine Verſtändigung mit England leichter zu erzielen
ſein, als wenn wir mit dem geiſtreichen engliſchen Kaplan
darauf warten ſollen, „bis alle die Gedanken eines Handels-
übergewichts, die dem deutſchen Volke theuer geworden ſind,
ſich als leere Träume erweiſen“.
So der nichts weniger als rückſichtslos zentraliſtiſch
geſinnte Verfaſſer der Zuſchrift, der allerdings vielfach
Gelegenheit gehabt hat, ſich über den Mißſtand, den er
hier berührt, auf Grund eigener Wahrnehmungen zu
unterrichten. Der Einfluß, den die verwandtſchaftlichen
Beziehungen zwiſchen den regierenden Hänſern auf den
Gang der hohen Politik üben, iſt ja vielſach überſchätzt
worden, es iſt jedoch nicht in Abrede zu ſtellen, daß die
überaus engen Familienbande, welche gewiſſe Dynaſtien
des Auslandes mit einer ganzen Anzahl deutſcher Höfe
verknüpfen, es den fremden Regierungen weſentlich er-
leichtern, ſich über das, was in den leitenden Kreiſen
Deutſchlands geplant wird, auf dem Laufenden zu er-
halten. Geſchickte diplomatiſche Agenten vermögen ſich
da ſehr bedeutende Verdienſte zu erwerben, aber freilich
nicht um das Deutſche Reich. Es dürften dabei diejenigen,
von deren Wiſſen das Ausland Nutzen zu ziehen ſucht,
ſich oft genug kaum Rechenſchaft darüber ablegen, daß
dieſe oder jene vertrauliche Aeußerung unter Umſtänden
zu undeutſchen oder gar deutſchfeindlichen Zwecken ver-
werthet werden kann. Und je kleiner der betreffende Hof
iſt, je weniger er an den hochpolitiſchen Aktionen un-
mittelbar und aktiv theilnimmt, und je weniger er mithin
auch Anlaß hat, etwaigen Ausforſchungsverſuchen gegen-
über dauernd auf dem qui vive zu ſein, um ſo leichteres
Spiel werden diejenigen haben, die darauf ausgehen, die
vom rein menſchlichen Standpunkt ja ſehr begreiflich er-
ſcheinenden arglos-intimen Beziehungen ſeiner Mitglieder
zu den hohen Verwandten im Auslande und deren Ver-
trauensmännern und Vertretern zur Gewinnung wichtiger
politiſcher Informationen zu verwerthen oder zu miß-
brauchen. Einzelne Andeutungen unſres großen erſten
Kanzlers laſſen darauf ſchließen, daß er von ſolchen Vor-
kommniſſen mehr als einmal Kenntniß erlangt hat.
vor den erſten Häuſern des Dorfes angelangt war, fand es
Kaſtl angezeigt, ſich zu entfernen. Er zeigte dem Poſt-
fräulein den Weg zum Poſtamt, das in einem Bauernhauſe
untergebracht und durch den Doppeladler gekennzeichnet
iſt, und drückte ſich dann in eine kleine Seitengaſſe, um
durch dieſe dem Heimathhauſe zuzuſtapfen. Manch neugie-
riger Blick folgt dem jungen, ſtattlichen Mann. Dann end-
lich erreicht er das Oberhummer Gütl, und beim Anblick
desſelben wird es dem Heimkehrenden weich ums Herz. Da-
heim! Still friedlich liegt das Gehöft, deſſen kleine Fenſter-
ſcheiben im Sonnenſchein glitzern. Von der Altane hängen
die Nelken in glühender Farbenpracht hernieder, ſeine
Lieblingsblumen, und Geranien, Fuchſien und Hortenſien
vor den Fenſtern geben dem Anweſen einen anheimelnden,
wohligen lebenswarmen Charakter. Ob dieſes trauten
Anblicks kann Kaſtl es leicht verſchmerzen, daß kein Will-
kommkranz über der Eingangsthür prangt; alltäglich nüch-
tern ſteht das Haus wie immer. Aus der Tenne ertönt
das aufdringliche Gegacker einer Henne, die es nicht laut
genug verkünden kann, ein Ei gelegt zu haben. Auf dem
Feld draußen ſind die Geſchwiſter beſchäftigt, Korn zu
ſchneiden und in Garben zu binden. Kaſtl blickt hinüber
und ſchmunzelt; die Geſchwiſter ſind ja doch geſcheiter als
er, ſie ſind nicht zu dumm für die Bauernarbeit. Ein
Jubelruf ertönt, lieb Mütterlein kommt aus dem Hauſe
dem Heimgekehrten liebreich entgegen.
„Mutter, liebe gute Mutter!“ Eine innige Umarmung
folgt der herzlichen Begrüßung, und dann beſieht ſich die
weißhaarige Bäuerin den ſchmucken Sohn mit ſtolz verklär-
tem Blick. „Wie groß du geworden biſcht, Kaſtl. Und
ſo barſchtet (bebartet)! Frei (faſt) nimmer zu kennen!
Und biſcht jetzt wirklich ganz fertig mit der Studi?“
„Fürs erſte ſchon! Aber ſtudiren heißt es im ärztlichen
Beruf immer, das ganze Leben hindurch. Ein Arzt ſtudirt
niemals aus, es gibt immer wieder neues zu lernen.“
Ungläubig und erſchrocken ſtottert die alte Bäuerin:
„Wär’ nicht übel! Für ſo viel Geld, Mühe und Plag’ haſt
noch nicht genug ſtudirt?! Na, das wenn der Vater hört!
Sag nur ja nichts davon, es wäre weit gefehlt. Du weißt
ja, wie er iſt. Er hält ſo viel wie gar nichts auf die Dok-
terei. Aber nun komm ins Haus! Eine Schüſſel Milch,
Butter und Brot hab’ ich ſchon bereitgeſtellt. Wirſt wohl
Hunger haben vom Marſch, und Durſt!“
Glückſelig geleitet die Mutter ihren Aelteſten ins
Haus.
Wohlig wird es Kaſtl in den alten, ſo lang entbehrten,
rauchgeſchwärzten Räumen, und mit Behagen löffelt er die
herrlich ſchmeckende Milch aus. Die Mutter guckt ihm dabei
zu, ſich freuend, daß ihr Liebling ſo tapfer einhaut, und
ihm geſchwätzig erzählend, daß ſeine Stube bereitge-
ſtellt ſei und auch der große Koffer bereits oben ſtehe, auf
deſſen Inhalt ſich die Geſchwiſter ſchon ſo ſehr freuen.
Kaſtl lacht hellauf: „Die Freude wird wohl bald zu
Eſſig werden!“
„Wieſo? Die Kinder hoffen, daß für ſie was drinnen
ſein wird!“
Ach du lieber Himmel! Von der Univerſität bringt
einer nichts mit als das Erlernte, und ging’s gut, den
Doktorhut!“
Die Bäuerin ſtaunt: „Einen ſo großen Hut haſt im
Koffer?!“
Kaſtl beeilt ſich, der Mutter das Nöthige zum Ver-
ſtändniß zu erklären, doch das ſchlichte Gebirglerweib ver-
mag derlei nicht zu faſſen, und immer wieder betheuert
die Bäuerin, daß das merkwürdige Sachen ſeien.
„Und „auf geiſtlich“ haſt wirklich nicht ſtudirt?“
„Nein ich bin Mediziner worden! Ich bin jetzt Arzt und
will verſuchen, die Praxis in der Heimath auszuüben!“
„So, ſo! Wenn’s nur geht!“
„Es muß gehen! Den guten Willen hab’ ich, und was
Tüchtiges hab’ ich gelernt.“
„Ja, ſchon recht! Ich wünſche dir ja das Beſte, Kaſtl!
Aber es wird hart gehen, mein’ ich. Weißt, der alte Dokter,
der wird keinen von ſeiner Kundſchaft ablaſſen, und krank
ſind die Leut’ heroben ſchier nie, und wenn’s was brauchen,
hilft gewöhnlich der Bader aus.“
„Dem werd’ ich das Waſſer bald abgegraben haben.
O, ich freue mich ordentlich auf ein paar ordentliche Bein-
brüche zum Einrichten. Und ſo jung die Serumangelegen-
heit noch iſt, meine letzten Gulden hab’ ich drangewendet
und das Mittel gekauft, um es beim erſten Fall gleich zu
erproben. Wirſt es erleben, Mutter! Schier Wunder werd’
ich wirken damit!“
Mütterchen ſtannt, und faſſungslos guckt ſie auf den
ſtudirten Sohn. Das Gepolter ſchwerer Schritte ſcheucht
die Alte auf, haſtig flüſtert ſie: „Der Vater kommt! Halt
dich gut! Du weißt, er iſcht ſo eigen!“ und eilt dem Bauer
entgegen.
Hoch und ſehnig gewachſen, knöcherig und doch elaſtiſch
iſt die Geſtalt des alten Oberhummer, dem man das Alter
nicht anmerken würde, wenn ſein buſchiger weißer Schnurr-
bart nicht kündete, daß der Bauer die Schwelle des Greiſen-
alters überſchritten habe. Friſch und wetterbraun das Ge-
ſicht, ſchwielig von harter Arbeit die großen Hände, braun
die nackten Kniee, verwetzt und abgeſchabt die kurze, lederne
Hoſe, braun die offene Bruſt wie die Arme, ſoweit ſie nicht
das grobe Hemd bedeckt. Ein in der Farbe nicht mehr zu
beſtimmender zerzauſter Hut mit einer Gockelfeder ſitzt auf
dem grauen Kopfhaar. So ſieht der Alte ſo friſch und
kraftvoll aus, daß er es mit drei Jungen noch aufnehmen
könnte. Die viel kleinere Bäuerin ruft dem Gatten ent-
gegen: „Alter, der Kaſtl iſt glücklich angekommen!“
„Weiß ’s ſchon!“ brummt der alte Oberhummer und
bückt ſich unter der Thür, um nicht mit dem Kopf am
Balken anzuſtoßen.
Kaſtl tritt dem Vater entgegen und bietet Gruß und
Hand.
Ein raſcher Blick aus den hellen Augen ſtreift den
jungen Mann, dann reicht der Bauer dem Sohn die Hand,
kühl, ohne beſondere Bewegung: „Grüß Gott, daheim!
Haſt endlich ausſtudirt? Na, hat lang genug gedauert!
Schad’ um die Zeit und das viele Geld! Was willſt nun
anfangen?“
Kaſtl hat eine ſcharfe Antwort auf der Zunge; die weg-
werfende Bemerkung über Zeit- und Geldverluſt verletzt
ihn um ſo mehr, als er doch kümmerlich genug ſich durch
Stundengeben durchgebracht und keine nennenswerthe
Unterſtützung vom Vater erhalten hat und ſogar die Pro-
motionskoſten von einem Wohlthäter gezahlt worden
ſind. Die Mutter beeilt ſich, beſchwichtigend einzuwerfen:
„Der Kaſtl iſcht ja jetzt Dokter und will bei uns bleiben!“
„Als was?“ fragt ſcharf der Alte und greift nach dem
Brotlaib.
Kaſtl erklärt mit leicht bebender Stimme: „Ich will
die Praxis in der Heimath aufnehmen. Die Anmeldung
beim Bezirksarzt in der Kreisſtadt iſcht erfolgt, alles in
Ordnung. Nun handelt es ſich nur noch um die Pa-
tienten!“
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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