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Allgemeine Zeitung, Nr. 91, 3. April 1900.

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München, Dienstag Allgemeine Zeitung 3. April 1900. Nr. 91.
[Spaltenumbruch]

seien, bei der Fristansetzung für die Beibringung der er-
forderlichen Ausweise oder eventuell bei der Vollziehung der
Ausweisung von jeder ungerechtfertigten Härte Umgang zu
nehmen.

Eine Verständigung kam denn auch auf dieser Basis
zustande und wir haben seither von in Preußen nieder-
gelassenen Schweizern keine Beschwerden mehr erhalten."

Kleine Nachrichten.

* Im wissenschaftlichen Verein in M.-Gladbach hielt
Professor Oncken aus Gießen einen Vortrag über Bismarck
und Lothar Bucher, wobei er bestimmt erklärte, daß ein
dritter Band der Bismarck'schen Gedanken und
Erinnerungen
existire und von Bismarcks Entlassung
handle. Die heutige Generation würde jedoch sein Erscheinen
nicht mehr erleben. -- Die "Köln. Volkszeitung" schreibt zur
Flottendeckungsfrage, sie zweifle nun nicht mehr, daß
diese Frage befriedigenderweise gelöst werden
würde, weil auch die Regierung von dem Ernst der Lage
überzeugt sei. Von den bisherigen Vorschlägen seien die Ein-
führung eines Konnossementstempels, die Verdoppelung des
Lotteriestempels, die wirksamere Ausgestaltung des Börsen-
stempels, die Steuer auf Saccharin, die Erhöhung der Zoll-
sätze auf gewisse Luxussachen ganz unbedenklich. -- Im
preußischen Lehrerbesoldungsgesetz wird den Lehr-
kräften, die vor ihrem Eintritt in den öffentlichen Volksschul-
dienst an Privatschulen thätig gewesen sind, diese Zeit bei
Bemessung der Alterszulagen voll in Anrechnung gebracht,
wenn in den betreffenden Privatschulen nach dem Lehrplan
einer öffentlichen Volksschule unterrichtet wird. Bei der Durch-
führung dieser Bestimmung haben sich nicht geringe Schwierig-
keiten herausgestellt, da sehr viele Privatschulen über die Auf-
gaben des Volksschulunterrichts hinausgehende
Ziele
verfolgen. In diesem Falle sind nur Ausnahmen ge-
macht worden, wo im konfessionellen Interesse in der
Diaspora zum Ersatz konfessioneller Volksschulen Privat-
schulen mit dem Lehrplan der öffentlichen Elementarschulen
eingerichtet worden sind, nicht aber, wo lediglich besondere
Interessen einzelner Orte und Bevölkerungskreise vorlagen.
Im übrigen hat die Unterrichtsverwaltung, wie sie ver-
sichert, die einzelnen an sie herangetretenen "Grenzfälle" nach
jeder Richtung hin so wohlwollend geprüst, als dies den
bindenden Vorschriften des Gesetzes gegenüber zulässig ist.
Denjenigen Lehrpersonen, welche in früherer Zeit eine Schul-
aufsichtsbehörde zum Dienst an Privatschulen, in denen nicht
nach dem Lehrplan einer öffentlichen Volksschule unterrichtet
worden sei, beurlaubt hat, ist diese Dienstzeit selbst danu
gerechnet worden, wenn der Urlaub über diejenige Zeitdauer
hinaus ging, für welche nach der von dem Unterrichtsminister
ertheilten Ermächtigung die Provinzialbehörden Urlaub er-
theilen dürfen. Ferner ist denjenigen Lehrpersonen, welche
von einer Schulaufsichtsbehörde mit der Wahrnehmung einer
Stelle an einer Privatschule beauftragt waren und sich
über den privaten Charakter der Schule im Irrthum befinden
konnten oder welchen von der vorgesetzten Behörde, wenn
auch unzulässiger Weise, Versprechungen über die Anrechnung
der privaten Dienstzeit gemacht seien, durch Gewährung per-
sönlicher Zulagen
nach Maßgabe der vorhandenen Mittel
eine angemessene Enschädigung für die nicht zulässige Anrech-
nung solcher Dienstzeit gewährt. In gleicher Weise will auch
die Kultusverwaltung in solchen Fällen hinsichtlich der vor
Inkraftreten des Gesetzes liegenden Dienstzeit verfahren.

Sachsen: Korpsbefehl des Prinzen Georg.

Prinz Georg von Sachsen
erließ anläßlich der Niederlegung des Oberbefehls über das
XII. Armeekorps folgenden Korpsbefehl:
"Im Begriffe, das Kommando des XII. Armeekorps ab-
zugeben, drängt es mich, dem Armeekorps ein herzliches
Wort des Abschieds zuzurufen. Es sind nun über 26 Jahre
her, daß ich das Kommando des Armeekorps führe, und
vorher hatte ich die Ehre, es während des größten Theiles
der ruhmreichen Kriegsjahre 1870/71 vor dem Feinde zu
führen. Immerhin haben sich die Truppen des Armeekorps,
wie sie tapfer und ausdauernd im Kriege waren, so auch im
Frieden durch Disciplin, Pflichttreue und Eifer, es in der
Ausbildung allen dentschen Armeekorps gleichzuthun, aus-
gezeichnet. Es war mein Stolz und meine Freude,
mich Führer des XII. Armeekorps nennen zu können. Mit
[Spaltenumbruch] Schmerzen
scheide ich aus diesem schönen Verhältniß.
Möge, das ist mein herzlichster Wunsch beim Abschied, der
bisherige schöne Geist im Armeekorps erhalten bleiben zur
Freude unsres Königs und Kriegsherrn und zum Wohl des
Vaterlandes. Das walte Gott!
gez. Georg, H. z. S.,
Generalfeldmarschall."

Sachsen: Unfall- und Krankenversicherung. -- Kohlenwucher.

Der den Kammern zugegangene
Entwurf eines Gesetzes betreffend die Regelung der Unfall-
und Krankenversicherung
der in land- und forst-
wirthschaftlichen Betrieben
beschäftigten Personen,
sowie der Krankenversicherungspflicht der häuslichen Dienst-
boten
ist mit Rücksicht auf die in Aussicht genommene reichs-
gesetzliche Regelung dieser Frage zurückgezogen worden. --
Der Stadtrath von Zwickau hat folgenden Beschluß ge-
faßt: "Der Rath begrüßt das Ende des Kohlenarbeiter-
strikes,
konstatirt aber mit Bedauern, daß derselbe einen
Kohlenwucher herbeiführte, indem nach den an die
Zwickauer Kohleuhändler von den Großhändlern des nord-
westböhmischen Kohlenreviers ergangenen neuen Preislisten
die Kohlenpreise per Waggon um 20 bis 28 Kronen
gegen den Preis vor dem Strike erhöht wurden. Dadurch
findet eine Ausbeutung aller Klassen der Bevölkerung statt.
Diese Preiserhöhung ist auch dann, wenn die Arbeiter die in
Aussicht gestellte Lohnerhöhung erhalten sollten, nicht gerecht-
fertigt. Im allgemeinen Interesse hält sich der Stadtrath von
Zwickau für verpflichtet, gegen diesen Kohlenwucher zu prote-
stiren, und ersucht die Regierung, in dieser Frage zum
Schutze der Bevölkerung die erforderlichen Schritte einzu-
leiten."

Baden: Bismarck-Feier.

Heute fand unter großer
Betheiligung die Enthüllung des Bismarck-Denkmals
statt. Das vor dem Denkmal errichtete Fürstenzelt blieb ge-
schlossen, da sowohl der Großherzog als auch Prinz Karl
von Baden wegen Unwohlseins abgesagt hatten. Die badische
Regierung war vertreten durch den Minister des Aeußern,
v. Brauer, die preußische durch den Attache bei der Pariser
Botschaft, v. Miquel, der an Stelle des beurlaubten Ge-
sandten in Karlsruhe, v. Eisendecher, erschienen war. An
dem Festzug betheiligten sich zahlreiche Mannheimer Vereine;
der Festplatz und die Straßen waren reich geschmückt. Die
Weiherede wurde von dem Vorsitzenden des Denkmals-
ausschusses, Dr. Adolf Clemm, gehalten. Bürgermeister
Martin übernahm in Vertretung des erkrankten Ober-
bürgermeisters Beck das Denkmal in das Eigenthum der
Stadt. Geschaffen ist das Denkmal von Prof. Hundrieser
in Charlottenburg. Die Kolossalsigur des Fürsten ist 3.10 m
hoch; vor ihm liegt ein Germane, die deutsche Wehrkraft dar-
stellend.

Oesterreich-Ungarn.
Die Verlobung des Prinzen Maximilian von Baden.

Prinz Maximilian von
Baden,
der künftige Thronfolger, ist in seine Heimath
zurückgekehrt, nachdem seine Verlobung mit der Prin-
zessin Marie Louise von Cumberland in aller
Form gefeiert worden war. Die Festlichkeiten erhielten
ihren Abschluß durch das Diner, zu welchem der deutsche
Botschaster Fürst zu Eulenburg am letzten Tag der
Anwesenheit des Prinzen das Brautpaar und einige andere
Gäste, unter ihnen selbstverständlich auch die Eltern der
Braut, den Herzog und die Herzogin von Cumberland,
lud. Es ist nicht das erste Mal, daß die herzogliche
Familie von Cumberland in der deutschen Votschaft zu
Wien zu Gaste war; seit längerer Zeit bestehen die anfangs
vielbemerkten gesellschaftlichen Beziehungen, denen von
vornherein auch eine gewisse politische Wichtigkeit beige-
messen wurde.

Uebrigens nahmen die Erörterungen in der Presse
über die politische Bedeutung der Verbindung der Häuser
Zähringen und Cumberland einen größeren Raum ein,
als den Umständen entspricht. Man stellte tiefsinnige
Betrachtungen darüber an, ob die Verlobung in Wien
ein Anzeichen sei für steigende Aussichten des Welfen-
hauses auf den Besitz Braunschweigs
oder nicht.
Wer so zu urtheilen oder zu schließen versucht, macht sich,
wie wenigstens berufene Kreise versichern, einer Ver-
[Spaltenumbruch] mischung zweier ganz verschiedener Verhältnisse schuldig.
Es ist selbstverständlich, daß die Verlobung des künftigen
Thronfolgers von Baden mit der Prinzessin von Cumber-
land vor ihrem Vollzug auch an maßgebender Stelle zu
Berlin erwogen und besprochen wurde; aber die Zustim-
mung zu der Verbindung war nicht abhängig von den
Entschlüssen bezüglich der Zukunft Braunschweigs, Ueber
die Schicksale dieses Landes wurde bei diesem Anlaß nicht
entschieden; die Familienangelegenheit und die politische Frage
wurden sorgfältig auseinandergehalten. Man vergesse nicht,
daß es unbillig wäre, den Häusern Cumberland und Nassau
das Konnubium mit den deutschen fürstlichen Familien zu
verwehren; es wäre sogar unklug, jene ehemals in Deutsch-
land souveränen Häuser, die ihren deutschen Charakter
doch nicht eingebüßt haben, ausschließlich auf eheliche Ver-
bindungen mit dem Auslande zu verweisen. Es besteht
auch ein zu starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit unter
den Familien des deutschen höchsten Adels, als daß sich
solche Ausschließung auf die Dauer durchführen ließe.
Unter den ehemals regierenden Familien Europa's sind
nur die Bonapartes nach dem Sturze Napoleons III. von
der Verbindung mit anderen fürstlichen Häusern aus-
geschlossen geblieben, und auch dies mehr wegen der per-
sönlichen Eigenschaften ihrer Mitglieder, denn aus prin-
zipiellen Gründen. Das Welfenhaus, das in einem seiner
Zweige in England regiert, befindet sich doch in einer
ganz verschiedenen Lage.

Die liebenswürdige Prinzessin, die bestimmt sein dürfte,
dereinst an Seite ihres Gemahls als Herrscherin über dem
schönen badischen Lande zu walten, bietet durch alle ihre An-
lagen die Bürgschaft für die volle Erfüllung der ihrer harren-
den Pflichten. Der zu Wien geschlossene Herzensbund hat
sonach mit der Politik nur in negativer Hinsicht etwas
zu schaffen; die letztere trat ihm nicht störend entgegen,
sondern ließ das Brautpaar und die der Verbindung ge-
neigten Verwandten desselben einfach gewähren. Die
Entscheidung über die Zukunft Braunschweigs wird sich
ausschließlich danach richten, was zum Wohl des Reichs
wie des Landes für ersprießlich gehalten werden wird;
dynastische Rücksichten werden darauf keinen Einfluß
nehmen dürfen.

Parteibildungen.

* An politischen Parteien ist in Oesterreich bekanntlich
kein Mangel, im Reichsrath gibt es deren etwa 18, in den
Landtagen fehlt natürlich jeweils ein großer Theil derselben,
zumal der spezisisch nationalen Parteien, dafür tragen manche
Landtagsparteien eine etwas andere Farbe, als die ihnen ent-
sprechenden Reichsrathsparteien, oder sind wieder in besondere
Gruppen gespalten; überdies gibt es verschiedene Parteien,
die keine oder wenigstens keine nennenswerthe parlamentarische
Vertretung haben. Am weitesten ist die Zerklüftung seit langen
Jahren unter den Deutschen gediehen, neuerdings sieht es
aber auch im tschechischen Lager recht bunt aus. Man hat
da tschechische Großgrundbesitzer, Alttschechen, Jungtschechen
(Freisinuige Nationalpartei), Radikal-Nationale, tschechisch-
nationale Arbeiterpartei, tschechische Sozialdemokraten, Agrarier-
partei u. s. w. Jetzt eben hat sich nun eine neue Partei
organisirt, die sich "tschechische Volkspartei" nennt und
aus den bisher sogenannten Realisten gebildet wird. Die
konstituirende Versammlung tagte die letzten zwei Tage in
Prag und war von etwa 300 Theilnehmern aus
verschiedenen Städten Böhmens und auch Mährens,
besonders Brünn, besucht. Hauptwortführer war der
bekannte Prager Professor Masaryk. Die leitenden
Grundsätze der neuen Partei klingen ganz vernünftig, rela-
tiv auch hinsichtlich des böhmischen Staatsrechts.
"Wir legen das Hauptgewicht -- sagte Masaryk als Refereut --
auf das natürliche Recht, mit welchem wir das historische
Recht beleben. Wir verwerfen nicht das historische Recht,
sondern wir verwerfen die staatsrechtlichen Utopien.
Diese werden in zweifacher Beziehung gehegt, und zwar von
den tschechischen Radikalen in Bezug auf die Zukunft, indem sie
dem Volke einen Palast des Wohlstandes versprechen, und von
den Jung- und Alttschechen in Bezug auf die Vergangenheit,
indem sie dem Volke einreden, daß die Kontinuität des Staats-
rechts nicht gestört worden sei, was jedoch seitens der tschechi-
schen Führer wiederholt geschehen ist, indem diese als legitime
Repräsentanten die Kontinuität nicht vertreten haben."
Ein



[Spaltenumbruch]

nun wieder die Helden "unsres Gerhart" abstammen,
dessen "Weber" besonders unsittlich sind, weil sie nach
Agitatorenmanier nur zur Empörung aufreizen, statt den
Klassengegensatz im Licht einer höheren Weltanschauung
dichterisch auszugleichen.

Jene Willensunfähigkeit ist in der That charakteristisch
für die neue Richtung in der Literatur, welche in den
breiteren Schichten des Volkes glücklicherweise nur wenig
Anklang findet, obwohl die unerhörte Reklame der Herren
darüber leicht täuschen kann. Ich wurde an diese That-
sache neulich recht lebhaft bei der Aufführung des neu-
einstudirten Sudermann'schen "Johannes" im Deutschen
Theater erinnert, wo Frl. Hedwig Lange aus München
in der Rolle der Salome übrigens vielen Beifall erntete.
Genau so wie der Schmied in Max Halbe's schon ver-
gessenem "Tausendjährigem Reich" ist Johannes ein gleich
bei seinem ersten Auftreten sertiger Charakter, ein passiver
Uebermensch, durch und durch ungermanisch, denn das
germanische Drama unterscheidet sich von der französischen
und altgriechischen Tragödie zu seinem Vortheil gerade
durch die Ungebundenheit, Willens- und Thatkraft seines
Helden. Aber um solche Charaktere schaffen zu können,
muß der Dichter ungewöhnliche Gestaltungskraft besitzen,
wie er, um seinem Volk Ideale geben zu können, erst
selbst darüber verfügen muß. Es ist recht bezeichnend für
die Verzärtelung, um nicht zu sagen Entartung dieses
Geschmacks, daß ein hiesiger angesehener Theaterkritiker
anläßlich einer Neueinstudirung des "Macbeth" im Schiller-
Theater allen Ernstes behaupten konnte, dieser "allgemach
im Blut watende Gewaltmensch Macbeth" sei "außerhalb
unsres Verständnisses geblieben." Warum --? weil diese
herrlichste Figur Shakespeare's viel Blut vergießt --?
schwerlich, denn an solchen Blutmenschen fehlt's doch noch
heute nicht und der Blutstrom, in dem ein Chamberlain
watet, ist ungleich tiefer. Nein, weil diese Figur im
Gegensatz zu unsern modernen waschlappigen Bühnen-
helden einen starken Willen besitzt. Und das können unsre
kranken Nerven nicht mehr ertragen. Und doch fehlt es
auch in unsrer Zeit nicht an Thatkraft und Ausdauer,
auf dem Gebiet der Wissenschaft beispielsweise. Aber
freilich, mit der haben viele unsrer Modernen, im Gegen-
satz zu einem Goethe, so wenig Fühlung wie mit dem
[Spaltenumbruch] Leben. Die blicken nur in sich hinein, um ihre kleinen
Leidenschaften in lächerlichster Selbstüberschätzung nach
Art des Frosches in der Fabel aufzublähen und ihnen
eine welterschütternde Bedeutung beizumessen. Das thut
übrigens auch Ibsen, der nun, nach den Helden seiner
Stücke in "Wenn wir Todten erwachen", das im "Deut-
schen Theater" einen so geringen Erfolg hatte, selbst eine
Generalbeichte abgelegt hat.

Macbeth fand, um auf ihn zurückzukommen, im
"Schillertheater" in der That nur eine kühle Aufnahme.
Aber warum --? weil die Leute von Liliput, welche heute
das Schicksal unsrer meisten Bühnen leiten, an den eng-
lischen Gulliver ihren Däumlingsmaßstab anlegen wollen.
Wie ein geschwollener Gebirgsbach über Felsen, so stürmt
bei Shakespeare die Handlung vorwärts, ohne sich um
die Hindernisse von Ort und Zeit zu kümmern. Die
Bühneneinrichtung war damals so primitiv, daß ein Orts-
wechsel nicht die geringsten scenischen Schwierigkeiten
machte, nicht den geringsten Zeitverlust erforderte. Heute
ist das anders geworden, und statt nun das Unwichtige,
die Scenerie, dem Wichtigen, der Handlung, zu opfern,
verfährt man just umgekehrt, indem man, weit shake-
spearischer als Shakespeare selbst, der Orts- und Zeitfarbe
eine übertriebene Bedeutung beilegt. Jede der zahlreichen
Verwandlungen erfordert endlose Pausen, die jede Span-
nung, jede Illusion zerstören müssen. Und dann wundern
sich unsre Däumlinge, daß ein so verhunzter Shakespeare
keinen mächtigeren Eindruck macht als die Detailmalerei
ihrer Sächelchen. Ein Meister in dieser Detailmalerei ist
übrigens der italienische Darsteller Novelli, der im Lessing-
Theater mit seiner ungewöhnlich gut eingespielten Truppe
in einer ganzen Reihe von Stücken auftrat, mit denen er
schon in Paris starken Beifall erntete. Wie die dramati-
schen Dichter, so ihre Darsteller! Man kann diesen keinen
Vorwurf daraus machen, daß sie sich derart in die Einzel-
heiten verlieren, daß darunter nur zu oft die Klarheit
der Umtrißlinien verloren geht.

Unter diesem Fehler leidet bekanntlich auch die
moderne Malerei. Um so erfreulicher sind künstlerische
Individualitäten, die ihre eigenen Wege gehen und, der
Suggestion der Mode widerstehend, durch eine organische
Fortentwicklung zur Freilichtmalerei gelangten, welche,
[Spaltenumbruch] bei anderen minder eigenartigen Künstlernaturen nur das
Ergebniß der Nachahnung, der Anempfindung einer sich
nicht aus innerer Nothwendigkeit vollziehenden Wandlung
ist. Ich denke da in erster Linie an die Ausstellungen
des Karlsruher Meisters Gustav Schönleber und Hubert
v. Herkomers im Salon Schulte. Schönleber, dessen "Eng-
wehr" von den ausgestellten Bildern das Wesen seiner
Kunst wohl am reinsten spiegelt, bildet sich nicht ein, über
der Tradition zu stehen. Er hat sie fortentwickelt und
ihre Empfindung für Luft und Licht gewissermaßen von
Bild zu Bild verklärt, dadurch die Mängel, die Gewaltsam-
keiten der französischen Impressionisten vermeidend.

Einen hohen und ganz ungetrübten künstlerischen
Genuß bot die Ausstellung des großen englischen Meisters,
die für Berlin geradezu ein künstlerisches Ereigniß be-
deutet. In seiner Vielseitigkeit erinnert Herkomer, der im
Oelbild, ein Aquarell, in der Radirung, sogar im Email
eine gleiche Meisterschaft bekundet, an die großen Vor-
bilder der Renaissance. Vor der "Dame in Weiß" weilen
wohl die meisten Besucher lange Zeit in stiller Bewunde-
rung. Das ist klassisch und modern zu gleicher Zeit. Die
schwierige Aufgabe eines Gemäldes ganz in Weiß ist mit
einer derartigen Beherrschung der Technik gelöst, daß
man keinen Augenblick, wie es bei Virtuosenkunststücken
der Fall ist, von dem geistigen Inhalt des Kunstwerks
abgelenkt wird. Klassisch wirkt die vornehme Natürlich-
keit der Frauenerscheinung, ihre schlichte Haltung, die Be-
tonung des Wesentlichen und Charakteristischen, modern
die Ausführung des Bildes in allen Theilen. In "Ein
Hurrah der Königin" hat Herkomer die Entdecker (?) der
Freilichtmalerei schon vor einem Vierteljahrhundert vor-
geahnt. Und wie wunderbar schön ist das "Unser Dorf"
betitelte Gemälde, das einen traulichen Dorfplatz mit
majestätischen Bäumen darstellt. Die darüberliegende Abend-
stimmung verleiht der aus dem Bilde deutlich sprechenden
Liebe des Meisters für seine Heimath einen noch innigeren
und weihevolleren Ausdruck. Wie einfach ist die Haltung
und das Geberdenspiel der Menschengruppen und wie
kunstvoll doch die Komposition!



München, Dienſtag Allgemeine Zeitung 3. April 1900. Nr. 91.
[Spaltenumbruch]

ſeien, bei der Friſtanſetzung für die Beibringung der er-
forderlichen Ausweiſe oder eventuell bei der Vollziehung der
Ausweiſung von jeder ungerechtfertigten Härte Umgang zu
nehmen.

Eine Verſtändigung kam denn auch auf dieſer Baſis
zuſtande und wir haben ſeither von in Preußen nieder-
gelaſſenen Schweizern keine Beſchwerden mehr erhalten.“

Kleine Nachrichten.

* Im wiſſenſchaftlichen Verein in M.-Gladbach hielt
Profeſſor Oncken aus Gießen einen Vortrag über Bismarck
und Lothar Bucher, wobei er beſtimmt erklärte, daß ein
dritter Band der Bismarck’ſchen Gedanken und
Erinnerungen
exiſtire und von Bismarcks Entlaſſung
handle. Die heutige Generation würde jedoch ſein Erſcheinen
nicht mehr erleben. — Die „Köln. Volkszeitung“ ſchreibt zur
Flottendeckungsfrage, ſie zweifle nun nicht mehr, daß
dieſe Frage befriedigenderweiſe gelöst werden
würde, weil auch die Regierung von dem Ernſt der Lage
überzeugt ſei. Von den bisherigen Vorſchlägen ſeien die Ein-
führung eines Konnoſſementſtempels, die Verdoppelung des
Lotterieſtempels, die wirkſamere Ausgeſtaltung des Börſen-
ſtempels, die Steuer auf Saccharin, die Erhöhung der Zoll-
ſätze auf gewiſſe Luxusſachen ganz unbedenklich. — Im
preußiſchen Lehrerbeſoldungsgeſetz wird den Lehr-
kräften, die vor ihrem Eintritt in den öffentlichen Volksſchul-
dienſt an Privatſchulen thätig geweſen ſind, dieſe Zeit bei
Bemeſſung der Alterszulagen voll in Anrechnung gebracht,
wenn in den betreffenden Privatſchulen nach dem Lehrplan
einer öffentlichen Volksſchule unterrichtet wird. Bei der Durch-
führung dieſer Beſtimmung haben ſich nicht geringe Schwierig-
keiten herausgeſtellt, da ſehr viele Privatſchulen über die Auf-
gaben des Volksſchulunterrichts hinausgehende
Ziele
verfolgen. In dieſem Falle ſind nur Ausnahmen ge-
macht worden, wo im konfeſſionellen Intereſſe in der
Diaſpora zum Erſatz konfeſſioneller Volksſchulen Privat-
ſchulen mit dem Lehrplan der öffentlichen Elementarſchulen
eingerichtet worden ſind, nicht aber, wo lediglich beſondere
Intereſſen einzelner Orte und Bevölkerungskreiſe vorlagen.
Im übrigen hat die Unterrichtsverwaltung, wie ſie ver-
ſichert, die einzelnen an ſie herangetretenen „Grenzfälle“ nach
jeder Richtung hin ſo wohlwollend geprüſt, als dies den
bindenden Vorſchriften des Geſetzes gegenüber zuläſſig iſt.
Denjenigen Lehrperſonen, welche in früherer Zeit eine Schul-
aufſichtsbehörde zum Dienſt an Privatſchulen, in denen nicht
nach dem Lehrplan einer öffentlichen Volksſchule unterrichtet
worden ſei, beurlaubt hat, iſt dieſe Dienſtzeit ſelbſt danu
gerechnet worden, wenn der Urlaub über diejenige Zeitdauer
hinaus ging, für welche nach der von dem Unterrichtsminiſter
ertheilten Ermächtigung die Provinzialbehörden Urlaub er-
theilen dürfen. Ferner iſt denjenigen Lehrperſonen, welche
von einer Schulaufſichtsbehörde mit der Wahrnehmung einer
Stelle an einer Privatſchule beauftragt waren und ſich
über den privaten Charakter der Schule im Irrthum befinden
konnten oder welchen von der vorgeſetzten Behörde, wenn
auch unzuläſſiger Weiſe, Verſprechungen über die Anrechnung
der privaten Dienſtzeit gemacht ſeien, durch Gewährung per-
ſönlicher Zulagen
nach Maßgabe der vorhandenen Mittel
eine angemeſſene Enſchädigung für die nicht zuläſſige Anrech-
nung ſolcher Dienſtzeit gewährt. In gleicher Weiſe will auch
die Kultusverwaltung in ſolchen Fällen hinſichtlich der vor
Inkraftreten des Geſetzes liegenden Dienſtzeit verfahren.

Sachſen: Korpsbefehl des Prinzen Georg.

Prinz Georg von Sachſen
erließ anläßlich der Niederlegung des Oberbefehls über das
XII. Armeekorps folgenden Korpsbefehl:
„Im Begriffe, das Kommando des XII. Armeekorps ab-
zugeben, drängt es mich, dem Armeekorps ein herzliches
Wort des Abſchieds zuzurufen. Es ſind nun über 26 Jahre
her, daß ich das Kommando des Armeekorps führe, und
vorher hatte ich die Ehre, es während des größten Theiles
der ruhmreichen Kriegsjahre 1870/71 vor dem Feinde zu
führen. Immerhin haben ſich die Truppen des Armeekorps,
wie ſie tapfer und ausdauernd im Kriege waren, ſo auch im
Frieden durch Diſciplin, Pflichttreue und Eifer, es in der
Ausbildung allen dentſchen Armeekorps gleichzuthun, aus-
gezeichnet. Es war mein Stolz und meine Freude,
mich Führer des XII. Armeekorps nennen zu können. Mit
[Spaltenumbruch] Schmerzen
ſcheide ich aus dieſem ſchönen Verhältniß.
Möge, das iſt mein herzlichſter Wunſch beim Abſchied, der
bisherige ſchöne Geiſt im Armeekorps erhalten bleiben zur
Freude unſres Königs und Kriegsherrn und zum Wohl des
Vaterlandes. Das walte Gott!
gez. Georg, H. z. S.,
Generalfeldmarſchall.“

Sachſen: Unfall- und Krankenverſicherung. — Kohlenwucher.

Der den Kammern zugegangene
Entwurf eines Geſetzes betreffend die Regelung der Unfall-
und Krankenverſicherung
der in land- und forſt-
wirthſchaftlichen Betrieben
beſchäftigten Perſonen,
ſowie der Krankenverſicherungspflicht der häuslichen Dienſt-
boten
iſt mit Rückſicht auf die in Ausſicht genommene reichs-
geſetzliche Regelung dieſer Frage zurückgezogen worden. —
Der Stadtrath von Zwickau hat folgenden Beſchluß ge-
faßt: „Der Rath begrüßt das Ende des Kohlenarbeiter-
ſtrikes,
konſtatirt aber mit Bedauern, daß derſelbe einen
Kohlenwucher herbeiführte, indem nach den an die
Zwickauer Kohleuhändler von den Großhändlern des nord-
weſtböhmiſchen Kohlenreviers ergangenen neuen Preisliſten
die Kohlenpreiſe per Waggon um 20 bis 28 Kronen
gegen den Preis vor dem Strike erhöht wurden. Dadurch
findet eine Ausbeutung aller Klaſſen der Bevölkerung ſtatt.
Dieſe Preiserhöhung iſt auch dann, wenn die Arbeiter die in
Ausſicht geſtellte Lohnerhöhung erhalten ſollten, nicht gerecht-
fertigt. Im allgemeinen Intereſſe hält ſich der Stadtrath von
Zwickau für verpflichtet, gegen dieſen Kohlenwucher zu prote-
ſtiren, und erſucht die Regierung, in dieſer Frage zum
Schutze der Bevölkerung die erforderlichen Schritte einzu-
leiten.“

Baden: Bismarck-Feier.

Heute fand unter großer
Betheiligung die Enthüllung des Bismarck-Denkmals
ſtatt. Das vor dem Denkmal errichtete Fürſtenzelt blieb ge-
ſchloſſen, da ſowohl der Großherzog als auch Prinz Karl
von Baden wegen Unwohlſeins abgeſagt hatten. Die badiſche
Regierung war vertreten durch den Miniſter des Aeußern,
v. Brauer, die preußiſche durch den Attaché bei der Pariſer
Botſchaft, v. Miquel, der an Stelle des beurlaubten Ge-
ſandten in Karlsruhe, v. Eiſendecher, erſchienen war. An
dem Feſtzug betheiligten ſich zahlreiche Mannheimer Vereine;
der Feſtplatz und die Straßen waren reich geſchmückt. Die
Weiherede wurde von dem Vorſitzenden des Denkmals-
ausſchuſſes, Dr. Adolf Clemm, gehalten. Bürgermeiſter
Martin übernahm in Vertretung des erkrankten Ober-
bürgermeiſters Beck das Denkmal in das Eigenthum der
Stadt. Geſchaffen iſt das Denkmal von Prof. Hundrieſer
in Charlottenburg. Die Koloſſalſigur des Fürſten iſt 3.10 m
hoch; vor ihm liegt ein Germane, die deutſche Wehrkraft dar-
ſtellend.

Oeſterreich-Ungarn.
Die Verlobung des Prinzen Maximilian von Baden.

Prinz Maximilian von
Baden,
der künftige Thronfolger, iſt in ſeine Heimath
zurückgekehrt, nachdem ſeine Verlobung mit der Prin-
zeſſin Marie Louiſe von Cumberland in aller
Form gefeiert worden war. Die Feſtlichkeiten erhielten
ihren Abſchluß durch das Diner, zu welchem der deutſche
Botſchaſter Fürſt zu Eulenburg am letzten Tag der
Anweſenheit des Prinzen das Brautpaar und einige andere
Gäſte, unter ihnen ſelbſtverſtändlich auch die Eltern der
Braut, den Herzog und die Herzogin von Cumberland,
lud. Es iſt nicht das erſte Mal, daß die herzogliche
Familie von Cumberland in der deutſchen Votſchaft zu
Wien zu Gaſte war; ſeit längerer Zeit beſtehen die anfangs
vielbemerkten geſellſchaftlichen Beziehungen, denen von
vornherein auch eine gewiſſe politiſche Wichtigkeit beige-
meſſen wurde.

Uebrigens nahmen die Erörterungen in der Preſſe
über die politiſche Bedeutung der Verbindung der Häuſer
Zähringen und Cumberland einen größeren Raum ein,
als den Umſtänden entſpricht. Man ſtellte tiefſinnige
Betrachtungen darüber an, ob die Verlobung in Wien
ein Anzeichen ſei für ſteigende Ausſichten des Welfen-
hauſes auf den Beſitz Braunſchweigs
oder nicht.
Wer ſo zu urtheilen oder zu ſchließen verſucht, macht ſich,
wie wenigſtens berufene Kreiſe verſichern, einer Ver-
[Spaltenumbruch] miſchung zweier ganz verſchiedener Verhältniſſe ſchuldig.
Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß die Verlobung des künftigen
Thronfolgers von Baden mit der Prinzeſſin von Cumber-
land vor ihrem Vollzug auch an maßgebender Stelle zu
Berlin erwogen und beſprochen wurde; aber die Zuſtim-
mung zu der Verbindung war nicht abhängig von den
Entſchlüſſen bezüglich der Zukunft Braunſchweigs, Ueber
die Schickſale dieſes Landes wurde bei dieſem Anlaß nicht
entſchieden; die Familienangelegenheit und die politiſche Frage
wurden ſorgfältig auseinandergehalten. Man vergeſſe nicht,
daß es unbillig wäre, den Häuſern Cumberland und Naſſau
das Konnubium mit den deutſchen fürſtlichen Familien zu
verwehren; es wäre ſogar unklug, jene ehemals in Deutſch-
land ſouveränen Häuſer, die ihren deutſchen Charakter
doch nicht eingebüßt haben, ausſchließlich auf eheliche Ver-
bindungen mit dem Auslande zu verweiſen. Es beſteht
auch ein zu ſtarkes Gefühl der Zuſammengehörigkeit unter
den Familien des deutſchen höchſten Adels, als daß ſich
ſolche Ausſchließung auf die Dauer durchführen ließe.
Unter den ehemals regierenden Familien Europa’s ſind
nur die Bonapartes nach dem Sturze Napoleons III. von
der Verbindung mit anderen fürſtlichen Häuſern aus-
geſchloſſen geblieben, und auch dies mehr wegen der per-
ſönlichen Eigenſchaften ihrer Mitglieder, denn aus prin-
zipiellen Gründen. Das Welfenhaus, das in einem ſeiner
Zweige in England regiert, befindet ſich doch in einer
ganz verſchiedenen Lage.

Die liebenswürdige Prinzeſſin, die beſtimmt ſein dürfte,
dereinſt an Seite ihres Gemahls als Herrſcherin über dem
ſchönen badiſchen Lande zu walten, bietet durch alle ihre An-
lagen die Bürgſchaft für die volle Erfüllung der ihrer harren-
den Pflichten. Der zu Wien geſchloſſene Herzensbund hat
ſonach mit der Politik nur in negativer Hinſicht etwas
zu ſchaffen; die letztere trat ihm nicht ſtörend entgegen,
ſondern ließ das Brautpaar und die der Verbindung ge-
neigten Verwandten desſelben einfach gewähren. Die
Entſcheidung über die Zukunft Braunſchweigs wird ſich
ausſchließlich danach richten, was zum Wohl des Reichs
wie des Landes für erſprießlich gehalten werden wird;
dynaſtiſche Rückſichten werden darauf keinen Einfluß
nehmen dürfen.

Parteibildungen.

* An politiſchen Parteien iſt in Oeſterreich bekanntlich
kein Mangel, im Reichsrath gibt es deren etwa 18, in den
Landtagen fehlt natürlich jeweils ein großer Theil derſelben,
zumal der ſpeziſiſch nationalen Parteien, dafür tragen manche
Landtagsparteien eine etwas andere Farbe, als die ihnen ent-
ſprechenden Reichsrathsparteien, oder ſind wieder in beſondere
Gruppen geſpalten; überdies gibt es verſchiedene Parteien,
die keine oder wenigſtens keine nennenswerthe parlamentariſche
Vertretung haben. Am weiteſten iſt die Zerklüftung ſeit langen
Jahren unter den Deutſchen gediehen, neuerdings ſieht es
aber auch im tſchechiſchen Lager recht bunt aus. Man hat
da tſchechiſche Großgrundbeſitzer, Alttſchechen, Jungtſchechen
(Freiſinuige Nationalpartei), Radikal-Nationale, tſchechiſch-
nationale Arbeiterpartei, tſchechiſche Sozialdemokraten, Agrarier-
partei u. ſ. w. Jetzt eben hat ſich nun eine neue Partei
organiſirt, die ſich „tſchechiſche Volkspartei“ nennt und
aus den bisher ſogenannten Realiſten gebildet wird. Die
konſtituirende Verſammlung tagte die letzten zwei Tage in
Prag und war von etwa 300 Theilnehmern aus
verſchiedenen Städten Böhmens und auch Mährens,
beſonders Brünn, beſucht. Hauptwortführer war der
bekannte Prager Profeſſor Maſaryk. Die leitenden
Grundſätze der neuen Partei klingen ganz vernünftig, rela-
tiv auch hinſichtlich des böhmiſchen Staatsrechts.
„Wir legen das Hauptgewicht — ſagte Maſaryk als Refereut —
auf das natürliche Recht, mit welchem wir das hiſtoriſche
Recht beleben. Wir verwerfen nicht das hiſtoriſche Recht,
ſondern wir verwerfen die ſtaatsrechtlichen Utopien.
Dieſe werden in zweifacher Beziehung gehegt, und zwar von
den tſchechiſchen Radikalen in Bezug auf die Zukunft, indem ſie
dem Volke einen Palaſt des Wohlſtandes verſprechen, und von
den Jung- und Alttſchechen in Bezug auf die Vergangenheit,
indem ſie dem Volke einreden, daß die Kontinuität des Staats-
rechts nicht geſtört worden ſei, was jedoch ſeitens der tſchechi-
ſchen Führer wiederholt geſchehen iſt, indem dieſe als legitime
Repräſentanten die Kontinuität nicht vertreten haben.“
Ein



[Spaltenumbruch]

nun wieder die Helden „unſres Gerhart“ abſtammen,
deſſen „Weber“ beſonders unſittlich ſind, weil ſie nach
Agitatorenmanier nur zur Empörung aufreizen, ſtatt den
Klaſſengegenſatz im Licht einer höheren Weltanſchauung
dichteriſch auszugleichen.

Jene Willensunfähigkeit iſt in der That charakteriſtiſch
für die neue Richtung in der Literatur, welche in den
breiteren Schichten des Volkes glücklicherweiſe nur wenig
Anklang findet, obwohl die unerhörte Reklame der Herren
darüber leicht täuſchen kann. Ich wurde an dieſe That-
ſache neulich recht lebhaft bei der Aufführung des neu-
einſtudirten Sudermann’ſchen „Johannes“ im Deutſchen
Theater erinnert, wo Frl. Hedwig Lange aus München
in der Rolle der Salome übrigens vielen Beifall erntete.
Genau ſo wie der Schmied in Max Halbe’s ſchon ver-
geſſenem „Tauſendjährigem Reich“ iſt Johannes ein gleich
bei ſeinem erſten Auftreten ſertiger Charakter, ein paſſiver
Uebermenſch, durch und durch ungermaniſch, denn das
germaniſche Drama unterſcheidet ſich von der franzöſiſchen
und altgriechiſchen Tragödie zu ſeinem Vortheil gerade
durch die Ungebundenheit, Willens- und Thatkraft ſeines
Helden. Aber um ſolche Charaktere ſchaffen zu können,
muß der Dichter ungewöhnliche Geſtaltungskraft beſitzen,
wie er, um ſeinem Volk Ideale geben zu können, erſt
ſelbſt darüber verfügen muß. Es iſt recht bezeichnend für
die Verzärtelung, um nicht zu ſagen Entartung dieſes
Geſchmacks, daß ein hieſiger angeſehener Theaterkritiker
anläßlich einer Neueinſtudirung des „Macbeth“ im Schiller-
Theater allen Ernſtes behaupten konnte, dieſer „allgemach
im Blut watende Gewaltmenſch Macbeth“ ſei „außerhalb
unſres Verſtändniſſes geblieben.“ Warum —? weil dieſe
herrlichſte Figur Shakeſpeare’s viel Blut vergießt —?
ſchwerlich, denn an ſolchen Blutmenſchen fehlt’s doch noch
heute nicht und der Blutſtrom, in dem ein Chamberlain
watet, iſt ungleich tiefer. Nein, weil dieſe Figur im
Gegenſatz zu unſern modernen waſchlappigen Bühnen-
helden einen ſtarken Willen beſitzt. Und das können unſre
kranken Nerven nicht mehr ertragen. Und doch fehlt es
auch in unſrer Zeit nicht an Thatkraft und Ausdauer,
auf dem Gebiet der Wiſſenſchaft beiſpielsweiſe. Aber
freilich, mit der haben viele unſrer Modernen, im Gegen-
ſatz zu einem Goethe, ſo wenig Fühlung wie mit dem
[Spaltenumbruch] Leben. Die blicken nur in ſich hinein, um ihre kleinen
Leidenſchaften in lächerlichſter Selbſtüberſchätzung nach
Art des Froſches in der Fabel aufzublähen und ihnen
eine welterſchütternde Bedeutung beizumeſſen. Das thut
übrigens auch Ibſen, der nun, nach den Helden ſeiner
Stücke in „Wenn wir Todten erwachen“, das im „Deut-
ſchen Theater“ einen ſo geringen Erfolg hatte, ſelbſt eine
Generalbeichte abgelegt hat.

Macbeth fand, um auf ihn zurückzukommen, im
„Schillertheater“ in der That nur eine kühle Aufnahme.
Aber warum —? weil die Leute von Liliput, welche heute
das Schickſal unſrer meiſten Bühnen leiten, an den eng-
liſchen Gulliver ihren Däumlingsmaßſtab anlegen wollen.
Wie ein geſchwollener Gebirgsbach über Felſen, ſo ſtürmt
bei Shakeſpeare die Handlung vorwärts, ohne ſich um
die Hinderniſſe von Ort und Zeit zu kümmern. Die
Bühneneinrichtung war damals ſo primitiv, daß ein Orts-
wechſel nicht die geringſten ſceniſchen Schwierigkeiten
machte, nicht den geringſten Zeitverluſt erforderte. Heute
iſt das anders geworden, und ſtatt nun das Unwichtige,
die Scenerie, dem Wichtigen, der Handlung, zu opfern,
verfährt man juſt umgekehrt, indem man, weit ſhake-
ſpeariſcher als Shakeſpeare ſelbſt, der Orts- und Zeitfarbe
eine übertriebene Bedeutung beilegt. Jede der zahlreichen
Verwandlungen erfordert endloſe Pauſen, die jede Span-
nung, jede Illuſion zerſtören müſſen. Und dann wundern
ſich unſre Däumlinge, daß ein ſo verhunzter Shakeſpeare
keinen mächtigeren Eindruck macht als die Detailmalerei
ihrer Sächelchen. Ein Meiſter in dieſer Detailmalerei iſt
übrigens der italieniſche Darſteller Novelli, der im Leſſing-
Theater mit ſeiner ungewöhnlich gut eingeſpielten Truppe
in einer ganzen Reihe von Stücken auftrat, mit denen er
ſchon in Paris ſtarken Beifall erntete. Wie die dramati-
ſchen Dichter, ſo ihre Darſteller! Man kann dieſen keinen
Vorwurf daraus machen, daß ſie ſich derart in die Einzel-
heiten verlieren, daß darunter nur zu oft die Klarheit
der Umtrißlinien verloren geht.

Unter dieſem Fehler leidet bekanntlich auch die
moderne Malerei. Um ſo erfreulicher ſind künſtleriſche
Individualitäten, die ihre eigenen Wege gehen und, der
Suggeſtion der Mode widerſtehend, durch eine organiſche
Fortentwicklung zur Freilichtmalerei gelangten, welche,
[Spaltenumbruch] bei anderen minder eigenartigen Künſtlernaturen nur das
Ergebniß der Nachahnung, der Anempfindung einer ſich
nicht aus innerer Nothwendigkeit vollziehenden Wandlung
iſt. Ich denke da in erſter Linie an die Ausſtellungen
des Karlsruher Meiſters Guſtav Schönleber und Hubert
v. Herkomers im Salon Schulte. Schönleber, deſſen „Eng-
wehr“ von den ausgeſtellten Bildern das Weſen ſeiner
Kunſt wohl am reinſten ſpiegelt, bildet ſich nicht ein, über
der Tradition zu ſtehen. Er hat ſie fortentwickelt und
ihre Empfindung für Luft und Licht gewiſſermaßen von
Bild zu Bild verklärt, dadurch die Mängel, die Gewaltſam-
keiten der franzöſiſchen Impreſſioniſten vermeidend.

Einen hohen und ganz ungetrübten künſtleriſchen
Genuß bot die Ausſtellung des großen engliſchen Meiſters,
die für Berlin geradezu ein künſtleriſches Ereigniß be-
deutet. In ſeiner Vielſeitigkeit erinnert Herkomer, der im
Oelbild, ein Aquarell, in der Radirung, ſogar im Email
eine gleiche Meiſterſchaft bekundet, an die großen Vor-
bilder der Renaiſſance. Vor der „Dame in Weiß“ weilen
wohl die meiſten Beſucher lange Zeit in ſtiller Bewunde-
rung. Das iſt klaſſiſch und modern zu gleicher Zeit. Die
ſchwierige Aufgabe eines Gemäldes ganz in Weiß iſt mit
einer derartigen Beherrſchung der Technik gelöst, daß
man keinen Augenblick, wie es bei Virtuoſenkunſtſtücken
der Fall iſt, von dem geiſtigen Inhalt des Kunſtwerks
abgelenkt wird. Klaſſiſch wirkt die vornehme Natürlich-
keit der Frauenerſcheinung, ihre ſchlichte Haltung, die Be-
tonung des Weſentlichen und Charakteriſtiſchen, modern
die Ausführung des Bildes in allen Theilen. In „Ein
Hurrah der Königin“ hat Herkomer die Entdecker (?) der
Freilichtmalerei ſchon vor einem Vierteljahrhundert vor-
geahnt. Und wie wunderbar ſchön iſt das „Unſer Dorf“
betitelte Gemälde, das einen traulichen Dorfplatz mit
majeſtätiſchen Bäumen darſtellt. Die darüberliegende Abend-
ſtimmung verleiht der aus dem Bilde deutlich ſprechenden
Liebe des Meiſters für ſeine Heimath einen noch innigeren
und weihevolleren Ausdruck. Wie einfach iſt die Haltung
und das Geberdenſpiel der Menſchengruppen und wie
kunſtvoll doch die Kompoſition!



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[2/0002] München, Dienſtag Allgemeine Zeitung 3. April 1900. Nr. 91. ſeien, bei der Friſtanſetzung für die Beibringung der er- forderlichen Ausweiſe oder eventuell bei der Vollziehung der Ausweiſung von jeder ungerechtfertigten Härte Umgang zu nehmen. Eine Verſtändigung kam denn auch auf dieſer Baſis zuſtande und wir haben ſeither von in Preußen nieder- gelaſſenen Schweizern keine Beſchwerden mehr erhalten.“ Kleine Nachrichten. * Im wiſſenſchaftlichen Verein in M.-Gladbach hielt Profeſſor Oncken aus Gießen einen Vortrag über Bismarck und Lothar Bucher, wobei er beſtimmt erklärte, daß ein dritter Band der Bismarck’ſchen Gedanken und Erinnerungen exiſtire und von Bismarcks Entlaſſung handle. Die heutige Generation würde jedoch ſein Erſcheinen nicht mehr erleben. — Die „Köln. Volkszeitung“ ſchreibt zur Flottendeckungsfrage, ſie zweifle nun nicht mehr, daß dieſe Frage befriedigenderweiſe gelöst werden würde, weil auch die Regierung von dem Ernſt der Lage überzeugt ſei. Von den bisherigen Vorſchlägen ſeien die Ein- führung eines Konnoſſementſtempels, die Verdoppelung des Lotterieſtempels, die wirkſamere Ausgeſtaltung des Börſen- ſtempels, die Steuer auf Saccharin, die Erhöhung der Zoll- ſätze auf gewiſſe Luxusſachen ganz unbedenklich. — Im preußiſchen Lehrerbeſoldungsgeſetz wird den Lehr- kräften, die vor ihrem Eintritt in den öffentlichen Volksſchul- dienſt an Privatſchulen thätig geweſen ſind, dieſe Zeit bei Bemeſſung der Alterszulagen voll in Anrechnung gebracht, wenn in den betreffenden Privatſchulen nach dem Lehrplan einer öffentlichen Volksſchule unterrichtet wird. Bei der Durch- führung dieſer Beſtimmung haben ſich nicht geringe Schwierig- keiten herausgeſtellt, da ſehr viele Privatſchulen über die Auf- gaben des Volksſchulunterrichts hinausgehende Ziele verfolgen. In dieſem Falle ſind nur Ausnahmen ge- macht worden, wo im konfeſſionellen Intereſſe in der Diaſpora zum Erſatz konfeſſioneller Volksſchulen Privat- ſchulen mit dem Lehrplan der öffentlichen Elementarſchulen eingerichtet worden ſind, nicht aber, wo lediglich beſondere Intereſſen einzelner Orte und Bevölkerungskreiſe vorlagen. Im übrigen hat die Unterrichtsverwaltung, wie ſie ver- ſichert, die einzelnen an ſie herangetretenen „Grenzfälle“ nach jeder Richtung hin ſo wohlwollend geprüſt, als dies den bindenden Vorſchriften des Geſetzes gegenüber zuläſſig iſt. Denjenigen Lehrperſonen, welche in früherer Zeit eine Schul- aufſichtsbehörde zum Dienſt an Privatſchulen, in denen nicht nach dem Lehrplan einer öffentlichen Volksſchule unterrichtet worden ſei, beurlaubt hat, iſt dieſe Dienſtzeit ſelbſt danu gerechnet worden, wenn der Urlaub über diejenige Zeitdauer hinaus ging, für welche nach der von dem Unterrichtsminiſter ertheilten Ermächtigung die Provinzialbehörden Urlaub er- theilen dürfen. Ferner iſt denjenigen Lehrperſonen, welche von einer Schulaufſichtsbehörde mit der Wahrnehmung einer Stelle an einer Privatſchule beauftragt waren und ſich über den privaten Charakter der Schule im Irrthum befinden konnten oder welchen von der vorgeſetzten Behörde, wenn auch unzuläſſiger Weiſe, Verſprechungen über die Anrechnung der privaten Dienſtzeit gemacht ſeien, durch Gewährung per- ſönlicher Zulagen nach Maßgabe der vorhandenen Mittel eine angemeſſene Enſchädigung für die nicht zuläſſige Anrech- nung ſolcher Dienſtzeit gewährt. In gleicher Weiſe will auch die Kultusverwaltung in ſolchen Fällen hinſichtlich der vor Inkraftreten des Geſetzes liegenden Dienſtzeit verfahren. Sachſen: Korpsbefehl des Prinzen Georg. * Dresden, 31. März. Prinz Georg von Sachſen erließ anläßlich der Niederlegung des Oberbefehls über das XII. Armeekorps folgenden Korpsbefehl: „Im Begriffe, das Kommando des XII. Armeekorps ab- zugeben, drängt es mich, dem Armeekorps ein herzliches Wort des Abſchieds zuzurufen. Es ſind nun über 26 Jahre her, daß ich das Kommando des Armeekorps führe, und vorher hatte ich die Ehre, es während des größten Theiles der ruhmreichen Kriegsjahre 1870/71 vor dem Feinde zu führen. Immerhin haben ſich die Truppen des Armeekorps, wie ſie tapfer und ausdauernd im Kriege waren, ſo auch im Frieden durch Diſciplin, Pflichttreue und Eifer, es in der Ausbildung allen dentſchen Armeekorps gleichzuthun, aus- gezeichnet. Es war mein Stolz und meine Freude, mich Führer des XII. Armeekorps nennen zu können. Mit Schmerzen ſcheide ich aus dieſem ſchönen Verhältniß. Möge, das iſt mein herzlichſter Wunſch beim Abſchied, der bisherige ſchöne Geiſt im Armeekorps erhalten bleiben zur Freude unſres Königs und Kriegsherrn und zum Wohl des Vaterlandes. Das walte Gott! gez. Georg, H. z. S., Generalfeldmarſchall.“ Sachſen: Unfall- und Krankenverſicherung. — Kohlenwucher. H. Dresden, 1. April. Der den Kammern zugegangene Entwurf eines Geſetzes betreffend die Regelung der Unfall- und Krankenverſicherung der in land- und forſt- wirthſchaftlichen Betrieben beſchäftigten Perſonen, ſowie der Krankenverſicherungspflicht der häuslichen Dienſt- boten iſt mit Rückſicht auf die in Ausſicht genommene reichs- geſetzliche Regelung dieſer Frage zurückgezogen worden. — Der Stadtrath von Zwickau hat folgenden Beſchluß ge- faßt: „Der Rath begrüßt das Ende des Kohlenarbeiter- ſtrikes, konſtatirt aber mit Bedauern, daß derſelbe einen Kohlenwucher herbeiführte, indem nach den an die Zwickauer Kohleuhändler von den Großhändlern des nord- weſtböhmiſchen Kohlenreviers ergangenen neuen Preisliſten die Kohlenpreiſe per Waggon um 20 bis 28 Kronen gegen den Preis vor dem Strike erhöht wurden. Dadurch findet eine Ausbeutung aller Klaſſen der Bevölkerung ſtatt. Dieſe Preiserhöhung iſt auch dann, wenn die Arbeiter die in Ausſicht geſtellte Lohnerhöhung erhalten ſollten, nicht gerecht- fertigt. Im allgemeinen Intereſſe hält ſich der Stadtrath von Zwickau für verpflichtet, gegen dieſen Kohlenwucher zu prote- ſtiren, und erſucht die Regierung, in dieſer Frage zum Schutze der Bevölkerung die erforderlichen Schritte einzu- leiten.“ Baden: Bismarck-Feier. * Mannheim, 31. März. Heute fand unter großer Betheiligung die Enthüllung des Bismarck-Denkmals ſtatt. Das vor dem Denkmal errichtete Fürſtenzelt blieb ge- ſchloſſen, da ſowohl der Großherzog als auch Prinz Karl von Baden wegen Unwohlſeins abgeſagt hatten. Die badiſche Regierung war vertreten durch den Miniſter des Aeußern, v. Brauer, die preußiſche durch den Attaché bei der Pariſer Botſchaft, v. Miquel, der an Stelle des beurlaubten Ge- ſandten in Karlsruhe, v. Eiſendecher, erſchienen war. An dem Feſtzug betheiligten ſich zahlreiche Mannheimer Vereine; der Feſtplatz und die Straßen waren reich geſchmückt. Die Weiherede wurde von dem Vorſitzenden des Denkmals- ausſchuſſes, Dr. Adolf Clemm, gehalten. Bürgermeiſter Martin übernahm in Vertretung des erkrankten Ober- bürgermeiſters Beck das Denkmal in das Eigenthum der Stadt. Geſchaffen iſt das Denkmal von Prof. Hundrieſer in Charlottenburg. Die Koloſſalſigur des Fürſten iſt 3.10 m hoch; vor ihm liegt ein Germane, die deutſche Wehrkraft dar- ſtellend. Oeſterreich-Ungarn. Die Verlobung des Prinzen Maximilian von Baden. .F. Wien, 1. April. Prinz Maximilian von Baden, der künftige Thronfolger, iſt in ſeine Heimath zurückgekehrt, nachdem ſeine Verlobung mit der Prin- zeſſin Marie Louiſe von Cumberland in aller Form gefeiert worden war. Die Feſtlichkeiten erhielten ihren Abſchluß durch das Diner, zu welchem der deutſche Botſchaſter Fürſt zu Eulenburg am letzten Tag der Anweſenheit des Prinzen das Brautpaar und einige andere Gäſte, unter ihnen ſelbſtverſtändlich auch die Eltern der Braut, den Herzog und die Herzogin von Cumberland, lud. Es iſt nicht das erſte Mal, daß die herzogliche Familie von Cumberland in der deutſchen Votſchaft zu Wien zu Gaſte war; ſeit längerer Zeit beſtehen die anfangs vielbemerkten geſellſchaftlichen Beziehungen, denen von vornherein auch eine gewiſſe politiſche Wichtigkeit beige- meſſen wurde. Uebrigens nahmen die Erörterungen in der Preſſe über die politiſche Bedeutung der Verbindung der Häuſer Zähringen und Cumberland einen größeren Raum ein, als den Umſtänden entſpricht. Man ſtellte tiefſinnige Betrachtungen darüber an, ob die Verlobung in Wien ein Anzeichen ſei für ſteigende Ausſichten des Welfen- hauſes auf den Beſitz Braunſchweigs oder nicht. Wer ſo zu urtheilen oder zu ſchließen verſucht, macht ſich, wie wenigſtens berufene Kreiſe verſichern, einer Ver- miſchung zweier ganz verſchiedener Verhältniſſe ſchuldig. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß die Verlobung des künftigen Thronfolgers von Baden mit der Prinzeſſin von Cumber- land vor ihrem Vollzug auch an maßgebender Stelle zu Berlin erwogen und beſprochen wurde; aber die Zuſtim- mung zu der Verbindung war nicht abhängig von den Entſchlüſſen bezüglich der Zukunft Braunſchweigs, Ueber die Schickſale dieſes Landes wurde bei dieſem Anlaß nicht entſchieden; die Familienangelegenheit und die politiſche Frage wurden ſorgfältig auseinandergehalten. Man vergeſſe nicht, daß es unbillig wäre, den Häuſern Cumberland und Naſſau das Konnubium mit den deutſchen fürſtlichen Familien zu verwehren; es wäre ſogar unklug, jene ehemals in Deutſch- land ſouveränen Häuſer, die ihren deutſchen Charakter doch nicht eingebüßt haben, ausſchließlich auf eheliche Ver- bindungen mit dem Auslande zu verweiſen. Es beſteht auch ein zu ſtarkes Gefühl der Zuſammengehörigkeit unter den Familien des deutſchen höchſten Adels, als daß ſich ſolche Ausſchließung auf die Dauer durchführen ließe. Unter den ehemals regierenden Familien Europa’s ſind nur die Bonapartes nach dem Sturze Napoleons III. von der Verbindung mit anderen fürſtlichen Häuſern aus- geſchloſſen geblieben, und auch dies mehr wegen der per- ſönlichen Eigenſchaften ihrer Mitglieder, denn aus prin- zipiellen Gründen. Das Welfenhaus, das in einem ſeiner Zweige in England regiert, befindet ſich doch in einer ganz verſchiedenen Lage. Die liebenswürdige Prinzeſſin, die beſtimmt ſein dürfte, dereinſt an Seite ihres Gemahls als Herrſcherin über dem ſchönen badiſchen Lande zu walten, bietet durch alle ihre An- lagen die Bürgſchaft für die volle Erfüllung der ihrer harren- den Pflichten. Der zu Wien geſchloſſene Herzensbund hat ſonach mit der Politik nur in negativer Hinſicht etwas zu ſchaffen; die letztere trat ihm nicht ſtörend entgegen, ſondern ließ das Brautpaar und die der Verbindung ge- neigten Verwandten desſelben einfach gewähren. Die Entſcheidung über die Zukunft Braunſchweigs wird ſich ausſchließlich danach richten, was zum Wohl des Reichs wie des Landes für erſprießlich gehalten werden wird; dynaſtiſche Rückſichten werden darauf keinen Einfluß nehmen dürfen. Parteibildungen. * An politiſchen Parteien iſt in Oeſterreich bekanntlich kein Mangel, im Reichsrath gibt es deren etwa 18, in den Landtagen fehlt natürlich jeweils ein großer Theil derſelben, zumal der ſpeziſiſch nationalen Parteien, dafür tragen manche Landtagsparteien eine etwas andere Farbe, als die ihnen ent- ſprechenden Reichsrathsparteien, oder ſind wieder in beſondere Gruppen geſpalten; überdies gibt es verſchiedene Parteien, die keine oder wenigſtens keine nennenswerthe parlamentariſche Vertretung haben. Am weiteſten iſt die Zerklüftung ſeit langen Jahren unter den Deutſchen gediehen, neuerdings ſieht es aber auch im tſchechiſchen Lager recht bunt aus. Man hat da tſchechiſche Großgrundbeſitzer, Alttſchechen, Jungtſchechen (Freiſinuige Nationalpartei), Radikal-Nationale, tſchechiſch- nationale Arbeiterpartei, tſchechiſche Sozialdemokraten, Agrarier- partei u. ſ. w. Jetzt eben hat ſich nun eine neue Partei organiſirt, die ſich „tſchechiſche Volkspartei“ nennt und aus den bisher ſogenannten Realiſten gebildet wird. Die konſtituirende Verſammlung tagte die letzten zwei Tage in Prag und war von etwa 300 Theilnehmern aus verſchiedenen Städten Böhmens und auch Mährens, beſonders Brünn, beſucht. Hauptwortführer war der bekannte Prager Profeſſor Maſaryk. Die leitenden Grundſätze der neuen Partei klingen ganz vernünftig, rela- tiv auch hinſichtlich des böhmiſchen Staatsrechts. „Wir legen das Hauptgewicht — ſagte Maſaryk als Refereut — auf das natürliche Recht, mit welchem wir das hiſtoriſche Recht beleben. Wir verwerfen nicht das hiſtoriſche Recht, ſondern wir verwerfen die ſtaatsrechtlichen Utopien. Dieſe werden in zweifacher Beziehung gehegt, und zwar von den tſchechiſchen Radikalen in Bezug auf die Zukunft, indem ſie dem Volke einen Palaſt des Wohlſtandes verſprechen, und von den Jung- und Alttſchechen in Bezug auf die Vergangenheit, indem ſie dem Volke einreden, daß die Kontinuität des Staats- rechts nicht geſtört worden ſei, was jedoch ſeitens der tſchechi- ſchen Führer wiederholt geſchehen iſt, indem dieſe als legitime Repräſentanten die Kontinuität nicht vertreten haben.“ Ein nun wieder die Helden „unſres Gerhart“ abſtammen, deſſen „Weber“ beſonders unſittlich ſind, weil ſie nach Agitatorenmanier nur zur Empörung aufreizen, ſtatt den Klaſſengegenſatz im Licht einer höheren Weltanſchauung dichteriſch auszugleichen. Jene Willensunfähigkeit iſt in der That charakteriſtiſch für die neue Richtung in der Literatur, welche in den breiteren Schichten des Volkes glücklicherweiſe nur wenig Anklang findet, obwohl die unerhörte Reklame der Herren darüber leicht täuſchen kann. Ich wurde an dieſe That- ſache neulich recht lebhaft bei der Aufführung des neu- einſtudirten Sudermann’ſchen „Johannes“ im Deutſchen Theater erinnert, wo Frl. Hedwig Lange aus München in der Rolle der Salome übrigens vielen Beifall erntete. Genau ſo wie der Schmied in Max Halbe’s ſchon ver- geſſenem „Tauſendjährigem Reich“ iſt Johannes ein gleich bei ſeinem erſten Auftreten ſertiger Charakter, ein paſſiver Uebermenſch, durch und durch ungermaniſch, denn das germaniſche Drama unterſcheidet ſich von der franzöſiſchen und altgriechiſchen Tragödie zu ſeinem Vortheil gerade durch die Ungebundenheit, Willens- und Thatkraft ſeines Helden. Aber um ſolche Charaktere ſchaffen zu können, muß der Dichter ungewöhnliche Geſtaltungskraft beſitzen, wie er, um ſeinem Volk Ideale geben zu können, erſt ſelbſt darüber verfügen muß. Es iſt recht bezeichnend für die Verzärtelung, um nicht zu ſagen Entartung dieſes Geſchmacks, daß ein hieſiger angeſehener Theaterkritiker anläßlich einer Neueinſtudirung des „Macbeth“ im Schiller- Theater allen Ernſtes behaupten konnte, dieſer „allgemach im Blut watende Gewaltmenſch Macbeth“ ſei „außerhalb unſres Verſtändniſſes geblieben.“ Warum —? weil dieſe herrlichſte Figur Shakeſpeare’s viel Blut vergießt —? ſchwerlich, denn an ſolchen Blutmenſchen fehlt’s doch noch heute nicht und der Blutſtrom, in dem ein Chamberlain watet, iſt ungleich tiefer. Nein, weil dieſe Figur im Gegenſatz zu unſern modernen waſchlappigen Bühnen- helden einen ſtarken Willen beſitzt. Und das können unſre kranken Nerven nicht mehr ertragen. Und doch fehlt es auch in unſrer Zeit nicht an Thatkraft und Ausdauer, auf dem Gebiet der Wiſſenſchaft beiſpielsweiſe. Aber freilich, mit der haben viele unſrer Modernen, im Gegen- ſatz zu einem Goethe, ſo wenig Fühlung wie mit dem Leben. Die blicken nur in ſich hinein, um ihre kleinen Leidenſchaften in lächerlichſter Selbſtüberſchätzung nach Art des Froſches in der Fabel aufzublähen und ihnen eine welterſchütternde Bedeutung beizumeſſen. Das thut übrigens auch Ibſen, der nun, nach den Helden ſeiner Stücke in „Wenn wir Todten erwachen“, das im „Deut- ſchen Theater“ einen ſo geringen Erfolg hatte, ſelbſt eine Generalbeichte abgelegt hat. Macbeth fand, um auf ihn zurückzukommen, im „Schillertheater“ in der That nur eine kühle Aufnahme. Aber warum —? weil die Leute von Liliput, welche heute das Schickſal unſrer meiſten Bühnen leiten, an den eng- liſchen Gulliver ihren Däumlingsmaßſtab anlegen wollen. Wie ein geſchwollener Gebirgsbach über Felſen, ſo ſtürmt bei Shakeſpeare die Handlung vorwärts, ohne ſich um die Hinderniſſe von Ort und Zeit zu kümmern. Die Bühneneinrichtung war damals ſo primitiv, daß ein Orts- wechſel nicht die geringſten ſceniſchen Schwierigkeiten machte, nicht den geringſten Zeitverluſt erforderte. Heute iſt das anders geworden, und ſtatt nun das Unwichtige, die Scenerie, dem Wichtigen, der Handlung, zu opfern, verfährt man juſt umgekehrt, indem man, weit ſhake- ſpeariſcher als Shakeſpeare ſelbſt, der Orts- und Zeitfarbe eine übertriebene Bedeutung beilegt. Jede der zahlreichen Verwandlungen erfordert endloſe Pauſen, die jede Span- nung, jede Illuſion zerſtören müſſen. Und dann wundern ſich unſre Däumlinge, daß ein ſo verhunzter Shakeſpeare keinen mächtigeren Eindruck macht als die Detailmalerei ihrer Sächelchen. Ein Meiſter in dieſer Detailmalerei iſt übrigens der italieniſche Darſteller Novelli, der im Leſſing- Theater mit ſeiner ungewöhnlich gut eingeſpielten Truppe in einer ganzen Reihe von Stücken auftrat, mit denen er ſchon in Paris ſtarken Beifall erntete. Wie die dramati- ſchen Dichter, ſo ihre Darſteller! Man kann dieſen keinen Vorwurf daraus machen, daß ſie ſich derart in die Einzel- heiten verlieren, daß darunter nur zu oft die Klarheit der Umtrißlinien verloren geht. Unter dieſem Fehler leidet bekanntlich auch die moderne Malerei. Um ſo erfreulicher ſind künſtleriſche Individualitäten, die ihre eigenen Wege gehen und, der Suggeſtion der Mode widerſtehend, durch eine organiſche Fortentwicklung zur Freilichtmalerei gelangten, welche, bei anderen minder eigenartigen Künſtlernaturen nur das Ergebniß der Nachahnung, der Anempfindung einer ſich nicht aus innerer Nothwendigkeit vollziehenden Wandlung iſt. Ich denke da in erſter Linie an die Ausſtellungen des Karlsruher Meiſters Guſtav Schönleber und Hubert v. Herkomers im Salon Schulte. Schönleber, deſſen „Eng- wehr“ von den ausgeſtellten Bildern das Weſen ſeiner Kunſt wohl am reinſten ſpiegelt, bildet ſich nicht ein, über der Tradition zu ſtehen. Er hat ſie fortentwickelt und ihre Empfindung für Luft und Licht gewiſſermaßen von Bild zu Bild verklärt, dadurch die Mängel, die Gewaltſam- keiten der franzöſiſchen Impreſſioniſten vermeidend. Einen hohen und ganz ungetrübten künſtleriſchen Genuß bot die Ausſtellung des großen engliſchen Meiſters, die für Berlin geradezu ein künſtleriſches Ereigniß be- deutet. In ſeiner Vielſeitigkeit erinnert Herkomer, der im Oelbild, ein Aquarell, in der Radirung, ſogar im Email eine gleiche Meiſterſchaft bekundet, an die großen Vor- bilder der Renaiſſance. Vor der „Dame in Weiß“ weilen wohl die meiſten Beſucher lange Zeit in ſtiller Bewunde- rung. Das iſt klaſſiſch und modern zu gleicher Zeit. Die ſchwierige Aufgabe eines Gemäldes ganz in Weiß iſt mit einer derartigen Beherrſchung der Technik gelöst, daß man keinen Augenblick, wie es bei Virtuoſenkunſtſtücken der Fall iſt, von dem geiſtigen Inhalt des Kunſtwerks abgelenkt wird. Klaſſiſch wirkt die vornehme Natürlich- keit der Frauenerſcheinung, ihre ſchlichte Haltung, die Be- tonung des Weſentlichen und Charakteriſtiſchen, modern die Ausführung des Bildes in allen Theilen. In „Ein Hurrah der Königin“ hat Herkomer die Entdecker (?) der Freilichtmalerei ſchon vor einem Vierteljahrhundert vor- geahnt. Und wie wunderbar ſchön iſt das „Unſer Dorf“ betitelte Gemälde, das einen traulichen Dorfplatz mit majeſtätiſchen Bäumen darſtellt. Die darüberliegende Abend- ſtimmung verleiht der aus dem Bilde deutlich ſprechenden Liebe des Meiſters für ſeine Heimath einen noch innigeren und weihevolleren Ausdruck. Wie einfach iſt die Haltung und das Geberdenſpiel der Menſchengruppen und wie kunſtvoll doch die Kompoſition! Eugen v. Jagow.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 91, 3. April 1900, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine91_1900/2>, abgerufen am 21.11.2024.