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Allgemeine Zeitung, Nr. 85, 28. März 1900.

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München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 28. März 1900. Nr. 85.
[Spaltenumbruch]

das Prädikat Gut aufzuweisen, wenn sie aber an der Uni-
versität zugelassen werden wollen, hätten sie von Pontius zu
Pilatus zu laufen und müßten bei jedem Professor die Zu-
lassung zu seinen Kollegien erbitten. In Rußland sei eine
Akademie für die studirenden Frauen errichtet und mit der
größten Freigebigkeit ausgestattet.

Staatssekretär des Reichsamts des Innern Graf Posa-
dowsky:

Der Bundesrath hat sich inzwischen damit ein-
verstanden erklärt, daß Frauen, die die Absolvirung des ärzt-
lichen Studiums und der Examina nachweisen, auch approbirt
werden können. Zuerst verlangten die Damen bloß die Zu-
lassung, jetzt wollen sie immatrikulirt werden. Ob der
preußische Kultusminister der Sache geneigt ist, ob er eine Uni-
versität vorzugsweise als Frauenuniversität bezeichnen wird,
weiß ich nicht; ich fürchte, die Studenten werden auf diese
Universität nicht ziehen. Einstweilen besteht bei den Professoren
noch starke Abneigung, die Damen zu ihren Vorlesungen zu-
zulassen. In diesem Punkte wird nur die Zeit heilen können;
erst die Thatsache, daß sich Damen als hervorragende
Aerztinnen bewähren, wird dieses Vorurtheil besiegen.

Abg. Dr. Arendt (Reichsp.) sucht nachzuweisen, daß
Abg. Thiele früher einen Obersteiger Roth falsch beschuldigt
habe.

Abg. Rosenow (Soz.) fragt an, was aus der Re-
solution des Reichstags wegen Untersuchung der bestehenden
Wohnungsverhältnisse geworden sei.

Graf Posadowsky:

Die Lösung der Wohnungsfrage
ist eine der tiefgehendsten sozialen Fragen, die es überhaupt
gibt. In der kurzen Zeit, seit der Antrag im Hause an-
genommen ist, war es bei der so stark besetzten Session den
Regierungen nicht möglich, schon etwas zu thun. Die Einzel-
regierungen sind um Material ersucht worden; erst wenn
dieses eingegangen ist, wird zu untersuchen sein, wie weit
man auf die Resolution eingehen kann. Die verbündeten
Regierungen werden natürlich gut thun, dieser Frage unaus-
gesetzt ihre Aufmerksamkeit zu widmen.

Abg. Singer (Soz.):

Mein Fraktionsgenosse Thiele ist
nicht anwesend. Ich protestire für heute nur gegen die be-
kannte Art, in der ja häusig versucht wird, aus einer an-
geblich irrigen Mittheilung eines Abgeordneten Rückschlüsse
auf die sozialdemokratische Partei zu ziehen.

Abg. Arendt:

Ich durfte doch wohl annehmen, daß
Hr. Thiele bei der dritten Lesung des Etats anwesend sein
würde. Er durfte bei einer so wichtigen Verhandlung nicht fehlen.

Abg. Dr. Paasche (nat.-lib.):

Der Abg. Bebel hat bei
der Berathung der Flottenvorlage der Firma Ludwig Loewe,
die Millionen an der Flotte verdiene, vorgeworfen, daß sie
ihre alten Beamten auf die Straße werfe, und einen Fall
angeführt, wo ein Mann, der 27 Jahre lang in dem Bureau
der Firma war, plötzlich entlassen wurde und sich darauf im
Grunewald erschoß, so daß die Frau und die Kinder der
Armenpflege anheimfallen mußten. Der Mann hat 4800 M.
Gehalt bezogen, hat aber seine Pflicht in den letzten Jahren
nicht voll gethan, sollte aber trotzdem nicht fallen gelassen,
sondern in einem anderen Ressort beschäftigt werden. Nach
seiner Selbstentleibung hat die Firma anstandslos über 1100
Mark für Beerdigungskosten, darunter 237 M. zu Trauer-
kleidern für die Wittwe, gezahlt und derselben eine jährliche
Pension von 1200 M. in Aussicht gestellt. (Hört! hört! rechts.)

Abg. Bebel (Soz.):

Meine damaligen Mittheilungen
sind wochenlang vorher durch zahlreiche Zeitungen gegangen,
ohne daß die Firma sich dagegen gewehrt hat. Ich höre
jetzt, daß die Pension erst in Aussicht gestellt worden ist,
nachdem ich diese Sache hier zur Sprache gebracht hatte.
Der Tuckerbrief wird mir gewohnheitsmäßig vom Abg. Arendt
vorgeworfen; daß man getäuscht werden kann, passirt Jedem,
passirt auch Staatsanwälten und Richtern.

Abg. Paasche:

Das Schreiben der Firma an mich ist
vom 13. Februar datirt; am 10. hatten wir die betreffende
Debatte und in diesem Brief ist die Pension bereits erwähnt!
Der Fall beweist wieder einmal, wie leichtfertig Bebel mit
solchen Anschuldigungen vorgeht. (Große Unruhe links, Zu-
stimmung rechts.)

Abg. Bebel:

An demselben Tage, wo wir hier über
den Fall bei Ludwig Loewe sprachen, ist Isidor Loewe Bericht
erstattet worden und er ist darüber in die höchste Aufregung
gerathen. Es lag also in seinem Interesse, feststellen zu lassen,
daß meine Angaben unrichtig waren.

[Spaltenumbruch]

Abg. Dr. Hahn (Bd. d. Landw.) bespricht den Antrag
Inn- und Knyphausen. Deutschland könne derartige Bestim-
mungen nur treffen in Verbindung mit den für die Nordsee-
fischerei in Betracht kommenden Staaten. Redner fragt, wie
es mit der Ausbeutung der Bäreninseln stehe.

Graf Posadowsky:

Internationale Bedenken gegen
die Bildung von Genossenschaften zur Ausbeutung der Kohlen
und des Fischreichthums dort liegen nicht vor. Was die
andere Anregung betrifft, so hat im letzten Jahre in Stock-
holm eine Konferenz stattgefunden unter Theilnahme der
deutschen Regierung in Bezug auf die Erforschung der nörd-
lichen Meere. Eine Kommission soll außer wissenschaftlichen
Untersuchungen auch die Lebensbedingungen der Fische in der
Nordsee, ihre Wohnverhältnisse und die Frage der Schon-
reviere untersuchen.

Fürst zu Inn- und Knyphausen zieht seinen Antrag zurück.

Abg. Rembold legt zur Begründung seines Antrags
dar, daß die Maul- und Klauenseuche, ebenso aber auch die
zur Verhütung ihrer Weiterverbreitung angeordneten Sperr-
maßregeln den davon betroffenen Landesstellen und Land-
wirthen überaus schwere wirthschaftliche Schädigungen zu-
fügen.

Graf Posadowsky:

Im Reichsamt des Innern hat
eine Konferenz über diese Frage stattgesunden und der
Deutsche Landwirthschaftsrath hat eine Kommission nieder-
gesetzt, die die Frage nochmals prüfen soll. Das Resultat
dieser Prüfung wird dem Reichsgesundheitsamt unterbreitet
werden. Die Marktsperre legt ja dem Viehverkehr große
Opfer auf, aber man muß auch anerkennen, daß die Vieh-
märkte große Gefahren mit sich bringen. Wir werden alles
thun, was ohne Schädigung berechtigter Interessen möglich ist.

Nach 61/4 Uhr wird die Berathung auf Mittwoch 1 Uhr
vertagt.



Deutsches Reich.
Die Diplomatie des Auslands und die kleinen deutschen Höfe.

Von einem mit den Ver-
hältnissen an den kleinen mitteldeutschen Höfen wohl ver-
trauten, warm national empfindenden Freunde unsres
Blattes erhalten wir die nachstehende Zuschrift:

Die "Times" vom 22. März bringen unter der Ueber-
schrift "Deutsche Gereiztheit" einen Brief, der unter-
zeichnet ist R. Brooks Egan, "Britischer Kaplan, Gotha-
Coburg". (Was ist "Gotha-Coburg"?) Dieser Herr, der
vermuthlich mit der Seelsorge des regierenden Herzogs be-
traut ist, fühlt sich veranlaßt, zu den "Beleidigungen,
denen britische Unterthanen in Dresden ausgesetzt
seien", zu bemerken, man solle sich mit Vorstellungen an den
britischen Gesandten Sir Condie Stephen wenden,
dessen Bereich sich bis Gotha erstrecke; der würde "verstehen,
solchen Vorkommnissen einen Riegel vorzuschieben". Wenn
die Vorstellungen in Dresden wirkungslos gewesen seien, so
habe man sich vermuthlich an die falsche Stelle gewendet. An
und für sich sind nun die Vorkommnisse in Dresden -- für
so unentschuldbar wir sie auch halten -- ganz unbedeutend
im Vergleich zu dem, was in England von Engländern
gegen ihre eigenen friedensfreundlichen Landsleute verübt
wird, und es ist denn auch erheiternd, aus derselben Nummer
der "Times" eine hübsche Beurtheilung des Kaplausbriefes
zusammenzustellen. Ueber die Dresdener Beleidigungen schreibt
nämlich eine englische Dame an das Cityblatt: "In den
Spalten der "Times" hat ein thörichter Brief gestanden, der
besagt, daß die Engländer hier (in Dresden) unter der
Schreckensherrschaft lebten. Einige Ungezogenheiten, die unter
aller Verachtung stehen, sind allerdings an der englischen
Kirche verübt worden und zu gleicher Zeit hat irgend Jemand
nachts die Laternen auf einer der Brücken ausgedreht. Da-
raus schließt man, daß irgend ein Strolch oder Lump, der
sich gern amüsirt, ausgebrochen ist; aber welch eine Idee,
aus einer derartigen Lumperei eine internationale Beschwerde
zu machen!" Gleichzeitig bemerkt A. V. Dicey, ein hoch-
angesehener Oxforder Gelehrter, zu den rohen Versuchen, das
freie Wort in England mit Gewalt niederzuhalten und sie an
höchster Regierungsstelle so zu entschuldigen, daß die Ent-
schuldigung fast einer Ermunterung zu weiteren Gewaltthätig-
keiten gleichkommt: "Wenn wir von unfrer eigenen Lehre ab-
fallen, wenn wir gesetzmäßige Meinungsverschiedenheit mit
[Spaltenumbruch] ungesetzlicher Gewalt unterdrücken, so werden alle unsre Be-
mühungen um Freiheit nichtig. Noch mehr: das Ausland
wird nicht glauben, daß die Lehre, die wir selbst in Wirk-
lichkeit gar nicht beobachten, jemals aufrichtig von uns ge-
wesen sei. Sittlicher Hochmuth wird doppelt abstoßend werden,
wenn man findet, daß er nationaler Heuchelei sehr ähnlich
sieht. Wir brauchen zwar, wird man sagen, ausländische
Meinung nicht zu berücksichtigen; was wir aber wohl be-
rücksichtigen müssen, das ist das Uebel, das nicht draußen,
sondern bei uns zuhause durch die Duldung der Gesetzlosig-
keit ersteht."

Wie in unzähligen anderen Fällen, die der jetzige Krieg
nicht erst geschaffen, sondern in das hellste Licht einer großen
Oeffentlichkeit gebracht hat, thäte man also auch in diesem in Eng-
land am besten, zunächst das eigene Haus zu besorgen. Die
Angelegenheit hat für uns aber noch eine ernstere Seite. Wie
lange noch werden bei uns auch kleinere und kleinste Bundes-
staaten auf der kostenreichen Einrichtung bestehen, fremde
Gesandte zu haben?
Man sollte denken, daß Vaterlands-
liebe und die Freude am Frieden im eigenen Hause wichtiger
sein müßten als das Bedürfniß, bei den Hoffesten in allen
Residenzen glänzend uniformirte Vertreter des Auslands zu
begrüßen, die "verstehen würden, solchen Vorkommnissen", wie
die aufgebauschten Dresdener Schrecknisse es sind, "einen
Riegel vorzuschieben". Die wirkliche Vertretung unsrer aus-
wärtigen Beziehungen liegt nun einmal in einheitlicher Hand
beim Reich und es ist die Schlußfolge nicht zu umgehen, daß
die fremden Gesandtschaften an den kleinen Höfen entweder
keine Bedeutung mehr haben, und dann sind sie überflüssig,
oder sie haben eine Bedeutung, und dann werden sie niemals
zum Frieden beitragen, wohl aber können sie gefährlich
werden, namentlich als Informationszentren, an denen auf
Umwegen werthvolle Nachrichten erforscht und zusammen-
getragen und fremden Regierungen übermittelt werden. Nie-
mand hat diese Seite der Sache besser auszunützen verstanden
als England und wer mit den in Rede stehenden Verhältnissen
vertrauter ist, wird unbedingt zugeben müssen, daß es für die
kleinen deutschen Höfe Zeit wäre, das Opfer zu bringen und
auf die fremden Gesandtschaften zu verzichten! Jedenfalls
wird dann eine Verständigung mit England leichter zu erzielen
sein, als wenn wir mit dem geistreichen englischen Kaplan
darauf warten sollen, "bis alle die Gedanken eines Handels-
übergewichts, die dem deutschen Volke theuer geworden sind,
sich als leere Träume erweisen".

So der nichts weniger als rücksichtslos zentralistisch
gesinnte Verfasser der Zuschrift, der allerdings vielfach
Gelegenheit gehabt hat, sich über den Mißstand, den er
hier berührt, auf Grund eigener Wahrnehmungen zu
unterrichten. Der Einfluß, den die verwandtschaftlichen
Beziehungen zwischen den regierenden Hänsern auf den
Gang der hohen Politik üben, ist ja vielsach überschätzt
worden, es ist jedoch nicht in Abrede zu stellen, daß die
überaus engen Familienbande, welche gewisse Dynastien
des Auslandes mit einer ganzen Anzahl deutscher Höfe
verknüpfen, es den fremden Regierungen wesentlich er-
leichtern, sich über das, was in den leitenden Kreisen
Deutschlands geplant wird, auf dem Laufenden zu er-
halten. Geschickte diplomatische Agenten vermögen sich
da sehr bedeutende Verdienste zu erwerben, aber freilich
nicht um das Deutsche Reich. Es dürften dabei diejenigen,
von deren Wissen das Ausland Nutzen zu ziehen sucht,
sich oft genug kaum Rechenschaft darüber ablegen, daß
diese oder jene vertrauliche Aeußerung unter Umständen
zu undeutschen oder gar deutschfeindlichen Zwecken ver-
werthet werden kann. Und je kleiner der betreffende Hof
ist, je weniger er an den hochpolitischen Aktionen un-
mittelbar und aktiv theilnimmt, und je weniger er mithin
auch Anlaß hat, etwaigen Ausforschungsversuchen gegen-
über dauernd auf dem qui vive zu sein, um so leichteres
Spiel werden diejenigen haben, die darauf ausgehen, die
vom rein menschlichen Standpunkt ja sehr begreiflich er-
scheinenden arglos-intimen Beziehungen seiner Mitglieder
zu den hohen Verwandten im Auslande und deren Ver-
trauensmännern und Vertretern zur Gewinnung wichtiger
politischer Informationen zu verwerthen oder zu miß-
brauchen. Einzelne Andeutungen unsres großen ersten
Kanzlers lassen darauf schließen, daß er von solchen Vor-
kommnissen mehr als einmal Kenntniß erlangt hat.

[Spaltenumbruch]

vor den ersten Häusern des Dorfes angelangt war, fand es
Kastl angezeigt, sich zu entfernen. Er zeigte dem Post-
fräulein den Weg zum Postamt, das in einem Bauernhause
untergebracht und durch den Doppeladler gekennzeichnet
ist, und drückte sich dann in eine kleine Seitengasse, um
durch diese dem Heimathhause zuzustapfen. Manch neugie-
riger Blick folgt dem jungen, stattlichen Mann. Dann end-
lich erreicht er das Oberhummer Gütl, und beim Anblick
desselben wird es dem Heimkehrenden weich ums Herz. Da-
heim! Still friedlich liegt das Gehöft, dessen kleine Fenster-
scheiben im Sonnenschein glitzern. Von der Altane hängen
die Nelken in glühender Farbenpracht hernieder, seine
Lieblingsblumen, und Geranien, Fuchsien und Hortensien
vor den Fenstern geben dem Anwesen einen anheimelnden,
wohligen lebenswarmen Charakter. Ob dieses trauten
Anblicks kann Kastl es leicht verschmerzen, daß kein Will-
kommkranz über der Eingangsthür prangt; alltäglich nüch-
tern steht das Haus wie immer. Aus der Tenne ertönt
das aufdringliche Gegacker einer Henne, die es nicht laut
genug verkünden kann, ein Ei gelegt zu haben. Auf dem
Feld draußen sind die Geschwister beschäftigt, Korn zu
schneiden und in Garben zu binden. Kastl blickt hinüber
und schmunzelt; die Geschwister sind ja doch gescheiter als
er, sie sind nicht zu dumm für die Bauernarbeit. Ein
Jubelruf ertönt, lieb Mütterlein kommt aus dem Hause
dem Heimgekehrten liebreich entgegen.

"Mutter, liebe gute Mutter!" Eine innige Umarmung
folgt der herzlichen Begrüßung, und dann besieht sich die
weißhaarige Bäuerin den schmucken Sohn mit stolz verklär-
tem Blick. "Wie groß du geworden bischt, Kastl. Und
so barschtet (bebartet)! Frei (fast) nimmer zu kennen!
Und bischt jetzt wirklich ganz fertig mit der Studi?"

"Fürs erste schon! Aber studiren heißt es im ärztlichen
Beruf immer, das ganze Leben hindurch. Ein Arzt studirt
niemals aus, es gibt immer wieder neues zu lernen."

Ungläubig und erschrocken stottert die alte Bäuerin:
"Wär' nicht übel! Für so viel Geld, Mühe und Plag' hast
noch nicht genug studirt?! Na, das wenn der Vater hört!
Sag nur ja nichts davon, es wäre weit gefehlt. Du weißt
ja, wie er ist. Er hält so viel wie gar nichts auf die Dok-
terei. Aber nun komm ins Haus! Eine Schüssel Milch,
Butter und Brot hab' ich schon bereitgestellt. Wirst wohl
Hunger haben vom Marsch, und Durst!"

[Spaltenumbruch]

Glückselig geleitet die Mutter ihren Aeltesten ins
Haus.

Wohlig wird es Kastl in den alten, so lang entbehrten,
rauchgeschwärzten Räumen, und mit Behagen löffelt er die
herrlich schmeckende Milch aus. Die Mutter guckt ihm dabei
zu, sich freuend, daß ihr Liebling so tapfer einhaut, und
ihm geschwätzig erzählend, daß seine Stube bereitge-
stellt sei und auch der große Koffer bereits oben stehe, auf
dessen Inhalt sich die Geschwister schon so sehr freuen.

Kastl lacht hellauf: "Die Freude wird wohl bald zu
Essig werden!"

"Wieso? Die Kinder hoffen, daß für sie was drinnen
sein wird!"

Ach du lieber Himmel! Von der Universität bringt
einer nichts mit als das Erlernte, und ging's gut, den
Doktorhut!"

Die Bäuerin staunt: "Einen so großen Hut hast im
Koffer?!"

Kastl beeilt sich, der Mutter das Nöthige zum Ver-
ständniß zu erklären, doch das schlichte Gebirglerweib ver-
mag derlei nicht zu fassen, und immer wieder betheuert
die Bäuerin, daß das merkwürdige Sachen seien.

"Und "auf geistlich" hast wirklich nicht studirt?"

"Nein ich bin Mediziner worden! Ich bin jetzt Arzt und
will versuchen, die Praxis in der Heimath auszuüben!"

"So, so! Wenn's nur geht!"

"Es muß gehen! Den guten Willen hab' ich, und was
Tüchtiges hab' ich gelernt."

"Ja, schon recht! Ich wünsche dir ja das Beste, Kastl!
Aber es wird hart gehen, mein' ich. Weißt, der alte Dokter,
der wird keinen von seiner Kundschaft ablassen, und krank
sind die Leut' heroben schier nie, und wenn's was brauchen,
hilft gewöhnlich der Bader aus."

"Dem werd' ich das Wasser bald abgegraben haben.
O, ich freue mich ordentlich auf ein paar ordentliche Bein-
brüche zum Einrichten. Und so jung die Serumangelegen-
heit noch ist, meine letzten Gulden hab' ich drangewendet
und das Mittel gekauft, um es beim ersten Fall gleich zu
erproben. Wirst es erleben, Mutter! Schier Wunder werd'
ich wirken damit!"

Mütterchen stannt, und fassungslos guckt sie auf den
studirten Sohn. Das Gepolter schwerer Schritte scheucht
die Alte auf, hastig flüstert sie: "Der Vater kommt! Halt
[Spaltenumbruch] dich gut! Du weißt, er ischt so eigen!" und eilt dem Bauer
entgegen.

Hoch und sehnig gewachsen, knöcherig und doch elastisch
ist die Gestalt des alten Oberhummer, dem man das Alter
nicht anmerken würde, wenn sein buschiger weißer Schnurr-
bart nicht kündete, daß der Bauer die Schwelle des Greisen-
alters überschritten habe. Frisch und wetterbraun das Ge-
sicht, schwielig von harter Arbeit die großen Hände, braun
die nackten Kniee, verwetzt und abgeschabt die kurze, lederne
Hose, braun die offene Brust wie die Arme, soweit sie nicht
das grobe Hemd bedeckt. Ein in der Farbe nicht mehr zu
bestimmender zerzauster Hut mit einer Gockelfeder sitzt auf
dem grauen Kopfhaar. So sieht der Alte so frisch und
kraftvoll aus, daß er es mit drei Jungen noch aufnehmen
könnte. Die viel kleinere Bäuerin ruft dem Gatten ent-
gegen: "Alter, der Kastl ist glücklich angekommen!"

"Weiß 's schon!" brummt der alte Oberhummer und
bückt sich unter der Thür, um nicht mit dem Kopf am
Balken anzustoßen.

Kastl tritt dem Vater entgegen und bietet Gruß und
Hand.

Ein rascher Blick aus den hellen Augen streift den
jungen Mann, dann reicht der Bauer dem Sohn die Hand,
kühl, ohne besondere Bewegung: "Grüß Gott, daheim!
Hast endlich ausstudirt? Na, hat lang genug gedauert!
Schad' um die Zeit und das viele Geld! Was willst nun
anfangen?"

Kastl hat eine scharfe Antwort auf der Zunge; die weg-
werfende Bemerkung über Zeit- und Geldverlust verletzt
ihn um so mehr, als er doch kümmerlich genug sich durch
Stundengeben durchgebracht und keine nennenswerthe
Unterstützung vom Vater erhalten hat und sogar die Pro-
motionskosten von einem Wohlthäter gezahlt worden
sind. Die Mutter beeilt sich, beschwichtigend einzuwerfen:
"Der Kastl ischt ja jetzt Dokter und will bei uns bleiben!"

"Als was?" fragt scharf der Alte und greift nach dem
Brotlaib.

Kastl erklärt mit leicht bebender Stimme: "Ich will
die Praxis in der Heimath aufnehmen. Die Anmeldung
beim Bezirksarzt in der Kreisstadt ischt erfolgt, alles in
Ordnung. Nun handelt es sich nur noch um die Pa-
tienten!"

München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 28. März 1900. Nr. 85.
[Spaltenumbruch]

das Prädikat Gut aufzuweiſen, wenn ſie aber an der Uni-
verſität zugelaſſen werden wollen, hätten ſie von Pontius zu
Pilatus zu laufen und müßten bei jedem Profeſſor die Zu-
laſſung zu ſeinen Kollegien erbitten. In Rußland ſei eine
Akademie für die ſtudirenden Frauen errichtet und mit der
größten Freigebigkeit ausgeſtattet.

Staatsſekretär des Reichsamts des Innern Graf Poſa-
dowsky:

Der Bundesrath hat ſich inzwiſchen damit ein-
verſtanden erklärt, daß Frauen, die die Abſolvirung des ärzt-
lichen Studiums und der Examina nachweiſen, auch approbirt
werden können. Zuerſt verlangten die Damen bloß die Zu-
laſſung, jetzt wollen ſie immatrikulirt werden. Ob der
preußiſche Kultusminiſter der Sache geneigt iſt, ob er eine Uni-
verſität vorzugsweiſe als Frauenuniverſität bezeichnen wird,
weiß ich nicht; ich fürchte, die Studenten werden auf dieſe
Univerſität nicht ziehen. Einſtweilen beſteht bei den Profeſſoren
noch ſtarke Abneigung, die Damen zu ihren Vorleſungen zu-
zulaſſen. In dieſem Punkte wird nur die Zeit heilen können;
erſt die Thatſache, daß ſich Damen als hervorragende
Aerztinnen bewähren, wird dieſes Vorurtheil beſiegen.

Abg. Dr. Arendt (Reichsp.) ſucht nachzuweiſen, daß
Abg. Thiele früher einen Oberſteiger Roth falſch beſchuldigt
habe.

Abg. Roſenow (Soz.) fragt an, was aus der Re-
ſolution des Reichstags wegen Unterſuchung der beſtehenden
Wohnungsverhältniſſe geworden ſei.

Graf Poſadowsky:

Die Löſung der Wohnungsfrage
iſt eine der tiefgehendſten ſozialen Fragen, die es überhaupt
gibt. In der kurzen Zeit, ſeit der Antrag im Hauſe an-
genommen iſt, war es bei der ſo ſtark beſetzten Seſſion den
Regierungen nicht möglich, ſchon etwas zu thun. Die Einzel-
regierungen ſind um Material erſucht worden; erſt wenn
dieſes eingegangen iſt, wird zu unterſuchen ſein, wie weit
man auf die Reſolution eingehen kann. Die verbündeten
Regierungen werden natürlich gut thun, dieſer Frage unaus-
geſetzt ihre Aufmerkſamkeit zu widmen.

Abg. Singer (Soz.):

Mein Fraktionsgenoſſe Thiele iſt
nicht anweſend. Ich proteſtire für heute nur gegen die be-
kannte Art, in der ja häuſig verſucht wird, aus einer an-
geblich irrigen Mittheilung eines Abgeordneten Rückſchlüſſe
auf die ſozialdemokratiſche Partei zu ziehen.

Abg. Arendt:

Ich durfte doch wohl annehmen, daß
Hr. Thiele bei der dritten Leſung des Etats anweſend ſein
würde. Er durfte bei einer ſo wichtigen Verhandlung nicht fehlen.

Abg. Dr. Paaſche (nat.-lib.):

Der Abg. Bebel hat bei
der Berathung der Flottenvorlage der Firma Ludwig Loewe,
die Millionen an der Flotte verdiene, vorgeworfen, daß ſie
ihre alten Beamten auf die Straße werfe, und einen Fall
angeführt, wo ein Mann, der 27 Jahre lang in dem Bureau
der Firma war, plötzlich entlaſſen wurde und ſich darauf im
Grunewald erſchoß, ſo daß die Frau und die Kinder der
Armenpflege anheimfallen mußten. Der Mann hat 4800 M.
Gehalt bezogen, hat aber ſeine Pflicht in den letzten Jahren
nicht voll gethan, ſollte aber trotzdem nicht fallen gelaſſen,
ſondern in einem anderen Reſſort beſchäftigt werden. Nach
ſeiner Selbſtentleibung hat die Firma anſtandslos über 1100
Mark für Beerdigungskoſten, darunter 237 M. zu Trauer-
kleidern für die Wittwe, gezahlt und derſelben eine jährliche
Penſion von 1200 M. in Ausſicht geſtellt. (Hört! hört! rechts.)

Abg. Bebel (Soz.):

Meine damaligen Mittheilungen
ſind wochenlang vorher durch zahlreiche Zeitungen gegangen,
ohne daß die Firma ſich dagegen gewehrt hat. Ich höre
jetzt, daß die Penſion erſt in Ausſicht geſtellt worden iſt,
nachdem ich dieſe Sache hier zur Sprache gebracht hatte.
Der Tuckerbrief wird mir gewohnheitsmäßig vom Abg. Arendt
vorgeworfen; daß man getäuſcht werden kann, paſſirt Jedem,
paſſirt auch Staatsanwälten und Richtern.

Abg. Paaſche:

Das Schreiben der Firma an mich iſt
vom 13. Februar datirt; am 10. hatten wir die betreffende
Debatte und in dieſem Brief iſt die Penſion bereits erwähnt!
Der Fall beweist wieder einmal, wie leichtfertig Bebel mit
ſolchen Anſchuldigungen vorgeht. (Große Unruhe links, Zu-
ſtimmung rechts.)

Abg. Bebel:

An demſelben Tage, wo wir hier über
den Fall bei Ludwig Loewe ſprachen, iſt Iſidor Loewe Bericht
erſtattet worden und er iſt darüber in die höchſte Aufregung
gerathen. Es lag alſo in ſeinem Intereſſe, feſtſtellen zu laſſen,
daß meine Angaben unrichtig waren.

[Spaltenumbruch]

Abg. Dr. Hahn (Bd. d. Landw.) beſpricht den Antrag
Inn- und Knyphauſen. Deutſchland könne derartige Beſtim-
mungen nur treffen in Verbindung mit den für die Nordſee-
fiſcherei in Betracht kommenden Staaten. Redner fragt, wie
es mit der Ausbeutung der Bäreninſeln ſtehe.

Graf Poſadowsky:

Internationale Bedenken gegen
die Bildung von Genoſſenſchaften zur Ausbeutung der Kohlen
und des Fiſchreichthums dort liegen nicht vor. Was die
andere Anregung betrifft, ſo hat im letzten Jahre in Stock-
holm eine Konferenz ſtattgefunden unter Theilnahme der
deutſchen Regierung in Bezug auf die Erforſchung der nörd-
lichen Meere. Eine Kommiſſion ſoll außer wiſſenſchaftlichen
Unterſuchungen auch die Lebensbedingungen der Fiſche in der
Nordſee, ihre Wohnverhältniſſe und die Frage der Schon-
reviere unterſuchen.

Fürſt zu Inn- und Knyphauſen zieht ſeinen Antrag zurück.

Abg. Rembold legt zur Begründung ſeines Antrags
dar, daß die Maul- und Klauenſeuche, ebenſo aber auch die
zur Verhütung ihrer Weiterverbreitung angeordneten Sperr-
maßregeln den davon betroffenen Landesſtellen und Land-
wirthen überaus ſchwere wirthſchaftliche Schädigungen zu-
fügen.

Graf Poſadowsky:

Im Reichsamt des Innern hat
eine Konferenz über dieſe Frage ſtattgeſunden und der
Deutſche Landwirthſchaftsrath hat eine Kommiſſion nieder-
geſetzt, die die Frage nochmals prüfen ſoll. Das Reſultat
dieſer Prüfung wird dem Reichsgeſundheitsamt unterbreitet
werden. Die Marktſperre legt ja dem Viehverkehr große
Opfer auf, aber man muß auch anerkennen, daß die Vieh-
märkte große Gefahren mit ſich bringen. Wir werden alles
thun, was ohne Schädigung berechtigter Intereſſen möglich iſt.

Nach 6¼ Uhr wird die Berathung auf Mittwoch 1 Uhr
vertagt.



Deutſches Reich.
Die Diplomatie des Auslands und die kleinen deutſchen Höfe.

Von einem mit den Ver-
hältniſſen an den kleinen mitteldeutſchen Höfen wohl ver-
trauten, warm national empfindenden Freunde unſres
Blattes erhalten wir die nachſtehende Zuſchrift:

Die „Times“ vom 22. März bringen unter der Ueber-
ſchrift „Deutſche Gereiztheit“ einen Brief, der unter-
zeichnet iſt R. Brooks Egan, „Britiſcher Kaplan, Gotha-
Coburg“. (Was iſt „Gotha-Coburg“?) Dieſer Herr, der
vermuthlich mit der Seelſorge des regierenden Herzogs be-
traut iſt, fühlt ſich veranlaßt, zu den „Beleidigungen,
denen britiſche Unterthanen in Dresden ausgeſetzt
ſeien“, zu bemerken, man ſolle ſich mit Vorſtellungen an den
britiſchen Geſandten Sir Condie Stephen wenden,
deſſen Bereich ſich bis Gotha erſtrecke; der würde „verſtehen,
ſolchen Vorkommniſſen einen Riegel vorzuſchieben“. Wenn
die Vorſtellungen in Dresden wirkungslos geweſen ſeien, ſo
habe man ſich vermuthlich an die falſche Stelle gewendet. An
und für ſich ſind nun die Vorkommniſſe in Dresden — für
ſo unentſchuldbar wir ſie auch halten — ganz unbedeutend
im Vergleich zu dem, was in England von Engländern
gegen ihre eigenen friedensfreundlichen Landsleute verübt
wird, und es iſt denn auch erheiternd, aus derſelben Nummer
der „Times“ eine hübſche Beurtheilung des Kaplausbriefes
zuſammenzuſtellen. Ueber die Dresdener Beleidigungen ſchreibt
nämlich eine engliſche Dame an das Cityblatt: „In den
Spalten der „Times“ hat ein thörichter Brief geſtanden, der
beſagt, daß die Engländer hier (in Dresden) unter der
Schreckensherrſchaft lebten. Einige Ungezogenheiten, die unter
aller Verachtung ſtehen, ſind allerdings an der engliſchen
Kirche verübt worden und zu gleicher Zeit hat irgend Jemand
nachts die Laternen auf einer der Brücken ausgedreht. Da-
raus ſchließt man, daß irgend ein Strolch oder Lump, der
ſich gern amüſirt, ausgebrochen iſt; aber welch eine Idee,
aus einer derartigen Lumperei eine internationale Beſchwerde
zu machen!“ Gleichzeitig bemerkt A. V. Dicey, ein hoch-
angeſehener Oxforder Gelehrter, zu den rohen Verſuchen, das
freie Wort in England mit Gewalt niederzuhalten und ſie an
höchſter Regierungsſtelle ſo zu entſchuldigen, daß die Ent-
ſchuldigung faſt einer Ermunterung zu weiteren Gewaltthätig-
keiten gleichkommt: „Wenn wir von unfrer eigenen Lehre ab-
fallen, wenn wir geſetzmäßige Meinungsverſchiedenheit mit
[Spaltenumbruch] ungeſetzlicher Gewalt unterdrücken, ſo werden alle unſre Be-
mühungen um Freiheit nichtig. Noch mehr: das Ausland
wird nicht glauben, daß die Lehre, die wir ſelbſt in Wirk-
lichkeit gar nicht beobachten, jemals aufrichtig von uns ge-
weſen ſei. Sittlicher Hochmuth wird doppelt abſtoßend werden,
wenn man findet, daß er nationaler Heuchelei ſehr ähnlich
ſieht. Wir brauchen zwar, wird man ſagen, ausländiſche
Meinung nicht zu berückſichtigen; was wir aber wohl be-
rückſichtigen müſſen, das iſt das Uebel, das nicht draußen,
ſondern bei uns zuhauſe durch die Duldung der Geſetzloſig-
keit erſteht.“

Wie in unzähligen anderen Fällen, die der jetzige Krieg
nicht erſt geſchaffen, ſondern in das hellſte Licht einer großen
Oeffentlichkeit gebracht hat, thäte man alſo auch in dieſem in Eng-
land am beſten, zunächſt das eigene Haus zu beſorgen. Die
Angelegenheit hat für uns aber noch eine ernſtere Seite. Wie
lange noch werden bei uns auch kleinere und kleinſte Bundes-
ſtaaten auf der koſtenreichen Einrichtung beſtehen, fremde
Geſandte zu haben?
Man ſollte denken, daß Vaterlands-
liebe und die Freude am Frieden im eigenen Hauſe wichtiger
ſein müßten als das Bedürfniß, bei den Hoffeſten in allen
Reſidenzen glänzend uniformirte Vertreter des Auslands zu
begrüßen, die „verſtehen würden, ſolchen Vorkommniſſen“, wie
die aufgebauſchten Dresdener Schreckniſſe es ſind, „einen
Riegel vorzuſchieben“. Die wirkliche Vertretung unſrer aus-
wärtigen Beziehungen liegt nun einmal in einheitlicher Hand
beim Reich und es iſt die Schlußfolge nicht zu umgehen, daß
die fremden Geſandtſchaften an den kleinen Höfen entweder
keine Bedeutung mehr haben, und dann ſind ſie überflüſſig,
oder ſie haben eine Bedeutung, und dann werden ſie niemals
zum Frieden beitragen, wohl aber können ſie gefährlich
werden, namentlich als Informationszentren, an denen auf
Umwegen werthvolle Nachrichten erforſcht und zuſammen-
getragen und fremden Regierungen übermittelt werden. Nie-
mand hat dieſe Seite der Sache beſſer auszunützen verſtanden
als England und wer mit den in Rede ſtehenden Verhältniſſen
vertrauter iſt, wird unbedingt zugeben müſſen, daß es für die
kleinen deutſchen Höfe Zeit wäre, das Opfer zu bringen und
auf die fremden Geſandtſchaften zu verzichten! Jedenfalls
wird dann eine Verſtändigung mit England leichter zu erzielen
ſein, als wenn wir mit dem geiſtreichen engliſchen Kaplan
darauf warten ſollen, „bis alle die Gedanken eines Handels-
übergewichts, die dem deutſchen Volke theuer geworden ſind,
ſich als leere Träume erweiſen“.

So der nichts weniger als rückſichtslos zentraliſtiſch
geſinnte Verfaſſer der Zuſchrift, der allerdings vielfach
Gelegenheit gehabt hat, ſich über den Mißſtand, den er
hier berührt, auf Grund eigener Wahrnehmungen zu
unterrichten. Der Einfluß, den die verwandtſchaftlichen
Beziehungen zwiſchen den regierenden Hänſern auf den
Gang der hohen Politik üben, iſt ja vielſach überſchätzt
worden, es iſt jedoch nicht in Abrede zu ſtellen, daß die
überaus engen Familienbande, welche gewiſſe Dynaſtien
des Auslandes mit einer ganzen Anzahl deutſcher Höfe
verknüpfen, es den fremden Regierungen weſentlich er-
leichtern, ſich über das, was in den leitenden Kreiſen
Deutſchlands geplant wird, auf dem Laufenden zu er-
halten. Geſchickte diplomatiſche Agenten vermögen ſich
da ſehr bedeutende Verdienſte zu erwerben, aber freilich
nicht um das Deutſche Reich. Es dürften dabei diejenigen,
von deren Wiſſen das Ausland Nutzen zu ziehen ſucht,
ſich oft genug kaum Rechenſchaft darüber ablegen, daß
dieſe oder jene vertrauliche Aeußerung unter Umſtänden
zu undeutſchen oder gar deutſchfeindlichen Zwecken ver-
werthet werden kann. Und je kleiner der betreffende Hof
iſt, je weniger er an den hochpolitiſchen Aktionen un-
mittelbar und aktiv theilnimmt, und je weniger er mithin
auch Anlaß hat, etwaigen Ausforſchungsverſuchen gegen-
über dauernd auf dem qui vive zu ſein, um ſo leichteres
Spiel werden diejenigen haben, die darauf ausgehen, die
vom rein menſchlichen Standpunkt ja ſehr begreiflich er-
ſcheinenden arglos-intimen Beziehungen ſeiner Mitglieder
zu den hohen Verwandten im Auslande und deren Ver-
trauensmännern und Vertretern zur Gewinnung wichtiger
politiſcher Informationen zu verwerthen oder zu miß-
brauchen. Einzelne Andeutungen unſres großen erſten
Kanzlers laſſen darauf ſchließen, daß er von ſolchen Vor-
kommniſſen mehr als einmal Kenntniß erlangt hat.

[Spaltenumbruch]

vor den erſten Häuſern des Dorfes angelangt war, fand es
Kaſtl angezeigt, ſich zu entfernen. Er zeigte dem Poſt-
fräulein den Weg zum Poſtamt, das in einem Bauernhauſe
untergebracht und durch den Doppeladler gekennzeichnet
iſt, und drückte ſich dann in eine kleine Seitengaſſe, um
durch dieſe dem Heimathhauſe zuzuſtapfen. Manch neugie-
riger Blick folgt dem jungen, ſtattlichen Mann. Dann end-
lich erreicht er das Oberhummer Gütl, und beim Anblick
desſelben wird es dem Heimkehrenden weich ums Herz. Da-
heim! Still friedlich liegt das Gehöft, deſſen kleine Fenſter-
ſcheiben im Sonnenſchein glitzern. Von der Altane hängen
die Nelken in glühender Farbenpracht hernieder, ſeine
Lieblingsblumen, und Geranien, Fuchſien und Hortenſien
vor den Fenſtern geben dem Anweſen einen anheimelnden,
wohligen lebenswarmen Charakter. Ob dieſes trauten
Anblicks kann Kaſtl es leicht verſchmerzen, daß kein Will-
kommkranz über der Eingangsthür prangt; alltäglich nüch-
tern ſteht das Haus wie immer. Aus der Tenne ertönt
das aufdringliche Gegacker einer Henne, die es nicht laut
genug verkünden kann, ein Ei gelegt zu haben. Auf dem
Feld draußen ſind die Geſchwiſter beſchäftigt, Korn zu
ſchneiden und in Garben zu binden. Kaſtl blickt hinüber
und ſchmunzelt; die Geſchwiſter ſind ja doch geſcheiter als
er, ſie ſind nicht zu dumm für die Bauernarbeit. Ein
Jubelruf ertönt, lieb Mütterlein kommt aus dem Hauſe
dem Heimgekehrten liebreich entgegen.

„Mutter, liebe gute Mutter!“ Eine innige Umarmung
folgt der herzlichen Begrüßung, und dann beſieht ſich die
weißhaarige Bäuerin den ſchmucken Sohn mit ſtolz verklär-
tem Blick. „Wie groß du geworden biſcht, Kaſtl. Und
ſo barſchtet (bebartet)! Frei (faſt) nimmer zu kennen!
Und biſcht jetzt wirklich ganz fertig mit der Studi?“

„Fürs erſte ſchon! Aber ſtudiren heißt es im ärztlichen
Beruf immer, das ganze Leben hindurch. Ein Arzt ſtudirt
niemals aus, es gibt immer wieder neues zu lernen.“

Ungläubig und erſchrocken ſtottert die alte Bäuerin:
„Wär’ nicht übel! Für ſo viel Geld, Mühe und Plag’ haſt
noch nicht genug ſtudirt?! Na, das wenn der Vater hört!
Sag nur ja nichts davon, es wäre weit gefehlt. Du weißt
ja, wie er iſt. Er hält ſo viel wie gar nichts auf die Dok-
terei. Aber nun komm ins Haus! Eine Schüſſel Milch,
Butter und Brot hab’ ich ſchon bereitgeſtellt. Wirſt wohl
Hunger haben vom Marſch, und Durſt!“

[Spaltenumbruch]

Glückſelig geleitet die Mutter ihren Aelteſten ins
Haus.

Wohlig wird es Kaſtl in den alten, ſo lang entbehrten,
rauchgeſchwärzten Räumen, und mit Behagen löffelt er die
herrlich ſchmeckende Milch aus. Die Mutter guckt ihm dabei
zu, ſich freuend, daß ihr Liebling ſo tapfer einhaut, und
ihm geſchwätzig erzählend, daß ſeine Stube bereitge-
ſtellt ſei und auch der große Koffer bereits oben ſtehe, auf
deſſen Inhalt ſich die Geſchwiſter ſchon ſo ſehr freuen.

Kaſtl lacht hellauf: „Die Freude wird wohl bald zu
Eſſig werden!“

„Wieſo? Die Kinder hoffen, daß für ſie was drinnen
ſein wird!“

Ach du lieber Himmel! Von der Univerſität bringt
einer nichts mit als das Erlernte, und ging’s gut, den
Doktorhut!“

Die Bäuerin ſtaunt: „Einen ſo großen Hut haſt im
Koffer?!“

Kaſtl beeilt ſich, der Mutter das Nöthige zum Ver-
ſtändniß zu erklären, doch das ſchlichte Gebirglerweib ver-
mag derlei nicht zu faſſen, und immer wieder betheuert
die Bäuerin, daß das merkwürdige Sachen ſeien.

„Und „auf geiſtlich“ haſt wirklich nicht ſtudirt?“

„Nein ich bin Mediziner worden! Ich bin jetzt Arzt und
will verſuchen, die Praxis in der Heimath auszuüben!“

„So, ſo! Wenn’s nur geht!“

„Es muß gehen! Den guten Willen hab’ ich, und was
Tüchtiges hab’ ich gelernt.“

„Ja, ſchon recht! Ich wünſche dir ja das Beſte, Kaſtl!
Aber es wird hart gehen, mein’ ich. Weißt, der alte Dokter,
der wird keinen von ſeiner Kundſchaft ablaſſen, und krank
ſind die Leut’ heroben ſchier nie, und wenn’s was brauchen,
hilft gewöhnlich der Bader aus.“

„Dem werd’ ich das Waſſer bald abgegraben haben.
O, ich freue mich ordentlich auf ein paar ordentliche Bein-
brüche zum Einrichten. Und ſo jung die Serumangelegen-
heit noch iſt, meine letzten Gulden hab’ ich drangewendet
und das Mittel gekauft, um es beim erſten Fall gleich zu
erproben. Wirſt es erleben, Mutter! Schier Wunder werd’
ich wirken damit!“

Mütterchen ſtannt, und faſſungslos guckt ſie auf den
ſtudirten Sohn. Das Gepolter ſchwerer Schritte ſcheucht
die Alte auf, haſtig flüſtert ſie: „Der Vater kommt! Halt
[Spaltenumbruch] dich gut! Du weißt, er iſcht ſo eigen!“ und eilt dem Bauer
entgegen.

Hoch und ſehnig gewachſen, knöcherig und doch elaſtiſch
iſt die Geſtalt des alten Oberhummer, dem man das Alter
nicht anmerken würde, wenn ſein buſchiger weißer Schnurr-
bart nicht kündete, daß der Bauer die Schwelle des Greiſen-
alters überſchritten habe. Friſch und wetterbraun das Ge-
ſicht, ſchwielig von harter Arbeit die großen Hände, braun
die nackten Kniee, verwetzt und abgeſchabt die kurze, lederne
Hoſe, braun die offene Bruſt wie die Arme, ſoweit ſie nicht
das grobe Hemd bedeckt. Ein in der Farbe nicht mehr zu
beſtimmender zerzauſter Hut mit einer Gockelfeder ſitzt auf
dem grauen Kopfhaar. So ſieht der Alte ſo friſch und
kraftvoll aus, daß er es mit drei Jungen noch aufnehmen
könnte. Die viel kleinere Bäuerin ruft dem Gatten ent-
gegen: „Alter, der Kaſtl iſt glücklich angekommen!“

„Weiß ’s ſchon!“ brummt der alte Oberhummer und
bückt ſich unter der Thür, um nicht mit dem Kopf am
Balken anzuſtoßen.

Kaſtl tritt dem Vater entgegen und bietet Gruß und
Hand.

Ein raſcher Blick aus den hellen Augen ſtreift den
jungen Mann, dann reicht der Bauer dem Sohn die Hand,
kühl, ohne beſondere Bewegung: „Grüß Gott, daheim!
Haſt endlich ausſtudirt? Na, hat lang genug gedauert!
Schad’ um die Zeit und das viele Geld! Was willſt nun
anfangen?“

Kaſtl hat eine ſcharfe Antwort auf der Zunge; die weg-
werfende Bemerkung über Zeit- und Geldverluſt verletzt
ihn um ſo mehr, als er doch kümmerlich genug ſich durch
Stundengeben durchgebracht und keine nennenswerthe
Unterſtützung vom Vater erhalten hat und ſogar die Pro-
motionskoſten von einem Wohlthäter gezahlt worden
ſind. Die Mutter beeilt ſich, beſchwichtigend einzuwerfen:
„Der Kaſtl iſcht ja jetzt Dokter und will bei uns bleiben!“

„Als was?“ fragt ſcharf der Alte und greift nach dem
Brotlaib.

Kaſtl erklärt mit leicht bebender Stimme: „Ich will
die Praxis in der Heimath aufnehmen. Die Anmeldung
beim Bezirksarzt in der Kreisſtadt iſcht erfolgt, alles in
Ordnung. Nun handelt es ſich nur noch um die Pa-
tienten!“

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[2/0002] München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 28. März 1900. Nr. 85. das Prädikat Gut aufzuweiſen, wenn ſie aber an der Uni- verſität zugelaſſen werden wollen, hätten ſie von Pontius zu Pilatus zu laufen und müßten bei jedem Profeſſor die Zu- laſſung zu ſeinen Kollegien erbitten. In Rußland ſei eine Akademie für die ſtudirenden Frauen errichtet und mit der größten Freigebigkeit ausgeſtattet. Staatsſekretär des Reichsamts des Innern Graf Poſa- dowsky: Der Bundesrath hat ſich inzwiſchen damit ein- verſtanden erklärt, daß Frauen, die die Abſolvirung des ärzt- lichen Studiums und der Examina nachweiſen, auch approbirt werden können. Zuerſt verlangten die Damen bloß die Zu- laſſung, jetzt wollen ſie immatrikulirt werden. Ob der preußiſche Kultusminiſter der Sache geneigt iſt, ob er eine Uni- verſität vorzugsweiſe als Frauenuniverſität bezeichnen wird, weiß ich nicht; ich fürchte, die Studenten werden auf dieſe Univerſität nicht ziehen. Einſtweilen beſteht bei den Profeſſoren noch ſtarke Abneigung, die Damen zu ihren Vorleſungen zu- zulaſſen. In dieſem Punkte wird nur die Zeit heilen können; erſt die Thatſache, daß ſich Damen als hervorragende Aerztinnen bewähren, wird dieſes Vorurtheil beſiegen. Abg. Dr. Arendt (Reichsp.) ſucht nachzuweiſen, daß Abg. Thiele früher einen Oberſteiger Roth falſch beſchuldigt habe. Abg. Roſenow (Soz.) fragt an, was aus der Re- ſolution des Reichstags wegen Unterſuchung der beſtehenden Wohnungsverhältniſſe geworden ſei. Graf Poſadowsky: Die Löſung der Wohnungsfrage iſt eine der tiefgehendſten ſozialen Fragen, die es überhaupt gibt. In der kurzen Zeit, ſeit der Antrag im Hauſe an- genommen iſt, war es bei der ſo ſtark beſetzten Seſſion den Regierungen nicht möglich, ſchon etwas zu thun. Die Einzel- regierungen ſind um Material erſucht worden; erſt wenn dieſes eingegangen iſt, wird zu unterſuchen ſein, wie weit man auf die Reſolution eingehen kann. Die verbündeten Regierungen werden natürlich gut thun, dieſer Frage unaus- geſetzt ihre Aufmerkſamkeit zu widmen. Abg. Singer (Soz.): Mein Fraktionsgenoſſe Thiele iſt nicht anweſend. Ich proteſtire für heute nur gegen die be- kannte Art, in der ja häuſig verſucht wird, aus einer an- geblich irrigen Mittheilung eines Abgeordneten Rückſchlüſſe auf die ſozialdemokratiſche Partei zu ziehen. Abg. Arendt: Ich durfte doch wohl annehmen, daß Hr. Thiele bei der dritten Leſung des Etats anweſend ſein würde. Er durfte bei einer ſo wichtigen Verhandlung nicht fehlen. Abg. Dr. Paaſche (nat.-lib.): Der Abg. Bebel hat bei der Berathung der Flottenvorlage der Firma Ludwig Loewe, die Millionen an der Flotte verdiene, vorgeworfen, daß ſie ihre alten Beamten auf die Straße werfe, und einen Fall angeführt, wo ein Mann, der 27 Jahre lang in dem Bureau der Firma war, plötzlich entlaſſen wurde und ſich darauf im Grunewald erſchoß, ſo daß die Frau und die Kinder der Armenpflege anheimfallen mußten. Der Mann hat 4800 M. Gehalt bezogen, hat aber ſeine Pflicht in den letzten Jahren nicht voll gethan, ſollte aber trotzdem nicht fallen gelaſſen, ſondern in einem anderen Reſſort beſchäftigt werden. Nach ſeiner Selbſtentleibung hat die Firma anſtandslos über 1100 Mark für Beerdigungskoſten, darunter 237 M. zu Trauer- kleidern für die Wittwe, gezahlt und derſelben eine jährliche Penſion von 1200 M. in Ausſicht geſtellt. (Hört! hört! rechts.) Abg. Bebel (Soz.): Meine damaligen Mittheilungen ſind wochenlang vorher durch zahlreiche Zeitungen gegangen, ohne daß die Firma ſich dagegen gewehrt hat. Ich höre jetzt, daß die Penſion erſt in Ausſicht geſtellt worden iſt, nachdem ich dieſe Sache hier zur Sprache gebracht hatte. Der Tuckerbrief wird mir gewohnheitsmäßig vom Abg. Arendt vorgeworfen; daß man getäuſcht werden kann, paſſirt Jedem, paſſirt auch Staatsanwälten und Richtern. Abg. Paaſche: Das Schreiben der Firma an mich iſt vom 13. Februar datirt; am 10. hatten wir die betreffende Debatte und in dieſem Brief iſt die Penſion bereits erwähnt! Der Fall beweist wieder einmal, wie leichtfertig Bebel mit ſolchen Anſchuldigungen vorgeht. (Große Unruhe links, Zu- ſtimmung rechts.) Abg. Bebel: An demſelben Tage, wo wir hier über den Fall bei Ludwig Loewe ſprachen, iſt Iſidor Loewe Bericht erſtattet worden und er iſt darüber in die höchſte Aufregung gerathen. Es lag alſo in ſeinem Intereſſe, feſtſtellen zu laſſen, daß meine Angaben unrichtig waren. Abg. Dr. Hahn (Bd. d. Landw.) beſpricht den Antrag Inn- und Knyphauſen. Deutſchland könne derartige Beſtim- mungen nur treffen in Verbindung mit den für die Nordſee- fiſcherei in Betracht kommenden Staaten. Redner fragt, wie es mit der Ausbeutung der Bäreninſeln ſtehe. Graf Poſadowsky: Internationale Bedenken gegen die Bildung von Genoſſenſchaften zur Ausbeutung der Kohlen und des Fiſchreichthums dort liegen nicht vor. Was die andere Anregung betrifft, ſo hat im letzten Jahre in Stock- holm eine Konferenz ſtattgefunden unter Theilnahme der deutſchen Regierung in Bezug auf die Erforſchung der nörd- lichen Meere. Eine Kommiſſion ſoll außer wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen auch die Lebensbedingungen der Fiſche in der Nordſee, ihre Wohnverhältniſſe und die Frage der Schon- reviere unterſuchen. Fürſt zu Inn- und Knyphauſen zieht ſeinen Antrag zurück. Abg. Rembold legt zur Begründung ſeines Antrags dar, daß die Maul- und Klauenſeuche, ebenſo aber auch die zur Verhütung ihrer Weiterverbreitung angeordneten Sperr- maßregeln den davon betroffenen Landesſtellen und Land- wirthen überaus ſchwere wirthſchaftliche Schädigungen zu- fügen. Graf Poſadowsky: Im Reichsamt des Innern hat eine Konferenz über dieſe Frage ſtattgeſunden und der Deutſche Landwirthſchaftsrath hat eine Kommiſſion nieder- geſetzt, die die Frage nochmals prüfen ſoll. Das Reſultat dieſer Prüfung wird dem Reichsgeſundheitsamt unterbreitet werden. Die Marktſperre legt ja dem Viehverkehr große Opfer auf, aber man muß auch anerkennen, daß die Vieh- märkte große Gefahren mit ſich bringen. Wir werden alles thun, was ohne Schädigung berechtigter Intereſſen möglich iſt. Nach 6¼ Uhr wird die Berathung auf Mittwoch 1 Uhr vertagt. Deutſches Reich. Die Diplomatie des Auslands und die kleinen deutſchen Höfe. * München, 27. März. Von einem mit den Ver- hältniſſen an den kleinen mitteldeutſchen Höfen wohl ver- trauten, warm national empfindenden Freunde unſres Blattes erhalten wir die nachſtehende Zuſchrift: Die „Times“ vom 22. März bringen unter der Ueber- ſchrift „Deutſche Gereiztheit“ einen Brief, der unter- zeichnet iſt R. Brooks Egan, „Britiſcher Kaplan, Gotha- Coburg“. (Was iſt „Gotha-Coburg“?) Dieſer Herr, der vermuthlich mit der Seelſorge des regierenden Herzogs be- traut iſt, fühlt ſich veranlaßt, zu den „Beleidigungen, denen britiſche Unterthanen in Dresden ausgeſetzt ſeien“, zu bemerken, man ſolle ſich mit Vorſtellungen an den britiſchen Geſandten Sir Condie Stephen wenden, deſſen Bereich ſich bis Gotha erſtrecke; der würde „verſtehen, ſolchen Vorkommniſſen einen Riegel vorzuſchieben“. Wenn die Vorſtellungen in Dresden wirkungslos geweſen ſeien, ſo habe man ſich vermuthlich an die falſche Stelle gewendet. An und für ſich ſind nun die Vorkommniſſe in Dresden — für ſo unentſchuldbar wir ſie auch halten — ganz unbedeutend im Vergleich zu dem, was in England von Engländern gegen ihre eigenen friedensfreundlichen Landsleute verübt wird, und es iſt denn auch erheiternd, aus derſelben Nummer der „Times“ eine hübſche Beurtheilung des Kaplausbriefes zuſammenzuſtellen. Ueber die Dresdener Beleidigungen ſchreibt nämlich eine engliſche Dame an das Cityblatt: „In den Spalten der „Times“ hat ein thörichter Brief geſtanden, der beſagt, daß die Engländer hier (in Dresden) unter der Schreckensherrſchaft lebten. Einige Ungezogenheiten, die unter aller Verachtung ſtehen, ſind allerdings an der engliſchen Kirche verübt worden und zu gleicher Zeit hat irgend Jemand nachts die Laternen auf einer der Brücken ausgedreht. Da- raus ſchließt man, daß irgend ein Strolch oder Lump, der ſich gern amüſirt, ausgebrochen iſt; aber welch eine Idee, aus einer derartigen Lumperei eine internationale Beſchwerde zu machen!“ Gleichzeitig bemerkt A. V. Dicey, ein hoch- angeſehener Oxforder Gelehrter, zu den rohen Verſuchen, das freie Wort in England mit Gewalt niederzuhalten und ſie an höchſter Regierungsſtelle ſo zu entſchuldigen, daß die Ent- ſchuldigung faſt einer Ermunterung zu weiteren Gewaltthätig- keiten gleichkommt: „Wenn wir von unfrer eigenen Lehre ab- fallen, wenn wir geſetzmäßige Meinungsverſchiedenheit mit ungeſetzlicher Gewalt unterdrücken, ſo werden alle unſre Be- mühungen um Freiheit nichtig. Noch mehr: das Ausland wird nicht glauben, daß die Lehre, die wir ſelbſt in Wirk- lichkeit gar nicht beobachten, jemals aufrichtig von uns ge- weſen ſei. Sittlicher Hochmuth wird doppelt abſtoßend werden, wenn man findet, daß er nationaler Heuchelei ſehr ähnlich ſieht. Wir brauchen zwar, wird man ſagen, ausländiſche Meinung nicht zu berückſichtigen; was wir aber wohl be- rückſichtigen müſſen, das iſt das Uebel, das nicht draußen, ſondern bei uns zuhauſe durch die Duldung der Geſetzloſig- keit erſteht.“ Wie in unzähligen anderen Fällen, die der jetzige Krieg nicht erſt geſchaffen, ſondern in das hellſte Licht einer großen Oeffentlichkeit gebracht hat, thäte man alſo auch in dieſem in Eng- land am beſten, zunächſt das eigene Haus zu beſorgen. Die Angelegenheit hat für uns aber noch eine ernſtere Seite. Wie lange noch werden bei uns auch kleinere und kleinſte Bundes- ſtaaten auf der koſtenreichen Einrichtung beſtehen, fremde Geſandte zu haben? Man ſollte denken, daß Vaterlands- liebe und die Freude am Frieden im eigenen Hauſe wichtiger ſein müßten als das Bedürfniß, bei den Hoffeſten in allen Reſidenzen glänzend uniformirte Vertreter des Auslands zu begrüßen, die „verſtehen würden, ſolchen Vorkommniſſen“, wie die aufgebauſchten Dresdener Schreckniſſe es ſind, „einen Riegel vorzuſchieben“. Die wirkliche Vertretung unſrer aus- wärtigen Beziehungen liegt nun einmal in einheitlicher Hand beim Reich und es iſt die Schlußfolge nicht zu umgehen, daß die fremden Geſandtſchaften an den kleinen Höfen entweder keine Bedeutung mehr haben, und dann ſind ſie überflüſſig, oder ſie haben eine Bedeutung, und dann werden ſie niemals zum Frieden beitragen, wohl aber können ſie gefährlich werden, namentlich als Informationszentren, an denen auf Umwegen werthvolle Nachrichten erforſcht und zuſammen- getragen und fremden Regierungen übermittelt werden. Nie- mand hat dieſe Seite der Sache beſſer auszunützen verſtanden als England und wer mit den in Rede ſtehenden Verhältniſſen vertrauter iſt, wird unbedingt zugeben müſſen, daß es für die kleinen deutſchen Höfe Zeit wäre, das Opfer zu bringen und auf die fremden Geſandtſchaften zu verzichten! Jedenfalls wird dann eine Verſtändigung mit England leichter zu erzielen ſein, als wenn wir mit dem geiſtreichen engliſchen Kaplan darauf warten ſollen, „bis alle die Gedanken eines Handels- übergewichts, die dem deutſchen Volke theuer geworden ſind, ſich als leere Träume erweiſen“. So der nichts weniger als rückſichtslos zentraliſtiſch geſinnte Verfaſſer der Zuſchrift, der allerdings vielfach Gelegenheit gehabt hat, ſich über den Mißſtand, den er hier berührt, auf Grund eigener Wahrnehmungen zu unterrichten. Der Einfluß, den die verwandtſchaftlichen Beziehungen zwiſchen den regierenden Hänſern auf den Gang der hohen Politik üben, iſt ja vielſach überſchätzt worden, es iſt jedoch nicht in Abrede zu ſtellen, daß die überaus engen Familienbande, welche gewiſſe Dynaſtien des Auslandes mit einer ganzen Anzahl deutſcher Höfe verknüpfen, es den fremden Regierungen weſentlich er- leichtern, ſich über das, was in den leitenden Kreiſen Deutſchlands geplant wird, auf dem Laufenden zu er- halten. Geſchickte diplomatiſche Agenten vermögen ſich da ſehr bedeutende Verdienſte zu erwerben, aber freilich nicht um das Deutſche Reich. Es dürften dabei diejenigen, von deren Wiſſen das Ausland Nutzen zu ziehen ſucht, ſich oft genug kaum Rechenſchaft darüber ablegen, daß dieſe oder jene vertrauliche Aeußerung unter Umſtänden zu undeutſchen oder gar deutſchfeindlichen Zwecken ver- werthet werden kann. Und je kleiner der betreffende Hof iſt, je weniger er an den hochpolitiſchen Aktionen un- mittelbar und aktiv theilnimmt, und je weniger er mithin auch Anlaß hat, etwaigen Ausforſchungsverſuchen gegen- über dauernd auf dem qui vive zu ſein, um ſo leichteres Spiel werden diejenigen haben, die darauf ausgehen, die vom rein menſchlichen Standpunkt ja ſehr begreiflich er- ſcheinenden arglos-intimen Beziehungen ſeiner Mitglieder zu den hohen Verwandten im Auslande und deren Ver- trauensmännern und Vertretern zur Gewinnung wichtiger politiſcher Informationen zu verwerthen oder zu miß- brauchen. Einzelne Andeutungen unſres großen erſten Kanzlers laſſen darauf ſchließen, daß er von ſolchen Vor- kommniſſen mehr als einmal Kenntniß erlangt hat. vor den erſten Häuſern des Dorfes angelangt war, fand es Kaſtl angezeigt, ſich zu entfernen. Er zeigte dem Poſt- fräulein den Weg zum Poſtamt, das in einem Bauernhauſe untergebracht und durch den Doppeladler gekennzeichnet iſt, und drückte ſich dann in eine kleine Seitengaſſe, um durch dieſe dem Heimathhauſe zuzuſtapfen. Manch neugie- riger Blick folgt dem jungen, ſtattlichen Mann. Dann end- lich erreicht er das Oberhummer Gütl, und beim Anblick desſelben wird es dem Heimkehrenden weich ums Herz. Da- heim! Still friedlich liegt das Gehöft, deſſen kleine Fenſter- ſcheiben im Sonnenſchein glitzern. Von der Altane hängen die Nelken in glühender Farbenpracht hernieder, ſeine Lieblingsblumen, und Geranien, Fuchſien und Hortenſien vor den Fenſtern geben dem Anweſen einen anheimelnden, wohligen lebenswarmen Charakter. Ob dieſes trauten Anblicks kann Kaſtl es leicht verſchmerzen, daß kein Will- kommkranz über der Eingangsthür prangt; alltäglich nüch- tern ſteht das Haus wie immer. Aus der Tenne ertönt das aufdringliche Gegacker einer Henne, die es nicht laut genug verkünden kann, ein Ei gelegt zu haben. Auf dem Feld draußen ſind die Geſchwiſter beſchäftigt, Korn zu ſchneiden und in Garben zu binden. Kaſtl blickt hinüber und ſchmunzelt; die Geſchwiſter ſind ja doch geſcheiter als er, ſie ſind nicht zu dumm für die Bauernarbeit. Ein Jubelruf ertönt, lieb Mütterlein kommt aus dem Hauſe dem Heimgekehrten liebreich entgegen. „Mutter, liebe gute Mutter!“ Eine innige Umarmung folgt der herzlichen Begrüßung, und dann beſieht ſich die weißhaarige Bäuerin den ſchmucken Sohn mit ſtolz verklär- tem Blick. „Wie groß du geworden biſcht, Kaſtl. Und ſo barſchtet (bebartet)! Frei (faſt) nimmer zu kennen! Und biſcht jetzt wirklich ganz fertig mit der Studi?“ „Fürs erſte ſchon! Aber ſtudiren heißt es im ärztlichen Beruf immer, das ganze Leben hindurch. Ein Arzt ſtudirt niemals aus, es gibt immer wieder neues zu lernen.“ Ungläubig und erſchrocken ſtottert die alte Bäuerin: „Wär’ nicht übel! Für ſo viel Geld, Mühe und Plag’ haſt noch nicht genug ſtudirt?! Na, das wenn der Vater hört! Sag nur ja nichts davon, es wäre weit gefehlt. Du weißt ja, wie er iſt. Er hält ſo viel wie gar nichts auf die Dok- terei. Aber nun komm ins Haus! Eine Schüſſel Milch, Butter und Brot hab’ ich ſchon bereitgeſtellt. Wirſt wohl Hunger haben vom Marſch, und Durſt!“ Glückſelig geleitet die Mutter ihren Aelteſten ins Haus. Wohlig wird es Kaſtl in den alten, ſo lang entbehrten, rauchgeſchwärzten Räumen, und mit Behagen löffelt er die herrlich ſchmeckende Milch aus. Die Mutter guckt ihm dabei zu, ſich freuend, daß ihr Liebling ſo tapfer einhaut, und ihm geſchwätzig erzählend, daß ſeine Stube bereitge- ſtellt ſei und auch der große Koffer bereits oben ſtehe, auf deſſen Inhalt ſich die Geſchwiſter ſchon ſo ſehr freuen. Kaſtl lacht hellauf: „Die Freude wird wohl bald zu Eſſig werden!“ „Wieſo? Die Kinder hoffen, daß für ſie was drinnen ſein wird!“ Ach du lieber Himmel! Von der Univerſität bringt einer nichts mit als das Erlernte, und ging’s gut, den Doktorhut!“ Die Bäuerin ſtaunt: „Einen ſo großen Hut haſt im Koffer?!“ Kaſtl beeilt ſich, der Mutter das Nöthige zum Ver- ſtändniß zu erklären, doch das ſchlichte Gebirglerweib ver- mag derlei nicht zu faſſen, und immer wieder betheuert die Bäuerin, daß das merkwürdige Sachen ſeien. „Und „auf geiſtlich“ haſt wirklich nicht ſtudirt?“ „Nein ich bin Mediziner worden! Ich bin jetzt Arzt und will verſuchen, die Praxis in der Heimath auszuüben!“ „So, ſo! Wenn’s nur geht!“ „Es muß gehen! Den guten Willen hab’ ich, und was Tüchtiges hab’ ich gelernt.“ „Ja, ſchon recht! Ich wünſche dir ja das Beſte, Kaſtl! Aber es wird hart gehen, mein’ ich. Weißt, der alte Dokter, der wird keinen von ſeiner Kundſchaft ablaſſen, und krank ſind die Leut’ heroben ſchier nie, und wenn’s was brauchen, hilft gewöhnlich der Bader aus.“ „Dem werd’ ich das Waſſer bald abgegraben haben. O, ich freue mich ordentlich auf ein paar ordentliche Bein- brüche zum Einrichten. Und ſo jung die Serumangelegen- heit noch iſt, meine letzten Gulden hab’ ich drangewendet und das Mittel gekauft, um es beim erſten Fall gleich zu erproben. Wirſt es erleben, Mutter! Schier Wunder werd’ ich wirken damit!“ Mütterchen ſtannt, und faſſungslos guckt ſie auf den ſtudirten Sohn. Das Gepolter ſchwerer Schritte ſcheucht die Alte auf, haſtig flüſtert ſie: „Der Vater kommt! Halt dich gut! Du weißt, er iſcht ſo eigen!“ und eilt dem Bauer entgegen. Hoch und ſehnig gewachſen, knöcherig und doch elaſtiſch iſt die Geſtalt des alten Oberhummer, dem man das Alter nicht anmerken würde, wenn ſein buſchiger weißer Schnurr- bart nicht kündete, daß der Bauer die Schwelle des Greiſen- alters überſchritten habe. Friſch und wetterbraun das Ge- ſicht, ſchwielig von harter Arbeit die großen Hände, braun die nackten Kniee, verwetzt und abgeſchabt die kurze, lederne Hoſe, braun die offene Bruſt wie die Arme, ſoweit ſie nicht das grobe Hemd bedeckt. Ein in der Farbe nicht mehr zu beſtimmender zerzauſter Hut mit einer Gockelfeder ſitzt auf dem grauen Kopfhaar. So ſieht der Alte ſo friſch und kraftvoll aus, daß er es mit drei Jungen noch aufnehmen könnte. Die viel kleinere Bäuerin ruft dem Gatten ent- gegen: „Alter, der Kaſtl iſt glücklich angekommen!“ „Weiß ’s ſchon!“ brummt der alte Oberhummer und bückt ſich unter der Thür, um nicht mit dem Kopf am Balken anzuſtoßen. Kaſtl tritt dem Vater entgegen und bietet Gruß und Hand. Ein raſcher Blick aus den hellen Augen ſtreift den jungen Mann, dann reicht der Bauer dem Sohn die Hand, kühl, ohne beſondere Bewegung: „Grüß Gott, daheim! Haſt endlich ausſtudirt? Na, hat lang genug gedauert! Schad’ um die Zeit und das viele Geld! Was willſt nun anfangen?“ Kaſtl hat eine ſcharfe Antwort auf der Zunge; die weg- werfende Bemerkung über Zeit- und Geldverluſt verletzt ihn um ſo mehr, als er doch kümmerlich genug ſich durch Stundengeben durchgebracht und keine nennenswerthe Unterſtützung vom Vater erhalten hat und ſogar die Pro- motionskoſten von einem Wohlthäter gezahlt worden ſind. Die Mutter beeilt ſich, beſchwichtigend einzuwerfen: „Der Kaſtl iſcht ja jetzt Dokter und will bei uns bleiben!“ „Als was?“ fragt ſcharf der Alte und greift nach dem Brotlaib. Kaſtl erklärt mit leicht bebender Stimme: „Ich will die Praxis in der Heimath aufnehmen. Die Anmeldung beim Bezirksarzt in der Kreisſtadt iſcht erfolgt, alles in Ordnung. Nun handelt es ſich nur noch um die Pa- tienten!“

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 85, 28. März 1900, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine85_1900/2>, abgerufen am 21.11.2024.