Allgemeine Zeitung, Nr. 96, 6. April 1849.Beilage zu Nr. 96 der Allgemeinen Zeitung vom 6 April 1849. [Spaltenumbruch] Gnizot und Thiers. (Beschluß.) Dieß ist mithin der Standpunkt aus dem Guizot die Beantwortung Das Wort und die Idee der Demokratie, so beginnt das Buch, haben Guizot geht weiter. Er scheidet die demokratische von der socialen Die sociale Republik endlich ist "ebenso widerwärtig als unmöglich. Aus den Elementen dieser Gesellschaft will nun Guizot die Regierung Faßt man nun diese Betrachtungen zu einem gemeinsamen Resultat Beilage zu Nr. 96 der Allgemeinen Zeitung vom 6 April 1849. [Spaltenumbruch] Gnizot und Thiers. (Beſchluß.) Dieß iſt mithin der Standpunkt aus dem Guizot die Beantwortung Das Wort und die Idee der Demokratie, ſo beginnt das Buch, haben Guizot geht weiter. Er ſcheidet die demokratiſche von der ſocialen Die ſociale Republik endlich iſt „ebenſo widerwärtig als unmöglich. Aus den Elementen dieſer Geſellſchaft will nun Guizot die Regierung Faßt man nun dieſe Betrachtungen zu einem gemeinſamen Reſultat <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zu Nr. 96 der Allgemeinen Zeitung vom 6 April 1849.</hi> </titlePart> </docTitle> </titlePage> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <head><hi rendition="#b">Gnizot und Thiers.</hi><lb/> (Beſchluß.)</head><lb/> <p>Dieß iſt mithin der Standpunkt aus dem Guizot die Beantwortung<lb/> der eigentlichen Frage der Politik nach der beſten Form der Regierung<lb/> unternimmt, und, wie geſagt, als dieſe Beantwortung finden wir nur<lb/> das immer wiederholte Urtheil daß die Republik, und vor allem die demo-<lb/> kratiſche Republik, die abſolut verderbliche Form für das Ganze wie den<lb/> Einzelnen ſey. Dieſer Angriff auf die Republik ermangelt nun keines-<lb/> wegs großer Tiefe und Bedeutung; doch werden wir dieſen Theil nur kurz<lb/> berühren, denn das Buch ſelber iſt in jedermanns Händen. Es kommt<lb/> uns zunächſt darauf an nachzuweiſen wie dieſe Bekämpfung der Republik<lb/> mit der oben dargelegten höheren Auffaſſung innig zuſammenhängt.</p><lb/> <p>Das Wort und die Idee der Demokratie, ſo beginnt das Buch, haben<lb/> in dieſem Augenblick eine ungemeine Gewalt; ein jeder der herrſchen will,<lb/> ſchreibt ihren Namen auf ſeine Fahne. Woher kommt dieß? Weil die<lb/> Demokratie „allen Trieben, den ſchlechten wie den guten, unendliche Aus-<lb/> ſichten und Verſprechungen bietet.“ Das iſt der Grund ſeiner Macht,<lb/> allein das iſt auch der Grund ſeiner Gefahr. Denn die Demokratie iſt<lb/> eben dadurch die „Entfeſſelung der ganzen menſchlichen Natur auf der<lb/> ganzen Ausdehnung und in allen Tiefen der Geſellſchaft, und als Folge<lb/> hiervon der thatſächliche, allgemeine, andauernde Kampf zwiſchen ihren<lb/> guten und böſen Trieben.“ In dieſem Kampfe geht nun das Gute unter,<lb/> wenn nicht die äußere Gewalt, die Regierung hilft. Allein das iſt der<lb/> Fluch der Demokratie daß ſie dieſe hohe Aufgabe den Regierungen un-<lb/> möglich macht. Die Demokratie zwingt die Regierung „jeden Augenblick<lb/> ſelbſt das Knie vor den ſchlechten Leidenſchaften und ſchlechten Principien<lb/> zu beugen, und dann zu verſuchen ſich zu erheben um die Ausſchweifungen<lb/> derſelben zu bekämpfen. Sie macht die Regierung nicht bloß ſchwach, ſie<lb/> iſt weiter gegangen und hat ſie zur Lüge gezwungen. Es iſt die trau-<lb/> rige Bedingung der demokratiſchen Regierungen daß man, obgleich ſie damit<lb/> beauftragt ſind die Unordnung zu unterdrücken, von ihnen verlangt ſie<lb/> ſollen <hi rendition="#g">den Urſachen der Unordnung gegenüber gefällig und<lb/> ſchmeichelnd ſeyn</hi>.“ Ich glaube daß Guizot hier den Kern der Sache<lb/> berührt hat; es iſt dieß der richtigſte Gedanke im ganzen Buche, und wird<lb/> bei Verſtändigen ſtets der Hauptvorwurf gegen jede demokratiſche Ver-<lb/> faſſung ſeyn. Nur daß man Eins nicht vergeſſe. Iſt es eigentlich ſpeci-<lb/> fiſch die <hi rendition="#g">Republik</hi> der man dieſen Vorwurf macht? 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Das iſt die wunde Stelle in der ganzen<lb/> Guizot’ſchen Deduction daß alles was er ſagt ſich mit derſelben Conſe-<lb/> quenz auf die conſtitutionelle Monarchie anwenden läßt; er beweist daß<lb/> die Republik Gefahr bringt; er beweist nicht daß die Monarchie weniger<lb/> gefahrbringend iſt oder ſeyn kann.</p><lb/> <p>Guizot geht weiter. Er ſcheidet die demokratiſche von der ſocialen<lb/> Republik. Jene fordert er auf daß ſie „ihren Sieg verkünde oder beweiſe,<lb/> indem ſie den Frieden wiederherſtelle.“ Sie thut es nicht; ſie wird „den<lb/> ſocialen Frieden und die politiſche Freiheit in die höchſte Gefahr bringen<lb/> oder ſie darin laſſen.“ Gut denn. Aber Guizot lebte unter Napoleon,<lb/> er lebte unter Karl <hi rendition="#aq">X,</hi> er lebte unter Ludwig Philipp. Was brachte die<lb/> militäriſche Dictatur? Einen Krieg gegen Europa. Was brachte die<lb/> Reſtauration, das ſcheinbar conſtitutionelle Königthum? Sie warf durch<lb/> ihren Kampf gegen die Freiheit <hi rendition="#g">denſelben Guizot</hi> in die äußerſte Op-<lb/> poſition, ihn der jetzt die nothwendigen Conſequenzen ſeiner Schriften von<lb/> 1820 bis 1830 anklagt, und endete mit einer Revolution die niemand<lb/> verdammt hat. Was brachte der Philippismus, die wirklich conſtitutio-<lb/> nelle Monarchie? Guizot lebte ja doch von 1830 bis 1834; in dieſen<lb/><hi rendition="#g">vier</hi> Jahren war mehr Aufruhr in Frankreich als im verfloſſenen; nie iſt<lb/> die Flamme gelöſcht, und endlich erzeugt auch dieß Syſtem eine Revolution.<lb/> Wie will Guizot verhindern daß man von ſeinem Buch aus einen Blick<lb/> auf dieſe Verhältniſſe werfe, und was will er zu dem Schluß ſagen daß<lb/> die übrigen Regierungsformen <hi rendition="#g">alle zuſammen</hi> nichts beſſeres geleiſtet<lb/> haben als dieſe ſo hart beſchuldigte Republik? Er kann mit ſeinen Be-<lb/> weiſen wohl die Ueberzeugung von der Trefflichkeit der beſtehenden Re-<lb/><cb/> publik ſchwankend machen, aber er kann keine für eine andere gewinnen.<lb/> Was wird dieſe reine Negation nützen? Und <hi rendition="#g">wem</hi> wird ſie nützen?<lb/> Schwerlich dem wofür Guizot die Feder ergriff!</p><lb/> <p>Die ſociale Republik endlich iſt „ebenſo widerwärtig als unmöglich.<lb/> Sie iſt das abgeſchmackteſte und zugleich das ſchlimmſte aller Hirn-<lb/> geſpinnſte.“ Guizot hat hier Recht in ſeinen Anſichten, aber Unrecht<lb/> darin daß er ſeinen Beweis zu kurz macht. Er zeigt nur daß er die Sache<lb/> von ihrer verderblichen Seite kennt; er weiß weder das Gute an ihr anzu-<lb/> erkennen, noch auch es zu benutzen. Er hält Proudhon für den bedeutendſten<lb/> Socialiſten, und ſieht nicht daß gerade Proudhon ſich nur in Negationen<lb/> bewegt hat. Doch laſſen wir dieſen Theil der kleinen Schrift; er iſt offen-<lb/> bar nur ein Anhängſel des Ganzen. Bei weitem bedeutender iſt das<lb/> folgende, die Unterſuchungen über die wirklichen Elemente der Geſellſchaft<lb/> in Frankreich. Das hierher gehörige Capitel <hi rendition="#aq">V</hi> iſt gewiß das beſte im<lb/> ganzen Buche. Guizot wirft hier einen durchdringenden Blick über die<lb/> Claſſen der Geſellſchaft; vorzüglich beachtenswerth iſt der ſchöne Paſſus<lb/> über die <hi rendition="#g">Ehre</hi> der Arbeit, und ganz vortrefflich der Satz daß die <hi rendition="#g">legiti-<lb/> miſtiſche</hi> Partei nicht die dynaſtiſche und auch nicht die monarchiſche<lb/> Partei, ſondern „die Trägerin der Elemente iſt die einſt die alte (franzö-<lb/> ſiſche) <hi rendition="#g">Geſellſchaft</hi> beherrſcht haben.“ Wen wird dieſe Bemerkung mit<lb/> ihrer ſchlagenden Wahrheit nicht überzeugen, und über ſo manches auf-<lb/> klären das ohne dieſen Satz im Halbdunkel bleibt? Merkwürdig dagegen<lb/> daß Guizot keine <hi rendition="#g">republicaniſche</hi> Partei ſucht oder anerkennt; unge-<lb/> recht aber wenn er die Republicaner unbedingt mit den <hi rendition="#g">Anarchiſten</hi>,<lb/> deren Exiſtenz als Partei leider kein Vernüftiger läugnen kann, zuſam-<lb/> menwirft. Wir hätten Guizot Mannhaftigkeit der Geſinnung genug zu-<lb/> getraut um eine ſolche Zweideutigkeit Angeſichts des ganzen Frankreichs<lb/> zu vermeiden, um ſo mehr als eben dieſe Vermengung durch ihren häufi-<lb/> gen Gebrauch an Wahrheit und Eindruck täglich verliert.</p><lb/> <p>Aus den Elementen dieſer Geſellſchaft will nun Guizot die Regierung<lb/> zuſammengeſetzt wiſſen. Wir können einen ſolchen Ausgang ſeiner De-<lb/> duction nur für einen vollkommen richtigen halten; allein mit einigem<lb/> Erſtaunen müſſen wir dabei bemerken daß im Grund eben <hi rendition="#g">dieſe</hi> Bildung<lb/> der Regierung nichts mehr und nichts weniger iſt und ſeyn kann als die<lb/><hi rendition="#g">republicaniſche</hi>. Es iſt ganz wunderbar dieſen Schluß an dem Ende<lb/> eines ſolchen Buches zu finden. 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Man muß geſtehen daß, wenn es etwas gibt<lb/> was das Königthum überflüſſig und die Republik als die natürliche<lb/> Staatsform erſcheinen läßt, gerade dieſer Schluß von einem ſolchen Mann<lb/> ein Entſcheidendes ſeyn muß. Es iſt nicht zu läugnen, Guizot ſteht mit<lb/> dieſen Sätzen bereits <hi rendition="#g">mitten in der Republik</hi>; er hat das Königthum<lb/> aufgegeben; er weiß von ihm keine Hülfe; er ſieht keine Hoffnung, keine<lb/> Bildung einer guten Regierung als durch das Hervorgehen derſelben aus<lb/> den Elementen der <hi rendition="#g">Geſellſchaft</hi>, und durch das Zuſammenſchließen des<lb/> conſervativen Elements. Es iſt der Mühe werth dieß Reſultat vor Augen<lb/> zu halten. Wenn, nachdem das Königthum drei Monate geſtürzt war,<lb/> Guizot ſelber von ihm nichts mehr erwartet, was mag es ihm dann ge-<lb/> weſen ſeyn ſo lange es beſtand? Es iſt bekannt daß Ludwig Philipp und<lb/> ſein Miniſter nie Freunde waren; ſollte auch Guizot, wie Napoleon auf St.<lb/> Helena, im Grunde ſeines Herzens ſich ſchon damals geſagt haben: Meine<lb/> Natur hat mich zum Republicaner, mein Schickſal mich zum Vertheidiger<lb/> des Fürſtenthums gemacht?</p><lb/> <p>Faßt man nun dieſe Betrachtungen zu einem gemeinſamen Reſultat<lb/> zuſammen, ſo darf man ſagen daß Guizot an ſich nicht gegen die Republik<lb/> und kein definitiver Vertheidiger des Königthums iſt, ſo nahe er auch<lb/> demſelben — oder vielleicht gerade weil er demſelben ſo nahe geſtanden.<lb/> Seine Natur weist ihn auf ein ſtrenges und ſtarres Regierungsſyſtem<lb/> hin; wo er dieß findet, da iſt er zufrieden, ſey es in der Republik, ſey es<lb/> im Königthum. Was er in der Republik haßt, iſt nicht die Königsloſig-<lb/> keit, es iſt vielmehr das Ergriffenwerden der Regierung von den Bewe-<lb/> gungen des Volkslebens; und in der That iſt ihm die <hi rendition="#g">demokratiſche</hi><lb/> Republik eben diejenige wo dieſe unmittelbare Einwirkung des Volkes auf<lb/> die Regierung ſtattfindet, mithin diejenige die er entſchieden für höchſt<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Beilage zu Nr. 96 der Allgemeinen Zeitung vom 6 April 1849.
Gnizot und Thiers.
(Beſchluß.)
Dieß iſt mithin der Standpunkt aus dem Guizot die Beantwortung
der eigentlichen Frage der Politik nach der beſten Form der Regierung
unternimmt, und, wie geſagt, als dieſe Beantwortung finden wir nur
das immer wiederholte Urtheil daß die Republik, und vor allem die demo-
kratiſche Republik, die abſolut verderbliche Form für das Ganze wie den
Einzelnen ſey. Dieſer Angriff auf die Republik ermangelt nun keines-
wegs großer Tiefe und Bedeutung; doch werden wir dieſen Theil nur kurz
berühren, denn das Buch ſelber iſt in jedermanns Händen. Es kommt
uns zunächſt darauf an nachzuweiſen wie dieſe Bekämpfung der Republik
mit der oben dargelegten höheren Auffaſſung innig zuſammenhängt.
Das Wort und die Idee der Demokratie, ſo beginnt das Buch, haben
in dieſem Augenblick eine ungemeine Gewalt; ein jeder der herrſchen will,
ſchreibt ihren Namen auf ſeine Fahne. Woher kommt dieß? Weil die
Demokratie „allen Trieben, den ſchlechten wie den guten, unendliche Aus-
ſichten und Verſprechungen bietet.“ Das iſt der Grund ſeiner Macht,
allein das iſt auch der Grund ſeiner Gefahr. Denn die Demokratie iſt
eben dadurch die „Entfeſſelung der ganzen menſchlichen Natur auf der
ganzen Ausdehnung und in allen Tiefen der Geſellſchaft, und als Folge
hiervon der thatſächliche, allgemeine, andauernde Kampf zwiſchen ihren
guten und böſen Trieben.“ In dieſem Kampfe geht nun das Gute unter,
wenn nicht die äußere Gewalt, die Regierung hilft. Allein das iſt der
Fluch der Demokratie daß ſie dieſe hohe Aufgabe den Regierungen un-
möglich macht. Die Demokratie zwingt die Regierung „jeden Augenblick
ſelbſt das Knie vor den ſchlechten Leidenſchaften und ſchlechten Principien
zu beugen, und dann zu verſuchen ſich zu erheben um die Ausſchweifungen
derſelben zu bekämpfen. Sie macht die Regierung nicht bloß ſchwach, ſie
iſt weiter gegangen und hat ſie zur Lüge gezwungen. Es iſt die trau-
rige Bedingung der demokratiſchen Regierungen daß man, obgleich ſie damit
beauftragt ſind die Unordnung zu unterdrücken, von ihnen verlangt ſie
ſollen den Urſachen der Unordnung gegenüber gefällig und
ſchmeichelnd ſeyn.“ Ich glaube daß Guizot hier den Kern der Sache
berührt hat; es iſt dieß der richtigſte Gedanke im ganzen Buche, und wird
bei Verſtändigen ſtets der Hauptvorwurf gegen jede demokratiſche Ver-
faſſung ſeyn. Nur daß man Eins nicht vergeſſe. Iſt es eigentlich ſpeci-
fiſch die Republik der man dieſen Vorwurf macht? Iſt dieß alles viel-
leicht weniger der Fall in einer conſtitutionellen Monarchie, wo die Mini-
ſterien aus dem Volk hervorgehen, wie die Regierung in der Republik?
Wenn aber die Miniſterien dem Volke gerade ebenſo gegenüberſtehen, was
wird dann in der letztern Staatsverfaſſung die Folge dieſer Stellung ſeyn?
Man wird von den Miniſtern verlangen was man in der Republik von
dem Staatsoberhaupt verlangt. Oder hat vielleicht Guizot ſelbſt ſich un-
nachſichtlich gegen die Principien der „böſen Leidenſchaften“ bewieſen als
er unter faſt unerhörten Beſtechungen eine Kammer zu Stande brachte die
machtlos und ehrlos daſtand? Das iſt die wunde Stelle in der ganzen
Guizot’ſchen Deduction daß alles was er ſagt ſich mit derſelben Conſe-
quenz auf die conſtitutionelle Monarchie anwenden läßt; er beweist daß
die Republik Gefahr bringt; er beweist nicht daß die Monarchie weniger
gefahrbringend iſt oder ſeyn kann.
Guizot geht weiter. Er ſcheidet die demokratiſche von der ſocialen
Republik. Jene fordert er auf daß ſie „ihren Sieg verkünde oder beweiſe,
indem ſie den Frieden wiederherſtelle.“ Sie thut es nicht; ſie wird „den
ſocialen Frieden und die politiſche Freiheit in die höchſte Gefahr bringen
oder ſie darin laſſen.“ Gut denn. Aber Guizot lebte unter Napoleon,
er lebte unter Karl X, er lebte unter Ludwig Philipp. Was brachte die
militäriſche Dictatur? Einen Krieg gegen Europa. Was brachte die
Reſtauration, das ſcheinbar conſtitutionelle Königthum? Sie warf durch
ihren Kampf gegen die Freiheit denſelben Guizot in die äußerſte Op-
poſition, ihn der jetzt die nothwendigen Conſequenzen ſeiner Schriften von
1820 bis 1830 anklagt, und endete mit einer Revolution die niemand
verdammt hat. Was brachte der Philippismus, die wirklich conſtitutio-
nelle Monarchie? Guizot lebte ja doch von 1830 bis 1834; in dieſen
vier Jahren war mehr Aufruhr in Frankreich als im verfloſſenen; nie iſt
die Flamme gelöſcht, und endlich erzeugt auch dieß Syſtem eine Revolution.
Wie will Guizot verhindern daß man von ſeinem Buch aus einen Blick
auf dieſe Verhältniſſe werfe, und was will er zu dem Schluß ſagen daß
die übrigen Regierungsformen alle zuſammen nichts beſſeres geleiſtet
haben als dieſe ſo hart beſchuldigte Republik? Er kann mit ſeinen Be-
weiſen wohl die Ueberzeugung von der Trefflichkeit der beſtehenden Re-
publik ſchwankend machen, aber er kann keine für eine andere gewinnen.
Was wird dieſe reine Negation nützen? Und wem wird ſie nützen?
Schwerlich dem wofür Guizot die Feder ergriff!
Die ſociale Republik endlich iſt „ebenſo widerwärtig als unmöglich.
Sie iſt das abgeſchmackteſte und zugleich das ſchlimmſte aller Hirn-
geſpinnſte.“ Guizot hat hier Recht in ſeinen Anſichten, aber Unrecht
darin daß er ſeinen Beweis zu kurz macht. Er zeigt nur daß er die Sache
von ihrer verderblichen Seite kennt; er weiß weder das Gute an ihr anzu-
erkennen, noch auch es zu benutzen. Er hält Proudhon für den bedeutendſten
Socialiſten, und ſieht nicht daß gerade Proudhon ſich nur in Negationen
bewegt hat. Doch laſſen wir dieſen Theil der kleinen Schrift; er iſt offen-
bar nur ein Anhängſel des Ganzen. Bei weitem bedeutender iſt das
folgende, die Unterſuchungen über die wirklichen Elemente der Geſellſchaft
in Frankreich. Das hierher gehörige Capitel V iſt gewiß das beſte im
ganzen Buche. Guizot wirft hier einen durchdringenden Blick über die
Claſſen der Geſellſchaft; vorzüglich beachtenswerth iſt der ſchöne Paſſus
über die Ehre der Arbeit, und ganz vortrefflich der Satz daß die legiti-
miſtiſche Partei nicht die dynaſtiſche und auch nicht die monarchiſche
Partei, ſondern „die Trägerin der Elemente iſt die einſt die alte (franzö-
ſiſche) Geſellſchaft beherrſcht haben.“ Wen wird dieſe Bemerkung mit
ihrer ſchlagenden Wahrheit nicht überzeugen, und über ſo manches auf-
klären das ohne dieſen Satz im Halbdunkel bleibt? Merkwürdig dagegen
daß Guizot keine republicaniſche Partei ſucht oder anerkennt; unge-
recht aber wenn er die Republicaner unbedingt mit den Anarchiſten,
deren Exiſtenz als Partei leider kein Vernüftiger läugnen kann, zuſam-
menwirft. Wir hätten Guizot Mannhaftigkeit der Geſinnung genug zu-
getraut um eine ſolche Zweideutigkeit Angeſichts des ganzen Frankreichs
zu vermeiden, um ſo mehr als eben dieſe Vermengung durch ihren häufi-
gen Gebrauch an Wahrheit und Eindruck täglich verliert.
Aus den Elementen dieſer Geſellſchaft will nun Guizot die Regierung
zuſammengeſetzt wiſſen. Wir können einen ſolchen Ausgang ſeiner De-
duction nur für einen vollkommen richtigen halten; allein mit einigem
Erſtaunen müſſen wir dabei bemerken daß im Grund eben dieſe Bildung
der Regierung nichts mehr und nichts weniger iſt und ſeyn kann als die
republicaniſche. Es iſt ganz wunderbar dieſen Schluß an dem Ende
eines ſolchen Buches zu finden. Guizot erwartet das Heil Frankreichs
nicht vom Königthum; er weist auf dasſelbe auch nicht mit einem Finger
hin; er fordert nur daß dem wachſenden Strom der Demokratie gegen-
über „die conſervativen Beſtandtheile der franzöſiſchen Geſellſchaft ſich
vereinigen und feſt begründen, daß in ihnen der politiſche Geiſt den
Parteigeiſt überwältige“; davon, von ihrer Vereinigung hängt das
Heil des Ganzen ab; ohne ſie „wird die Demokratie Frankreich und mit
Frankreich ſie ſelber in das Verderben ſtürzen.“ In der That, eine ſolche
Bedeutungsloſigkeit des Königthums hätten wir in einer ſolchen Schrift
am wenigſten geſucht. Man muß geſtehen daß, wenn es etwas gibt
was das Königthum überflüſſig und die Republik als die natürliche
Staatsform erſcheinen läßt, gerade dieſer Schluß von einem ſolchen Mann
ein Entſcheidendes ſeyn muß. Es iſt nicht zu läugnen, Guizot ſteht mit
dieſen Sätzen bereits mitten in der Republik; er hat das Königthum
aufgegeben; er weiß von ihm keine Hülfe; er ſieht keine Hoffnung, keine
Bildung einer guten Regierung als durch das Hervorgehen derſelben aus
den Elementen der Geſellſchaft, und durch das Zuſammenſchließen des
conſervativen Elements. Es iſt der Mühe werth dieß Reſultat vor Augen
zu halten. Wenn, nachdem das Königthum drei Monate geſtürzt war,
Guizot ſelber von ihm nichts mehr erwartet, was mag es ihm dann ge-
weſen ſeyn ſo lange es beſtand? Es iſt bekannt daß Ludwig Philipp und
ſein Miniſter nie Freunde waren; ſollte auch Guizot, wie Napoleon auf St.
Helena, im Grunde ſeines Herzens ſich ſchon damals geſagt haben: Meine
Natur hat mich zum Republicaner, mein Schickſal mich zum Vertheidiger
des Fürſtenthums gemacht?
Faßt man nun dieſe Betrachtungen zu einem gemeinſamen Reſultat
zuſammen, ſo darf man ſagen daß Guizot an ſich nicht gegen die Republik
und kein definitiver Vertheidiger des Königthums iſt, ſo nahe er auch
demſelben — oder vielleicht gerade weil er demſelben ſo nahe geſtanden.
Seine Natur weist ihn auf ein ſtrenges und ſtarres Regierungsſyſtem
hin; wo er dieß findet, da iſt er zufrieden, ſey es in der Republik, ſey es
im Königthum. Was er in der Republik haßt, iſt nicht die Königsloſig-
keit, es iſt vielmehr das Ergriffenwerden der Regierung von den Bewe-
gungen des Volkslebens; und in der That iſt ihm die demokratiſche
Republik eben diejenige wo dieſe unmittelbare Einwirkung des Volkes auf
die Regierung ſtattfindet, mithin diejenige die er entſchieden für höchſt
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(2022-09-09T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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