Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

ihn zerstreuen und die klagende Stimme seines Jnnern über-
täuben kann.

Aber nicht ein Gleichniß ist die für unseren Verstan-
deshochmuth allerdings demüthigende Hinweisung auf die
Kinderstube, sondern ein dem Reiche der Thatsachen ent-
nommenes Beispiel, eine auf Erfahrung sich gründende Lehre
über die Quelle des Glücks. Nur möge sich Niemand ein-
bilden, daß er das Glück durch den einfachen Entschluß, an
Gott und Unsterblichkeit zu glauben, erkaufen könne. Wenn
das Glück so leichten Kaufes zu haben wäre, so würde schwer-
lich irgend Jemand sich lange bedenken. Denn einmal glaubt
der Mensch nicht was er glauben will, sondern was er
glauben kann. Und dann, so beruht (um bei dem gewähl-
ten Beispiele zu bleiben) das Glück des Kindes ja nicht darin,
daß es von Nahrungssorgen und von Todesfurcht nichts
weiß, sonst würde der Unterschied in der Erziehung keinen
Unterschied in der Stimmung und im Glück begründen. Die
Abwesenheit eines Uebels, von welchem wir uns gar nicht
bedroht wissen, macht Niemand glücklich. Das Glück des
Kindes beruht vielmehr auf einer sehr positiven Grundlage.
Aber diese Grundlage läßt sich weder mit Händen greifen,
denn sie gehört nicht der Sinnenwelt an, noch läßt sie sich
durch den Verstand erfassen, denn sie ist kein Produkt des
Denkens. Sie ist weder sinnlicher noch geistiger Art, sie
ist ein Drittes, sie ist sittlicher Art. Sie beruht in der
Befriedigung desjenigen, was den innersten Kern unseres
Wesens bildet, in der Befriedigung unserer sittlichen
Natur. Diese Befriedigung wird nicht durch sinnliches
Wohlergehen erreicht, womit die Affenliebe so vieler Eltern
die Kinder glücklich zu machen sucht, sie wird nicht durch

ihn zerſtreuen und die klagende Stimme ſeines Jnnern über-
täuben kann.

Aber nicht ein Gleichniß iſt die für unſeren Verſtan-
deshochmuth allerdings demüthigende Hinweiſung auf die
Kinderſtube, ſondern ein dem Reiche der Thatſachen ent-
nommenes Beiſpiel, eine auf Erfahrung ſich gründende Lehre
über die Quelle des Glücks. Nur möge ſich Niemand ein-
bilden, daß er das Glück durch den einfachen Entſchluß, an
Gott und Unſterblichkeit zu glauben, erkaufen könne. Wenn
das Glück ſo leichten Kaufes zu haben wäre, ſo würde ſchwer-
lich irgend Jemand ſich lange bedenken. Denn einmal glaubt
der Menſch nicht was er glauben will, ſondern was er
glauben kann. Und dann, ſo beruht (um bei dem gewähl-
ten Beiſpiele zu bleiben) das Glück des Kindes ja nicht darin,
daß es von Nahrungsſorgen und von Todesfurcht nichts
weiß, ſonſt würde der Unterſchied in der Erziehung keinen
Unterſchied in der Stimmung und im Glück begründen. Die
Abweſenheit eines Uebels, von welchem wir uns gar nicht
bedroht wiſſen, macht Niemand glücklich. Das Glück des
Kindes beruht vielmehr auf einer ſehr poſitiven Grundlage.
Aber dieſe Grundlage läßt ſich weder mit Händen greifen,
denn ſie gehört nicht der Sinnenwelt an, noch läßt ſie ſich
durch den Verſtand erfaſſen, denn ſie iſt kein Produkt des
Denkens. Sie iſt weder ſinnlicher noch geiſtiger Art, ſie
iſt ein Drittes, ſie iſt ſittlicher Art. Sie beruht in der
Befriedigung desjenigen, was den innerſten Kern unſeres
Weſens bildet, in der Befriedigung unſerer ſittlichen
Natur. Dieſe Befriedigung wird nicht durch ſinnliches
Wohlergehen erreicht, womit die Affenliebe ſo vieler Eltern
die Kinder glücklich zu machen ſucht, ſie wird nicht durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0045" n="39"/>
ihn zer&#x017F;treuen und die klagende Stimme &#x017F;eines Jnnern über-<lb/>
täuben kann.</p><lb/>
        <p>Aber nicht ein <hi rendition="#g">Gleichniß</hi> i&#x017F;t die für un&#x017F;eren Ver&#x017F;tan-<lb/>
deshochmuth allerdings demüthigende Hinwei&#x017F;ung auf die<lb/>
Kinder&#x017F;tube, &#x017F;ondern ein dem Reiche der <hi rendition="#g">That&#x017F;achen</hi> ent-<lb/>
nommenes Bei&#x017F;piel, eine auf Erfahrung &#x017F;ich gründende Lehre<lb/>
über die Quelle des Glücks. Nur möge &#x017F;ich Niemand ein-<lb/>
bilden, daß er das Glück durch den einfachen Ent&#x017F;chluß, an<lb/>
Gott und Un&#x017F;terblichkeit zu glauben, erkaufen könne. Wenn<lb/>
das Glück &#x017F;o leichten Kaufes zu haben wäre, &#x017F;o würde &#x017F;chwer-<lb/>
lich irgend Jemand &#x017F;ich lange bedenken. Denn einmal glaubt<lb/>
der Men&#x017F;ch nicht was er glauben <hi rendition="#g">will</hi>, &#x017F;ondern was er<lb/>
glauben <hi rendition="#g">kann</hi>. Und dann, &#x017F;o beruht (um bei dem gewähl-<lb/>
ten Bei&#x017F;piele zu bleiben) das Glück des Kindes ja nicht darin,<lb/>
daß es von Nahrungs&#x017F;orgen und von Todesfurcht nichts<lb/>
weiß, &#x017F;on&#x017F;t würde der Unter&#x017F;chied in der Erziehung keinen<lb/>
Unter&#x017F;chied in der Stimmung und im Glück begründen. Die<lb/>
Abwe&#x017F;enheit eines Uebels, von welchem wir uns gar nicht<lb/>
bedroht wi&#x017F;&#x017F;en, macht Niemand glücklich. Das Glück des<lb/>
Kindes beruht vielmehr auf einer &#x017F;ehr po&#x017F;itiven Grundlage.<lb/>
Aber die&#x017F;e Grundlage läßt &#x017F;ich weder mit Händen greifen,<lb/>
denn &#x017F;ie gehört nicht der Sinnenwelt an, noch läßt &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
durch den Ver&#x017F;tand erfa&#x017F;&#x017F;en, denn &#x017F;ie i&#x017F;t kein Produkt des<lb/>
Denkens. Sie i&#x017F;t weder &#x017F;innlicher noch gei&#x017F;tiger Art, &#x017F;ie<lb/>
i&#x017F;t ein Drittes, &#x017F;ie i&#x017F;t <hi rendition="#g">&#x017F;ittlicher</hi> Art. Sie beruht in der<lb/>
Befriedigung desjenigen, was den inner&#x017F;ten Kern un&#x017F;eres<lb/>
We&#x017F;ens bildet, in der Befriedigung un&#x017F;erer <hi rendition="#g">&#x017F;ittlichen</hi><lb/>
Natur. Die&#x017F;e Befriedigung wird nicht durch &#x017F;innliches<lb/>
Wohlergehen erreicht, womit die Affenliebe &#x017F;o vieler Eltern<lb/>
die Kinder glücklich zu machen &#x017F;ucht, &#x017F;ie wird nicht durch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0045] ihn zerſtreuen und die klagende Stimme ſeines Jnnern über- täuben kann. Aber nicht ein Gleichniß iſt die für unſeren Verſtan- deshochmuth allerdings demüthigende Hinweiſung auf die Kinderſtube, ſondern ein dem Reiche der Thatſachen ent- nommenes Beiſpiel, eine auf Erfahrung ſich gründende Lehre über die Quelle des Glücks. Nur möge ſich Niemand ein- bilden, daß er das Glück durch den einfachen Entſchluß, an Gott und Unſterblichkeit zu glauben, erkaufen könne. Wenn das Glück ſo leichten Kaufes zu haben wäre, ſo würde ſchwer- lich irgend Jemand ſich lange bedenken. Denn einmal glaubt der Menſch nicht was er glauben will, ſondern was er glauben kann. Und dann, ſo beruht (um bei dem gewähl- ten Beiſpiele zu bleiben) das Glück des Kindes ja nicht darin, daß es von Nahrungsſorgen und von Todesfurcht nichts weiß, ſonſt würde der Unterſchied in der Erziehung keinen Unterſchied in der Stimmung und im Glück begründen. Die Abweſenheit eines Uebels, von welchem wir uns gar nicht bedroht wiſſen, macht Niemand glücklich. Das Glück des Kindes beruht vielmehr auf einer ſehr poſitiven Grundlage. Aber dieſe Grundlage läßt ſich weder mit Händen greifen, denn ſie gehört nicht der Sinnenwelt an, noch läßt ſie ſich durch den Verſtand erfaſſen, denn ſie iſt kein Produkt des Denkens. Sie iſt weder ſinnlicher noch geiſtiger Art, ſie iſt ein Drittes, ſie iſt ſittlicher Art. Sie beruht in der Befriedigung desjenigen, was den innerſten Kern unſeres Weſens bildet, in der Befriedigung unſerer ſittlichen Natur. Dieſe Befriedigung wird nicht durch ſinnliches Wohlergehen erreicht, womit die Affenliebe ſo vieler Eltern die Kinder glücklich zu machen ſucht, ſie wird nicht durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/45
Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/45>, abgerufen am 21.11.2024.